Tommy – in der Wiener Stadthalle

Eine kurze Rückschau auf das gestrige Musical von The Who.

Es hat ja schon Tradition bei Heinz, Andreas und mir: gemeinsame The Who-Konzerte, etwa am 1. Mai 97 in der Stadthalle oder im August 2002 in Amstetten – damals auch die Rockoper „Tommy“, die von Pete Townshend 1969 geschrieben wurde.
Ja, es ist eigentlich eine Rockoper und ein Musical. Das dürfte dem Regisseur des gestrigen Spektakels jedoch entgangen sein. Aber alles der Reihe nach.

Die Kartenbestellung

Das lief alles problemlos, bis auf den durchaus geschmalzenen Preis von 78 Euro. Aber alte The-Who-Fans zahlen sowas gerne. Ich hatte meine Karte für Mittwoch bei Andreas mitbestellt und mir den Termin schön fett im Kalender angestrichen. Andreas und Heinz gingen an beiden Tagen, also auch am Donnerstag.
Mittwoch Nachmittag dann der Anruf bei Andreas:
„Du wann treffen wir uns denn heute und wo?“
„Äh, Guido, Du hast eine Karte für Donnerstag.“
„Na sicher ned, ich hab eine für Mittwoch, da bin ich mir 100% sicher.“
„Schau einmal nach.“
„…“
„…“
„Geh leck!“
Also flexibel sein, umdisponieren auf Donnerstag. Ist ja kein Problem für einen alten The-Who-Fan.

Die „neue“ Stadthalle

Mehr oder weniger frisch renoviert, für mich ist kein Unterschied erkennbar. Halle F ist mittelprächtig groß und komplett bestuhlt, mit roten Plüschpolstern. Da kommt bei bestem Willen kein Rockopern-Flair auf. Man sitzt brav in seinem Sessel und sieht sich an, was auf der Bühne passiert.
Meine Gratulation des Tages geht jedoch an den Manager der Gastronomie. Da wir eine Pause hatten, strömten die Gäste hinaus, denn es wurde nicht gesagt, wie lange diese ist. Ein Drittel geht aufs WC, ein weiteres Drittel hinaus rauchen und das dritte Drittel hätte gerne was zu trinken.
Wie es bei den WCs war, weiß ich nicht, aber die Ausschank war eher ein Desaster. Die Buffets rechneten scheinbar nicht damit, dass Gäste kommen würden. Es bildete sich sofort eine lange Schlange mit den üblichen Vordrängern („der blade Franz“ vom Georg Danzer lässt grüßen) und leicht überforderten Kellnern, die es nur mit Mühe schafften, ein Bier zu zapfen. Genau dieses Bier ging ihnen dann auch aus (Fass und Flaschen), und auf meine Frage, ob sie denn nicht mit Gästen gerechnet hätten, bekam ich ein fröhliches „Nein“ zur Antwort.
Wer bitte macht das Management der Gastro in der Stadthalle? Ich hätte auch den Wunsch, dass man bei Beginn der Pause bekannt gibt, wie lange diese dauert. Dann weiß ich, ob Zeit für Bier und WC ist oder ob ich anders disponieren muss.

Die Show

Eine gute Bühnendekoration, die aber ein wenig an die Westside-Story erinnerte. Dieser Eindruck bestätigte sich während der Show, die für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Herumgehupfe hatte (man kann auch „Tanzeinlage“ dazu sagen). Dazu gehörte auch das extrem ausdrucksvolle und stets ein wenig zu kraftvolle Herumgehen auf der Bühne, ein bisschen wir im Balett. Da wäre weniger mehr gewesen. Das ist Musical und nicht Rockoper, das wurde vor 10 Jahren im Amstetten deutlich besser gelöst. Natürlich stellt sich die Frage, was man mit den Leuten auf der Bühne denn sonst tun sollte und man darf es auch nicht am Film messen, denn dort bestehen ganz andere Möglichkeiten.
Ich war trotzdem ein wenig enttäuscht, vor allem weil es nach der Pause abflaute. Dabei hatten sie gute Ideen: Tommy in dreifacher Darstellung war toll, „Fiddle about“ war interessant inszeniert, die Luftschlacht mit kleinen Flugzeugen auf Stangen ein witziger Einfall.
Dann kam Sally Simpson und es kippte ins Kitschige. Aus Tommy und Sally wurde ein Liebespaar gemacht und dafür musste das Lied um das letzte Drittel gekürzt werden („Sally got married to a Rock Musician she met in California“ – das hätte nicht gepasst).
Musikalisch muss ich ein „bemüht“ attestieren. Tommys Mutter hatte eine tolle Stimme, Tommy als Erwachsener wirkte immer an der Grenze seiner Möglichkeiten. Seine Stimme war recht dünn, aber natürlich ist das eine sehr schwere Aufgabe, denn man muss stets gegen das übermächtige Vorbild von Roger Daltrey ankämpfen. Am deutlichsten wurde das bei „I´m free“, das für mich einfach nicht gut gebracht war.

Fazit

Eine fast volle Halle zeigte, dass es gut war, diese Produktion nach Wien zu holen. Engagierte Schauspieler bzw. Tänzer verdienten den Applaus. Für echte Tommy-Fans vielleicht ein bisschen zu wenig originell, sängerisch Durchschnitt. Gut, es gesehen zu haben. Zwei Abende wären für mich aber einer zu viel gewesen.

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Bild 1: Lichtspiele

Warum ich mir kein „Schwimmcenter“ kaufe

Gerade frisch eingetroffen – der neue Sonderangebotsprospekt von SPAR. Und meine speziellen Freunde haben wieder besondere Schmankerln eingekauft und versuchen diese nun zu verscherbeln.

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Bild 1: Werbung

Höhepunkt ist diesmal ein Planschbecken, das sie großzügig „Schwimmcenter“ nennen. Dort gäbe es „Platz für die ganze Familie“. Ich frage mich bloß, wo dieser Platz sein soll. Außerhalb? Oder ist damit gemeint, dass die Familie hintereinander hinein steigt, einer nach dem anderen, wie in der Sixtinischen Kapelle die Reisegruppen?

Ich habe sogar vor kurzem eine gute Doku gesehen, bei der die Entstehung des aufrechten Ganges beim Menschen unter anderem damit erklärt wurde, dass die Menschen seit uralten Zeiten am Wasser leben, das ihnen als Rückzugsgebiet vor Feinden gedient hat (Krokodile und Haie sind hier zwecks Theoriegültigkeit ausgenommen).
Also, meint die Studie, suchen die Menschen immer und überall Plätze nahe dem Wasser oder auch darin. Keine Seite in einem beliebigen Urlaubsprospekt, auf der kein Wasser zu sehen wäre.

Trotzdem, bei diesem Angebot von SPAR stimmt das alles hinten und vorne nicht. Es fängt beim Preis an: 34,90- ist eine Kampfansage, aber man bekommt noch mitgeteilt, dass man 5- Euro gespart hätte („statt empf. Preis des Herstellers von 39,90-). Noch nie auf dieser Welt hat jemand etwas zum empfohlenen Herstellerpreis gekauft. Das ist der Preis für Vollidioten, den kein normaler Mensch bezahlt.

Das Bild der Werbung ist auch irreführend: Wer so einen Garten besitzt, hat auch meist einen riesigen Pool, oder aber gar nichts derart, schon gar nicht dieses Planschbecken.

Die so genannten „Aufbaumaße“ betragen 305cm x 183 cm x 56 cm. Die verwendbaren Innenmaße entsprechen einem langen, aber schmalen Doppelbett. Natürlich kann man da die ganze Familie hineinpacken. Aber dann kann sich keiner mehr rühren. Wer gerne auf Sardine macht, ist mit diesem Ding gut bedient.
Und darin soll jemand „schwimmen“? Wie bitte soll das funktionieren? Unter einem Schwimmcenter stelle ich mir eine Art riesige Halle vor, in der sich ein halbes Dutzend 50-Meter-Bahnen befindet.

Warum rege ich mich darüber eigentlich auf? Ich muss es ja nicht kaufen und wenn jemand Lust auf so ein Sardinenerlebnis hat, dann soll man ihn nicht daran hindern. Aber diese Werbung hinterlässt bei mir eine Botschaft, die mich auch etwas angeht: Wer kein Geld hat, um sich einen echten Traum zu erfüllen (Großer Swimming-Pool, Karibik-Urlaub am Strand etc.), der muss mit Ersatzträumen auskommen. Planschbecken statt Pool. Da ist auch Wasser drin. Es ist Teil unserer Konsumwelt und Zeichen für die derzeitige Entwicklung: Ich will alles und das sofort und billig. Auf der Strecke bleibt die Qualität, das eigentliche Erlebnis. Statt sich von Zeit zu Zeit Luxus zu gönnen (den Sonntagsbraten, den tollen Urlaub), der dann auch tatsächlich als solcher wahrnehmbar ist, versuchen viele Menschen eine Art Dauer-Grundrauschen herzustellen: viel Luxus immer und überall. Das nivelliert letztlich das ganze Leben, der Luxus ist nicht mehr als solcher erkennbar und so versucht man eine Steigerung: noch mehr desselben. Statt 5 Schwarzbrotsorten will man jetzt 20 haben, das symbolisiert gesteigerten Luxus und simuliert gestiegene Wertigkeit der eigenen Person.
Tatsächlich geschieht genau das Gegenteil. Wenn man sich die Leute ansieht, die eng geschlichtet in ihrem bunten Plastik-Planschbecken hocken, Lichtjahre entfernt von jeglicher Art des Schwimmens, die ihnen ja versprochen wurde, dann wird das nur allzu deutlich: Was hier geschieht, ist eine Abwertung des eigenen Lebens: kleine, billige Planschbecken in kleinen Gärten für letztlich kleine Menschen. Gerade mal bei Kleinkindern sieht es nicht peinlich aus.

Was ist die Alternative? Hinaus in die Natur, eine Wanderung bis zu einem See, in dem man wirklich schwimmen kann. Davon gibt es genug in Österreich und das Auto, um dorthin zu kommen, haben auch die meisten. Da geschehen dann Begegnungen, man lernt andere Menschen kennen oder neue Gegenden, entdeckt ein malerisches Fleckerl Heimat oder erlebt sonst etwas – stets mehr als daheim auf der Terrasse im lauwarmen Plastikwasser.

Ein Vespa Tag im April

Was hab ich mich gefreut auf diese Saison: Beide Vespas rennen, nur mehr kosmetische Kleinigkeiten sind zu tun (Vergaser-Feineinstellung, einen Bowdenzug tauschen…) und sonst nur mehr: fahren, fahren, fahren. Die Früchte der letztjährigen Anstrengungen und Verzweiflungen ernten.

Dann kam der letzte Freitag. Ich musste nach Sauerbrunn im Burgenland und ein stabiles Hoch lag über Österreich. Ein perfekter Tag zum Vespa-fahren, warm und sonnig, ohne die geringste Gefahr eingeschauert zu werden. Ich konnte mir die Zeit gut einteilen (ganz wichtig wenn man mit der Vespa wohin fährt) und hoffte, neues Vertrauen in den 200er Motor zu bekommen, nachdem genau dieses letztes Jahr komplett zerstört worden war.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber das zuletzt kommt oft sehr bald. Bei mir auf der Triester Straße. Kurz zum Hintergrund: Der Motor wurde von mir letztes Jahr komplett neu aufgebaut (Nicht-TechnikerInnen können das überlesen: 200er O-Tuning mit aufgemachten Überstömern, optimiertem Auslass, gefrästem Kolben, 60er-Polinist-Welle, Gravedigger-Kopf, ovalisiertem Vergaser und Sip Road Auspuff) und brachte mich schier zur Verzweiflung. Wenn ich auf die andere Seite schaue, dann sehe ich viele schöne Geschichten für das nächste Vespa-Buch. Aber eigentlich wollte ich lieber einen gut funktionierenden Motor. Letzten November bei der letzten Ausfahrt war es dann soweit: ein undichter Zylinderkopf wurde noch einmal abgezogen und sauber aufgesetzt, wenngleich ich mich wunderte, wieso er blasen konnte. Ich hatte ihn schon vorher gut montiert und die Dichtflächen waren plan und sauber. Aber egal – er lief und ich hatte das erste Mal ein gutes Kerzenbild (Wenn man die Zündkerze nach einer flott gefahrenen Strecke rausschraubt, muss die Spitze rehbraun sein, schwarz wäre zu fett, weiß wäre zu mager).

Ich war zufrieden und wusste: ab nächstem Jahr ist alle super.
Bis zur Triester Straße, als ich bei einer Kreuzung vom Gas ging und die Motordrehzahl nicht runter ging. Das ist leider ein Zeichen für „zu mager“ und deutet meist auf Falschluft hin. (schon wieder eine Klammer für die Techniker oder zumindest die Interessierten: Wenn ein Motor „Falschluft zieht“ dann kommt von irgendwo – und genau das ist das Problem: von irgendwo! – Luft ins Gemisch, die da nicht hinkommen sollte. Dann wird das Gemisch magerer und die Verbrennung zu heiß. Das führt gerne und oft zu einem Motorschaden, weil der Kolben am Zylinder anreibt).
Also zittern bis Sauerbrunn und zurück. Das sind 130 Kilometer. Für eine Vespa mit defektem Motor eine lange Strecke. Und für Fahrer wie mich eine Ewigkeit, denn ich habe die unpraktische Eigenschaft, dass ich nicht einfach „pfeif drauf“ sagen und sorglos dahinfahren kann, nach dem Motto: Wenn ich stehen bleibe, dann ist es halt so. Ich achte also ständig auf den Motor, auf die Vibrationen, auf die Geräusche: fängt er an zu klingeln? Kommt ein neues Geräusch dazu, dass darauf hinweist, dass es ihn gleich zerreissen wird? Zwei Finger ständig am Kupplungshebel, um im Notfall sofort auskuppeln zu können (bei einem Kolbenreiber blockiert das Hinterrad, was besonders in Kurven äußerst unangenehm ist, meist erfolgt dann ein Abflug ins Gemüse).
Das mit den Geräuschen ist auch so eine Sache: Eine Vespa besteht vor allem aus Stahlblech, Aluminium, Gummi und ein wenig Plastik. Überall gibt es Verbindungen (geschraubt, geklemmt, gesteckt, geklebt, genietet, geschweißt), die reiben und Geräusche erzeugen. Diese Geräusche ändern sich auch ständig, weil sich die Teile ausleiern oder sonstwie verändern. Dazu kommt noch, dass die Vespa durch ihre Form und Verarbeitung ein einziger großer Resonanzkörper ist und eine der schwierigsten Aufgaben darin besteht, ein bestimmtes Geräusch zu seinem Ursprung hin zu verfolgen. Das kann ewig dauern und tausende Mechaniker und Vespa-Fahrer sind schon unter ihren Fahrzeugen gelegen und haben gerätselt, woher dieses Klappern (in der FAchsprache: Scheiß-Klappern) kommt, das einen fast wahnsinnig macht. Die besonders hinterhältigen Geräusche zeigen sich übrigens nur bei bestimmten Drehzahlen, sind dann aber umso penetranter. Die kann man im Stand nicht simulieren, weil man dazu eine bestimmte Geschwindigkeit fahren muss. Dann wiederum kann man sie aber nicht orten.
An dieser Stelle meiner Ausführungen empfehle ich allen Leserinnen und Lesern, die alte Vespas so schön finden, zugleich aber nicht die notwendige ausgeprägte Leidensbereitschaft haben, vom Kauf einer alten Vespa deutlich Abstand zu nehmen. Glaubt mir: es zahlt sich nicht aus. Entweder ihr seid bereit das lange Jammertal zu durchwandern, oder ihr kauft euch eine moderne Vespa. Die sind auch bei weitem nicht fehlerfrei, aber doch wesentlich weniger anfällig.

Zurück zur Geschichte: Ein herrlicher Frühlingstag und ich scheiß mich an bis über´s Kreuz, 130 km lang. Vor allem macht mich in solchen Fällen fertig, dass ich nicht genau weiß, was los ist und wie sich das auswirken kann. Es gibt nämlich einen ganzen Haufen möglicher Ursachen und die können wieder eine Menge verschiedenster Auswirkungen haben. Ohne genauere Untersuchung lässt sich da überhaupt nichts sagen. Und die wollte ich nicht auf der Triester Straße machen. Also weiterfahren und hoffen. Das ist nicht Freude am Fahren, sondern Stress pur. Also genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich wollte.

Kurz und gut: Ich kam zurück bis Wien. Und irgendwann überfiel auch mich die in solchen Fällen alles gnadenvoll zudeckende Wurschtigkeit, die mit einem Stoßseufzer und ungefähr den folgenden Worten in den Vordergrund drängt: Egal, ich fahr einfach, ich kann jetzt eh nix ändern, es wird schon gut gehen.

Vespafahrer müssen bereit sein, sich dem Schicksal zu ergeben, selbst wenn sie nicht an ein solches glauben. Die Vespa verlangt das einfach und zwingt einen früher oder später dazu, sie klopft dich weich, bis du soweit bist. Sie bringt dich zu einer neuen Einstellung, die letztlich mit feinen Adern all deine Lebensbereiche durchzieht: Es geht immer irgendwie weiter. Zu viel planen nützt nichts, denn es kommt ohnehin anders. Ja, es ist gut und sinnvoll, Werkzeug und Ersatzteile mitzuführen. Aber meistens wird genau das kaputt, was man nicht mit hat. Und dann steht man wo, für unbestimmte Zeit. Das Handy ist übrigens ein Symbol der neuen Zeit, einer neuen Ära, die quasi nach dem Zeitalter der Vespas begann. Damit kann man im Falle einer Panne Hilfe holen. Aber letztlich nützt es auch nicht immer was, denn man braucht die richtige Telefonnummer und ein Netz. Und die angerufene Person muss Zeit haben und einen Kleinbus. In der alten Zeit war es jedoch nicht nur schlechter, auch wenn wir uns das jetzt schon nicht mehr vorstellen können, weil wir uns daran gewöhnt haben, immer und überall anrufen zu können, online zu sein etc.
Ohne Handy ging es auch. Dazu eine kleine Geschichte: Im Frühjahr 1990 musste ich nach Zittau auf eine Interviewtour fahren. Zittau ist eine Stadt ca. so groß wie Wr. Neustadt und liegt in Sachsen, genau am Dreiländereck Tschechien, Deutschland und Polen. Ein halbes Jahr nach der Wende hatte sich in Sachsen noch nicht allzu viel verändert und wir tauchten in tiefes DDR-Feeling ein. Als wir mit unserem Gastgeber am Abend zusammen saßen und die nächsten Tage planen wollten, entspann sich ungefähr folgendes Gespräch:
„Gut, dann rufen wir morgen all deine Bekannten an und machen Interviewtermine aus.“
„Nee, anrufen ist nüscht.“
„Wieso nicht?“
„Die haben alle kein Telefon und ich auch nicht.“
Ich konnte es nicht glauben, bis er mir erklärte, dass es in der DDR nun einmal für private Haushalte kein Telefon gab. Ganz wenige Leute hatten eines im Büro oder in der Firma. Aber auf meine Frage „wie lebt ihr, wie kommuniziert ihr, wie trefft ihr euch?“ hatte er eine gute Antwort. In Zittau gab es sehr viele alte Häuser, deren Haustore nie abgesperrt waren. An jeder Wohnungstür hing ein Block und an einer Schnur ein Bleistift und wenn man gerade vorbei kam, schrieb man eine Nachricht. Oder man machte sich bei einem Treffen einfach das nächste Treffen aus. Man fuhr vorbei, man ließ ausrichten, da und dort wurden Briefe geschickt. Es funktionierte, die Menschen hatten dort und damals auch ein funktionierendes Sozialleben, während wir schon mit Telefon und Anrufbeantworter ausgestattet waren und uns nicht mehr vorstellen konnten, ohne leben zu können.

Die konnten leben, und genau das gilt für die frühen Vespa-Zeiten auch. Damals wurde das Netzwerk nicht vom Mobiltelefon bestimmt, dafür gab es andere Möglichkeiten. Wenn man am Straßenrand mit einem Defekt verendete, dann blieb ein Autofahrer stehen oder ein anderer Vespa-Fahrer. Dann half man sich, wurde mitgenommen oder einer kannte einen anderen, der einen Transporter hatte oder Werkzeug oder sonst was. Es mag das eine Mal länger und das andere Mal kürzer gedauert haben, aber jeder Vespa-Fahrer mit Panne wurde irgendwann aus seiner misslichen Lage befreit. Es ist eine reine Gewöhnungssache, und trotzdem verändert sich die Welt mit der Technik und mit ihr die Kultur.
Manchmal geht mit dem Kulturwandel auch etwas verloren, das wir nicht aufgeben sollten. Die Einstellung der Gelassenheit etwa geht in einer hektischen Zeit zunehmend verloren. Die alten Vespas symbolisieren jedoch genau diese Gelassenheit und zwingen ihre FahrerInnen dazu: Ob man einen Motorschaden hat oder nicht, ist für das Leben nicht wirklich wichtig – außer natürlich man hat einen Unfall, das verändert die Lage natürlich schon. Aber selbst Unfälle haben schon zu wichtigen Veränderungen geführt, die das Leben positiv beeinflussen konnten oder ihm zumindest eine wertvolle Wendung gaben. In meinem ersten Vespa-Buch „Vespa – Was für ein Leben!“ finden sich einige Geschichten über Pannen, die zu spannenden Erlebnissen wurden.

Wieder in Wien kroch ich unter die Vespa und sah das Malheur: Offensichtlich war der Zylinderkopf undicht geworden, es „saftelte“ raus, eine Ölspur war vom Kopf über den Zylinder bis unten hin sichtbar. Wenigstens hatte ich die Ursache für das Problem gefunden, das ist für mich meist schon ein großes Erfolgserlebnis, weil ich dann weiß, was zu tun ist. Meistens zumindest.
Also runter mit dem Kopf und ein wenig wundern, wieso der undicht ist. (zur Erklärung: Vespas haben keine Zylinderkopfdichtung, sondern der Kopf liegt mit einer Dichtfläche auf der Dichtfläche des Zylinders auf. Die Muttern auf den vier Bolzen, die Zylinder und Kopf festhalten, werden über Kreuz mit 18-22 Newtonmetern angezogen, dann ist das dicht wie nur was). Die Muttern hatten sich nicht gelockert und ich hatte für plane Dichtflächen gesorgt. Aber egal – Dichtflächen neu säubern und auf der Glasplatte auf Schmirgelpapier abziehen und wieder montieren – jetzt passt es.

Leider wurde schon bei der Probefahrt klar, dass nichts passte. Der Kopf war immer noch undicht, das Fahren eher mühsam, weil dort, wo Sprit rauskommt, gelangt Luft hinein. Das macht den Motorlauf ungleichmäßig und man kann den Motor nicht ordentlich abstimmen. Sie springt auch zeitweise schlecht an und wird eben zu heiß. Entspanntes Fahren wird unmöglich.

Also diverse Anrufe bei Freunden, was sie denn so vorschlagen würden. Ronny meinte, die Sprengringe würden zu heiß und sollten durch Zahnscheiben ersetzt werden. Wenn auch das nicht hilft, dann solle ich hitzefestes Silikon dünn auf die Dichtfläche auftragen, dann wäre der Kopf auf jeden Fall dicht.

Ich hatte noch genau einen Nachmittag Zeit, um den Kopf dicht zu bekommen, denn am nächsten Tag (Sonntag, 29. April 2012) musste ich zum Seiberer Bergpreis fahren, Gesamtstrecke ca. 250 km, das Ganze bei prognostizierten 30 Grad und mit zwei Bergetappen, die den Motor ordentlich fordern würden. Und für den ersten Mai, also zwei Tage später, war die nächste größere Ausfahrt geplant. Beides Tage, an denen ich nicht ständig auf den Motor achten müssen wollte.

Die Reparatur gelang und am nächsten Tag in der Früh ging es los. Ruhiges Standgas, ein gutes Zeichen. Die Freude währte bis Klosterneuburg, als der Motor bei der ersten Kreuzung nicht mehr ins ruhige Standgas abfiel, sondern oben blieb. Flüche ohne Ende und die Gewissheit, dass ich 250 Kilometer zittern vor mir hatte. Noch dazu musste ich alleine hinaus fahren, weil die Ankündigungsweltmeister wieder einmal nicht zum Treffpunkt erschienen, so wie jedes Jahr. Man gewöhnt sich an alles. Das war auch punkto Motor notwendig, denn ich wusste, dass er an diesem Tag sehr heiß laufen würde, ständig am Rande des motorischen Kreislaufkollaps, giftig im Biss, aber zu mager. Die nahe liegende Lösung, den Motor einfach niedertourig und gemütlich zu fahren, ist leider keine, denn Vespamotoren haben die Eigenschaft, nicht berechenbar zu sein – Italienerinnen eben, abhängig von spontanen Launen. Das bedeutet, dass ein Motor manchmal gerade im niedertourigen Bereich heiß wird. (zur Erklärung: Je nach Drehzahl bekommt der Motor das Gemisch aus verschiedenen Düsen gespeist: Die Luftschraube, die Nebendüse und die Hauptdüse. Dazu gibt es noch weitere Komponenten, die das alles beeinflussen wie etwa der Auspuff, die Wahl der Zündkerze – heißer oder kühler – und die eingestellte Vorzündung. Wenn etwa die Nebendüse zu klein ist, dann läuft der Motor bei Vollgas gut, weil über die Hauptdüse gespeist, wird aber im Teillastbereich zu mager, weil der dort das Gemisch aus der Nebendüse holt.)

Ich konnte mir also nicht sicher sein, welches die richtige Fahrweise ist. Daher musste ich mich daran gewöhnen, nicht dauernd an den Motor zu denken, sondern einfach zu fahren. Das war keine leichte Aufgabe, vor allem an einem strahlend sonnigen Tag, der noch dazu seit sechs Jahren zu meinen Highlights gehört, der Seiberer Bergpreis, auf den freue ich mich den ganzen Winter lang.

Es ging gut bis Weissenkirchen, aber ich wusste: jetzt kommt das Bergrennen, die eigentliche Prüfung. Und es tauchte die Frage auf: Zylinderkopfschrauben nachziehen oder nicht? Das Werkzeug dafür hatte ich mit, aber würde das was bringen? Zu fest anziehen kann den Bolzen ausreissen und dann ist alles vorbei. Andererseits: Wenn der Fehler durch Anziehen der Muttern behoben werden kann, wäre das eine Aussicht, die sehnlichst gewünschte Entspannung herzustellen.

Ich muss noch lernen, in solchen Situationen nicht meine Freunde zu fragen, denn da bekomme ich von vier Freunden mindestens fünf Meinungen.

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Bild 1: Guido ist gerade fertig mit dem Zangeln

Wie auf dem Foto zu sehen, hab ich das Werkzeug ausgepackt und die Muttern nachgezogen. Das Phänomen blieb leider und so wurden es zwei nicht ganz entspannte Läufe und eine Heimfahrt, bei der wir (Gregor und ich) noch extrem starken Gegenwind hatten. Positiv gesehen kann ich sagen: Ich kam bis Wien und der Motor hat das ausgehalten.

Am nächsten Tag dann die Entscheidung: Was mache ich? Wie bekomme ich den Kopf dicht, wenn alle Versuche ausgeschöpft sind? Oder fahre ich bei der Mai-Ausfahrt mit der GS? Schließlich hat man ja zwei Vespas, wenn die eine verreckt, kann man noch die andere benützen, wenngleich das keine entspannte Dauerlösung darstellt.
Der letzte Tipp von Ronny: eventuell ein Haar-Riss im Zylinderkopf. Daher besorgte ich mir einen anderen Kopf (Danke Oliver!) und fuhr zu Christian. Dort entdeckten wir, dass der Kopf ohnehin dicht war. Die Italienerinnen überraschen mich immer wieder, fad wird einem mit denen nicht. Leben im hohen Drehzahlbereich.
Trotzdem: Kopf runter, noch einmal abgezogen, Zentrierhülsen vorsichtig in Stellung gebracht, neu aufgesetzt, zugeschraubt. Vergaserdüsen getauscht und richtig eingestellt.

Dann die Heimfahrt. Über die Hüttelbergstraße hinauf zum Schottenhof, Taxi überholt, Motor dreht gut. Bei der Abfahrt einmal ordentlich ausdrehen, ein guter Hunderter ist drin. Dann kommen die Autos entgegen und blinken mich an, gleich mehrere. Also runter vom Gas und auf die Bremse – gerade noch rechtzeitig, denn unten beim Hanslteich stehen die Sheriffs und haben ihre Laserpistolen gezückt. Den Autofahrer hinter mir winken sie raus. Phuuu, Glück gehabt, denn bei meiner Geschwindigkeit wäre der Führerschein weg gewesen und ein paar Hunderter Strafe gleich noch drauf. So nahe liegen Glück und Leid beim Vespafahren beieinander, oft verschwimmen die Unterschiede. Das Fachwort dafür ist „Thrill“, was so viel bedeutet wie „Angstlust“ und beim Vespafahren eine große Rolle spielt.

Und der Tag war noch nicht zu Ende. Am Abend fuhr ich noch mit der GS nach Klosterneuburg auf einen Entspannungsspritzwein mit dem Bacherl. Auf der Hochstraße spinnt das Abblendlicht, fällt aus, dann auch das Rücklicht. Ich schalte auf Scheißdrauf-Modus und fahre weiter. Licht ist total überbewertet, auch in der Nacht. Wird schon nix passieren.
In Kloburg angekommen wechsle ich das durchgebrannte Rücklicht und entdecke, dass die Birne vorne in Ordnung ist. Also wieder eine neue Baustelle, die Suche nach einem Fehler beginnt von vorne. Aber meine Gelassenheit erlaubt mir drei Spritzer bis die Sonne untergeht. Dann fahre ich mit Standlicht und Rücklicht nach Hause. Irgendwann irgendwo brennt das Rücklicht wieder durch. Wurscht, morgen ist Mai.