Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 7

Heute ist der große Tag, heute komme ich ans Ziel!

Nach dem fantastischen Essen gestern erwartete mich ein weiterer wolkenloser und sehr heisser Tag auf der Via Appia Antica. Das war mein Ziel, der Ausgangspunkt der ganzen Reise: den Ort wieder sehen, an dem ich vor 28 Jahren war und dessen Bild sich mir bis heute eingeprägt hat.

Ich wollte früh starten um noch ein wenig Morgenfrische mitzunehmen. Leider geht am Sonntag zu dieser Zeit noch kein Zug von der kleinen Station Aqua Acetosa und so hatsche ich zum Bahnhof in Ciampino. Dadurch erwischte ich den 08:16 Uhr Zug, der pünktlich um 08:21 abfuhr, aber schneller war als der Bummelzug vom Vortag.

An dem Supermarkt mit den Mortadella-Panini marschierte ich vorbei, ohne es zu bemerken. Am Vortag hatte der Verkäufer noch gemeint, dass sie am Sonntag auch geöffnet hätten, aber das darf man offensichtlich in Italien nicht so ernst nehmen. Oder er sperrt erst um 09 Uhr auf. Ich wollte jedoch nicht warten und ging weiter zur U-Bahn-Station, um zum Circus Maximus zu fahren.
Der Fahrkartenkauf erwies sich als schwierig, weil ich nicht die nötigen Münzen dabei hatte. Also wieder hinauf und in Richtung der Geschäfte, die beim Supermarkt in der Via Cavour liegen. Dort würde ich Geld wechseln können.
Zum Circus Maximus wäre es auch zu Fuß nicht allzu weit gewesen, aber ich wusste, dass ich an diesem Tag noch sehr viele Kilometer gehen würde. Der Fuß war zwar wieder okay und ich spürte die Schmerzen schon am Vortag fast nicht mehr, aber ich war schon die knappe halbe Stunde nach Ciampino gegangen und wollte mir die U-Bahnfahrt gönnen.
Inzwischen war es kurz nach neun und der Supermarkt hatte offen. Jubel! Doch leider gab es an diesem Tag keine Panini und somit auch keine Mortadella-Panini. Meine Entscheidung vom Vortag hatte sich als richtig erwiesen.
Also kaufte ich zwei große Wasserflaschen und im Geschäft gegenüber zwei Sandwiches. Das würde als Wegproviant ausreichen.
Ich ahnte, dass es den kleinen Alimentari meiner Jugend nicht mehr geben würde oder dass er am Sonntag nicht offen hätte. Ich wusste ja nicht einmal mehr ungefähr, wo er sich befunden hatte. Ich habe bis heute das Bild des Geschäfts vor mir – ziemlich dunkel, klein, und sehr italienisch. Aber ich hatte keine Ahnung mehr, ob dieser kleine Greißler wirklich neben der Appia Antica war oder ob wir die Panini schon drei Busstationen vorher gekauft hatten.

Egal, ich hatte meine Sandwiches und mein Wasser und die Münzen für die U-Bahn. Der Tag konnte beginnen.

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Bild: Beginn der Via Appia Antica

Die Appia Antica beginnt genau hier, an der Porta Capena, wenngleich auch recht unspektakulär, weil sie hier eine große Verkehrskreuzung bildet. Man kann aber über die kleine Seitengasse ausweichen und ist sofort in einer anderen Welt. Riesige alte Bäume, die den Asphalt aufgebrochen hatten, protzige Villen und einige Jogger, die den Sonntag mit Frühsport begannen. Ein guter Beginn für eine Wanderung.

Zwei US-Pärchen, ein deutsches Ehepaar und eine alte, weißhaarige Dame haben ab den Caracalla-Thermen den gleichen Weg und so schlendern wir über den am Sonntag menschenleeren Abschnitt bis zur Porta San Sebastiano. Ich empfehle auf jeden Fall den Sonntag für eine Wanderung, da sich die Straße in einem gänzlich anderen Flair zeigt.

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Bild: Zwischen hohen Mauern

Hinter hohen Mauern bzw. dichten Hecken wohnen reiche Römer, es ist mitten in der Stadt und doch sehr ruhig. Die Tore wirken alt und gebrechlich, aber fast überall lauern moderne Kameras.

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Bild: verborgen liegen riesige Grundstücke und Villen

Bis zur Porta San Sebastiano geht es schattig und ruhig dahin, erst dahinter bekommt die Via Appia Antica auch ihren echten Namen.

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Bild: Porta San Sebastiano mit der alten Pforte und dahinter der „neueren“ Stadtmauer.

Es gibt hier auch ein Museum, aber ich beschloss dieses und auch die anderen auszulassen. Sie würden mich nicht nur viel Zeit kosten, sondern sie waren auch nicht mein eigentliches Ziel. Heute war Wandern angesagt, idealerweise würde ich es bis zum Ende der begehbaren Straße schaffen, das wären etwa 18 Kilometer. Danach geht die Straße theoretisch weiter, vereinigt sich aber mit der Appia Nuova zur Staatsstraße Nr. 7. In der Pontinischen Ebene geht sie insgesamt 62 km schnurgeradeaus – bis heute die längste gerade Straße Europas. Würde man sie weiter fahren, käme man bis nach Brindisi, wo die Römer seinerzeit ihren Sklavenhafen hatten. Zwölf bis vierzehn Tage brauchte man vor über 2.000 Jahren für die insgesamt 560 Kilometer. Ich wusste, mir würden die 18 reichen.

Bei den Katakomben zweigten die Amerikaner ab. Ich folgte ihnen und machte eine kleine Jausenpause im Schatten der Katakombenanlage. Auch hier wartete eine lange Schlange an Touristen und ich machte mich wieder auf den Weg.

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Bild: Die Straße ist Sonntags nur leicht befahren, sonst ist es hier stressig.

Nach den San-Sebastian Katakomben verändert sich die Straße merklich. Sie wird ruhiger, schöner und ist auch für den Durchzugsverkehr gesperrt. Nur Anrainer dürfen sie benützen und fahren langsam über das mehr als 2.000 Jahre alte Pflaster.

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Bild: Altes Pflaster, nix für Stöckelschuhe

Die Appia Antica ist das längste Museum Europas und wird auch entsprechend gepflegt und sauber gehalten. Zwischen den alten Grabsteinen stehen moderne Mistkübel. Dann kommt plötzlich links das Grabmal der Cecillia Metella, vor dem sich schon Goethe malen ließ. Ich verzichtete auch hier auf einen Besuch, der übrigens sportliche 6 Euro Eintritt gekostet hätte. Mir fällt der Spruch meines Großvaters ein: Wieso soll ich mir das anschauen, ist ja eh alles kaputt.
Jetzt wird die Straße ländlicher, offener und auch schöner. Ich weiß noch, dass wir vor 28 Jahren nicht sehr lange über die Appia gegangen sind und eher auch noch in dem Bereich San Sebastiano. Aber ein Stück der Straße, die jetzt beginnt, sind wir auch noch gegangen, diese Erinnerung hab ich noch.

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Bild: so sieht sie aus ein Stück weiter draußen

Alle paar Meter gibt es verfallene Grabmäler, manchmal in Form von überwachsenen Hügeln, dann wiederum als Steinhaufen, manchmal mit einer alten Büste davor. Einige sind sehr groß und zylindrisch, andere ganz klein.

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Bild: Ein Grabmal

Die Römer durften seinerzeit die Toten nicht innerhalb der Stadtmauern begraben und so haben sich tausende Bürger ihre Gräber entlang der Appia Antica anlegen lassen.
Irgendwann sah ich vor mir ein Pärchen mit einem Hund. Da es auch an der Zeit war, mein „Zielfoto“ zu machen, sprach ich sie an und bat sie um den Gefallen. Es stellte sich heraus, dass sie eine Deutsche war und er ein Amerikaner. Sie wohnten nicht weit von da und machten einen Mittagsspaziergang. Deswegen hatten sie auch kein Gepäck und nicht einmal Wasser dabei.

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Bild: Das Pärchen

Sie waren so nett, mein Zielfoto zu machen. Ich hatte es geschafft! Das Zielfoto mit Weckerl und Wasserflasche, an einem der schönsten und klassischsten Plätze der Via Appia Antica.

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Bild: Mein Zielfoto

Er meinte noch, die Straße würde in zwei Kilometern dann schattiger werden, was ich mir nicht vorstellen konnte und was sich auch nicht als zutreffend erwies. Den schattigen Teil hatte ich schon hinter mir.
Ich aß mein Mittagessen und beobachtete die beiden, wie sie die Straße weiterschlenderten und langsam immer kleiner wurden. Als ich kurz wegsah und dann wieder hin, waren sie verschwunden.
Ich hatte eine weitere nette Begegnung auf meiner eigentlich einsamen Reise gewonnen. Ich esse fertig und breche wieder auf, folge den Spuren der beiden ein Stück bis zu einer Wegkreuzung, an der es einen Brunnen gibt. Der Italiener, der gerade einen Schluck Wasser trinkt, meint, dass es absolut genießbar wäre – Rom habe ein sehr gutes Trinkwasser, quasi aus Tradition heraus.

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Bild: Brunnen an einer Kreuzung

Ein paar Kilometer weiter rastet ein Mountainbiker, von denen es sehr viele gibt. Sie fahren neben der eigentlichen Straße auf den kleinen Trampelpfaden links und rechts der Straße und sind meist in voller Montur. Ich plaudere ein wenig mit Marcello und finde heraus, dass er bei Mercedes Rom arbeitet. Er findet meine Reise toll und wünscht mir noch viel Glück für die Heimfahrt.

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Bild: Marcello, der römische Mountainbiker

Hier gibt es noch größere Abschnitte mit dem antiken Pflaster. Die Römerstraße 7 war seinerzeit sehr befahren und so sieht man die im Laufe von Jahrhunderten eingegrabenen Rillen der Räder zahlloser Ochsenkarren und Pferdewagen.

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Bild: Pflaster

Nachdem die Straße anfangs noch ganz leicht hügelig war, wird sie hier immer flacher und ist schnurgerade. Ich marschiere viele Kilometer durch die Mittagshitze und merke, wie das langsam an meinen Kräften zehrt. Es ist ein langer Weg und je weiter man ihn geht, desto weniger Menschen trifft man. Die meisten Touristen kommen gar nicht mehr so weit, sie marschieren nur ein kurzes Stück auf der Straße und steigen dann wieder in ihr Taxi oder ihren Bus. Ich habe andere Pläne, aber werde ich es bis Frattocchie durchhalten?
Noch ist die Straße von Häusern gesäumt, in denen wohlhabende Römer wohnen.

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Bild: An der Straße

Dann bin ich irgendwann beim 6. Meilenstein beim Casal Rotondo, dem Grabmal des Messalla Corvinus. Es war mit einem Durchmesser von 35 Metern das größte an der Via Appia, ist aber in Privatbesitz und sowieso nicht leicht zugänglich. Irgendwann wurde außerdem ein Haus drauf gestellt.

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Bild: Casal Rotondo

Danach kreuzt wieder eine Straße mit Bushaltestelle und ab hier gibt es nur mehr sehr wenige Menschen, die auf der antiken Straße wandern. Radfahrer gibt es noch einige, aber wenige Fußgänger.
Die Straße selbst ist hier aber noch gut erhalten, links und rechts von einer Steinmauer gesäumt, nur die Mistkübel werden zunehmend weniger.

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Bild: Die Straße verändert sich ständig

Irgendwann macht die Straße eine kleine Biegung und überwindet einen winzigen Hügel – kaum als Steigung merkbar. Trotzdem ist das für mich einer der schönsten Plätze der ganzen Straße, irgendwie stimmungsvoll.

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Bild: schmäler, ländlicher, trockener, leerer (Dieses Bild ist auch der Hintergrund des Titelbildes meines Buches „Vespa-Geschichten von Wien bis Rom“)

Danach wird sie wieder gerade und bleibt so bis zum Ende der Pflasterung, nach insgesamt 9 Meilen, was ca. 14 Kilometern entspricht.

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Bild: die schnurgerade Straße

Nach einer weiteren Kreuzung verändert sich die Via Appia Antica komplett. Sie wird zur sandigen Straße und schmäler. Auch die Steinmauern hören auf und es ist ein etwas seltsamer Ort.

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Bild: Ende der freigelegten Pflasterung

Plötzlich kommt ein Typ und verschwindet hinter einem Hügel. Dann kommt er wieder hervor, möglicherweise war er pinkeln. Noch ein Typ auf einem Motorroller kommt und fährt an mir vorbei, dann wieder zurück. Auf einmal kommt ein Auto und wartet, bis ich weiter gegangen bin. Ich möchte nicht wirklich wissen, welche seltsamen Geschäfte die da zu erledigen hatten.
Dann kommt das Ende der Straße, gekennzeichnet durch eine Steinmauer.

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Bild: Das Ende ist nah (hinter der Hügelkette im Hintergrund liegt übrigens Castel Gandolfo, die Sommerresidenz des Papstes und derzeitiger Wohnort von Benedikt XVI)

Danach wird die Straße zu einem Trampfelpfad. Es gibt noch Reste der Mauer, die sie schützen. Links und rechts gibt es bereits Lagerplätze für Baumaschinen und Felder. Nur hin und wieder sieht man noch die antike Pflasterung und es stehen nach wie vor kleinere Grabmäler an der Seite. Von links hört man schon das Rauschen des Verkehrs auf der Appia Nuova, die jetzt immer näher kommt. Ein Schild beschreibt die letzten beiden Meilen mit ihren Grabmälern.

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Bild: Reste der Pflasterung

Dann ist es vorbei, man ist an einer weiteren Kreuzung, unterquert kurz die Bahn und gleich daneben befindet sich die Bahnstation Santa Maria del Mole.
Hier ist noch einmal ein Stück der Straße freigelegt, quasi wie ein letztes Aufbäumen vor dem Ende.

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Bild: Das letzte Stück, rechts ist die Bahnstation

Meine Füße tun mir weh, ich habe bereits Blasen und bin 4,5 Stunden gegangen. Die letzte Meile bis Frattocchie ist unspektakulär und ich beschließe, sie nicht hin- und wieder zurück zu wandern, die letzten 3 Kilometer brauche ich nicht mehr zu meinem Glück. Von hier führt die Bahn nach Ciampino und dann habe ich sowieso noch eine halbe Stunde Fußmarsch zu meinem Quartier, zurück in die Gegenwart. Das Ticket erspare ich mir für die eine Station, es gab hier ohnehin keinen Automaten, die Station ist winzig und nur alle zwei Stunden fährt ein Zug. Ich habe Glück, keine zehn Minuten später sitze ich im Waggon.
So endet diese Wanderung, die für mich zu einem Höhepunkt meiner Reise nach Rom wurde. Eine stille Wanderung mit netten Begegnungen und zugleich eine kleine Reise in meine Jugend.

Ciao Via Appia Antica, es war mir eine Ehre. Nach 28 Jahren habe ich mich mehr verändert als du.

Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 6

Nun hatte ich es geschafft – Rom, die ewige Stadt. Es war über 22 Jahre her, dass ich das letzte Mal an diesem ganz besonderen Fleckchen Erde war.
Ich war erleichtert und froh, dass ich so viel Glück hatte, die vielen netten Menschen zu treffen, die mir geholfen hatten.
Für das Frühstück konnte ich mich allerdings nach wie vor nicht begeistern, was hier aber auch daran lag, dass es sich um ein italienisches Frühstück handelte: Kaffee und Kekse.
Die Italiener essen nicht so ausgiebig in der Früh, dafür umso mehr am Abend. Davon später.
Ich hatte ein sehr schönes Quartier gefunden. Der Vater von Michele, dem das große Haus gehört, war Offizier in der italienischen Armee und stammte ursprünglich aus Bologna. Seine letzte Station hatte er in Rom und dort wurde das Haus ca. 1970 gebaut. Ciampino ist ein Vorort, der bis vor ca. 20 Jahren in völligem Wildwuchs entstand, jeder baute einfach irgendwo irgendwas hin. Das hat sich geändert, Ciampino ist heute ein properes kleines Städtchen mit einem Ortskern plus Hauptplatz, auf dem sich ein Kreisverkehr befindet und von dem aus sternförmig die Straßen wegführen. Ca. 25 Minuten zu Fuß braucht man von der Bahnstation zu Micheles Haus, das in einer ruhigen Seitengasse liegt. Zumindest wenn im benachbarten Behindertenheim kein Karaokeabend stattfindet, wie am Abend zuvor. Glücklicherweise war die Veranstaltung um ca. 23 Uhr zu Ende und ich hätte überhaupt eine perfekte ruhige Nacht haben können, wenn da nicht die Moskitos gewesen wären. Kleine Biester, die schon bei noch starkem Sonnenschein ihren Blutdurst entwickeln. Die Ruheeinheit auf der Terrasse am Vorabend dauerte nicht lange.
Die Italiener verdunkeln ihre Häuser bzw. Zimmer unter Tags vollständig. Daher sieht man überall nur Rollläden und die typischen hölzernen Fensterläden, die alle Häuser so wenig einladend und unbewohnt erscheinen lassen.
In Rom ist es im August meist recht heiß, und dieser August war keine Ausnahme. Auch mit geschlossenen Fensterläden war es in meinem Zimmer noch heiß und ich tat etwas, was ich normalerweise nie tun würde: ich schaltete die Klimaanlage ein. Natürlich nur sehr mäßig und während ich zum Essen ging, aber das war ein gewisses Risiko, weil ich Klimaanlagen überhaupt nicht vertrage. Meist reichen fünf Minuten um mich in ein verschnupftes Häufchen Elend zu verwandeln. Flugzeuge, Bahnabteile, Hotelhallen etc. sind für mich komplizierte Orte, vor allem wenn sie es punkto Klimaanlage übertreiben: draußen 35 Grad, drinnen 18.

Hier konnte ich das selbst steuern und so funktionierte es ganz gut. Ich öffnete in der Nacht die Fenster und benützte einen Gelsenstecker, das funktionierte.

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Bild: Italienische Ordnung

Das Haus selbst ist im italienischen Stil gebaut und hat im Keller eine riesige Garage. Es gibt ein herrschaftliches Foyer, eine sehr schöne Terrasse und die Einrichtung ist ziemlich barock. Im Nebentrakt gibt es die zwei Gästezimmer plus ein Gemeinschaftsbad, das tip-top ist und alle meine Ansprüche erfüllte. Mehr brauchte und wollte ich nicht.
Noch wichtiger war jedoch, dass es Michele gab. Er ist ein älterer Herr und spricht wie gesagt ausreichend Englisch, um sich mit den Gästen gut verständigen zu können. Wenn man selbst noch ein wenig Italienisch kann, lässt sich alles machen.
Für mich war es sehr wichtig, die Vespa wieder instand zu setzen, vor allem den locker gewordenen Auspuff (Panne Nr. 8), der unglaublich schepperte, sowie den kaputten Reifen.
Beides war ein gewisses Problem. Der Auspuff hätte erstens nicht locker werden dürfen, denn er ist mit einer selbstsichernden Mutter bombenfest angeschraubt gewesen. Aber auf dieser Reise war alles anders, dass Material wurde wesentlich mehr beansprucht als sonst. Leider gab es da diese Lasche, die ich zwar umgebogen, aber nicht abgeflext hatte. So kam man zu der locker gewordenen Mutter nicht dazu, der Platz war zu eng. Eine Lösung wäre gewesen, den Motor als Ganzes auszuhängen, aber das ist ein Haufen Arbeit und ich wollte irgend einen anderen Weg finden.
Und es war wichtig, einen neuen Reifen zu bekommen. Dazu mussten wir erst einen Reifenhändler finden, der erstens einen Reifen in der erforderlichen Größe und zweitens am Samstag offen hatte.
Michele war mir in diesem Punkt eine große Hilfe, mein spezieller Dank dafür an dieser Stelle. Er fuhr mit mir durch Ciampino und der dritte Reifenhändler, den wir ansteuerten, hatte offen.
Auf dieser Reise konnte ich nur erfolgreich sein, wenn gleich eine ganze Menge an Wundern geschieht. Hier hatten wir eines davon, der kleine Reifenhändler, der eigentlich nur Autoreifen hatte, kramte unter einem Stapel genau ein Stück in der richtigen Dimension hervor. Es war zwar ein alter, gebrauchter Reifen, aber er musste ja nur als Reservereifen bis Wien seine Dienste tun.
Trotz schwerer Spezialmaschinen brachten sie den alten Reifen nicht von der Felge. Schließlich erledigte ich die Sache selbst und hatte Erfolg (Trick: mit den Füßen auf den Reifen steigen und die große Felgenhälfte mit den Fingern herausreissen. Meist ergibt das auch ein verrissenes Kreuz, ich hatte an diesem Tag Glück. Wenn das auch nicht funktioniert hätte, dann wäre nur noch das Aufschneiden des Reifens gegangen. Theoretisch lassen sich Reifen am Straßenrand selbst wechseln, aber nur theoretisch.).
Der „neue“ Reifen kostete samt Montage und neuem Schlauch Euro 30,-. Das war angesichts der Notlage und des blitzschnellen Samstagdienstes okay. Ich war sehr entspannt, denn meine Vespa war fast schon fertig für die Heimreise.
Die Hauptmieter in Micheles Haus sind eine rumänische Familie. Sehr nette Leute, vor allem der Vater, ein ehemaliger Mechaniker. Ihn bat ich wegen des Auspuffs um Hilfe und durfte bei dieser Gelegenheit wieder etwas lernen. Ich hatte nämlich keine Idee, wie man zu der Mutter so dazu kommen könnte, dass sie fixiert wäre. Der Rumäne wusste es. Er holte einen Franzosen (das ist eine Art Schraubenschlüssel, den man mit einem Rändelrad stufenlos verstellen kann – ein Werkzeug, das ich aus meiner Jugend kannte und das seitdem nicht mehr in meinem Blickfeld war, es ist irgendwie unmodern geworden) und damit kam er zur Mutter. Der Rest war eine Sache von zwei Minuten und der Auspuff saß wieder bombenfest.

Michele nahm mich dann noch mit zum Bahnhof und ich durfte in seiner Parfumerie das Internet nützen. Außerdem konnte ich eine Tube Sonnencreme kaufen, das würde absolut notwendig sein.
Wesentlich schwieriger war der Kauf eines Tickets für den Zug nach Rom. Auf den kleineren Bahnhöfen gibt es kein Personal mehr, man muss die Karten beim Automaten kaufen. Das ist ähnlich kompliziert wie bei uns, er nahm etwa meine Kreditkarte gar nicht, meine Geldscheine überhaupt nicht, erst mit der Bankomatkarte hatte ich Erfolg. Abgesehen davon wurde ich niemals kontrolliert. Es gibt auf den Bahnhöfen auch keinerlei Sitzmöglichkeiten mehr, die Bänke hat man alle abmontiert, das ist auch wie bei uns. Selbst uralte Leute müssen stehen, wenn sie auf den Zug warten. Der Sinn dieser Maßnahme ist mir unbekannt.

Die Fahrt nach Statione Termini ist unspektakulär, man fährt aber einige Zeit neben uralten römischen Aquädukten und bekommt einen Eindruck, wie viel antike Bausubstanz noch vorhanden war – zu viel, um sie zu erhalten.
Rom empfing mich mit einem heißen, wolkenlosen Tag und einer Unmenge Touristen. Nach einer kurzen Orientierung beschloss ich, eine klassische Besichtigungsrunde zu gehen, mich aber auch treiben zu lassen – wohin auch immer dieser Tag mich führen würde.

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Bild: Ape Calessino auf der Via Cavour

Erste Station war aber das Kollosseum, denn das soll demnächst eingerüstet werden, weil es ziemlich baufällig ist. Ich hätte somit die Gelegenheit, es noch im jetzigen Zustand zu sehen.
Am Weg dorthin kam ich bei einem Supermarkt vorbei, der von einem Inder oder Pakistani geführt wurde.
Ich muss an dieser Stelle noch einmal zu den Wurzeln dieser Reise zurück blättern. Ein Picknick auf der Via Appia Antica mit zwei Panini mit Mortadella und einer Flasche Wasser – das war das eigentliche Ziel, auf das ich hinsteuerte.
In diesem Supermarkt gab es Panini und Mortadella, die schöne große runde, und Wasserflaschen hatten sie auch genug, allerdings natürlich alles nur mehr in Plastik, was es vor 28 Jahren noch nicht gab, da waren alle Flaschen aus Glas. Irgendwie hat sich das nicht verbessert.
So erstand ich das Gewünschte und hatte damit für den nächsten Tag vorgesorgt. Da war nämlich Sonntag und es war nicht klar, ob ich die Panini bekommen würde. Wenn nicht, dann hätte ich sie zumindest heute genossen und morgen dann die Via Appia – ein kleiner Trick, ein wenig Schummeln, dass musste erlaubt sein.

So aß ich die Panini als frühes Mittagessen oder spätes Frühstück in einem kleinen Park hinter dem Kollosseum. Ein netter Typ, der dort auch gerade mit seinem Rucksack eine Rast einlegte, machte ein Foto.

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Bild: Guido vor dem Kollosseum, mit Mortadella-Panini und Wasserflasche

Das Kollosseum ist immer noch ein beeindruckender Bau, davor befanden sich aber derartige Touristenhorden, dass eine Besichtigung ganz sicher ohne mich stattfinden würde.

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Bild: Belagerungszustand

Und so geht es weiter am Forum Romanum vorbei zur Schreibmaschine. Das Wetter ist fein und ich erhöhe meinen Wasserkonsum.

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Bild: Links ist das Forum Romanum

Danach hinein in die schattigen Straßen und zum Trevi-Brunnen. Ich hatte es schon geahnt – auch dort nicht ganz menschenleer. Ich finde eine Stufe im Schatten am Aufgang zu einer kleinen Kirche und beobachte das Treiben.

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Bild: Trevi-Brunnen mit einer Handvoll Touristen. Im Hintergrund in dem gelben Eckhaus haben wir seinerzeit eine Flasche Martini gekauft und auf den Stufen des Brunnens genossen. Heute ist erstens das verboten und zweitens ist das kleine Lebensmittelgeschäft inzwischen ein Schmuckgeschäft.

Natürlich musste ich die obligaten drei Münzen in den Brunnen schmeißen. Ich will ja irgendwann wieder kommen.

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Bild: Guido vor dem Brunnen, kurz vor der Tat

Die nächsten Stationen quasi im Word-Rap: Spanische Treppe, Tiberufer, Piazza Navona, Pantheon. Zwischen der Piazza Navona und dem Pantheon war eine Pause geplant und zwar auf der kleinen Piazza St. Eustachio beim gleichnamigen Café. Die verkaufen dort ihren eigenen Kaffee und servieren ihn auch. Das war eines meiner Ziele in Rom und auch das habe ich erreicht.

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Bild: Cappuccino im Café

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Bild: Das Café St. Eustachio – inzwischen berühmt, ich hatte das Glück, trotzdem einen Platz zu bekommen.

Dann ging es wieder zu meinem Quartier in Ciampino. Und am Abend natürlich wieder in die Trattoria. Ich bestellte eigentlich nur eine Pasta Carbonara, bekam aber eine Pfanne mit der 4-5fachen Portion. Unmöglich, das auch nur teilweise aufzuessen. Die Qualität: überragend! Ich kämpfte, musste aber irgendwann aufgeben. Ich hatte bis zum absoluten Gehtnichtmehr gegessen. Trotz zwei Achterln Wein, einer Flasche Wasser, Cuperto und der Pasta kostete der Abend inklusive Maut 15,- Euro. Wer hat gesagt, dass Italien teuer ist?

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Bild: Pasta Carbonara

So ging ein sehr feiner Tag zu Ende und ich freute mich schon auf den nächsten, auch wenn der ungleich härter werden sollte.

Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 5

Würde ich es überhaupt bis Rom schaffen? Vielleicht sogar heute? Im riesigen Frühstückssaal war ich der einzige. Der Fernseher lief und das Buffet war nicht gerade ansprechend, außerdem hätte ich sowieso nichts hinunter gebracht, das Reisefieber war wieder da, stärker denn je.
Zwei Gläser Wasser und dann packen. Der nette Rezeptionist von gestern war wieder da und ein Bauhackler plauderte gerade mit ihm. Zu dritt erörterten wir die Möglichkeiten auf der Karte, welches denn der beste Weg wäre, wie ich die Superstrada umfahren könnte und dergleichen mehr.
Ich bekam etliche gute Tipps und viele gute Wünsche. Mein Dank hier an dieser Stelle an die netten und engagierten Herren. Auch die Vespa war noch da (Ich war in der Nacht beim Heimkommen noch in die vollständig offene Garage gegangen und hatte kontrolliert, ob sie noch da war. Jeder andere hätte das auch können, ein kurzer Tritt und dann rausschieben – niemand hätte den Dieb aufgehalten. Aber sie war ja noch da, scheinbar liegt das Hotel in einer recht sicheren Gegend.) und nach dem Verzurren der Gepäckrollen konnte es auch schon los gehen. An den uralten Stadtmauern vorbei ging es durch den relativ kühlen Morgen (so 26 Grad) Richtung Süden. Allerdings nicht lang, denn im Ort Calmazzo verfuhr ich mich. Die Abzweigung wäre im spitzen Winkel nach rechts weg gegangen, Schild gab es keines. Also fuhr ich noch zwei bis drei Kilometer weiter, bis mir das seltsam vorkam. Zwei ältere Herren auf Rennrädern waren gerne behilflich und ich machte mich auf den Weg zurück.
Das Furlo-Tal mit dem Furlo-Pass ist wunderschön, fast eine Klamm, mit einem grünlichen Fluss und ein paar Aussichtsbuchten. Ich hatte es aber eher eilig und pfiff auf die Fotos, die Straße rief.
Nach einiger Zeit kam ich in den Ort Acqualagna und konnte auf die P3 Richtung Cagli auffahren. Es handelt sich dabei um eine echte Schnellstraße, die fast schon Autobahncharakter hat, mit geteilten Richtungsfahrbahnen und Leitplanken. Ab Pontericcioli verwandelt sich die P3 in die S3 – ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es sich um die alte Römerstraße Nr. 3, die „Flaminia“ handelt und dass ich sie bis Rom durchfahren könnte. Insgesamt gab es acht dieser Römerstraßen und sie führten alle sternförmig weg von Rom – bis auf Richtung Westen, da war das Meer. Daher kommt auch der Spruch, dass alle Wege nach Rom führen.

Nun ging es auf einen Pass hinauf Richtung Fossato di Vico. Die Vespa zog gut und ich nahm die Kurven mit gutem Schwung, eine nach der anderen. Dann plötzlich ein lauter Knall (übrigens in der Nähe des Ortes Tranquillo). Die ganze Fuhre geriet ins Schleudern und stellte sich quer. Ich ruderte was ging, lenkte gegen, glich mit den Beinen aus und dachte: Bitte keine Brezen, nicht jetzt, nicht hier. Und tatsächlich schaffte ich es, die Vespa zum Stehen zu bringen, ganz ohne Sturz.
Doch damit waren die Probleme nicht zu Ende. Ich stand ausgangs einer scharfen Serpentine und es ging ziemlich bergauf. Rechts ca. 20 Meter weiter war eine Art verlassenes Haus mit einem Stück Schotter davor, aber es war extrem mühsam, die Vespa mit dem schweren Gepäck und dem zerrissenen Reifen dorthin zu schieben. Binnen Sekunden war ich schweißgebadet, die Sonne knallte bereits ordentlich herunter und ich brauchte einige Zeit, bis ich sie dort stehen hatte.

Ich holte noch mein Handtuch, das ich in der Serpentine abgeworfen hatte – die Vespa aus dem Gefahrenbereich zu bringen war das wichtigste, schließlich fuhren hier doch etliche Autos durch, darunter schwere Sattelschlepper, die sich die Autostraßenmaut ersparen wollten.

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Bild: Schmale, kurvige Bergstraße als idealer Ort für einen Reifenplatzer

Warum war der Reifen geplatzt? Hatte ich mir einen Stein oder eine Scherbe eingefahren? Der Reifendruck war okay, das hätte ich sofort gemerkt, wenn der zu niedrig gewesen wäre.
Ich legte die Sprint auf die Seite, um das Rad zu wechseln.

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Bild: Reifenpanne

Glücklicherweise hatte ich ein Reserverad mit. Es war auch in Ordnung und hatte genügend Luft, denn ich hatte es erst ein paar Wochen zuvor einem Freund geborgt, der auf unserer Maiausfahrt einen Patschen hatte.
Als ich das kaputte Rad herunten hatte, sah ich das Malheur: Der Reifen war komplett am Ende, bis auf die Karkasse durchgefahren. Das folgende Bild sagt mehr als tausend Worte:

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Bild: kaputter Reifen

Aber wie konnte das passieren? Ich war in Wien mit zwei tadellosen Stollenreifen (Heidenau K 58) mit viel Profilweggefahren und der vordere war auch noch ganz okay. Wenige Tage später diskutierte ich diesen Punkt mit meinem Freund Rudi, der viele tausend Kilometer durch Italien gereist war. Die Ursache dürfte eine Kombination aus folgenden Faktoren gewesen sein:
1.) Schweres Gepäck hinten drauf, mit Abstand zum Fahrzeug und somit einer Hebelwirkung;
2.) Große Hitze;
3.) Ein wenn auch leicht frisierter Motor;
4.) Die Italiener mischen in ihren Asphalt in manchen Regionen Granitsplitter hinein. Das erhöht den Grip, frisst aber die Reifen. Am Schlimmsten soll das in Sardinien sein, da sind Motorradreifen manchmal nach 1000 km am Ende.

Ich kam zu dem Schluss, dass ich noch mal Glück hatte. Fünfzehn Minuten zuvor war ich mit 90 auf der Schnellstraße unterwegs und nach dem Pass kamen flotte Kurven zuhauf. Ich war irgendwie auch gar nicht unglücklich, dass ich den Schaden nicht am Vortag bemerkt hatte, denn ich hätte mich nicht weiterfahren getraut. Okay, ein Reifenwechsel wäre möglich gewesen, aber dann hätte ich mir einen Reservereifen suchen müssen.
Schließlich, so sinnierte ich zu meiner eigenen Beruhigung, brauche ich mir nicht vorwerfen lassen, dass ich Reifengummi unnötig herschenken würde. Und repariert wird, wenn etwas kaputt ist, nicht früher, so lehrt uns die Alaska-Methode.
Der als Reservereifen aufgezogene, ältere Michelin S1 hielt übrigens bis Wien ohne sichtbare Verschleißerscheinungen.

Tipp: Reifen etc.
Ich bin selbst leider ein wenig nachlässig was die Reifenkontrolle betrifft. Ich versuche das schon seit Jahren zu ändern, aber irgendwie schaffe ich das nicht. Aber vielleicht können das ja andere, daher dieser Tipp.
Die erste Frage ist immer die nach guten Reifen. Ich persönlich bevorzuge diejenigen, die bei Regen gute Griffigkeit aufweisen, da ich meine Stürze fast ausschließlich bei nasser Fahrbahn hatte. Bei Trockenheit habe ich mit einer Vespa immer genug Haftung.
Für lange Touren empfehle ich ein Reserverad. Das ist bei manchen Modellen (GS 160, SS 180, Rally, PX) serienmäßig unter der linken Backe, bei anderen kann man es mit einer Halterung in der Schürze befestigen. Dann geht sich zwar keine Staubox mehr aus, aber ein spezieller Reservekanister kann in der Felge befestigt werden – sauteuer, aber nicht schlecht.
Ich bevorzuge die dritte Variante, das Reserverad am Gepäckträger. Es gibt eigene Ausführungen, die dafür extra Platz haben. Man gewinnt auch noch einen weiteren Stauraum zwischen Sitzbank und Reifen, den man etwa für eine weiche Tasche verwenden kann.
Das Reserverad ist dann mit einem Bügel befestigt und dafür braucht man einen großen Inbusschlüssel. Diesen sollte man nicht daheim vergessen.
Bei manchen Modellen bzw. Reifen braucht man eine Pumpe, denn sonst bekommt man zwar den alten, kaputten und somit flachen Reifen herunter, den neuen aber nicht mehr drauf. Dann muss man Luft auslassen und danach wieder hineinpumpen können.
Ich empfehle weiters einen Reserveschlauch, denn das Vespa-Format bekommt man nicht überall. Theoretisch kann man mit einem Schlauch (oder einem Pickzeug wie beim Fahrrad) eine Reifenpanne selbst beheben (natürlich keinen Platzer), doch es ist nicht immer leicht, den alten Reifen von der Felge zu gekommen. Manchmal geht das nur mit extremer Kraftanstrengung bzw. mit speziellen Werkzeugen. Ein ganzes, montierfertiges Reserverad ist allemal besser. Ratschensatz nicht vergessen!

Noch ein Wort zu den Italienern. Mit deren Hilfsbereitschaft ist es wie mit den Fahrkünsten: Es gibt Raser und Schleicher. Ich habe dort die hilfsbereitesten Menschen der Welt getroffen und die größten Ignoranten. Bei meiner Reifenpanne waren letztere gerade vor Ort. Der einzige, der auch nur die Geschwindigkeit drosselte (und sogar stehen blieb), war ein Mini-Cooper-Fahrer, der mich nach dem Weg nach Gubbio fragte. Als ich öl- und dreckverschmiert und schwitzend wie Sau wahrscheinlich nicht gerade allzu freundlich in seine Richtung blickte, fuhr er wortlos weiter. Sein Glück, dass er nicht ausgestiegen ist. Den Mini hätte ich ihm in den Arsch geschoben, mitsamt der künstlichen Blondine am Beifahrersitz.

Die Fahrt durch Umbrien

Nach erfolgreicher Reparatur stellte ich die Vespa wieder auf und packte das Gepäck. Der erste Startversuch schlug fehl, auch der zweite. Am Himmel keine Wolke, aber bei mir zogen langsam dunkle Wolken auf und Rom schien in weite Ferne zu rücken. Diesmal nutzte auch der Trick mit dem Linkskippen nichts, die Kiste sprang einfach nicht an. Die vielen Startversuche machten die Sache nicht besser und auch Anrollen funktionierte nicht. Also wieder alles ausziehen, Werkzeug auspacken, Sturzbügel runterschrauben, Backe abnehmen, Zündkerze raus, durchtreten etc.
Nach einer zusätzlichen Wartezeit konnte die Fahrt dann weiter gehen. Fazit: Die Vespa mag es nicht, wenn sie hingelegt wird. Irgendwas im Vergaser ist zickig.

Seit Urbino stand übrigens fast überall „Rom“ angeschrieben, für mich sehr beruhigend, auch wenn die Entfernung mit 262 km angegeben wird, was auf der Landstraße auf 314 km anwuchs.
Die Landschaft ist eher karg und im August natürlich nicht mehr saftig grün. Man fährt über den Appeninin, mehr oder weniger von Nordosten nach Süden, ein wenig Südwesten. Der Himmel war stahlblau und wolkenlos und die Hitze nahm von Stunde zu Stunde zu. An diesem und an den nächsten Tagen sollte es immer zwischen 35 und 40 Grad haben. Im Schatten, den ich nur selten genießen konnte.

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Bild: Umbrien und der Appenin

Sehr originell sind auch die Entfernungsangaben der Italiener. Man kommt zu einem Hinweisschild, auf dem steht „Foligno 75 km“. Nach ein paar Kilometern kommt das nächste Schild, darauf steht „Foligno 82 km“. Man entfernt sich, obwohl man in die richtige Richtung fährt. Dieses Spiel kann man fast überall beobachten und ich bin noch nicht hinter seinen Sinn gekommen.
Dafür habe ich einen neue Sportart gefunden: Schwarzfahren auf der Schnellstraße. Das hat seinen Reiz und mit meinem Namen liegt das fast auf der Hand. Zu Anfang war noch die Angst vor der Polizei zu groß, aber je weiter ich in den Süden kam, desto wurschtiger wurde mir das. Ich konnte einfach nicht mehr alle fünf Minuten stehen bleiben und die Karte hervorkramen, um nach dem richtigen Weg zu suchen. Die Italiener teilen ihre Schnellstraßen in kleine Abschnitte, die noch dazu ungleich lang sind. Man kann sich eine Menge Zeit sparen, wenn man so ein verbotenes Stück einfach durchfährt. Ich hatte noch dazu den taktischen Vorteil, dass ich diese Strecken immer irgendwie in der Mittagszeit zu fahren hatte, und da hält die Polizei genauso Siesta wie die meisten Autofahrer. So fuhr ich durch eine leer wirkende, trockene und heiße Landschaft auf der Flaminia Richtung Rom. Der Motor lief gut und hielt auch die große Hitze aus, vielleicht auch weil ich ihn nicht quälte.

Kurz vor dem Ort Spoleto dann ein Umleitungsschild. Ich konnte zwar nicht entziffern, was da genau los war, aber die Straße nach Terni schien gesperrt und man wurde nach links auf eine andere Straße geschickt. Kurz vor einem Tunnel war rechts ein Parkplatz mit einem Stand, der Kebab und Getränke verkaufte. Der Mann hinter der Theke war nicht sehr gesprächig, ein vorbeikommender Motorradfahrer auf einer alten Suzuki 450 war es auch nicht. Immerhin fand ich heraus, dass die S3 wegen eines Feuers („Fuoco“ – so heißt meine Gilera) gesperrt war.
Vielleicht war das ja sogar die schönere Strecke, wenn auch ein wenig länger. Ich startete die Vespa und fuhr Richtung Tunnel. Dann auf einmal – sie spuckt und nimmt kein Gas mehr an. Ich bleibe sofort rechts stehen – der Tunnel ist 4,5 Kilometer lang und hat keinen Pannenstreifen. Wenn mir die Vespa drinnen verendet, habe ich ein Problem.
Was nun? Unerlaubterweise über die doppelte Sperrlinie zurück zum Essensstandl? Aber was mache ich dort, der Motorradfahrer war schon weg und der mürrische Standler kann mir auch nicht helfen. Sollte ich nach Spoleto fahren und mir dort Hilfe suchen? Oder einfach weiterfahren? Was mache ich in Spoleto? Ich könnte versuchen eine Werkstatt aufzutreiben, die in der Ferienzeit am Freitag nach der Siesta noch offen hat. Dann müsste ich das Wochenende auf jeden Fall in Spoleto verbringen und nicht in Rom. Diese Aussicht war nicht gerade sehr reizvoll.
Also wieder die Alaska-Methode: Einfach weiterfahren, bis nichts mehr geht.
Ich startete und beschleunigte in den Tunnel. Vorsichtshalber fuhr ich mit Halbgas und musste mir wilde Fernlichtorgien von eiligen Italienern gefallen lassen. Aber ich schaffte es und auch danach lief der Motor eigentlich ganz gut. Vielleicht hatte er sich nur verschluckt. Aber ganz konnte ich das auch nicht glauben.

Hinter der Schnellstraße mit dem Tunnel ging es dann durch ein Tal auf einer schönen, sehr kurvigen Straße mit ein paar Schleichern vor mir. Ich durchfuhr den „Parco Fluviale del Nera“, konnte ihn aber nicht gebührend würdigen, weil Verkehr und Vespa die volle Konzentration verlangten. Langsam wurde eines klar: Der Weg war diesmal nicht das Ziel, denn das hätte nur mit einer problemlos laufenden Vespa funktionieren können. Dann hätte ich Lust auf kleine Abstecher in malerische Bergdörfer gehabt. Aber die Aussicht, jedes Mal mit einem nicht startenden oder kein Gas annehmenden Motor konfrontiert zu sein, raubten sämtliche Gelüste auf italienische Romantik.
Es war Rom, wo ich hin wollte. Das Ziel war klar und ich würde versuchen, dorthin zu gelangen.
Vorerst musste ich aber Terni durchqueren. Eine Industriestadt mit wenig Reizen, und ich musste mitten durch. Es war aber halb so schlimm und hinter Terni war es Zeit für eine Klopause. Ich hätte diese gerne an einem schattigen Plätzchen verbracht, aber es war irgendwie keines zu finden. Also blieb ich bei einer Einfahrt eines Betriebes stehen, irgend eine Metallfabrik, wo gerade Dienstschluss war. Die Arbeiter stiegen in ihre Autos und fuhren zum Abschied hupend ins Wochenende. Ihre Autos funktionierten.
Aber auch die Sprint sprang gut an und ich machte mich auf den Weg nach Rom.
Zuerst war ein Tankstopp angesagt. Da es früher Nachmittag war, hatten die Tankstellen geschlossen und ich musste mit den Automaten zurecht kommen. Ich habe zwar einen Doktortitel und bin ein durchaus praktisch veranlagter Mensch, aber eine italienische Automatentankstelle war eine echte Herausforderung. Auf einem Schild wurde deutlich erwähnt, dass man hier nicht mit Karten zahlen könne, sondern nur mit Bargeld. Da 10 Euro in etwa stimmen würden, tauschte ich in der offenen Bar einen Zwanziger und ging zum Automat. Dort schiebt man den Geldschein in einen Schlitz und sieht zu, wie er nach einiger Zeit und einigem Rattern wieder ausgespuckt wird. Scheinbar hat der Maschine der Schein nicht gefallen. Aber dafür nahm sie den zweiten Schein. Ich wählte die Zapfsäule aus und marschierte zur Vespa. Doch die Anzeige dort zeigte Null Euro, obwohl ich doch gerade einen Zehner eingeschoben hatte.
Entnervt ging ich zu einem Typen, der dort in einem Sessel saß und bat ihn um Hilfe. Er war nicht gerade erfreut, erbarmte sich aber meiner und ging mit zur Vespa an der Zapfsäule. Er nahm einfach den Hahn, steckte ihn in die Tanköffnung und tankte.
So ist das in Italien.

Das Ende?

Auf einer steilen Straße mit Serpentinen ging es hinauf in die 2.600 Jahre alte Stadt Narni. Ich war mitten in Umbrien und Narni (www.narnia.it/pronarni_de/htm) ist die geographische Mitte von Italien. Ich fuhr einfach nur durch, allerdings mit Bedauern. Aber vielleicht würde ich ja eines Tages wieder kommen und hier eine Pause einlegen können.
Kurvenreich zog sich die S3 durch die wilde Landschaft, es ging bergauf und bergab, dann in eine Ebene hinein in Richtung Civita Castellana. Und da war es wieder, das Stottern. Und es wurde stärker, im dritten Gang konnte ich nicht mehr hochdrehen, weil der Motor kein Gas mehr annahm. In der Vierten untertourig ging es. Aber langsam stellte sich die Frage, ob ich so nach Rom kommen würde.
Bei einer Tankstelle fuhr ich ab und parkte die Vespa unter einem Flugdach bei einem Seitengebäude, das für die Innenreinigung von Autos vorgesehen war. Es war gerade nichts zu tun und ich hoffte, dort eine Zeit lang stehen bleiben zu können. Ich setzte mich auf eine Stufe, trank ein wenig Wasser und überlegte, was ich tun könnte. Ich kam Rom immer näher und zugleich rückte es in immer weitere Ferne. Ich hatte vielleicht noch 60 Kilometer, aber es hätten in diesem Moment auch 600 sein können, ich würde es nur mit einem funktionierenden Motor schaffen.
Hätte ich mir in Narni ein Quartier suchen sollen oder in Terni? Ich war an zwei oder drei Herbergen vorbei gefahren. Wäre das die gescheitere Lösung gewesen?
Die eigentliche Frage war ja: Warum funktioniert die Kiste nicht?
Nach einiger Zeit konnte ich mich motivieren mit den Zerlegungsarbeiten zu beginnen. Vorher musste ich die Vespa noch wegschieben, weil ein Mitarbeiter der Tankstelle ein Auto aussaugen musste.
Ich studierte die Zündkerze und den Vergaser, konnte jedoch nichts entdecken. Mir dämmerte langsam, dass ich mit meinem Zanglerlatein am Ende war. Der Luftfilter war ein erster Verdacht, aber der schien frei zu sein. Er ist nie ganz trocken, weil bei jeder Vespa ein wenig Blowback vorhanden ist und das Benzin-Luftgemisch nach oben in den Filter bläst. Er wirkte auch nicht verstopft.
Und was war dieses Scheppern, das mich schon seit Tagen begleitete und seit gestern immer lauter wurde? Es klang wie ein loses Blech, irgend etwas, das sich gelockert hatte. Ich konnte aber noch nicht feststellen, wo es entstand. Die Blechteile einer Vespa samt Motor sind ja mit einander verbunden und die Geräusche übertragen sich, manchmal von vorne nach hinten oder umgekehrt. Oft ist ihre Quelle nur schwer zu orten. Ich wusste daher auch nicht, ob das Scheppern mit meinen Motorproblemen zu tun hatte, es veränderte sich je nach Drehzahl, aber das konnte auch wegen der Schwingungen sein, die sich in Form von Resonanzen ständig verändern.

Die Tankstelle lag direkt an der Bahn und über mir donnerten in regelmäßigen Abständen die Eurostars vorbei, das ist so etwas wie der italienische ICE. Ich stellte mir vor, wie drinnen entspannte Businessmenschen in bequemen Sitzen und bei angenehmer Temperatur Richtung Rom reisen und wissen, dass sie in zwanzig Minuten gemütlich in Statione Termini aussteigen. Eine Handvoll Rucksackreisende freuen sich auf ein paar Tage Rom und niemand, absolut niemand hat Sorgen wegen eines stotternden Motors. Sie sind ganz sicher bald in Rom, im Gegensatz zu mir.
Leider half mir das auch nicht weiter. Ich betrachtete die ölverschmierte Sauerei hinter der Vergaserwanne und wunderte mich ein wenig über den gestiegenen Benzinverbrauch. War ich flotter unterwegs gewesen? Ich hatte um 1,2 Liter mehr verbraucht.
Irgendwie brachte mich das Nachdenken darüber auf keine ordentliche Lösung. Eigentlich auf gar keine, außer dass mir klar wurde, dass ich nicht viel anderes machen konnte als einfach weiter zu fahren. Oder sollte ich einfach aufgeben und in Wien beim ÖAMTC anrufen? Schließlich hatte ich für genau solche Fälle den Schutzbrief und ein wenig Schutz könnte ich jetzt gut gebrauchen. Hilfe wäre noch besser gewesen, aber die war an dieser seelenlosen Automatentankstelle nicht zu bekommen.
Ich malte mir aus, wie der Rücktransport verlaufen könnte. Wie lange würde ich warten müssen, bis der Abschleppwagen kommt? Mir dämmerte auch, dass das hier mitten in Italien vielleicht gar nicht so einfach wäre. Müsste ich mir ein Quartier für die Nacht suchen? Was sollte ich mit der Vespa samt Gepäck machen? Hier stehen lassen? Keine angenehmen Aussichten, aber der Gedanke, mich einfach in die Rettungsmaschinerie des ÖAMTC einzuklinken und die Verantwortung abgeben zu können, war ziemlich verlockend.
Ich entschied mich in diesem Moment, es noch einmal zu versuchen.
Aber ich brauchte noch eine Motivation. Ich wollte mir ein Ziel geben, einen Ort, an den ich gelangen konnte. Rom ist riesig groß und ich hatte ja noch keine Idee, wo ich hinfahren wollte.
In meinem groben Reiseplan war vorgesehen, dass ich mir in Frattochie ein Quartier suche. Ich hatte mir den Ort, an dem die Via Appia Antica sich mit der Appia Nuova vereinigt, auf Google Earth angesehen und wusste, dass es dort das „One Park Hotel“ gab. Es war kein besonders reizvoller Ort und so hatte ich mich auch noch in der näheren Umgebung umgesehen. Quasi in der Nachbarschaft liegt der Ort Ciampino samt dem dazu gehörigen Flughafen. In diesem Ort sind mehrere Bed & Breakfast Quartiere eingezeichnet und ich hatte mir schon in Wien in aller Ruhe einige herausgesucht. Sie waren alle noch in Fußmarschentfernung zum Ende der Via Appia Antica und sahen irgendwie sympathischer aus als das One Park Hotel.
Das netteste Bild samt einer Website gab es von der „Casagianna“ (www.bbcasagianna.it) und ich hatte mir die Telefonnummern herausgeschrieben. Eine männliche Stimme meldete sich und ich erklärte zuerst einmal auf Italienisch wer ich war und was ich wollte. Michele spricht auch ein wenig Englisch und in einer Mischung beider Sprachen konnte ich vermitteln, dass ich gerade mit einer Vespa 60 Kilometer vor Rom war und eine Panne hatte, die ich hoffentlich reparieren konnte. Er meinte, ein Zimmer hätte er noch frei, das andere wäre belegt und das Bad wäre zur gemeinsamen Benützung. Wir vereinbarten, dass ich ihn anrufen würde, wenn ich es bis Ciampino schaffe. Er versprach, mir das Zimmer frei zu halten und ich solle mich doch melden, wenn ich am Bahnhof in Ciampino wäre, dort hätte er ein Geschäft und dort könnten wir uns treffen. Er würde mich dann zum Quartier geleiten.

Seine nette Stimme und die Aussicht auf ein Quartier halfen mir weiter. Ich hatte auch einfach jemand gebraucht, der mit mir redet, mit dem ich ein paar Worte wechseln kann und nicht nur zwanzig Euro auf zwei Zehner.
Vielleicht war dem Motor einfach nur zu heiß geworden? Ich glaubte das zwar selbst nicht, aber in diesem Moment war mir jede Erklärung recht, die mich nach der Abkühlpause weiterfahren ließ.
Sie startete gut – das war schon einmal erfreulich. Langsam beschleunigte ich und die Vespa lief. Allerdings nicht lang. Nach drei oder vier Kilometern wurde es immer schlimmer – zuerst nahm sie im dritten Gang kein Gas mehr an, dann auch im zweiten, bis zum Vierten kam ich schon gar nicht mehr und wurde immer langsamer.
Am Ende einer Geraden war es dann vorbei. Der Motor starb einfach ab und ich wusste: es ist aus.
Das Gefühl der Bitterkeit mischte sich mit einer gewissen Erleichterung, so als wäre ein längerer Leidensweg endlich zu Ende.
Ich stand jetzt an einer heißen, menschenleeren Landstraße und Rom war sehr weit weg. Meine Kräfte waren aufgebraucht und ich wusste nicht mehr weiter. Was ich wusste war, dass sich bald Schatten brauche.
Ich sah mich um und entdeckte, dass ein paar Meter weiter ein steiler Schotterweg zu einem Haus hinauf führt. Irgendwie habe ich aber keine Lust dort hinauf zu gehen. Die Vespa würde ich ohnehin nicht bis dort hinauf schieben können. Aber wohin dann? Mir fiel ein, dass ich vor kurzem an einem nett aussehenden Bauernhaus vorbei gefahren war, mit einer Art Flugdach und einem Auto davor. Mein Bauchgefühl riet mir zu diesem Weg.

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Bild: Das alte Bauernhaus

Das Bauchgefühl

Es ist an der Zeit darüber ein paar Worte zu schreiben, denn es hat auch mit Vespafahren zu tun.
Das Bauchgefühl wird auch „Instinkt“ genannt und ist eine alternative Möglichkeit Entscheidungen zu treffen. Normalerweise machen wir das mit dem Kopf und in vielen Fällen ist das auch gut so. Es gibt zwar Gehirnforscher, die sind der Ansicht, dass Menschen überhaupt keine bewussten Entscheidungen treffen können, sondern dass unser Hirn das quasi unbewusst und unbeeinflussbar durch unser Bewusstsein, unser „Ich“, immer schon vorher erledigt – angeblich acht Sekunden vor dem, was scheinbar unsere Entscheidungsillusion ist.
Ich weiß nicht, ob diese Forscher recht haben oder nicht. Ich möchte über etwas anderes schreiben. Neben unserem Hirn gibt es noch eine weitere große Ansammlung von Nervenzellen, und die befinden sich in unserem Darm. Dieser ist wiederum im Bauch und daher kommt der Begriff des „Bauchgefühls“. Es meldet sich oft zu Wort, allerdings haben wir gelernt, ihm keine Aufmerksamkeit zu schenken.
Ich habe aber aus Erfahrung gelernt, dass das schlecht ist. Man kann nämlich das Bauchgefühl zu Hilfe nehmen, um bessere Entscheidungen zu treffen. Das ist nicht immer einfach, denn es meldet sich immer nur ganz kurz und sehr „leise“. Der Kopf ist lauter, stärker, drängender. Das Bauchgefühl, den Instinkt muss man trainieren. Eine Möglichkeit geht so: Immer wenn man an eine Straßenkreuzung kommt, versucht man das erste Gefühl zu erhaschen, das einem sagt, in welche Richtung man fahren sollte. Das funktioniert am besten im innerstädtischen Bereich, wenn man etwa zwei gleich gut erscheinende Alternativen hat – links über die große Straße, rechts über die drei kleinen – oder so ähnlich.
Natürlich entsteht hier ein Evalulierungsproblem, denn wie kann ich im nachhinein feststellen, ob ich die bessere Entscheidung getroffen habe, so ganz auf meinen Instinkt hörend? Wenn nicht am Abend im Fernsehen ein Bericht über einen schweren Unfall oder eine Feuersbrunst gebracht wird, die genau zu dem Zeitpunkt auf der Alternativroute stattgefunden haben, werde ich es nie erfahren.
Aber darum geht es nicht, sondern darum, den kurzen Moment zu erfassen, in dem das Bauchgefühl sich meldet und mir quasi eine Botschaft schickt. Der Kopf setzt sich sofort und kurz danach auf jeden Fall durch, man hat also nur eine kurze Chance, den Instinkt entscheiden zu lassen.
Ich weiß auf jeden Fall, dass die Bauchentscheidungen meist eine für mich positive, vorteilhafte Auswirkung haben. Der im nachhinein betrachtete Weg war stets ein guter, und zwar fast ausnahmslos.
Also habe ich vor einiger Zeit beschlossen, das Bauchgefühl zu trainieren und noch mehr darauf zu achten – sowohl privat als auch beruflich. Auch in diesem Fall sollte es mir den richtigen Weg weisen, hin zu dem alten Bauernhaus. Ich konnte es evaluieren, indem ich sagen kann: „Was für ein Glück, dass ich diese Variante gewählt habe.“ Das rechtfertigt die Entscheidung allemal.
Wie das genau funktioniert und woher mein Darmhirn weiß, was es mir raten soll, weiß ich nicht. Vielleicht zapft es andere, ergänzende Informationsquellen an. Natürlich hatte ich das Bauernhaus schon bei der Vorbeifahrt gesehen und wer weiß, welche Informationen auf welchen Ebenen hier geliefert wurden, durch welche „Schwingungen“ ich hindurch gefahren war. Ich habe keine Ahnung von den Kräften, die hier walten, aber das macht nicht – Hauptsache, ich kann sie zu meinen Gunsten nutzen.
Instinktgefühle sind Schwachstrom, im Gegensatz zu den Kopfgedanken, die eher dem Starkstrom zuzuordnen sind. Das macht es so schwierig, dem Schwachstrom seinen Wert zu geben und seine Kräfte zwischen den starken der Vernunft und der Gedanken herauszufiltern. Dazu kommt noch, dass das Bauchgefühl nach „Kairos“ funktioniert, also nach der „Qualität der Zeit“ auch „richtiger Augenblick“ genannt, ganz im Gegenteil zu „Chronos“, der Quantität der Zeit, die unser heutiges Leben so stark bestimmt und die wir ständig mit Chronometern messen.

Also zum Bauernhaus. Vielleicht war ja jemand da, der mir helfen konnte, auf welche Art auch immer. Ich konnte von dort immerhin Hilfe holen, denn mein Handy funktionierte und ich hatte ja die Notfallnummer des ÖAMTC. Dort könnte ich auch eine Adresse angeben, denn „irgendwo auf der S3 ca. 55 km vor Rom“ wäre möglicherweise zu ungenau.

Antonio

Also schob ich die Vespa zu dem Haus und nach ein paar hundert Metern in der flirrenden Hitze hatte ich es geschafft.

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Bild: Endlich Schatten

Ich stand da und sah mich um, als plötzlich ein älterer Mann auftauchte, mit einer Handvoll gerade geernteter Melanzani im Arm, die er in einen Korb legte. Das war Antonio, ein umbrischer Bauer in Pension, und er sah mich skeptisch-neugierig an. Ich muss ein seltsamer Anblick gewesen sein, schwitzend mit meinem weißen Klapphelm und der schwarzen Jacke, mit der chromblitzenden Vespa und irgendwie völlig fertig.
„Vespa kaputt“ meinte ich und er fragte, ob mir nur das Benzin ausgegangen wäre. Ich erklärte, dass dem leider nicht so wäre, sondern dass der Motor streiken würde.
Antonio ging ins Haus und holte erst mal eine Flasche Wasser und einen Becher. Dann erzählte ich ihm ein wenig von meinen Problemen und er meinte, ich solle die Vespa einmal starten.
Sie sprang auch an und lief etwas röchelnd im Leerlauf. Beim Hochdrehen stotterte sie und ich stellte sie wieder ab. Antonio hatte genug gehört und griff sich an den Hals mit Würgebewegungen. „Aero“ meinte er und deutete auf den Vergaser: „Filtro“. Natürlich konnte er kein Wort Englisch aber mit Händen, Füßen, meinen Italienisch-Brocken und mit Hinzeigen auf die jeweiligen Teile konnten wir uns ziemlich gut verständigen.
Antonio ist klein, vom Alter her nicht leicht schätzbar, er ist quirlig und zugleich Ruhe ausstrahlend, in sich ruhend, sehr bestimmt und ein wenig bestimmend, immer mit einer gewissen Distanz zu sich selbst, sehr freundlich und liebenswert.

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Bild: Antonio

Irgendwas hatte mich zu ihm geführt und es war gut. Antonio versteht nämlich was von alten Zweitaktmotoren. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er früher auch eine Vespa und er erzählte mir auch, das sein Sohn früher als Vespa-Mechaniker gearbeitet hatte. Ich zerlegte also wieder einmal das Fahrzeug und Antonio beobachtete mich dabei. Seine Diagnose: der Luftfilter wäre verstopft und müsse durchgeblasen werden, denn so bekäme die Vespa keine Luft.
Ich war mir noch nicht ganz sicher, ob wir das Problem damit gefunden hatten, aber ich beschloss, Antonio zu glauben und ihm zu vertrauen. Er ließ mich noch die Zündkerze ausbauen und betrachtete sie eingehend. Als ich die Kerzenbürste hervorkramte, lehnte er ab und verschwand noch einmal im Haus. Nach einiger Zeit kam er wieder und hatte eine Küchenrolle und eine dicke Nadel von einer Spritze dabei. Damit reinigte er die Kerze in dem Bereich, den ich noch nie in meinem Leben betrachtet hatte, nämlich in dem Loch, aus dem der Dorn herausragt. Ich dachte stets, nur die Spitzen wären interessant und müssten halt entsprechend sauber und in der richtigen Farbe sein.
Antonio wusste scheinbar mehr und holte eine Menge Öl-Ruß-Schlamm hervor. Dann baute ich die Kerze wieder ein und die ganze Vespa zusammen, um zur nächsten Tankstelle zu fahren. Das war genau die, an der ich schon einige Zeit verbracht hatte. Dort, so meinte Antonio, hätten sie Pressluft und würden mir den Luftfilter reinigen.
Ich bedankte mich und startete das Fahrzeug. Leider nahm sie auch mit ausgebautem Filter (Für kurze Strecken kann man das riskieren, längere Zeit sollte man nicht ohne Luftfilter fahren, denn Dreck kann ungehindert durch den Luftschieber direkt in das Kurbelwellengehäuse gelangen. Das führt dann im schlechtesten Fall zu einem kapitalen Motorschaden.) nur schlecht bis gar nicht Gas an. Ich meinte zu Antonio, dass ich es so nicht einmal bis zur Tankstelle schaffen würde. Außerdem könne es nicht am Luftfilter liegen, weil sonst müsste sie ja jetzt hochdrehen.
Sie bekäme keinen Sprit. Ich zog ich mich wieder aus und zerlegte noch einmal alles. Als ich schon den Tank ausbauen wollte, um den Benzinschlauch zu kontrollieren, stoppte mich Antonio und rief: „Carburatore“. Also noch einmal der Vergaser.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt auch wieder Hoffnung geschöpft und das lag an Antonio. Er war genau die Hilfe, die ich zu diesem Zeitpunkt dringend brauchte. Er hatte eine andere Sicht auf die Dinge und so kam auch ich auf neue Gedanken. Es erschien mir auf einmal gar nicht mehr so unmöglich, dass wir den Fehler finden und reparieren konnten. Und ich war nicht mehr so alleine mit meinem Problem. Seine ruhige und sichere Art färbte auf mich ab, ich war nicht mehr nur der verzweifelte Gestrandete, sondern hatte wieder mehr Kraft und eine Perspektive. Ich war nicht mehr irgendwo auf der Landstraße und die Autos zischten an mir vorbei und die LKW hupten mich an. Ich war wo hin gekommen, an einem Ort, an dem ich als Wildfremder und doch als Gast verweilen konnte.
Antonio meinte, ich solle in Zukunft nur zu AGIP Tankstellen fahren, alle anderen wären Gauner und würden Diesel in den Benzin mischen. Auch das könnte eine Ursache für meine Motorprobleme sein.
Ich war zwar skeptisch, aber Antonio war sich seiner Sache sehr sicher. Doch was war wirklich mein Motorproblem? Als ich den Vergaserwannendeckel plus Luftfilter demontiert hatte, sah ich auf einmal die Bescherung: Der Schwimmerkammerdeckel hatte sich gelöst und hing nur mehr locker an den beiden Schrauben.
Damit war alles klar. An der Unterseite des Deckels ist der Schwimmer befestigt und der Deckel selbst ist mit zwei Schrauben am Vergaser befestigt. Dazwischen ist eine Papierdichtung, die auch dringend notwendig ist, weil der gesamte Sprit in eine kleine Kammer ganz oben am Schwimmerkammerdeckel gesaugt wird und erst von dort in die Düsen geht.
Wenn der Deckel lose ist, funktioniert das gesamte Vergasermanagement nicht mehr. Es war überhaupt nicht verwunderlich, dass sie kein Gas mehr annahm – ganz im Gegenteil, es war ein Wunder, dass ich überhaupt so weit gekommen war. Das erklärte natürlich auch die Öl-Sauerei, die sich hinten am Motor und innen an der Karosserie gebildet hatte. Und auch den gestiegenen Verbrauch. Es hatte einfach durch den losen Deckel jede Menge Benzin in die Vergaserwanne geblasen und von dort durch das Einstellschraubenloch nach hinten ins Freie. Antonios Verdacht mit dem Luftfilter war natürlich auch nicht falsch, denn diese Spritmengen sind weit mehr als der Blowback und kommen noch dazu von außen auf den Filter.

Nun hatte ich eine realistische Chance, doch noch nach Rom zu kommen. Ich schraubte den Schwimmerkammerdeckel wieder drauf, die beiden Schrauben waren glücklicherweise noch vorhanden. Eine davon ließ sich nicht mehr wirklich festziehen, der Deckel würde wohl mit der anderen halten müssen. Die kaputte Schraube hatte es samt dem Gewinde nach oben gerissen und auch die andere, noch bessere Schraube war nicht mehr wirklich taufrisch.

Ich plauderte noch ein wenig mit Antonio, während ich alles wieder an- und festschraubte. Er erzählte mir, dass er seit über zwanzig Jahren einen Rechtsstreit mit den Italienischen Behörden führe und dass alle, aber wirklich alle Politiker korrupt bis in die Knochen wären. Er nannte die „Magistratura“ die ganze Zeit nur „Hydra“ und führte mich zu einem alten Feigenbaum, um mir zu zeigen, dass die Hydra genauso viele Arme wie der Baum hätte. Man hätte ihm ein Patent gestohlen und viele Leute wären damit reich geworden. Er hätte auf ganzer Linie verloren, weil die Beteiligten alle korrupt wären.
Dann lud er mich noch kurz in sein Haus ein und zeigte mir ein dickes Buch, in das er seit zwanzig Jahren die gesamte Geschichte eingetragen hatte. Er wäre schon fast fertig, so meinte Antonio, und es stünde alles, aber auch wirklich alles drin, was in der Geschichte des Streits passiert wäre. Inklusive aller Namen der Beteiligten.
Wenn die Geschichte fertig wäre, würde er sich ein großes Gewehr organisieren und alle korrupten Schweine erschießen und am Schluss sich selbst. Er wäre alt und sie würden ihm nicht zutrauen, dass er das noch schafft und sich traut. Antonio baute sich vor mir auf und rief: „Ich bin alt, aber ich bin ein starker und ehrlicher Italiener. Die werden sich noch wundern!“
Dann schenkte ich Antonio die Flasche Wein, die ich von Helga bekommen hatte, denn sonst hatte ich nichts, was ich ihm schenken konnte. Ich war ihm überaus dankbar, denn er ist ohne Übertreibung als mein Retter in der Not zu bezeichnen.
Antonio verschwand und kam ebenfalls mit einer Flasche Wein wieder. Er bestand darauf, dass ich sie annehme und mir wurde klar, dass ich mich gegen einen umbrischen Bauern nicht zur Wehr setzen konnte und wollte.
Antonio kam ins Plaudern und zeigte mir noch die Sammlung seiner Familienbilder und erklärte, dass er ein „Poeta“ wäre und auch viele Gedichte geschrieben hätte.
Er wohnte scheinbar allein in dem alten, aber schönen Bauernhaus, das auch innen so typisch italienisch aussah, mit warmen Farben und dunklem Holz.

Für mich wurde es langsam Zeit mich zu verabschieden und Richtung Rom weiterzufahren. Jetzt hatte ich eine gute Chance, mein Ziel doch noch zu erreichen.
Ich verabschiedete mich von Antonio, startete die Vespa und Antonio schaute noch darauf, dass ich sicher wieder auf die Hauptstraße kam. Langsam wurde er im Rückspiegel kleiner und ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.
Ich werde Antonio nicht so schnell vergessen. Er war meine wichtigste Begegnung auf dieser doch recht einsamen Reise. Seine Weisheit bestand darin, mir genau das zu geben, was ich brauchte. In diesem Punkt ist er ein sehr weiser Mann und ich wünsche ihm noch ein gutes und langes Leben, in seinem alten Bauernhaus, das nur ca. 3 km neben dem Tiber steht.

Die Vespa ging wie noch nie und ich zog durch die Hügel Umbriens. Die Geschwindigkeitsbeschränkungen verstand ich eher als freundliche Empfehlungen, die Landschaft war wunderschön und nach der langen Pause tat mir mein Nacken auch nicht so weh.
Langsam kehrten die Lebensgeister wieder und die Hoffnung überwog. Alle paar Kilometer stand nun klar und deutlich das Schild „Rom“ und ich folgte der S3, die mich bis ins Herz der ewigen Stadt führen sollte. Nur das Scheppern war noch da und wurde langsam immer stärker. Aber darauf achtete ich jetzt nicht, ich würde es reparieren, wenn es mich zum Stehen brächte.

Rom

Nach einer knappen Stunde Fahrzeit erreichte ich Rom und die S3 wurde zu einer Art Stadtautobahn. Ich wusste, dass ich sie fast bis zum Ende fahren musste, aber wie weit tatsächlich, das konnte ich noch nicht herausfinden. Theoretisch immer geradeaus, aber es gab so viele Abzweigungen, Schleifen, Einmündungen, Auf- und Abfahrten, dass ich wieder einmal nicht wusste, wohin ich wirklich fahren sollte.
An einer Kreuzung blieb neben mir ein Rollerfahrer stehen und ich fragte ihn nach der Via Appia Nuova. Er überlegte kurz und bat mich dann ihm zu folgen. Er scherte rechts aus und fuhr über eine Rampe auf eine Hochstraße, wo er rechts stehen blieb. Dann meinte er, das wäre die „Tangentiale est“ und ich solle sie einfach fahren bis zur Abfahrt „San Giovanni“. Dort wäre dann fast der Beginn der Appia Nuova.
Ich fragte ihn noch, wie das mit der 125ccm-Beschränkung wäre und er schaute mich mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck an: „Egal, fahr einfach, das passt schon“ meinte er und gab mir auch da die Zuversicht, die ich gerade brauchte.
Danke an diesen unbekannten Rollerfahrer – Du hast mir sehr geholfen.

Auf der Tangentiale est spielt es sich an einem Freitag Abend ordentlich ab. Der Verkehr ist gewaltig, man kann sich das wie die Südost-Tangente vorstellen, etwa in dem Ausmaß, nur mit viel mehr Ab- und Zufahrten und viel kurviger. Links und rechts zischen Rollerfahrer vorbei und auch die Autos sind sehr schnell unterwegs. Ich fahre nun mit einer Mischung aus Angst und Wurschtigkeit, ich hatte heute schon so viel erlebt, da war schon alles egal.

Ich fand die Abfahrt San Giovanni und weil es sich heute schon bewährt hatte, fragte ich wieder einen Rollerfahrer an einer Kreuzung um die Via Appia Nuova. Er war sehr nett und meinte, er führe in die Richtung und wo ich denn genau hin wollte. Bei meiner Antwort, dass ich zur Bahnstation in Ciampino wollte, rief seine Beifahrerin „Da müssen wir auch hin, ich wohne genau gegenüber vom Bahnhof.“
Also meinte er, ich solle ihm einfach nachfahren.
Einem Römer. Mit einem starken Roller. Am Freitag Abend, auf einer der großen Ausfallstraßen Roms. Wer das macht, ist danach entweder ein Held oder tot.
Da mir nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen, verdrängte ich alle Gedanken an ein Hängenbleiben mit meiner breiten Gepäckrolle zwischen zwei Autos und ähnliches. Ich gab einfach Gas und wechselte in den „Italienermodus“. Das bedeutet, dass man sich einfach immer und überall vorschlängelt, egal ob die Kolonne gerade steht oder fährt. Man wechselt einfach zwischen den Spuren und schaut, dass man an der Kreuzung weit vorne steht. Der nette Italiener fuhr wie ein Irrer, aber ich schaffte es zu folgen – wie weiß ich nicht, aber glücklicherweise hatte die Vespa wieder ihre volle Kraft.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, aber in Wahrheit waren wir in ca. zwanzig Minuten in Ciampino. Der Vorteil am römischen Verkehr besteht darin, dass so enorm viele Zweiräder unterwegs sind. Die Autofahrer haben gelernt, ihnen den Weg nicht zuzumachen und auf sie zu achten. Das verringert das Unfallrisiko enorm.

Dann waren wir da, am Bahnhof in Ciampino. Ich bedankte mich bei meinen Helfern und konnte noch ein Foto machen:

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Bild: mein Wegweiser und seine süße Freundin

Einen Anruf später war Michele da und begrüßte mich freudig. Ich folgte ihm durch Ciampino bis in die kleine Gasse, wo das Haus lag. Wie immer gab es hier auch kein Sicherheitsproblem und ich konnte die Vespa in die gut versperrte Garage stellen. Dort sollte sie bis zu meiner Abreise stehen bleiben. Ich hatte keine wie auch immer geartete Lust die nächsten Tage aufzusteigen. Bus und Bahn sowie meine Füße waren jetzt gefragt.
Allerdings nicht mehr heute. Es war 18 Uhr 45 und somit der bisher längste Tag auf der Straße. Ich bezog mein Zimmer und lernte noch das nette brasilianische Pärchen kennen, das auch dort für eine Nacht blieb. Michele meinte, ich könnte drei Nächte bleiben, danach müsste ich aber raus, weil neue Gäste reserviert hätten.

Nach einer Entspannungsphase erklärte mir Michele, dass es drei empfehlenswerte Restaurants für den Abend gäbe und ich doch heute gleich in die Trattoria ums Eck gehen könnte. Dort gäbe es gutes Essen.
Da ich den ganzen Tag nichts als einen Apfel gegessen hatte, knurrte jetzt schon der Magen. Bei Sonnenuntergang machte ich mich auf den kurzen Fußweg und durfte erleben, dass es in Italien tatsächlich noch eine fantastische Essenskultur gibt.
Von dieser Trattoria erzähle ich morgen mehr. Für heute ist einfach Schluss.

Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 4

Weg war er, der Appetit. Ich hatte gut geschlafen und auch mein Genick wirkte wieder okay für einen neuen Tag on the road, aber ich musste nach einem halbem Semmerl aufgeben, obwohl Helga mir ein fantastisches Frühstück bereitet hatte, mit selbstgemachter Zwetschgen-Feigen-Marmelade, einem weichen Ei und Käse und Speck und noch viel mehr. Es war mir peinlich, das alles übrig zu lassen, aber ich brachte keinen Bissen mehr runter.
Ich hatte Reisefieber, weit mehr als noch am Tag zuvor. Objektiv gesehen war alles bestens, die Vespa lief gut, ich war in einem traumhaften Quartier und das Wetter war exzellent, kein Wölkchen am Himmel. Und trotzdem hatte ich Stress, genauer gesagt Angst vor der langen Fahrt und dass wieder was kaputt gehen könnte.
Helga setzte sich zu mir und ließ mich über mein Reisefieber erzählen, über die Sorgen, die ich mit dem Motor hätte und über das blöde Suchen nach der richtigen Strecke alle paar Kilometer.
Sie blickte mich lange an und gab mir dann einen entscheidenden Tipp: „Wir waren längere Zeit in Alaska und dort haben wir gelernt, wie man am besten mit so einer Situation umgeht, nämlich mit der Alaska-Methode. Repariert wird etwas erst, wenn es kaputt ist. Davor benützt man es und kümmert sich nicht darum.“
Ja, das war es, was mir weiter half. Es vertrieb zwar nicht den gesamten Stress, aber ich atmete ein wenig auf. Dann kam noch Sigi dazu und gemeinsam studierten wir die Karte.
„Je weiter Sie in den Süden kommen, desto mehr alte Vespas gibt es und da wird es auch leichter, eine Werkstatt zu finden, wenn wirklich was sein sollte“ meinte er und beschrieb mir den Weg durch Mestre.
Das Zittern ums Anspringen war ohne jede Berechtigung, aber im Kaltzustand war das ohnehin noch nie ein Problem. Im Warmzustand hatte sich gezeigt, dass ich im Prinzip genau eine Gelegenheit hatte. Ich musste den Kickstarter so auf Zug bringen, dass ich mit einem einzigen heftigen Kick den Motor starten konnte. Wenn es beim ersten Kick nicht funktionierte, nutzten die zehn weiteren auch nichts.
Was auch funktionierte – glücklicherweise fast immer – war der alte Trick mit dem nach links kippen der ganzen Vespa. Man nimmt sie vom Ständer und kippt sie. Es ist dann nicht ganz leicht den Kickstarter zu treten, aber aus irgend einem Grund ändert das was im Vergaser und sie nimmt dann Gas an. Sobald sie einmal lief, war alles kein Problem mehr, sie hatte Standgas und Kraft.

Wieder auf der Straße, zuerst ein paar elende Kilometer zurück nach Jesolo und zur Hauptstraße. Schon um 8 Uhr waren etliche Holländer mit Wohnwägen und Wohnmobilen unterwegs und schlichen unüberholbar auf langen Alleen dahin. Eine Sorge, die ich von Anfang an hatte, erwies sich schnell als unberechtigt. Ich dachte, dass ich es nicht vermeiden könnte ständig in Eile zu sein und dauernd nervös überholen zu wollen. Das war aber von Anfang an nicht der Fall, ich war durchaus gelassen und konnte mich dem Verkehr anpassen. Zeit für einen Tipp

Tipp: Rhythmisch fahren
Es geht um die Frage der Sicherheit und die ist auf so einer langen Tour entscheidend. Genau genommen ist sie auch bei 300 Metern zum Bäcker entscheidend, denn da können genau so schwere Unfälle passieren, aber auf der Langstrecke bekommt der Sicherheitsaspekt noch einen zusätzlichen Kick.
Verkehr ist gemeinsame Mobilität, auch wenn es oft eher nach dem Gegenteil aussieht – jeder gegen jeden. Großteils funktioniert es aber und zwar nicht nur weil es Regeln gibt. Gerade in Italien kann man sich die Regeln oft auf den Hut stecken, es geht eher darum, sich in das Geschehen einzuklinken. Mir ist das meistens ganz gut gelungen, der Trick dabei liegt darin, den Rhythmus zu erfassen und sich ihm anzupassen. Das betrifft die gerade gefahrene Geschwindigkeit, aber auch die Manöver, die man fährt. Manchmal ist flottes Überholen genau richtig, dann wiederum sollte man sehr defensiv fahren. Letztlich muss man das üben, routinierte Fahrer zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie diese Kunst beherrschen – oder sie landen früher oder später im Krankenhaus oder am Friedhof. Wenn man das Gefühl hat, dass es irgendwie gerade gar nicht passt und man trotz Anstrengung nicht weiter kommt, dann hilft eine kleine Pause am Straßenrand. Sie muss nicht lange dauern, gerade so, dass man sich aus dem momentanen Geschehen ausklinken kann. Ein paar Minuten, dann kann es weiter gehen. Keine Angst – man holt die vorne Fahrenden, die einem so viel Stress bereitet haben, nicht mehr ein und wenn doch, dann sind sie inzwischen in einer anderen Konstellation bzw. einem anderen Rhythmus unterwegs, der einem dann eventuell besser liegt.
Es gibt auch Tage, da schafft man es gar nicht sich anzupassen. Dann ist vielleicht die Überlegung angebracht, eine andere Strecke zu fahren oder überhaupt eine Pause einzulegen.

Ich hatte die einzig brenzlige Szene mit einem Holländer, der mich fast zum Hermann Maier machte: Ich überholte gerade eine Kolonne, als er plötzlich unvermutet links abbog. In solchen Momenten wird es gefährlich, weil die Hauptbremse ist bei der Vespa die Fußbremse, und die blockiert gerne. Dann kommt die Fuhre ins Schleudern und man muss von der Bremse gehen. Das verlängert den Anhalteweg enorm, ganz abgesehen davon, dass die Bremsen sowieso nicht die besten und mit modernen Scheibenbremsen nicht vergleichbar sind. Unter anderem deswegen fahre ich in der Stadt und im Alltag einen modernen Roller.

In Venedig verfuhr ich mich nicht und war wenig später auf der S 309 Richtung Ravenna. Von Rudi hatte ich den Tipp bekommen, mir auf jeden Fall Chioggia anzusehen, aber die Hauptstraße in den Süden zu meiden, da sie mangels paralleler Autobahn sehr stark frequentiert und außerdem nicht sehr reizvoll wäre. Leider war die Alternative auch nicht sehr ansprechend, nämlich winzige Landstraßen und endlose Ortsdurchfahrten, die einander gleichen wie ein Ei dem anderen. Die Po-Ebene ist nun einmal für Nicht-Flachländer nur mäßig interessant und so wählte ich doch die Schnellstraße, vor allem, weil ich sie auf diesem Abschnitt befahren durfte.
Das ist nämlich leider so eine Sache mit italienischen Schnellstraßen und Zweirädern mit weniger als 150 ccm. Manche sind erlaubt, manche nicht, und manche sind teilweise befahrbar, also 15 Kilometer ja, dann 8 nein, dann wieder 34 ja und 22 nein. Das ist unglaublich nervenraubend, weil man ständig runter muss und dann den Weg ein paar Kilometer weiter finden muss, auf dem man wieder hinauf kommt. Oder man bleibt gleich unten, dann braucht man aber richtig viel Zeit, weil die kleinen Landstraßen nicht sehr gut ausgeschildert sind (wozu auch, ihre Benützer sind von genau dort und wissen eh, wo sie fahren müssen). Daher muss man entweder dauernd auf die Karte schauen, oder man benützt ein Navi – aber das habe ich ja schon diskutiert.

Also auf die Schnellstraße, das ging flott dahin, bis auf die bereits jetzt auftauchenden Nackenschmerzen war alles bestens. Man fährt hier auf kilometerlangen Geraden, die von Sümpfen, Feldern und Windbrecher-Alleen gesäumt sind. Alle paar Kilometer gibt es eine Tankstelle und generell viel LKW-Verkehr. Ich hing mich hinter einen, der auch 80 km/ fuhr, das war genau die ideale Reisegeschwindigkeit für meine Vespa. Der Motor wirkte nicht angestrengt und schnurrte vor sich hin, ich konnte links und rechts ein wenig die Landschaft ansehen (nicht, dass es hier so viel zu sehen gab, aber ich war ja nicht nur für die Straße geboren) und einige Kilometer abspulen.
Dann meldete sich auf einmal der Stress zurück. Auf so einer endlosen Geraden hat man nicht allzu viel Ablenkung und auch nicht viel zu tun als den Lenker festzuhalten. Also kommt man ins Nachdenken und das war in diesem Falle gar nicht gut, denn das erste, was mir in den Sinn kam, war die noch ziemlich endlose Strecke bis Rom. Und die vielen Pannen, die ich bisher hatte. Und die Wahrscheinlichkeit weiterer Liegenbleiber. Außerdem fühlte ich mich irgendwie ganz schön allein. Die Landschaft unterstützte das auch noch.

Dann plötzlich, kurz vor Chioggia, überholt mich ein Italiener auf einer Africa Twin, winkt mir freundlich zu und deutet „thumbs up“. Das gab mir in diesem Moment enorm viel Kraft, ein leiser Schauer rieselte über meinen Rücken und ich wusste, das war schon okay, was ich da tat.
Da es ohnehin Zeit für eine kleine Pause war, fuhr ich dort rechts ran, wo der Italiener auch gerade auf einen Kaffee stehen geblieben war. Es wurde eine sehr nette Unterhaltung, er fuhr gerade auf den Strand von Chioggia und wünschte mir alles Gute für die noch lange Reise.
Das sind die Begegnungen, die einen einsamen Vespa-Fahrer wieder aufrichten. Von da an ging der Tag irgendwie besser weiter.

Chioggia ist das kleine Venedig. Es gibt dort auch eine Lagune und Kanäle mit Booten und Brücken und natürlich auch Touristen. Hier stellte sich das erste Mal die Frage, ob ich die Vespa zwecks einer kleinen Fotorunde alleine lassen könnte. Am Ende der Straße, von wo aus es in die Altstadt hinein ging, war eine Art Rollerparkplatz. Ich setzte mich in ein Café und trank eine Flasche Wasser, traute mich aber nicht wirklich weg von der Vespa. Wie schnell wäre die Gepäckrolle weg, oder das ganze Gefährt?

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Bild: Chioggia

Vielleicht war meine Angst ja völlig grundlos, aber wie hätte ich das in diesem Moment entscheiden sollen? So ging ich einfach nur eine kleine Runde und hatte die Vespa stets in Sichtweite.
Dann ging es weiter, wieder hinaus auf die Schnellstraße Richtung Süden nach Ravenna. Mir wurde auch bewusst, dass mir die Stadtdurchfahrten eine Menge Stress bereiteten. Da gab es schöne und interessante Städte in der Nähe, aber ich hatte einfach keine Lust mich mit der voll bepackten Vespa durch dichten Verkehr zu quälen, stets auf der Suche nach dem richtigen Weg. Das wäre keine Erholung gewesen. Ich glaube, bei Ravenna fing es an: der Weg war nicht mehr das eigentliche Ziel, sondern ich hatte Tagesziele, die ich gerne erreichen wollte. Sie galten jeweils nur für den kommenden Tag und eigentlich nicht einmal für diesen, denn ich wusste ja nicht, wie weit ich jeweils kommen würde.
Für heute war mein Ziel Urbino, die schöne Stadt auf einem Berg in den Marken. Es war kein Muss dorthin zu kommen, aber ein Wunsch, ein anstrebenswertes Ziel. Mir wurde auch klar, dass ich aufgrund der Umstände nicht mehr als maximal 350 km am Tag schaffen könnte. Auf der Autobahn wäre jederzeit mehr möglich, aber die durfte ich sowieso nicht fahren. Es wurde auch deutlich, dass mir Hintern, Nacken und meine Konzentrationsfähigkeit keine größeren Etappen erlauben würden. Andererseits sind 350 Kilometer gar nicht so wenig, so wäre ich in fünf Tagen in Rom – und damit in der Mindestzeit, die ich ausgerechnet hatte.

Über die nächsten Stunden gibt es nicht allzu viel zu berichten. Die Vespa lief gut, ich stoppte immer wieder an Tankstellen und füllte meine Wasservorräte auf. Das bringt mich zum nächsten Tipp.

Tipp: Wasser
Ich weiß es vom Bergsteigen und von diversen Sportarten: Trinken ist wichtig. Das ist eine Binsenweisheit, aber auch beim Vespafahren gilt sie uneingeschränkt. Durch den Fahrtwind trocknet der Körper schneller aus. Das Schwitzen spielt im Sommer eine große Rolle, aber die wichtigste Botschaft lautet: Du merkst es nicht. Experten sagen, wenn Du Durst hast, ist es zu spät. Ich stimme dem nicht ganz zu, denn der Körper ist eine clevere Konstruktion und weiß, was er dem Verstand mitteilen muss. Allerdings kann er sich ein wenig täuschen. Daher empfehle ich um eine Nuance öfter zu trinken als es der Körper offensichtlich verlangt. Ich trank an Tagen wie diesem auf der Strecke sicher zwei bis drei Liter Wasser und musste oft kein einziges Mal pinkeln. Als ich bei der Rückfahrt wieder ins deutliche kühle Österreich kam, verlangte der Körper sofort wesentlich seltener nach Wasser.
In Italien bekommt man die unseligen, für solche Fahrten aber natürlich sehr praktischen Wasserflaschen in 0,5 Liter Gebinden, mit 1 Liter und mit 1,5. An das Thema Umweltschutz darf man da überhaupt nicht denken. Ich schmiss jeden Tag mehrere Flaschen in den Müll und die werden in Italien ganz sicher nicht wieder aufbereitet.
Man bekommt diese Flaschen an fast jeder Tankstelle und auch in Lokalen an der Straße. Sie sind meist nicht sehr teuer und aufpassen muss man nur um die Mittagszeit.
Ich habe mir angewöhnt, immer etwa 0,25 Liter übrig zu behalten, d. h. nicht auszutrinken. Vielleicht braucht man einmal einen Schluck Wasser, etwa nach einem Unfall.

Ich mache Pausen immer gerne nach einem schwierigen Abschnitt, in diesem Fall hinter Ravenna in einer kleinen Nebenstraße unter einem großen Feigenbaum.

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Bild: Mittagspause

Rundherum jede Menge Gegend und ich fuhr auch recht bald wieder weiter.

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Bild: Ebene

Jede Pause war eine gute Gelegenheit, um den Nacken ein wenig zu dehnen. Das half zwar nur ein paar Kilometer wirklich, aber immerhin. Die Landschaft veränderte sich nur unmerklich, auffällig waren nur die vielen Schilder „Vende“ („zu verkaufen“), die ich vor allem auf Wirtschaftsgebäuden ständig sehen konnte. Die Ebene ist für den Anbau von Korn, Mais und Gemüse bekannt und das gibt es dort auch noch in größerem Ausmaß.

Die Sprint zieht gut, nur ein seltsames Klappern ist aufgetaucht und sie hat im Schiebebetrieb immer noch dieses Stampfen. Ich beschließe, das alles zu ignorieren und einfach weiter zu fahren. Schließlich kenne ich ja jetzt die Alaska-Methode und sie gefällt mir immer besser.
Obwohl die Fahrt wegen der notwendigen Konzentration auf Verkehr, Gegend, Straße, Abzweigungen, Land und Leute entsprechend anstrengend war, hatte ich fast keinen Hunger. Helga hatte mir ein Sackerl mit Äpfeln mit gegeben und ich aß die nächsten zwei Tage zu Mittag je ein bis zwei Stück. Dazu noch Wasser, das war alles. Ordentlich gegessen wurde erst am Abend und auch da hatte ich nicht den Appetit, den ich haben sollte. (Am Ende der Reise hatte ich drei Kilo abgenommen).

Ich sehe extrem wenig Polizei auf den Straßen. Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Die LKW sind meist sehr diszipliniert und fahren ein wenig nach rechts, wenn ich mit der kleinen Vespa überhole. Meist sind sie aber ohnehin schnell genug, nur manchmal juckt es mich und ich drehe die Sprint ein wenig aus – die Dritte geht ohne Gegenwind und wenn sie gut aufgelegt ist, bis 95.
Vorerst überschritt ich aber einmal den Rubicon.

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Bild: Rubicon

Vor Rimini ist es dann soweit – ich muss runter von der Schnellstraße, weil ein riesiges Schild deutlich und unmissverständlich anzeigt: keine Weiterfahrt für Roller unter 150 ccm.
Ich fahre ab und verfahre mich noch in der Sekunde. Ich habe mir angewöhnt, vor allem Rollerfahrer nach dem Weg zu fragen. Erstens gibt es davon jede Menge und zweitens glaube ich einen gewissen Startvorteil zu haben. Meist klappt das und auch in dieser Situation erwische ich einen jungen Mann, der gerade jemand nach Hause geführt hat. Ich winke ihm und er dreht um.
Leider kann auch er gerade mal „Yes“, „No“ und „Marlboro“, sonst aber keinerlei Englisch. Trotzdem erklärt er mir ausführlich, welche kleinen Straßen ich nehmen kann und dass es ca. 1,5 Stunden bis Rimini dauern würde.
Ich bin entsetzt, es sind nur ein paar Kilometer, auf der Schnellstraße eine Sache von einer Viertelstunde. Ob ich mir das antun soll? Doch noch ist mein Respekt vor der Polizei und eventuellen Strafen größer. Also nehme ich die ganz kleinen Straßen, mittlere gibt es hier nicht, entweder Superstrada oder Feldweg.
Ich schaffe es ein paar Kilometer, dann lande ich zweimal in einer Sackgasse und mir reicht es langsam. Was soll das, liebe Italiener? Seid ihr deppat geworden? Lasst mich doch einfach fahren, ich bin schnell genug.
Nun, offiziell würde meine Vespa knappe 80 gehen und das nur in der Ebene. Das wäre auf der Autobahn tatsächlich eher ein Hindernis. Allerdings ist das auf der Superstrada in einer brettlebenen Gegend egal. Ich werde dieses italienische System nie durchschauen.
Was würde tatsächlich passieren, wenn mich die Polizei aufhält? Verhaftung und dunkler Kerker? Satte Geldstrafe, gleich in bar zu bezahlen und ohne Quittung? Oder würden sie die Vespa bestaunen und Mitleid mit einem irren Philosophen mit ordentlich Nackenschmerzen haben? In meinem Kopf geistern Geschichten von konfiszierten Fahrzeugen herum, die irgendwann irgendwo versteigert werden. Ich sehe mich schon mit meinen Gepäckrollen schwitzend über endlose Landstraßen zur nächsten Busstation gehen.

Es passiert aber nichts und irgendwann hab ich dann darauf geschissen und bin einfach wieder auf die Schnellstraße gefahren. Reparieren soll man Dinge erst, wenn sie kaputt sind und vor Angst gestorben ist auch tot.
Aber die Fahrt ist doch sehr stressig, natürlich hoffe ich ständig, dass kein Polizeiauto auftaucht.
In Riccione weiß ich wieder einmal nicht mehr weiter und fahre in eine kleine Nebenstraße, um mich in Ruhe orientieren zu können. Auf einmal fährt ein älteres Pärchen auf einer Honda SH vorbei und ich stoppe sie.
Englisch können sie nicht, aber sie helfen mir gerne und erklären, dass ich eigentlich immer nur geradeaus bis Pesaro fahren müsste und dann rechts hinauf – alles wäre angeschrieben.
Sie geben mir noch ein paar Sightseeing-Tipps und warten am Kreisverkehr auf mich, um mir die richtige Ausfahrt zu zeigen. Sehr nette Menschen, so wie übrigens die meisten, die ich auf meiner Italienreise kennen gelernt habe.

Der Nacken tut jetzt schon extrem weh und ich erfinde ständig neue, abenteuerliche Sitz- und Genickpositionen. So lerne ich Italien aus einer neuen, weil sehr schrägen Perspektive kennen, den Kopf einmal stark nach links und dann wieder stark nach rechts gekippt. Die Leute müssen mich für verrückt gehalten haben, allerdings wegen der alten Vespa war das sowieso jedem klar. Und ich bin kein einziges Mal angehupt worden.
Nach einem neuerlichen Besuch an einer Bedienungstankstelle mit einem sehr freundlichen Tankwart geht es weg von der Ebene hinauf in die Berge, nach Westen. Die Sprint läuft gut und das Tagesziel rückt in greifbare Nähe – noch 35 Kilometer, das müsste zu schaffen sein.
Allerdings hatte ich für heute kein Quartier und würde mir eines suchen müssen.

Durch eine traumhaft schöne Landschaft immer bergauf erreiche ich Urbino und bin gleich einmal erstaunt wegen der tollen Kulisse. Weniger toll finde ich, dass man auch mit dem Motorroller nicht in die Stadt hinein fahren kann, außer man hat eine Spezialgenehmigung.
Von einem Barbesitzer erfahre ich, dass es in der Altstadt von Urbino sehr wohl nette Hotels und Pensionen gibt. Allerdings bräuchte man vorher die Bestätigung vom Vermieter, dass man mit dem Auto (bzw. Motorroller) hinein fahren dürfe.
Es ist 16 Uhr, ich bin fix und foxi, bekomme aber von dem Barbesitzer eine Karte von Urbino und den Tipp, wie ich die Stadt umfahren und bei einem anderen Stadttor um Quartier fragen kann. Ein Tourist (Unterschied zu den Italienern: kann Englisch) hatte mir erzählt, er hätte dort ein Bed and Breakfast gesehen.
Also los. Zumindest in meinen Wünschen, denn die Sprint springt nicht mehr an. Auch Anrennen nützt nichts und ich bin zwar nicht verzweifelt, aber einfach müde, verschwitzt und fertig und möchte ein Quartier und nicht Vespa zerlegen.
Der Trick mit dem Linkskippen funktioniert und ich finde heraus, dass sie im Warmzustand gar nicht startet, wenn sie leicht nach rechts gekippt ist (also so, wie das am rechten Straßenrand oft der Fall ist). Seitdem achtete ich sehr genau auf die Standposition, noch dazu, wo sie durch den fehlenden rechten Ständerfuß ohnehin schon leicht nach rechts gekippt steht. Das hätte mir zwar schon in Klagenfurt auffallen können, aber wer denkt denn an so was!

Die Umrundung von Urbino klappt gut, die Suche nach dem Bed & Breakfast nicht, wobei ich beschließe, mir sowieso ein Quartier etwas außerhalb zu suchen, da die Stadt innen keine sichere Parkmöglichkeit für die Vespa bietet. Urbino ist eine uralte Stadt mit winzigen Gässchen, viele davon steil, und der Platz wurde seinerzeit für andere Dinge benötigt als für die noch nicht erfundenen Autos und Motorroller.
Ich frage zwei junge Herren, ob sie wüssten, wo ich hier ein Bed & Breakfast „economico“ finden könnte. Sie bemühen sich nach Kräften mir zu erklären, dass sie nur wüssten, wo ein Hotel wäre, nämlich hinter dem „ospedale“. Der Weg dorthin wäre nicht schwer, aber ihnen fehlten die Worte, ihn mir zu erklären. Verzweifelt starrten sie in ihre iPhones und versuchten, ein paar englische Worte zu finden. Erfolglos, aber mit „sinistra“ und „destra“ und weil ich einigermaßen gut Italienisch verstehe, wenn ich es auch nur sehr wortfetzenhaft spreche, wurde mir klar, in welche Richtung ich fahren musste. Inzwischen war mir „economico“ (günstig) auch nicht mehr so wichtig, ich wollte ein Zimmer und sonst nichts mehr.
Am Weg Richtung Krankenhaus kam ich an einer sehr nett aussehenden Pension vorbei, parkte mich ein und läutete. Da niemand aufmachte, ich aber im Stadtplan die Telefonnummer gefunden hatte, versuchte ich es auf diese Weise, erreichte aber nur ein Tonband. Also fuhr ich weiter und mit einer zusätzlichen Fragerunde fand ich das Hotel Dei Duchi, das zwar ein wenig heruntergekommen aussah, aber für eine Nacht wohl passen würde.
Der Rezeptionist Domenico sprach einigermaßen Englisch und war sehr hilfsbereit. Ich durfte meine Vespa über Nacht in der Garage abstellen und bekam ein ruhiges Zimmer, obwohl dort ohnehin die ganze Gegend sehr ruhig war.
Das Zimmer war okay, die Dusche sehr fein und das alles inklusive Frühstück um 43 Euro wohlfeil.
Als ich gerade eingecheckt hatte, rief der Besitzer der Pension an, bei der ich gerade vorbei gefahren war. Sein Zimmer hätte 45 Euro gekostet und ich merkte mir das für das nächste Mal vor. Ich hatte nach dem Läuten nur nicht lange genug gewartet, meinte er. Und ich lernte, dass die Siesta in Italien locker bis 17 Uhr dauern kann.
Ich blieb wo ich war und suchte mir erstmal eine Stellung auf dem Bett, in der ich meinen Nacken entspannen konnte. Das stellte sich zunehmend als Problem dar, denn ein Muskel entwickelte sich zum Dauerschmerzbringer, was die Fahrfreude deutlich trübte. Ich musste dafür eine Lösung finden, aber wie? Vorerst half es, auf dem Bauch zu liegen und den Kopf über die Bettkante hängen zu lassen. Sah sicher nicht sehr würdevoll aus, aber ich war ja unbeobachtet.

Das war genau genommen der erste Tag, an dem ich mit der Vespa keine Panne hatte. Dafür erwischte es mich, denn schon als ich abgestiegen war, schmerzte der linke Fuß. Ich hatte im Sommer 2009 einen schweren Unfall mit meinem Stadtroller und brach mir bei dieser Gelegenheit zwei Mittelfußknochen. Die verheilten zwar gut, aber von Zeit zu Zeit meldeten sie sich mit stechenden Schmerzen. Diese Zeit war jetzt gekommen und ich fürchtete, dass ich Urbino nur humpelnd erkunden würde können.
Außerdem bemerkte ich zum ersten Mal die Spuren, die so eine lange Strecke an mir hinterließ. Das Gesicht war öl- und rußgeschwärzt, die Nase hatte sich vorwitzig in die Sonne gewagt und musste nun dafür büßen. Nur beim Zweiradfahren mit offenem Visier (Sonnenvisier heruntergeklappt) bekommt man das ab, was sich durch tausende Autos an Dreck in der Luft befindet. Vom Reifenabrieb über die Abgase bis zum Industriestaub, all das, was beim Autofahren weggefiltert wird. Da sitzt man in einem fast hermetisch von der Außenwelt abgeschlossenen System mit Luftfilter, Klimaanlage, getönten Scheiben und Lärmdämmung. Das genaue Gegenteil ist Vespafahren.

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Bild: Ölverschmiertes Gesicht

Nach ein bis zwei Stunden kehrten die Lebensgeister zurück und ich beschloss noch eine kurze Serviceeinheit bei der Vespa einzulegen, sie hatte sich das verdient.
Ich entdeckte einen losvibrierten Auspuff, der aber noch halten würde, zumindest bis Rom. Auch das Gasseil wirkte noch frisch, wenngleich die Reibestelle genau dort war, wo man sie nicht mehr sehen konnte. Aber mit meiner neuen Einstellung aus der Alaska-Methode kam ich gut zurecht und schmierte nur etwas Fett aus der kleinen Fettspritze auf das Seil.
Ich fand nicht alles, sollte das aber erst am nächsten Tag auf sehr unangenehme Weise zu spüren bekommen.

Eine ausgiebige Dusche später nahm ich den Shuttlebus, der direkt vor dem Hotel anhielt, wenn man ihm entsprechend wachelte. Die Fahrt kostet 1 Euro und 5 Cent und ich will diese Fahrpreispolitik nur so kommentieren: Ich musste nur einen Euro bezahlen, weil der Herr vor mir nur einen Euro und ein 20 Cent Stück hatte, und das Gerät leider kein Wechselgeld herausgeben kann. Nettes Geschäftsmodell, muss ich sagen.

Urbino ist großartig, das sollte man gesehen haben. Es wirkt ein wenig wie Disneyland, durchkonzipiert bis in die kleinste Ecke, mit sensationeller Architektur, alles feinst renoviert und blitzsauber. Mein lieber Freund Rudi meinte, er hätte die Stadt besucht als sie von Touristenhorden überschwemmt war, ich hatte mehr Glück und konnte sie in sehr lockerer Atmosphäre erkunden, wenn auch humpelnd. Aber ich hatte ja Zeit und gönnte mir gleich einmal das erste Gelati dieses Italienurlaubs, äh, -abenteuers.

Gleich neben dem Eisgeschäft sah ich auch die erste Vespa 50 S, mit einer schönen Polinischnecke und ohne Rücklicht.

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Bild: Vespa 50 S

Insgesamt kam ich auf nicht mehr als eine Handvoll Smallframes, eine weitere Handvoll Largeframes und vielleicht zwanzig PX. Das war alles, mehr alte Vespas sah ich innerhalb einer ganzen Woche nicht. Im Mutterland der Vespas, wo viele Millionen Stück verkauft wurden, gibt es nur mehr einige wenige. Das mag daran liegen, dass die Italiener die Roller stets als Alltagsfahrzeuge verwenden und nicht wie bei uns einmal pro Woche ins Kaffeehaus fahren. Die meisten dürften wohl irgendwann so kaputt gewesen sein, dass sie auf den Schrottplatz kamen. In den letzten zehn Jahren saugte auch der nach Oldtimern hungrige Markt auf der ganzen Welt Italien leer. Scouts fuhren bis in die Bergdörfer und kauften alte Vespas, die dann mit guten Gewinnen in die USA und den Rest der Welt verkauft wurden. Jetzt sind die Preise für alte, teils schrottreife Vespas auch in Italien in die Höhe geschossen und man bekommt selbst einfache Ersatzteile nicht mehr oder ebenfalls nur überteuert.
Ob es im Süden anders ist, kann ich nicht sagen, bis Rom jedenfalls ist die Sache sehr klar.

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Bild: Blick in die Landschaft der Marken von Urbino aus

Urbino bietet an jeder Ecke eine andere Perspektive, von großen Plätzen bis winzigen Gässchen, alles auf einem Hügel angeordnet und ich frage mich, wie sie früher das notwendige Wasser in die Stadt bekamen. Wurde das von unten herauf geschafft oder hatten sie so tiefe Brunnen? Urbino ist Sitz eines Erzbischofs, hat etwa 15.000 Einwohner und ist Teil des Weltkulturerbes.

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Bild: Urbino, Palast

Es gibt seit 1506 eine kleine Universität und die Stadt hatte ihre Hochblüte in der Renaissance.
Im Gegensatz zu Disneyland ist Urbino belebt und bewohnt. Nur Autos haben es schwer und dürfen nur mit Sondergenehmigung hinein, was aber natürlich unbedingt notwendig ist, sonst wäre die Stadt ein einziger Parkplatz. So wirkt sie ruhig und ohne Hast und auch ich wurde ruhiger und vergaß die Anstrengungen des Tages.

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Bild: Kleine Gassen in Urbino

Bis zur Öffnung des Internetcafes gönnte ich mir ein gutes Abendessen in einer netten Osteria. Ich war der einzige Gast, der alleine an einem Tisch saß, dafür war das Essen hervorragend: Cresce, eine lokale Spezialität, bestehend aus einer Flade, deren Konsistenz ich nicht ganz ermitteln konnte, irgendeine Mischung aus Palatschinkenteig und Pizza, in Fett herausgebraten und belegt mit Rohschinken – wobei der Belag frei wählbar ist. Ich nahm dazu Ruccola und eine Art Weichkäse, alles hervorragend und ausgesprochen sättigend.

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Bild: Osteria

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Bild: Cresce

Dazu eine kleine Karaffe Wein und eine weitere mit Wasser – mehr brauchte ich nicht. Auch der Preis war fair, 10,80 Euro für alles zusammen, inklusive Cuperto und das in einer Gasse neben dem Hauptplatz in der Hochsaison. Italien ist nicht mehr so teuer, scheinbar passen sie sich den abnehmenden Touristenmengen an bzw. der Wirtschaftskrise.

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Bild: Guido beim Abendessen

Der kleine Spaziergang nach Hause gefällt meinem Fuß nicht sehr, ist aber ein feiner Abschluss dieses Tages und die Bewegung tut als Ganzes gut. Aus der Dunkelheit der Nacht taucht plötzlich ein alter Fiat 500 auf, einer der ganz wenigen, die ich insgesamt noch gesehen habe. Nur der Fiat Panda ist noch häufig, er hat die Position des 500ers als Arbeits- und billiges Transportmittel eingenommen. So vergeht langsam das Italien der 1950er bis 80er Jahre und die Bilder unserer Jugend müssen langsam ersetzt werden.

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Bild: Fiat 500

Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 3

Ich hatte am Vorabend noch in Italien angerufen, um mein Quartier zu finden. Dank Silvios Hilfe hatte ich die Nummer von Helga Karlegger, die mit ihrem Mann Sigi gemeinsam eine Herberge betreibt. Obwohl sie eigentlich schon ausgebucht waren, willigte sie ein und meinte „Kommen Sie doch einfach vorbei“. Das war für mich eine große Beruhigung, denn so hatte ich nicht nur ein feines Quartier für die Nacht, sondern auch schon ein Tagesziel, auf das ich hinsteuern konnte.

Der Tag begann sonnig und warm, und doch war schon nach wenigen hundert Metern klar, dass es ohne Windjacke um halb neun Uhr in der Früh noch nicht gehen würde. Als ich die Vespa abstellte, bemerkte ich das Malheur: der rechte Ständerfuß fehlte. Ich musste ihn in der Nacht zuvor irgendwo zwischen Viktring und dem Kreuzbergl verloren haben.
Das war schade, denn diese Ständerfüße aus Metall waren extra angefertigt worden, damit ich einerseits starten konnte, ohne sie unbedingt auf den Ständer stellen zu müssen, was sich vor allem im dichten Verkehr an einer Kreuzung sehr bewährt, andererseits passte so der Ständer am SIP Road Auspuff vorbei.
Und genau diesen Metallfuß hatte ich verloren. Natürlich saß er fest drauf, aber das hatte ich beim Sturzbügel am Tag zuvor auch angenommen.
Also die nächsten paar tausend Kilometer mit einer schief stehenden Vespa – Panne Nummer 5 halt. Hätte ich etwa glauben sollen, dass es mit den ersten vier Pannen erledigt wäre? Dieser Schaden ließ sich erst in Wien wieder beheben.

Dafür bewährte sich das Handtuch, ich saß deutlich bequemer und der Hintern begann erst gegen Mittag weh zu tun. So ging es ohne weitere Störungen ins Rosental und dann zum nächsten ADEG, um ein wenig Proviant einzukaufen. Als ich die Vekäuferin um die Abzweigung zum Wurzenpass fragte, erfuhr ich, dass dieser gesperrt wäre, wegen eines Murenabgangs. Nun gut, dann würde es doch das Kanaltal werden, auch wenn ich mich schon auf das angeblich malerische Soca-Tal gefreut hatte. Die Soca ist ein wunderschöner, türkisblauer Fluß, der auf seinen letzten Kilometern in Italien Isonzo heißt und vor allem im ersten Weltkrieg Schauplatz wilder Schlachten war, die von keiner Seite je wirklich gewonnen wurden.
Heute ist das eine friedlichere Gegend, die ich doch noch sehen sollte, denn bei der Abzweigung zum Wurzenpass stand groß angeschrieben, dass dieser offen wäre. Also nichts wie hinauf, Rudi hatte mich allerdings vorgewarnt, dass das ein recht steiler Anstieg wäre.
Nun, er hatte nicht übertrieben. Es geht auf bis zu 18 % Steigung, das ist richtig knackig und sollte eine erste Bewährungsprobe für den Motor werden. Mein Kompliment gilt übrigens den Radfahrern, die sich das antun, es waren gar nicht wenige, die ich zu Gesicht bekam. Ich entschuldige mich an dieser Stelle für den Zweitaktgestank, den ich ihnen und ihren Lungen als kleinen Gruß hinterließ.
Die Vespa ist gar nicht schwach, aber zeitweise musste ich in den ersten Gang schalten und über den zweiten kam ich auch nur ganz selten hinaus. Doch dann war es geschafft, die Passhöhe war erreicht und ich fuhr nach Slowenien hinein.

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Bild: Der Wurzenpass

Nach einer knackigen Abfahrt kam ich nach Podkoren, das gleich neben dem Wintersportort Kranjska Gora liegt. Ich stellte den Motor kurz ab, um auf die Karte zu schauen. Den Vrsic-Pass würde ich mir und der Sprint ersparen, statt dessen rechts nach Tarvis fahren und von dort dann über den Predil-Pass hinunter ins Soca-Tal.

Also Helm auf, Karte unter dem Gepäcknetz verstauen, Handschuhe, starten und ab geht die Post! Zumindest theoretisch, denn vorerst ging einmal gar nichts. Die Startversuche scheiterten und die in diesem Moment notwendigen Vespa-Spezialisten oder alternativ eine Handvoll satter slowenischer Flüche waren jeweils nicht anwesend.
Ich wusste bereits von den Schwierigkeiten, die nur beim Warmstart auftraten, ich hatte sie im Laufe des Frühlings schon so drei bis vier Mal gehabt. Sie springt dann schon an, rennt aber nur so wop-wop-wop und nimmt kein Gas an. Selbst wenn ich Vollgas gebe, bleibt es beim stotternden wop-wop-wop und dann, nach einiger Zeit nimmt sie auf einmal Gas an. Der Verdacht auf ein Vergaserproblem liegt nahe, aber was genau soll da sein? Die Schwimmernadel war neu, der Vergaser neu gedichtet und sorgfältig gereinigt. Vielleicht ein geknickter Benzinschlauch, der sich nur manchmal meldet? Aber wieso dann nur beim Warmstart? Der Choke blieb auch nicht hängen, das hatte ich schon kontrolliert, nachdem genau dieser Fehler bei einem Freund von mir aufgetreten war. Ich hatte weder Lust den kompletten Gepäckträger samt Tank auszubauen, um den Benzinschlauch zu kontrollieren, noch den Vergaser hier an der Straßenkreuzung auszubauen, zu kontrollieren und wieder zusammen zu bauen, wahrscheinlich mit dem Ergebnis, dass nichts zu finden wäre.
Also anrennen. Auch das scheiterte zuerst, dann aber nahm sie plötzlich Gas an und ich konnte weiterfahren. Was soll´s, vielleicht nahm sie mir ja nur den Wurzenpass übel oder sie mochte Slowenien nicht, als echte Italienerin, wer weiß das schon.

Nach Tarvis ging es hinauf zum Predil-Pass.

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Bild: Der Predil-Pass mit grandiosem Blick auf die slowenischen Berge

Ich blieb an einem Wirtschaftshof stehen und wollte einen Mann fragen, wann es auf der Strecke durch Slowenien die nächste Tankstelle gäbe. Er konnte aber kein Wort Deutsch, auch nicht Englisch oder Französisch. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er Italienisch konnte, aber auf meine mit Händen und Füßen unterstützte Anfrage meinte er, dass ihm keine Tankstelle in Slowenien bekannt wäre. Also fuhr ich weiter. Allerdings nicht sehr weit, dann machte der Motor Probleme. Er stotterte wie am Vortag, nahm nur schlecht Gas an und ich rollte irgendwann aus, mit Panne Nr. 6. Das erste Mal versagte der Motor. Ich schob die Kiste hundert Meter weiter zu einer Hauseinfahrt und wurde von zwei großen, schlecht gelaunten Hunden mit viel Gebell empfangen.

Ich hatte mit den Hunden die schlechte Laune gemeinsam, sonst allerdings nichts, denn ich war eher schmähstad bis kleinlaut, aber auch wütend: Was war da los mit dieser Scheiß-Kracksn? Ich hatte so viel Geld, Zeit und Mühe in diesen Motor gesteckt und das gesammelte Wissen guter Freunde und Vespa-Spezialisten war hier vereint. Warum lief sie nicht?
Es war heiß und es gab keinen Schatten in der Einfahrt, also erst einmal Jacke, Helm, Handschuhe und Nierengurt ausziehen. Dann tauchte eine nette Dame auf, die gut Englisch konnte. Ich erklärte ihr mein Problem und sie meinte, ein paar hundert Meter weiter wäre jemand, der sich vielleicht auskennen würde, eine Art Traktor-Werkstatt und sie müsse jetzt wegfahren. Sie würde mich aber gerne mitnehmen, wenn mir das helfen könnte. Ich war ihr dankbar, lehnte aber ab. Sie meinte, sie wäre ohnehin in einer halben Stunde wieder da und dann würden wir sehen, ob ich ihre Hilfe noch bräuchte. Und wegen der Hunde solle ich mir keine Sorgen machen, die bellen nur viel und laut und hätten Angst vor der chromblitzenden Vespa.

Sie fuhr weg und ich fing an mit den Zerlegungsarbeiten. Sturzbügel runter, Seitenbacke runter, Vergaserwannendeckel runter – doch die Sichtkontrolle ergab nichts, außer der üblichen Sauerei in der Wanne, hervorgerufen durch den Blowback der Kurbelwelle, vielleicht etwas stärker als sonst, aber ich führte das auf die besonderen Anstrengungen zurück. Dann fiel mir ein, dass ich ja in einer Seehöhe gewesen war wie noch nie zuvor. Dort ist die Luft dünner – das weiß ich aus eigener Erfahrung der Besteigung hoher Berge – und das könnte Auswirkungen auf das Gemisch haben. Dünnere Luft müsste bedeuten, dass das Gemisch fetter wird, vielleicht ja zu fett. Also raus mit der Zündkerze und siehe da: komplett schwarz, verrußt und ölig. Dass sie da nicht mehr ordentlich geht und schlecht anspringt ist klar.
Ich war froh, den Fehler gefunden zu haben und baute alles wieder zusammen, nachdem ich die Kerze mit der Bürste gereinigt hatte. Sie sprang auf den ersten Kick an und ich konnte mit gut laufendem Motor weiterfahren. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, welcher Schaden sich wahrscheinlich hier schon anbahnte. Und vielleicht war das gut so, denn ich hatte sowieso schon Zweifel, es bis Rom zu schaffen. Zeit für einen Tipp.

Tipp: Tourenmotoren
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, den 200er Motor etwas zu tunen, wenn auch nur um 2-3 PS. Das sollte man aber nur tun, wenn man ein wirklicher Spezialist ist, der sich auch in schwierigsten Situationen zu helfen weiß und die Nerven behält. Es gibt Menschen, die das alles ganz locker sehen und vor keiner Panne Angst haben. Ich gehöre leider nicht dazu. Ich empfehle daher den 200er Motor uneingeschränkt, aber in der absoluten Originalversion. Er hat da auch viel Kraft und läuft normalerweise problemlos, wenn er sauber aufgebaut wurde, idealerweise mit Originalteilen, sofern diese zu bekommen sind. Alle Nachbauteile sind ungenau gefertigt und Quelle möglicher Fehler. Das beste sind NOS-Teile (als New Old Stock, Neuteile aus einem alten Lagerbestand, somit aus einer Zeit, als Piaggio noch genaue Qualitätskontrollen hatte). Das bewahrt nicht vollständig vor Schäden und Pannen, macht diese aber deutlich seltener. Die Einstellung eines Tourenmotors ist immer eine Nuance fetter, damit bei heißen Bedingungen auf langen Etappen nichts passiert. Bei einem Originalmotor ist man dann auf der sicheren Seite.

Ich stellte also auf Verdacht die Gemischschraube eine Viertelumdrehung magerer, weil sie sowieso eher fett eingestellt war. Leider wurde dadurch das „Stampfen“ stärker, das auch vorher schon zu spüren war, wenn auch nur leicht. So nenne ich es, wenn der Motor im Schubbetrieb, also bergab ohne Gas seltsam zu ruckeln beginnt. Angeblich ist das ein Zeichen dafür, dass sie zu mager läuft. Lag es doch nicht an der dünnen Luft? Aber woran dann?

Tipp: Ein stoisches Gemüt
Die griechischen Philosophen aus der Schule der Stoiker gelten heute als Vorbilder in Gelassenheit. Angeblich konnte sie nichts erschüttern. Ich empfehle ebenfalls so eine Einstellung, wenn man sich eine Gewalttour wie die meine antun will. Ich selbst bin es nämlich nicht oder nicht oft genug. Es gibt auch die Variante, sich mit Vespas überhaupt nicht auszukennen und einfach drauflos zu fahren. Ich kenne Leute, bei denen ist das bis in die Türkei und zurück gut gegangen. Sie hatten keine Ahnung, was da unten läuft und wie, sie wussten nicht einmal, wo der Vergaser ist. Sie hatten ihren Chokehebel, ihren Benzinhahnhebel und ihren Kickstarter. Und sie fuhren einfach so lange, wie die Kiste lief. Wenn es dann aus war, konnten bzw. mussten sie sich einen Spezialisten suchen, der sich mit dem Ding auskennt.
Wer genau weiß, was sich da unten abspielt und jede Schraube beim Vornamen kennt, kann zwar meist selbst reparieren, wenn er die notwendigen Ersatzteile und das Werkzeug dabei hat, läuft aber auch Gefahr, ständig auf die Geräusche des Motors zu hören. Das trübt die Freude an der Tour, weil man mit dem Gefährt beschäftigt ist, anstatt sich die schöne Landschaft anzusehen und die Fahrt zu genießen.

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Bild: Das Tal mit tiefen Schluchten, unten fließt die Soca türkisblau

Ich war nun in so einer Situation und konnte das wunderbare Soca-Tal nur bedingt genießen. Und es war genau das eingetreten, was ich durch meine lange Planung und Vorbereitung verhindern wollte: Motorprobleme, die ich nicht in den Griff bekam, weil ich nicht wusste, woran es genau liegt. Das bewirkt eine gewisse Angst irgendwo liegen zu bleiben. Ich musste erst lernen, damit umzugehen, so schien es.

Doch vorerst lief die Vespa wieder gut, auch wenn ich sie schonte und nicht oder nur selten Vollgas gab. Die nette Dame hatte mir übrigens verraten, dass es ohnehin genügend Tankstellen am Weg gäbe und so hatte ich eine Sorge weniger.
An einer schönen Stelle stand eine Bank im Schatten und das war genau der richtige Platz für die Mittagspause.

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Bild: Mittagspause, wieder auf einem Bankerl

Die Wurstsemmeln mundeten hervorragend und ich merkte, dass der Wasserbedarf stark anstieg. Entspannt startete ich die Vespa – oder versuchte es zumindest. Sie sprang nämlich wieder nicht an. Aus der Entspannung wurde sofort wieder Stress und ich fing erneut mit der Tortour an: Helm runter, Handschuhe ausziehen, Rucksack abnehmen, Jacke ausziehen, Nierengurt runter, Werkzeug rausfummeln, Sturzbügel, Seitenbacke, Zündkerze raus, putzen – und das alles wieder retour.
Zum Glück sprang sie wieder an und ich fuhr weiter, wieder ein Stück mehr verunsichert. Der Genuss der traumhaften Strecke (viele Motorräder, manche grüßen einen vollbepackten Vespa-Fahrer) wich dem ständigen Hinspüren und Hinhören: was kreischt, was scheppert, was klingelt, wie dreht der Motor, dreht er oben aus, nimmt er unten Gas an, ändert sich das gerade wieder…

In Nova Gorica verfuhr ich mich das erste Mal und stoppte an einer Schnellstraßenkreuzung. Ich fuhr bei einem Kreisverkehr ab und erwischte einen Autofahrer, den ich nach dem Weg nach Italien fragen konnte. Er schickte mich wieder auf den richtigen Weg. Die Beschilderung war so schlecht, dass das für mich nicht eindeutig erkennbar war. Er wusste aber, wo es lang ging und das passte auch, zumindest bis Gorizia, dem Nachbarort von Nova Gorica, wo ich wieder fragen musste.
Diesmal erwischte ich zwei junge Herren, die wieder kein Wort Englisch konnten, aber sehr nett und hilfsbereit waren. Ich musste nach Monfalcone und sie konnten mir irgendwie erklären, dass ich Richtung Triest fahren müsse und ein paar Kilometer vorher rechts ab.
Das klappte auch gut und ich merkte langsam, dass sich die Landschaft veränderte, mediterraner wurde, mit den ersten Pinien und Zypressen und auch die Temperatur stieg merklich an. Jetzt bewährte sich das erste Mal die Air-Flow-Jacke und auch der Motor schien rund zu laufen. Sie war jetzt auch ein paar Mal problemlos angesprungen und ich hoffte, dass mit den Bergen auch die Probleme hinter mir lagen.

Dann erreichte ich Monfalcone und verfuhr mich zum zweiten Mal. Die Karte war für die vielen Kreisverkehre und Abzweigungen zu ungenau und ich fuhr nach Gefühl. Dann blieb ich bei einer Tankstelle stehen, weil sie ein paar schattige Plätze unter großen Bäumen bereit hatte. Mein Plan eine Flasche Wasser zu kaufen schlug grandios fehl, weil die Tankstellen in Italien fast immer zu Mittag geschlossen haben, so von 12 bis 15.30 Uhr etwa. Früher konnte man da gar nichts machen außer warten, heute haben fast alle auf Tankautomaten umgestellt. Das ist aber tricky, denn erstens nehmen sie nicht immer die Karten, die man gerade eingesteckt hat und sie sind auch bei den Euro-Scheinen recht wählerisch. Zweitens kann man nur mit 5, 10 oder 20 Euro Scheinen tanken, d.h. manchmal bekommt man den Tank nicht voll, dann wiederum schenkt man der Tankstelle den einen oder anderen Liter. Da dürfte für die Mineralölfirmen bzw. Tankstellenpächter ein ganz nettes Körberlgeld dabei herausschauen, die Tankautomaten geben nämlich nicht retour.
Ich brauchte gerade keinen Sprit, aber Wasser wäre fein gewesen, es war nämlich extrem heiß und etwa 14 Uhr. Und ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich fahren musste.
Dann kam eine Italienerin auf einem Fahrrad vorbei, die gerade telefonierte. Da sie die einzige seit vielen Minuten war, die überhaupt hier vorbei kam, außer natürlich den vorbeiflitzenden Autos, hielt ich sie auf und fragte sie höflich, wo es denn hier nach Cervignano ginge. Sie war etwas unwirsch, dass ich sie während ihres Telefonats anzusprechen wagte und außerdem konnte sie kein Wort Englisch. Sie fuhr dann einfach weiter, telefonierend.

Also zückte ich zum ersten Mal das Navi, das ich mir ausgeborgt hatte (Danke Michi Bernleitner!). Leider wurde ich damit nicht glücklich. Erstens spiegelte der Bildschirm, zweitens wackelte das ganze Ding so gewaltig, dass während der Fahrt nichts abzulesen war und drittens kam ich mit den Pfeilen zwar zurecht, nicht aber mit den Angaben. Das Navi zeigt nämlich immer die nächste Straße an, ich weiß aber natürlich nicht, ob ich auf der überhaupt fahren will. „500 m geradeaus und dann links abbiegen“ wäre viel besser. Ich habe nun einmal wenig Erfahrung mit Navis und blieb daher bald bei einem Pärchen stehen, das sich gerade bei einem Gebrauchtwagenhändler umsah. Die konnten sogar ein paar Worte Englisch und meinten, ich wäre ohnehin auf der richtigen Straße und müsse nur den blauen Schildern folgen, das wäre quasi die Bundesstraße. Nur grün wäre schlecht für mich, das ist die Autobahn.

Motiviert fuhr ich weiter und war kurz darauf tatsächlich auf der richtigen Straße, der ich jetzt nur bis Jesolo folgen müsste. Es würde zwar noch eine Zeit lang dauern, aber die Vespa lief gut, sprang jetzt auch im Warmzustand gut an und nach einiger Zeit fand ich auch eine Tankstelle mit einem echten Tankwart. Dieser war sogar sehr freundlich und zeigte mir sofort, wo ich Wasser kaufen könnte, nämlich in der bereits offenen Bar daneben.
Es sind diese kleinen Begegnungen, die mich als Alleinreisenden sehr stützen. Sie sind wie Inseln im weiten Meer, denn die Straße ist nicht gerade freundlich zu einem Zweiradfahrer mit einer 39 Jahre alten Vespa. Ständig zischen Autos vorbei, eines größer als das andere. Je flacher die Gegend wurde, desto mehr Geländewagen fuhren herum. Sie sind am aggressivsten, vielleicht haben sie besonders viel zu beweisen, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall überholen sie sehr knapp und bremsen sich dann vor dir stark ein, weil davor schon das nächste Auto fährt. Solche Manöver sind für meine kleinen Trommelbremsen sowie für meine Reaktion immer eine ziemliche Herausforderung.
Die anderen sind auch nicht angenehmer. Sie zittern möglichst weit in Fahrbahnmitte elendslangsam vor dir her und machen sich ständig in die Hose. Wenn ich sie überholen will, steigen sie aufs Gas und fahren noch mehr in Richtung Mittellinie. Was ist los mit den Italienern? Wo sind die ganz normalen Autofahrer, quasi die goldene Mitte? Oder hab ich mir das alles nur eingebildet? Jedenfalls war ich da und dort froh über den einigermaßen starken Motor, mit dem ich hin und wieder flott überholen konnte. Außerdem eignete ich mir langsam die italienische Fahrweise an, die lautet für Roller: seitlich vorbei, auch rechts, den Vorteil des schmalen Gefährts nützen und hoffen, dass sie dich nicht übersehen.

Nach längerer Zeit und ziemlichen Genickschmerzen erreichte ich Jesolo und fuhr dann noch einige Kilometer weiter nach Cavallino. Dann war ich nicht nur langsam selbst am Ende, sondern auch am Ende einer kleinen Sackgasse angelangt und stand vor einem großen Eisentor. Dahinter jedoch sah es wunderbar aus, wobei an diesem sehr anstrengenden Tag jedes Reiseziel wunderbar ausgesehen hätte.

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Bild: Das Haus von Helga und Sigi Karlegger

Ich war in der Ca´Casson angelangt, und die Website verspricht nicht zuviel, wenn sie meint „Bed & Breakfast in einer anderen Welt“. Auf der Website www.karlegger.it finden sich alle notwendigen Informationen. Helga und Sigi haben vor ca. 10 Jahren diesen alten Bauernhof gekauft und komplett umgebaut. Sie haben nicht allzu viele Zimmer und es ist daher notwendig, rechtzeitig zu buchen oder Glück zu haben. Ich hatte das Glück und durfte dort übernachten, zu einem ausgesprochen fairen Preis übrigens. Aber darum ging es nicht. Ca´Casson war mir ein Zufluchtsort, fast ein Stück zuhause, eben eine andere Welt als das Drumherum, nämlich Jesolo in der unmittelbaren Nähe.
Wer hier ankommt, durchschreitet nicht nur ein Tor, sondern findet sich in einer ganz speziellen Atmosphäre wieder. Helga und Sigi sind Südtiroler und Cavallino ist ihre Wahlheimat. Sie betreiben den Hof mit sehr viel Engagement und Liebe und das ist überall zu spüren. Sie haben viele Obstbäume gepflanzt und die Zimmer sind extrem gepflegt und auf sehr hohem Standard.

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Bild: Das Bad

Ich kam als Fremder und wurde sofort als Gast aufgenommen. Das war mir als Alleinreisender nach einer extrem anstrengenden Tagesetappe sehr viel wert. Nach einer Stunde Entspannung kam langsam der Hunger hoch. Helga empfahl mir eine spezielle Pizzeria, denn dort würde es noch echte italienische Pizza geben. Auch die Einheimischen gingen dorthin und die Preise wären sehr fair.
Vorher empfahl sie mir aber noch ein kleines Bad in der Adria. Also ging ich die 900 Meter nach vor zum Strand, der in Cavallino ein freier Strand ist, ganz im Gegenteil zu Jesolo, wo man in einem der vielen Hotels absteigen muss, um den Strand benützen zu dürfen.
Zwei nette Damen waren einverstanden für ein paar Minuten auf meine Sachen aufzupassen und ich konnte schwimmen gehen. Das war herrlich für mein komplett verspanntes Genick und überhaupt für den ganzen Körper.
Ansonsten reißt mir der Strand dort nichts aus. Ein langer Sandstrand, man muss lange waten, bevor er Schwimmtiefe erreicht. Viele Liegestühle, klassische Adria-Strandkulisse, so hatte ich es mir vorgestellt. Viele Kinder, die Muscheln sammeln und Sandburgen bauen. Eltern in gutem Fütterungszustand, meist bundesdeutscher Herkunft und natürlich viele aus Wien.

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Bild: Strand in Cavallino, Adria

Ich machte noch einen kurzen Strandspaziergang, ein etwa zehnjähriger dicker deutscher Bub mit famosem Sonnenbrand versuchte sich als Kaufmann: „Muscheln zu verkaufen, das Stück nur 50 Cent“ plärrte er ständig, aber niemand interessierte sich dafür.

So will und werde ich nie Urlaub verbringen. Beim Heimweg ging ich dann an einer der zahlreichen Wohnwagensiedlungen vorbei, aus dem Sumpf nebenan roch es gar schröcklich und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das ein Genuss ist. Wie grauenvoll muss es erst daheim sein, wenn man im Urlaub das aushält:

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Bild: Wohnwägen, Deichsel an Deichsel

Der Tag war noch nicht zu Ende. Im Garten von Helga sah ich einen seltsamen Vogel herumhüpfen – ein Wiedehopf. Der erste meines Lebens. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen, vor allem nicht das Abendessen (Pizza, nicht Wiedehopf). Ich machte mich nach einer ausgesprochen verdienten Dusche auf den Weg in die Pizzeria La Laterna (www.lalanterna.info) und erlebte mit Freude, dass es in Italien doch noch wirklich gute Pizza gibt. In Wien suche ich das seit Jahren leider vergeblich, auch die Lokale, die früher gute Pizza gemacht haben, können oder wollen es nicht mehr. Entweder bekomme ich die American Pizza mit dickem Teig und noch dickerem Belag aus Kunstkäse und Formschinken, oder eine mit einigermaßen brauchbarem Teig und der richtigen Belagstärke, dafür aber komplett geschmacksbefreit. Wo sind die Pizze, die ich noch in meiner Jugend verzehren durfte, die so herrlich dufteten und noch besser schmeckten? Mit Oregano und fallweise Knoblauch, mit würziger Paradeissauce und Mozarella, der noch richtig Fäden zieht? Alle Tipps für Wien erwiesen sich bisher als Reinfall. Geschmack ist offenbar nicht mehr gefragt, Aussehen reicht – so wie bei modernen Vespas, wo das Design zählt und nicht mehr die Qualität darunter.
In Cavallino bekam ich sie nun, nach vielen Jahren Abstinzenz.
Und die Aussagen, dass Italien so teuer geworden wäre, erwiesen sich als nicht zutreffend. Große Pizza samt zwei Achterln Wein, einem Liter Wasser und dem Gedeck kamen inklusive Trinkgeld auf 17 Euro. In der Hochsaison in einem Lokal, in das zur Hälfte Touristen gehen. Noch Fragen?

Da musste ich beim Gehen noch zum Koch, der allerdings gerade mit einer Pizza beschäftigt war. Sofort kam die Chefin zu mir und fragte mich, was los wäre. Als sie kapierte, dass ich nicht reklamieren, sondern nur das tolle Essen loben wollte, wich der irritierte Gesichtsausdruck und sie freute sich sichtlich.
Satt und zufrieden ging ich nach Hause, die Vespa-Probleme waren in ausreichend weite Ferne gerückt und die Zuversicht wieder spürbar.

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Bild: Sonnenuntergang an der Lagune von Venedig