Was Macht bewirkt

Als Grüner hat man es nicht immer lustig, vor allem nicht, wenn man eine Wahl verliert, was bei den Grünen meistens der Fall ist. Dann gibt man allen möglichen Menschen und sonst noch allem (inklusive sich selbst) auf dieser Welt die Schuld und bekommt das Gefühl, dass die ganze Welt den edlen grünen Ideen feindlich gesinnt ist.
Das ist nicht besonders angenehm.
Was aber passiert, wenn man eine Wahl gewinnt, möchte ich hier kurz berichten.

Ich habe letztes Jahr zwei Wahlen gewonnen, und zwar zwei für mich besonders wichtige: die Wirtschaftskammerwahl, wo wir als Grüne Wirtschaft jetzt fast um die Hälfte mehr Mandate haben und die Bezirkswahl in Währing, wo wir jetzt Bezirksvorsteherinpartei sind.

Zuerst konnten wir es kaum fassen, dass wir die ÖVP nach 69 Jahren als stärkste Partei im Bezirk abgelöst hatten. Dann kam der Alltag und mit ihm die Arbeit. Sehr viel Arbeit, die nicht immer lustig ist, manchmal anstrengend, sehr oft interessant (weil neu) und hin und wieder sogar schon Routine. Als Bezirksrat wird man zu Ortsverhandlungen geschickt, bekommt Anrufe von engagierten oder sonstwie emotionalisierten BürgerInnen und hockt in Sitzungen, Kommissionen und Ausschüssen. Man geht zu Empfängen, wird gegrüßt, beschimpft und bekommt Sekt.

Doch da ist noch etwas anderes. Etwas, das ich vorher nicht kannte und das eine Entwicklung bei mir verursacht. Ich kannte es bisher in kleiner Dosierung von Vorträgen, wenn ich in einem Saal fünfzig oder gar hundert Menschen dazu bewegen konnte aufmerksam zuzuhören. Ein wenig auch wenn Freunde oder Bekannte Dinge taten, die ich ihnen vorgeschlagen hatte.
Meist war ich erstaunt und dachte mir: Wie hast du das geschafft? Was war das jetzt?
Das Gefühl dazu war und ist immer ein Gutes, vielleicht nicht gerade euphorisch, aber doch sehr gut.

Es ist Macht, die ich spüre. Die Möglichkeit etwas so zu beeinflussen, dass das geschieht, was ich will. Damit können Grüne normalerweise nicht gut umgehen, weil sie ihre Kraft aus dem Widerstand zu ziehen pflegen und den findet man in der Politik nun einmal in erster Linie in der Oppositionsrolle. In dieser Hinsicht bin ich ein echter Grüner.
Dass die Tradition und damit die eigenen Wurzeln aus dem Widerstand kommen, merkt man bei den Grünen heute zwar immer weniger, aber sie gehen nach wie vor gerne demonstrieren, kommen bei Sitzungen und Seminaren notorisch zu spät und rauchen wie die Schlote. All das ist konterdependentes Verhalten, hat stets einen pubertären Touch (die Pubertät ist eine in der menschlichen Entwicklung notwendige Konterdependenzphase, in der es darum geht, gegen den Willen der Autorität zu sein ohne zu wissen, was man selbst will) und sollte eigentlich irgendwann überwunden sein.

Wenn es Grünen nun passiert, dass sie an die Macht kommen, dann entwickeln sie unterschiedliche Methoden damit umzugehen. Eine Möglichkeit besteht darin die Macht abzulehnen. Dann versucht man jede Entscheidung basisdemokratisch zu legitimieren und trifft viele nicht, weil das nicht funktioniert. Man weist sie von sich, wirft sie herum wie ein glühendes Stück Kohle und findet sie irgendwie schlecht. Wer das Stück aufgreift, wird verschmäht.
So geht nix weiter und man scheitert so lange, bis man die Macht erfolgreich wieder los geworden ist.
Eine andere Variante ist der Machtrausch, in dem eiskalt agiert wird, stets aber mit dem Hinweis, dass man es eh viel besser macht als die eigentlichen Machtmenschen – oder sogar eigentlich eh ganz anders als diese.
So geht was weiter, es spaltet aber meistens die Anhänger- und Mitstreiterinnenschaft. Und es hinterlässt das flaue Gefühl, dass man den Verdacht nicht mehr zurückweisen kann, so zu sein wie alle anderen, wenn sie Macht haben.

Ich weiß nicht, ob es noch weitere Umgangsformen für Macht gibt. Ich möchte aber noch über eine Auswirkung berichten, die für mich neu, interessant und betrachtenswert erscheint:
Macht öffnet Gedanken und Räume. Sie macht frei für Zukunftszuversicht, für konstruktive Energie und auch Glücksgefühle. Auf einmal werden Veränderungen möglich, Weiterentwicklung ist nicht mehr ein Wunsch, sondern Tatsache. Ich merke das bei der Arbeit im Bezirk, wenn Projekte umgesetzt werden können und man dafür Lob bekommt. Plötzlich ist Anerkennung da, manchmal sogar gewürzt mit einem Schuss Bewunderung.
Bei Ortsverhandlungen drehen sich g´standene Herren verschiedener Magistratsabteilungen alle zu mir um und warten gespannt darauf, was ich sage. Davon hängen nämlich gar nicht so unwichtige Entscheidungen ab, zumindest für das zu verhandelnde Projekt.
Natürlich ist das oft nur die Markierung einer Garageneinfahrt und die Macht hält sich in Grenzen, aber so etwas passiert oft und in ganz unterschiedlichen Bereichen.
Und doch – etwas ist anders. Die Ideen und Visionen, die Pläne und Konzepte, die ich jetzt entwickle, haben mehr Kraft und Selbstbewusstsein. Ich denke sie weiter, höher und um einen Hauch kühner als noch vor einem Jahr. Vielleicht liegt das an der Zustimmung, die ich an vielen Ecken und bei sehr unterschiedlichen Gelegenheiten bekomme. Ich bin etwas mutiger geworden und Rückschläge treffen mich nicht so hart.
Ich hatte vorher schon ein sehr vielfältiges und großes Netzwerk, aber jetzt kommen nicht nur viele neue wichtige und weniger wichtige Kontakte dazu, sondern auch noch eine Position, die dem Netzwerk eine zusätzliche Qualität gibt. Das System wirkt selbstverstärkend: Weil ich die Position (Bezirksrat einer Bezirksvorstehungspartei plus Nahversorgungsbeauftragter) habe, hören mir Menschen zu, die glauben, dass die Position wichtig ist. Und weil sie mir zuhören, wird sie erst wichtig.
Die Macht entsteht quasi aus dem Nichts und durch sie wird aus dem Nichts ein Etwas, auch wenn ich trotzdem nur ein Schoitl (oder Gneisser) bin.

Ich werde das weiter beobachten und berichten.

Ein Haus voller Idioten

Medhat ist Trafikant und betreibt mit seiner Frau eine gut gehende Trafik. Neulich wurde bei ihm eingebrochen und das Geschäft wurde fast komplett ausgeräumt. Die Diebe nahmen Waren im Wert von weit über 100.000 Euro mit, selbst die Lochzangen für die Autobahnvignetten sind weg.

Das alleine wäre noch nicht erwähnenswert, aber die Art und Weise, wie die Täter vorgingen, lohnt einen näheren Blick auf die Tat. Die Trafik befindet sich in einem Gründerzeithaus mit dicken Ziegelmauern. Sie besteht aus einem Geschäftsraum mit dahinter liegendem Mini-Büro. Dahinter wiederum befindet sich eine der dicken Mauern und dahinter ein leerer Raum. Die Einbrecher stemmten in stundenlanger Arbeit zwischen ca. zwei und vier Uhr in der Früh ein Loch in die Mauer, kletterten in die Trafik und räumten alles aus.
Sie installierten für die Tatzeit einen Störsender, so dass die Funkverbindungen in der näheren Umgebung (also ca. im gesamten Haus plus noch was) unterbrochen waren und niemand mit dem Handy die Polizei hätte rufen können. Auch die Kameras im Geschäft legten sie lahm.
Das klingt schon sehr verdächtig nach Profis, die das logistisch erstklassig geplant hatten. Da fast niemand mehr ein Festnetz besitzt, hatte ihr Plan gute Chancen aufzugehen.
Der Lärm im Haus war enorm und bis zum Dachgeschoß deutlich hörbar. Trotzdem tat niemand etwas. Kein einziger Hausbewohner ging nachschauen, was der irre Krawall mitten in der Nacht bedeutet.

In diesem Haus leben scheinbar nur Idioten. Ich glaube, ich muss an dieser Stelle das Wort „Idiot“ ins Deutsche übersetzen, es heißt nämlich „Vereinzelter“, also ein Mensch, der sich außerhalb der Gemeinschaft befindet.
So eine Hausgemeinschaft gibt es im Haus mit der netten Trafik offensichtlich nicht, denn dann wäre die Sache anders ausgegangen.

Wieso kann das passieren? Was ist da schief gelaufen und warum? Bei uns im Haus wäre so etwas vollkommen undenkbar, außer alle Parteien sind gerade gemeinsam im Urlaub, was nahezu nie vorkommt. Der Unterschied liegt darin, dass wir eine funktionierende Hausgemeinschaft haben, wo jeder ungefähr weiß, wie es dem anderen geht. Wir sind untereinander in Kontakt, haben den Wohnungsschlüssel des Nachbarn, plaudern regelmäßig miteinander oder sitzen am Abend bei einem Glas Wein einmal hier und einmal dort.
Auch in unser Haus wurde schon ein paar Mal eingebrochen und auch da konnten die Täter unerkannt entkommen. Allerdings war entweder niemand von den Nachbarn daheim (Vormittag unter der Woche) oder die Täter gingen so leise vor, dass es nicht zu hören war.

Das Haus mit der Trafik hat etwas mehr Parteien als unseres, aber es ist kein riesiger Wohnblock, wo es durchaus verständlich ist, dass nicht jeder jeden kennt. Ich glaube, dass es hier mehrere Ursachen für die Vereinzelung gibt:

1.) Der moderne urbane Wohnbau der letzten Jahrzehnte hat auf zentrale Orte, an denen man sich begegnen kann, wie etwa einen nützbaren Hof oder Gemeinschaftsräume, fast komplett verzichtet. Die dafür notwendigen Räume wurden kommerzialisiert, also mit zusätzlichen Wohnungen verbaut oder für Garagen genützt. Auch Hausmeister gibt es keine mehr, dafür kommt 2x pro Woche eine Facility-Managementfirma, die anonyme Menschen schickt, die ständig wechseln.

2.) Durch die Rahmenbedingungen der Wirtschaft werden die Menschen zusehends zur Idiotie gezwungen. An jeder Ecke liest man eine Werbung, die meistens Individualisierung zum Inhalt hat. Selbst wenn das Produkt das genaue Gegenteil ist, wird es als „individualisiert“ verkauft: das Handy, das Auto…
Über Jahrzehnte haben sich die Menschen diese Individualisierung als einen Wert indoktrinieren lassen, der über dem Wert der Gemeinschaft steht. Etwas überspitzt formuliert: der Einzelne ist alles, die Gemeinschaft ist nichts.
Irgendwann haben es die Menschen geglaubt und sich in ihrem Verhalten danach gerichtet. Seitdem gibt es in einem Haus mit zehn Parteien auch zehn Bohrmaschinen oder mehr. Die werden zwar nicht gebraucht, aber besessen. Man sitzt drauf und braucht sie auch nicht herborgen, weil der Nachbar auf einer eigenen sitzt. Das ist idiotisch, also vereinzelnd.

3.) Leider ist die Entwicklung hier noch nicht zu Ende. Unser Wirtschaftssystem braucht die Idioten, weil nur so kann es ständiges Absatzwachstum generieren. Das wird als absolut notwendig für den Erhalt des Wohlstands verkauft. Dieser besteht letztlich darin, dass die Menschen vereinzelt in ihren Wohnungen auf Einzelbesitz sitzen, den sie möglichst oft erneuern sollen. Deswegen schreibt die Industrie ein „Ablaufdatum“ auf viele Gegenstände, vor allem Lebensmittel, obwohl die Haltbarkeit der Dinge zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht abläuft. Die meisten Menschen richten sich danach und werfen die Waren dann folgsam weg und kaufen neue. Auch das ist, mit Verlaub, ziemlich idiotisch.

Was passiert nun, wenn die Menschen sich dagegen wehren, wenn sie diese Entwicklung nicht gut finden und nach Alternativen suchen? Sie bekommen es ziemlich bald mit der Härte des Systems zu tun, das an drei Punkten eingreift:

a.) Die Gesetze werden entsprechend angepasst, so dass Gegenstände weggeworfen werden müssen: in der Automobilindustrie hat man das vor einigen Jahren bereits umgesetzt und seit 2016 dürfen bestimmte Autos nicht mehr in der Stadt gefahren werden. Da nahezu jeder Autofahrer auch hin und wieder oder sogar regelmäßig in die Stadt fahren muss, können diese Autos nicht mehr verwendet werden und landen auf dem Schrottplatz. Die BesitzerInnen sind gezwungen, sich neue oder zumindest neuere Autos zu kaufen.

b.) Die Menschen werden in eine bestimmte Richtung gedrängt: das geschieht im schon erwähnten KFZ-Bereich z.B. durch Prämien für den Tausch des alten gegen ein neues Auto. Es geschieht im Bereich der Weißware (Waschmaschinen, Kühlschränke, Trockner etc.) mit Stromverbrauchsetikettierung (A, AA, AAA+ etc.). Diese sind nachweislich das, was man auf Wienerisch als „Schmäh“ bezeichnet, weil sie aufgrund unrealistischer Testzyklen festgelegt werden. Mit anderen Worten: die modernen Geräte verbrauchen nicht weniger als die alten.
Wer sich darüber näher informieren will, findet die Infos beim RUSZ (Reperatur- und Servicezentrum, www.rusz.at, in 1140 Wien). Ein genialer Ort, an dem man gute Qualität kaufen kann

c.) Die Industrielobbys setzen ihre Macht ein und bekämpfen etwa Food-Coops, also Nahrungsmittelkooperativen. Die Wirtschaftskammer etwa hat etwas gegen solche Kooperativen, wie in folgendem Artikel ausgeführt wird: http://ooe.orf.at/news/stories/2768804/
Wer also eine Gemeinschaft gründet, bekommt schnell mächtige Feinde, die ihn in die Idiotie, also in die Vereinzelung zurück drängen wollen. Sehr schnell hat man auch den Vorwurf am Hals, man wäre „Kommunist“ und würde das hart erarbeitete Eigentum, den Besitz der Menschen, „sozialisieren“ wollen. Man merke: „sozial“ ist böse, a-sozial ist gut, Individualbesitz ist gut, Gemeinschaftsbesitz ist schlecht. Daher gibt es auch die Versuche, das, was alle besitzen, zu enteignen und in Privateigentum umzuwandeln. Um diese Enteignung zu verschleiern, wirft man seinen Gegnern vor, dass sie enteignen wollen. Man merke: die Enteignung von Individuen ist schlecht, die Enteignung von Gemeinschaften ist gut.

Widerstand entsteht

Glücklicherweise funktioniert das alles nicht so, wie sich die Lobbys das wünschen. Es entstehen ständig neue Kooperationsformen und Gemeinschaften. Zwei sehr spannende darf ich herausgreifen:

http://fragenebenan.com
Das ist eine Internetplattform, auf der ich einen bestimmten Radius rund um meinen Wohnort angebe und dann von Menschen, die sich innerhalb dieses Radius befinden, Nachrichten bekomme, und zwar jeglicher Art. Manche suchen einen Katzensitter für das kommende Wochenende, andere haben einen Weidenkorb zu verschenken und wieder andere bieten Klavierstunden an, manchmal auch im Tausch gegen etwas anderes.
Hier bilden sich nicht-kommerzielle Netzwerke, die von den staatlichen Institutionen nicht erfasst werden können und das gefällt ihnen gar nicht. Hier wird getauscht, gehandelt, verschenkt und vor allem kommuniziert. Fragnebenan ist binnen kurzer Zeit enorm gewachsen und wenn man eine Anfrage ins Netz stellt, erhält man meist binnen weniger Minuten eine Antwort: Wer einen guten Zahnarzt sucht, hat quasi sofort eine Handvoll Vorschläge, mit Referenzen und Bewertungen, einfach so, ohne dass er/sie dafür etwas zahlen oder sich weiter anstrengen muss.

www.imgraetzl.at
Ebenfalls eine spannende Internetplattform, auf der man Initiativen für das eigene Grätzl setzen kann. Im Gegensatz zu fragnebenan sind hier die Gemeinschaftszentren quasi vordefiniert, wenngleich es keine engen Grenzen gibt.

Selbstverständlich sind diese Plattformen nicht perfekt, aber sie zeigen meiner Ansicht nach den Weg in eine neue Zeit, in der sich neue Gemeinschaften bilden. Diese Netzwerke werden sicher da und dort auch missbraucht werden und sie werden sich weiterentwickeln müssen, aber all das spricht nicht gegen die gute Idee. Ich bin auch gespannt, was die mächtigen Institutionen dagegen unternehmen werden, das wird ein interessanter Kampf, nicht nur auf der politischen Ebene. Und ich hoffe, dass nicht die Idioten gewinnen.