Die jungen Männer

Die geneigten Leserinnen und Leser mögen sich auf einen längeren Artikel einstellen, da ich die Problematik von mehreren Seiten beleuchten muss, in guter philosophisch-kritischer Tradition.
Dies ist kein wissenschaftlicher Artikel, sondern ein Weblog-Beitrag und soll auch als solcher verstanden werden: als Anreiz zu diskutieren und sich seine eigene Meinung zu bilden.

Die Ideen dazu habe ich schon seit Jahren, bekam aber erst durch einen Artikel den Fokus darauf. Ein weiterer Auslöser war eine Diskussion mit meinem lieben Freund Allan, der meinte, der Islam per se sei eine echte Bedrohung für unsere Kultur – ein bisschen übertrieben könnte man sagen: In ein paar Jahren gibt es keine Kirchen mehr, sondern nur mehr Moscheen und wir werden alle gezwungen zum Islam zu konvertieren.

Ich habe da so meine Zweifel und war eher instinktiv der Meinung, dass da etwas ganz anderes dahinter steckt. Und dann kam der Artikel, der vieles, wenn auch nicht alles recht brauchbar zusammenfasst. Hier ist der Link dazu:

http://www.nzz.ch/articleeo5x7-1.76650

Zusätzlich habe ich den Artikel (er ist eigentlich ein Interview) ans Ende dieses Beitrags gehängt (u.a. weil ich nicht weiß, wie lange der Artikel online bleibt) und empfehle, nach dem akademischen Prinzip (zuerst lesen, dann mitreden) vorzugehen und ihn jetzt gleich zu lesen (also einfach runterscrollen bis zur Überschrift).
Für alle, die das nicht gleich lesen wollen, hier eine Zusammenfassung:

Heinsohns These zu Krieg und Gewalt

Sind in einer Gesellschaft mehr als 30 Prozent aller Männer zwischen 15 und 29 Jahre alt, so kommt es mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Gewalt, in Form von Bandenkriminalität, Revolutionen, Bürgerkriegen, Genoziden oder Eroberungskriegen. So lautet die These des deutschen Völkermordforschers Gunnar Heinsohn. «Youth Bulge» nennt er das Phänomen. Das englische Wort bulge steht für die entsprechende Beule in der Bevölkerungspyramide.
Heinsohn wendet die These auch historisch an: Europas Mütter hätten zwischen 1500 und 1914 so viele Söhne gehabt wie heute die Mütter Afrikas. Deshalb hätten sich die Europäer neben ihren Kriegen daheim auch noch gewalttätig 90 Prozent der Erde geholt. Ein Youth Bulge sei auch die Ursache gewesen für die Phase der Diktaturen und Guerillas in Lateinamerika. Die überschüssigen Söhne hätten sich damals weggetötet – als Guerilleros für die Freiheit oder Soldaten für das Gesetz. Und zur Situation in den islamischen Ländern sagt Heinsohn: «Seit 1950 haben Mütter in islamischen Ländern drei bis vier Söhne, die oft als Islamisten für einen noch reineren Glauben vorwiegend andere Muslime töten, aber – wie zuvor die Europäer – auch Imperien aufbauen wollen.»

Grob zusammengefasst enthält der Artikel folgende These: Der Islam ist nur ein Vehikel zur Radikalisierung junger Männer. Sie sind das eigentliche Problem, wenn sie in zu großer Zahl auftreten – egal wo, wann und warum.

Zu Beginn möchte ich meinen eigenen Zugang darstellen. Er setzt sich aus einer Vielzahl von Beobachtungen zusammen, die ich in den letzten Jahren beruflich und privat gemacht habe.

1.) Die Betriebsübergabe von Familienunternehmen
Ein Betrieb wurde aufgebaut und es kommt der Zeitpunkt der Übergabe. Drei Söhne und zwei Töchter sind vorhanden, alle haben das gleiche Recht auf ein Erbe. Wenn es neben dem Betrieb noch entsprechend viel Vermögen gibt, ist eine Einigung meistens möglich. Wenn dies nicht der Fall ist, müsste der (unteilbare) Betrieb verkauft und der (teilbare) Erlös aufgeteilt werden. Dann ist aber die bisherige Ernährungsgrundlage fort.
Töchter kann man oft noch verheiraten, Söhne bleiben da, außer man kann für sie eine Alternative finden, bei der sie nichts erben. Früher hat man sie z.B. in ein Kloster geschickt oder eben in den Krieg.
Auf dieses Problem stoße ich immer wieder und es hat schon oft zum Scheitern der Betriebsübergabe geführt.

2.) Die Grundwidersprüche
Es gibt für uns Menschen vier Grundwidersprüche, die nicht auflösbar sind und unser Leben beeinflussen: männlich-weiblich, Eines-Vieles, Leben-Tod und alt-jung.
Alle vier spielen in unserem Thema eine Rolle: Es geht um junge Männer, die im Gegensatz zu Frauen ein spezielles Problem darstellen, es geht um Individuum versus Gemeinschaft, denn die jungen Männer sind nur ein Problem, wenn sie in einer Vielzahl auftreten, und es geht auch fast immer um die Existenz, also um den Grundwiderspruch zwischen Leben und Tod.
Vor allem aber geht es um das Thema alt – jung. Als ich vor vielen Jahren in Niederösterreich am Begräbnis eines Onkels war, konnte ich zwei Schilder entdecken, die links und rechts vom Friedhofseingang angebracht waren. Auf einem stand geschrieben „Ihr seid, was wir waren“ und am anderen „Wir sind, was ihr werdet.“
Mich haben diese Sprüche berührt und zum Nachdenken gebracht. Das Junge und das Alte können nicht miteinander, sie sind einander in ewiger Feindschaft zugetan. Die Jungen beneiden die Alten für das, was sie haben (Geld, Macht, Recht, Erfahrung) und die Alten können den Gedanken schwer ertragen, dass den Jungen die Zukunft gehört. Dieser Widerspruch ist aus meiner Wahrnehmung umso stärker, je patriarchaler eine Gesellschaft ist. Mit anderen Worten: Je mehr Macht alte Männer haben, desto mehr Angst gibt es vor jungen Männern.
Wenn dann die Eigentumsschere noch stark auseinander klafft, so wirkt dies noch als zusätzlicher Verstärker: Es gibt wenige, sehr reiche alte Männer und sehr viele arme, junge Männer. Wobei – das stimmt nicht ganz, sie sind auch reich: an Zukunft, an Potenz, an Energie und an Veränderungsbereitschaft – all das haben die alten Männer nicht mehr.
Das führt dazu, dass die alten Männer ihre Macht noch weiter absichern wollen. Am besten gelingt das, wenn sie möglichst viele junge Männer töten. Da sie das nicht selbst tun können, erschaffen sie Strukturen, um sie gegeneinander aufzuhetzen, bis sie sich gegenseitig umbringen. So ziemlich alle Kriege der letzten 10.000 Jahre haben so funktioniert. Es geht dabei oft überhaupt nur mehr darum, die jungen Männer loszuwerden. Das beste Beispiel ist die „Blutpumpe von Verdun“. Auf dem Schlachtfeld von Verdun starben im 1. Weltkrieg im Zeitraum von 1,5 Jahren täglich im Schnitt 1.000 junge Männer, ohne dass dies auch nur irgendeinen anderen Effekt hatte – kein Schlachtensieg, kein Land- oder Territoriumsgewinn, kein Strategievorteil für irgendeine Seite – gar nichts, absolut nichts, außer junge, tote Männer.
Irgendwo, stets hinter den Linien in Sicherheit entscheiden ausschließlich alte Männer über das Schicksal der jungen Männer – da kann ich nur schwer an Zufall glauben. Mir fällt immer der alte Löwe ein, dessen letztes Stündlein naht, wenn er den Kampf gegen einen jungen Rivalen verliert. Hier wie dort geht es um die Weibchen/Frauen.
Der alte Löwe hat nicht die Möglichkeit zu verstehen, dass er sich bereits erfolgreich fortgepflanzt hat und dass es jetzt sinnvoll wäre, einem jungen Platz zu machen. Er versucht so lange an der Macht zu bleiben, bis es nicht mehr geht. Alte Männer verhalten sich hier meistens genauso, obwohl sie die Fähigkeit hätten, diese Muster zu verstehen und ihrem Alter einen anderen Sinn zu geben.
Also versuchen sie ihre Potenz zu erhalten so lange es geht – entweder mit Viagra oder mit der von ihnen erschaffenen Ersatzpotenz, dem Geld. Damit können sie sich – vorausgesetzt, sie besitzen genug davon – jede Menge junge Frauen kaufen und sich mit diesen umgeben. Das bringt ihnen zwar keine Potenz zurück, sehr wohl jedoch gesellschaftliche Bewunderung und somit Status bzw. Macht.

3.) Die Flüchtlingskrise 2015
Im Sommer 2015 kamen ziemlich viele Menschen aus Krisengebieten in Afrika und dem Nahen Osten. Darunter waren viele Familien, der Großteil bestand jedoch aus jungen, kräftigen Männern. Die schwachen waren schon irgendwo am Weg nach Europa zugrunde gegangen oder gar nicht erst losgezogen. Die Medien erklärten sogleich die jungen Männer zur Gefahr und versuchten die Angst vor ihnen zu schüren. Das funktionierte hervorragend, ein Freund erzählte mir etwa, dass er Angst hätte mit seinen Kindern auf die Straße zu gehen. Wir reden hier nicht von den Slums in Sao Paolo, sondern vom friedlichen Aumannplatz in Wien Währing. Und er hatte auch keine Angst vor jungen Männern auf ebendiesem Aumannplatz (die gab und gibt es da nämlich gar nicht), sondern vor denen, die angeblich zu Silvester in Köln Frauen begrapscht hatten. Er hatte also Angst vor etwas, was angeblich 1.000 Kilometer weit weg stattgefunden hatte. Später stellte sich übrigens heraus, dass das meiste davon frei erfunden war.
Das spielt für ihn aber keine Rolle, er fürchtet sich seit über einem Jahr vor diesen jungen Männern, die irgendwann kommen könnten. Er ist selbst ein sportlicher, kräftiger Riese von über zwei Metern, beruflich erfolgreich und abgesichert und kein Flüchtling wird ihm voraussichtlich jemals irgend einen Nachteil bringen oder Schaden zufügen. Die Angst ist also komplett irreal und doch hat er sie. Vielleicht erwachen hier archaische Muster, die seit Jahrzehntausenden in uns schlummern – das ist meines Wissens noch nicht wirklich erforscht.

4.) Die realen Ereignisse
Sämtliche Attentäter und Amokläufer sind ohne Ausnahme junge Männer oder zumindest solche im besten Alter (damit ist übrigens das beste Alter zur Fortpflanzung gemeint). Meist sind sie jedoch zwischen 17 und 35. Das lässt sich nicht leugnen und muss einen Grund haben. Übrigens werden auch sie von alten Männern in den Tod geschickt, meines Wissens auch hier ohne Ausnahme.
Diese Fakten sind bekannt und auch wenn sich die Frage der Fortpflanzung bei diesen Männern nicht mehr stellt, so eignen sie sich bestens als Angstverstärker. Plötzlich erscheint jeder junge Mann mit arabischem Aussehen wie ein potenzieller Attentäter. Diese Angst schleicht sich sehr subtil ein und ich kann hier sogar ein eigenes Erlebnis beisteuern. Als ich letztes Jahr eine Nacht lang in einer Erstaufnahmestelle in einem Pavillon der Baumgartner Höhe aushalf, gab es auch dort einige junge Männer. Einer davon fiel mir besonders auf, ein hagerer Typ mit finsterem Gesicht. Ich versuchte zu ihm besonders freundlich zu sein, doch er wirkte misstrauisch und abweisend.
Mein Gedanke war plötzlich: Was will der überhaupt hier? Alle wollen ihm helfen und er schaut finster drein. Und vor allem: Sind seine Ziele so finster wie sein Gehabe?
Ich werde nie erfahren, was in ihm vorgegangen ist, all diese Flüchtlinge wollten nur möglichst schnell nach Deutschland weiterreisen, aber in mir blieben zwei mulmige Gefühle zurück: eines ihn betreffend und ein zweites mich selbst betreffend: Wie konnte ich so schnell der Propaganda anheim fallen? Wie muss es erst Menschen gehen, die in einer viel engeren Welt als der meinen leben? Die wenig Bildung und noch weniger interkulturelle Erfahrungen haben. Die in einer xenophoben Umgebung leben und vielleicht selbst Existenzängste haben, etwa durch Armut und Arbeitslosigkeit.
Dass diese Menschen für die Demagogen leichte Beute sind, ist nicht schwer zu verstehen.

5.) Der Umgang mit den jungen Männern
Derzeit werden sie als Asylwerber in Lagern interniert und dürfen nicht arbeiten und sich auch nicht weiterbilden. Meiner Meinung nach ist das einer der schwersten Fehler, den wir derzeit begehen. Man zwingt diese jungen Männer dazu den ganzen Tag lang herumzusitzen und nichts zu tun. Sie sind aber jung, kräftig, voller Energie und halten das nicht lange durch. Zumindest ein Teil von ihnen bricht aus dieser Gefangenschaft aus und dann kommt es zu genau den Szenen, vor denen die Menschen Angst haben, nämlich zu kriminellen Taten aller Art. Wahrscheinlich ließe sich deren Zahl sogar ausrechnen, wenn sich jemand die Mühe antun würde.
Wer also in Österreich Angst und Sorge schüren will, etwa um seine eigenen Ziele durchzusetzen, braucht nur dafür sorgen, dass viele junge Männer auf engem Raum zum Nichtstun gezwungen werden und braucht dann nur darauf warten, bis das Pulverfass explodiert.
Diese jungen Männer sind irgendwann nach einigen Wochen oder Monaten der Internierung für jeden Strohhalm dankbar, der sich ihnen bietet. Dies kann nun ein guter oder ein schlechter sein und genau hier liegt das Problem.
Wir dürfen nicht vergessen, dass sie nahezu alle eine schlimme Zeit hinter sich haben. Entweder mussten sie Krieg, Elend und Terror oder Hunger und Repressalien erdulden, viele flohen vor Bomben, andere vor der völligen Perspektivenlosigkeit, die Heinsohn in seinem Artikel beschreibt und die viele Millionen junger Männer in den bevölkerungsreichen Staaten Afrikas betrifft. Das ist wahrscheinlich das größte Pulverfass, das es derzeit auf dieser Welt gibt.
Dazu kommt noch, dass sie aus ihren Kulturen herausgerissen wurden und mit der Kultur des neuen Landes wenig anfangen können. Viele haben einen geringen Bildungsgrad und sehr viele von ihnen sind in muslimischem Glauben aufgewachsen. Ich möchte einmal behaupten, dass die meisten dieser jungen Männer daheim mit ihrer Religion nicht sehr viel mehr anfangen konnten als es die jungen Männer bei uns können.
Wenn aber jetzt in dieser aussichtslosen Situation jemand kommt und ein Heilsversprechen abgibt, wenn er ihnen geistigen Halt und eine Perspektive bietet, dann ist der Schritt, den sie gehen müssen, möglicherweise nur ein ganz kleiner.
Dies kann nun a.) ein islamischer Hassprediger sein oder b.) eine Patenfamilie. Diese Wahl haben wir und derzeit sieht es nicht aus, als ob unsere Politik die Variante b.) unterstützen würde.

Zum Artikel von Gunnar Heinsohn:

Was Heinsohn in seinen Ausführungen nicht anspricht ist die Frage, was mit den vielen jungen Frauen passiert, die es bei starker Geburtenrate natürlich auch gibt – nämlich genauso viele wie junge Männer.
In vielen Gesellschaften wurde das in der Vergangenheit so geregelt, dass Mädchen verschiedene Karrieremöglichkeiten hatten: als Sklavin, Magd oder in einem Harem. All das setzt natürlich voraus, dass es die dafür notwendigen Ressourcen gibt. Alle drei „Berufe“ sind einkommensfrei, der Patriarch brauchte also die Arbeitskraft nur mit Kost und Logis vergelten und das war meist ökonomisch möglich.
In manchen Gesellschaften wurden die Mädchen auch einfach getötet, unauffällig gleich nach der Geburt, weil sie dort als „Schande“ galten, schließlich wollte der Vater einen gesunden Sohn und Mädchen waren teuer, weil man sie zuerst großziehen und dann mit großem Aufwand verheiraten musste. Diese Überbleibsel dieses kulturellen Drucks merken wir heute auch bei uns noch (wenngleich auch selten), wenn sich Paare ein ganz bestimmtes Geschlecht wünschen und bitter enttäuscht sind, wenn das nicht funktioniert („Jetzt haben wir schon drei Mädchen und hätten total gerne noch einen Buben“- oder umgekehrt.).

DER LÖSUNGSANSATZ

Genau genommen gibt es keine triviale Lösung, außer der, die Heinsohn vorschlägt: Lasst sie sich einfach umbringen, das Problem löst sich von selbst. Das war in Zeiten nicht vorhandener Mobilität möglich, wird aber in Zukunft nicht mehr funktionieren. So lange es Menschen gibt, die mit Motorbooten gutes Geld verdienen können, werden Kriege und deren Folgen zu uns kommen, zumindest nach Europa, die USA ist hier wesentlich besser geschützt. Wir werden daher fast die gesamte Migration aus Afrika abbekommen und einen Großteil des Nahen Ostens.
In vergangenen Jahrhunderten kannten die Menschen dort Europa gar nicht und hatten auch keinerlei Möglichkeit dorthin zu gelangen. Jetzt gibt es Internet, Fernsehen, Handy, LKWs und Motorboote. Und deswegen werden sie kommen, einfach weil es möglich ist. Menschen sind Fluchtwesen, sie hauen ab, wenn es brenzlig wird. Und die ersten, die abhauen, sind die jungen Männer – wer sonst?
Die Menschen sind seit ihrer Entstehung migriert und haben schon vor 500.000 Jahren fast die ganze Welt erobert – warum soll es plötzlich anders sein? Das dürfte als archaisches Gesellschaftsmuster ganz tief in uns stecken.
Es ist jetzt egal, welche Lösungen wir hier für die Flüchtlinge finden – wenn zu viele nachkommen, dann funktioniert es irgendwann nicht mehr, und zwar nicht wegen des Islam, sondern weil die fehlende Logistik und die dann noch mehr aufgeheizte Stimmung gute Lösungen verhindern werden.

Somit ergeben sich logische notwendige Schritte:

a.) Stopp der Ausbeutung
Speziell die afrikanischen Länder werden von Europa derzeit immer stärker ausgebeutet. Wir nehmen ihnen ohne Gegenleistung die Rohstoffe weg und zwingen sie für uns Produkte zu erzeugen – es ist schlimmer als im Kolonialismus, weil zu dieser Zeit wurde dort wenigstens Infrastruktur aufgebaut, die den Menschen zumindest teilweise zugute kam.
Heute drücken wir Freihandelsabkommen durch, die ihnen jede Entwicklungsmöglichkeit nehmen. Dabei nehmen wir ihnen die Rohstoffe weg und verwenden dann ihre Länder als Exportmärkte für unseren Müll. Dass auch Indien und China das so machen, entschuldigt gar nichts von dem, was wir als EU tun.
Wir müssten mit dieser Politik radikal aufhören und die afrikanischen Länder schlicht und einfach in Ruhe lassen bzw. Handel auf Augenhöhe treiben. Derzeit fördern wir dort nur die korrupten Eliten und holen uns was möglich ist. Österreich zahlt meines Wissen nach immer noch Budgethilfe, das ist die finanzielle Unterstützung korrupter afrikanischer Regime ohne jede Kontrolle, was mit dem Geld geschieht.

b.) Weltweite Waffenexportregelung
Derzeit verdienen vor allem die USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien und Deutschland hervorragend am Waffenexport in Krisenregionen. Das ist ein unglaublich lukratives Geschäft, denn im Gegensatz zu friedlichen Regionen werden die Waffen dort schnell verbraucht und es besteht somit ständige Nachfrage.
Auch Österreich mischt hier fleißig mit. Hier ein Link dazu:

https://netzfrauen.org/2016/07/04/die-maerkte-des-todes-handel-mit-henkern-milliarden-ruestungsdeal-mit-saudi-arabien-und-katar-2

Das größte Problem sind hier die USA und China, weil die verdienen nicht nur am meisten, sondern haben auch keinerlei Interesse damit aufzuhören, da sie von den Folgen nicht direkt betroffen sind.
Würde man der Argumentation von Heinsohn folgen, dann wäre diese Politik sogar logisch: je mehr Waffen man ihnen schickt, desto schneller werden sie sich gegenseitig umgebracht haben und das Problem ist gelöst. Ich persönlich glaube nicht, dass diese Rechnung aufgeht, denn die dazu notwendige Abschottung Europas wird nicht funktionieren. Mir ist dabei ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview mit einem Westafrikaner in guter Erinnerung, der vor weit über zehn Jahren gesagt hat, dass er uns viel Glück beim Bau einer zigtausend Kilometer langen Mauer rund um Europa wünscht, dass uns diese aber auch nichts nützen würde. Die sonst noch denkbare Alternative (systematisches Bombardement aller Flüchtlingsboote) würde uns wohl endgültig in die Barbarei zurückwerfen, und zwar genau dorthin, wo wir derzeit den Islam so gerne vermuten.

c.) Aufnahme der Flüchtlinge
In einer durchökonomisierten Welt, in der die Politik weltweit von der Wirtschaft gesteuert wird, ist jeder Flüchtling ein Wirtschaftsflüchtling – so einfach ist das. Wir werden wohl keine Alternative haben, als die Menschen, die zu uns kommen, ordentlich aufzunehmen. Platz haben wir in Europa genug, ganze Landstriche sind schon halb entvölkert, ich denke dabei nicht nur an Thüringen oder Sachsen-Anhalt, sondern auch an das Waldviertel.
Je besser wir ihnen Perspektiven und Lebensmöglichkeiten geben, desto eher werden sie friedlich bleiben und wahrscheinlich sogar zu unserem Wohlstand beitragen. Wer ein sinnerfülltes Leben führt, braucht keine radikale Religion.

DER ARTIKEL AUS DER NZZ:

«Wo es zu viele junge Männer gibt, wird getötet»

Nicht Religionen oder Hunger sind die Ursachen für Kriege. Zu Gewalt komme es dort, wo es einen Überschuss an jungen Männern gebe, sagt der Völkermordforscher Gunnar Heinsohn. So gesehen bleiben die islamischen Länder auch ohne Islam noch einige Zeit brandgefährlich.

Interview 19.11.2006, 09:01 Uhr

NZZ am Sonntag: Sie haben eine Art Weltformel der Geschichte entwickelt. «Youth Bulge» heisst die Theorie, die Sie auch zur Analyse der Gegenwart benutzen. Wie lautet sie?

Gunnar Heinsohn: Ich habe den Versuch einer Weltformel aufgegriffen, die der Franzose Gaston Bouthoul 1970 vorgelegt hat. Ich habe sie weiterentwickelt und an über 70 Ländern empirisch überprüft. Das Resultat: Immer dort, wo Mütter über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte im Schnitt 6 bis 8 Kinder haben, also 3 bis 4 Söhne, da wird es brenzlig. Nur ein, höchstens zwei Söhne können mit gesellschaftlichen Positionen versorgt werden. Die überschüssigen dritten und vierten Brüder, ehrgeizig und im besten Kampfesalter, emigrieren – oder holen sich ihre Position mit Gewalt. Wo es zu viele junge Männer gibt, wird getötet. Das führt zu Kriminalität, zu Bürgerkriegen, zu Genoziden an Minderheiten, Revolutionen, internationalen Kriegen oder Kolonisierungen. So lange, bis der Überschuss an Jünglingen weggetötet ist und die Geburtenzahl sinkt.

Wieso heisst die Theorie Youth Bulge?

Wenn von allen Männern einer Gesellschaft mindestens 30 Prozent der Altersgruppe zwischen 15 und 29 Jahren oder mindestens 20 Prozent der Altersgruppe von 15 bis 25 Jahren angehören, dann ist das ein Youth Bulge. Bulge bedeutet auf Englisch Ausbuchtung, gemeint ist die Beule in der Bevölkerungspyramide. Europa wies von 1500 an vier Jahrhunderte lang fortwährend einen Youth Bulge auf. Nachdem die Pest die Bevölkerung dramatisch reduziert hatte, wurde in Europa demographisch aufgerüstet. Die beginnende Hexenverfolgung rottete Hebammen und so das meiste Wissen über Verhütung aus. Die Geburtenrate stieg von 2 bis 3 Kindern pro Frau im Mittelalter auf konstant 7 bis 8 Kinder.

Mit welchen Folgen?

Europas Geschichte wurde ungemein blutig. Der Sohnesüberschuss erklärt, wieso jährlich in den Krieg gezogen wurde, wieso es ohne Unterlass zu Bürgerkriegen, Revolutionen, Ausrottungen kam und wieso Europa in dieser Zeit die Welt eroberte und christlich motiviert in 400 Jahren 90 Prozent der Erde ausmordete und unterwarf. In Spanien wurden Kolonisatoren sogar «secundones» genannt, Zweitgeborene. Gemeint waren auch dritte oder vierte überschüssige Brüder, die in Südamerika Gemetzel und Genozid veranstalteten. Die Schweiz wiederum exportierte überschüssige Söhne als Söldner nach halb Europa.

Und was tun die Töchter?

Überzählige Töchter haben sich erstmals im 20. Jahrhundert an Gewalt beteiligt. Als Lateinamerika seine Phase von Diktaturen und Guerillas durchlief, von 1950 bis 2000, und so seinen Youth Bulge abtrug, da haben zum ersten Mal auch Mädchen als Guerilleras mitgetötet. Quantifiziert man ihren Tötungsanteil, so betrug der aber nicht mehr als 5 Prozent. Das deckt sich etwa mit dem Frauenanteil an den wegen Tötungen verurteilten Häftlingen in den Gefängnissen.

Friedensforscher sehen die Ursache von Krieg eher in Hunger und Elend.

Das wäre schön, weil wir dann mit Sättigung eine Lösung hätten. Aber die von einem Youth Bulge befeuerte Gewalt hat nichts mit Hunger zu tun. Im Gegenteil: Wer sich an Tötungen beteiligt, ist meist gut genährt. Um Brot wird gebettelt, um gesellschaftliche Positionen wird geschossen.

Es geht also bloss um Testosteron?

Überschüssiges Testosteron hat auch der einzige Sohn, wenn er in die Pubertät kommt, die Eltern verachtet und mit dem Vater streitet. Und Wettbewerb gibt es auch in vergreisenden Ländern wie in Deutschland oder der Schweiz, um den besseren Job, den besseren Gedanken, das schönere Bild – aber: Er wird unblutig ausgetragen. Neben Testosteron und Konkurrenz braucht es für einen gewalttätigen Youth Bulge zusätzlich die Situation, dass es für zehn junge Männer nur eine Position gibt. Auch sexuelle Frustration kann eine Rolle spielen, wenn es in der betreffenden Gesellschaft Sex nur als Fortpflanzungsakt in der Ehe zu haben gibt, für eine Eheschliessung aber zuerst eine gesellschaftliche Position errungen werden muss.

Und irgendwelche Ideen sind Ihrer Ansicht nach für politische Bewegungen und Konflikte völlig irrelevant?

Zunächst kommen junge Männer in Bewegung, es treibt sie mächtig voran. Sie wollen an Positionen ran, und das geht nur, wenn andere weggeschafft werden. Im Zweifelsfall mit Töten. Das macht ihnen Angst. Denn es sind junge Leute mit einem normalen moralischen Gerüst. Die wissen, was gut und was böse ist. Sie brauchen für ihr Tun – unbewusst – eine Idee, einen Vorwand, im Englischen pretext genannt. Und passende Texte und Ideen finden sich immer. Sei es die Bibel, der Koran, sei es Marx. Ideologien und Religionen lösen das Problem, weil sie sagen: Du tötest nicht, du richtest. Da ist etwas Böses, Ungläubiges, das ausgetilgt werden muss. Und die jungen Männer töten für ein frommes Land, für ein gerechtes Land, für ein grosses Land.

Islamismus, Sozialismus – das ist, marxistisch gesprochen, der Überbau? Die alles gestaltende Triebkraft ist die demographische Situation?

So ist es. Eine passende Idee für die Gewalt junger Männer hat sich noch immer gefunden. Auch die Bibel taugt dazu. Als die Spanier damals für Gold, Ruhm und Evangelium nach Südamerika gingen, hielten sie dem Inka-Führer Atahualpa die Bibel hin und sagten: Das ist das Wort Gottes, nimm es an, sonst stehst du im Krieg mit dem Hause Habsburg. Er horcht am Buch und schmeisst es in den Staub, worauf 180 Spanier ziemlich selbstmörderisch 5000 Inkas niedermetzeln. Ja glauben Sie denn, wenn Atahualpa übergetreten wäre zum Katholizismus, wären die Spanier mit seligem Lächeln über die Bekehrung nach Hause gesegelt?

Und heute sind es nicht Bibel-, sondern Koran-Schändungen, die als Anlass für Youth-Bulge-motivierte Gewalt und Tötungen dienen?

Hier ist die Parallele sehr auffällig. Als damals über Koran-Schändungen berichtet wurde, hat ja die gesamte westliche Presse sofort gesagt: Wenn ein heiliges Buch so geschändet wird, dann müssen die im Irak und in Afghanistan natürlich nochmals verschärft Attentate und Morde begehen, das ist ja selbstverständlich. Es wird einfach nicht erkannt, dass der Islamismus nur Vorwand ist.

Sie glauben also, der heutige Nahe Osten wäre auch ohne Öl, ohne Islam und ohne koloniale Vergangenheit eine unruhige Gegend?

Natürlich. Usama bin Ladin erwähnt ja neuerdings nur noch die Jugend Allahs. Er hat auch mitgekriegt, dass die Muslime sich von 1,5 Millionen auf 1,5 Milliarden verzehnfacht haben – innerhalb von 100 Jahren. In der islamischen Welt gab es etwa um 1950 herum durchschnittlich 6 bis 8 Kinder pro Frau. Das heisst, 3 bis 4 Söhne pro Frau. Wenn die 1950 geboren worden sind, sind sie 1970 zwanzig Jahre alt. In diesem Zeitraum, zwischen 1970 und 1990, da beginnen in diesen Ländern die grossen internen Unruhen, da beginnt das Töten in den islamischen Ländern. Libanon zeigt dies geradezu klassisch: Da gibt es zwischen 1975 und 1990 einen Bürgerkrieg mit 150 000 Toten in einem Land mit 3 Millionen Einwohnern. Klar existieren dort rund sechs verschiedene Religionsgruppen, welche die Jungmännerwut noch zusätzlich zugespitzt haben. Aber die gab es vorher, und die gibt es nachher. Wieso kommt das Töten 1990 an ein Ende? Die hohen Sohneszahlen gingen zurück. Die Geburtenrate ist von fast 6 auf heute 1,95 Kinder pro Frau gesunken. Es ist kein Personal mehr da zum Toben und Kriegen.

In den palästinensischen Gebieten ist dagegen das Personal weiterhin da?

Der palästinensische Youth Bulge ist einer der heftigsten überhaupt. Aus einem Sondergrund: Alle Palästinenser, die in Lagern wohnen, sind Flüchtlinge. Und alle ihre Kinder, die dort geboren werden, ein erstes oder ein zehntes, sind automatisch auch Flüchtlinge und werden vom Flüchtlingswerk der Weltgemeinschaft gefüttert, ausgebildet und medizinisch versorgt. Aber was der Westen bei seiner freundlichen Haltung nicht bedenkt: Dass er zwar die Entbindungskliniken bezahlt, aber keine Strukturen besorgen kann, wo die jungen Männer unterkommen können. Das heisst, es stehen dort junge Männer bereit, gut gebildet und genährt, die in einer aussichtslosen Lage sind. Der interne Konflikt blieb bis jetzt relativ unblutig, weil das Gewaltpotenzial zwar gegen Israel gelenkt werden kann, Israel aber nicht wahllos draufschlägt, sondern einigermassen gezielt. Mit dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen gibt es bereits Anzeichen, dass die Gewalt sich künftig vermehrt intern in einem Bürgerkrieg unter Palästinensern entladen könnte.

Kann ein Youth Bulge nicht einfach auch unblutig absorbiert werden, etwa wenn durch Wirtschaftswachstum genügend neue Positionen entstehen?

Meist geht es umgekehrt. Die wirtschaftliche Entwicklung führt zu einem Rückgang der Geburtenrate. Es gibt kein effektiveres Verhütungsmittel als die Verlohnarbeiterung – der Männer, aber auch der Frauen.

Sie sprechen kommende Woche vor britischen Militärspitzen zu den strategischen Herausforderungen bis 2020. Was werden Sie ihnen sagen?

In den islamischen Ländern gibt es heute 300 Millionen Söhne, die unter 15 sind. Die sind alle schon geboren, das ist keine Prognose. Die werden in den nächsten 15 Jahren 15 bis 30 Jahre alt. Von denen werden im besten Fall 100 Millionen zu Hause unterkommen. 200 Millionen bilden aber ein Gewaltpotenzial. Höchstwahrscheinlich in den Ländern selbst, eventuell aber auch international. Das ist die Lage in den nächsten 15 Jahren. Danach wird sich die Lage entspannen.

Wenn die Geburtenrate sinkt.

Natürlich, dafür gibt es Anzeichen. Ein säkularer Trend hat die Geburtenrate auch in einigen islamischen Ländern gedrückt. In Tunesien etwa. Oder in Algerien, wo die Rate von 7 auf 2 Kinder pro Frau gesunken ist – übrigens ein Grund dafür, wieso der Youth-Bulge-befeuerte Bürgerkrieg in Algerien zwischen Islamisten und Militärregierung zu Ende ging. Auch in Iran ist die Geburtenrate von 7 auf 2 gesunken. Im Irak noch nicht. Da liegt sie bei 5, in Afghanistan bei 7, in Pakistan bei knapp 5 Kindern pro Frau. Diese Länder bleiben neben Jemen und Saudiarabien vorderhand die heissen Gebiete.

Was raten Sie den britischen Generälen denn konkret?

Sich ja nicht einzumischen, wenn irgendwo ein Youth-Bulge-Konflikt abgeht. Das tut der Westen ja bereits. In Darfur etwa, wo viele meinen, es laufe ein Rassenkrieg, Schwarz gegen Arabisch. Die Trennungen in Rassen und Religionen sind jedoch Vorwand. Auch aus Liberia und Sierra Leone hat man sich eisern rausgehalten. In einem Youth-Bulge-Konflikt können die Guten von heute schnell die Bösen von morgen sein. Man müsste zur Beruhigung der Lage dauerhaft sehr viele Soldaten hinstellen – und die hat der Westen nicht. Er hat pro Familie maximal einen Sohn, und den kann er überhaupt nicht, nicht eine Sekunde, entbehren. Wenn der stirbt, hat er keinen mehr. Aber die Dritte Welt erwartet, dass die Erste Welt ihren einzigen Sohn schickt, um dort dritte und vierte Brüder vom Töten abzuhalten. Eine kühne Forderung.

Das klingt ziemlich zynisch.

Das klingt nicht nur zynisch. Es ist sogar gefährlich, weil die Menschheit seit 1948 ein internationales Gesetz gegen Völkermord kennt, das jede einzelne Nation verpflichtet, einen Völkermord zu verhindern. Ein Abseitsstehen ist streng genommen sogar eine Rechtsverletzung. Deshalb werden Genozide lieber als Bürgerkriege bezeichnet und laut, aber folgenlos verurteilt.

Im Irak und in Afghanistan ist der Westen einmarschiert. Es sollten auch Staaten repariert und Demokratien errichtet werden. Bis heute sieht es danach aus, als ob das scheitern würde. Warum?

Man hatte die schöne Politik des runden Tisches vor Augen, so wie in der Ukraine, in Georgien oder in andern osteuropäischen Ländern. Dort gab es ermutigende Fortschritte, und man dachte: Mensch, wir brauchen nur einen deutschen Philosophen wie Habermas mit seiner Dialog-Theorie, dann geht das. Es lag aber nicht an Habermas und auch nicht an der Mentalität oder der Klugheit der Osteuropäer. Es lag daran, dass dies implodierende und vergreisende Völker sind. Jeder, der dort an den runden Tisch kam, der hatte später auch einen Spitzenjob im Land. Im Irak oder in Afghanistan kämpfen aber schon fünf junge Männer darum, überhaupt am runden Tisch zu sitzen. Hat sich ein Youth Bulge aber einmal abgebaut, dann kommt die Demokratie fast wie von selbst. Das hat man gut in Lateinamerika gesehen, nachdem sich Marxisten und Faschisten gegenseitig dezimiert hatten und die Geburtenrate wieder gesunken war.

Wie sieht es denn in Europa aus? Ist Europa derzeit nur so friedlich, weil es so wenige junge Männer gibt?

Wenn wir uns in Deutschland vermehrt hätten wie die Palästinenser im Gazastreifen, gäbe es heute 550 Millionen Deutsche. Und es wären 80 Millionen Jünglinge zwischen 15 und 30 Jahren. Glauben Sie denn, die 80 Millionen jungen deutschen Männer wären zehnmal so pazifistisch wie die 7 Millionen, die wir heute haben? Oder würden die nicht viel eher in Prag und Danzig und Breslau Bomben werfen und – ähnlich wie die Palästinenser – sagen: Das ist doch unser Gebiet, das hat man uns weggenommen wegen historischer Ereignisse, für die wir nichts können?

Dann haben Sie also keine Angst vor deutschen Neonazis?

Nein, gar nicht. Die sorgen zwar für Schlagzeilen auf der ganzen Welt. Aber das liegt daran, dass man den alten Faschismus schon nicht verstanden hat. Man meinte, der sei durch böse Gedanken entstanden. Obwohl es der letzte deutsche Youth Bulge von 1900 bis 1914 war, der die Ereignisse auf den Strassen der Weimarer Republik befeuerte. Heute gibt es in Deutschland etwa 7000 aktive Neonazis und 270 000 Mann bei der Polizei, da kann nicht mehr viel passieren.

Sie haben den letzten deutschen Youth Bulge von 1900 bis 1914 erwähnt. Gab es denn nicht noch später einen Youth Bulge, der die 1968 ausgelöst hat?

Natürlich waren es 1968 auch junge Männer, die auf Positionen vorrücken wollten. Und ein kleines bisschen wurde auch getötet, etwa bei den Baader-Meinhof-Leuten. Aber es war ein Babyboom, nur ein ganz kleiner Youth Bulge. Die zornigen jungen Männer von 1968 haben schnell gemerkt, dass es für alle genügend akzeptable Positionen im gesellschaftlichen Geflecht gibt. Sie haben das Kämpfen eingestellt – und das Töten erst recht.

Ende

Gunnar Heinsohn, 63, promovierte mit Bestnote sowohl in Soziologie und Wirtschaftswissenschaften. 1984 wurde er für eine Professur auf Lebenszeit an die Universität Bremen berufen, wo er 1993 mit dem Raphael-Lemkin-Institut für Xenophobie- und Genozidforschung die vergleichende Völkermordforschung in Europa etablierte. Heinsohn beschäftigt sich mit Theorie und Geschichte der Zivilisation, in neuerer Zeit vor allem mit dem Phänomen des Youth Bulge. Der Franzose Gaston Bouthoul (1970), der Amerikaner Jack Goldstone (1991) und der Deutsche Hartmut Diessenbacher (1998) waren Pioniere dieser Denkrichtung. Heinsohn hat sie mit reichem empirischem Material weiterentwickelt.
Gunnar Heinsohns Buch «Söhne und Weltmacht» (bei Orell Füssli) von 2003 gewinnt an Schuss. Es hat jüngst in sechs Wochen vier neue Auflagen erfahren. Heinsohns Auftritt vom Oktober in der TV-Sendung «Das philosophische Quartett» mit Peter Sloterdijk dürfte da mitgeholfen haben. (tis.)