57er Chevy, blade Gitarrn und Zaunpinkeln

Das Deja-vu

Legendär die Szene am Ostbahn-IX-Platz im Sommer vor 20 Jahren. Damals spielte der Ostbahnkurti mit der Chefpartie und die Organisation war genauso mies wie diesmal. Derselbe Veranstalter? Wäre möglich. Jedenfalls gab es damals schon keine Häusln, was für die Damen elendslange Schlangen bedeutete und eine Art überirdische Körperbeherrschung und -früherkennung erforderte.
Die Herren hatten es leichter, sie gingen zu einer großen Böschung und pinkelten einfach hinunter in die Buschreihe. Feine Sache, bis auf den leicht alkoholisierten Herrn, der ein wenig die Balance verlor und die Böschung hinunter stürzte, hinein in besagte, gut durchtränkte Büsche. Gratulation im Nachhinein.

Die Organisation

Diesmal gab es keine Böschung, aber auch keine Klos. Es war tatsächlich nur eine Handvoll Mobilklos vorhanden und die waren beim Eingang aufgestellt, genau am weitesten Punkt von der Bühne entfernt. Da tausende Menschen dicht gedrängt standen, keine ganz einfache Koordinationstätigkeit.

Glücklicherweise mussten die Herren nicht so oft aufs Klo, weil auch der Biernachschub überhaupt nicht funktionierte. Die leicht überforderten Ausschschenksklaven hatten eine Handvoll Durchfluss-Kühlanlagen, aus denen in erster Linie Schaum rauskam. Offensichtlich wussten sie nicht, dass man die Fässer trotzdem einen Tag vorher anliefern und ruhen lassen muss. Auch ein wenig Kühlung hätte dem Bier nicht geschadet, es war lauwarm mit wenig Kohlensäure.
Die armen Damen und Herren hatten zudem nur eine Handkassa in Form einer Blechbüchse, in der alles Wechselgeld ungeordnet herum lag. Ewiges Stöbern war die Folge, ganz abgesehen davon dass sie untereinander nicht organisiert waren. Dabei wurden gerade bei diesem Konzert die meisten Karten im Vorverkauf ausgegeben und der Veranstalter wusste sehr genau, wie viele (sehr viele!) Menschen kommen würden. Und wenn er nicht ganz deppat ist, dann wusste er auch, dass Ostbahnkurti-Fans jede Menge Bier und Spritzwein trinken (Thomy: „Am besten ich nehm gleich vier Bier“ – Ich: „Gut, dann nehm ich auch vier…“).
Auch die Rückgabe der Pfandbecher war eine Katastrophe, denn dafür musste man sich genauso lange anstellen wie für ein Bier.

Auch am Eingang gab es Stress. Alles dauerte ewig, bis auf das Schlange-Bilden. Die wuchs schnell und es wurde klar: der Veranstalter hatte offensichtlich auch hier gespart („Oh, so viele Leute, und die wollen alle jetzt vor Beginn des Konzerts rein…“) oder ist einfach unfähig.

Sehr fein auch der Hinweis auf der Eintrittskarte, dass man nicht mit Stöckelschuhen zum Konzert kommen darf. Also:
1.) Ostbahnkurtifans tragen eher selten Stöckelschuhe beim Konzert.
2.) Schon gar nicht, wenn wettermäßig ein Inferno angekündigt ist
3.) Es war weder Zeit noch Möglichkeit, das am Eingang zu kontrollieren.
4.) Die Kaiserwiese hat keinen Parkettboden. Deswegen heißt sie auch „Wiese“ und nicht „Salon“.

Die netten, schlecht bezahlten und als Security verkleideten Studenten, die die Zäune absicherten, konnten irgendwann den Andrang aus Harndrang nicht mehr zurückweisen und erkannten, dass man einen gerade an den Zaun pinkelnden Herrn in Ostbahnkurti-Stimmung besser nicht von hinten zur Ordnung weist. Dann dreht er sich nämlich um, während dem Pinkeln. So geschah es und die Reihe der Zaunpinkler wurde immer größer. Es war übrigens kein Zaun, sondern ein großmaschiges Gitter und somit eher eine Art Orientierungshilfe, um nicht irgendwo hin zu lullen. Was auch irgendwie egal gewesen wäre, weil es ohnehin in Strömen regnete.
Das wird übrigens lustig für unsere Nachfolger am Tag danach, beim zweiten Konzert. Da wird es nämlich trocken sein. Aber vielleicht treiben sie ja noch irgendwo ein paar Klos auf. Rechts vorne gab es zwar einen Klowagen, aber soll sich der gesamte linke Teil vor der Bühne ganz nach rechts durchquetschen? Bei 50 Euro mal 10.000 macht das eine halbe Million Einnahme, da sollte sich die Miete ausgehen.

Wer sich übrigens beim zweiten Konzert die 50 Euro Eintritt ersparen will: Der besagte Zaun war nicht abgedeckt und die berühmten Zaungäste konnten das Konzert von draußen in der absolut gleichen Qualität wie die zahlenden Gäste ein paar Meter weiter genießen. Mit selbst mitgebrachtem Bier, ohne Schlange stehen.
Generell war aber der Standort Kaiserwiese gut gewählt: die richtige Größe, gute Sicht auf die Bühne, U-Bahn daneben, gute Akustigk – da gibt es nichts zu meckern.

Des Wetter wird umschlogn, do ziagt si schee wos zsam

Ein strahlend schöner, heißer Sommertag. Dann ab 17 Uhr starker Wind und pünktlich zu Konzertbeginn fing es zu regnen an. Auf der Facebook-Seite wurde gerätselt, ob das Konzert abgesagt wird, um 18 Uhr sollte es angeblich eine Entscheidung des Veranstalters geben. Ob es sie offiziell gab, weiß ich nicht, aber das Konzert fand statt.
Fast alle Menschen waren vorgewarnt und hatten Regenpellarinen mit. Ich hatte die Grundausstattung für Ostbahnkurti-Konzerte mit (Leiberl, fette alte Lederjacke, Stiefel, Jeans, Wayfarer), aber nur die Schuhe kamen zur Geltung, weil die Sonnenbrille sinnlos war und die Regenjacke den Rest zuhüllte.

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Bild: Das alte Kurti-Leiberl

Es wurde erstaunlich frisch, vor allem gegen Ende des Konzerts, als es bereits 3,5 Stunden durchregnete. Nicht extrem stark, aber das reichte. Nur wenige Hartgesottene (bzw. Weichgesoffene) waren in kurzer Hose und T-Shirt gekommen. Thomy hatte mit Converse die deutlich falsche Schuhwahl getroffen. Früher heimgehen? Das war für so ziemlich keinen der mehr als 10.000 BesucherInnen (laut ORF) eine Option.

Das Publikum

Der Altersschnitt lag sicher über 40, jede Menge Silberrücken und so ziemlich niemand unter 25, vielleicht ein paar der Söhne und Töchter der alten Kurti-Fans. Textfest bis fast ins Detail. Gute Stimmung trotz miesem Wetter. Der gut gelaunte Kurti und die tollen Musiker waren nicht allein für den Erfolg eines Konzerts verantwortlich, das in die Wiener Rock-Geschichte eingehen wird (zumindest für Ostbahnkurti-Fans). 3,5 Stunden im Regen durchhalten, das ist nicht selbstverständlich.

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Bild: Das alte Kurti-Leiberl

Wenig Drängerei trotz dichtem Bewuchs – das gesetztere Alter zeigt Wirkung.

Kurti, Band und Programm

Gutgelaunt war er, der Herr Ostbahn. Natürlich merkt man ihm an, dass 25 Jahre vergangen sind (ich war 1987 auf meinem ersten Kurti-Konzert). Auch an der Band ist das Alter nicht spurlos vorüber gegangen. Wenn man jedoch die Augen schloss, dann war das der alte Dr. Kurt Ostbahn und die Chefpartie. Plus der Kombo, mit der ich aber schon seinerzeit nicht mehr viel anfangen konnte. Egal – allesamt gute Musiker, und sie waren alle da, auf der Bühne hat es fast gewurlt: Josef Havlicek, Lilli Marschall, Mario Adretti, Wild Willy Brunner und der geniale Leopold „Prinz“ Karasek, den ich lang nicht erkannt habe: graue kurze Haare, seinerzeit lange blonde Federn. Großartig auch Karl Horak, der eigentlich Leo Bei heißt, so wie auch die anderen Musiker in der Chefpartie immer mit ihrem Künstlernamen aufgetreten sind. Und es hat niemand je gestört, die Inszenierung war stets perfekt.

Aus meiner Sicht ließ auch das Programm nichts zu wünschen übrig. Gefühlt hat mir keiner der Klassiker gefehlt und ich bin selbst erstaunt, wie ich bei Liedern textfest bin, die ich seit 15 Jahren nicht mehr gehört habe. Gefehlt hat mir lediglich der „Stern vom Praterstern“, den ich eigentlich erwartet hätte, denn die Kaiserwiese liegt direkt daneben. Und „Chili con Carne“ hat mir auch gefehlt.
„Das Konzert ist hiermit offiziell zu Ende… oba mir spüln eh glei weida“ – der Kurti weiß, was er seinen alten Fans schuldig ist und dass er gar nicht erst probieren muss, ohne entsprechende Zugabenmengen davonzukommen.
Legendär die Gröhlstrecke bei „Überstar“, die das Publikum auch diesmal viele Minuten lang durchhielt, während der Kurti sich eine kleine Erfrischung gönnte. Und am Schluss natürlich „Tequila Sunrise“, einer der Höhepunkte, schlichtweg genial die Kombi aus Kurti, Kombo, Chefpartie und Publikum.

„Wenn die Musik vurbei is“

Im kurzen Interview heute in der ZIB hat der Kurti angekündigt, dass dies ein einmaliges Ereignis war (also halt die zwei Auftritte gestern und heute), während der Veranstalter natürlich davon schwärmt, das jährlich zu machen.
Hoffentlich hält der Kurti sein Wort.

Zahltag für die Engländer

Nanu, was ist denn da los? Wenn ich an London denke, dann fallen mir distinguierte Herren in Tweed-Sakkos ein, die mit einer Melone am Kopf und einem Schirm auf der Straße flanieren, um 17 Uhr Teatime abhalten und gerne und oft „indeed“ und „Well“ sagen.
Okay, das ist nicht alles, London ist auch eine große Stadt mit vielen schnuckeligen Gärten und Backsteinhäusern, es gibt Guinness und höfliche Menschen lassen dir in der Schlange gerne den Vortritt, indeed.

Gut, London ist auch tolles Shopping, viele Sehenswürdigkeiten, Künstler, Carnaby Street und Toast. Alles sehr nett, alles sehr gepflegt.

Irgendwas stimmt da nicht mit meinem London-Bild. Schlägerbanden und Plünderer? Angezündete Fabriken und kaputte Geschäfte? Gut, es gibt in den Vororten ein paar Arbeitslose und man kennt die Fußball-Hooligans, aber bitte was ist da auf einmal los?

Wenn ich ein wenig genauer nachdenke und mir meine Mod-Zeit in Erinnerung rufe, dann kommen schon noch ein paar Facetten dazu: Sowohl die Mods wie auch die Rocker waren meist Unterschicht-Jugendliche, die in tristen Verhältnissen aufwuchsen, wenig Geld und viel Protestpotenzial hatten, viel Wut und wenig Perspektiven. Schon in den späten 1960er Jahren brach dies das erste Mal hervor und die Schlachten im noblen Seebad Brighton sind Legende (der Film „Quadrophenia“ handelt davon).

Aus London stammt auch die harte Rockmusik der Rolling Stones, The Who und einigen anderen. Warum denn das? Brodelte da etwas, das irgendwann raus musste? Findet sich unter der nobel-höflichen Fassade noch etwas anderes?

Die Fakten zeigen sich jetzt in London: Alle Macht den City Boys, keine Macht den arbeitslosen Jugendlichen in den schlechten Wohnvierteln. Das öffnet die Schere und geht eine Zeit lang gut. Dann gibt es zu viele Menschen, die zu wenig haben. Auf der anderen Seite fließt der Champagner in Strömen und man kann sich selbst gar nicht genug Bonuszahlungen verpassen. Ein einziger Spekulant kann mit einem einzigen Knopfdruck in Asien eine Hungersnot auslösen. Das klingt verrückt, aber genauso ist es. Wenn er dafür noch einen fetten Bonus bekommt – was soll ihn abhalten? Gesetze dagegen gibt es nicht, die Moral ist letzte Nacht im Kaviar erstickt und Bangladesh ist weit weg und dort will man ohnehin nicht auf Urlaub fahren. Wenn man Menschen den roten Knopf vor die Nase setzt und sie wissen, dass sie persönlich nicht für die Resultate verantwortlich gemacht werden können – da kann es schon passieren, dass der eine oder andere schwach wird. Und wirklich voraussagen, was am anderen Ende der Welt dann passieren wird, das kann doch bitt schön niemand.
Also wurden die Knöpfe gedrückt, und in USA saßen ein paar Zehntausend Familien auf der Straße. Selber schuld, sie hätten sich ja die Kredite für das Eigenheim nicht aufnehmen müssen!

Wenn man den Banken und Investmentgesellschaften
a.) jede Menge Macht gibt
b.) sie ihre Regeln selbst aufstellen lässt und
c.) den Profit an jeder Ecke als einzig erstrebenswertes Ziel hinausplärrt,
dann darf man sich nicht wundern, wenn irgendwann Zahltag ist.

Eine durchprivatisierte Verwaltung, die zwar nicht funktioniert, bei der aber im Gegenzug jede Menge Menschen entlassen wurden, ein Bildungssystem ohne Budget bzw. nur mit Budget für die Reichen, garniert mit einer größeren oder kleineren Wirtschaftskrise – all das ergibt eine sich immer weiter und schneller öffnende Schere. Die öffnet sich übrigens nur bis zu einem bestimmten Punkt. Was sich jetzt auf den Straßen von England abspielt, sind die Vorboten des Zusammenklappens.

Jahre- bis Jahrzehntelang wurde den Menschen an jeder Ecke eingetrichtert: Du bist nur ein Mensch, wenn Du dir alle Wünsche erfüllen kannst. Du sollst alles wollen, und das jetzt gleich!
Und dann wundert man sich, wenn sie sich das nehmen, was sie sich wünschen sollen: das Auto, den Flatscreen, den Computer – all die Ikonen unserer modernen Gesellschaft. „Mach kaputt, was dich kaputt macht“ lautet ein alter Revolutionsspruch. Genau das tun sie: Sie zerstören die Geschäfte, die ihnen das anbieten, was sie kaufen sollen aber nicht können.

„Gerade in England haben sie so ein tolles Sozialsystem“ höre ich ständig als Argument. Stimmt das, ist das wirklich so toll? Michael Moore hat es in einem seiner Filme so dargestellt. Aber ein Sozialsystem ist nicht alles. Was habe ich davon, wenn das Krankenhaus gratis ist, ich mir aber kein Essen leisten kann? Oder keine Perspektive auf einen Job habe.

„Das sind nur die faulen Schwarzafrikaner, die da randalieren.“ Leider kenne ich die Statistik nicht, aber angeblich sind es nicht nur die. Und wenn – jahrhundertelange Kolonialherrschaft bringt nun einmal die eine oder andere Spätfolge.

War es vielleicht doch die unheilige Allianz Thatcher/Reagan, die zu unserem heutigen Wirtschaftssystem geführt hat? Nun, das hat sich bald erledigt, ähnlich dem Realsozialismus, nur ein paar Jahre später.

Ich glaube, dass der Kapitalismus derzeit ungefähr so viel mit seiner Grundidee zu tun hat wie die katholische Kirche mit den Lehren von Jesus von Nazareth.

Es wird spannend, in den nächsten zwei bis drei Jahren.

Wenn einer eine Reise tut…

…dann kann er was erleben. Dieser Spruch ist zugegeben erstens nicht gegendert, zweitens nicht neu, drittens nicht von mir und viertens verwende sogar ich ihn nicht das erste Mal. Und? Wurscht! Besser ich fange gleich an:

Es sind die folgenschweren Entscheidungen, die unser Leben prägen. Und den Urlaub. Eine davon war die Entscheidung, statt über Zagreb besser über Ljubljana und Rijeka zu fahren. Unser Ziel war übrigens ein kleiner Ort auf der Vokalkaiserinsel Krk. Der Grund war pure Nostalgie. Und Hunger. Wir wollten die sensationellen Krapfen am Trojane-Pass besuchen und außerdem durch Knezak fahren.

Für diejenigen, die beides nicht kennen, folgt hier eine kurze Erklärung. Ich war das letzte Mal Sommer 1996 in Kroatien und hatte es als schönes Land mit tollen Tauchmöglichkeiten in Erinnerung.
Die Anreise dorthin war immer schon ein wenig abenteuerlich. Wenn man die 1980er Jahre außer acht lässt, als die Südautobahn noch hinter Seebenstein zu enden pflegte und man bis Jugoslawien oder gar Griechenland auf der Autoput 17 Schutzengeln brauchte, dann begann mein Abenteuer im Sommer 1993 mit den neuen Staaten Slowenien und Kroatien und ihren Besonderheiten.
Um nach Istrien zu kommen, fuhr man über Graz bis Spielfeld und dann noch bis Maribor auf der Autobahn. Danach begann und beginnt bis heute der Balkan. Erst kurz nach Laibach gab es dann wieder Autobahn, und die ging nur bis Postojna.
Vor Laibach jedoch galt es den Trojane-Pass zu überwinden. Das war und ist jetzt nicht der Großglockner, aber es handelte sich um eine Landstraße, auf der der gesamte Verkehr dahinrollte. Viel Verkehr, viele Kurven und wenige Überholmöglichkeiten. Am besten fuhr man diese Strecke in der Nacht, denn da konnte man die Scheinwerfer der entgegenkommenden Autos sehen.
Wer die Passhöhe erklommen hatte, konnte bei einer Art früher Evolutionsstufe einer Autobahnraststätte Station machen und dort gab und gibt es die legendären „Trojanski Krofi“. Das sind XXL-Krapfen mit Marillenmarmelade oder Schokolade. Sie sind superfrisch und etwa doppelt so groß wie unsere Krapfen. Sie sehen sonst ganz normal aus, schmecken hervorragend, sind immer ganz frisch gemacht und um 1,20 Euro wohlfeil. Wer sechs Stück nimmt und einen Karton bezahlt, bekommt einen siebenten Krapfen gratis dazu.
Als Plus gibt es noch eine sensationell schnelle Bedienung und ein sauberes Häusl gratis.

Gut gestärkt ging es weiter und bei Postojna runter von der Autobahn, die von dort weiter nach Koper führt.
Nur wenige Minuten später im kleinen Ort Pivka gibt es eine scharfe Rechtskurve, bei der man als Auskenner geradeaus weiter fährt, Richtung Knezak.
Ich weiß nicht genau warum, aber diese Strecke wählten wir schon 1993 bei unserer ersten Fahrt und sie blieb mir in dauerhafter Erinnerung. Man fährt damit einen Abschneider, der sowohl Zeit als auch Kilometer spart. Aber das allein ist es nicht, was die Faszination dieser Strecke ausmacht. Es ist die Gegend, der Karst. Ihn sieht und erlebt man auf der normalen Strecke nicht, dazu muss man ausscheren, den kleinen, verwinkelten Weg nehmen, sich eine Auszeit vom Touristenstrom nehmen.
Der Karst ist eine faszinierende Landschaft. Er ist hügelig und trocken, mit Wiesen und kleinen Wäldchen und Buschland und Steinen. Der Karst ist nicht sehr fruchtbar und will erarbeitet werden, was übrigens auch für die Straße gilt. Sie ist genauso eigenwillig wie die Landschaft und fügt sich gut in sie ein. Es gibt auf dieser Strecke, die man in gut zwanzig Minuten durchfahren hat, keine einzige nennenswerte Gerade. Sie besteht aus einer Aneinanderreihung von Kurven, die ständig leicht bergauf und bergab führen, unübersichtlich sind und daher das Überholen nicht erlauben.
Vom Karst braucht man quasi für alles eine Erlaubnis, er ist eine Art stiller Herrscher, dem man sich unterzuordnen hat. Wasser ist nicht im klassischen Sinne rar, sondern in sich ein Mysterium. Es gibt im Karst Seen, die alle paar Jahre verschwinden, binnen weniger Stunden. Und dann gibt es sie einfach nicht mehr. Und nach einiger Zeit kommen sie wieder, niemand weiß genau warum. Der Karst ist eigenwillig, er ist quasi der Esel unter den Landschaften. Wenn er nicht will, dann geht gar nichts. Er zwingt sogar die Autofahrer, sich seinem Rhythmus zu unterwerfen. Aber das tut man gerne, denn der Karst belohnt auch. Er tut das nicht reichlich und somit sind die Belohnungen auch mehr wert.
Die Menschen, die dort leben, haben sich dem Karst angepasst. Klassische Profitgeier, die der Landschaft das Letzte herauspressen wollen, gibt es dort nicht, denn der Karst würde sie schnell vertreiben. Nicht weil er nichts zu bieten hat, sondern weil er sich den Gesetzmäßigkeiten der Menschen widersetzt. Er ist nicht planbar, eben eigenwillig.
So wirkt diese Landschaft mystisch, ein bisschen geheimnisvoll, sehr konkret und doch bewegt man sich auf der Straße wie ein tanzendes Irrlicht, vor allem in der Nacht oder in der Dämmerung, wenn der Karst links und rechts nur zu erahnen ist. Wie rasende Derwische preschten wir durch den Karst, die wilde Jagd, Kosaken gewissermaßen, oder besser: Knezaken!
Kurz vor Knezak gibt es eine Kurve, hinter der ein Friedhof liegt plus eine kleine Kirche. Rundherum ist eigentlich nichts, und der Friedhof selbst ist von einer Mauer umzäunt. Die Autofahrer, die diese Kurve nicht packen, kann man gleich direkt über die Mauer werfen, an der sie kleben. Man ist im Karst, da ist alles anders.
Der Ort Knezak ist für sich unspektakulär, wirkt ein wenig verfallen, ruhig und natürlich ist die Straße durch den Ort ebenfalls kurvig. Im Karst weiß man irgendwie nie, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet. Knezak liegt in der Mitte und ist eigentlich nur deswegen interessant, weil dorthin die Wegweise führen. Es wirkt, als hätte es keine Vergangenheit und keine Zukunft.
Irgendjemand, der damals schon ortskundig war, hat uns den Abschneider über Knezak gezeigt, wahrscheinlich Hannes Hantl.
Immer wieder raunten wir uns an langen Abenden, wenn die Kroatien-Geschichten ausgepackt wurden, den Namen „Knezak“ zu. Es hat etwas Wissendes, Verschwörerisches – wer über Knezak fuhr, der war irgendwie dabei.
Wir sind auch einmal nicht über Knezak gefahren, aber das war irgendwie billig, fad sowieso und wir haben das auch nie wieder getan. Einmal Knezak – immer Knezak! Wir hatten zwar nie vor, uns „Knezakianer“ zu nennen oder Aufkleber auf unseren Autos anzubringen, aber irgendwie war trotzdem immer klar: Knezak rules!
Wir sind übrigens nie in Knezak stehen geblieben.

Wenn man nach einigen Serpentinen wieder hinunter in das gewöhnliche Land kommt, trifft man auf die Hauptstraße und findet sich im Ort Illica Bistrica. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur kroatischen Grenze und wir fanden uns auf einmal mitten im Ort in einer Autoschlange wieder. Ich überlegte, ob hinter der nächsten Kurve eine Ampel wäre, konnte mich aber an keine erinnern. Da uns der Gegenverkehr immer schubweise entgegen kam, vermuteten wir bald eine Baustelle, die demnächst auftauchen würde, so mit Ampel und blockweiser Abfertigung. Wir wussten ja, dass es bis zur Grenze noch etwa zehn Kilometer waren und das daher nicht der Rückstau von dort sein konnte.
Blöderweise war auch hinter der nächsten Kurve keine Baustelle und auch nicht hinter der übernächsten. Wir standen nur herum, es war sauheiß, vor uns Piefke, hinter uns Italiener, was man sich so eigentlich nicht wünscht. Manchmal ging es 100 oder auch 300 Meter vorwärts, dann wieder Stillstand.
Peter erwog, Blumen pflücken zu gehen, Mario fand eine Kinder-DVD für sein Navi, das übrigens alle europäischen Länder eingespeichert hat außer Slowenien und Kroatien. Eine Ausweichstrecke zu wählen, war also nicht möglich, ganz abgesehen davon, dass wir ja hofften, dass jeweils hinter der nächsten Kurve der Stau zu Ende wäre, zu Ende sein müsste.
Irgendwann dämmerte uns, dass es sich tatsächlich um den Grenzrückstau handeln musste und es wurde klar, dass wir einen Samstag gewählt hatten, an dem in Deutschland und Italien Ferien begannen bzw. endeten. Zehn Kilometer Schritttempo. Besonders weh tun die Motorradfahrer, die locker nach vor fahren. Aber das geht nicht mit Tauchgepäck, leider.
Irgendwann nach gefühlten Äonen erreichten wir den Grenzübergang. Mario beschleunigte zügig in unsere neue kroatische Freiheit, die neu gebaute Autobahn wirkte beflügelnd, das Meer war in Sicht, die Erlösung war da.

Bis zur nächsten Kurve. Dann waren wir im Stau vor der Mautstelle, dreispurig, mit Piefke und Italienern. Es war zum verzweifeln. Die Zeit verging nicht und nicht, aber irgendwann war auch das geschafft. Mario beschleunigte noch zügiger Richtung Stadtautobahn Rijeka und meinte scherzend, wir könnten ja in Opatja abfahren und dann die Küstenstraße wählen („so wie früher“). Die Küstenstraße! Was für eine Schnapsidee, dort kriecht man dann hinter ein paar Urlaubern her, die gerade vom Sonnenbaden kommen.
Da bleiben wir natürlich auf der Autobahn. Die Stadtautobahn von Rijeka ist quasi deren Südost-Tangente. Leider ist sie auch so verstaut wie die Südost-Tangente, und wir standen schon wieder. Diesmal war das ein richtig fetter Stau mit viel Piefke und Italienern plus einer Menge genervter Einheimischer. Vor uns ein riesiges Wohnmobil, neben uns ein riesiges Wohnmobil, hinter uns ein riesiges Wohnmobil. Unser Ziel rückte in weite Ferne.
Dann forderte ich abzufahren. Es war gerade eine Abfahrt da und ich wollte einfach nicht mehr im Stau stehen. Besser schlecht gefahren als gut gestanden. Peter drohte mir mit Steinigung („mindestens“), falls uns die Abfahrt in einer Schleife wieder hinten zum Ende des Staus führen würde. Ich akzeptierte das.

Glücklicherweise erreichen wir so tatsächlich die Küstenstraße und nach einiger Zeit die Brücke nach Krk. Nach acht Stunden Fahrt (normal: fünf bis fünfeinhalb) war das Martyrium zu Ende. Glaubten wir.
Da wir von faszinierender Schlauheit reich beschenkt waren, hatten wir sowohl ein Tauchpaket als auch ein tolles Apartement reserviert, beides bei Silvia, der Assistentin der lokalen Tauchschule mit dem ausgefallenen Namen „Divesport“. Der Ort heißt Kornic und ist eine Art Feriensiedlung mit Strand. Dort befindet sich auch die Basis, gleich neben einem Restaurant.
Der neue Kreuzweg begann für uns, als wir zu unserem Apartment fuhren. Die nette Dame von der Tauchbasis schickte uns zu einer netten Dame der Agentur, die nicht da war, sondern nur ihr Assistent (auch nett) und der wiederum schickte uns zu der netten Dame, die unsere Zimmerwirtin war. Gebucht hatten wir ein Apartement mit Wohnzimmer (plus einem Zusatzbett) und zwei Schlafzimmern. Bekommen haben wir ein Apartment mit Wohnzimmer plus Zusatzbett und einem Schlafzimmer.
Ein anderes hätte sie nicht, meinte die nette Dame, und es wäre Hauptsaison und alles übervoll belegt.

Also zurück zur Tauchbasis, denn die letzte der netten Damen hatte keine Ahnung von unseren Buchungen und war somit nicht zuständig. Zurück zum Start, wie beim Mensch-ärgere-dich-nicht, nach acht Stunden Autofahrt.
„Ui, das kann jetzt dauern“ meinte Silvia von der Tauchbasis. So war es auch, aber irgendwann hatten wir zwar kein neues Apartment, aber immerhin ein zusätzliches Zimmer.
Leider war dieses Zimmer einige wenige Autominuten und einige viele Gehminuten vom Apartment entfernt und selbst nur eine Notkammer, welche die nette Dame von der Agentur irgendwie in einem privaten Ferienhaus organisiert hatte. Dort wohnte eine sehr nette Familie aus Zagreb, die so wie die meisten hier auch Zimmer vermietet. Der Raum war winzig, aber viel mehr als ein Bett brauchte ich ja auch nicht, ich war schließlich zum Tauchen da und nicht zum Schlafen. Das Zimmer lag im zweiten Stock, ganz im Gegensatz zum Badeklo, das im Erdgeschoß lag, echt winzig und vor allem sensationell verbaut war. Irgendwie hatte man den Abfluss zum Kanal falsch berechnet und so befand sich die Klomuschel direkt neben der Wand. Da das gesamte Bad unter der Treppe eingebaut war, war die Decke schräg und ich darf voller Stolz mitteilen, dass ich jetzt die Technik des Beine-überkreuz-Scheißens perfekt beherrsche. Mit nur vier Tagen Übung! Wer weiß, wofür ich das in Zukunft brauchen kann.

Ich hatte ein so kleines Bad schon einmal gesehen, und zwar in einem U-Boot-Film aus dem Weltkrieg. Aus dem ersten Weltkrieg, genauer gesagt.

Ich bleibe noch kurz beim Tauchen. Das ist im Norden Kroatiens immer so lala. Es gibt ein paar nette Wracks (Lina, Peltastis, Baron Gautsch…), von denen wir diesmal wegen Reichweitemangel nur die Peltastis erreichen konnten (Autofahrt quer über Krk). Für alle anderen und noch weitere gute Plätze war das Boot einfach nicht schnell genug. Die Tauchbasis besitzt zwar ein Speedboot, mit dem kann aber nur eine Handvoll TaucherInnen fahren und somit ist es auch eher witzlos. Die von der Basis gecharterten Boote sind alte Kähne mit schwachen Motoren und fahren vielleicht 5-10 km/h. Von Krk direkt hinüber nach Crès zu einer Steilwand braucht man 1,5 Stunden. Eine Steilwand ist nett, aber kennst du eine, kennst du alle.
Zusätzlich waren wir in der Hochsaison dort und die Boote waren notorisch überladen. Schattensitzplätze gab es etwa fünf für insgesamt 25 Personen, entsprechend wenig Platz gab es auch zum Umziehen.
Dafür hatten wir sehr gutes Wetter und können die Summe der fünf Tage positiv bilanzieren.
Enorm viel zu dieser Bilanz trägt das Abendessen bei, das wir an vier von fünf Tagen im „Saloon“ zu uns nahmen. Das Lokal im Ort Baska würde einem gar nicht auffallen, aber darum geht es auch nicht.
Wer am Abend vor dem Saloon vorbei fährt, der sieht eine Menschentraube draußen stehen. Das schreckt ab, aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass es da drinnen offensichtlich etwas gibt, das das Warten lohnt.

Wir waren erst am zweiten Abend dort, etwas früher und somit erlebten wir etwas ganz Außergewöhnliches. Ein wirklich kräftiger Herr so um die 50 kommt auf uns zu und weiß aus irgend einem Grund, dass wir Deutsch sprechen. Er ruft mit lauter Stimme „Drei Personen?“, wir nicken kurz und er führt uns sofort zu einem Tisch. Wir scheinen Glück zu haben, denn das ganze Lokal ist voll. Nach einiger Zeit und durch Beobachtung des Wirts und des Treibens eröffnet sich ein fast magischer Mechanismus. Obwohl nichts frei zu sein scheint, weist der Chef keinen Gast ab. Und es kommen ständig Gäste. Es gibt noch 2-3 leere, weil reservierte Tische, aber alle anderen sind voll. Und trotzdem bekommen ständig Gäste einen Tisch. Wie er das genau macht, habe ich nicht herausfinden können. Es ist aber klar, dass er jeden Tisch pro Abend mehrfach besetzt. Die Gäste haben sich daran gewöhnt, nicht stundenlang sitzen zu bleiben. Es gibt aber kein Drängen, man kann bleiben so lange man will, der Wirt würde niemals auch nur einen schrägen Blick auf Gäste werfen, die nach einem guten Essen noch länger da bleiben. Das ist wie in guten Wiener Kaffeehäusern.
Das allein war schon faszinierend, aber bei weitem noch nicht alles.

Die treibende Kraft ist der Wirt. Er rennt die ganze Zeit herum, hat auf Wienerisch gesagt eine „Wampn“ und wirkt, als würde es ihn jede Minute mit Herzinfarkt oder Schlaganfall umwerfen. Vielleicht ist das auch irgendwann einmal so, aber bis dorthin ist er Wirt mit Leib und Seele. Er hat Spaß daran den Menschen einen Platz in seinem Lokal zu verschaffen, sich dann ständig und gut um sie zu kümmern und dazu noch den ganzen Betrieb zu organisieren. Er ist freundlich zu den Gästen und sehr bestimmt zu seinen Angestellten. Die wiederum arbeiten wie verrückt, das ist sicher einer der anstrengendsten Jobs auf ganz Krk. Wahrscheinlich auch einer der bestbezahlten.
Der Wirt spricht mehrere Sprachen, zumindest Kroatisch (und damit auch Bosnisch, Serbisch, Slowenisch, Russisch etc.), Deutsch, Italienisch und Englisch. Wahrscheinlich noch ein paar mehr.
Wenn es ihn einmal umprackt, dann weiß er genau, wofür er gelebt hat. Der Beruf Wirt ist seine Berufung. Ich habe selten jemand getroffen, bei dem dies mehr zutrifft. Er weiß wofür er da ist und wie man den Laden schupft. Sollten alle anderen Lokale aufgrund eines massiven Einbruchs des Tourismusgeschäfts pleite gehen, der Saloon wird bestehen. So lange es den Wirt gibt, denn ich habe auch noch selten ein Lokal gesehen, bei dem so viel von der Person und dem Engagement des Wirts abhängt.
Er ist so und er kann gar nicht anders.

Wer auch nur kurze Zeit warten muss, bekommt auf der Stelle einen Begrüßungsschnaps. Und die Damen einen Likör. Und die Kinder einen Schlecker. Seine Schleckergrenze liegt übrigens bei 17 Jahren, alle darüber bekommen einen Schnaps. Das führt zu lustigen Begebenheiten, denn es kam etwa eine bundesdeutsche Familie vom Typ „Wohnmobil aus Wuppertal“ und musste kurz vor dem Lokal warten. Der Wirt fragte die beiden baumlangen Söhne, wie alt sie wären. Der eine knapp 17 und der andere ein Jahr jünger. Dann bekamen die beiden feierlich je einen Schlecker und den sozialen Tod gleich mitgeliefert. Aber so ist er, der Wirt.
Er hat auch ein unglaubliches Gedächtnis, denn er merkt sich, wer am Vorabend da war und zu wievielt man war. Wir hatten ständig den Eindruck, privilegiert zu sein, sozusagen ganz besonders willkommene Gäste. Vor allem am zweiten Abend, als ich durch die fette Traube durchmarschierte, seinen Blick aufnahm und ihm „drei“ zurief, mit drei erhobenen Fingern als Verstärkung. Keine zehn Sekunden später saß ich an einem Zweiertisch mit Zusatzsessel. Hätte ich „fünf“ gesagt, wäre uns eine lange Wartezeit und eine Menge Schnaps bevorgestanden.
Der Wirt trägt nämlich ständig Schnaps vor das Lokal, das man sich als komplett offen vorstellen darf. Die Tische stehen direkt neben dem Gehsteig, nur durch ein hüfthohes Mäuerchen getrennt, auf dem die leeren Schnapsgläser abgestellt werden.

Der Wirt schafft es, dass mehr Leute hinein als hinauswandern. „Wait here to be seated“ ist bei ihm in Perfektion umgesetzt. Und die Leute kommen wieder. Am dritten Tag saß plötzlich das junge Paar neben uns, das am Vorabend auch neben uns saß. Und dann kamen noch die beiden Italiener, die auch gestern neben dem Paar saßen und fanden auch wieder exakt den gleichen Platz daneben. Wir begrüßten uns wie alte Freunde und freuten uns kurz, bevor wir reinhauten. Wer dorthin kommt, wird automatisch Teil einer Community. Bei uns gäbe es schon längst eine Facebook-Gruppe, dort gibt es das reale Leben.
Wer dorthin essen geht, der kommt wieder. Da hat nicht nur mit dem Wirt und dem blitzschnellen, freundlichen und perfekt organisierten Service zu tun, sondern auch mit dem fantastischen Essen. Ich habe in Kroatien noch nie so gut gegessen. Das betrifft mehrere Bereiche:
1.) Qualität. Alles was wir aßen, war hervorragend. Von Scampi Buzzara bis zum Risotto, vom Drachenkopffilet bis zu den gegrillten Kalamari, von den Pljeskavica bis zum Salat. Die unglaublich großen Pizze haben wir nicht ausprobiert, aber wir vermuten, dass sie ebenfalls exzellent sind.
2.) Quantität. Jede Portion ist mehr als ausreichend. Wir aßen danach stets noch eine Portion Palatschinken, die wir uns aber teilen mussten. Mehr ging nicht mehr rein.
3.) Preis. Wir hauten rein, als ob es kein Morgen gäbe und tranken dazu jeder mehrere Biere und Verdauungsschnäpse und Aperitive (Pelinkovac). Das Maximum waren 55 Euro zu dritt. Das ist eine Ansage.
4.) Service. Die Kellner haben ihre Stationen, es gibt eigene Abräumkräfte und man kann auf Wunsch getrennt zahlen. Das dürfte sich aufgrund des touristischen Drucks verändert haben, denn das ist scheinbar jetzt generell schon üblich. In den 90ern ging das noch nicht. Der Kellner hat ein elektronisches Bestellsystem und kann sofort in seinem umgehängten Kästchen die Rechnung ausdrucken. Sie reagieren auf jede Handbewegung mehr oder weniger sofort und das bestellte Bier ist keine zwei Minuten später da. Der Pizzakoch arbeitet wie ein Derwisch und die Küche hat einen enormen Output. Das Besondere sind jedoch die Kleinigkeiten. Wenn man etwa Miesmuscheln Buzzara bestellt, bekommt man zwei zusätzliche Suppenteller mitgeliefert. Wenn man etwa die Hälfte der Muscheln gegessen hat, ist der erste Suppenteller voll mit Schalen und wird auf der Stelle abserviert. Dann fängt man den zweiten an.

Der Saloon ist etwas Besonderes. Am zweiten Abend kam der Wirt ganz plötzlich mit einem riesigen Topfdeckel und schmiss ihn neben den Tisch hinter uns, an dem ein junges Pärchen saß, auf den Boden. Das machte einen Riesenschepperer und das ganze Lokal drehte sich um. Dann zog der Wirt ein kleines Kästchen heraus und überreichte es der Dame mit feierlichen Worten (auf Kroatisch, aber es war eh klar, worum es ging). Es war ein Heiratsantrag des jungen Mannes, und wer könnte den besser unterstützen als der Wirt? Tosender Applaus im Lokal und die junge Dame hatte keine andere Wahl als anzunehmen. Zweiter tosender Applaus, dann noch eine langstielige rote Rose vom Wirt (wo zum Teufel er die auch immer her hatte), fröhliche Gesichter rundherum.

Hoffen wir, dass es diesen Wirt und sein Lokal noch lange gibt. Das ist einer der Hotspots für lukullischen Genuß und soziale Gesundheit. Dort geht niemand unzufrieden raus und das ist für jeden eine bleibende Erinnerung an den Urlaub auf der schönen kroatischen Insel Krk.

Das Dilemma der Rating-Agenturen

Sie sind im Gespräch, derzeit mehr als je zuvor. Die meisten Menschen inklusive meiner Wenigkeit schüttelten schon bei der 2008er-Finanzkrise den Kopf und fragten sich, wieso diese Firmen erstens so viel Macht haben und zweitens so ungeschoren davon kommen.
Jetzt ist es wieder so weit. Die Ratingagentur Standard&Poors hat die USA von AAA auf AA+ zurückgestuft. Ganz abgesehen davon, dass das den kleinen Bürger vorerst nicht interessiert, hat das doch etwas zu bedeuten.

Wieso dürfen Rating-Agenturen eigentlich Staaten bewerten? Hier liegt meiner Ansicht nach der erste Fehler im System. Ganz abgesehen davon, dass ich auf ihre sonstigen Bewertungen genau gar nichts gebe, etwa weil sie seinerzeit Lehman Brothers in den Olymp gehoben haben und die waren kurz danach einfach pleite, sollten die Agenturen nur Firmen bewerten, und nicht Staaten. Ich glaube nämlich, dass sie das nicht können. Erstens weil sie es – auf wienerisch gesagt – nicht derheben, zweitens weil Staaten nach anderen Gesetzmäßigkeiten funktionieren als Firmen. Sie können nicht pleite gehen, weil sie kein betriebswirtschaftliches Unternehmen sind. Daher macht es auch keinen Sinn, sie im gleichen Schema wie einen Autohersteller oder eine Softwarefirma zu bewerten.

Drittens sind die Rating-Agenturen selbst politisch interessiert und zwar mindestens wirtschaftspolitisch. Sie gehören jemandem und derjenige, der Eigentümer der Rating-Agentur, hat ganz bestimmte Eigeninteressen. Die Ratings richten sich daher nach den Interessen des Eigentümers, das sollte jedem klar sein. Diese Interessen sind in erster Linie pekuniärer Natur, sprich: der Eigentümer will möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen. Genau genommen hat er sonst keine weiteren Interessen. Eine Rating-Agentur ist eine betriebswirtschaftlich geführte Firma mit dem Ziel, Profit zu machen. Daher tun sie genau das, was ihre Geldgeber wollen.
Sie bewerten etwa die Firmen, denen sie gehören und von denen sie bezahlt werden. Natürlich bewerten sie diese gut, denn sonst bekommen sie vom Eigentümer eine aufs Dach. Das ist mehr als logisch.

Leider oder Gott sei Dank – je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtet – leben die Rating-Agenturen auch davon, dass sich jemand für ihre Ratings interessiert, mit anderen Worten: Andere Firmen (Investmentbanken etwa) richten ihre Entscheidungen nach den Ergebnissen der Ratings. Das ist viel praktischer, als sich selbst um die Anlagen zu kümmern: man kauft, was von der Agentur für gut befunden wird, und verkauft, was herabgestuft wird. Das geht einfach und schnell und man muss sich nicht viel antun. Dass dies so ist, hat man etwa an der Lehman-Pleite gesehen, die niemandem aufgefallen ist, bevor es zu spät war. Milliarden versenkt? Das hat niemand bemerkt, weil man gebannt auf die Ratings geschaut hat – und die waren ja hervorragend, also wozu noch nachfragen, stöbern, Geld und Zeit investieren?

Nun kommen die Agenturen in ein Dilemma. Wenn sie nämlich wirklich objektiv bewerten würden (ganz abgesehen davon, dass man bezweifeln kann, ob sie das überhaupt beherrschen, die richtigen Werkzeuge dafür haben, bisher mussten sie das ja nicht), dann hätten ihre Eigentümer ein Interessenproblem. Wenn sie es nicht tun, haben sie ein Akzeptanzproblem.

Bisher konnten sie dieses Dilemma elegant umschiffen, indem sie vor der glücklichen Lage standen, dass ihnen die relevanten Kunden blind geglaubt haben, ganz egal wie viel Mist sie verzapft haben. Damit konnten sie den Widerspruch bewältigen. Bisher hat niemand von ihnen verlangt, dass sie sauber bewerten.

Warum glauben die Leute eigentlich dem, was die Rating-Agenturen so von sich geben? Der erste Grund ist oben schon angeführt, das ist die Bequemlichkeit. Man erspart sich eigene Recherche und damit Arbeit und Geld. Der zweite Grund ist schon etwas diffiziler: Menschen glauben gerne an etwas. Das ist beruhigend und angenehm und man kann damit Verantwortung abwälzen. Man glaubt gerne, dass die großen, reichen und mächtigen Agenturen mit ihren Glaspalästen sehr genau wissen, was sie tun. Man glaubt gerne, dass sie die tollen komplexen und natürlich streng geheimen Computerprogramme haben, die ihnen sagen, wie es wirklich ist. Man glaubt gerne, dass die smarten, feschen Herren in ihren teuren Anzügen Fachleute sind, redlich und ehrlich. Man glaubt gerne, dass sie unabhängig und objektiv bewerten und dass diese Bewertungen daher das ausdrücken bzw. sind, was wir alle wollen: die Wahrheit.

Noch ein weiterer Aspekt spielt hinein: die großen vier Agenturen haben quasi ein Oligopol, denn außer ihnen bewertet niemand oder zumindest niemand, dem man glaubt. Diese Position haben sie sich über die Jahre erarbeitet und dafür entsprechendes Lobbying betrieben. Was wäre, wenn es staatliche Rating-Agenturen gäbe, mit denen sie konkurrieren müssten? Sie hätten vielleicht mehr Geld, aber sicher weniger Akzeptanz, weil sie keinerlei Unabhängigkeit vorweisen können. Daher haben sie dafür gesorgt, dass es keine staatlichen Agenturen gibt. Braucht noch irgendwer einen zusätzlichen Beweis für Macht?

Wer also irgendwelche Zahlen braucht, um vor seinem Chef das Investment rechtfertigen zu können, greift gerne bei den Rating-Agenturen zu, und zwar ganz egal, was sie liefern.

Nun fangen sie jedoch an, mit ihrem Image zu kämpfen. Je mehr Mist sie bauen und je klarer ihre Abhängigkeit und Parteilichkeit wird, desto mehr sinkt ihr Stern. Dadurch geraten sie in ein neuerliches Dilemma:
Wenn wir so weiter tun, gibt es uns vielleicht bald nicht mehr, weil keiner mehr unseren Ratings glaubt und daher auch nichts bezahlt.
Wenn wir nicht so weiter tun, gibt es uns vielleicht bald nicht mehr, weil dann kann man gleich staatliche (oder auch eine europäische…) Agenturen gründen und beauftragen.

Damit nicht genug, eröffnet sich ein weiteres Dilemma:
Wenn wir zugeben, dass wir uns für die Ratings bezahlen lassen (wie möglicherweise bei Lehman Brothers), verlieren wir an Glaubwürdigkeit.
Wenn wir es nicht zugeben, dann waren wir scheinbar zu unfähig und verlieren an Glaubwürdigkeit.

Die haben es nicht leicht, die Rating-Agenturen. Mein Mitleid hält sich trotzdem in Grenzen, und ich bin dafür sie aufzulösen und durch staatliche Agenturen zu ersetzen, die den Job unabhängig machen können. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die genauso viel Kompetenz haben.