Der Sanfte ist gegangen

Es ist dreißig Jahre her, seitdem ich Gabriel das letzte Mal gesehen habe. Der Anruf von seiner Schwester kam mehr als überraschend: „Mein Bruder ist gestorben und heute war das Begräbnis.“
Durch eines dieser Missverständnisse, die einem im Leben begegnen, wußte ich nichts davon und habe es daher leider versäumt.

Sie hat zwei Brüder und trotzdem wusste ich sofort, welcher gemeint war. Wenn ich die Uhr um drei Jahrzehnte zurück drehe, dann taucht sofort ein Bild auf, von einem sehr schlanken, dunkelhaarigen Jugendlichen, mit dem ich gemeinsam Lautsprecherboxen baute – die ersten und einzigen meines Lebens. Eine davon ist verloren gegangen, aber die zweite habe ich noch.

Box.jpg

Bild: Selbstgebaute Lautsprecherbox

Wie wir auf das Thema kamen weiß ich nicht, aber Gabriel ging in eine Schule, in der man lernte, mit Elektronik umzugehen, und das fand ich toll. Er besorgte die Teile und gemeinsam bauten wir die Lautsprecher, die ich noch viele Jahre bei unterschiedlichen Gelegenheiten verwendete – die übrig gebliebene Box funktioniert übrigens bis heute.
Gabriel war anders als seine Geschwister. So wie ich war er der Älteste. Sein Bruder fuhr ein paar Jahre später gemeinsam mit uns in den Urlaub nach Kroatien. Er war ein kräftiger junger Mann, sehr offen der Welt zugewandt und gerade auf Menschen zugehend. Seine Schwester war ein kleines Energiebündel, frech und mit großen Augen.
Gabriel war ruhig und ein wenig an der Grenze zu einer dunkleren Welt, der beste Ausdruck ist eben „sanft“, auch wenn ich nicht weiß, was dahinter verborgen schlummerte.

Das Leben stellte die Weichen und wir verloren uns aus den Augen. Jahre später gab es noch einen Versuch meiner Mutter, uns noch einmal freundschaftlich zusammen zu bringen, aber der scheiterte, aus welchen Gründen auch immer.
Der Weg, den er eingeschlagen hat, war sicher kein leichter und endete hinter der Grenze, die ihn immer schon angezogen haben dürfte.

Er hinterlässt stärkere Spuren als andere Menschen, die ich zu dieser Zeit kennen lernte. Er pflanzte den Keim für meine Leidenschaft zu Musikanlagen, die bis heute ungebrochen ist. Die aktuellen Lautsprecherboxen hat mir auch ein Freund gebaut, dessen Leben zahlreiche Ecken und Kanten hat – manche Dinge ziehen sich wie ein roter Faden durch das Leben jedes Menschen.

Vielleicht bleibt ja von jedem Besucher dieser Welt etwas zurück. Wer weiß das schon. Ruhe sanft, Sanfter!

Ein Gedanke zu „Der Sanfte ist gegangen

  • 13. März 2011 um 22:15 Uhr
    Permalink

    Interessanter Beitrag. Würde gern mehr Blogposts zu der Thematik sehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert