Zur Demokratie

Zwei Volksbegehren sind gescheitert – ein guter Anlass um über Demokratie nachzudenken.

Sind wir müde, lasch und in Folge undemokratisch? Überlassen wir die Macht und die Regierung den falschen Leuten? Diese und ähnliche Fragen gibt es zuhauf. Ich kann sie nicht alle beantworten, sondern möchte eher Eindrücke niederschreiben.

Auch ich bin da nicht gerne hingegangen. Für das Demokratiebegehren konnte ich gar nicht unterschreiben, weil da habe ich irgendwann vor einem Jahr schon irgendwo eine Petition oder etwas ähnliches unterschrieben und das gilt bzw. galt für das jetzige Begehren.
Genau hier liegt das Problem. Ich bin jemand, der noch relativ viel engagiert ist und auch ich wusste letztlich nicht mehr was ich wann und wogegen ich wann und wie unterschreiben habe.
Gehen wir das Punkt für Punkt durch:

1.) Es herrscht Themenvielfalt und das irritiert.
Es gibt Begehren gegen die Kirchenprivilegien und für die Bienen. Es gibt Aufrufe die armen Hunde in der Ukraine zu retten. Oder sind es die armen Katzen in Tschetschenien? Und gegen Monsanto, stimmt, das ist gerade aktuell. Oder ist das identisch mit dem gegen die Bienen? Nein, das war für die Bienen und gegen… gegen wen eigentlich?
Ich kenne mich nicht mehr aus und kann das nicht unterscheiden. Was ist ernst gemeint und was ist ein lebender Hoax, wie im Internet? Welches süße Hündchen wird wirklich umgebracht und welches Arme Kind ist tatsächlich verschwunden?
Und ich kann und will mir die Infos nicht mehr holen. Ich brauche zwei bis drei Tage um nur die Texte der Begehren zu lesen, die ich gerade unterschreiben soll. Das sind sie mir nicht wert. Daher unterschreibe ich nur mehr, wenn mich jemand persönlich dazu auffordert, dem ich vertraue, dass das Begehren in meinem Sinne ist, auch ohne dass ich es genau gelesen habe.
Die Begehren sind somit nur erfolgreich, wenn sie in genügend großen Netzwerken mit Nachhaltigkeit und Engagement betrieben werden. Dazu gehört auch positive mediale Berichterstattung.

2.) Es ist quantitativ zu viel.
Erstens ist es in Summe einfach zu viel. Genauso wie es derzeit und schon seit einigen Jahren zu viele Veranstaltungen gibt, zu denen ich abends hingehen sollte. Und eigentlich oft gar nicht mehr will. Vernissagen, politische Veranstaltungen jeglicher Art, Parties, Kinobesuche, Eislaufen im Winter und Rad-Demos im Sommer. Und die Freunde treffen. Und die Stammtische. Am Mittwoch etwa ist unser alter Stammtisch der Greifensteinrunde. Und genau da ist auch die Laufrunde der Grünen Währing angesetzt.
Ich kann mich nicht vierteilen und ich will es auch nicht. Also wähle ich aus und hoffe, dass ich nicht vergesse den anderen abzusagen. Selbst Gratis-Buffets locken mich nicht mehr, weil die bekomme ich überall. Einen Abend ausschnaufen, einfach nichts tun? Das spielt es nur sehr selten.
Ich habe das Gefühl, dass nicht mehr ich als Person begehrt bin, sondern ich als Füllperson, damit die vielen Veranstaltungen nicht aussehen als ob sich keiner dafür interessieren würde.
In der Politik bin ich nicht Füllperson sondern Stimmvieh. Gibt es genügend UnterschreiberInnen für ein Begehren? Soll man noch schnell auf der Straße jemand abfangen um eine Unterschrift zu bekommen? „Bitte, bitte, uns fehlt noch irgendwer. Wer Sie sind ist uns egal, Hauptsache Sie unterschreiben!“
Was ist das für ein Begehren, das nur auf Quantität geht? Schon Sokrates hat in seiner Abschiedsrede der Nachwelt den Tipp gegeben die Suche nach der Wahrheit nicht durch die Suche nach der Mehrheit zu ersetzen.
Die Menge schwächt die Kraft jeder einzelnen Initiative. Das ist wie mit dem Geld und der Inflation.

3.) Ich bin satt.
Wofür oder wogegen unterschreibe ich wirklich? Ein paar Promis werden zu einem Fotoshooting geholt und – wie eigentlich? – überredet oder überzeugt ihr Gesicht für oder gegen etwas zur Verfügung zu stellen. Ein Volksbegehren braucht scheinbar ein Marketing, damit es funktioniert. Wie schwach muss ein Anliegen sein, wenn es beworben werden muss? Kein Wunder, dass niemand hingeht. Wir sehen täglich Unmengen an Werbung und wollen nichts mehr kaufen. Die Volksbegehren sind zusätzlicher Konsum und ich bin satt.
Hier darf ich auch die Theorie der „Verhausschweinung des Menschen“ meines Vaters nicht unerwähnt lassen:
Er war seinerzeit bei einem Bekannten südlich von Nairobi auf dessen brandneuer Farm zu Gast. Diese Gegend grenzt an den Nairobi-Nationalpark und hat somit quasi direkten Kontakt zur Wildnis (das ist heute auch in Kenia nur mehr eher selten der Fall). Seine tolle Geschäftsidee: Er brachte schöne fette rosa Hausschweine aus Europa mit nach Afrika. Wie sich herausstellte, war die Geschäftsidee doch nicht ganz so toll, weil in einer der ersten Nächte kamen Löwen in die Nähe der Farm und rochen die fetten, auch für Löwen wohlschmeckenden Schweine. Und die Schweine rochen die Löwen. Dann brüllten die Löwen und die Hälfte der Schweine fiel tot um. Vor Schreck an Herzinfarkt gestorben.

Kurz danach machte mein Vater eine Safari ins Wildreservat Masai Mara und beobachtete bei einem „Game Drive“ eine Familie Warzenschweine, die von einem Rudel Löwinnen ins Visier genommen wurden. Die Löwinnen kreisten die Schweine ein, mussten aber eine Öffnung frei lassen, weil von dort der Wind kam. Dann stürzten sie auf die Schweine los. Die Bache hielt kurz inne und rannte dann mitsamt ihren Ferkeln blitzschnell durch die Lücke. Die Löwinnen gingen leer aus.

Hausschweine halten nichts aus, zumindest im Vergleich mit Warzenschweinen, die sich in der Wildnis behaupten müssen. So ähnlich ergeht es uns Menschen, die wir in den „reichen Industriestaaten“ leben, die eigentlich schon keine mehr sind, denn die Industrie ist längst nach Asien abgewandert. Wir sind auch fett geworden und diskutieren, ob Android oder iOS das bessere Betriebssystem für unsere Smartphones ist und ob der neue Audi Q3 besser ist als der Q5. Oder vielleicht doch der X3 von BMW?

Wir haben unsere Ruhigsteller (American Pizza, Flatscreen, Handy, Auto, Bierchen) und sie funktionieren hervorragend. Die Schwelle schwappt auf einer Fettwelle immer höher, auch geistiges Fett ist dabei. Warum soll ich zum Gemeindeamt rennen, was habe ich davon? Ich greife statt dessen zum Handy und rülpse „noch eine Big Pizza mit doppeltem Käse“ hinein. Das ist einfacher und den Effett spüre ich sofort.

4.) Kein klares Ziel
Was ist das Ziel des Volksbegehrens und wie wird es sich auswirken? Wir sehen die Zusammenhänge nicht mehr, denn wir sehen statt dessen die Folge 238 von „Julia im Tal der wilden Pferde mit weißen Rosen“ (oder weiße Pferde mit wilden Rosen, das ist egal). Dass der Meeresspiegel in Bangladesh ansteigt interessiert uns nicht, denn wir leben nicht am Meer.
Auch hier bietet sich ein archaischer Vergleich an: Unsere Vorfahren vor 30.000 Jahren wussten, dass sie den Winter nicht überleben, wenn sie im Herbst nicht genügend Vorräte sammeln und jagen. Wir haben vor der Türe das Auto und können jederzeit in den nächsten Supermarkt fahren. Dort bekommen wir rund ums Jahr alles und davon jede Menge, ununterscheidbar nach Jahreszeiten oder Konjunktur. Nicht nur Big Pizza ist immer reichlich vorhanden.

5.) Was wird es bewegen?
Wird es überhaupt etwas bewegen und wenn ja, dann was? Viele Menschen meinen derzeit, dass es sowieso nichts bringt, denn die bisherigen Volksbegehren haben auch nichts gebracht. 2,5 Mio. Menschen haben gegen das Konferenzzentrum unterschrieben und es wurde trotzdem gebaut. Das gilt für fast alle, vielleicht sogar für alle Volksbegehren. Wenn es mehr als 100.000 Unterschriften hat, muss sich das Parlament damit beschäftigen. Und? Wenn der Rechnungshof ein Unternehmen heftig und scharf kritisiert, was ändert sich dann dort? Wir haben gelernt: nichts. Gar nichts. Das Parlament will sich damit nicht beschäftigen und daher tut es das auch nicht. Es gibt dann eine Alibi-Diskussion und als einigermaßen gelernter Österreicher weiß ich, dass die Beschlüsse woanders gefasst werden und sicher nicht im Parlament.
Ich bin es leid meine Zeit zu verschwenden.
Und ich mag auch die Frage nicht, ob sich das klassische Volksbegehren links oder rechts außen selbst überholt hat und wir statt dessen „online voten“ wollen. Soll das Engagement so leicht sein wie die Bestellung der oben genannten Pizza? Reicht ein Rülpser ins Handy? Wahrscheinlich finden demnächst honorige Wissenschafter heraus, dass jeder Mensch eine eindeutig individuelle Rülpssignatur hat, viel genauer als ein Fingerabdruck. Dann bekommst Du bei der Identifikation am Flughafen keine Tinte auf die Finger sondern eine Cola.
Das Ergebnis ist dann so verbindlich und eindeutig wie eine telefonische Meinungsumfrage oder wie ein „Gefällt mir“ auf Facebook. Die fixen Zusagen zu unseren Veranstaltungen brechen wir heute schon medienspezifisch herunter. Facebook-Zusagen gelten zu 50%, Tendenz fallend.

Vielleicht muss es uns erst weh tun. Und der Stachel wird dick und lang sein müssen, um unsere geistigen und körperlichen Schichten durchdringen zu können. Am schwierigsten wird die letzte, sehr harte Schichte sein: die der Gewohnheit.