Mein Dutzend Gründe für politisches Engagement: 4 – Die Ökonomisierung der Wissenschaft

Politik ist die Kunst der Gesellschaft. Menschen leben nur dann friedlich in Gemeinschaften, wenn ihre unterschiedlichen Interessen ausbalanciert werden. Diese Vermittlungstätigkeit nennt man meinem Verständnis nach „Politik“. Sie regelt das Zusammenleben der Menschen.
Ich habe ein Dutzend Gründe gefunden um mich politisch zu engagieren. Heute ist der vierte Grund an der Reihe, es geht um die Freiheit der Wissenschaft.

„The king said to the priest: You keep them stupid, I keep them poor.“
Klarer hat es nur Rainhard Fendrich ausgedrückt: „Leute mit an Plastikhirn kamma leichter dirigiern.“ („Polyäthylen“, 1981, Album „Und alles is ganz anders wordn“)

Das Wissenschaftsministerium wird dem Wirtschaftsministerium hinzugefügt – so oder so ähnlich ist die offizielle Diktion. De facto wird es aufgelöst, so wie es bei Firmenfusionen danach eine Firma noch gibt und die andere nicht mehr. Ausnahmen zu dieser Regel sind entweder keine vorhanden oder sie sind extrem selten.
Die Regierung Faymann II hat es geschafft, die SPÖ ist auch in diesem Punkt komplett umgefallen und hat sich den Forderungen der ÖVP gebeugt.
Die Proteste der Wissenschaft sitzt man aus und die Spin Doctoren finden schon irgendwelche Argumente, warum Wissenschaft und Wirtschaft unbedingt eigentlich eh schon immer zusammengehört hätten („Klingt das nicht ohnehin ähnlich? – Eben!“).
Das Wissenschaftsministerium – gegründet 1970 vom SPÖ-Politiker Bruno Kreisky, abgeschafft 2013 vom SPÖ-Politiker Werner Faymann – ist somit Geschichte.

Aber was steckt wirklich dahinter? Ich sehe hier vor allem zwei Gründe:

1.) Der Primat der Wirtschaft
Das hat mit Wolfgang Schüssel begonnen und dem neoliberalen Schwenk, untermauert durch den unsäglichen Spruch „Geht´s der Wirtschaft gut, geht´s den Menschen gut.“ Gemeint ist hier jedoch nur, dass es denjenigen Menschen gut gehen soll, die das Geld haben. Und das sind nur einige wenige. Es ist nämlich schlicht und einfach nicht wahr, dass für die Armen mehr da ist, wenn die Reichen zu Superreichen werden.
Der ÖVP als Vertretung der Reichen war das Wissenschaftsministerium schon lange ein Dorn im Auge, vor allem den Bünden, die es 1.) für nicht notwendig und daher als überflüssigen Luxus und 2.) als unökonomisch betrachten.
Wissenschaft ist kein Profit Center und das stört diejenigen Menschen, die aus allem und jedem Profit ziehen wollen. Dass sich die Universitäten aufregen, stört nur wenig, wenn Faymann in seiner Regierungserklärung meint „Österreich ist in Europa ein Vorbild an Wirtschaftlichkeit.“ (ZIB 09 Uhr 14.12.2013)
Laut dem obigen Spruch ist somit alles der Wirtschaft unterzuordnen, in logischer Konsequenz auch die Wissenschaft bzw. gerade sie.
Wie funktioniert das in der Praxis? Das Stichwort hier ist „Drittmittelfinanzierung“ und es bedeutet, dass Wirtschaftsbetriebe die alleinige Entscheidung darüber treffen, welcher Teil der Wissenschaft Geld bekommt und wofür. Alle wissenschaftlichen Fächer, die keinen direkten Profit abwerfen oder dafür notwendig sind, werden aufgelöst oder zu Alibiinstituten verkleinert.
Das gibt den Konzernen die alleinige Macht über die Wissenschaft, sie definieren über kurz oder lang auch was Wissenschaft ist und was nicht. Als angenehmer Nebeneffekt bekommt man auch die „linken“ StudentInnen in den Griff, da sich diese meist in den „sozialen“ Fächern aufhalten (Politikwissenschaft, Publizistik, Psychologie, Soziologie etc.). Man kann diese beliebig beschränken indem man ihnen die Mittel kürzt.

2.) Ungebildete demonstrieren nicht
In einer Demokratie kann man die Macht der Mächtigen erhalten indem man folgende Akzente setzt:
a.) Panem et circenses – man gibt den Menschen entsprechende Ruhigsteller (fettes Essen, Barbara Karlich Show) und sie bleiben auf der Couch sitzen, auch am Wahltag. Das ist bisher hervorragend gelungen, die Wahlbeteiligung sinkt beständig.
b.) Die Bildung elitär machen. Bisher hat sich die SPÖ dagegen gesträubt, weil sie aus Tradition den sozialen Aufstieg ihrer ehemaligen Klientel gefördert hat. Diese Klientel ist jetzt zur FPÖ abgewandert, ein Aufstieg der Arbeiterklasse ist nicht mehr erwünscht, denn auch die SPÖ vertritt jetzt die Meinung, dass ein Arbeiter arbeiten soll und nicht studieren braucht.
Wer ist denn in einer Gesellschaft das Korrektiv, woher kommen die Dissidenten? Genau genommen nie aus der Elite, denn diese ist von ihrem Weltbild Macht erhaltend (nämlich die eigene) und niemals Macht zerstörend (das wäre nämlich auch die eigene). Aus der ungebildeten Unter- und Mittelschicht stammen die Revoluzzer auch nicht, denn die haben entweder zu wenig Bildung um entsprechende Schritte (kommunikativ, organisatorisch) setzen zu können oder sie sind – wie oben erwähnt – gut ruhig gestellt. Somit braucht man eine Gruppe von BürgerInnen, die erstens nicht im Machtapparat sitzen und zweitens genügend Bildung haben, um die Aufgabe zu bewerkstelligen.
Und genau diese Gruppe versucht man vor allem in der ÖVP klein zu halten.
Ein klein wenig erinnert mich das an das Pol Pot Regime in Kambodscha von 1975 bis 1979. Diese pseudo-kommunistische Diktatur hatte das Ziel alle Menschen zu Bauern zu machen. Sie wollten so an die glorreiche Vergangenheit des Khmer-Reiches anschließen, das durch seine Agrarwirtschaft reich und mächtig wurde. Daher räumte man die Hauptstadt binnen 24 Stunden und schickte alle Menschen aufs Land auf die Felder. Die Bildungsschichte und die Intellektuellen meinte man dafür nicht zu brauchen und so wurden alle getötet, die lesen und schreiben konnten oder auch nur so aussahen, als könnten sie es (z.B. Brillenträger wurden erschossen).
In Österreich geschieht es subtiler, aber mit dem gleichen Ziel: Eine Elite (die Kinder der Mächtigen) soll gute Bildung bekommen und kann dafür auch zahlen. So erreicht man zwei Ziele: Erstens wird Wissenschaft profitabel und zweitens hindert man weniger Begüterte am Zugang zu Bildung.

Meine politische Forderung Nr. 4 lautet somit: Wir brauchen für die gesunde Entwicklung unserer Gesellschaft eine gesunde Wissenschaft mit entsprechendem Stellenwert und dazu gehöriger Verankerung (etwa durch ein Wissenschaftsministerium mit entsprechenden Mitteln).

Der Sandler

Landesversammlung der Grünen Wirtschaft Wien und Niederösterreich. Funktionärswahlen, Vorträge, Diskussionen, Buffet – das alles an einem von uns sehr gern gewählten Veranstaltungsort, der IG Architektur auf der Gumpendorferstraße, nur eine Ecke weit vom Apollo-Kino.
Die Stimmung ist gut, der Caterer hat diesmal geschmorten Kürbis zubereitet und sonst noch einige gute Dinge. Lockere Gespräche, Kennenlernen der neuen Landesleitung von Niederösterreich, dazu ein gutes Bier. Geraucht wird vor der Tür, die dann zeitweise offen steht.

Plötzlich drängt sich ein Sandler hinein. Er tut ein wenig so als hätte er drinnen irgend was zu erledigen, es ist aber fast sofort klar, um wen es sich handelt: klein, gebückt, zerlumpt angezogen, mit einem großen weißen Plastiksack, aber schneller durch die Türe als ihn wer aufhalten kann.
Er lässt sich flugs in eine kleine Sitzgruppe fallen und ruft „Capuccino!“

Wer ist für ihn zuständig? Sollen wir ihn rauswerfen – irgendwo meint das jemand, allerdings eher beiläufig. Ich denke mir, dass er eigentlich nicht stört, sofern er nichts fladert oder unangenehm auffällt.
„Capuccino“ ruft er noch mal und ein Kollege lacht „Hey, wird sind kein lokal, das ist privat!“

Er schaut unverständig, spricht scheinbar kein Deutsch. Ich bringe ihm ein Bier und meine, dass wir leider keinen Kaffee haben. Er trinkt das Bier aus, lehnt sich in seinem Sessel zurück und grinst freundlich, zumindest mit den Zähnen, die er noch besitzt, also eher spärlich. Seine Sprache ist nicht verständlich, zumindest nicht für uns. Polnisch? Ungarisch? Russisch? Auf jeden Fall prostet er uns mit „Nastrowje“ zu und ruft „Polak“.
Dann kramt er ein wenig in seinem Sack herum und als wir uns wieder mit uns beschäftigen, fängt er zu singen an. Offensichtlich hat das Bier seine Laune gehoben. Die Lautstärke ist beachtlich und die Unterhaltung wird schwierig. Wieder werden Stimmen laut, dass man ihn eventuell hinausbefördern sollte, bevor er sich dauerhaft einnistet.
Ich blicke aufs Buffet und sehe, dass wir noch mehr als genug Kürbis haben, der sowieso nach Veranstaltungsende weggeworfen wird. Also hole ich ihm eine Portion, die er annimmt und aufisst. Da er während des Essens nicht singen kann, haben wir das Problem gelöst. Zur Sicherheit bringe ich ihm noch eine zweite Portion. Das funktioniert, er singt nicht weiter, sondern ruht sich ein wenig aus.
Dann beginnt er zu schauen, was so herum liegt. Ein dicker Architektur-Bildband fällt ihm in die Hände und wandert langsam Richtung seines Plastiksacks. Irgendwer weist ihn darauf hin, dass ihm das nicht gehört. Er grinst breit und sagt ein paar Worte. Dann ruft er „Zigarra“. Da ihm niemand eine Zigarre oder Zigarette anbietet, beginnt er aus Prospekten auf dem Tisch vor ihm irgendwelche Werbeartikel rauszureissen und in seinen Plastiksack zu stecken. Dann nimmt er wieder den Bildband und verstaut ihn im Sack.
Ich gehe hin und bitte ihn, den Band wieder heraus zu nehmen. Er tut so, als würde er mich nicht verstehen, grinst breit und ruft „Capuccino!“.

Mir reicht es, ich nehme das Buch einfach aus dem Sack und bringe es in Sicherheit. Langsam stellt sich die Frage, wie wir ihn wieder loswerden und Beate bittet mich bis zum Schluss zu bleiben, sie hätte Angst wenn sie mit ihm alleine fertig werden müsste.

Auf einmal steht er auf, schnappt seinen Sack und marschiert wortlos zur Türe. Ihm dürfte fad geworden sein, es gab nichts mehr zu holen und so wandert er zu den Fahrrädern, die ums Eck an Fahrradständern lehnen. Dort probiert er bei jedem einzelnen ob es abgeschlossen ist. Dummerweise für ihn sind alle angehängt und er trollt sich.

Was mich nachdenklich macht:

Der Sandler ist ein Opportunist. Er hat gelernt eine gewisse Frechheit an den Tag zu legen und davon zu profitieren. Sein etwas ungestümes Eindringen hat uns überrumpelt und genau das war wahrscheinlich geplant. Es dürfte öfter funktionieren, ebenso wie er öfter ein Bier bekommt oder eine Zigarette, damit er sich wieder „schleicht“, wie wir auf Wienerisch zu sagen pflegen.
Nicht immer wird er freundlich aufgenommen, aber das ist das Berufsrisiko. Er nimmt außerdem was er bekommen kann und ist nicht heikel. Seine Sprache ist sein Schutz, er kann jederzeit auf „verstehe nix“ umschalten. Wenn jemand doch Polnisch oder Russisch kann, dann bleibt ihm immer noch schweigen, sich deppert stellen oder sonst etwas. Er grinst freundlich und lacht, nickt und schickt immer wieder positive Signale. Und er nimmt einfach alles mit was nicht niet- und nagelfest ist. Dabei ist er aber durchaus wählerisch und hat sich in unserem Fall etwa den wertvollsten Bildband heraus gesucht. Wahrscheinlich hatte er selbst keine Ahnung, was er damit machen könnte. So sind die Opportunisten, irgendwas wird sich schon ergeben, im Notfall kann man das Buch immer noch zerreissen und es sich in den Blättern gemütlich machen.

Jede Gesellschaft produziert solche Opportunisten und in jedem von uns steckt einer. Die Schlangen, die sich vor dem großen Schlussverkauf sammeln, die Spurwechsler am Gürtel, die Markensammler in den Supermärkten – alle wollen profitieren, ökonomisch günstig aussteigen, etwas gratis haben, Geiz ist geil. Wenn kleine Geschenke vor den Wahlen verteilt werden, dann nimmt man zuerst und schaut dann nach, was man da eigentlich bekommen hat. Danach kommt die wählerische Phase, das Goodie muss ein gutes sein, irgendwie brauchbar, essbar, verwertbar.

Die Sandler sind Randfiguren. Sie leben nicht besonders gesund und werden meist nicht sehr alt – wobei sie ohnehin keine Pension bekommen und es daher umso schwerer haben, je älter sie werden. Sie sind selten ganz jung, zumindest nicht in unserer Gesellschaft, in Afrika etwa sieht das anders aus, dort betrifft es schon die Kinder.

Die Sandler haben eine Art Vertrag mit der Gesellschaft. Sie schnorren und bekommen auch etwas, so lange sie nicht unangenehm werden. Sie sind immer nur geduldet und nie erwünscht. Sie sind alle Opportunisten und müssen es sein, um einigermaßen durchzukommen. Sie zeigen uns die Grenzen unseres Wohlstands, unserer Toleranz, unserer Akzeptanz, unserer Großzügigkeit, unserer Kleinlichkeit, unseres Stolzes und unserer Gier. Eigentlich können wir froh sein, dass wir sie haben.

Analyse zur Nationalratswahl 2013

Nein, das wird jetzt nicht lange dauern, weil andere schneller waren als ich. Und vielleicht besser. Daher gibt es jetzt in erster Linie gute Links plus kleinem Kommentar:

1.) Georg Günsberg – er schreibt meistens treffend und gescheit, so auch diesmal. Sein Bericht dekliniert die Parteien durch und wirft einen ausführlichen Blick in die Vergangenheit:

http://guensberg.wordpress.com/2013/09/30/on-the-long-term-nachwahlbetrachtung

2.) Rudi Fussi – mit der notwendigen Schärfe bekommen alle Parteien ihr Fett ab. Und auch das ist letztendlich wahrscheinlich „Wurscht“:

http://www.rudifussi.at/2013/09/30/oesterreich-hat-wurscht-gewaehlt

3.) Armin Wolf – kurz und bündig fasst er die Möglichkeiten nach der Wahl zusammen. Kein Link, sondern hier der ganze Text:

„Noch ein paar Gedanken zum Wahlergebnis.
Oberflächlich ist ja nicht viel passiert, außer, dass statt Orange künftig Pink im Parlament sitzt. Die SPÖ ist nach wie vor Erster, die ÖVP Zweiter, die FPÖ Dritter. Rot-Schwarz sind gemeinsam nicht unter 50% gefallen, weder an Stimmen noch an Mandanten. Zusammen mit den Grünen wird sich nach Auszählung der Wahlkarten noch immer eine Verfassungsmehrheit ausgehen (allerdings nur um ein Mandat. Trotzdem wichtig in EU-Agenden).
Das heißt wohl in Summe das, was es in Ö. (fast) immer heißt: es wird gewählt, aber am Ende kommt eine Große Koalition heraus.
Die FPÖ hat 3,9 Prozentpunkte dazu gewonnen – nicht wenig, aber auch nicht übertrieben viel, wenn man denkt, dass SP +VP + BZÖ 11,5 Prozentpunkte verloren haben. Aber die drei rechtspopulistischen Protestparteien FPÖ, Stronach und BZÖ haben gemeinsam knapp 31%. Das ist mehr als die 27 der FPÖ von 1999 oder die 28, die FPÖ + BZÖ 2008 erreicht haben. (Rechnet man nur FPÖ + BZÖ, kamen sie gestern auf 25%).
Was jetzt?
„So kann es nicht weitergehen“, war gestern abend der meistgehörte Satz aus der ÖVP. Ja, eh. Das hat man allerdings 2008 schon genauso gehört. Auch damals hieß es, es brauche eine „ganz neue Form“ von großer Koalition. Aber wie soll die denn aussehen? In der Steiermark haben Rot & Schwarz genau das probiert, mit ihrer super-kooperativen „Reform-Partnerschaft“. Sie haben gestern doppelt so viel verloren wie im Bundesschnitt, die FPÖ wurde in der Steiermark stärkste Partei – wohl kein besonders einladendes Vorbild für SP & VP.
Dazu kommt ein strategisches Dilemma für die ÖVP: als Juniorpartner in der großen Koalition zwischen 1987 und 99 hat sie 16 Prozentpunkte verloren, seit 2008 wieder 13 Punkte. Warum sollte es die nächsten fünf Jahre als Zweiter in einer Großen Koalition besser für sie laufen?
Zumindest theoretisch hat sie – im Gegensatz zur SPÖ – eine Alternative. Eine Rechtskoalition VP-FP-Stronach hätte gleich viele Mandate wie Rot-Schwarz (99 – 92 sind für eine Regierung nötig). Michael Spindelegger könnte so doch noch „Kanzler für Österreich“ werden, aber in der ÖVP gibt es gewichtige Gegner dieser Variante im Wirtschaftsbund, bei Raiffeisen, in Niederösterreich. Also überall dort, wo in der VP die Entscheidungen fallen.
Wahrscheinlicher ist also, dass die S-B-TS-Variante in den Verhandlungen mit der SPÖ als Gespenst mit am Tisch sitzt, um den Preis für eine neue GroKo hochzutreiben.
Was kann da rauskommen? Eine neue rot-schwarze Koalition, die gleich in ziemlich schlechter Stimmung startet, weil die ÖVP nicht wirklich will und in den Verhandlungen extrem hoch pokern wird. Aber nach außen wird sich die Neuauflage Faymann-Spindelegger „völlig neu“ geben, mit „gemeinsam definierten Projekten“ und einem „ganz neuen Stil“. Ja, eh.
Drei Prognosen für die nächste Wahl kann man da heute schon anstellen: Es wird die letzte große Koalition sein, ein weiteres Mal wird es kaum mehr für 50% reichen. Die FPÖ wird weiter zulegen (auch die 150.000 BZÖ-Stimmen müssen ja wohin). Das Team Stronach wird ohne seinen Guru ein BZÖ-Schicksal erleiden. Bleibt die Frage, ob sich die Neos dauerhaft etablieren können wie die Grünen oder ob sie wiederholen, was das LiF schon einmal vorgemacht hat.
Die nächsten fünf Jahre werden also kaum anders werden als die letzten. Wirklich spannend wird die nächste Wahl.“

4.) Michel Reimon – der Landtagsabgeordnete der Grünen Burgenland ist ein kritischer Geist, daher wollten ihn die Grünen auch nicht auf ihre Nationalratslisten setzen. Er geht weit über die Wahlanalyse hinaus und sein Text ist auch schon fast zwei Jahre alt. Aber ausgesprochen treffend für das, was in Österreich derzeit passiert. Er sieht sich genau an, was mit den Rechten im Land passiert:

http://derstandard.at/1313024413209/Politik-in-Oesterreich-Die-Hegemonie-der-Abstiegsangst

5.) Volker Plass – als Bundessprecher der Grünen Wirtschaft quasi mein „Chef“. Er geht mit den Grünen hart ins Gericht – hart, aber fair. Da er seine Betrachtungen nicht in einem Blog hat und es daher auch keinen Link gibt, hier der gesamte Text, quasi als Abschluss. Ach ja: auch er war den Grünen zu unbequem für einen Listenplatz für die NR-Wahl…

„MEINE ANALYSE

Das Wahlergebnis der Grünen ist mau. Da gibt es nichts zu beschönigen!
Wer es nötig hat, noch »auf die Wahlkarten zu hoffen« und einzelne »wirklich erfreuliche Bezirksergebnisse« herauszustreichen, hat ein Problem. Wer vom »besten grünen Ergebnis der Geschichte« sprechen muss, um den WählerInnen seinen Erfolg zu erklären, der kann vielleicht halbwegs zufrieden sein. Zu den strahlenden Wahlsiegern gehört er nicht!

Zwischen 2006 und 2013 haben wir Grüne gerade einmal eineinhalb Prozent zugelegt. Erdrutschsiege sehen anders aus!
Unser Wahlkampf war sensationell. Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner und Kreativ-Chef Martin Radjaby sind für die beste Grüne Kampagne aller Zeiten verantwortlich. Eva Glawischnig war eine ausgezeichnete Spitzenkandidatin. Auch der Zeitpunkt war ideal: Das alte, reformresistente und von Korruption zerfressene Parteiensystem war sturmreif geschossen. Tausende WahlkämpferInnen – danke allen!!! – waren motiviert, agierten geschlossen und sind gerannt wie noch nie.
Trotzdem reichte es wieder nicht für einen wirklichen Erfolg. Wieder erwarten uns fünf Jahre auf der Oppositionsbank. Um Haaresbreite wäre sogar die rot-schwarz-grüne Verfassungsmehrheit verloren gegangen, die uns wenigstens ein gewisses Maß an parlamentarischer Bedeutung verleiht.

Also kann es nur am Produkt selbst liegen!
An dem, was wir Grüne tatsächlich sind, wenn man all die durchgestylte Verpackung weglässt.
Gestern, am Rande unseres Wahlfestes, habe ich etlichen Freundinnen und Freunden eine Frage gestellt: Welche große, innovative und emotional berührende Idee von uns Grünen ist dir aus den letzten drei Jahren in Erinnerung?
Ich habe keine einzige überzeugende Antwort bekommen.

Wir sind bio & gesund.
Wir sind korruptionsfrei & sauber.
Wir sind schick & sympathisch, sodass die Menschen sogar freiwillig unsere grün-pinken Einkaufstaschen durch die Fußgängerzonen tragen. Aber wenn es wirklich darauf ankommt, sind wir nicht neos, sondern ein bisschen altos!
Für viele Menschen ist das, was wir Grüne bieten, offenbar nicht (mehr) ausreichend.
Wir haben die Korruption der anderen angeprangert und stolz unsere »weiße Weste« präsentiert. Unser Wahlkampf war von »Wohlfühl-Themen« geprägt, und wir haben Bilder von einer besseren Welt gezeigt. Alles sehr gut!
Aber in den Kernbereichen – dort wo Wahlen entschieden werden – waren wir schwach aufgestellt:

In der grünen Sozialpolitik herrscht seit Jahren Tiefschlaf.
In der Gesundheitspolitik sind wir weitestgehend abgemeldet.
In der Bildungspolitik, wo wir Substanz haben, ist es schwierig, uns neben der SPÖ zu profilieren.
Grundlegende Systemkritik ist leider nicht vorhanden.
Nennenswerte budgetäre Einsparungsvorschläge auch nicht.
Und die Wirtschaftspolitik … naja!

Stattdessen haben wir praktisch zur Gänze auf das Korruptionsthema gesetzt. Weil alle Umfragen sagen, dass dieses Thema unseren WählerInnen so wichtig ist. Unseren WählerInnen schon. Aber reicht es für wirkliche Zuwächse?
Wir sprachen über die moralische Verkommenheit der anderen Parteien. Wir erzählten den Menschen monatelang, wer ihr Geld gestohlen oder missbräuchlich verwendet hat. Sogar in der letzten Woche haben wir alle Mitbewerber noch einmal bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.
Die Menschen hörten uns zu.
Sie gaben uns Recht. Und waren dankbar, dass wir diesen Job erledigen.
Aber dann fragten sich offenbar viele:
Was hat das mit mir zu tun?
Geben mir die Grünen damit für mein Leben auch Hoffnung?
Schafft mir das einen Arbeitsplatz?
Sichert das meine Pension?
Bringt uns das den fehlenden Kinderarzt in unserer Gemeinde?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Kontrolle und das Aufdecken politischer Verbrechen ist eine Kernaufgabe der Opposition. Aber es ist das Pflichtprogramm – nicht die Kür! Gabi Moser und Peter Pilz machten die Drecksarbeit. Und sie machten das gut. Aber wer war für das Neue und Überraschende zuständig? Für das, was die Menschen wirklich begeistert?
Anders formuliert: Wie erfolgreich wäre Apple mit seinem iPhone gewesen, wenn die Botschaft gelautet hätte: »Nicht so grauslich wie Ihr altes Nokia«?

Die Umfragen, die uns noch vor einer Woche 14 bis 15% prophezeiten, haben gestimmt. Was sie nicht abbilden konnten, waren zwei Wählerbewegungen in den letzten Tagen vor der Wahl. Einerseits kehrten offenbar viele WählerInnen von Stronach zu Strache zurück. Und andererseits hatten viele potenzielle GrünwählerInnen plötzlich das Gefühl, dass eine NEOS-Stimme doch keine verlorene Stimme ist. Viele unserer SympathisantInnen dachten sich, dass wir Grüne ohnehin ein gutes Ergebnis einfahren werden, und wählten deshalb dieses erfrischend neue und dynamische Polit-Start-up auch noch ins Parlament hinein.
Ja, so sind die WählerInnen! Da geht es nicht nur um Ideologie und langfristige Parteibindung. Da sind auch unkalkulierbare Emotionen und kurzfristiges Wohlbefinden mit im Spiel!
Um welche Personen es sich bei NEOS genau handelt, welche Positionen dort im Detail vertreten werden, ist einstweilen vielen nicht so wichtig! Neue Parteien bieten diffuse Projektionsflächen für unterschiedlichste Hoffnungen und Erwartungen. Und Matthias Strolz & Co kamen modern, innovativ und systemkritisch daher. Eigenschaften, die die WählerInnen mit uns Grünen offenbar nicht automatisch verbinden.
Daran sind nicht die NEOS schuld, sondern nur wir!

Nicht die NEOS sind unser Problem, sondern dass NEOS entstehen musste, um diesen enttäuschten WählerInnen eine Alternative zu bieten, die wir nicht bieten konnten. Ein Unternehmen, das selbst nicht fähig ist, ein wirklich innovatives Produkt am Markt zu platzieren, muss damit leben, dass die Konkurrenz diese Marktlücke füllt!
Was nun zu erledigen ist, sind die richtigen Weichenstellungen für das Jahr 2018.

Gewissenhafte Analyse und grundlegende Reformen sind angesagt: Wir Grüne müssen uns noch ziemlich verändern und noch viel besser werden, um wirklich zu wachsen!
Ein Schritt in Richtung 15 bis 20% ist prinzipiell möglich. Aber der gelingt nur, wenn wir Grüne uns für neue Wählerschichten öffnen. Wenn wir näher an der Lebensrealität der Menschen sind. Wenn wir endlich in den politischen Kernbereichen innovativ Flagge zeigen. Wenn wir mit neuen ProponentInnen und deren Netzwerken neue Zielgruppen erschließen.
Wer jetzt noch daran glaubt, dass Wahlen allein mit Kernthemen gewonnen werden oder dass sich Erfolge automatisch einstellen, wenn nur endlich alle kapieren würden, dass wir Grünen die Besten, Saubersten und Gescheitesten sind, der ist mitbeteiligt daran, dass wir Grüne unsere Existenz auch weiterhin bloß auf hohem Niveau verwalten.
Dieses Land gestalten werden wir so voraussichtlich nie!

Haben wir ein Recht auf Qualität?

Schrott verbinden wir gedanklich mit Rost und daher nähere ich mich dem Thema von dieser Seite an. Treue LeserInnen kennen meine Leidensgeschichte betreffend Motorroller und meinen verzweifelten Kampf gegen geplante Obsoleszenz. Ich empfinde es nicht als Zumutung, dass Produzenten bei Materialien und Fertigungsprozessen sparen, die KundInnen wollen schließlich billige Ware, weil der Geiz ja geil ist oder so.
Ich finde es nur schlimm, dass man in vielen, meiner Meinung nach sogar den meisten Bereichen keine Wahl mehr hat. Anders ausgedrückt, ich kann auch um viel Geld kein qualitativ hochwertiges (= langlebiges) Produkt mehr kaufen, weil ein solches einfach nicht erzeugt wird.

Aktuelles Beispiel: die Vespa GTS 125 bzw. 300 (gleiche Karosserie, unterschiedlicher Motor). Ein Besitzer hat wegen Rostproblemen geklagt. Dazu muss man folgendes wissen:

1.) Vespa ist eine Produktmarke des Piaggio-Konzerns. Ursprünglich war es die einzige Marke, heute ist es die Nobelmarke, denn Piaggio hat noch vier weitere: die Eigenmarke „Piaggio“ für die eher einfacher aufgebauten Motorroller und Mofas, mit denen man den Koreanern und Chinesen Konkurrenz machen will. Dann gibt es noch Gilera, einst eine eigenständige Marke, heute im Konzern für die „sportliche“ Linie zuständig. Ich hatte viereinhalb Jahre eine Gilera Fuoco. Vor einigen Jahren hat Piaggio auch die traditionelle Marke Aprilia gekauft und dann gibt es noch Derbi, die vor allem in Spanien groß im Markt sind, bei uns jedoch eine untergeordnete Rolle spielen. Nicht mehr vorhanden ist die alte österreichische Marke Puch, die von Piaggio aufgekauft und inzwischen aufgelassen wurde. Ich hatte zehn Jahre lang eine „Puch Typhoon“ und war sehr zufrieden. Der Nachfolger „Piaggio Typhoon“ hat leider keine Eigenständigkeit mehr und ist einer von vielen Rollern im Konzern.

2.) Die „Vespa GTS 300“ ist das Flaggschiff der Marke. Sie hat zwar nur 278 ccm (und nicht 300 wie der Name sagt, das ist übrigens beim Konkurrenzmodell Honda SH 300 auch so) und 22 PS, ist aber – zumindest in Österreich und einigen anderen Ländern Europas – äußerst beliebt. Sie ist auch preislich das teuerste Modell, wenn man einmal von der Vespa 946 absieht, die aber nicht als Volumsmodell gedacht ist.
Der Listenpreis liegt in der Standardausstattung bei 6.150- Euro, zu haben ist sie derzeit beim Importeur und Händler Faber (www.faber.at) um 5.699,- die GTS 300ie Super sogar um 5.599,-
Das ist somit vielleicht der schönste, sicher aber der teuerste Roller am Markt, zumindest in seiner Klasse. Die Konkurrenzmodelle Honda SH 300i (Euro 5.790,- zu haben um 4.990,- inklusive Topcase) und Kymco People 300 GTi (4.599,- inklusive Topcase) liegen deutlich darunter. Sie sind stärker (27 bzw. 29 PS) und haben trotz größerer Räder ein größeres Helmfach unter dem Sitz.
Die GTS 125 kostet übrigens 4.749,- (Listenpreis 5.150,-) und hat 15 PS.

3.) Die Vespa GTS ist trotzdem der meistverkaufte und somit beliebteste Roller am Markt – zumindest in Österreich. In Italien hat sich das Blatt schon länger gedreht und Piaggio verkauft im Mutterland zunehmend weniger Roller. Dort werden vor allem Honda, Kymco, Sym, Yamaha und Suzuki verkauft, die auch inzwischen das Bild prägen.

4.) Die Vespa ist quasi die Urmutter der Motorroller, für manche sogar ein Synonym dafür. Sie wird seit 1946 gebaut und beruht auf einem genialen Entwurf: selbsttragender Blechpressrahmen, Einarmschwinge, gekapselter Motor, Durchstieg hinter der Schürze. All diese Merkmale findet man auch heute, wenngleich es sich aktuell um einen Automatikmotor handelt und die Vespa einen Stahlrohr-Hilfsrahmen hat. Aber die Verkleidung ist großteils immer noch aus Blech, im Gegensatz zu allen oder fast allen anderen Rollern weltweit, die mit Plastik verkleidet sind.

Im Internet gibt es spezielle Foren, die sich mit dem Thema Vespa beschäftigen. Eines davon ist www.vespaforum.at – dort findet man quasi alles zum Thema und dort wird auch über die Qualität diskutiert.
Nun ist bei einem Besitzer (Eisbaer3) einer GTS 125 ein massives Rostproblem aufgetreten. Er hat geklagt und ein Gutachten anfertigen lassen. Hier ein Auszug aus dem Text:

„Wie Sie diesem Gutachten entnehmen können, sind die Verrostungen zum Teil auf Steinschläge bzw. Schürfspuren zurückzuführen. Andererseits konnte aber auch Spaltkorrosion festgestellt werden, welche offenbar auf einen Fabrikationsfehler zurückzuführen ist, da der Hersteller entlang aller Blechüberlappungen den dahinter befindlichen Hohlraum vor der Lackierung abdichten hätte müssen. Bei einer Neureparatur besteht die Gefahr, wenn der neue Ersatzrahmen in gleicher Art und Weise wie der streitgegenständliche Rahmen lackiert ist, dass es dann wiederum zur bemängelten Spaltkorrosion kommt. Der Sachverständige schlägt daher vor, dass der verbaute Rahmen saniert wird, in dem der nicht zerlegte Rahmen an der Unterseite der Rahmenverblechung sandgestrahlt wird, anschließend mit Epoxylack grundiert wird, dann die Blechstöße abgedichtet werden und abschließend die behandelte Rahmenunterseite in der Vespafarbe lackiert wird. Diese Reparatur würde im Gegensatz zur kompletten Erneuerung des Rahmens nur ca. EUR 750,00 zzgl. MWSt. kosten. Durch diese Reparatur würden auch die Steinschläge und Schürfspuren beseitigt werden, jedoch können jedenfalls zwei Drittel der angeführten Kosten (das sind EUR 500,00) für die Sanierung der Spaltkorrosion angesetzt werden.“

Und jetzt ein Auszug aus dem Gerichtsurteil:

„Dem gegenständlichen Fahrzeug liegt eine
Produktionskonzeption zu Grunde, welche bereits
ursprünglich darauf ausgelegt war, im niedrigen
Kostenbereich zu liegen. Von einem solchen Produkt kann
aufgrund der Umstände nur ein vermindertes Maß an
Qualität und Haltbarkeit erwartet werden. Da es absolut
logisch ist, dass zur Erreichung dieser Zielsetzung,
minderwertigere Bestandteile wie zB Lack mit geringerer
Lackschichtstärke verwendet oder sorgfältige
Hohlraumabdichtung vor der Lackierung aus Kostengründen
nicht durchgeführt und dadurch ein höheres Risiko für
Verrostungen in Kauf genommen wird, handelt es sich um
dem Produkt inhärente „Mängel“. Daraus folgt aber
zwangsläufig, dass es sich somit weder um einen
Produktions- noch um einen Konstruktionsfehler handelt.“

Das ist meiner Meinung nach ein starkes Stück: Die GTS ist der teuerste Roller am Markt, und hier steht „im niedrigen Kostenbereich“.
Wer soll hier geschützt werden? Auf wessen Seite ist das Recht?
Ich bin der Ansicht, dass es sich hier um geplante Obsoleszenz handelt, versteckt in Billigproduktion. Das eigentliche Problem besteht jedoch auch darin, dass die Konsumenten mitspielen. Sie wollen ständig neue Produkte und sind oft selbst nicht daran interessiert, dass ein Gegenstand lange hält – denn dann findet man schwerer einen Grund sich das neuere Modell zuzulegen.

Doch es gibt erste Gegeninitiativen. Der Anwalt Georg Bürstmayr hat einen ersten Entwurf in Facebook online gestellt, damit dieser diskutiert werden kann. Hier ist er:

Liebe FB-FreundInnen: hier ist, wie angekündigt mein Vorschlag zur rechtlichen „Verankerung“ der geplanten Obsoleszenz, sprich: zur Schaffung einer ersten Möglichkeit, jedenfalls die krassesten Fälle abzustellen. Für Anregungen und Beschwerden bin ich dankbar.

Verankerung der „geplanten Obsoleszenz“ im UWG

Die geplante Obsoleszenz wäre als eigener „Tatbestand“ im UWG zu verankern, und zwar in § 1 Abs 3 sowie einer eigenen Definitionsbestimmung (zB einem § 1b). Die konkrete Legaldefinition sollte gemeinsam u.a. mit VertreterInnen der AK, des VKI und der Wirtschaft ausformuliert werden, sie sollte demonstrativ sein, das heißt, dass die Definition nicht von vornherein alle möglichen und denkbaren Fälle mit einschließt, sondern dass bestimmte Beispiele für geplante Obsoleszenz aufgezählt werden..

Zur näheren Begründung:

a) Ob, wo und wie weit geplante Obsoleszenz wirklich systematisch eingesetzt wird, ist in vielen Bereichen nach wie vor umstritten. Die vorgeschlagene Regelung setzt aber eben diese Sicherheit nicht voraus: dort, wo tatsächlich krasse Fälle von geplanter Obsoleszenz auftauchen, könnten Mitbewerber und Konsumentenschutzverbände (vgl. § 14 UWG) sie aufgreifen und einzelne Verfahren – oder auch Musterprozesse – anstrengen.

Die momentane Rechtslage dagegen begünstigt auf diesem Feld Produzenten und Händler: derzeit müssten einzelne KonsumentInnen nach den Regeln des Gewährleistungs- und Schadenersatzrechts, allenfalls auch nach den Regeln der Irrtumsanfechtung, Verfahren anstrengen, deren Prozesskostenrisiko regelmäßig den Wert der vorzeitig unbrauchbar gewordenen Sache bei weitem übersteigt. Bleibt die Rechtslage unverändert, ist zu erwarten, dass kaum ein Konsument einen derartigen Prozess auf sich nehmen würde.

b) Es müsste weder eine eigene Behörde noch ein eigenes System zur Bekämpfung dieses Missstands geschaffen werden, der nötige Eingriff in bestehende Gesetze bzw. Systeme scheint minimal. Die vorgeschlagene Änderung würde die öffentliche Hand nicht nennenswert belasten, da bis auf die Kosten einiger Gerichtsverfahren keine weiteren Ausgaben zu erwarten wären

c) Insgesamt stellt die vorgeschlagene Lösung auch einen sehr geringen Eingriff in wirtschaftliche Freiheiten dar, für den Anfang wäre überhaupt nur in besonders schwerwiegenden Fällen mit Verfahren zu rechnen. Zugleich wäre für derartige krassen Fälle aber ein Instrument geschaffen, das auch abschreckende Wirkung hätte – Mitbewerber und Konsumentenschutzverbände können nach dem UWG relativ weitreichende Ansprüche durchsetzen.

d) Eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen der geplanten Obsoleszenz böte auch die Möglichkeit, zukünftige einschlägige Rechtssprechung auf europäischer Ebene und / oder zB in Deutschland, sowie die Weiterentwicklung der Lehre auf diesem Gebiet schrittweise zu berücksichtigen.

Sauber wirtschaften heißt auch, dass weder KonsumentInnen geprellt werden, noch, dass sich Mitbewerber mit unlauteren Methoden Vorteile auf dem Markt verschaffen. Die Verankerung der geplanten Obsoleszenz im Wettbewerbsrecht böte die Möglichkeit, diesen Missstand gemeinsam mit der österreichischen Wirtschaft zu beenden, mit allen, die im Interesse der KonsumentInnen in Österreich produzieren, handeln und verkaufen. Schrittweise und zielgenau, nämlich genau dort, wo Missstände besonders krass zu Tage treten.

Wahlkampf im Internet

Verzeihung, Internet stimmt ja nicht mehr, ich müsste „Social Media“ sagen. Aber darum geht es nur am Rand, das spannende Thema taucht für mich bei der Frage auf, wie sich Wahlkämpfe seit ein paar Jahren verändern.
In Österreich dauert alles etwas länger und daher ist das der erste Wahlkampf, bei dem die „neuen“ Medien massiv zum Einsatz kommen. Ich möchte als Beispiel das kleine Scharmützel anführen, das sich ÖVP und Grüne am 3. September auf Facebook geliefert haben (oder in echt? Das ist noch zu klären).

Begonnen hat es mit Peter Pilz, dem altlinken Chaoten (zumindest aus Sicht der ÖVP) und niemals ruhenden Aufdecker. Er hat sich einen Bus grün anmalen lassen und geht damit auf Tournee („Peter Pilz Geld zurück Tour“). Sein Anliegen ist das Anprangern der Korruption regierender Parteien und heute war die ÖVP dran. Also gab es ein kleines Happening vor der Parteizentrale, von dem auch der ORF kurz berichtete. Man sah Transparente, die nicht gut lesbar waren, hörte laute Stimmen und sah eine Lautsprecherbox, die von der ÖVP zwecks Gegenbeschallung in einem Fenster aufgestellt war.

So weit, so gut. Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Sie wechselt nur das Medium. Bisher waren beteiligt: die Realität, das Fernsehen und möglicherweise am nächsten Tag die eine oder andere Zeitung.

Jetzt kam Schwung in die Bude, die ÖVP schickte eine OTS-Meldung aus, in der sie bekannt gab, dass man jetzt eine Pizza bestellen würde, gewürzt mit ein paar Seitenhieben auf die Grünen. (http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130903_OTS0149/oevp-pd-gibt-die-bestellung-einer-familienpizza-bekannt)

Darauf erwachten auf Facebook die Stimmen und riefen „Ablenkungsmanöver – alle schreiben über die Pizza und niemand über die Korruptionsinhalte der Tour von Peter Pilz.
Die ÖVP zögerte nicht lang (man weiß voneinander, schließlich ist man vernetzt über gegenseitige Freundschaften etc.) und schickte eine zweite Pressemeldung raus, und zwar mit einer Erfolgsmeldung: „Aufgrund der großen Nachfrage geben wir bekannt, dass die Pizza gemundet hat. Sehr sogar.“
(http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130903_OTS0166/oevp-pressedienst-die-pizza-hat-gemundet).

Bei den Grünen rauchten die Köpfe, allerdings nicht sehr lang, dann folgte die Reaktion in Facebook. Das Medium eignet sich dafür scheinbar sehr gut und man schickte folgendes Bild durchs Netzwerk:

pizza2

Damit wird das Thema wieder in die Diskussion geholt, hat aber an Strahlkraft verloren, weil die Pizza hervorsticht und quasi selbst zum Thema wird. Das fiel auch den Grünen auf und so legte man nach:

pizza1

Damit wird das Bild wieder aus dem Blickfeld geholt und mit großen roten Lettern wird das Thema (in der ÖVP gibt es Korruption) wieder betont. Doch die Pizza bleibt virtuell sichtbar, vor allem durch die weitere Nennung in großen Lettern, noch dazu als krönender Abschluss des kurzen Satzes. Menschen, die nicht Englisch können, sehen sogar nur „Pizza“.
Also versuchte man das Blatt noch einmal zu wenden und hängte eine Karrikatur an, genauer gesagt eine sprachliche:

pizza3

Das zu verstehen verlangt eine gewisse Hartnäckigkeit und ein wenig Wissen in italienischer Sprache (Giovanni Fumos = ÖVP-Generalsekretär Johannes Rauch). Auf jeden Fall ist das Thema Korruption noch enthalten, wenn auch recht versteckt. Ohne das Wissen der Vorgeschichte ist das überhaupt nicht mehr zu verstehen.
Damit war das Scharmützel auch schon wieder vorbei. Halbwertszeit unter der Eintagsfliege. Danach gab es noch ein paar kleine Meldungen, wo Facebook-Nutzer auf das Wort „Pizza“ in Zusammenhang mit Korruption reflektierten. Der sozial-mediale Wind ebbte genau so schnell ab wie er aufgekommen war.

Was sagt uns das? Ich versuche eine vorsichtige Interpretation: Die meisten Parteien haben das Internet bzw. Social Media als wichtige Plattform erkannt, wenngleich sie darauf noch etwas unsichere Tanzschritte wagen.
Was sind die Vor- und Nachteile des Mediums?

Die Vorteile:
* Facebook erreicht in kurzer Zeit viele Personen.
* Eine Zielgruppe ist gut ansprechbar, nämlich die der Heavy-User, die jeden Tag mehrfach online sind. Die parallel stattfindende Twitterei ist noch schneller und noch eingeschränkter in der Zielgruppe.
* Die Kreativität erfolgt durch Multiplikation – irgendwem fällt ein halbwegs lustiges, treffendes oder zumindest passendes Zitat ein und irgendwer erzeugt blitzschnell die Bilder.
* Es funktioniert in „Echtzeit“, oder zumindest fast. Neue Meldungen sind binnen Minuten online und werden verbreitet – hier ist Twitter noch schneller, seit der Verlinkung mit Facebook geht es aber auch dort quasi sofort. Das können auch Tageszeitungen nicht leisten und Teletext ist nicht mehr modern.
* Worte, bewegte Bilder, Sinnesvielfalt – nur hören kann man nichts, außer es gibt ein Youtube-Video.
* Emotionalität kann vermittelt werden und wird es auch. Gegenseitige Aufschaukelung verstärkt dies noch.

Die Nachteile:
* Die Zielgruppe ist eingeschränkt, in diesem Fall ist das ein leichter Nachteil für die ÖVP.
* Das Thema kommt und geht auch sehr schnell wieder. Nachhaltigkeit ist fast nicht möglich, ein paar Screenshots in einem Datenarchiv, das ist die ganze Ausbeute. Ein wenig verlängern kann man das noch indem man das lustigste Bild zu seinem Titelbild macht und ein oder zwei Tage behält.
* Um so eine Diskussion samt ihren Pointen zu verstehen muss man von Anfang an dabei sein. Quer einsteigen funktioniert nicht. Die Threads wandern unerbittlich von oben nach unten und je intensiver man Facebook betreibt, umso mehr Freunde haben die meisten. Das macht den Thread noch schneller. Man kann das zwar einschränken, indem man die wichtigen Leute in den Status „enge Freunde“ versetzt, aber das nützt auch nur beschränkt etwas.
* Durch die Schnelligkeit schleichen sich besonders leicht viele Fehler ein. Man teilt ohne zu überprüfen und stellt Behauptungen auf ohne zu recherchieren.
* Emotionalität kann nicht abgearbeitet werden, kurz: es fehlt der echte Streit.
* Die Verfolgung der Themen kostet enorm viel Zeit. Wenn man sich wirklich einklinken will, muss man quasi ständig online sein. Eine Zeitung schlage ich einmal am Tag auf und lese sie. Das funktioniert bei Social Media nicht.

Schwer einzuschätzen ist die tatsächliche Kraft dieser Medien und sie wird auch sehr schwer zu analysieren und somit einzustufen sein. Wie erfährt man, ob sich Menschen dadurch in ihrem Wahlverhalten beeinflussen lassen? Dafür müsste man mehrere Filter durchdringen und ich glaube, dass alle Aussagen hier eher auf Schätzungen beruhen werden. Es könnte eher der Verstärkung der eigenen Meinung dienen und somit ohnehin vorhandene Wählerschaft binden oder vielleicht sogar beeinflussen, doch wählen zu gehen. Das wäre ja schon ein enormer Erfolg, aber auch der ist bisher spekulativ.