Asylanten, Wirtschaftsflüchtlinge oder was?

Vorbemerkung: Als ich den Artikel geschrieben habe, fehlte mir eine wichtige Information: Das Wort „Asylant“ ist bereits diskriminierend, weil es bedeutet, dass jemand sozusagen von Beruf im Asylstatus ist. Das ist aber kein Beruf, damit verdient niemand seinen Lebensunterhalt und das sucht sich auch niemand freiwillig aus. Es ist daher ein Begriff, der von der rechten Szene sehr bewusst eingesetzt wird, um zu unterstellen, dass Menschen aus niederen Gründen zu Aslywerbern werden. Daher: Asylwerber ist der richtige Ausdruck.

Eine heftige Diskussion auf Facebook über die Abschiebung der Flüchtlinge aus dem Votivpark/der Votivkirche/dem Servitenkloster ist Anlass für diese Zeilen.

Ich war im Winter selbst in der Votivkirche und habe warme Kleidung vorbei gebracht, die mir von meiner Sammelaktion für Uganda übrig geblieben ist. Das war eine unspektakuläre Aktion, weil ich eigentlich nur hinein marschiert bin und nach jemand gesucht habe, der verantwortlich ist. Damals gab es noch das Camp, es war aber schon leer. Nach ein paar Minuten fand ich eine österr. Helferin, die einer Handvoll Flüchtlingen gesagt hat, dass sie mir beim Ausladen der Säcke helfen sollen. Wir haben sie ins Camp getragen (die Säcke, nicht die Helferin) und ich bin wieder gefahren.

Worum geht es hier eigentlich, vor allem in der aktuellen Debatte? Die Grünen pochen auf Menschenrechte, die Schwarzen auf Staatsrechte und das Recht generell und die Roten halten sich raus, ebenso die Blauen, bis auf den Gudenus, den kann man bei jeder Unappetitlichkeit vor die Kamera schicken. Außerdem ist Wahlkampfzeit und das heizt jede Diskussion emotional an.

Schon vor über zehn Jahren hat mir mein Bruder erzählt, wie es die Chinesen damals praktiziert haben. Sie kamen in Flugzeugen nach Wien Schwechat, zerrissen am Klo ihren Pass und sonstige Ausweise und konnten auf Englisch nur die Worte „No Passport, No Ticket“ sagen. Sonst sagten sie gar nichts. Da man ihre Identität nicht feststellen konnte und ein Zurückschicken mit der Airline, mit der sie gekommen waren, nicht möglich war (weil: mit welcher?) blieben sie eine Zeit lang im Anhaltezentrum und wurden dann entlassen.
Sie versickerten irgendwo als Untergrundarbeiter in Chinarestaurants oder wo auch immer. Man hat diese Praktik irgendwann gestoppt, aber es gibt ständig neue Schlupflöcher.

Seit Anbeginn der Menschheit (keine Sorge, ich komme gleich wieder in die Gegenwart) gibt es Migration und wahrscheinlich auch Flüchtlinge. In der sechsstufigen Skala der Konfliktlösung von Gerhard Schwarz ist „Flucht“ die Nummer 1 – als erste, archaischste Variante. Flucht ist immer dann gut, wenn folgende Voraussetzungen herrschen:
1.) Man ist körperlich in der Lage zu flüchten (und nicht eingesperrt, zu klein, zu alt etc.)
2.) Man ist nicht von dem Ort abhängig (Aus einer Oase in die Wüste zu flüchten ist ein schlechter Plan, auch wenn es in der Oase nicht nett ist oder jemand nicht nett ist.)
3.) Der Ort gefährdet Gesundheit und/oder Leben.
4.) Es gibt einen Ort wohin man flüchten kann und wo es besser ist als vorher. (Vor einigen Jahren betreuten wir eine Firma, einen Erzeuger von opto-elektronischen Geräten in Bayern. Die hatten 60 hoch qualifizierte Mitarbeiter, denen es aus bestimmten Gründen nicht gut ging. Sie konnten aber nicht flüchten, weil es in weitem Umkreis keine andere Firma gab, bei der sie mit ihrer Qualifikation arbeiten hätten können.)

Die Punkte drei und vier sehen wir uns genauer an.

Heutzutage unterscheiden wir zwei Arten von Flüchtlingen:
a.) Politische Flüchtlinge – sie müssen aus der Heimat fliehen, weil ihr Leben bzw. ihre Gesundheit bedroht ist.
b.) Wirtschaftsflüchtlinge – sie müssen aus der Heimat fliehen, weil ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage nicht mehr existiert. Das ist auch eine Gefährdung des Lebens bzw. der Gesundheit. Wenn Bangladesh im Meer versinkt, müssen die dort lebenden Menschen flüchten.

Beide „müssen“ fliehen, weil sie keine Alternative haben. Erstere können um politisches Asyl in einem anderen Land ansuchen und bekommen das auch gewährt, wenn sie nachweisen können, dass die Gefährdung wirklich gegeben ist. Edward Snowden ist ein gerade aktueller Fall. Aus dem immer noch existierenden Guantanamo weiß man, dass die USA die Folter offiziell praktizieren (offiziell heißt staatlich angeordnet) und auch Todesstrafen verhängen und durchführen. Das wäre ein guter Asylgrund, zumindest in einem Land, das nicht am Tropf der USA hängt und das Asylrecht daher nicht anerkennt.

Dann gibt es noch die Menschen, die woanders hin ziehen, weil sie die Hoffnung haben, es sich dort zu verbessern. Dafür bieten sich „reiche“ Länder an, also vor allem Europa und Nordamerika. Diese Menschen könnten auch daheim bleiben, sehen aber woanders bessere Möglichkeiten.

Leider verzweigt sich das Thema, wenn man es genauer betrachtet. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es eine Menge Flüchtlinge, die aus Deutschland in die ganze Welt emigrierten. Viele davon waren Angehörige der SS und viele davon Verbrecher, die Angst hatten, in ihrer Heimat für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Viele gingen nach Argentinien und leben tw. heute noch dort.
Ihr Leben war in ihrer Heimat bedroht, daher war ein Asylgrund gegeben.
Wie ist das mit Verbrechern? Muss man auch denen Asyl geben? Oder kann man sie zurück schicken? Wer beurteilt, ob man ein Verbrecher ist? In der Zeit ihrer Untaten waren sie ja keine Verbrecher, sondern Helden. Das erinnert an folgende Geschichte:

Drei Männer sitzen in einer Gefängniszelle und beginnen ein Gespräch.
„Wie lange sitzt Du?“
„Fünf Jahre, ich war für Popow. Und Du?
„Zehn Jahre, ich war gegen Popow. Und Du (zum Dritten)?
„Gestatten, Popow.“

So ändern sich die Zeiten und was heute Recht ist, gilt morgen als Unrecht. Wonach soll also ein Asylant beurteilt werden, wenn er um politisches Asyl ansucht? Was sind quasi die international gültigen Kriterien?
Diese Fragen lassen sich mit einem gut ausgearbeiteten Kriterienkatalog und einem weltweit gültigen System noch einigermaßen beantworten. Aber wie sieht das mit den so viel diskutierten „Wirtschaftsflüchtlingen“ aus?
Hier müssen wir über die Grauzonen diskutieren und auch über Ursache-Wirkung. Wenn etwa ein gut situierter Österreicher (oder nehmen wir jetzt zur Abwechslung eine Österreicherin, auch gut situiert) in ein Geschäft auf der Mariahilfer Straße geht und dort nach einer möglichst billigen Bluse sucht, ist sie dann verantwortlich für die wirtschaftliche Situation der Menschen, die ihre Bluse genäht haben? Die Bluse kann nämlich nur deswegen so billig sein, weil die Differenz zu einem „ordentlichen“ Preis von jemand anders bezahlt wird. In diesem Fall von einer Näherin, die ihre Familie vom Lohn nicht ernähren kann. Die Österreicherin kann sich um das ersparte Geld genau das Essen kaufen (und möglicherweise die Hälfte davon wegschmeißen), das den Kindern der Näherin fehlt.

Okay, das ist ein konstruierter Zusammenhang. Oder doch nicht? Wenn nun die Näherin samt ihren Kindern oder der Mann der Näherin nach Österreich „flüchten“, ist es möglicherweise genau die gut situierte Österreicherin, die sich darüber aufregt. Sie hat nicht das Gefühl, dass ihr aus den Rechten und Möglichkeiten (billig einkaufen können, Essen wegwerfen können etc.) auch Pflichten erwachsen. Welche sollten das auch sein?
Sie hat nicht die Pflicht sich darum zu kümmern, dass die Arbeitsbedingungen am anderen Ende der Welt menschenwürdig sind.
Sie hat nicht die Pflicht nur so viel zu kaufen wie sie essen kann.
Sie hat auch nicht die Pflicht eine Partei zu wählen, die für diese Dinge eintritt. Ganz im Gegenteil, das würde ihre Bequemlichkeit schmälern. Und vielleicht in Folge auch ihren Körperumfang, aber das ist eine andere Geschichte.
Diese Pflichten schiebt sie auf den „Staat“, er soll das regulieren oder auch nicht. Wenn nicht, dann macht das auch nichts. Es wäre aber fein, wenn er zumindest dafür sorgt, dass man die grauslichen Bilder verhungernder Menschen oder leidender Tiere nicht sieht. Die einfachste Variante, mit der man sich selbst aus all dem raushalten kann, was die eigene Bequemlichkeit stört, ist der sehr beliebte Satz „Ich interessiere mich nicht für Politik.“

Welches Recht haben also Menschen aus ihrem Land in ein anderes zu flüchten? Wenn das Land Menschen sucht, um seine Wirtschaft und damit das bequeme Leben aufrecht erhalten zu können, dann stellt sich die Frage nicht oder wird nicht zum Problem. Gut ausgebildete Europäer konnten und können tw. immer noch nach Kanada auswandern. Dort gibt es eine Menge Platz und wenn sie entsprechend sozialisiert und ausgebildet sind, bekommen sie ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht und irgendwann die Staatsbürgerschaft.
Schwieriger wird es, wenn wenig Platz vorhanden ist. Man spricht gerne von „Das Boot ist voll“ und vergisst, dass das einzige Boot, das in der Diskussion wirklich voll ist, dasjenige der Flüchtlinge ist, die damit über das Meer kommen und vor Lampedusa stranden oder von der EU-Abfangtruppe nicht sehr freundlich willkommen geheißen werden.

Ich komme nach Österreich und zu unserer Debatte zurück. Ist bei uns genügend Platz für mehr Menschen? Wollen oder brauchen wir die? Österreich ist ein sehr traditionelles Land, in dem sich sogar Menschen Trachten anziehen, bei denen Tracht keine Tradition hat (Wiener z.B.). Inzwischen gibt es beim Hofer sogar ganz billiges Trachtengewand, das diejenigen Menschen anfertigen, die wir aufgrund der durch die Trachten symbolisierten Tradition ablehnen. Sie sollen uns das Zeug bitte möglichst billig anfertigen und aber bitte gefälligst dort bleiben, wo sie uns nicht stören, bitte schön. Danke. Und das gilt auch für Kaffee, Autos, Grundnahrungsmittel, Tierfutter, Rohstoffe und all die Konsumprodukte, die wir billig haben wollen. Also fast alle.
Als Gegenleistung exportieren wir unseren Müll zu den Menschen, die uns das Zeug billig erzeugt haben.

Wenn ich solche Geschichten erzähle, dann höre ich meist folgende Antwort:
„Wenn diese Menschen unzufrieden sind, dann sollen sie doch eine andere Regierung wählen als die korrupte Verwaltung, die sie haben und die für ihre Lebensumstände verantwortlich ist. Wir können da nichts dafür.“
Stimmt das? Kennen Sie „Budgethilfe“? Das sind riesige Summen, die von den westlichen Staaten an die Drittweltstaaten gezahlt werden. An genau die Staaten, in denen die Menschen leben, die unsere billigen Sachen erzeugen.
Diese Budgethilfe wird direkt an die Regierungen ausbezahlt. Und damit diese das Geld nicht verwenden, um die Lebensbedingungen der billigen ArbeiterInnen zu verbessern, sorgen wir dafür, dass sie es sich selbst einstecken und etwa in der Schweiz bunkern. Daniel Toroitich Arap Moi, ehemaliger Präsident von Kenia, hat es so zu einem der reichsten Männer der Welt gebracht.
Wie wir dafür sorgen? Indem wir auf einen Verwendungsnachweis verzichten. Das ist doch großzügig, oder? Die armen Leute sollen nicht noch gezwungen werden die Verwendung der Budgethilfegelder nachweisen zu müssen. Das wäre ja Kontrolle wie in der Kolonialzeit und so wollen wir nicht sein.
In den Bedingungen steht selbstverständlich, dass sie die Verwendung nachweisen müssen. Nur wird es nicht kontrolliert. Das ist ein einfacher und sehr bequemer Weg die Regierungen korrupt zu halten, nicht nur in Afrika.

Und jetzt kommen doch welche, obwohl wir das doch verhindern wollten. Sie machen uns das Leben schwer, weil sie aus unterschiedlichen Gründen kommen. Da sind echte politische Flüchtlinge dabei, aber auch Menschen, die etwas betreiben, was man bösartig als „Asyltourismus“ bezeichnen kann. Und wir stehen vor der mühsamen Aufgabe jetzt theoretisch auseinanderklabüsern zu müssen, wer jetzt wer ist. Das ist nicht immer leicht festzustellen und es kostet viel Geld und Zeit.

Kommen wir wieder zu den Asylbewerbern in der Votivkirche. Im Jänner 2013 wurde eine interessante Heimat-fremde-Heimat-Sendung gedreht, die auf Youtube unter folgendem Link zu finden ist:

In der Sendung wird kurz die Entwicklung dargestellt und dann kommt der interessante Teil. Die Asylwerber sprechen selbst, in gebrochenem Englisch. Einer erklärt, dass man hierher gekommen wäre, um den ÖsterreicherInnen zu erzählen, was quasi los ist. In der Heimat „they would have shoot us“ meint er. Stimmt das? Wer kann das kontrollieren? Kann und soll er es beweisen oder liegt die Beweispflicht (dass dem nicht so ist) bei uns?
Ein anderer erzählt: „We have lost our families, our businesses, our everything in our country.“ Er berichtet, dass sie 27.000 km weit geflüchtet wären und an den Grenzen ständig in Gefahr gewesen wären erschossen zu werden.
Sie alle bekamen negative Asylbescheide. Einer formuliert „demands“, also Forderungen: „Human rights, a normal live and some small businesses.“ Sie würden auch gerne unbehelligt in die alte Heimat reisen und ihre Familien besuchen können.
Es ist sehr schwierig aus diesen Interviewfetzen heraushören zu können, ob das „echte“ oder „unechte“ Asylwerber sind. Ob sie also zu Recht einen negativen Bescheid („Sorry, für Wirtschaftsflüchtlinge ist bei uns kein Platz. Das Boot ist voll, nehmen Sie das nächste.“) bekommen haben oder nicht.
Aber was heißt „zu Recht“? Welches Recht ist das? Das der gut situierten Österreicherin, die sich nicht stören lassen will? Die das Recht hat zu sagen „Unser Land für unsere Leut“?
Hier schließt sich für mich der Kreis zu obiger Problematik. Wir sind keine Insel, wenn auch relativ selig. Oder zumindest wohlgenährt. Oder zumindest tierisch fettreich genährt. Mit Flatscreen und Barbara Karlich. Mit Auto und Schnitzerl, mit stets neuestem Smartphone und einem sportlichen Rülpser auf den Lippen.

Ich mache ein kurzes Fazit:
Wir leben in einer globalen Welt und wir haben keine zweite. Wir leben nicht gut, weil wir so fleißig hackeln, sondern zumindest auch, weil andere schlecht leben. Wir können uns noch recht einfach gegen die Ansprüche der Menschen wehren, die wir ausbeuten. Wir wählen auch diejenigen Parteien, die das perpetuieren. Wir haben jegliche Bescheidenheit und Genügsamkeit verlernt, gemeinsam mit der Achtung vor der Umwelt und den Menschen auf dieser Welt, denen es nicht so „gut“ geht wie uns. Wir sagen „die sind selbst schuld“ und schauen weg oder „Reich und schön“ Folge 2.428. Wir pochen auf das „Recht“ und vergessen auf jede Form der Pflicht. Sie wird auch nicht eingefordert, zumindest noch nicht.

Was ich mir wünsche:
Ich möchte wissen, wie Asylbescheide zustande kommen. Wie wird da recherchiert? Welche Infos werden von wo eingeholt? Ich will mehr Transparenz.
Ich will ein anständiges Zuwanderungsgesetz mit klaren Richtlinien, streng aber fair. Und damit ein Ende der Debatte oder zumindest die Klarheit, die stets versprochen und von Politikern gefordert wird.

Ein Gedanke zu „Asylanten, Wirtschaftsflüchtlinge oder was?

  • 30. Juli 2013 um 18:28 Uhr
    Permalink

    Das hat schon fast ZEIT-Qualität. Bis auf den Punkt mit der Budgethilfe. Die steht argumentatorisch ein wenig einsam rum…

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