Der Bacherl – ein später Nachruf

Sechs Todesfälle 2022, das war dann doch ein bissi viel. Zwei davon haben mich ganz besonders getroffen: mein Vater und der Bacherl. Vielleicht habe ich es deswegen nicht geschafft den Nachruf früher zu schreiben, der auf meinen Vater wird sowieso noch deutlich komplexer sein müssen.

Es ist immer noch schwierig. Ich werde es chronologisch angehen und mich hinarbeiten bis zu seinem Begräbnis am 13. Mai 2022.

Ganz genau weiß ich es nicht mehr, wann ich den Peter kennengelernt habe. Es war gemeinsam mit vielen anderen Klosterneuburgern irgendwann 1993, vielleicht bei einem privaten Festl oder einem Clubbing. Gleich zu Beginn – daran kann ich mich noch gut erinnern – ist mir aufgefallen, dass er stets von hübschen Frauen umgeben war. Auch seine damalige Freundin, die Babsi (in Klosterneuburg hießen damals irgendwie alle Babsi, außer die Kathis, dazu später) gehörte in diese Gruppe.
Damals hatte der Peter noch nicht studiert und machte beruflich irgendwas, ich weiß das einfach nicht mehr. Aber er war schon damals ein umtriebiger Typ und kannte halb Klosterneuburg und auch darüber hinaus eine Menge Leute. Daraus ergaben sich viele verschiedene Jobs, etwa im Bereich Security oder auch als DJ „Del Vino“.
Wahrlich nicht auf den Mund gefallen, für manche hin und wieder ein wenig nervig, aber auch jederzeit zu einem tiefsinnigen Gespräch bereit. Peter konnte zuhören, was keine allzu verbreitete Tugend ist. Deshalb saß ich mit ihm auch des öfteren beim Heurigen, natürlich nicht nur für tiefsinnige Gedanken, wir waren beide jung und deppert und hatten vor allem Parties im Kopf. Daher nahm ich ihn auf gute Festln mit und umgekehrt. Ich habe es sicher auch ihm zu verdanken, dass ich meinen heutigen Klosterneuburger Freundeskreis so schnell und gut kennenlernen durfte.
Der Freundeskreis, der ihn letztlich auch zu Grabe tragen musste.

Es fällt mir auch jetzt schwer auszuwählen, worüber ich schreiben möchte. Es waren fast dreißig Jahre Freundschaft, mit viel mehr Höhen als Tiefen, mit einer Konstanz, die alle Tiefen ausbügeln konnte, mit einer Basis, die wir nie in Frage stellen mussten.
Beim Schreiben dieser Worte muss ich tief seufzen. Das war auch einer der letzten gutgemeinten Tipps, die ich ihm gegeben habe, als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe, kurz vor seiner Kehlkopfoperation. Danach konnte er nicht mehr sprechen, er, der kommunikative Typ mit der großen Pappn.
„Tief seufzen hilft mir oft, probier es doch aus.“

Jetzt bin ich wieder gesprungen. Eigentlich war ich noch in den Erinnerungen an die schönen Zeiten. Sie umfassen ja den weitaus längsten Teil unserer Freundschaft und reichen über die schon erwähnten zahlreichen Heurigenbesuche über den gemeinsamen Besuch von Festen aller Art bis zu dem netten Wochenende, an dem Peter mich zur Blockveranstaltung an der Uni Klagenfurt begleitet hat. Sogar an einer Organisationsaufstellung hat er einmal teilgenommen. Solchem Hokus-Pokus begegnete Peter mit einer soliden Skepsis, ich konnte ihn aber neugierig machen. Es war spannend, vor allem für ihn, denn er wurde als Repräsentant ausgewählt und stand dann da in der Aufstellung. Und dann passierte was, und es hinterließ einen bleibenden Eindruck. „Ich konnte auf einmal meinen Kopf nicht mehr bewegen, erst nach einer Auflösung der Situation war mir das wieder möglich“ meinte er danach.

Ich bleibe noch kurz beim Blockseminar in Klagenfurt. Wir gingen an einem der Abende in ein Wirtshaus und der Peter bestellte. Als das Essen kam, blickte er mit leichter Verzweiflung, aber nicht ohne Humor darauf: „Bestellt habe ich Pute mit Reis, bekommen hab ich Schwein mit Fritten.“ Das war typisch. Wir haben das dann mit ein paar Bierchen erledigt.

Am nettesten waren eigentlich die spontanen Treffen. Ein kurzer Anruf und wenig später saßen wir bei einem Bier in der Eule oder einem Spritzer beim Schmucki. Mir fällt es schwer mich an einzelne Abende zu erinnern, sie sind bei mir wie ein großes Ganzes abgespeichert, eine Art Freundschaftspaket, das mich mit dem Bacherl verbindet.
Einige Fotos können das vielleicht besser zeigen.

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Bild: Peter in Diskussion mit unserem Freund Dole

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Bild: Peter umgeben von schönen Frauen. Sehr unangenehm war ihm das nicht, er hatte mehrere lange, gute Beziehungen – bis er die Julia kennenlernte. An einem Abend, an dem er eigentlich daheim bleiben wollte und nur kurz auf ein Bier wegging. Fast im Jogger. Typisch Peter (der übrigens meistens durchaus gut angezogen war.)

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Bild: Am allerletzten Konzert von Drahdiwaberl am 11. Mai 2013. Es gab ja viele letzte Konzerte dieser legendären Wiener Punkband. Dieses war aber wirklich das letzte, zwei kräftige Herren schleppten Stefan Weber auf die Bühne, er krächzte 3-4 Nummern und dann haben sie in wieder runtergetragen. Das alles vor der Karlskirche, das Konzert war nämlich Teil der Wiener Festwocheneröffnung und ich wusste nix davon. Dann rief mich Peter an (oder war es Kathi? egal) und trotz Regen beschlossen wir uns das zu geben. Es war unglaublich, eine Replik auf die alten Zeiten. Es wurden rohe Eier ins Publikum geschmissen und rohe Hühnerteile. Was sie auf der Bühne alles aufführten, erwähne ich hier aus gutem Grund nicht. Am lustigsten waren fein gekleidete Festwocheneröffnungsgäste aus aller Herren Länder, die das überhaupt nicht packten.

Eine Veränderung unserer Beziehung brachte unser Engagement in der Politik. Leider nicht zum Guten – Peter stieg in Klosterneuburg bei den NEOS ein, ich in Wien bei den Grünen. In zahlreichen Diskussionen zeigten sich zwei doch recht unterschiedliche Weltbilder. Das konnte, das sollte, das durfte unsere Freundschaft nicht berühren. Und doch war es so. Wir hatten in der Zeit ohnehin weniger Kontakt und eine Zeit lang gab es Postings auf Facebook, die doch eine erhebliche Differenz zeigten. Wir konnten aber immer wieder gute Gespräche führen und die Differenzen diskutieren.
Dann wechselte Peter als Gemeinderat zur ÖVP. Das war für viele seiner Freunde ein Schlag, ich fand es weniger aufregend, weil seine Beziehungen in die ÖVP-Welt waren immer gut und er fühlte sich wohl. Zugleich lief es beruflich nicht optimal und es war Zeit für ihn neue Wege zu gehen. Unsere Freundschaft dümpelte vor sich hin, er hatte schließlich neben der Politik und dem Job noch eine Familie, die ihn zurecht auch forderte.

Dann kam der bittere Tag, an dem ich von seiner Erkrankung erfuhr: Krebs. Ein Stimmband raus, dann noch ein halbes. Hoffen, dass es damit erledigt ist. Das Wissen, dass gute Wünsche zwar nett sind, aber wenig ausrichten. Die Bitterkeit, schon vor vielen Jahren erfolgreich mit dem Rauchen aufgehört zu haben und dann das. Einem Menschen, der von seiner Stimme lebt, von seiner Fähigkeit am Telefon zu kommunizieren, im Marketing, im Verkauf – mit einem Schlag fast vorbei.
Peter zog sich zurück, auch aus seinem riesigen Freundeskreis. Natürlich nicht ganz, aber doch spürbar. Auch wir sahen uns einfach seltener.
Dann kam die nächste schlimme Nachricht: Es ist wieder da. Und der Kehlkopf muss raus.
Das traf mich hart und ich fand keinen Zugang zu Peter. Bis zu dem Tag, an dem ich ihn einfach anrief, wissend, dass das Sprechen schwer fiel. Das Gespräch war lange und gut, ich sprach ihm so viel Trost zu wie nur möglich.

Was kann da noch passieren? Die Antwort ist einfach: Corona. Für einen frisch Operierten eine Katastrophe. Peter konnte nicht anders als sich möglichst umfassend zurückzuziehen. Der Kontakt beschränkte sich auf Emails oder Facebook-Postings. Aber die konnten keinen Trost spenden und die Freundschaft nur sehr schlecht aufrecht erhalten. Seine Verbitterung tat weh und tut es bis heute.

Dann kam der Herbst 2021 und der Start in die Football-Saison. Peter war seit Ewigkeiten im Football-Universum, viel länger als ich. Diesen Start feiern wir immer am ersten NFL-Spieltag bei einem Freund, der eine große Party gibt.
Peter war auch dort, nach langer Zeit wieder unter Menschen bzw. mit einer großen Gruppe. Nur ich war leider nicht da, weil ich mir genau an dem Wochenende einen alten Traum erfüllt hatte und nach Gstaad zum Konzert von Emmylou Harris gereist war.

So verpasste ich die Chance Peter zu sehen. Es sollte keine weitere geben. Das wusste ich damals natürlich noch nicht, denn Peter ging es den Umständen entsprechend gut und das war auch das, was ich erfuhr und was mich natürlich sehr freute.
Das hieß auch: Demnächst wieder beim Heurigen bei einem gepflegten Spritzer. Ich plante schon ihn anzurufen, dann kam alles mögliche dazwischen – egal, wir hatten es ja nicht so eilig.
Zumindest bis zum Neujahrstag 2022, als ich von einem Freund erfahren musste, dass der Krebs wieder gekommen war. Metastasen in der Lunge. Es sah schlecht aus, ich wusste das leider, weil ja 2014 drei meiner besten Freunde an Krebs verstorben waren.

Aber niemand gab die Hoffnung auf, auch Peter nicht. Er kämpfte sich durch eine Chemotherapie nach der anderen. Doch seine Facebook-Postings wurden weniger und die wenigen Freunde, mit denen er Kontakt hatte, zeigten nur mehr wenig Hoffnung.

Dann das Posting auf Facebook von einer Freundin, mit einer Todesnachricht. Ich dachte noch: Mein Gott, es ist was mit ihrem Vater! Aber dann war schnell klar, dass Peter gestorben war.
Am fünften Mai hatte er seine Frau kennengelernt.
Am fünften Mai hatte er sie geheiratet.
Und am fünften Mai ist er gestorben.

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Bild: Die Kerze von Peter und Julia

Peter hatte einen Sinn für Inszenierung. Wir verpassten ihm dafür ein Begräbnis, das wohl noch lange allen Anwesenden in Erinnerung bleiben wird. Die Stiftskirche in Klosterneuburg war gerammelt voll, der Bürgermeister – einer seiner engsten Freunde – hielt eine Rede, die mehr als außergewöhnlich war. Straßen wurden gesperrt für den Trauerzug zum Friedhof.

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Bild: Aufgebahrt in der Stiftskirche von Klosterneuburg. Ob er auch mit Sonnenbrille begraben wurde, ist nicht bestätigt

Und danach gab es eine Party wie sie dem Bacherl gefallen hätte – sehr gut gefallen sogar. Im Stollkeller, einem unserer Lieblingslokale, das schon lange geschlossen hatte und für uns, für Peter, einmal aufsperrte.

„Einst lehnte er im Stoll am Fassl,
heut lehrt er an der Uni Kassel.“

Der kleine Reim stammt von Peter und er druckte diese Wuchtel spontan an irgendeinem Abend viele Jahre davor, als wir beide am Fassl im Stollkeller standen.

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Bild: Am Fassl lehnend

Der Abend am Tag seines Begräbnisses wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Lachen und heulen zugleich, so viele Emotionen auf einen Haufen habe ich vorher noch nie erlebt. Auch bei mir selbst nicht. Es war zum Schluss wie eine Erlösung, auch für seine Frau Julia, die wahrlich keine leichte Zeit hinter sich hatte. So wie auch ihre beiden Kinder.
Ein paar Bilder können vielleicht einen Eindruck vermitteln.

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Bild: Am WC vom Stollkeller. Auch hier an jeder Ecke irgendein Bild vom Bacherl. So war es nun einmal notwendig. So gehört sich das.

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Bild: Auch das Wimmelbild im Garten vom Stoll spricht für sich. Der Verlust ist noch nicht fassbar, nicht verarbeitbar.

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Bild: Im Keller – auf diesem Bild finden sich alle Emotionen dieser Welt. Des Peters würdig.

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Bild: An der Bar vom Stollkeller. Mit Spritzer, Bier und guter Musik. Es gibt wohl keinen besseren Ort um vom Peter würdig Abschied zu nehmen. Inzwischen gibt es das alte Lokal nicht mehr. Irgendwie ist es mit Peter gestorben.

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Bild: Stowi und Andi spielen für uns, und speziell für Julia, während Peter im Hintergrund Blödsinn treibt.

Jetzt sind schon bald zwei Jahre vergangen. Peter ist präsenter als ich es erwartet hatte. Durch seine Frau Julia, die wieder nach vorne schaut und von allen herzlich willkommen geheißen wird. Durch die vielen Erinnerungen, die nicht nur in Klosterneuburg auftauchen, sondern auch sonst zu allen möglichen Gelegenheiten, in bunter, wilder Mischung sozusagen: Sprüche fallen mir bei Gelegenheit ein, oder ich treffe gemeinsame Freunde, oft zufällig, und dann ist Peter ein Thema.
Oder ich denke beim Schreiben an ihn, beim Musikhören, auf Konzerten, Festen, Veranstaltungen, Workshops etc. Es war eine Beziehung, eine Freundschaft, die mein Leben geprägt hat – so wie einige andere, aber nicht viele.
Diese Prägung wird anhalten, nicht nur bei mir, sondern bei erstaunlich vielen Menschen. Peter ist tot. Es lebe der Bacherl!

7 Stufen der Klimakrisenleugnung

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten die Klimakrise zu leugnen. Viele beinhalten das Gefühl, eh nicht zu leugnen, was aber nicht der Realität entspricht. Es handelt sich um Selbsttäuschung. Alle sieben Stufen sind Leugnung der Klimakrise, sonst gar nichts.

1.) Es gibt keinen Klimawandel

Er wird zur Gänze geleugnet. Das Klima ist normal, war immer so und wird immer so sein. Es gibt auch keine negativen Auswirkungen, Wetterphänomene sind auch normal und es gibt maximal eine Hysterie von Menschen, Menschengruppen, Systemen oder „Mächten“, die einem etwas einreden wollen, was es gar nicht gibt.
Es sollte daher nichts unternommen werden, denn das wäre im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv, in jedem Fall ist es eine Gefahr für das Wirtschaftswachstum.

2.) Es gibt zwar einen Klimawandel, aber der ist ganz normal

Es gab ihn immer und es gibt ihn derzeit auch. Es stimmt, dass Gletscher schmelzen und Klimawandelphänomene auftreten. Das ist aber kein Grund zur Beunruhigung, ganz normal und hat für die Menschen keine Bedeutung, außer dass es da und dort ein wenig andere Bedingungen gibt. Das dauert eine Zeit und entspricht ganz normalen Zyklen. Im Mittelalter war es auch schon einmal warm. Woher es derzeit kommt? Keine Ahnung, wahrscheinlich Sonnenflecken. Es gibt keinen Beweis dafür, dass irgendetwas daran von Menschen verursacht wurde oder wird. Es geht vorbei und wird uns nur marginal betreffen. Wir können nichts dagegen tun und sollten daher auch nichts dagegen tun.

3.) Es gibt einen Klimawandel, er ist auch krisenhaft, aber ganz natürlich

Wir müssen uns darauf einstellen, uns gegen die Folgen wappnen, etwa indem wir höhere Dämme bauen und mehr Schneekanonen fürs ungestörte Skivergnügen einsetzen. Wir können aber sowieso nix dagegen tun, dass er stattfindet und brauchen unser Verhalten daher nicht ändern – wir haben ohnehin keinerlei Einfluss darauf. Kleine Anpassungen sind okay, sofern sie die Wohlstandsgesellschaft nicht betreffen.

4.) Es gibt eine Klimakrise, wir sind auch ein wenig Schuld daran, können aber nichts mehr tun

Ja, wir haben in den letzten hundert Jahren sicher auch beigetragen, aber es ist jetzt soweit, dass wir nichts mehr tun können. Daher brauchen wir weder unser Konsumverhalten noch unser Umweltschutzverhalten ändern, weil es nichts mehr bringt. Der Zug ist abgefahren, am besten schützen wir uns vor den Folgen und genießen wir das Leben, so lange es noch geht. Wahrscheinlich können wir uns aber auch gegen die Folgen nicht schützen und sollten daher weder Geld noch Anstrengung vergeuden.

5.) Es gibt eine Klimakrise, dagegen kann auch was getan werden, aber nicht von uns

Wir sind ein kleines Land, verantwortlich lediglich für einen so winzigen Teil des Drecks, dass wir gar nichts ändern müssen, weil wir eh nichts bewirken können, wenn wir jetzt weniger mit dem Flugzeug fliegen. Andere fliegen noch mehr, da macht unser Beitrag auch nichts mehr aus. Also weiter wie bisher.
Zu tun ist nichts, aber es ist okay, wenn andere was tun. Da wir nicht verantwortlich sind, trifft uns auch keine Verantwortung für die Folgen und daher darf und wird es uns auch nicht betreffen. Wir sind hier in Österreich auf einer kleinen, sicheren Insel und wir müssen lediglich schauen, dass keine Schmarotzer zu uns kommen.

6.) Wir könnten was gegen die Klimakrise tun, aber es ist zu kompliziert

Es wäre schon möglich relevante und wirksame Schritte zu setzen. Aber wir würden der Wirtschaft schaden und unserem Wohlstand. Das ist auch politisch nicht durchzusetzen, leider können wir da gar nichts tun. Daher können wir einfach so weiterleben, es bringt nichts, was anderes zu versuchen.
Andere sollten aber unbedingt was dagegen tun, und zwar so, dass uns die Folgen möglichst wenig betreffen.

7.) Wir können und werden etwas gegen die Klimakrise tun – nur nicht jetzt schon

Es muss unbedingt was getan werden, auch von uns, aber derzeit haben wir noch nicht die Technologie dafür, daher müssen wir abwarten, bis irgendwann in der Zukunft Menschen etwas entwickelt haben. Das wird sicher der Fall sein, daher können wir jetzt noch nichts tun und sollten das auch nicht, denn das wäre ein Schnellschuss, der nichts bringt und uns möglicherweise sogar gefährdet. Wir könnten in einen Wettbewerbsnachteil kommen und das könnte unserer Wirtschaft schaden.
Außerdem haben wir noch alle Zeit der Welt, um zu warten, weil draußen ist es eh kalt bzw. schön bzw. keinerlei Krise zu sehen.
Wir können und sollen auch schon vorarbeiten, aber für konkrete Schritte ist es viel zu früh, das würde nur Menschen verschrecken.

Rundumadum – der Wanderweg rund um Wien

Nachdem ich im August und September die 14 Stadtwanderwege gegangen und tw. auch schon gelaufen bin, stand jetzt die nächste Herausforderung am Programm.
Mit kleinen Schildern ist ein Weg rund um Wien gekennzeichnet, den ich ebenfalls sehr empfehlen kann.
Länge: 123 Kilometer
Höhenmeter: 1.727
Etappen: 24

Der Weg verläuft natürlich nicht exakt an der Stadtgrenze, bietet aber doch ein ordentliches Bild dieser Großstadt von und an ihren Rändern. Im Gegensatz zu den Stadtwanderwegen sind die Start- und Endpunkte natürlich immer woanders, was die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel notwendig macht – sofern man nicht mit dem Taxi fahren will.

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Bild: Die kleinen Schilder – ein rotes Herz und ein Pfeil.

Das kann mühsam sein, denn zu manchen Etappenabschnitten fahren nur Busse und die haben tw. recht dünne Intervalle, eine halbe Stunde oder manchmal auch eine ganze. Manche der – von der Stadt Wien so vorgesehenen – Etappen sind nur drei Kilometer lang, andere zehn. Sie decken sich teilweise mit den Stadtwanderwegen, aber nicht so, dass der Rundumadum nicht ein durchaus eigenes Erlebnis wäre.

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Bild: Der gesamte Rundumadum auf einen Blick. Beim Lainzer Tiergarten kann man gut die zwei verschiedenen Wegvarianten sehen.

Es gibt so etwas wie einen offiziellen Beginn, nämlich in Nussdorf, aber man kann dort beginnen oder aufhören, wo man gerade möchte. Ich habe am Nussdorfer Steg begonnen, also quasi im letzten Kilometer der Etappe Nr. 24, weil das nur ein paar Gehminuten von der U4-Station Heiligenstadt entfernt ist. Für mich ist das die erste Etappe.
Es beginnt locker entlang der Donau bis zum Kahlenbergerdörfl, von dort geht es über den Nasenweg hinauf auf den Leopoldsberg. Das ist zugleich auch das steilste und anstrengendste Stück des gesamten Weges. Laufen kann ich das nicht, nur gehen. Womit wir beim eigentlichen Punkt sind: Ich wollte den Rundumadum laufen. Nicht in einem Stück, wobei auch das machen manche Leute, dafür gibt es sogar einen eigenen Rundumadum-Lauf. Wer das machen will, hier ist die Website: https://www.wien-rundumadum.at

Am 3. November 2023 ist ein Währinger die Strecke in etwas mehr als 16 Stunden gelaufen. Das ist brutal, so viel kann ich jetzt schon sagen. Für mich war das Ziel es in mehreren Etappen zu schaffen und Steilstücke zu gehen. Das hat auch gut funktioniert, ich habe manchmal 2 der offiziellen Etappen auf einmal gemacht und meistens drei. Und ich war an manchen Tagen besser drauf und an anderen schlechter. Es hat auch nicht immer nur Spaß gemacht, wenn die Strecke einen öden Abschnitt hatte und ich eh schon ziemlich fertig war. Es hat sich aber ausgezahlt die Runde zu laufen, das kann ich als Resumé schon verlauten.
Manchmal gibt es zwei Wege, wobei einer davon für Hundebesitzer und -innen ist, weil die normale Route für Hunde gesperrt ist.

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Bild: Der Start entlang der Donau, mäßig romantisch, eine sehr lange Gerade

Ich werde hier die Strecke nur teilweise beschreiben, aber mit ein paar ausgewählten Bildern dokumentieren.
Der Nasenweg ist bereits einer der schönsten (und nicht nur anstrengendsten) Teile des Rundumadum. Jede Menge tolle Aussichtspunkte, nicht nur in die Stadt der Donau entlang, sondern auch hinüber zum Nussberg und den zahlreichen Weinbergen.

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Bild: Schon recht weit oben am Nasenweg mit Blick auf den Nussberg und die dortigen Weinberge und Buschenschanken

Oben wird es dann relativ flach und geht leicht bergauf-bergab entlang der Stadtwanderwege 1 und 1a hinüber zum Cobenzl. Dort umrundet man den Latisberg und setzt dann den Weg rund um den Hermannskogel Richtung Dreimarkstein fort. Dieser Teil der Tour besteht aus 100% Wienerwald. An vielen Stellen gibt es einen Blick tief hinein in diese riesige grüne Lunge von Wien.

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Bild: Zwischen Dreimarkstein und Hameau geht der Blick in den Westen

Der Großteil des Rundumadum besteht aus Asphaltwegen, aber vor allem im Wienerwald, aber auch in der Lobau gibt es fast nur Waldwege, allesamt gut ausgebaut, mit wenigen Ausnahmen, wo es über winzige Wege oder über kleine Brücken geht, oftmals auch nicht wirklich gut ausgeschildert. Die kleinen Schilder sind zwar häufig zu finden, aber nicht immer an der richtigen Stelle aufgehängt. Prinzipiell gibt es immer dann ein Schild, wenn sich die Richtung verändert. Das ist aber nur eine grobe Regel, ohne App wäre ich immer wieder zumindest kurz in die falsche Richtung gelaufen. Das ist nicht wirklich gut gelöst, ein paar Schilder mehr würden sehr helfen.

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Bild: Ein typischer Weg im Wienerwald

Meine zweite Etappe führte vom Dreimarkstein bis Hütteldorf, mit Zwischenstation im Schwarzenbergpark, wo man einen Großteil der Allee marschiert und dann hinauf zur Kreuzeichenwiese, hinüber zur Jubiläumswarte, deren Besteigung ich genauso empfehlen kann wie die der Stefaniewarte. Erstere liefert den vielleicht vollständigsten Blick über Wien, von der Westeinfahrt bis zum Bisamberg. Die Stefaniewarte hat – ähnlich wie die Habsburgwarte am Hermannskogel – nur an Wochenenden in der warmen Jahreszeit offen, bei allen lohnt sich der Weg hinauf und dann der Blick hinunter, bei der Stefaniewarte vor allem hinüber ins Weinviertel. Da wird mit einem Blick sichtbar, wie viel Windkraft in den letzten zwanzig Jahren schon ausgebaut wurde.

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Bild: Eines meiner super-seltenen „Selfies“

Meine dritte Etappe führte durch den Lainzer Tiergarten. Bis auf ein kurzes Stück, das sich mit dem Stadtwanderweg Nr. 6 deckt, gibt es diese Abschnitte nur beim Rundumadum. Sie sind wunderschön, beinhalten aber auch 2-3 ordentliche Steigungen.

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Bild: Hier sieht man eine sehr lange Gerade. Nicht zu sehen ist die Steilheit, es geht so bergauf, dass ich das nicht laufen konnte.

Der letzte Teil dieser Etappe führt bereits am Liesingbach entlang, das war mit 17,6 km meine zweitlängste und hat sich zum Schluss schon ordentlich reingehängt. Und dann kam noch was dazu: Beim Laufen darf man nicht zu warm angezogen sein, beim Rückweg ist man aber verschwitzt und sollte entweder eine gute Windjacke oder Reservegewand mithaben, um sich in der Straßenbahn oder im Bus nicht zu verkühlen. Die Fahrten dauern oft eine Stunde. Ich nehme auch immer 1-2 Wasserflaschen mit, je nach Streckendauer und Witterung. Hin und wieder gibt es auch Brunnen, wie etwa an der Mauer vom Lainzer Tiergarten in der Nähe von Breitenfurt.

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Bild: Einer der Brunnen mit dem hervorragenden Wiener Wasser

Ab meiner vierten Etappe wird es dann flach. Es geht sehr lang am Liesingbach entlang, an den riesigen Türmen von Alterlaa vorbei bis fast zum Verteilerkreis Favoriten. Immer wieder kreuzt man Stadtwanderwege oder benützt sie ein Stück lang. Ich kenne sie alle, war aber trotzdem nicht enttäuscht, weil der Rundumadum in Summe doch noch ganz andere Eindrücke erzeugt. Er ist irgendwie uriger, zeigt noch mehr die weniger bekannten Seiten dieser großen Stadt. Ich war in Gegenden, in denen ich noch nie war und in die ich auch sonst niemals kommen würde.
Manche Abschnitte sind auch eher fad, andererseits gehört das halt auch dazu.

Bei der fünften Etappe ging es in den Böhmischen Prater, durch die Löwygrube und dann hinunter nach Simmering bis in den Zentralfriedhof.

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Bild: Unterhalb des Böhmischen Praters geht es an Feldern entlang hinunter nach Simmerring. Am Bild ein kalorisches Kraftwerk

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Bild: Durch den Zentralfriedhof

Dort war auch ordentlich Stimmung, weil ich ihn zu Allerheiligen gelaufen bin. Während es rund um den Wienerberg noch rauf und runter geht, ist es ab dem Zentralfriedhof für lange Zeit komplett flach. An diesem Tag war es „zaaach“, wie man auf Wienerisch so schön sagt. Der Schluss geht über den unteren Teil der Donauinsel und ich hatte Gegenwind.

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Bild: Am Hafen Wien vorbei geht es über die Donau

Am Ende dieser Etappe steht eine kleine Weltreise, die genau genommen gar nicht so lange ist, vorausgesetzt der Bus 92B fährt einem nicht vor der Nase davon. Meistens kann man mit den Bussen gut die Linie U2 erreichen, mit der man dann schnell ins Zentrum kommt. Wer noch keine Jahreskarte besitzt – die vielen Fahrten für den Rundumadum laden dazu ein, sich eine zuzulegen.

Die sechste Etappe geht dann quer durch den Nationalpark Donauauen bzw. durch die Lobau. Das ist ein reizvoller Abschnitt, an dessen Ende man wieder bei einer der zahlreichen Neubausiedlungen ankommt, die in den letzten Jahren in der Donaustadt gebaut wurden. Das ist das wichtigste Stadterneuerungsgebiet und einigermaßen gut mit Bussen versorgt, auch wenn die Intervalle höchst unterschiedlich sind.

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Bild: Eines der zahlreichen Gewässer, an denen man vorbeikommt

Ab jetzt wird es eher fad. Die siebente Etappe führte mich rund um die Seestadt Aspern bis nach Süßenbrunn, wo man vom Etappenende noch einen knappen Kilometer bis zum Bahnhof gehen muss, um zur Schnellbahn zu kommen, die dann allerdings in wenigen Minuten bis Floridsdorf fährt.

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Bild: Die Gegend ist ländlich, obwohl es Wien ist. Hier gibt es noch echte Landwirtschaft und ehemals kleine Orte im Marchfeld, heute allesamt von Neubausiedlungen umzingelt. Die Stadt erscheint weit weg.

Mir war klar, dass der nächste Abschnitt wieder eine gewisse Herausforderung wird. Ich konnte irgendwie nicht sehr schnell laufen und hatte mir mehr Konditionszuwachs erwartet. Der kam nicht und so musste ich bei jeder Etappe immer wieder kämpfen – gegen die Ödheit mancher Landschaften, gegen den Wind und gegen mich selbst.

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Bild: Eine Reihenhaussiedlung in Süssenbrunn. Sie wurde mitten ins Nirgendwo gebaut und ist ohne Auto absolut unerreichbar. Hier sieht man die verfehlte Siedlungspolitik, die es nicht nur im Westjordanland gibt, sondern auch in der Donaustadt. Die Seestadt ist eine löbliche Ausnahme, ansonsten findet man seelenlose Schlafsiedlungen ohne jede Infrastruktur.

Das Wohnen kann dort trotzdem schön sein – je nachdem, welche Ansprüche man hat. Der Rundumadumweg verläuft hier meistens sehr gerade. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit hat sich im Laufe der Etappen erhöht, auch weil die ersten sehr bergig waren. Jetzt aber stockt es irgendwie, ich habe manchmal den Eindruck gar nicht voranzukommen. Auf dieser Strecke etwa dachte ich, dass ich noch langsamer sein werde als davor, war aber etwas schneller. Ich konnte auf 10 km/h erhöhen.

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Bild: Der Screenshot von bergfex.

Die Gegend ist superflach und man läuft zeitweise mitten durch Felder – auch das ist Wien.

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Ein Feldweg in einem noch unbebauten Teil von Wien. Da die Stadt weiterhin rasant wächst, werden dort wohl auch bald Wohnblöcke stehen. Im Hintergrund sieht man schon den Bisamberg

Von Süßenbrunn geht es in der achten Etappe dann durch Gerasdorf bis zum Marchfeldkanal, an dem man länger entlangläuft, und zwar bis Stammersdorf. Dort fahren die Busse echt selten und ich hoffte gleich drei Etappen zu schaffen.

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Der Kanal sollte ursprünglich der Schifffahrt dienen, wurde dann aber nie so genützt. Oder vielleicht auch ganz anders – entlanglaufen ist ganz okay.

Hinter Stammersdorf kommt eine kleine Steigung parallel zur Brünnerstraße, die man dann auch überquert und auf den Stadtwanderweg Nr. 5 trifft, dem man bis auf den Bisamberg folgt. Es geht stetig leicht bergauf, durch die Weinberge bis zur letzten echten Steigung des Rundumadum. Die ist dann doch knackig, ich konnte sie nicht laufen, auch weil ich schon viele Kilometer in den Beinen hatte. Oben wird es dann flach und geht schließlich wieder hinunter zur Kellergasse. Weil der Bus dort noch ewig gedauert hätte, bin ich gleich bergab durch eine weitere, sehr nette Kellergasse nach Strebersdorf gelaufen und konnte dort einen Bus erwischen, der mich zur Straßenbahn Richtung Floridsdorf brachte.

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Bild: Die längst gelesenen Weinstöcke am Fuße des Bisambergs in der Spätnachmittags-Novembersonne

Der Wein gehört zu Wien und deswegen muss man auch durch die Weinberge wandern bzw. laufen. Ich erwischte dafür einen der letzten schönen Herbsttage und wusste, dass ich den Rundumadum jetzt bald fertig machen müsste. Auf den letzten Etappen wurde es zunehmend kühler, am Ende dieser Strecke war ich echt froh über die Windjacke.

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Bild: Am Bisamberg im letzten Sonnenlicht, kurz bevor der steile Teil beginnt.

Die neunte und letzte Etappe war zugleich die kürzeste, weil ich ja schon einen Teil (bis Strebersdorf) davor gelaufen war und die letzte Strecke nur bis zum Nussdorfer Steg und nicht bis Nussdorf laufen musste. Dafür schneite es leicht und ich beschloss, die Sache flott anzugehen. Es ging auch einigermaßen gut, durch Strebersdorf wieder entlang des Marchfeldkanals bis zu seinem Beginn. Auch ein Ort, an dem ich zuvor noch nie war.

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Bild: Der Marchfeldkanal mit zwei Schwänen, im Hintergrund schon der Beginn der Alpen mit Leopolds- und Kahlenberg

Bei diesem Abschnitt muss man die Autobahn überqueren und läuft dann entlang des Donauufers bis zu einer Brücke, die auf die Donauinsel führt. Dort dann entlang bis zu einer weiteren Brücke, die wieder hinüber in den 19. Bezirk führt.

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Bild: Überquerung der Donauuferautobahn

Irgendwie lief es an dem Tag auch nicht so wie geplant, zumindest was die Geschwindigkeit anging. Gefühltermaßen war ich blitzschnell, de facto aber auch nicht schneller als bei der achten Etappe. Macht aber nichts, ich war echt froh den Rundumadum beendet zu haben. Ein paar Tage später schneite es so heftig, dass das Laufen keinen Spaß mehr gemacht hätte.

Fazit: Sehr empfehlenswert, weil anders als das, was man als Wanderer in und rund um Wien so kennt. Ich habe insgesamt 14 Stunden und 12 Minuten für meine neun Etappen gebraucht. Die Stadt Wien gibt auf wien.gv.at die Gehzeit mit mindestens 31 Stunden an.
Meine Durchschnittsgeschwindigkeit war 9,13 km/h, das ließe sich mit etwas Training auf knapp über 10 steigern. Ich habe das aber nicht vor und war letztlich mit meiner Leistung ganz zufrieden.

Die Brennessel hat uns verlassen

Ich muss schauen, dass mein Blog nicht zu einer Nachrufseite wird. Aber die Reaktionen auf viele der hier geschriebenen Nachrufe sind so positiv, dass ich es einfach weiter praktiziere.
Diesmal hat es die Brennessel getroffen. Sie hieß natürlich nicht wirklich Brennessel, sondern Andrea. Und sie war eine der lustigsten Personen, die ich je getroffen habe.

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Bild: Die Brennessel (Credits: Robert Wolf)

Kennt ihr das? Wenn jemand immer, absolut immer Lebensfreude und Herzlichkeit ausstrahlt? Bei ihr war das der Fall. Meistens hab ich sie auf Parties getroffen, auf Mod-Festln, um es genauer zu sagen.
Bei ihr fiel mir ein herzlicher Gruß nie schwer, und obwohl ich nicht der Big-Hugger bin, eine Umarmung mit ihr war immer irgendwie einfach, fast selbstverständlich.
Sie hatte eine laute, durchdringende Stimme, die andere vielleicht als aufdringlich oder schrill bezeichnet haben. Für mich war sie angenehm, weil erstens sehr authentisch, zweitens nie keppelnd, sondern immer positiv, und drittens konnte sie damit stets gute Stimmung machen.
Ihr Lachen war gewaltig, aber nie peinlich. Schüchtern in einer Ecke sitzen – das war ihr vollkommen unmöglich. Zu wichtig jede Veranstaltung, zu sehr hat sie sich gefreut, Freundinnen und Freunde zu treffen, als dass auch nur eine Minute im Hintergrund angemessen gewesen wäre.

Die Brennessel konnte stets für etwas brennen, war leicht zu begeistern, aber nicht oberflächlich, wenngleich tiefgreifende Gespräche auf Festln eher selten vorkamen, sie wollte feiern, tanzen, lachen, singen und sich im Kreise ihrer Mod-Menschen wohlfühlen.

Sie war eine Modette der frühen Zeit, schon in den 1980ern auf Sixties unterwegs und hat diese sehr sympathische Eigenschaft nie abgelegt. Sie wäre die letzte gewesen, die sich auch nur eine Sekunde für spezielles Outfit geschämt hätte. Das liegt auch daran, dass bei ihr nie etwas peinlich aussah. Sie konnte sich stylen und hat das auch oft und ausführlich getan – nicht nur zu Halloween oder bei anderen Kostümfesten, sondern ganz generell.
Einmal Modette – immer Modette. Das strahlte sie in jeder Sekunde aus, das war ein wichtiger Teil ihres Lebens, das war sozusagen sie selbst. Auch mit einem guten Schlückchen zu viel blieb sie eine Lady – das schaffen echt nicht alle.

Wenn jemand nicht so gut drauf war wie sie, dann versuchte sie stets ein wenig gute Stimmung zu vermitteln. Sie suchte auch immer den Blick, den möglichst direkten Kontakt. Sie mochte Menschen.
Wenn die Brennessel dabei war, dann war das Fest irgendwie immer ein wenig besser. Sie ließ es sich nicht nehmen alle ausführlich und manchmal überschwenglich zu begrüßen. Und das blieb irgendwie an einem haften.

Es trifft fast immer die Besten. Das ist leider auch diesmal wieder so. Und wie beiden meisten erwischte auch sie der Killer Nr. 1, der Krebs. Als sie gestern starb, erwischte das nicht nur mich kalt, sondern die meisten ihrer Freundinnen und Freunde, sehr viele davon leben in England, ihr wisst schon, Alt-Mods und so.
Das lag daran, dass sie auch in der letzten Phase ihres Lebens ihrem Leben treu blieb und ihrem Freundeskreis nicht mit ihrer Krankheit die Stimmung versauen wollte.
Und was macht eine Andrea, die schwer krank ist? Richtig, sie geht weiterhin auf Parties und trifft sich mit Freunden, nur halt nicht so oft. Sie hat versucht ihr Leben nicht aufzugeben, gegen den Krebs sind halt viele machtlos und auch die durchaus engagierte Medizin stößt hier nur allzu schnell an ihre Grenzen.

Gestern, am 6. November 2023, hat uns die Brennessel verlassen. Möge ihr das Jenseits eine große Mod-Party veranstalten. Wer auch immer jetzt mit ihr feiert, es ist ganz sicher laut, wild und lustig.

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Bild: Die Brennessel (Credits: Robert Wolf)

Die Destruktivität des Whataboutism

Neulich, drüben auf Facebook. Wir schreiben den 31. Dezember 2022 und es wurden laut ORF mehr Feuerwerkskörper als je zuvor verkauft. Dadurch produzieren die Leute, die das kaufen und dann damit herumknallen und -schießen
1.) die höchste Feinstaubbelastung des Jahres – mitten in einer ernstzunehmenden Klimakrise;
2.) jede Menge Müll, der in der Natur herumliegt, darunter besonders viel Plastik und jede Menge giftige Schwermetalle;
3.) viel Lärm, der sich schädlich auf Tiere auswirkt;
4.) einige Verletzte, die für Hochbetrieb in den chirurgischen Abteilungen der Krankenhäuser sorgen.

Dem gegenüber steht der Spaß der Knallerei.
Nun hat eine Bekannte auf Facebook genau dargestellt, was in dieser Nacht mit ihrer Hündin passiert, wie sich die enorme Angst auswirkt, wie traumatisch das für die Hündin ist.
Eine andere Bekannte hat daraufhin gemeint, das wäre alles übertrieben und sie mag die Vermenschlichung nicht (was auch immer sie damit meint) und außerdem: Was ist mit all den Pflegekräften, die zu wenig bezahlt bekommen?

Ich möchte das ein wenig näher beleuchten. Person A bringt ein Thema X ein und stellt es ausführlich dar. Sie regt damit einen Diskurs an. Dieser soll im Idealfall zu neuer Erkenntnis führen und dann zu einer Verhaltensänderung, nämlich keine Feuerwerkskörper zu zünden.
Person B erklärt, dass das Thema nicht so wichtig ist, weil es das viel wichtigere Thema Y gibt: „…aber was ist mit Y? Irgendwie kommt mir das angesichts so vieler Probleme, die wir auf dem Planeten haben, relativ unwichtig vor.“
Um zu verstehen, wie dieser Mechanismus, diese Technik funktioniert, können wir sie allgemeiner anwenden:

„Okay, das Klima ist ja wichtig, aber was ist mit der Armut?“
„Gut, Armut ist wichtig, aber was ist mit der Parkplatznot?“
„Ihr redet über die Wirtschaft, aber was ist mit der Gesundheit?“
„Alle reden vom Artenschutz, aber was ist mit…“

„Aber was ist mit…“ heißt auf Englisch „But what about…“ – daher kommt der Fachbegriff des „Whataboutism“. Das „-ism“ beschreibt einen Mechanismus, eine Technik, die gerne angewendet wird, um einen einzigen Zweck zu erfüllen: Einen Diskurs zu stören, zu behindern, zu zerstören.
Wenn wir uns noch einmal dem ursprünglichen Thema (Feuerwerkskörper sind schlecht für Tiere) zuwenden, dann hat Person B versucht dieses Thema zu zerstören, also eine destruktive Technik anzuwenden.
Wenn sie es schafft, ist das Thema A (Feuerwerkskörper) weg, was aber nicht bedeutet, dass jetzt über Thema B (schlechte Bezahlung in der Pflege) diskutiert würde, weil es ja nicht um Thema B ging. Andere Baustelle. Es sind dann beide Themen weg, sowohl A als auch B.

Das zeigt, dass die Technik des Whataboutism nur angewendet wird, um etwas zu zerstören, deswegen nenne ich sie destruktiv.
Um sich dagegen zu wehren, hilft es, die Technik aufzudecken und das Thema B dann konsequent abzudrehen.