Die Zero DSR – fast lautlos durch die Landschaft surren.

„Oh, eine Camouflage-Lackierung!“ – so meine erste Reaktion, als ich die neue ZERO in der Garage stehen sehe. Gefolgt von „oh, kein Hauptständer“.
Das verwirrt mich dann doch ernsthaft, denn das Motorrad wurde extra als Europa-Modell aufgebaut und ich frage mich, ob sie in Kalifornien wissen, dass es hier auch Untergründe gibt, auf denen ein Seitenständer blitzschnell einsinkt.
Ich führe diese Entscheidung auf die scheinbar dringende Notwendigkeit zur Gewichtsersparnis zurück, so wie den Verzicht auf eine zweite Bremsscheibe vorne.
Da die ZERO im Touringbereich auf alteingesessenen Mitbewerb stößt, muss hier ein kritischer Blick erlaubt sein, auch wenn man diesem tollen Bike gerne ein paar Vorschusslorbeeren geben möchte.

Im Fahrbetrieb erweist sich die vordere Bremse als fröhlich zupackend und sehr angenehm dosierbar. Dazu kommt noch ein lustiges Surren, wenn in der ECO-Einstellung die Rekuperation aktiviert wird.
Ob sie nennenswert Strom erzeugt, müsste getestet werden. Hier würden mich Leistungszahlen im Realbetrieb wirklich interessieren. In diversen Fahrzeugen gibt es dafür eine Anzeige im Display und das könnte auch für nicht so verspielte Fahrer interessant sein.

display.jpg

Bild 1: Das Display – neben der Geschwindigkeit ist die Ladestandsanzeige das wichtigste Instrument.

Die Motorleistung kann dreifach verstellt werden. Im ECO-Modus zeigt der Tacho maximal 114 km/h an, die Beschleunigung ist vergleichbar mit einer sehr gut gehenden 250er und für entspanntes Cruisen absolut ausreichend. Man darf nicht vergessen, dass ordentlich Gewicht geschleppt werden muss und hier eine echte Schwachstelle von E-Bikes liegt. Bergauf ordentlich beschleunigen saugt an den Akkus so gewaltig, dass du die Prozente fast sekündlich schmelzen siehst wie Eis in der Sonne. Die Unterschiede zu einem benzingetriebenen Fahrzeug sind hier entweder deutlich größer oder erscheinen zumindest so.

Noch massiver zeigt sich das im SPORT-Modus. Du beginnst irgendwie instinktiv nach der nächsten Steckdose zu suchen und schaust noch einmal nach, ob du das Ladekabel eh nicht daheim vergessen hast. Dafür geht beim Beschleunigen so richtig die Post ab. Die Tachoanzeige kommt nicht mehr mit, vor allem zwischen 60 und 110 braucht die ZERO den Vergleich mit einer 750er-Klasse nicht scheuen, wenngleich genau der Vergleich eigentlich nicht angebracht ist, denn das Fahrerlebnis lässt sich nur beschränkt mit Drehmomenten oder PS-Zahlen ausdrücken.
Auch die oft gehörte und gelesene Aussage, dass bei einem Elektro-Bike das volle Drehmoment gleich von Null weg zur Verfügung steht, hat in der Praxis keinerlei Bedeutung, denn die Kraft wird vom Steuergerät geregelt und das lässt genau das eben nicht zu. Mit einem spontanen Wheelie absteigen will aber ohnehin niemand.

Der SPORT-Modus macht eindeutig süchtig und wird seinem Namen gerecht. Du kannst ordentlich und fast lautlos durch die Landschaft sägen, zumindest bis dir der Akku eine klare Grenze setzt.
Die beiden Modi ECO und SPORT sind meines Erachtens bereits ausreichend und machen aus der ZERO quasi zwei Motorräder.
Der dritte Modus namens CUSTOM lässt eine individuelle Programmierung zu und ist jetzt auch über eine App am Handy steuerbar. Das ist ein sehr nettes Feature und wird bei den hoffentlich zahlreichen Besitzern in Zukunft wohl Verwendung finden.

Die inzwischen elend strapazierte Frage der Reichweite kann bei der neuen ZERO auf zwei Arten beantwortet werden: Entweder nimmt man sich ein zusätzliches Power-Pack oder eine Schnell-Ladestation mit auf die Reise.
Ich würde mich für die Ladestation entscheiden, wenngleich die Herstellerangaben über Reichweite und Ladedauer einer realen Prüfung unterzogen werden müssten, bevor ich daran glaube. Angeblich kann man in einer Stunde 150 km Reichweite nachtanken. Das wäre absolut ausreichend für gute Tagestouren.

laden.jpg

Bild 2: Der Anschluss für das Schnellladekabel.

anschluss.jpg

Bild 3: Hier wird das normale Ladekabel angeschlossen – mit einem Kaltgerätestecker.

Auch die vollmundige Ansage, dass man das stärkste Akkupack am Markt hat, verlangt einen Realitätscheck. ZERO verbaut nämlich die gleichen Zellen (Rundzellen 18650) wie fast alle anderen Hersteller von Elektrofahrzeugen, BMW und Tesla inklusive. Derzeit ist der nächste Entwicklungsschub noch nicht am Horizont erkennbar und bis dorthin lässt sich punkto Reichweite nicht mehr allzu viel optimieren. Dem Problem, dass Akkuzellen Platz brauchen und schwer sind, kann sich kein Hersteller entziehen.

Der Lenker ist sehr breit, die Sitzposition aber angenehm, zumindest für meine 186 cm. Das Fahrverhalten möchte ich als ordentlich bezeichnen, sie geht recht gut in die Kurve und hat einen ordentlichen Geradeauslauf. Die Federung gefällt mir sogar sehr gut, nicht zu hart, trotzdem fühlt sie sich nicht unsicher an.

federbein.jpg

Bild 4: Das zentrale hintere Federbein mit guter Leistung. Das Ding mit den Kühlrippen dahinter ist der Motor.

Das Outfit der „ZERO DSR Black Forest“ ist modern, die GIVI-Koffer sind wuchtig und passen gut zum ebenfalls nicht dezenten Sturzbügel.

koffer.jpg

Bild 5: Die drei Koffer wirken nicht nur wuchtig, sie sind es auch.

Vielleicht ist das ja die Antwort auf den fehlenden Hauptständer: Wenn sie dir schon umfällt, dann ist wenigstens nichts kaputt.
Kaputt sollte auch sonst nichts werden – laut Hersteller müssen in den ersten 40.000 Kilometern gerade mal Bremsen und Reifen erneuert werden. Ich habe aber auch berichtet bekommen, dass es in der Vergangenheit mit der Wartung große Probleme gegeben hat, bedingt durch das dünne Servicenetz und mit der Elektronik überforderten Mechanikern. Hoffentlich hat man hier reagiert und die Probleme sind tatsächlich welche aus der Vergangenheit.
Wenn wir schon bei den Schwachstellen sind: drei Givi-Koffer, drei verschiedene Schlüssel. Die Logik dahinter bleibt mir verborgen. Ansonsten wirkt aber alles soweit praktisch und praxisgerecht.

seite.jpg

Bild 6: Sie ist eigentlich recht schlank, sicher weniger wuchtig als viele große Enduros. Die Sonderausstattung zeigt sich mit Zusatzscheinwerfern, einem Gitter vor dem Hauptscheinwerfern, wuchtigen Sturzbügeln, der Camouflage-Lackierung, den Koffern und einer Scheibe plus Handschutz.

Die erste ZERO (damals das Modell DS) habe ich 2012 getestet. Die Kraftentfaltung war damals schon ganz okay, die Reichweite lag bei echten 120 km im Realbetrieb. Die SR drei Jahre später hatte schon mehr Schmalz, aber auch hier war bei ca. 125 Schluss. Die DSR dreht auf der Geraden bis 155 aus, mehr brauche ich persönlich nicht, sie eignet sich sowieso nur bedingt für Autobahnrennen über mehrere hundert Kilometer.

Spaß macht es zwischen 60 und 130 – da ist sie ganz in ihrem Element und ich musste aufpassen, dass ich einige Kurven noch gut erwischen konnte. Durch die extrem geringe Lautstärke ist die Geschwindigkeit schwieriger einschätzbar und so konnte ich auch das ABS ausprobieren. Es bewirkt ein Stampfen und Versetzen des Vorderrads. Das fühlt sich zwar nicht gut an, dafür muss man die DSR aber schon an ihre Grenzen bringen.

Das Gummibandgefühl ist der süchtig machende Faktor, vor allem in Kombination mit der Bequemlichkeit nicht schalten zu müssen. Das erlaubt einerseits volle Konzentration auf die Straße, lässt aber andererseits generell bequem werden. Jederzeit die volle Kraft zu haben ist wie eine Dauererektion – irgendwann will man wieder runter von der Welle. Die Zero im Sportmodus ist das Viagra unter den Motorrädern. Und so schalte ich wieder in den Eco-Modus und genieße das flotte, aber normale Dahingleiten.
Beides zu haben ist toll, will aber bei der Zero auch bezahlt werden und da taucht die Frage des Wertverlusts auf, der eine schnelle Antwort fehlt. Der Markt ist klein und die Akkutechnik entwickelt sich schnell genug weiter um gebrauchte E-Motorräder skeptisch beäugen zu müssen. Vielleicht kann man sich aber die alte Porsche-Philosophie ausborgen: Wer einen günstigen Porsche will, soll einen gebrauchten kaufen.

Die Zero hat sich einen fixen Platz unter den Motorrädern verdient, so viel ist sicher. Möglicherweise bewirkt sie auch Entwicklungsschübe bei anderen Herstellern, die den Kaliforniern den Markt nicht einfach so überlassen wollen. Und irgendwann wird der Lärm in den Wäldern weniger werden und die meisten Benzinbrüder werden zu Strombrüdern. Sogar Harley Davidson arbeitet schon an einem Elektrochopper. Wer darauf nicht warten will, kann ja inzwischen mit der Zero durch die Landschaft surren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert