Kennen Sie Romans-sur-Isère?

Das macht nichts, denn die Trends gegen die Beschleunigung sind schwer zu erkennen, sie sind nicht so grellbunt und schreien nicht so laut. Aber es gibt sie und sie werden mehr. Sie entstehen aus dem Bedürfnis dem Wahnsinn zu entkommen, sich Inseln der Ruhe und Beschaulichkeit zu suchen, und zwar im Alltagsleben.
In dieser kleinen französischen Stadt gibt es jetzt eine Komplementärwährung. Sie heißt „Mesure“ und man kann damit nur in kleinen, innerstädtischen Geschäften bezahlen, nicht in den großen Shopping-Malls am Rande der Stadt.
Diese Währung wurde von einer Bürgerinitiative ins Leben gerufen und das ist wohl bei vielen Entwicklungen, die „von unten“ kommen, der Fall. Menschen mit einem Bedürfnis suchen sich Gleichgesinnte und versuchen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Sie bilden Gemeinschaft und suchen nach Lösungen für ihre Probleme.
Von „oben“ gibt es solche Trends nicht, die Gemeinde oder der Staat kämen nie auch nur auf den Gedanken so etwas einzurichten, zu erfinden, umzusetzen. Sie sind nie aktiv, sondern immer nur reaktiv.
Entwicklungen wie Komplementärwährungen sind den Gemeinden und dem Staat suspekt, weil sie an ihrer Zentralmacht rütteln. Machtsysteme investieren viel Geld und Energie in den Erhalt ihrer eigenen Macht.
In Romans-sur-Isère interessiert das die Bürgerinitiative nicht. Sie vergrößern ihr Netzwerk und haben Freude daran, ihre kleinen Strukturen selbst aufzubauen und zu pflegen.
Die lokale Währung funktioniert, weil sie an Kriterien gebunden ist: Man kauft damit nicht irgendwas irgendwo bei irgendwem, sondern in einem regionalen Verbund, einem so genannten „Lebensbecken“.
So lernt man lokale Strukturen wieder zu schätzen und denkt nicht mehr so intensiv an Großbanken, Shopping-Malls und Lebensmittelindustrie.
Durch die Lokalwährung wird die Wirtschaft re-lokalisiert und aktiviert. Ganz automatisch fördert das die guten Strukturen wie Qualität, Gemeinschaft und Sorgsamkeit. Man achtet plötzlich genauer darauf, wer etwas herstellt und wie es gemacht wird. Die Umgebung bekommt wieder einen Wert, der durch die Dis-Lokalität großer Strukturen zerstört wurde. Damit bekommen auch die Dinge wieder einen Wert.
In der Gemeinschaft bekommen auch die Menschen, die Bürger wieder einen Wert und eine Aufgabe. Sie müssen jetzt die Wirtschaft selbst steuern und sich überlegen, wie man das am besten macht.
Das Ergebnis ist fast ein Paradigmenwechsel: Die Wirtschaft dient jetzt wieder den Menschen und ihrer Versorgung mit notwendigen Gütern – und nicht umgekehrt. „Geht es der Wirtschaft gut, dann geht es den Menschen gut“ – dieser seltsame Werbespruch ruft in Romans-sur-Isère nur Kopfschütteln hervor: hier stehen die Menschen im Vordergrund und an erster Stelle, nicht die Wirtschaft als abstraktes Gebilde, das nur sich selbst und seine eigene Macht zu perpetuieren pflegt, genau genommen parasitär am Wohl der Menschen hängend.
Die Menschen machen dort die Wirtschaft und werden aktiv – ganz im Gegensatz zur passiven Rolle, die wir gemeinhin gewohnt sind, wo wir uns der Wirtschaft gegenüber als klein und machtlos empfinden, ihren Gesetzen scheinbar schutz- und machtlos ausgeliefert. Wir erschauern vor Ehrfurcht oder Angst, wenn wir hören, was „der Markt“ schon wieder will und dass die „Gesetze des Marktes“ über allem stehen.
Das ist „merde“, wie die Franzosen zu sagen pflegen.

Buben in Dublin – ein Reisebericht

Donnerstag, 28. August 2014

Es braucht nicht viel Gepäck für so ein Wochenende: Jeans, Sweater, feste Schuhe, eine Regenjacke und einen Kulturbeutel – mit wenig Inhalt, nicht einmal Rasierzeug nehme ich mit. Das alles passt in den famosen englischen Hedgren-Rucksack, einer der besten Käufe meines Lebens und stets handgepäcktauglich.
Laut ÖAMTC-Website gibt es diesen kleinen Zweirad-Parkplatz noch, den ich vor Jahren am Flughafen entdeckt habe und bei dem es sich immer noch um einen Geheimtipp handeln dürfte. Er befindet sich gleich neben der Abflughalle, ist unbewacht, überdacht und kostenlos.

parkplatzschwechat

Mit dem Motorroller fällt jedes Staurisiko weg, ich gebe den Helm, die Handschuhe, den Nierengurt und die Protektorenjacke ins Topcase, nehme meinen Rucksack und marschiere zum Abflug, wo ich die Buben treffe: Rupert, Knochi, die Steiner-Brothers, Schnick, Roschl, Killer, Andi C., Gösser, Stefan, Fifi, Wiesi, Martin, Thomas F. und Andi H. – einige haben sich bereits mit einem Aufwärmbier die Wartezeit verkürzt.
Air Lingus fliegt in 2,5 Stunden direkt nach Dublin, dem Gösser haben sie sein Roll-On und sein Duschgel bei der Sicherheitsschleuse abgenommen, sonst ist alles im grünen Bereich. Bei Air Lingus muss man für jedes Gepäckstück zahlen (saftige Euro 63,-), wir haben aber alle nur Handgepäck und da zeigen sie sich einigermaßen großzügig, entsprechend eng geht es in den Overhead-Bins zu.
Im Flugzeug können wir es irgendwie nicht lassen etwas zu laut und etwas zu auffällig zu sein, etwa wenn wir Andi H. mit tosendem Applaus begrüßen, als er das Flugzeug betritt. Der Pilot schafft es dann jedoch tadellos den Kurs zu halten, obwohl Andi H. Fifi und Wiesi alle rechts sitzen und wir demgemäß eigentlich in Dubai landen müssten und nicht in Dublin.
Andi H. kauft sich noch am Flughafen einen Football-Sweater, den er dann auch braucht, weil er beim Anprobieren (oder davor oder danach) seinen eigenen ließen lässt und erst im Taxi drauf kommt.
Das Taxi ist bei geteilter Rechnung billiger als der Bus und wir landen gut im Ripley Court Hotel. Das stellt sich als alter, unglaublich düsterer Kasten heraus, dem ich trotzdem eine Empfehlung geben möchte, schließlich habe ich nichts anderes erwartet und es hat uns eigentlich an nichts gefehlt.

ripley

Wir zahlen 70,- Euro pro Nacht im Dreibettzimmer, was zu der spannenden Frage führt, wer schnarcht und wer nicht. Ich erwische mit Gösser und Killer zwei Gelegenheitsschnarcher, die nur in bestimmten Schlafpositionen so richtig loslegen, wobei sich auch der Alkoholisierungsgrad als Einflussfaktor erweist.
Kurz gesagt, bis auf ein kleines Wäldchen wurde nichts gesägt.

Damit sind wir auch schon beim eigentlichen Sinn der Reise, denn es handelt sich um ein echtes Buben-Wochenende, an dem beruflich und privat vielbeschäftigte Familienväter in den besten Mannesjahren einmal im Jahr unbeaufsichtigt Schabernack treiben dürfen. Die Grenzen stecken die Iren, wir selbst und eine gewisse moralische Lässigkeit, am Rande flankiert von Budget und Alterserscheinungen – mehr dazu später.
Ich darf noch erwähnen, dass ich das erste Mal auf der grünen Insel bin und entsprechend voller Erwartungen und Klischees, sie sich so ziemlich alle als Volltreffer erweisen.
Da wäre etwa die skurril-britische Zimmereinrichtung mit Bügelbrett und Mini-Teebar – beides ließen wir unbenutzt. Die unpassenden Stecker (Irland-Profi Killer hat einen Adapter mit) passen zur unsäglichen Erfindung getrennter Wasserhähne und der Duschkopf ist fix an der Wand befestigt und höhenmäßig eher für Zwerge konzipiert, was für mich eine stets devote Duschhaltung bedeutet.

becken

Auf den Betten liegen jeden Tag auf´s Neue seltsame rote Stoffbahnen und Zierkissen und die Fenster kann man nur kippen und auch da nur die Hälfte.
Überall befindet sich watteweicher Teppichboden und der Iren liebste Chemikalie dürfte Chlor sein, auf jeden Fall riecht es im ganzen Hotel immer nach Jörgerbad.

Wir treffen uns nach dem Einchecken, um irgendwas gegen den Hunger zu tun – die Air Lingus Snacks waren mies und teuer – und marschieren zum Pub gegenüber und auch gleich wieder hinaus, weil uns Markus mit den Worten „do brunzelts“ davon überzeugt eine andere Lokalwahl zu treffen.
An dieser Stelle sind ein paar Worte zur Gruppendynamik fällig. Wir sind jetzt eben 8 Leute, die alle die Straße hinunterschlendern. Die anderen kommen nach oder gehen woanders hin, wobei 2 gerade in ein Geschäft hinein gehen und von den restlichen 6 nur mehr 4 zu sehen sind, von denen 2 eher nach links tendieren und die anderen zwei geradeaus gehen wollen oder vielleicht auch nach links. Oder nach rechts.

walk

Kurz und gut, nach wenigen Augenblicken hat man sich aus den Augen verloren. Wenn man sich nicht immer an Andi (deutlich über zwei Meter groß) anhängt, ist man sofort allein. Da hilft die Erfindung des Handys, denn sonst läuft man den anderen nur per Zufall über den Weg (das hat bei mir zwei Mal geklappt, ich hatte mein Handy nämlich ausgeschaltet) oder das ganze Wochenende gar nicht.
Jedenfalls landen wir an einer Ecke im O´Sheas, einem Hotel mit Restaurant und Bar, das aussieht wie ein Pub und sich auch so anfühlt. In einem Hinterzimmer ergattern wir einen Tisch für uns 9. Eigentlich sollte man Servierpersonal ja nur nach eingehender Spezialschulung auf uns loslassen, die kleine Irin ist jedoch recht robust und hält uns aus, vor allem, weil sie noch nicht weiß, dass wir die nächsten Tage noch öfter hier antanzen werden, allerdings nie mehr in Vollbesetzung.
Ich lerne schnell, dass Getränke in Dublin teuer sind und sich gut auf Guinness (Bier), Bulmers (Cider) und Jameson (Whiskey) zusammenfassen lassen. Als Unterlage eignet sich so ziemlich alles, was man hier zu essen bekommt, weil die notwendige Fettration überall reichlich enthalten ist.
Ich will es klassisch und entscheide mich für Fish & Chips, was sich als gute Wahl herausstellt.

fishandchips

Auch die restlichen 5 sind inzwischen eingetroffen und unterziehen den Guinness-Zapfhahn einem ersten Stresstest, den dieser jedoch ohne Punkteabzüge besteht.
Nach dem Essen geht es weiter Richtung Stadtzentrum, wobei sich hier alles in Gehdistanz abspielt – zumindest die für uns wichtigen Orte wie Hotel, Stadion und Temple Bar District. Letzterer ist ein Stadtviertel, in dem sich sozusagen alles abspielt, vergleichbar mit dem früheren Bermuda-Dreieck in Wien, der Khaosan-Road in Bangkok oder der Bahnhofstraße in Zürich.
Dublin sieht großteils so aus, wie ich es mir vorgestellt habe: Backsteingebäude, an jedem Eck ein Pub oder auch vier, rothaarige Menschen mit Irland-Teint (dauerregen-bleich) und Autobusse, Autobusse, überall Autobusse, die meisten davon doppelstöckig. Der Lokal-Mix ist bunt, die Pubs sind absolut vorherrschend und wirken von außen meist recht einladend und gemütlich. Dicht auf den Fersen sind ihnen die Pizza-Fastfood-Läden, die meist von Pakistanis betrieben werden und meist auch Burger, Kebab oder Fish & Chips anbieten.
China-Restaurants sowie die großen amerikanischen Burger-Ketten runden das Bild ab, wobei nicht nur McDonalds architektonisch heraussticht, weil sich die Filialen erstaunlich gut an das Stadtbild anpassen – bis auf einen Schriftzug ist meist gar kein CD zu erkennen, übrigens auch nicht bei Starbucks, von denen es ebenfalls jede Menge gibt.

mcdonalds

Die Preise sind etwas höher als bei uns, wobei wir an einem ganz besonderen Wochenende hier sind, es spielen nämlich am Samstag die Penn State Lions gegen die UCF Knights – zwei US-Collegeteams, die mit Sack und Pack angereist sind und einmal im Jahr ein Meisterschaftsspiel in Irland austragen. Deswegen ist Dublin mit Amis quasi abgefüllt und bemüht sich sehr diese Amis wiederum mit Guinness abzufüllen – die Stadt hat ca. 200.000 Einwohner und es sind etwa 40.000 Amis da. Zum Spiel kamen übrigens 53.000 Zuseher.
Die Amis sind überall auf der Welt leicht zu erkennen, diesmal besonders gut durch die Fan-Kluft, die sie fast alle tragen.
Ein Pint Bulmers Cider kostet in der Temple-Bar im Herzen des gleichnamigen Districts 6,85- Euro. Das Guinness ist ein wenig günstiger und am Stadtrand schon um 4,50 zu haben.

templebar1

Wir finden in der Temple-Bar einen erstklassigen Platz im überdachten Freien, was vor allem die Raucher freut. Generell herrscht hier schon seit vielen Jahren in allen Lokalen Rauchverbot, was aber niemand wirklich zu stören scheint und der Gemütlichkeit keinerlei Abbruch tut. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier und bei uns wird auch in ein paar Jahren kein Hahn mehr danach krähen.
Extrem auffällig ist auch die hohe Dichte an SPAR-Märkten. Ich schätze, der dänische Konzern hat irgendwann eine große lokale Supermarktkette übernommen. Die Supermärkte haben oft bis Mitternacht offen und dafür auch eine „special license“, was sehr praktisch ist, wenn man am Heimweg noch eine Wasserflasche gegen den morgendlichen Brand kaufen möchte, das Leitungswasser ist doch recht chloriert.
Die Temple-Bar ist riesig, es gibt Live-Musik, an diesem Wochenende allerdings leider nicht irisch, sondern amerikanisch – an jeder Ecke kannst Du dich an „Brown Eyed Girl“ tothören.

templebar2

Wir können uns gute Plätze und die Aufmerksamkeit des Servierpersonals besorgen. Andi bestellt um 14 Euro ein Sixpack Austern und erntet Hohn und Spott, weil es in der Karte um 12 Euro ebenfalls ein Sixpack Austern plus ein Pint Guinness gibt – so ganz ist die Preisgestaltung hier nicht zu durchschauen.
Eines wurde mir übrigens schnell klar: Half-Pint geht gar nicht, denn das bedeutet ersten erheblichen Reputationsverlust in der zunehmend lauter gröhlenden Runde („Jo wos is´n des?“) und zweitens kostet es unerheblich weniger als das doppelt so große Pint, das hier übrigens immer und überall sehr gut eingeschenkt wird, randvoll quasi.
Gerade recht kommt uns jetzt auch das nette Angebot eines Bloody-Mary-Oyster-Shots, die sie hier wohlfeil um 12 Euro im Sixpack anbieten, inklusive Zitrone und Tabasco. Nach drei bis vier Runden ist jedoch bei allen eine gewisse Sättigung mit den kleinen Schleimbatzen zu erkennen und es wird ordentlich nachgespült, meist mit einem Guinness oder zwei.

knochitabasco

Flotter als das Bier macht nur der Schmäh die Runde, vor allem als wir noch die Herren Sascha, Sladi, Peter und Blockmalz-Harry begrüßen dürfen, die mit einer anderen Fluglinie und daher anderem Zeitplan nach Dublin gekommen sind – es warat wegen dem Ausschlafen am Sonntag, wie sie meinen.
Heute gehört die Hütte uns, so viel ist schnell klar, wenngleich wir später noch einen Wechsel ins Quays gegenüber machen, weil auch dort ordentlich was los ist und gepflegtes Bier ausgeschenkt wird.
Fifi beschließt uns in dem überfüllten Lokal etwas Platz zu verschaffen und stellt einen ab. Dieser ist so gewaltig, dass nicht nur rundherum plötzlich alles frei ist, sondern auch eine unmissverständliche Mitteilung vom Kellner an ihn ergeht, dass bei einer Wiederholung der Untat ein sofortiger Hinauswurf bevorstünde.
Vor der Türe ist es übrigens auch nicht gerade menschenleer, wenngleich hier immer wieder zarte Schauer hernieder gehen. Mit Bierglas darf man übrigens nicht hinaus, die Türsteher haben allerdings stets einen Plastikbecher zum Umfüllen bei der Hand.
Das Wetter ist übrigens das ganze Wochenende irisch, d.h. es wechseln sich Sonne und Regen im Stundentakt ab. Alles in allem bleiben wir jedoch äußerlich weitgehend trocken.
Irgendwann gegen 23 Uhr beschließen Gösser und ich ins Hotel zu gehen, unterbrochen nur durch die eine oder andere Heißhungerattacke, die ihn immer dann befällt, wenn wir an einem der noch offenen Fastfood-Läden vorbei gehen. Das führt dazu, dass er sich letscherte Hot Dogs und kalte Pizza („bevor die mir das in die Mikrowelle hauen, ess ich es lieber so“) einwirft und noch bis Samstag eine Art Klumpen im Magen mit sich herum schleppt.

Freitag, 29. August

Die Gruppendynamik bleibt spannend, weil trotz äußerst verschiedener Hotelrückkunftszeiten irgendwie alle rechtzeitig zum Frühstück erscheinen, wenn auch in sehr unterschiedlicher Verfassung.
Das English Breakfast heißt hier Irish Breakfast und ist genau das gleiche. Fifi magaziniert mit einem Teller Baked Beans mit Tomatensauce für den heutigen Tag auf, alle anderen genehmigen sich die übliche leichte Kost: Ham & Eggs, gebratene Würstel und „Black Pudding“ – so heißt hier die Blutwurst. Toast, Tee und ein unbestimmbares Getränk, das offiziell als „Kaffee“ angeboten wird, runden das nicht ganz fettfreie Frühstück ab, wohlfeil um 5 Euro und vom Wiesi auch nach dem dritten Teller für erledigt erklärt. („Jetzt geh i schlofn“.)

Jetzt zeichnet sich wieder eine Aufsplittung der Gruppe ab: Gösser möchte eine Landpartie zu den Klippen einer nicht weit entfernten Insel machen, Killer will zur Jameson Destillerie, einige bevorzugen eine Stadtrundfahrt und andere wissen nicht, was sie wollen. Die Vorerfahrungen könnten unterschiedlicher nicht sein, vom Dublin-Profi Knochi und Markus bis zum blutigen Anfänger (ich).
Letztlich wählen wir die Hop-on-hop-off-Tour, für die es zwei Anbieter gibt. Wir entscheiden uns für die grüne Tour, weil da im Preis auch eine Dock-Tour inkludiert ist. Bei der Guinness-Brauerei sowie bei der Jameson-Destillery halten alle, daher fällt die Wahl letztlich leicht und auch der Killer ist zufrieden, zumindest bis zu dem Zeitpunkt des Einsteigens in den Bus, als er entdeckt, dass er die Fahrkarte (17 Euro) nicht mehr findet und noch ein zweites Mal kaufen muss.
Die Busse sind doppelstöckig, wobei der obere Stock zu einem Drittel überdacht ist. Da es nieselt wollen wir einen Bus mit freiem Dachabteil und müssen daher etwas warten, weil der gerade für die Abfahrt bereite Bus oben schon besetzt ist. Also raucht man eine. Dann kommt der nächste Bus, Leute steigen ein und besetzen einen Teil des oberen Stocks, was wiederum dazu führt, dass wir auf den nächsten warten müssten und die Burschen dazwischen eine rauchen können.
Dann wird es mir zu blöd und ich gewinne eine Mehrheit für eine Einsteigaktion.
Letztlich haben wir das ganze Dachabteil für uns, irgendwie und aus irgendwelchen Gründen haben uns die anderen Touristen Platz gemacht, Fifi ist aber unschuldig, seine Chemiewaffe kam diesmal nicht zum Einsatz.
Die Fahrt wird zu einem der Höhepunkte dieses Wochenendes, weil jeder von uns allein schon eine Dreckschleuder ist, gemeinsam jedoch können wir ungeahnte Momente aus dem Nichts erschaffen, bis sogar dem Schmäh selbst schwindlig wurde und der Tourleiter am Mikrophon einen Stock tiefer anmerkt, dass er sein eigenes Wort nicht mehr versteht.
Wir zeigen uns eher unbeeindruckt und starren um die Wette auf hübsche Mädchen unten auf der Straße, wodurch uns natürlich wichtige Sehenswürdigkeiten entgehen – nicht jedoch die Tatsache, dass ganz Dublin voll von Kirchen ist. Von einer grüßt sogar ein Priester und winkt uns zu.

pfaffe

Bei der riesigen und weitläufigen Guinness-Brauerei beschließen wir nicht auszusteigen, sehr wohl jedoch bei der Jameson-Distillery. Der Busfahrer gibt noch per Funk an all seine Kollegen durch, dass sie bei unserem Anblick an der Haltestelle unverzüglich durchstarten sollen und entschwindet dann in der Ferne.
Wir marschieren um´s Eck und entdecken eine unglaublich lange Schlange an Touristen, die alle auf eine Führung warten. Da die prognostiziert-geschätzte Wartezeit etwa drei Stunden betragen dürfte, beschließen wir nur auf die Toilette und in den Gift-Shop zu gehen. Ab jetzt werden uns kleine Jameson-Flaschen in der Brown Bag durch den Tag helfen.

brownbag

Die Diaspora unserer Gruppe ist wieder einmal komplett vollzogen, der gemeinsame Treffpunkt könnte am Nachmittag die Cheerleader- und Marchingband-Parade im Temple-Bar District sein, was jedoch misslingt. Ich fahre mit einer kleinen Restmannschaft zurück ins Zentrum und mache noch die Dock-Tour, die man sich allerdings getrost schenken kann. Einziges Highlight ist eine Brücke in Form einer Harfe, irgend einem irischen Schriftsteller oder Dichter gewidmet.

docktour2

Einer der Steuerungsmechanismen unserer Gruppe sind Durst und Hunger. Jetzt etwa betrifft es mich, ich brauche dringend eine Stärkung in Form von Fish & Chips, aber die Herren Schnick und Roschl werden zu Mädchen und müssen jedes Schuhgeschäft von innen ausgiebig bestaunen. Da es jede Menge Schuhgeschäfte gibt, dauert das ewig und mein Hunger wird nicht kleiner. Dann ist auch noch die Zeit für die Parade, aber bei der Temple Bar erfahren wir von Penn-State-Fans, dass ihre Parade erst um 16.30 beginnen wird, aber die von UCF soll angeblich irgendwo dort drüben schon früher sein.

bruecke

Wir marschieren irgendwo dort hinüber und finden einen Platz, wo ein paar gelangweilte Musiker üben und eine Handvoll Cheerleader herum stehen. Etwas enttäuscht ziehen wir wieder ab und marschieren über die Brücke, wo wir einige der Buben treffen, die uns in die „Church“ schicken, einer zur Bar umgebauten Kirche.

church1

Dort warten Sascha, Blockmalz-Harry und Andi H. bei einem Getränk auf bessere Zeiten. Ich nütze die Chance um das erste Mal in meinem Leben Stoffwechselprodukte in einer Kirche zu hinterlassen und kenne jetzt das Designer-Häusl der Church.

church2

Dann marschieren wir endlich in Richtung Fish & Chips, doch dem Roschl gefällt die Bude nicht. Mir eigentlich auch nicht, aber ich habe schon richtig Hunger und eile daher zu einem anderen Lokal, das mir schon früher aufgefallen ist. Die anderen gehen weitere Schuhgeschäfte anschauen, während ich das zu teure und nicht wirklich gute Essen runterwürge.
Die anderen gehen einstweilen ins O´Sheas und speisen köstlich, ich marschiere ins Hotel zwecks einer kleinen Ruhepause. Am Abend könnte es ja noch intensiv werden. Beim Hotel treffe ich den Gösser, der gerade von seiner Inseltour zurück kommt und auch entsprechend müde ist, jedoch noch für seinen kleinen Sohn shoppen gehen möchte.
Ein wenig ausruhen, dann geht es ins „Quays“, das wir schon vom Vorabend kennen. Diesmal ist fast die ganze Runde vollständig und wir haben jede Menge Gaudi mit jeder Menge netter Menschen, etwa mit Tanja von der Isle of Man. Noch jemand ohne Foto mit ihr? Nein? Gut!

tanja2

Auch die seltsamen Leutchen mit ihrem noch seltsameren Schild werden von uns befragt. Es stellt sich heraus, dass sie von einer Sekte sind und was auch immer predigen.

sekte

Wir predigen Guinness in Theorie und Praxis und sind damit wesentlich erfolgreicher. die Zweimann-Band holt das letzte aus den feiernden Amis heraus und die Stimmung ist überall wirklich gut, vor allem weil es nur hin und wieder tröpfelt, also vom Himmel.

quaysband

Irgendwann ist auch dieser Abend zu Ende und ich marschiere alleine zurück zum Hotel. Gösser ist bereits da und Thomas wird auch nicht allzu spät eintreffen. Auch der zweite Tag war ein voller Erfolg.

Samstag, 30. August 2014

Auch im Ripley Court Hotel grüßt täglich das Murmeltier und so versammeln sich alle zur Einnahmer fettreicher Speisen, meist noch leicht gezeichnet vom Vorabend. Aber heute ist Game Day und alles steht im Zeichen des American Football. Ich marschiere mit ein paar von den Jungs noch in den Temple-Bar-District um ein wenig Tailgating zu erleben. Es dient aber eher dem Zeitvertreib und ich erspare mir das Bier am Vormittag (ICH, nicht so manche andere…). Dann geht es Richtung Croke Park Stadium, denn ich möchte noch vor dem Kickoff dort sein. Das wollen auch viele andere und die zuerst einzelnen kleinen Grüppchen, die dem Stadion zuströmen, werden mehr und größer und dichter, bis wir am Schluss in einer langen, trägen Menschenschlange auf das beeindruckende Gebäude hinwandern.

crokepark

Ich habe mir noch Sandwiches und Wasser gekauft, die sie mir aber beim Eingang sicher abnehmen werden – gerade bei so einem Match wird die Sicherheitslage gespannt und die Kontrolle entsprechend scharf sein.
Dachte ich bis jetzt. Es gibt de facto genau überhaupt keine Security, ich marschiere durch ein Drehgitter, zeige meine Karte und bin drin. Es gibt keine lange Schlange und keine Abtastungen, ich hätte weiß Gott was hineinschmuggeln können.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass American Football traditionell eine friedliche Sportart ist. So brutal es am Spielfeld aussieht, so friedlich gehen die Fans miteinander um. Es gibt nahezu nie Raufereien und beim Tailgating vor dem Stadion grillt man gemeinsam und trinkt untrinkbare Biersorten, zumindest in USA.

Es ist das erste große Footballmatch in meinem Leben und damit auch das erste College-Match, das ich live sehe. Da die Teams aus USA angereist sind, haben sie nur einen Bruchteil ihrer Entourage mit, also z.B. nur 7 Cheerleader-Girls und eine winzige Marching Band. Zu Beginn springen zwei Fallschirmspringer ins Stadion, von denen es aber nur einer schafft, der andere knallt außen an die Stadionwand und ward nicht mehr gesehen.

parachute

Dann gibt es ein Fly-Over mit zwei Jets und die üblichen Rituale vor Spielbeginn. Das Stadion fasst max. 80.000 Personen und wenn man die Sitze sieht, weiß man warum. Sie sind auch für zart gebaute Gäste winzig, die Herren Wiesi, Fifi, Sascha und Andi H. haben ihre liebe Not und suchen sich zeitweise anderswo eine Reihe, wo mehrere Sitze nebeneinander frei sind.

jungs

Wir sitze auf der UCF-Seite und wissen nicht wirklich genau, zu wem wir halten sollen. Penn State hat deutlich mehr Fans, UCF gilt als die eigentlich stärkere Mannschaft, die jedoch im ersten Viertel bereits zurück liegt und langsam schwappen die Sympathien in Richtung Florida. Die Cheerleader tun ihr Bestes und zeigen sich als wahre Profis: kräftig gebaute junge Männer und kleine, auch kräftig gebaute Mädchen zeigen sensationelle Akrobatik. Ich habe noch nie versucht ein Mädchen in die Höhe zu halten, die nur auf einer meiner nach oben gestreckten Hände steht und ich werde es auch nie tun. Die Cheerleader können es und zwar nicht nur einmal. Ihre Show dauert drei Stunden, so lange wie das Spiel.

cheer2

In der Halbzeit zeigen die Iren eine ihrer Nationalsportarten, von der ich bisher nicht einmal noch gehört habe: Hurling. Das ist eine seltsame Mischung aus Rugby, Cricket, Basketball, Baseball und noch einigen anderen Sportarten. Es wird mit kleinen Bällen gespielt und jeder hat eine Art Schläger in der Hand, der so lange wie ein Baseballschläger ist, aber flach. Das Spiel ist extrem schnell und sie pracken wie die Irren (Iren) auf den Ball, ohne Rücksicht auf andere Spieler und deren Körperteile. Außerdem spielen sie das alles ohne Handschuhe. Ja, auch der Torwart.

Die zweite Spielhälfte wird richtig spannend, nach ein paar Big Plays liegt UCF kurz vor Schluss zwei Punkte vorne. Wenn sie jetzt den letzten Angriff von Penn State abwehren können, gewinnen sie das wichtige Spiel. Jetzt hält es niemand mehr auf den Sitzen, es entwickelt sich zu einem richtig guten Spiel, bei dem letztendlich Penn State die Nase vorn hat und noch ein Fieldgoal erzielen kann. Es endet 24:23 und man sieht, wie groß die Enttäuschung bei UCF ist.
Ich bekomme noch die Gelegenheit die Cheerleader zu fotografieren, dann geht es auch schon wieder zurück in die Stadt.

cheerchefin

cheer3

Wie üblich fällt die Wahl auf das O´Sheas, in dem heute ebenfalls Sport angesagt ist. In dem proppenvollen Lokal bekommen wir tatsächlich noch einen Tisch und können ein frühes Abendessen genießen. Meine Wahl fällt diesmal auf Lamb Stew, traditionell und durchaus empfehlenswert. Dazu sehen wir noch eine Übertragung eines Gaelic-Football-Matches und lernen die zweite völlig unbekannte Sportart kennen. Jetzt ist es eine Mischung aus Rugby und Handball, mit unten einem Fußballtor und oben einem American-Football-Tor. Das Spiel ist auch extrem körperbetont und wir spülen die Eindrücke mit einem Guinness runter.

stew

Bei mir geht dann die Energie auf Reserve und ich mache die letzte Tour zur Temple Bar nicht mehr mit. Wir müssen morgen am Sonntag um 05.30 raus, weil um 07.30 die Maschine zurück nach Wien geht. Ein ruhiger Abend im Hotel ist auch okay.

Sonntag, 31. August

Der Taxifahrer ist extrem gesprächig und gut aufgelegt, seine Schmähs sind gut und so sind wir im Nu am Flughafen. Da wir am Vorabend bereits online eingecheckt haben und die Security hier in Dublin sehr flink arbeitet, sind wir bald am Gate und warten auf den Heimflug. Auch dieser verläuft unspektakulär, die Mitreisenden müssen mit der einen oder anderen Fahne leben und auch mit dem dazu passenden Schmäh. Immerhin – es hat keiner geklatscht bei der Landung.
Auch meine brave Honda steht noch da und ich komme ohne weiteren Regenschauer nach Hause.
Als ich das Handy aufdrehe, sehe ich die Nachricht vom Tod meines lieben Freundes Oliver. Irgendwie bin ich froh, dass ich sie nicht in Irland bekommen habe. So war es ein wirklich schönes Wochenende mit den Buben.