Zypern – eine Reise in den Sommer

ZYPERN

Ein paar Betrachtungen anlässlich der Zypernreise 11. Bis 18. Oktober 2022

Ich bin immer wieder erstaunt, dass die Flugbegleiterinnen nach den Worten „Enjoy your flight“ nicht in wildes Hohngelächter ausbrechen. Angemessen und verständlich wäre es allemal, denn das wohl letzte Wort, das mir beim Fliegen einfallen würde, wäre irgend eine Form von „enjoy“ – es gibt zahlreiche Attribute, aber „Genuss“ ist sicher nicht dabei. (Weil ich diese Zeilen mit einiger Verzögerung in mein Weblog stelle, ist es bereits Winter und mein Bruder ist genau jetzt mit seiner Familie inkl. Dreijährigem „stuck“ in Toronto, und zwar vier Tage lang, bevor der nächste Weiterflug nach Florida geht…)

Sehen wir uns das ein wenig genauer an. Flugerlebnisse lassen sich am besten gesamtheitlich betrachten und so beginnen wir am Beginn.
Dieser lässt sich zeitlich auf 03:15 Uhr festlegen, das ist schon mal für die meisten Menschen deutlich außerhalb ihrer Komfortzone, für mich übrigens sowieso.
Aufstehen wird zu Aufstöhnen, mit ein wenig Aufwanken, denn ich kann gar nicht so früh schlafen gehen, dass ich um diese Zeit nicht auf jeden Fall hundemüde bin.
Also anziehen und schauen, dass nichts Wichtiges dem Vergessen anheim fällt.
Mehrfachkontrolle von Reisepass, Handy und Bordkarte sowie Roller- und Autoschlüssel. Den Rollerschlüssel brauche ich, weil mich die Benützung anderer Verkehrsmittel zum Flughafen fast immer Nerven und Geld kosten, und das reichlich, etwa wenn das bestellte Super-Spitzen-Flughafentaxi nicht erscheint.
Erinnerungen kommen hoch: Als ich anrufe wird mir mitgeteilt, dass sich der Fahrer leider verspätet, weil er noch eine andere Fuhre hat, man sei ohnehin ein klein wenig untröstlich.
Und ob mir das eh nichts ausmacht. „Doch“ brülle ich ins Telefon, „ich versäume meinen Flug“. Das Verständnis für mein Problem hält sich auf der anderen Seite in überschaubaren Grenzen und die Dame empfiehlt mir 40100 anzurufen, das wäre die Taxizentrale und die würden mir dann ein Taxi schicken.
Dieses Erlebnis ist zwar schon ein paar Jahre her, hat sich aber in mein Gedächtnis ausgesprochen fest eingebrannt.
Außerdem zahlt man heute für eine Fahrt zum Flughafen ca. 45 Euro und noch einmal so viel zurück. Mit dem Roller kostet es mich ca. drei Euro Sprit, da ist das Benzin aber schon mit zwei Euro pro Liter gerechnet.
Eine Alternative wäre noch DriveNow, das ist inzwischen aber auch nicht mehr viel billiger als das Taxi und in den meisten Fällen muss ich auch noch einen längeren Fußmarsch absolvieren, weil bei mir daheim gerade kein Wagen in der Nähe steht. Seitdem sie die Flotte deutlich verkleinert haben, noch seltener.
Mit dem Bus, der U-Bahn und der Schnellbahn artet der Weg zu einer halben Weltreise aus, abgesehen davon, dass um diese Zeit noch nicht alle Öffis ihren Betrieb aufgenommen haben, schon gar nicht unter der Woche.
Dazu kommt noch das Risiko einer Störung.
Also der Roller – schnell, stausicher, zuverlässig und billig, denn das Parken am Flughafen ist für Zweiräder gratis – übrigens das einzige, was am Flughafen gratis ist. (Für Nachahmer: Von Wien kommend die Ankunftsspur nehmen, links an der Abflugrampe vorbei und gleich dahinter rechts abbiegen und unter der Rampe durchfahren. Danach ist gleich auf der rechten Seite der wunderbar überdachte Zweiradparkplatz, von dem aus man trocken und direkt in die Abflughalle marschieren kann.)

Ich verstaue Helm und Jacke und Handschuhe im Topcase und stiefle los. Der Zeitaufwand Haustüre – Abflughalle beträgt ca. dreißig Minuten und lässt sich sehr gut planen, mit dem Taxi würde es übrigens ähnlich lange dauern, sofern kein Verkehr ist.
Einziger Nachteil: Bei schlechter Witterung ist der Roller keine Option.
Ich fliege diesmal mit WIZZAir und erwarte mir nicht allzu viel von der Billigfluglinie. Zur Sicherheit habe ich mir einen Flug mit Sitzplatzreservierung genommen – Reihe 15 am Notausgang, da habe ich etwas mehr Fußfreiheit.
Den Checkin habe ich ebenfalls schon am Vortag gemacht und mir auch schon die Bordkarten für Hin- und Rückflug ausgedruckt, zudem habe ich einen Tarif, bei dem ich ein Gepäckstück aufgeben kann.
Den Ausdruck mache ich deswegen immer, weil ich dem Handy nicht vertraue. Ein Absturz, der Akku ist leer, es fällt mir runter – okay, dann können sie mich immer noch mit dem Reispass irgendwie einchecken, aber sicher ist sicher.
Spannend wird es jetzt bei der Gepäckaufgabe. Ich habe gestern eine superwichtige Email bekommen, dass ich mein Gepäck am besten bei der Selbstgepäckaufgabe oder Gepäckselbstaufgabe oder so ähnlich aufgeben soll.
In der Praxis ist das dann doch nicht so einfach, wie es in der Mail beschrieben wurde. Ich schaffe es irgendwie an einem Terminal die Bordkarte zu scannen und bekomme einen Klebestreifen ausgedruckt, so ähnlich wie das Ding, das die Dame am Schalter normalerweise um einen Griff meiner Tasche wickelt.
Diesen Streifen muss man nach einem bestimmten System von der Folie befreien, die den Klebestreifen schützt. Das aber nur bis zu einer Stelle, die mit „STOP!“ gekennzeichnet ist. Wer das schafft, kann den Streifen um irgendeine Lasche des Gepäcks schlingen und dann richtig zusammenkleben. Wichtig ist, dass der Strichcode frei bleibt.
Ich schaffe das einigermaßen würdevoll und stelle mich in der Schlange an. Diese ist auch nicht viel kürzer als die Schlange vor den normalen Schaltern und ich frage mich, wo der Vorteil ist.
Wobei – es hat ja niemand gesagt, wer hier den Vorteil hat. Vielleicht ist es ja der Flughafen oder die Fluglinie oder beide, der Fluggast ist es jedenfalls eher nicht.
Vorne am Gepäckaufgabeband befindet sich noch ein weiterer Flughafenmitarbeiter (der erste hilft die Laschen auszudrucken), der den Fluggästen hilft, denn logisch oder intuitiv sind keine Attribute dieses Systems. Man muss nämlich das Gepäck aufs Förderband legen und dann den Strichcode am Klebestreifen mit einem Handscanner scannen. Das schaffe ich nach einer kleinen Einschulung, in Summe war das alles aber wesentlich aufwändiger als mit der herkömmlichen Variante.

Mein Flug scheint nicht als verspätet auf, aber die Erfahrung sagt mir, dass ich den Tag nicht vor dem Abend loben soll.
Bis ich am Flughafen in Larnaca samt Gepäck beim Ausgang stehe, ist Verspätung möglich.
Jetzt gehe ich aber erst einmal durch die Kontrolle zwecks Durchleuchtung. Und ich ziehe auch gleich das große Los als „potenziell explosiv“ eingestuft zu werden, das ist quasi der Hauptpreis.
Eine nette Dame eröffnet mir, dass ich beim Glücksrad die Sprengstoffkontrolle gezogen habe (besonders fein: ohne zu spielen) und bittet mich, den Hosenbund freizumachen, damit sie mit einem flüssigkeitsgetränkten Pad drüberstreichen kann.
Auch mein Handgepäck wird auf diese Art kontrolliert und dann wünscht mir die nette Dame eine gute Weiterreise.
Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass ich diesmal die Schuhe nicht ausziehen musste. Ich fliege immer mit meinen alten Palladium und die muss ich normalerweise immer ausziehen.
Ich ärgere mich ein wenig, dass ich die Wasserflasche ausgetrunken und entsorgt habe, andere Fluggäste haben sie leer mit hineingenommen und dann am WC mit gutem Wiener Hochquellwasser aufgefüllt. Als Profi sollte mir so ein Fehler nicht passieren.
Die Alternative besteht im Kauf einer teuren Plastikwasserflasche mit Wasser, das von der Qualität niedriger als das Wiener Wasser einzustufen ist, vor allem, weil es aus der Plastikflasche kommt. Drei Euro kostet der halbe Liter.
In der WIZZair bekommt man nämlich nicht einmal einen Schluck Wasser gratis.
Sehr schlimm ist das nicht, denn ich kann mir ja im Fall einer großen Durstattacke was kaufen und der Flug dauert auch nicht so lange.
Hoffe ich zumindest.

Immerhin habe ich gehört, dass die Benützung der Bordtoilette noch gratis ist. Ich schätze aber, dass sie noch draufkommen, dass man damit ordentlich Geld verdienen kann. So ein Münzhäusl an Bord ließe sich technisch schon machen, bezahlen kann man ja auch mit der Kreditkarte.
Dafür gibt es in der Bordbroschüre jede Menge gute Tipps zum Geldsparen: Es wird empfohlen sich statt einem Weckerl und einem Getränk gleich ein super-duper-Kombiangebot zu kaufen, das ist in Summe einen ganzen Euro billiger.
Und es gibt immer noch das altbewährte Speibsackerl, jetzt neu mit Wohlfühltipps (wir erinnern uns: „enjoy your flight“).
Wem übel wird, der soll einfach das Rätsel am Speibsackerl lösen, bis die Übelkeit weg ist. So einfach ist das. Ich kannte das vorher nicht, muss aber anmerken, dass ich es eher nicht ausprobieren möchte.

Ich blende noch einmal zurück in das riesige Wartehallenkonglomerat am Flughafen, auf dem ich mich immer noch befinde.
Als nächstes muss ich durch die Passkontrolle, denn Zypern ist zwar in der EU, aber nicht im Schengenraum, warum auch immer.
Dahinter finde ich etwas, das am Flughafen Schwechat etwa so selten ist wie ein Edelweiß im Wienerwald: eine freie Sitzgelegenheit ohne Konsumzwang, quasi ein Jackpot, vor allem, weil ich die superbequeme Variante mit Extra-Fußstützen finde, liegestuhlartig, so richtig zum Relaxen.
Der Flughafen versucht seit längerer Zeit die Fluggäste immer und überall zum Konsum zu zwingen, hier dürfte ihm eine Art letztes Rückzugsgebiet entgangen sein, eine Enklave, ein gallisches Dorf.
Die konsumfreien Zonen wurden und werden immer weniger, dazu kommt noch das Zwangsdurchschleusen durch die Duty-Free-Zone, in der die parfümierte Raubtiere warten und sich gierig auf jedes Opfer stürzen. Unter drei Duftproben kommt man dort nur schwer durch.
Ich döse ein wenig in meinem Luxussessel dahin, schließlich habe ich noch mehr als 1,5 Stunden bis zum Abflug, das zaht sich.
Wobei – ich korrigiere: bis zum Zeitpunkt des geplanten Abfluges. Wann der genau stattfinden wird, lässt sich nicht sagen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit gehe ich zum Gate. Das Boarding ist die nächste Prüfung, denn für die WIZZair gibt es keine Fluggastbrücke. Wir müssen ca. zehn Minuten auf einer zugigen Gangway warten, auf was auch immer. Dann dürfen wir zum Flugzeug gehen und einsteigen. Ich bin ziemlich froh, dass es nicht Winter ist und entere das Flugzeug.
Dort befindet sich schon eine illustre Mischung aus alleinreisenden Geschäftsleuten und Urlaubsgästen, Familien jeder Größe, mit oder ohne schreienden Säuglingen, Pensionist:innen, kichernden, höchstgeschminkten besten Freundinnen, Pärchen etc.
Ihnen allen ist gemein, dass sie eine Vielzahl riesiger Handgepäckstücke haben. Das ist zwar eigentlich nicht erlaubt, aber scheinbar gibt es hier weder Kläger noch Richter.
Was es auch nicht gibt ist mein Platz in der Fußfreireihe.
Die Reihe 15 gibt es, aber anders als im (Online)Prospekt ist sie drei Reihen vor den Notausgängen, sozusagen: Ätsch!
Also sitze ich in maximaler Beengtheit und hoffe auf einen pünktlichen Abflug. Neben mir eine junge Mutter mit Kind, was durchaus okay und nicht stressig ist.
Ich stelle mir einen schwitzenden 150-kg-Typen vor und bin nicht unzufrieden.

Doch eher unzufrieden bin ich, als die Borddurchsage kommt. Aus irgendeinem Grund haben wir eine Verspätung aufgerissen, die Durchsage ist so nuschelig und leise, dass ich Details nicht verstehen konnte.
Aus den angekündigten zehn Minuten wird eine halbe Stunde – immerhin, das ist in der heutigen Zeit quasi fast schon pünktlich.
Die letzten Jahre wurden Heerscharen an Optimierungs-, Rationalisierungs-, und Effizienzberatern durch die Flugindustrie gescheucht. Das Ergebnis dieser Kosteneinsparungsprogramme ist das Fehlen jeglichen Puffers, sowohl was Zeit, als auch was Personal- und sonstige Ressourcen betrifft.
Sie sind sozusagen immer und überall „on the edge“ und wenn auch nur die geringste Kleinigkeit passiert, steht alles.
Wir zum Beispiel stehen. Allerdings mit dem Versprechen, dass es irgendwann weitergehen könnte.
Ich erinnere mich an den Frachter im Suez-Kanal, der durch eine leichte Panne eine Kaskade an Folgeunfällen ausgelöst hat.
Möglicherweise ein gutes Beispiel für das, was uns in Zukunft bevorsteht.

Der Flug verläuft unspektakulär und nach drei Stunden landen wir in Larnaca.
Der Flughafen ist klein und alles läuft hier entspannt ab. Die Passkontrolle geht schnell, auch das Gepäck ist sofort da, wie auch die nette SMS von Wizzair, die mir mitteilt, dass der Flug leider verspätet starten wird. Wenigstens haben sie sich hier das „Enjoy your flight“ gespart.

DIE INSEL

Zypern ist in etwa so wie ich mir das vorgestellt habe. Um diese Jahreszeit sehr trocken, im Südteil wenig bewaldet, in Summe subtropisch, überall wachsen Palmen und das Klima lässt sich in etwa mit dem von Tel Aviv vergleichen, das ja nicht weit weg liegt.
Es gibt in Larnaca mehrere Sandstrände mit Liegestuhlreihen und einem Baywatch-Bademeister auf einem Turm, halt in der zypriotischen Ausgabe. Eine Strandpromenade wird gesäumt von einer Fressmeile inklusive Pub und Hofbräuhaus für saufende Engländer und andere Pauschaltouristen. Die dazu gehörenden Fußballübertragungen sind natürlich ebenfalls omnipräsent.

Die Architektur schwankt zwischen „halbverfallenem Kolonialstilhaus und „später Stahlbeton“. Es gibt auf jedem Dach Wassertanks in Form von weißen Tonnen unterschiedlicher Größe, manche haben auch ein Solarpanel dabei. Das Wasser wird dort hochgepumpt und so versucht man den nötigen Wasserdruck zu erzeugen. In den nächsten Jahren wird die Frage nach genügend Wasser sicher noch akut.
Die Wassertonnen wetteifern ästhetisch mit einer Unzahl an Klimaanlagenkästen um den ersten Platz auf der Hässlichkeitsskala, weit abgeschlagen sind die Sat-Schüsseln.

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Bild: Die Wassertanks in ihrer ganze Pracht

Der Autoverkehr hält sich hier in Grenzen, die ganze Insel hat etwa 800.000 Einwohner:innen, es wird wenig gerast, viel gehupt und natürlich ist auch hier das meistgeliebte und am wenigsten sinnvoll verwendete Auto das SUV.
Es gibt aber keine bis wenig Staus und man parkt dort, wo gerade irgendwie noch Platz ist. Strafzettel werden keine verteilt, stattdessen bekommt man einen Kratzer in den Lack, wenn man zu blöd parkt.
Blöd heißt andere massiv behindernd, etwa den Bus, der das auch mit extra lauter Hupe unüberhörbar bekannt gibt, gerne auch in der Nacht. Das holt nicht nur die Oma aus dem Koma, sondern auch den Autobesitzer aus der Taverne.
Besonders auffällig sind die Gehsteige, vor allem die nicht vorhandenen oder nur in Resten vorhandenen.

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Bild: Gehsteige? Was für Gehsteige?

Die junge Frau mit Kinderwagen, die vor mir geht, muss eine Art ausgedehnten Hindernisparcour bewältigen, mit den Sonderprüfungen „übergangsloser Kreisverkehr“, „elendhohe Bordsteinkante“ sowie „plötzliche Hausmauer mit Kurve ohne Gehsteig“
Flüche waren keine zu hören, es dürfte für sie eine Routinehandlung sein.
Es ist mir nicht klar geworden, wer im Zweifelsfall Vorrang hat, es dürfte aber so etwas wie eine „Mitleidsrücksicht“ geben, man wird meist problemlos über die Straße gelassen.
Als Wiener Bezirksrat bin ich des öfteren bei sogenannten „Ortsverhandlungen“ dabei, wo es um die Genehmigung von Veränderungen auf öffentlichem Grund geht, also etwa um einen Schanigarten. Da geht es um Restgehsteigbreiten, Orientierungshilfen für Blinde, Sichtbeziehungen etc.
Um es kurz zu machen: Kein Gehsteig hier hätte auch nur die geringste Chance auf Genehmigung. Die Damen und Herren der zuständigen Magistratsabteilung würden sich wohl schwer zwischen spontanem Lachkrampf dem sofortigen Herbeirufen eines Räumkommandos entscheiden können. Die Restgehsteigbreite wird hier gerne einmal so zusammengekürzt, dass sie bereits nicht einmal mehr in Zentimetern angegeben werden könnte – „Spalt“ wäre vielleicht noch die passendste Bezeichnung.
Wie auch immer, es dürfte hier weder Kläger noch Richter geben und irgendwie finden sich alle mit der herrschenden Anarchie ab.

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Bild: Eine ganz normale Gasse in Larnaca. Wo irgendwie möglich, stellt man sein Auto hin.

Ebenfalls auffällig sind die omnipräsenten Katzen. Es gibt davon eine große Menge, wobei die Farben schwarz, weiß und semmelrotblond dominieren. Besonders beliebt sind die Katzen allerdings nicht. Sie sind meist recht scheu und sich können oft schwer zwischen der Lust auf eine Streicheleinheit und der Angst vor einem Fußtritt entscheiden, meist siegt zweiteres, sogar wenn sie in der Taverne um Futter betteln. Sie hausen überall, gerne auf verlassenen Grundstücken, die es hier noch zur Genüge gibt. Einer der Gründe dafür ist der Bürgerkrieg zwischen Türken und Griechen, der zur Teilung der Insel geführt hat. Damals gab es so etwas wie ethnische Trennung und daher gibt es eine Menge verlassener Häuser, die jetzt gerne von Katzen bewohnt werden.
Hunde gibt es dafür nur sehr wenige und diese gehören meist Touristen.

Dafür gibt es Motorräder und sie dienen in erster Linie dazu Krach zu machen. Die Zyprioten sind da wie die Griechen, sie donnern mit möglichst viel Lärm durch möglichst enge Gassen zu möglichst später Zeit.
So wirklich stören dürfte das aber niemand und es erinnert mich an das Griechenland der 1980er, wo auf der Landstraße jede Menge Kreuze zu sehen waren. Die meisten davon als Erinnerung an verunglückte Motorradfahrer, denen die Kombination „starkes Motorrad“, „ohne Helm“ und „zu schnell mit Kurve“ nachhaltig auf die Gesundheit geschlagen hatte.

Auf die Gesundheit kann sich auch das Essen schlagen, zumindest wenn man es so reichlich zu sich nimmt, wie wir das getan haben. Es gibt nämlich ausgezeichnetes Essen, zypriotisch und griechisch und libanesisch und noch einiges mehr. Auf dieser Insel gibt es eine große Vielfalt, leider hat auch die Fast-Food-Industrie sich ihren Platz erkämpft und es ist einer in der ersten Reihe.

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Bild: Das exzellente Mittagessen am ersten Tag

ES wimmelt von Burger Kings, McDonalds, Kentucky Fried Chicken, TGI Friday und noch einigen Ketten mehr.
An jeder Ecke gibt es Burger, Pizza, Pasta und natürlich Kebab.
Glücklicherweise finden sich dazwischen noch die klassischen Tavernen, wobei auch von denen viele schon das globale Junk Food führen, scheinbar wollen das entsprechend viele Leute.

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Bild: Eine der zahlreichen, netten Tavernen, in denen wir sehr gut gegessen haben

Besonders beliebt und angeblich auch von hier stammend ist der Halloumi-Käse, den es in verschiedenen Varianten gibt. Die Zyprioten frittieren gerne, das Essen ist noch ein wenig üppiger als in Griechenland.

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Bild: Das Essen ist gut, meist aber sehr fett

Nur gutes Brot ist Mangelware, man bekommt fast überall die Pita-Fladen, die ja ganz nett sind, aber kein gutes Weißbrot ersetzen können, etwa zum griechischen Bauernsalat, der hier „Village Salad“ heißt.

Larnaca hat mit ca. 50.000 Einwohner:innen ungefähr so viele wie Wien Währing. Die Stadt ist sehr auf Tourismus ausgerichtet, was ihr gerade zu Corona-Zeiten zu schaffen gemacht hat, derzeit fehlen aber vor allem die russischen Gäste, die in den letzten Jahren besonders in Form von mittelständigen Familien zahlreich die Insel besucht haben.
Neben den vielen Gastromöglichkeiten gibt es auch jede Menge Geschäfte, vor allem Boutiquen, Juweliere, jedoch keine Supermärkte, Obst- und Gemüsehändler, keine Bäckerei, keine Fleischerei, zumindest nicht im Zentrum.
Es gibt allerdings die Bäckereikette Zorbas, die auch in Larnaca mit einigen Filialen vertreten und sehr gut sortiert ist. Wenn man ein wenig an den Stadtrand fährt, lässt sich dann alles finden, was man braucht.
Im Zentrum sind vor allem Hotels, Bars und Appartementhäuser, die eine lange Strandpromenade säumen.
Der Sandstrand selbst hat Adria-Feeling, es geht sehr lange flach hinein und es ist angenehm zum Schwimmen. Die Anzahl der Liegestuhlreihen hält sich in Grenzen und es geht – zumindest im Oktober – recht entpannt zu.
Hektik kommt generell selten auf, auch nicht im Straßenverkehr, der zunehmend wie bei uns durch kleine E-Scooter einerseits und riesige SUV andererseits geprägt ist. E-Autos habe ich aber keine gesehen, ebensowenig Ladestationen.

Einquartiert bin ich bei Gerhard, einem alten Freund und Kollegen, der vor drei Jahren endgültig hierhergezogen ist. Als Programmierer ist er beruflich weitgehend ortsunabhängig, das Klima ist angenehm, die Wohnung billiger als in Wien und hier noch mit Meerblick, zumindest bis ihm eine Hotelburg vor die Nase gesetzt wird.

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Bild: Ausblick von Gerhards Wohnzimmer im vierten Stock

Zu sehen gibt es in Larnaca ehrlich gesagt nicht viel, in einem halben Tag ist man eigentlich mit allem durch. Es gibt ein altes Castle an der Promenade, das nach zehn Minuten vollständig besichtigt ist, inklusive des Museums.
Und es gibt eine archäologische Ausgrabungsstätte, deren Besuch sich eher nur für Hardcore-Fans von alten Steinen auszahlt. Ein paar Mauern, ein paar Beschreibungstafeln – das war es dann auch schon.

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Bild: Die Ausgrabung in Larnaca – viel mehr gibt es hier nicht zu sehen

Die 2,50 Euro Eintritt sind verschmerzbar, ich konnte im Garten zwei reife Feigen pflücken und war zufrieden.

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Bild: Eine Feige schmeckt immer gut, frisch vom Baum am besten

Der Angestellte von der Ausgrabung ist ein Relikt aus vergangener Zeit. Er hockt in einem kleinen, dunklen Kammerl und verkauft hin und wieder gelangweilt ein Ticket. Ob er sonst noch etwas zu tun hat, konnte ich nicht eruieren. Vielleicht passt er ja auf das Areal auf, macht Rundgänge oder so. Ich habe schon lange keinen Job mehr gesehen, der so leicht durch einen Automaten ersetzt werden könnte.
Ich hoffe natürlich für den Angestellten, dass er seinen Job noch lange machen kann, sofern er ihm gefällt.
Wahrscheinlich ist es ohnehin überall so, aber hier auf Zypern ist der Wandel der Zeit und der damit verbundene Kulturwandel irgendwie deutlicher sichtbar, vielleicht weil er sich von dem bei uns noch ein wenig unterscheidet.
Wie lange wird es den Kassier noch geben? Welche Jobs werden noch verschwinden, welche werden sich wandeln, welche neu entstehen?
Werden etwa die Fischer in Zukunft noch mit ihren kleinen Booten hinausfahren und werden sie dann Fische fangen oder vorher Touristen? Und mit welcher Fangmethode?

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Bild: Eines der kleinen Fischerboote. Ob sie noch viel benützt werden, konnte ich nicht herausfinden

Wird es überhaupt genügend Fische geben, damit sie wirtschaftlich überleben können? Oder kommen die Fische künftig aus einer chinesischen Fabrik, von riesigen Fangflotten industriell gefischt?
Es sind so viele Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Die Zukunft des Tourismus ist abhängig von der generellen Wirtschaftsprosperität plus Umweltauflagen. Dann spielt natürlich die generelle Klimakrisensituation eine wichtige Rolle, in Zukunft vielleicht sogar die Hauptrolle. Wenn man sich Flightradar ansieht, dann kann man auf einen Blick erkennen, dass die unfassbare Anzahl der Flüge weltweit wohl so nicht mehr wird stattfinden können. Und auch nicht müssen. Nach Zypern lässt es sich aber nur mit dem Flugzeug bequem reisen.
Dazu kommen noch Pandemien und Umweltkatastrophen und leider dürfen wir auch nicht auf die Kriege vergessen.
Es war vielleicht noch nie so unvorhersehbar, daher werden die Menschen entweder die Augen verschließen und bis zum Untergang feiern, oder ihr Leben anpassen.
Nur, wie könnte und müsste diese Anpassung aussehen? Ohne die Möglichkeit, billig zu fliegen, wird nur mehr ein kleiner Teil der Tourist:innen nach Zypern kommen. Was bleibt dann übrig? Hochwertiger Qualitätstourismus, bei dem die Gäste mit dem großen Segelboot kommen und sich an der unberührten Natur erfreuen? Das wird es wohl eher nicht sein, zumindest nicht in den nächsten Jahrzehnten. Die Insel hat nämlich wenig unberührte Natur, ganz im Gegenteil.

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Bild: Strandpromenade

Wenn der Tourismus kaputt geht, was reißt er dann alles mit? Ein guter Teil der Arbeit, aber auch der Lebenskonzepte der Menschen hier würde wegbrechen. Das würde wiederum eine Welle der generellen Arbeitslosigkeit hervorrufen, denn sehr viele Branchen sind von Touristmus abhängig.
Eine ganze Gesellschaft müsste sich umstellen und das möglicherweise sehr schnell. Aber was wäre die Basis dafür? Landwirtschaft gibt es, aber wie viel davon kann die Menschen hier ernähren? Zypern hat sonst nicht viel zu bieten und nicht viel aufgebaut. Auch die netten kleinen Handwerksbetriebe werden nicht viel an der Gesamtsituation ändern können.

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Bild: Eine kleine Tischlerei in Larnaca

Auf unserer Fahrt ins Landesinnere sehen wir eine eher karge Landschaft, es gibt ein wenig Viehzucht und die Klimakatastrophe wird es den Menschen hier auch nicht gerade leichter machen.

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Bild: Hügel und Berge, spärlich bewaldet, da und dort Olivenplantagen – viel gibt es hier nicht

Viele Menschen hier leben in Eigentumswohnungen oder Häusern, was einiges erleichtert. Das wird aber nicht reichen. Noch ist der Gedanke, die Vorstellung einer Welt, die nicht auf Überfluss und Verschwendung aufgebaut ist, nicht greifbar, nicht angekommen, vielen einfach nicht vorstellbar.
Das lässt sich gut an der momentanen Raumplanung sehen. Erst kürzlich hat man hier ein riesiges Einkaufszentrum mitten in die Natur gestellt, irgendwo aufs Land, wo wahrscheinlich der Grund sehr billig war. Rundherum ist nichts, bis auf zwei kleine Orte und die Autobahn. Es gibt einige Geschäfte und einen McDonalds.

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Bild: Das Einkaufszentrum im Nirgendwo

Dieses EKZ ist absolut nur mit dem Auto erreichbar. In Ermangelung von Bahnlinien gibt es eigentlich nur Autoverkehr auf der Insel. Zur Absicherung dieses Mobilitätskonzepts wurden jede Menge Straßen und Autobahnen gebaut. Das Funktionieren der Mobilität ist auf der Insel also von folgenden Faktoren abhängig:
1.) Leicht verfügbare und günstige Autos
2.) Billiger Sprit, ebenfalls leicht verfügbar
3.) Günstiger und verfügbarer Transport der Autos auf die Insel
4.) Keinerlei Klimakrise, die Umweltmaßnahmen notwendig macht.

Ob sich das in Zukunft ausgeht? Wenn nur ein einziger dieser Faktoren (wahrscheinlich spielen noch einige weitere eine Rolle) sich verändert, bricht die Mobilität zusammen, da sie auf einem einzigen Standbein ruht.
Resilienz sieht anders aus.

Bei der Energie bahnt sich zumindest ein Wechsel an, es gibt erste Wind- und Solarparks, das ist sicher ausbaufähig und da es auf der Insel keine Industrie gibt, hält sich die benötigte Energiemenge in Grenzen, auch weil durch die klimatische Lage nicht viel – und immer weniger – geheizt werden muss.
Dafür wird aber auf der Insel auch wenig erzeugt, sowohl wenig Strom als auch wenig Waren, die man bräuchte, um Energie von außen zu kaufen, so wie derzeit Öl und Gas für die Kraftwerke.
Das wiederum macht Zypern sehr abhängig, weil es umweltpolitisch überhaupt noch nicht sehr weit ist.
Ein gutes Beispiel dafür sind die Plastikflaschen, die allgegenwärtig sind. Es gibt kein Pfandsystem und so landen sie im Müll oder in der Natur, immerhin handelt es sich um ein paar hunderttausend Stück. Pro Tag.
Wegwerfen ist bequem und kostet nichts, daher ist das die bevorzugte Entsorgungsvariante. Leider hat sich die EU bisher nicht getraut entsprechende Gegenmaßnahmen zu setzen.

MEINE REISE

Auf dem Rückweg von der Ausgrabungsstätte hab ich mir ein wenig die Stadt angesehen und versucht, irgendwie das Besondere zu finden, denn in jeder Stadt schlägt ein Herz.
Die Häuser sind – je nach Viertel – meist unspektakulär, die Gassen ähneln einander, sofern es nicht gerade die Strandpromenade ist oder ein Gewerbegebiet.

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Bild: Der Blick von Gerhards Appartment hinunter in die Gasse, die stets sehr belebt und befahren ist. Die Häuser sind Appartments und Hotels.

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Bild: Zwischen den modernen Stahlbetonhäusern gibt es auch die alten, teilweise renoviert, teilweise verfallen.

Das Castle ist – wie schon gesagt – wenig spektakulär, der Blick auf die Promenade zeigt, wie sie gebaut ist.

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Bild: Es gibt genügend Gehweg und die Autos werden in einer Einbahn geführt. Die Bäume dürften einigermaßen mit den winzigen Baumscheiben zurechtkommen.

Meine Spaziergänge durch die Stadt waren entspannt, leider tat mein Knie nach einiger Zeit doch recht weh, ein Relikt von einem Vespa-Sturz Ende August.

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Bild: Der Strand im Zentrum von Larnaca. Man kann gut erkennen, wie flach es ins Wasser geht, Schwimmen ist bis zu einer Anzahl von Bojen erlaubt, weil außerhalb die Motorboote fahren.

Müde und mit schmerzendem Knie bin ich in ein Kaffee gegangen. Der Muffin war verhältnismäßig gut, nachdem ich ihn mir mitsamt einem teuren Kaffee im Plastikbecher im dort üblichen Selfservice geholt hatte. Nur die Plastikgabel war unbrauchbar, glücklicherweise konnte ich mir dann eine Metallgabel besorgen.

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Bild: Der Blick nett, der Kaffee geschmacklich gar nicht übel, leider im üblichen Plastikbecher, der sofort danach im Müll landet.

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Bild: Die Plastikgabel

Auf die Frage, ob es denn nicht einen ganz normalen Kaffee ohne irgendwelche Superaromen gäbe, in einer ganz normalen Tasse, bekam ich nur ein bedauerndes Lächeln von der netten Dame hinter der Theke. Nein, so etwas hätten sie nicht.

Am Weg in den Süden von Larnaca bin ich dann zu meiner Überraschung auf einen Radweg gestoßen. Es gibt durchaus Radverkehr auf der Insel, die meisten dürften Leihräder sein. Die Stadt bietet sich dafür eigentlich an, sie ist flach und die Distanzen sind sehr überschaubar. Es ist wegen des Autoverkehrs allerdings nur mutigen Menschen zu empfehlen das Rad abseits der Strandpromenade zu verwenden.

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Bild: Der Radweg ist anders als Radwege bei uns, funktioniert aber

Weil Gerhard arbeiten musste und mir ein wenig fad war, beschloss ich eine Radtour zu machen. Dummerweise hatte es geregnet und der Radverleih hatte geschlossen, obwohl er eigentlich offen hätte haben müssen. Also rief ich an und riss den Radverleihbesitzer aus dem Tiefschlaf. Mit der passenden Stimme meinte er, dass es regnen würde bzw. geregnet hätte und daher kein Mensch ein Rad ausborgen will.
Also machte ich mich auf die Suche und fand einen anderen Verleih, der aber nur E-Bikes anbieten konnte. Da ich mit so einem Ding noch nie gefahren bin, musste ich mir das natürlich ausborgen, zu einem stolzen Preis, versteht sich. Dafür hätte ich es den ganzen Tag, meinte der Vermieter. Sehr verdutzt reagierte er auf meine Frage nach einem Helm. Das ist hier total unüblich, aber ich bestand darauf und bekam dann auch einen.

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Bild: Auf der Radltour, selbstverständlich mit Helm

Ich beschloss den Salzsee zu umrunden und zum alten Aquädukt zu fahren.
Das Bike fährt sich in Wahrheit nicht wirklich leiwaund. Es ist nicht wendig und man eiert immer ein bisschen herum. Es ist schwer, ungelenk und die Federung ist zu weich.

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Bild: Das E-Bike mit den fetten Rädern sieht zwar cool aus, fährt sich aber sehr mäßig. Hier bin ich gerade am ausgetrockneten Salzsee.

Ich kann diese Tour nicht wirklich weiterempfehlen, denn sie ist miserabel ausgebaut. Man muss tw. am Gehsteig fahren, weil die Fahrbahn als Autobahnzubringer dient, zumindest beim Salzsee. Danach biegt man auf Feldwege ab, die überhaupt nicht ausgeschildert sind, mit dem Navi am Handy konnte ich mich ganz gut durchschlagen, zumindest bis zu einer gatschigen Stelle, bei der ich mit dem schweren Bike stecken blieb. Dann sprang auch noch die Kette raus und als ich das alles wieder in Ordnung gebracht hatte, war ich ordentlich eingesaut. Auch das Radl sah schrecklich aus, aber was solls, im Notfall zahle ich halt eine Reinigung.
Beim Aquädukt angekommen musste ich natürlich hinaufklettern, auch wenn ein Schild dieses Ansinnen als verboten einstufte. Ein netter Ungar, dessen Frau und Tochter sich nicht rauftrauten, machte das Foto.

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Bild: Am Aquädukt. Der Weg oben ist schmal, aber für schwindelfreie Menschen locker zu machen.

Dann fing es zu regnen an und ich musste quer durch die Stadt zum Verleih zurückfahren. Das war alles andere als angenehm, auf den größeren Straßen war ich mit dem Rad ein absoluter Fremdkörper, bestaunt, angehupt und bemitleidet.
Wenigstens musste ich keine Reinigung zahlen, wobei ich das Rad schon nach zwei Stunden wieder zurückbrachte. Ein Abenteuer, das man machen kann, aber nicht muss.

Einen Ausflug ins Landesinnere wollte ich unbedingt machen und hatte extra meine Wanderschuhe mitgenommen. Gerhard ließ sich überreden und wir fuhren los. Mitten in den Bergen dann eine ziemlich neu gebaute Anlage mit jeder Menge Möglichkeiten ein Picknick zu machen. Gut ausgestattete WCs, einige Grillplätze – in Zypern wird schon einiges getan, um die Gegend attraktiv zu machen.

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Bild: Die Freizeit-Ausflugsanlage

Die Wanderung war wunderschön, auf einem sehr gut instand gehaltenen Weg, inklusive durchaus brauchbarer Ausschilderung. Sie haben sogar einen Berg namens Olymp, den wir leider nicht mehr besuchen konnten. Der Weg, den wir einige Kilometer gegangen sind, ist Teil des europäischen Weitwanderwegnetzwerks. Wir sind zwar nicht wirklich weit gekommen, es hat sich aber sehr ausgezahlt.

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Bild: Meine Wenigkeit beim Versuch, mit einem Hut dem Sonnenbrand auf der Glatze zu entkommen. Hat einigermaßen funktioniert.

Ach, ich hab es sehr vermisst: Den Duft der Pinien, den sommerheißen Wald, das Zirpen der Zikaden – da gibt es jede Menge Erinnerungen an Griechenlandurlaube. Bei dieser Wanderung konnte ich wieder ein wenig des alten Gefühls inklusive der alten Sehnsucht („Irgendwann bleib i dann durt“) aufleben lassen.

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Bild: Gerhard bei der Rast an einer Wegkreuzung

Der Abschluss des Tages war ein Besuch einer Taverne am Meer. Das Essen war die Krönung meines Zypern-Urlaubs. Unglaublich gute gefüllte Kalamari, Fisch, diverse exzellente Beilagen und ein herrlicher Rosé-Wein. Kulinarisch lässt es sich auf dieser Insel wirklich aushalten, die Preise sind fair, billig wie Griechenland in den 1980ern ist es aber natürlich nicht mehr.

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Bild: Das großartige Essen

Am nächsten Tag dann ein Ausflug nach Paphos im Westen der Insel. Das Land ist von großen Autobahnen durchzogen und es gibt nicht allzuviel Verkehr. Staus sind maximal in der Stadt zu erleben und auch die sind nicht der Rede wert. Die Geschwindigkeit ist jenseits aller Raserei, die Zyprioten haben es nicht ganz so eilig wie unsereiner, das gilt irgendwie für alles auf dieser Insel.
Da auch die Distanzen überschaubar sind, kann man alle Teile Zyperns mit einem Tagesausflug erledigen. Wir wollen uns die verschiedenen Ausgrabungen ansehen, konkret gibt es zwei davon. Sie sind nur ein paar Autominuten voneinander entfernt. Bei der ersten, der „Archaeological Site of Nea Paphos“ gibt es auf einem weitläufigen Areal einiges zu sehen, von antiken Mosaikhäusern bis zu einem Amphitheater.

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Bild: Im Haus des Dionysos gibt es jede Menge alter Mosaikböden zu bestaunen. Ich fand es besonders nett, dass sie alle Beschreibungstafeln auch in Braille-Schrift angelegt haben.

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Bild: Ein gut erhaltenes oder wieder gut aufgebautes Amphitheater

Die zweite Ausgrabungsstätte sind die „Königsgräber“. Auch sie liegen direkt am Meer und es gibt eine ganze Menge davon. Besonders spektakulär sind sie nicht, dafür waren sie aber gut besucht. In der Hochsaison gibt es hier wahrscheinlich ein ordentliches Gedränge.

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Bild: Gerhard in einem der Königsgräber

Am nächsten Tag stand ein Ausflug nach Nikosia am Programm. Die Vororte der Städte sind wie überall auf der Welt keine wirkliche Offenbarung. Es gibt monströse Einkaufszentren, Gewerberuinen, Spekulationsobjekte und noch vieles mehr.

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Bild: Das „Jumbo“. Laut Gerhard ist das drin, was man draußen sieht. Auch in Zypern hat die bunte amerikanische Spielzeug- und Entertainmentwelt schon um sich gegriffen.

In Nikosia wollte mir Gerhard die Grenze zur türkischen Zone zeigen. Es sieht ein bisschen aus wie eine Berliner Mauer für Arme, ein seltsames, surreales Areal, eine Ausgeburt des Nationalismus und der menschlichen Beschränktheit. Teilweise gespenstisch, dazu kommt ein Fotografierverbot, an das sich aber niemand wirklich hält.

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Bild: Jede Menge Ruinen mitten in der Stadt.

Seit dem Überfall Putins auf die Ukraine und dem seit einem Jahr andauernden Krieg darf das aber niemand mehr verwundern. Wer geglaubt hat, dass die alten, mit ihrer Potenz kämpfenden Männer nicht mehr das Sagen haben, wird derzeit ja deutlich eines Besseren belehrt. Schon wieder schicken alte Männer junge Männer in den Tod.
Aber es gibt auch Erfreuliches, etwa den Co-working-space, den Gerhard mir zeigte.

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Bild: Der Fortschritt macht auch in Zypern nicht halt.

Dann fing es zu regnen an und wir fanden Unterschlupf in einem sehr netten Lokal namens „Itameshi“, das erst in ein paar Tagen eröffnet. Wir durften trotzdem rein und den Regen abwarten. Das Lokal bietet italienisch-japanische Fusionsküche, hat eine sehr nette Bar und könnte ein ziemlicher Hit werden, vor allem bei diesen netten Betreibern.
Nicht so nett war die Tatsache, dass das Dach bei Gerhards altem Mercedes kaputt war. Immer beim Beschleunigen ergoss sich ein kleiner Wasserschwall über mich oder Gerhard, je nachdem, in welche Richtung (mehr links oder mehr rechts) er gerade fuhr. Da die Temperaturen aber eher sommerlich waren, ließ sich das aushalten.
Dafür gab es am letzten Abend noch einmal ein kulinarisches Highlight, nämlich libanesisches Essen. Wer das hat, braucht kein Fleisch mehr. Jedes einzelne Gericht war köstlich, und es waren sehr viele, zu einem durchaus fairen Preis übrigens.

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Bild: Das exzellente libanesische Essen

Mit der einen oder anderen guten Flasche Wein feierten wir eine sehr nette Woche, bevor es am nächsten Tag wieder nach Hause ging.
Die WizzAir hatte nicht einmal nennenswerte Verspätung und ich hatte dazu noch das Glück guten Wetters bei der Heimfahrt mit dem Roller, der brav auf seinem Platz auf mich gewartet hatte.

FAZIT

Zypern ist eine Reise wert, mehr aber auch nicht. Die Bergwanderungen sind nicht so exklusiv, als dass man dafür extra herfliegen müsste, das gibt es in Griechenland auch. Die Landschaft ist ohne Besonderheiten, das Essen ist gut – alles sehr nett.
Der einzige echte Unterschied ist das Klima, das auch im Winter einigermaßen warm ist, vergleichbar etwa mit Tel Aviv, quasi um´s Eck.

Ich denke trotzdem gerne an die Woche zurück und vielleicht besuche ich die Insel ja einmal wieder.

Der Kenyacowboy ist in den Sonnenuntergang geritten

(Präambel: Dieser Nachruf basiert auf eigenen Erfahrungen und auf den Informationen, die ich von Wolfis Bruder Andi bekommen habe. Seine langjährige Lebensgefährtin und Firmenpartnerin Monika hat unten ein Kommentar abgegeben und einiges berichtigt. Bitte auch lesen.)

Es ist Sommer 1992, als zeitig in der Früh, so gegen 6 Uhr, drei junge Abenteuerlustige aus der AUA-Maschine steigen und am Jomo Kenyatta Airport ihr Gepäck zusammensammeln.
Beim Ausgang wartet ein Herr mit Schnauzbart in Safarikluft auf sie. Gemeinsam laden sie das Gepäck in einen alten Isuzu Trooper ein und fahren über die Autobahn nach Nairobi hinein.
„Habt ihr schon eure Malaria-Medizin genommen?“ fragt der Schnauzbärtige, was die drei jungen Herren verneinen.
Daraufhin greift er unter den Sitz und holt eine Flasche Wodka hervor mit der Aufforderung, jeder solle gefälligst einen ordentlichen Schluck nehmen.

So habe ich Wolfi Schreitl das erste Mal getroffen. Mein Bruder hatte ihn ein paar Monate zuvor schon kennengelernt und gefragt, ob er mich, den George und den Gabor vom Flughafen abholen könnte.
Damals ahnte ich noch nicht, dass er in meinem Leben noch die eine oder andere gar nicht so unwichtige Rolle spielen würde.

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Bild: Wolfi Schreitl, wie ich ihn gerne in Erinnerung behalte

Beginnen wir ganz vorne. Wolfgang Schreitl wurde am 29. November 1955 in Eckenförde in Deutschland geboren, der Vater echter Wiener, die Mutter ein Nordlicht. Sein Bruder Andi nennt ihn einen „Wiener Wikinger“, weil auch dänische und sonstige nordische Wurzeln dabei sind.

1966 zieht die Familie dann nach Seewalchen, wo Wolfi am 20. Juli 2022 seiner schweren Lungenkrankheit erlegen ist, die er sich – wie könnte es anders sein – in Afrika geholt hat, viele Jahre zuvor.
In der Schule lernte er lesen, und dann war es zum Leidwesen seiner Cousine Sissy und seines Bruders Andreas aus mit dem Spielen. Wolfgang saß nur mehr in der Ecke las Bücher – anfangs Karl May und Abenteuerbücher, schließlich Hemingway. Die Sehnsucht nach Abenteuern in der Ferne war geboren. Nach dem Hauptschulabschluss ging es auf Wunsch seines Vaters nach Wien auf die HTBLA für Textiltechnik. Nach drei Jahren bracher er die Schule ab, und ging mit 17 Jahren zum Bundesheer nach Salzburg. In diesen 3,5 Jahren war er kurz beim Jagdkommando und auch bei der UNO auf den Golanhöhen.

Da in Salzburg bekanntlich auch die schönsten Mädels von Österreich leben (so erinnert sich sein Bruder Andi), dauerte es nicht lange, bis er seine spätere Frau Karin kennenlernt. Nach der Hochzeit 1980 kommt zwei Jahre später der gemeinsame Sohn Patrick zur Welt. Leider hielt diese Beziehung nicht lange, da das bürgerliche Leben von Wolfgangs Abenteuerlust verdrängt wurde. Das Fernweh wurde immer größer und kurze Zeit später verschlug ihn eine humanitäre Mission des Roten Kreuzes nach Kenia, wo er sich in Land und Leute verliebte. Er wollte unbedingt in diesem Land bleiben und fand in Monika eine gleichgesinnte Partnerin.

Er traf sie im Hotel Boulevard, das damals vom Österreicher Brandl geführt wurde, und auch den Münchner Reiseveranstalter Ruppert.
Dieser war des Kenia-Geschäfts müde und Monika hatte ein paar Ersparnisse aus einer Erbschaft. So kaufte sie Anteile an „Bush Trucker Tours“ und Wolfi stieg mit Monika ins Safarigeschäft ein.

Das war 1986, damals hätte ich Wolfi bereits über den Weg laufen können, denn auch wir waren zu dieser Zeit immer wieder mal im Hotel Boulevard.
1992 hatten wir schon das Appartment Longonot Nr. 6, das nur 2 Gehminuten vom Boulevard entfernt war. Dorthin brachte uns Wolfi nach unserer Ankunft und wir ahnten, dass wir ihn an diesem Tag nicht das letzte Mal gesehen hatten.

Ich weiß nicht mehr, ob es am gleichen Abend oder erst am nächsten war, jedenfalls zeigte uns Wolfi einiges in Nairobi, das wir (auch ich) vorher nicht kannten, etwa das Nachtleben.
Er war ein Kenia-Cowboy, ein Expat, ein Abenteurer, aber auch ein Bullshit-Artist der feinsten Sorte – darauf komme ich etwas später noch.

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Bild: Wolfi in seiner Lieblingskluft – wobei, stimmt nicht. Das locker geknöpfte weiße Hemd war ihm in Wahrheit noch lieber

Er zeigte uns das Florida 2000, eine Disko im City Center. Er zeigte uns aber nicht nur die Disko, sondern auch wie wir uns dort verhalten sollten, etwa wenn uns junge Damen belästigen würden. (Das war uns meistens eh nicht soo unangenehm, aber die Grenzen zu kennen und zu wissen, wie und was man sagt, war hilfreich: „You´re nice, but not my size“ etwa ließ sie lächeln und von Dannen ziehen.)
Seit dem ersten Besuch im Florida 2000 trinke ich gerne Kenya Cane mit Fruchtsaft (Maracuja oder Mango, Ananas geht auch, Orange nur, wenn nichts anderes da ist, sensationell auch Guave). Das hat sich in den letzten dreißig Jahren nicht geändert.
Es waren lustige, spannende, interessante und in Summe unvergessliche Tage und Abende, die wir mit Wolfi verbrachten, der stets geschmeichelt war, wenn er uns was Neues zeigen konnte.
Ihm verdanke ich meine Vorliebe für Cole Slaw und durch ihn hab ich das erste Mal Nyama Choma (Fleisch vom Grill, oftmals Ziege) gegessen.

Das wichtigste, was ich ihm aber verdanke, ist meine Leidenschaft für Makonde. Das sind ostafrikanische Ebenholzschnitzereien, die ich viele Jahre (fast Jahrzehnte) gesammelt habe, und das kam so:
Eines Tages besuchten wir Wolfi in seinem Haus in Langata. Dort war auch die Safari-Firma und in seinem Vorzimmer sah ich auf einmal so schwarze Statuen, die ich noch nie gesehen hatte.
Also – noch nie stimmt nicht ganz, 1984 hatte mein Vater am Strand von Mombasa einem Händler einen Familienbaum abgekauft. Damals konnte ich damit noch nichts anfangen. Der Familienbaum (der Stamm der Makonde zeichnet keine Stammbäume, sondern schnitzt sie) steht bis heute in der Wohnung meines Vaters, der drei Monate vor Wolfi gestorben ist, und wir werden ihn selbstverständlich behalten.

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Bild: Der Familienbaum, mit leichten Bruchspuren, wie das nach knapp 40 Jahren halt so ist.

Jedenfalls fragte ich Wolfi, was denn das sei und dass mir das irgendwie gut gefällt. Daraufhin führte er mich schnurstracks ins City Center, wo gegenüber vom City Market der „Blue Market“ war, bestehend aus lauter kleinen Kunst- und Souvenirstandln. Dort maschierte er durch und ich musste feststellen, dass er die meisten Standler kannte, von ihnen lauthals begrüßt wurde und sofort Makonde-Figuren angeboten bekam.
Dort zeigte er mir zum ersten Mal, wie man gute von schlechten unterscheiden kann, echte von unechten, wie man den Wert am besten einschätzt und vor allem, wie man mit den Standlern verhandeln muss, um nicht übers Ohr gehauen zu werden.
Die wichtigste Regel war die Faustregel: Pro Faustbreite zahlst du 100 Kenia-Shilling. Diesen Preis hab ich nicht wirklich oft erzielen können, aber es war eine der vielen Verhandlungsstrategien, die ich einsetzen konnte. Heute wären es übrigens 1.000 Kenya-Shilling.

Aus diesem ersten Besuch habe ich mein bis heute schönstes Stück, die Wasserträgerin.

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Bild: Wasserträgerin

Wolfi erzählte mir die Geschichten über die Makonde und ihre Schnitzkunst, er steckte mich mit der Leidenschaft an, die bis heute da ist. Erst vor kurzem habe ich begonnen, einige alte Stücke zu restaurieren. Da wusste ich noch nicht, dass er nicht mehr lange leben würde.

In den darauffolgenden Jahren vertiefte ich mich immer mehr in diese so faszinierende Welt, sammelte Bücher und natürlich jede Menge Makonde-Figuren. Heute habe ich ca. 200 und mit der Hilfe von Wolfis Vater, Hans Schreitl, konnte ich sogar einmal eine Ausstellung machen, nämlich 2006 in Vöcklabruck, wo Hans lebte.

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Bild: Ausstellung im Lebzelterhaus in Vöcklabruck

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Bild: Wolfi, Vater Hans, und Monika

Wolfi wurde zum leidenschaftlichen Kenyacowboy, lebte gut und gerne dort und steckte auch seinen Vater und seinen Bruder mit der Leidenschaft für Ostafrika an. 1997 kam dann sein Bruder Andreas mit seiner eigenen Firma (Safari für Rollstuhlfahrer) nach Kenia.
Leider machte er auch Fehler verschiedenster Art und so funktionierte das Safari-Business eines Tages nicht mehr. Er trennte sich von Monika, die Firma wurde verkauft und Wolfi stand vor dem Nichts.

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Bild: Wolfi mit Monika, in besseren Zeiten

Ich muss anmerken, dass das nicht nur seine Schuld war, zu dieser Zeit funktionierte der Markt nicht mehr so gut, es gab Konkurrenz ohne Ende und dazu kamen noch Ereignisse wie politische Unruhen sowie der schwere Unfall eines seiner Mitarbeiter, der den Nissan Patrol komplett verschrottete – das war eines seiner wichtigsten Autos für die Safari.
Sein alter Isuzu Trooper blieb ihm allerdings, er hat ihn noch viele Jahre gefahren.

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Bild: Wolfi und sein alter Isuzu Trooper

Das mit Bush Trucker Tours finde ich übrigens bis heute schade, denn das Konzept von Wolfi hatte was: Er machte Spezialsafaris im Hemmingway-Style, also mit großen, grünen Stoffzelten ganz im Stil des Afrika-Abenteurers. Dazu gab es jeden Abend Lagerfeuer irgendwo in der Wildnis, an dem Wolfi stets seine Fähigkeiten als Geschichtenerzähler zur Geltung bringen konnte.

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Bild: Zelte

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Bild: Wolfi am Lagerfeuer

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Bild: Ein Safaribus von Bush Trucker Tours

Er war ein hervorragender Erzähler und seine Geschichten hatten immer einen Schuss Übertreibung, man wusste nie ganz genau, bis wohin sie stimmten und was ein wenig hingebogen war – daher auch der durchaus liebevoll gemeinte Ausdruck „Bullshit-Artist“. Mehr dazu weiter unten.

Wolfi ermöglichte mir und meinem Bruder einiges – z.B. die Teilnahme an der East African Safari Rally, an der unsere Brüder (also mein Bruder Peter und Wolfis Bruder Andi) in einem alten VW Käfer teilnahmen. Wolfi hatte dabei jetzt keine führende Rolle, aber das muss ja niemand wissen. (Zu verdanken ist das in erster Linie Steffen Reininger, den Andi in Wien kennengelernt hat und für den er drei Jahre Service gefahren ist.)
Mein Bruder war damals auch sehr viel in Kenia und unternahm auch viel mit Andi und Wolfi. Die Rallytruppe von Reiniger übernachtete z.B. im Appartment meines Vaters und dafür schmuggelten sie ihm 8 Pinzgauer-Reifen im Rally-Container.

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Bild: Das legendäre Foto von der Safari-Rally 1994. Links von meinem Bruder der Wolfi, rechts sein Bruder Andi. Sie unterstützen Steffen Reininger, einen professionellen Rallyfahrer und bekamen Lust auf mehr. Drei Jahre später fuhren sie selbst in der Oldtimer-Klasse mit.

Dann ging eine neue Tür auf und Wolfi stieg in die Gastro ein. Dazu holte er seinen Bruder Andi nach Nairobi, der in Österreich auch gerade seinen Weg mit einer Baufirma beendet hatte. Andi ist auch gelernter Koch und so übernahmen sie das „Buffalo Bill´s Saloon and Eating House“ im Hotel Heroncourt, das etwas außerhalb des City Center liegt und zu dem auch die „Horse Shoe Bar“ gehört.

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Bild: Andi und Wolfi im Buffalo Bills

Das war mehr als nur eine Bar, das Lokal bestand aus der Bar mit einer pittoresken Sammlung an nachgebauten Planwagen, in denen man sitzen konnte. Dazu gab es noch einen Restaurant-Raum, nicht besonders elegant, aber in dieser unnachahmlichen Art, die man nur in Ostafrika finden kann, mit Plastiktischtüchern und Steinboden. Nicht elegant, aber irgendwie trotzdem okay.

Ich lernte das Buffalo Bills kennen, als ich das erste Mal meinen alten Freund Thomy mit dabei hatte. Wir verbrachten zahlreiche Abende und Nächte in der Horseshoe-Bar, angelockt von Andis hervorragendem Wild-Ragout und anderen Köstlichkeiten, die er uns auftischte, aber auch fasziniert von der wilden Mischung an Gästen, die dort jeden Abend in neuer Zusammensetzung anzutreffen waren.
Am besten lässt sich das durch den kleinen Ausschnitt beschreiben, den der Lonely Planet zu dieser Zeit dem Lokal widmete:

„Outside the city center, at the Heroncourt Hotel, you can find the Buffalo Bills, a place for all entrepreneurs, tour operators, expats, hookers and bullshit artists.“

Das war vielleicht die glücklichste Zeit seines Lebens, er war umgeben von Gleichgesinnten.
Wolfi war ein leidenschaftlicher Typ, aber auch ein bisschen ein Zyniker, ein lebenslang Suchender, einer von den Typen, die viel Auf und viel Ab kennen, einer, der auch schwierig sein konnte.
Er hatte also nicht nur Freunde, sondern verscherzte es sich auch da und dort mit Menschen, die wichtig für ihn waren, etwa weil bestimmte Genehmigungen nur über sie zu bekommen waren oder weil sie seinen Ruf zerstören konnten. Dann gab es Stress mit diversen Behörden, mit denen Wolfi nie wirklich gut umgehen konnte. Vielleicht fehlte ihm manchmal auch der Respekt vor den Kenianern, jedenfalls handelte er sich sowohl in der österreichischen Community als auch bei diversen Geschäftspartnern und Behörden immer wieder Probleme ein, die letztlich dazu führten, dass sie das Lokal aufgeben mussten, vor allem, weil auch der Verpächter starb und sie sich mit dem Nachfolger nicht mehr einigen konnten.
Ich habe die genauen Umstände nie erfahren, aber die Brüder konnten danach in einem relativ weit draußen gelegenen Hotel neu anfangen. Ich war nur ein- zweimal dort, aber es war nicht mehr das alte Buffalo Bills, auch wenn sie sich redlich anstrengten, die Gäste mitzunehmen – es klappte nicht.

Und so ging eine weitere Zeit zu Ende, die so gut begonnen hatte. Wolfi kam in finanzielle Schwierigkeiten und eines Tages bat er mich, ob ich ihm nicht seine Makonde-Sammlung abkaufen könnte.
Das war für mich ein Schock, denn wir waren beide echte Sammler, er noch dazu mein Lehrmeister. Es war 2004 als ich ihm fast seine komplette Sammlung abnahm. Einen Teil brachte ich von Nairobi nach Wien, einen anderen hatte er bei seinem Vater in Seewalchen. Ich wusste, wie schwer ihm dieser Schritt fiel.
Ich halte seine Sammlung bis heute in Ehren, in ihr befinden sich die wertvollsten Stücke, die ich besitze.

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Bild: Einer der tollsten Shejtani aus Wolfis Sammlung

Dann begann die Diaspora. Wolfi ging zurück nach Seewalchen, aber wenig später bekam er ein Angebot in Sansibar eine Appartmentanlage zu leiten, mit Bar und Restaurant am Meer. Ich wollte ihn besuchen, das hat sich aber nie ergeben und wir verloren einander ein wenig aus den Augen.

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Bild: Wolfi klassisch, an der Bar

Wolfi war dort eine Zeit lang glücklich. Er konnte für den Klub arbeiten, sicher die eine oder andere Geschichte erzählen und sich ein wenig in Szene setzen. Dort ist es schließlich wunderschön, ein bisschen paradiesisch, und das konnte und wollte er genießen.

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Bild: Das Titelbild von Wolfis Facebook-Seite. Hapana Zanzibar

Sein Bruder Andi ging nach Wien und war einige Jahre mit seiner kenianischen Frau und zwei Kindern mein Nachbar. Auch er hatte es nicht leicht und zog nach einiger Zeit und einigen misslungenen Jobs wieder nach Seewalchen, wo er bis heute lebt.

Auf Sansibar (genauer gesagt auf einer kleinen Insel nördlich) lief es zwei Jahre lang gut, dann kamen Lungenprobleme. Fälschlicherweise von Ärzten als Lungenentzündung diagnostiziert verlor er nach und nach immer mehr an Gewicht, bis er beschloss aus gesundheitlichen Gründen 2009 nach Österreich zurückzukehren, wo die medizinische Versorgung besser war. Leider stellte sich heraus, dass er sich um TBC im fortgeschrittenem Stadium handelte. Die letzten 14 Jahre verbrachte er in Seewalchen, die meiste Zeit davon in seinem Büro, wie er es nannte, dem Seecafe, wo er von der Belegschaft sehr geschätzt und umsorgt wurde.
Es fand sich eine kleine Wohnung in Seewalchen, die er günstig mieten konnte. Seine Lungenfunktion war extrem eingeschränkt und an Arbeit war nicht mehr zu denken.
Ich traf ihn dort einmal und wir konnten eine Stunde oder zwei über alte Zeiten plaudern. Das ist jetzt auch schon einige Jahre her.

Andi erzählte mir, dass es ihm in letzter Zeit zunehmend schlechter ging, er brauchte viel Sauerstoff und er traf ihn im Mai noch einmal, wo sie fast sieben Stunden in alten Erinnerungen kramten und Geschichten erzählten. Andi meinte, dass sich Wolfi an diesem Tag von ihm verabschiedet hätte, ohne dass ihm das so bewußt war.

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Bild: Andi und Wolfi bei ihrem letzten Zusammentreffen im Mai 2022 in Seewalchen

Am 20. Juli ist der Kenyacowboy zu seiner letzten Reise angetreten. Er sitzt jetzt mit seinem Vater auf einer Wolke über dem Turkana-See, fährt eine Runde in seinem klapprigen Isuzu und gönnt sich dann einen Schluck Dawa. (Ja, auch Dawa habe ich über Wolfi kennengelernt. Das ist so ähnlich wie ein Caipiroska, nur nimmt man statt Zucker Honig und zerstampft die Limetten mit einem Bambusstössl. Dann rührt man so lange, bis sich der Honig aufgelöst hat – fertig!)

Nach Schladming – mit dem Zug

Dunkle Erinnerungen an Schulskikurse in den 1980ern. Selbst damals sind wir mit dem Bus gefahren, scheinbar aus guten Gründen.
Inzwischen hat sich enorm viel getan – die Autobahnen wurden gewaltig ausgebaut, da ist es nur verständlich, dass für den Ausbau der Bahnstrecken kein Geld mehr da ist. Deswegen quälen sich die Züge immer noch quietschend und langsam über den Semmering, gerade mal so schnell, dass man nicht daneben hergehen und Blumen pflücken kann.
Es soll ja irgendwann einmal einen Tunnel geben, vielleicht so einen, wie es schon seit vielen Jahren für die Autos gibt.
Egal – ich muss zu einem Kongress nach Schladming und wieder einmal fällt meine Wahl auf die Bahn. Mit etwas Bauchweh und üblen Vorahnungen, aber egal.

Los geht es um 08:25 vom Hauptbahnhof Wien. Der ist für mich einigermaßen stressfrei mit dem Bus und zwei U-Bahnen erreichbar. Das birgt zwar ein gewisses Risiko, weil vor allem die U-Bahnen hin und wieder eine Störung haben und das dann bedeutet, dass ich den Zug versäume, was ich echt gar nicht leiden kann.
Diesmal geht alles gut und ich erreiche den Zug rechtzeitig. Zudem bin ich noch echt froh, dass ich reserviert habe, denn er ist knackevoll. Wir reden hier nicht vom letzten besetzten Sitzplatz, sondern von mehreren Schulklassen, die an diesem Montag auf irgendwelche Landschulwochen fahren. Es handelt sich um klassische Halbwüchsige mit einem harten Kern von laut kreischenden, laut TikTok-Videos schauenden Mädchen.
Sie sind überall im Zug, verteilen sich irgendwie, hocken auf den Gängen, dazwischen jede Menge Gepäck, so ähnlich stelle ich mir die Atmosphäre in einem Zug zwischen Kalkutta und Mumbai vor. Lehrer:innen wuseln geschäftig durch den Zug und versuchen irgendwie irgendwen zusammenzuhalten oder irgendetwas zu bewegen.
Es geht dann doch nicht um 08:25 los, denn irgendwie funktioniert das nicht mit den vielen Schulklassen. Es gibt aber keinerlei Durchsage oder sonst irgendeine Info, nur den Kärtner Schaffner in Mitten seine Gesamtüberforderung, schwitzend und im Dauerversuch freundlich zu bleiben. Ja, er hofft, dass wir bald wegkommen. Nein, er kann mir nicht sagen ob ich meinen Anschlusszug versäumen werde.
Genau genommen brauche ich diese Info auch nicht, denn nach 15 Minuten Verspätung und der Gewissheit, dass Züge Verspätungen prinzipiell nicht aufholen, sondern meistens noch mehr Verspätung aufreissen (in diesem Fall gleich ein paar Minuten später in Meidling: noch einmal fünf Minuten drauf), ist mir ohnehin klar, dass ich meinen Anschlusszug in Leoben ganz sicher versäume.
Als dann irgendwann ein paar unverständliche Worte kratzend aus irgendeinem Lautsprecher kommen, fällt mir mein alter Freund Bacherl ein, der in gekonnter Analyse meinte, die Menschen können zwar selbstfahrende Roboterautos zum Mars schicken, schaffen es aber nicht funktionierende Lautsprecher für Zugdurchsagen zu bauen.

Zu allem Übel hat die Bahn scheinbar begonnen sich der Flugindustrie anzunähern, bemerkbar an einem Sitzabstand, der schon stark nach Economy im Billigflieger erinnert. Das ist besonders bitter, denn so verspielt die Bahn einen ihrer Vorteile gegenüber dem Flugzeug oder dem Reisebus: genügend Platz.
Zu viert gegenübersitzen, in der Mitte ein Tisch – geht nur im Zug. Ich fürchte, dieser Trend wird sich fortsetzen, denn die Bahn versucht zu sparen und das wunderbare Klimaticket hat eine Schattenseite: viel mehr Zugfahrende und in Folge überfüllte Züge, aus denen sogar Gäste mit Ticket wieder aussteigen müssen, weil sie keine Reservierung haben.
Die ÖBB konnte auf die Einführung des Klimatickets nur sehr eingeschränkt reagieren, sie dürften weder die notwendigen Zuggarnituren noch das notwendige Personal haben. Vielleicht gibt es auch andere Gründe, die ich aber nicht kenne. Jedenfalls waren sie davon überrascht wie die Schneeräumung im Dezember, wenn es schneit.

Wenn ich mich ärgere, wirkt der Sitz gleich noch enger, vielleicht auch wegen der dicken Dame, die neben mir sitzt und deren Tuchfühlung aufgrund der Beengtheit bei mir nur wenig Freude auslöst.
Wenigstens muss ich ab der Stadtgrenze keine Maske mehr aufhaben, die meisten Schüler:innen hatten in moralischer Lässigkeit auch in Wien schon keine mehr auf und der überforderte Schaffner hatte andere Sorgen, als sie darauf hinzuweisen.
In Wr. Neustadt war dann aufgrund von inzwischen 30 Verspätungsminuten klar, dass ich mir wohl eine andere Zugverbindung nach Schladming suchen müsste. Ohne reservierten Sitzplatz, versteht sich.
Dafür gab es keine Fahrkartenkontrolle, weder im Zug von Wien nach Leoben noch von Leoben nach Schladming.
Vielleicht fielen die Schaffner ja auch schon einem Kostensenkungsprogramm zum Opfer, wer weiß das schon.

Nach zwei Stunden bin ich endlich in Leoben und muss dort in die S8 umsteigen und eine Station nach St. Michael fahren. Von dort kann ich dann nach einer ca. 30-minütigen Pause den R 4476 nehmen, der mich nach Schladming bringt.
Also eigentlich nicht nur nach Schladming, sondern zu jedem Misthaufen zwischen St. Michael und Schladming. Der Regionalzug ist die langsamste Variante des Zugfahrens in Österreich, nur die Zahnradbahn auf den Schneeberg ist noch langsamer. Die hält dafür nicht so oft.

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BILD 1: Ein Gruß aus der Vergangenheit

Jedenfalls dauert es noch weitere zwei Stunden bis Schladming. Auch hier habe ich wieder Gruppen von Schülern im Zug, die ihre Energieüberschüsse abbauen müssen. Das geschieht in einer Lautstärke und Vehemenz, dass an so Tätigkeiten wie arbeiten oder ein Buch lesen nicht zu denken ist.
Hier verspielt die Bahn ihren zweiten Vorteil, vor allem gegenüber dem Auto. Natürlich kann ich erste Klasse buchen und es gibt zarte Versuche das Problem in den Griff zu bekommen, etwa durch lärmberuhigte Waggons, die aber nicht wirklich gut funktionieren, weil die Leute dann halt doch telefonieren und der Mitzi-Tant ihre Lebensgeschichte erzählen. Meistens zweimal, jedenfalls aber bis zum Zielbahnhof.
Im Auto kann ich Musik hören, kann mit anderen plaudern oder ganz alleine reisend meine Ruhe haben. Das ist zwar nett, aber im Zug kann ich die Zeit zum Arbeiten nützen, das geht im Auto nur, wenn ich einen Chauffeur habe.
Für mich war das in den letzten Jahrzehnten oft ein Grund das Auto zu nehmen, weil ich den Arbeitsmöglichkeitsvorteil nahezu nie realisieren konnte. Dass es ihn in der Theorie gibt, nützt mir nichts.
Ich hasse Autofahren, das elende Stehen im Stau, die ständige Konzentrationsnotwendigkeit aufgrund immer stärker werdenden Verkehrs, die Umweltkosten, die Kosten generell und noch vieles mehr.
Wenn die Bahn aber ihre strukturellen Vorteile nicht ausspielt, fahren die Menschen wieder mit dem Auto. So einfach ist das.
Mein Zug nach Schladming ist wenigstens nicht überfüllt und so gondle ich vorbei an kleinen Ortschaften durch die wunderschöne Steiermark. Hätte ich kein Nachmittagsprogramm, dann könnte ich das durchaus genießen.
So aber ärgere ich mich, weil die Gesamtverspätung von zwei Stunden meine Pläne doch ordentlich über den Haufen wirft.
Das Problem besteht darin, dass der Verspätungsnachteil noch zum generellen Zeitnachteil dazu addiert werden muss. Mit dem Auto steht man zwar auch oft im Stau und die Flugzeuge sind mindestens so oft und genauso brutal verspätet wie die Bahn, aber auch hier verspielt die Bahn wieder einen Vorteil, der sie auf gut ausgebauten Strecken durchaus attraktiv macht. Von Wien nach Innsbruck kann man in vier Stunden mit dem Railjet Express fahren, das ist konkurrenzlos und selbst mit dem schnellsten Auto nicht zu schaffen.
Aber das geht halt nur auf dieser einen Strecke in Österreich – und selbst da wäre noch einiges drin, denn im Deutschen Eck gibt es keinen Hochgeschwindigkeitsausbau und die letzten 50 Kilometer vor Salzburg auch nicht.

Aber noch sind wir nicht da und bummeln weiter durch das Ennstal. Plötzlich eine scharfe Bremsung, sehr ungewöhnlich.
Der Grund ist schnell ersichtlich: Der Lokführer hat die Station Niederöblarn übersehen und sich jetzt ordentlich eingequietscht, um nicht vollständig im Nirwana stehenzubleiben.
Das gelingt auch, die letzte Türe hinten im Zug ist auf Höhe der Bahnsteigs. Also kommt eine Durchsage, man möge doch bitte ganz hinten aussteigen.
Leider hat es die alte Dame mit dem großen Koffer nicht mehr geschafft. Ihr Pech, dass sie weit vorne im Zug war, sie muss wohl oder übel weiterfahren, bei der nächsten Station aussteigen und dann auf einen Zug warten, der sie wieder zurückbringt.
Vielleicht hat sie ja Glück und muss die ungewollte Fahrstrecke nicht extra bezahlen. Ich wünsche es ihr jedenfalls.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir in Schladming und ich hoffe, doch noch eine kleine Nachmittagsbergtour machen zu können – was auch gelingt.
Es ist traumhaft schön in Schladming und nach dem Kongress am nächsten Tag muss ich leider schon wieder nach Wien zurückfahren.
Ich hoffe daher, dass wenigstens die Rückfahrt problemlos abläuft.

Am Bahnhof angekommen muss ich feststellen, dass es dort irgendwie keine Anzeigetafel gibt, zumindest keine, die ich finde.
Also frage ich am Bahnsteig 2 eine junge Dame, ob ich hier richtig bin für den Zug nach Leoben (bzw. Graz, dort fährt er eigentlich hin).
Sie bejaht, meint aber, dass der Zug Verspätung hätte.

Geh bitte! Nicht schon wieder. Und ich hab wieder wenig Umstiegszeit in Leoben, also bleibt nur das Hoffen, dass das irgendwie noch geht.
Dann eine Durchsage: Leider hat der Zug aufgrund eines Gleisdefekts 15 Minuten Verspätung. 15 bis 20 Minuten, genauer gesagt.
Ich krame mein Handy raus und suche neue Verbindungen nach Wien. Es gibt tatsächlich eine Möglichkeit schneller nach Wien zu kommen als mit dem nächsten Zug der gleichen Verbindung, der fährt nämlich erst zwei Stunden später.
Wie ich die Warterei auf Bahnhofsbahnsteigen hasse!

Die Alternative ist die S8, die ich schon von gestern kenne, sie fährt von Leoben nach Bruck/Mur, dort kann ich dann in einen Railjet einsteigen, der mich nach Wien bringt.
Im Zug frage ich den Schaffner, ob und wie ich es machen könnte. Er meint, die Variante mit der S8 sei eh gut, aber er ist sich nicht sicher, wie wir in Selzthal wegkommen. Das ist ein Verschubbahnhof, bei dem unser Zug eine neue Lok an der anderen Seite bekommt. Und der Schaffner dürfte schon wissen, dass das nicht immer so einfach und vor allem nicht schnell geschieht.

So ist es dann auch, wir stehen schon eine gefühlte Ewigkeit herum, als irgendwo auf einem anderen Gleis langsam, sehr langsam eine einzelne Lok vorbeifährt.
Das ist natürlich unsere, und es dauert noch ein paar Minuten, bis wir weiterfahren können. Vielleicht tue ich der ÖBB Unrecht, aber sehr durchdacht erscheint mir das nicht. Der Schaffner ist wenigstens supernett und telefoniert extra mit der S8, damit die auf uns wartet.
Das tut sie auch, nur leider kommt sie dann in St. Michael (dort mussten wir umsteigen, nicht in Leoben, nur Gott und die ÖBB wissen warum) nicht weg. Wir verlieren zwar nur zwei Minuten, aber das sind letztlich genau die zwei Minuten, die uns den Anschlusszug doch nicht erreichen lassen. Er fährt uns buchstäblich vor der Nase davon.

Ich habe keine Lust mich noch mehr zu ärgern und versuche die nächste elende Warterei mit Wurstsemmelkauf zu verkürzen. Das Panorama von Bruck/Mur rund um den Bahnhof hebt meine Stimmung allerdings nicht merklich.

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BILD 2: Bruck an der Mur, in der Nähe des Bahnhofs

Nach einer Stunde geht endlich mein Railjet nach Wien. Es ist ein tschechischer, was aber keinen wirklich großen Unterschied macht, über den Semmering sind alle gleich langsam.
Der Zug ist wenigstens nicht überfüllt und die Leute sind leise, so dass ich etwas lesen kann.

In Summe waren es zwei Mal sechs Stunden, die ich für die Reise gebraucht habe. Plus den Ärger ergibt das eine durchwachsene Bilanz. Es ist letztlich mühsam und ich mache es nicht freiwillig und schon gar nicht gerne.
Was schade ist, denn da wäre viel mehr drin.

Der Andi ist nicht mehr

Es ist immer bitter, wenn alte Freunde uns verlassen. Ich habe ihn zwar schon seit einigen Jahren nicht mehr gesehen, aber noch sehr gut in Erinnerung – der lustige, verrückte, freigiebige, begabte Andi, der leider seine Zuflucht im Alkohol suchte.

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BILD 1: Andi bei einem Fest in Klosterneuburg

Von ihm hab ich meinen ersten Roller gekauft und erinnere mich daran, als ob es gestern gewesen wäre. „Der Andi hat sowas herumstehen“ meinte die Michi, nachdem ich ihr erzählt hatte, dass ich einen Roller suche.
Es war tatsächlich so, dass er sich eine Puch Typhoon 125 gekauft hatte und direkt danach die Lust darauf verlor. Also stand der Roller über den Winter 1998/99 herum. Wir machten uns eine Probefahrt aus und ich weiß noch, dass ich von Greifenstein bis fast nach Königstetten fuhr und den Roller dann auf der Stelle gekauft habe.
Ich hatte ihn neun Jahre und er hat mir exzellente Dienste geleistet.

Ich erzähle das nicht nur, weil mich der Roller mit Andi verbindet, sondern auch um ein wenig zu erzählen, wie er so war. In eine wohlhabende Familie hineingewachsen, mit einer vorprogrammierten Karriere im Familienbetrieb, dann aber ausbrechend, nicht der Linie folgend. Seine Begabungen lagen ganz woanders, im kreativen Bereich, in dem er sich dann auch als Filmproduzent Expertise aneignete. Nur Business-Modell konnte er keins daraus machen.

Als Fachmann für die Betriebsübergabe von Familienunternehmen könnte ich die Entwicklung heute noch ganz anders betrachten, damals fiel mir aber schon die familiäre Zerrüttung auf – der Tod der Mutter, die starke Persönlichkeit des Vaters, bei dem es so schien, als wäre er für Andi nie greifbar gewesen. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment bei Andis Geburtstagsfest, als er darauf wartete, dass sein Vater vorbeikommt.
Der kam dann auch, im riesigen Geländewagen vorgefahren, kurz stehengeblieben, Fenster runter, „Du, alles Gute, ich muss leider gleich weiter“, Fenster wieder rauf, Abfahrt.

Andis Gesicht, verfallend. Der Moment zog sich wie ein Schleier über das Fest, das eigentlich fröhlich hätte sein sollen. So wie Andi eigentlich hätte fröhlich sein sollen und es ja eine Zeit lang auch war:

Andi1.jpg

BILD 2: Andi bei einem Clubbing in Klosterneuburg

Es begann ein langsamer, aber stetiger Absturz. Man könnte auch sagen, Andi verabschiedete sich von dieser Welt in einer kontinuierlichen Entwicklung, die scheinbar niemand stoppen konnte. Gemeinsame Urlaube mit Freunden (mit Thomy ein paar Wochen Australien und andere) konnten den Verfall nur verzögern.
Andi hatte es nicht leicht mit der Familie, aber die Familie hatte es auch nicht leicht mit ihm. Sie unterstütze ihn, aber scheinbar ging viel von der Unterstützung ins Leere, konnte ihn nur teilweise erreichen.

Der nächste Schritt war der Rückzug aus dem Freundeskreis, aus unserer Greifenstein-Runde. Auch das geschah nicht mit einem Ruck und war daher auch nicht als Einzelereignis spürbar, vergleichbar mit einem lieben Menschen, dessen Veränderung du nur bemerkst, wenn du ihn eine Zeit lang nicht siehst.
Hin uns wieder sah ihn noch jemand von uns, hatte kurz Kontakt. Dann bedauerten wir, dass wir ihn irgendwie verloren hatten.

Jetzt haben wir ihn wirklich verloren. Der letzte Schritt ist immer ein konsequenter. Mach´s gut, lieber Andi.

Die Demokratie der Leichtgläubigkeit

Gedanken zu einer ARTE-Philosophiesendung („Kritisches Denken in Zeiten von Fake News“, von und mit Raphael Enthoven, als Gast Gerald Bronner, Soziologe in Paris).

Eine scheinbare Demokratisierung des Wissens durch das Internet hält leider nicht, was sie verspricht. Man kann sich zwar uneingeschränkt jede Art von Information schnell besorgen, wird aber dabei nicht mehr von einem Diskurs geleitet oder gebremst, den es vor dem WWW durchaus gab, etwa im akademischen Kontext.
Wer auf der Uni durch Bücher, Fachzeitschriften und Artikel mit wissenschaftlichen Arbeiten Informationen zu einem bestimmten Thema sammelte, stieß dabei auch auf Gegenmeinungen, Konkurrenztheorien usw. Durch die langsamere Rezeption blieb Zeit zum Überlegen, Nach-Denken und natürlich zur Diskussion mit anderen, die man z.B. in einem Institut oder sonst wo traf.
Abende waren nicht zwangsläufig von Voll-Entertainment geprägt und es gab keine tragbaren Bildschirme, auf die man den ganzen Tag glotzen konnte. Nicht einmal das Fernsehen strahlte rund um die Uhr Programm aus.
Wir müssen uns diese Zeit nicht zurückwünschen, aber wir können durchaus einen Blick darauf werfen, um aus den Unterschieden eine kritische Haltung aufzubauen.

Deswegen gab es genauso spinnerte Ansichten, Verschwörungstheorien und extreme Positionen, aber sie verbreiteten sich nicht so schnell wie heute. Man könnte etwas polemisch sagen: Es gab auch damals die Dorftrottel, nur hatten sie kein Internet.

Das Problem reicht aber tiefer. Durch die blitzschnelle Informationssammlung entsteht ein Überfluss, der bewältigt werden muss, um zu einer fundierten und abgesicherten Meinung bzw. Haltung zu kommen, die in Folge Sicherheit für die Bewältigung der großen oder auch kleineren Lebensfragen bietet. Diese Bewältigung scheitert aber oft an mehreren Hürden:

1.) Denken ohne Denken gelernt zu haben funktioniert nicht. Das ist ja genau der Grund, warum in einem Studium auch die Verarbeitung und Strukturierung von Wissen und Information gelehrt und gelernt wird. Könnten das Menschen von selbst, wären diese Kurse, Vorlesungen und Seminare komplett überflüssig.

2.) In Folge kann der Überfluss nicht geistig aufgegessen werden, ähnlich wie wir es tw. auch bei unseren Ernährungsgewohnheiten sehen. Auch dort wird viel, manchmal sogar sehr viel weggeworfen. Im Wissensbereich landen diese überflüssigen Artikel im virtuellen Mist. Das reicht aber nicht, denn der Rest muss trotzdem irgendwie bewältigt werden und hier setzt ein zusätzliches Phänomen ein.
Auf der Uni bzw. anderen, vergleichbaren Lernmöglichkeiten erfolgt die Strukturierung in angeleitetem Selbststudium bzw. in der Diskussion mit anderen. Wenn es das nicht gibt, muss anders strukturiert werden. Das funktioniert durch Vorschläge von außen, also etwa durch scheinbar stimmige Gesamttheorien, denen man glaubt, ohne sie zu hinterfragen, weil man/frau das Hinterfragen nie gelernt hat.

3.) Die Sicherheit strukturierten und reflektierten Denkens ist nicht gegeben, daher sucht man sich die notwendige Sicherheit durch Bestätigung Gleichgesinnter. Mit anderen Worten: man begibt sich in eine Blase und bleibt, da dort alles auf sich selbst referenziert wird. Man kann das mit einer Sekte vergleichen, in der man von der Außenwelt abgeschnitten wird. Hier kommt noch das gruppendynamische Phänomen dazu, dass die Identität durch einen gemeinsamen Außenfeind stärker wird. Diese so dringend gesuchte Identität der im Internet verlorenen Individuen, der Idioten (übersetzt: Vereinzelten), die keine soziale Geborgenheit mehr kennen, alleine daheim vor dem Bildschirm hockend. Viele von ihnen schotten sich in der Öffentlichkeit noch zusätzlich ab, mit Kopfhörern und Smartphones, auf die pausenlos gestarrt wird.
Dort befindet sich ja auch das Ich, das verwirrt und in Folge auch ängstlich auf die Umwelt zu reagieren beginnt, weil die früher gewohnten Haltepunkte nicht mehr vorhanden sind. Langsam entfernen diese Menschen sich von der Gemeinschaft und werden asozial, rücken das Ich ins Zentrum (werden ego-zentrisch) und so entstehen z.B. die Impfverweigerer, die den sozialen Sinn der Covid-Impfung nicht mehr verstehen, weil sie mit sozialem Sinn nichts mehr anfangen können.
Die letzten sechzig Jahre an Dauerpenetration mit Werbung, die ausschließlich auf das Ich fokussiert, zeigen ihre Wirkung, der wichtigste Satz lautet jetzt „Ich will alles und das jetzt gleich“.

4.) Das immer schneller werdende Internet macht aus den Menschen Ungeduldige, die Warten nicht mehr aushalten können und in Folge keinen Triebaufschub mehr dulden. Durch die Verstärkung ihrer Blase in Verbindung mit dem aufgeblasenen Ich beginnen sie die schnelle, die sofortige Triebbefriedigung als ihr Recht anzusehen und entsprechend einzufordern. Das Essen wird zum Fast-Food, das Auto zum Rennwagen und das Fernsehen zum Netflix, wo der Qualtinger nur mehr selten zu Gast ist und sagt „I waaß zwoa no ned wo i hin wü, oba dafür bin i gschwinder durt.“

5.) Durch die gefühlte Orientierungslosigkeit richtet sich der Fokus, die Motivation auf die eine Wahrheit, die scheinbar hilft die Komplexität nicht aushalten zu müssen. In diesem Fall helfen Argumente nichts mehr, der Ideologie ist immanent, dass sie nicht kritisierbar ist, weil Kritik daran verboten ist. Die Leichtigkeit des Lebens innerhalb eines akademisch reflektierten und durch soziale Absicherung stabilen Weltbildes wird ersetzt durch die Leichtigkeit des „Mono-Theorismus“, an den sich passende Teile anheften und von dem nicht passende Teile sofort abgestoßen werden. Man nennt das „Bestätigungsverzerrung“ und es bedeutet, dass man nur mehr Fakten als solche akzeptiert, die die eigene Grundannahme bestätigen. Dadurch wird keine anstrengende Argumentation mehr notwendig, kein Austausch.
Das im Ergebnis leichte, weil schwer erarbeitete Wissen wird ersetzt durch den leichten Glauben, die Leichtgläubigkeit. Dazu passend sind Verschwörungstheorien reizvoller, lustvoller, als die komplexen offiziellen Theorien und extreme Ansichten bieten eine sichere Ecke anstelle des scharfen Windes am unsicheren Grat der Relativierung.

Wer nichts mehr weiß, muss alles glauben – dieser Satz beginnt an Bedeutung zu gewinnen und führt uns sanft, aber konsequent in eine düstere Prognose, wenn nicht gar in eine dystopische Soziallandschaft, in der die Menschen fette Pizza und noch fettere Burger bewegungslos mit übersüßten Limonaden hinunterspülen und nur mehr über kurze Worte am Bildschirm kommunizieren.

Guido Schwarz, 9. Februar 2022