Mein Dutzend Gründe für politisches Engagement: 9 – schon wieder Essen

Politik ist die Kunst der Gesellschaft. Menschen leben nur dann friedlich in Gemeinschaften, wenn ihre unterschiedlichen Interessen ausbalanciert werden. Diese Vermittlungstätigkeit nennt man meinem Verständnis nach „Politik“. Sie regelt das Zusammenleben der Menschen.
Ich habe ein Dutzend Gründe gefunden um mich politisch zu engagieren. Heute ist der achte Grund an der Reihe, es geht diesmal um Fisch.

53% der Fischbestände sind am Limit, 30% sind überfischt. Daher stammt ein immer größerer Teil aus Aquakulturen. Diese sind alles andere als umweltfreundlich. Hier ein paar Zahlen aus einer spannenden Doku auf arte („Auf der Suche nach dem glücklichen Fisch“).

25% des weltweiten Fischbestandes landet in der Fischmehlproduktion, am meisten in Peru und Chile. Dort sind auch die riesigen Aquakulturen, die dafür sorgen, dass wir in Europa im Supermarkt den Lachs kaufen, von dem wir glauben, dass er von feschen Fischern in glasklaren Flüssen mittels Fliegenfischen gefangen wurde.
Die Wahrheit sieht leider anders aus.

80% der Makrelenbestände weltweit sind kollabiert oder nahe dran. Die Aquakulturen lösen das Überfischungsproblem nicht, sie verstärken es. Fischmehlerzeugung ist ineffizient, aber sie unterliegt keinerlei Fangbeschränkungen, ganz im Gegenteil zum klassischen Fischfang. Um 1 Kilo Lachs zu bekommen, muss man 6 Kilo Fisch zufüttern.

Die Lachsfarmen bringen das Meer um. Es gibt zu viele und sie bauen so dicht, dass es keinen Wasseraustausch mehr gibt. Die Fische ersticken, das Meer wird zu einer stinkenden Kloake und die hochprofitable Industrie zieht eine Bucht weiter. Ihr geht es ausschließlich um Profitmaximierung, der Schaden an der Umwelt muss von ihr nicht bezahlt werden und erhöht somit den Profit.

Es geht übrigens auch anders. In Frankreich etwa gibt es bio-Fischzucht. Das ist zwar nicht so bio wie ich mir das vorstelle, aber ein deutlicher Unterschied zu Chile. Für 1 Kilo Wolfsbarsch oder Dorade braucht man 1,5 kg Futter, das zu ca. 50% aus Fischmehl besteht, der Rest ist Getreide. Somit entsteht mehr Fisch als Fisch zugefüttert wird. Immerhin, ein deutlicher Fortschritt.
Der eigentliche Trick besteht jedoch darin, dass die Umgebung mit einbezogen wird. Durch die wesentlich geringere Dichte sind die Fische in den Käfigen nicht gestresst. Das Futter, das sie nicht fressen, fällt nach unten und wird dort von wild lebenden Fischschwärmen verwertet. Diese kommen nur, weil das Wasser klar ist und weil sie dort nicht gefischt werden. Dafür sorgen die Züchter und so entsteht eine Win-Win-Situation.
Natürlich wollen die Bio-Züchter auch Geld verdienen, aber sie schauen eben nicht NUR auf den kurzfristigen Profit sondern auch darauf, dass sie an einem Ort lange bleiben können. Das geht nur, wenn man ihn nicht zerstört.

Noch klarer wird der Unterschied, wenn man sich das Marketing ansieht. Im Gegensatz zu Wildfang wissen die Käufer, wo der Fisch herkommt, wann er gefangen wurde und sie können mit gleich bleibender Qualität rechnen. Spitzenköche verändern ihre Vorlieben und kaufen diese Art von Fisch. Daher kann ein Kilo auch 25 Euro kosten. Hier ist endlich auch einmal ein klarer Qualitätsunterschied im Preis erkennbar – um 4 Euro das Kilo kann es einfach keinen Lachs aus nachhaltiger Zucht geben. Diese verwendet übrigens keine Antibiotika und andere Chemikalien, die in der industriellen Fischzucht nicht nur üblich, sondern Teil des Prozesses sind.

Eine weitere Alternative ist die Fischzucht an Land, in so genannten Kreislaufanlagen. Vorteile: Keine Meeresverschmutzung, keine Antibiotika, dafür aber Nachteile wie hohe Energiekosten und nach wie vor der Einsatz von Fischmehl, wenngleich durch Forschungen hier auch schon Bio-Abfälle zum Einsatz kommen, etwa aus der Rapsölproduktion.

Es wird nicht leicht sein, diese Dynamik zu beenden. Meine politische Forderung ist auch hier eine nach Transparenz und Aufklärung. Ich möchte, dass auf der Verpackung erkennbar ist, woher der Fisch kommt, womit er gefüttert wurde, welche und wie viele Medikamente zum Einsatz kamen, die zusätzlichen Chemikalien (Rosa Farbstoff beim Lachs etc.) sowie die Art und Weise des Transports. Dann könnte ich entscheiden, was ich kaufen will und was nicht.

Mein Dutzend Gründe für politisches Engagement: 8 – noch einmal Essen

Politik ist die Kunst der Gesellschaft. Menschen leben nur dann friedlich in Gemeinschaften, wenn ihre unterschiedlichen Interessen ausbalanciert werden. Diese Vermittlungstätigkeit nennt man meinem Verständnis nach „Politik“. Sie regelt das Zusammenleben der Menschen.
Ich habe ein Dutzend Gründe gefunden um mich politisch zu engagieren. Heute ist der achte Grund an der Reihe, es geht noch einmal um´s Essen.

58 Millionen Schweine werden jedes Jahr in Deutschland
Davon landet ca. ein Drittel auf dem Müll (Quelle: 3sat-Doku „Schweine für den Müllcontainer“, von Edgar Verheyen). Ich habe inzwischen verstanden, warum das so ist. Und ich bin damit nicht einverstanden.

Jeden Tag Fleisch am Tisch plus ein niedriges Einkommen – diese Kombination ist für die unfassbaren Schweinezuchtbedingungen verantwortlich. Ich weiß nicht genau, warum es sich in unserer Gesellschaft durchgesetzt hat, dass Menschen darauf bestehen jeden Tag Fleisch essen zu können, auch wenn sie es sich nicht leisten können. Aber vielleicht liegt hier ja die Ursache: Weil Fleisch Jahrhunderte lang Luxus war, den man maximal einmal pro Woche, meist aber noch seltener am Tisch hatte. Und jetzt kann man sich auch mit wenig Geld diesen Luxus leisten. Das riecht nach gesellschaftlichem Aufstieg und der ist in einer hierarchisch strukturierten Gesellschaft immer noch Motivator Nr. 1.

Daher muss das Fleisch billig erzeugt werden. Das führt dazu, dass die Schweinemäster als einziges Kriterium den Preis kennen. „Es geht ausschließlich darum, wie viele Schweine kann ich auf einem Quadratmeter erzeugen“, so ein Fachmann aus Deutschland. Der Quadratmeter muss billig sein, also möglichst maschinell und mit wenig Personalkosten.
Es geht darum die Kosten zu senken und den Profit zu erhöhen. Je billiger das Futter, desto höher der Profit. Je enger die Schweine zusammenstehen oder -liegen, desto höher der Profit. Je weniger Ausfälle, desto höher der Profit. Daher müssen entsprechend viele und starke Pharmazeutika und Chemikalien zum Einsatz kommen.

Das Endprodukt muss weder schadstofffrei sein noch gut schmecken. Der Geschmack wurde den KonsumentInnen inzwischen abtrainiert.

Ist das alles legal? Dürfen die Schweine auf Betonspaltboden in ihrem eigenen Dreck stehen, ohne Möglichkeit sich zu bewegen? Da sie sensible und reinliche Tiere sind, leben sie in offensichtlicher Qual. Wenn man ein solches Schwein auf eine Wiese lässt, fängt es sofort mit seinem natürlichen Verhalten an. Das zeigt, dass sich die Tiere an ihr Dasein in der Massentierhaltung nicht gewöhnen können. Sie haben also die Hölle von der Geburt bis zum Tod.

Ist das alles legal? Nur fünf Prozent aller Betriebe werden in Deutschland kontrolliert. Die Strafen, wenn man bei besonders übler Haltung erwischt wird, sind minimal. Es wird also vom System nicht nur akzeptiert, sondern sogar gefördert, denn ein Gesetz ist nur dann gültig, wenn es überwacht wird. Ansonsten gilt einzig und allein das Gesetz, das immer überwacht wird: das der Profitmaximierung. Hier ist der „freie Markt“ die Kontrollinstanz. Ihr gegenüber steht die Gesetzesinstanz. Wenn nun zweitere versagt, etwa weil sie durch politisches Lobbying seitens der Schweineindustrie kein Geld für Kontrollen hat, gilt nur mehr das Gesetz des Marktes, und der kennt keine Qualitätskriterien, wenn nicht der Konsument sie selbst hat.

Wer in den Supermarkt geht, sieht die Menschen auschließlich auf den Preis schauen. Ganz abgesehen davon, dass man die Qualität von Schweinefleisch in der heutigen Verpackungsform nicht erkennen kann, ist sie den meisten Menschen komplett egal. Das ist zumindest meine Erfahrung. Bier bitte ohne Biergeschmack, Fisch darf nicht nach Fisch riechen und schon gar nicht danach schmecken (daher Pangasius), Chili bitte mild, also ohne Chili – da wundert es mich nicht, dass auch beim Schweinefleisch der Geschmack vollkommen egal ist.

Es geht auch anders. Schweine können artgerecht gehalten werden. Dann ist aus meiner Sicht gegen Fleischkonsum nichts einzuwenden, denn wir alle würden – wieder – zu Großteilsvegetariern, denn ordentlich gehaltene Schweine leistet man sich dann eben nur als Sonntagsbraten. Der würde dann auch wieder ganz anders schmecken.

Was ich bis jetzt nicht herausfinden konnte: Was kostet solch ein Schweinefleisch tatsächlich und wie kann ich es erkennen? Ich kenne leider keinen Bauern, der seine Schweine artgerecht hält und von dem ich das kostbare und köstliche Fleisch bekommen könnte. Das liegt auch daran, dass Bauern heute mit speziellen Verordnungen daran gehindert werden selbst zu schlachten. Die Industrie hat mit eigenen Gesetzen dafür gesorgt, dass es kleine Bauern schwer haben oder es für sie sogar unmöglich ist, selbst Schweine in hoher Qualität zu züchten.
Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass es keine glaubhaften Gütesiegel gibt. „Bio“ kann jeder drauf schreiben. Selbst wenn er nicht bio macht, bei fehlenden Kontrollen und geringen Strafen ist das Risiko vernachlässigbar.

Dazu ein paar Fakten: In Deutschland (und in Ö wird das nicht viel anders sein) gibt es seit 2006 eine Überproduktion (derzeit etwa 115%). Dadurch sank der Preis, die Futtermittel wurden aber teurer. Das zwingt in die Rationalisierung, um bei schlechteren Verkaufspreisen den gleichen oder überhaupt einen Profit machen zu können. Das bedeutet:
– noch mehr Schweine auf weniger Platz
– schlechtere Bedingungen weil keine Investitionen
– sinkende Qualität
– Drang zu expandieren

44 % der Viehzüchter mussten in den letzten zehn Jahren zusperren, denn eine Schweinemast dauert ca. 120 Tage und bringt dem Bauern pro Schwein zwischen 5 und 10 Euro Gewinn. Wer kann sich da einen neuen Stall bauen oder teures und besseres Futtermittel kaufen?
Übrigens kann ein Schweinemäster auch sonst von 5 bis 10 Euro nicht leben. Das geht nur mittels Förderungen, Subventionen und Ausgleichszahlungen. Diese zahlen wir KonsumentInnen über den Umweg der Steuern.
Das bringt die perverse Situation, dass wir ständig mehr zahlen um immer schlechtere Qualität zu bekommen. Gut, dafür sinken wenigstens die Fleischpreise.
Und die Bauern und Viehzüchter werden von diesen Zahlungen abhängig und damit Spielball der Interessen starker Industrielobbys.

Was passiert mit dem Überangebot? Erstens gibt es großzügige Exportförderungen und zweitens wird es entsorgt. Das passiert normalerweise nicht beim Schweinezüchter, sondern
1.) im Handel
2.) in Kantinen und Restaurants, besonders durch Buffets
3.) in privaten Haushalten

In letzter Zeit werden auch mehr Schweine direkt beim Züchter entsorgt, weil die schlechten Bedingungen zu erhöhten Ausfällen führen. In Deutschland werden jedes Jahr 20 Millionen Schweine gezüchtet, die nicht gegessen werden.
Wir zahlen also dafür, dass industrielle Schweinezüchter Produkte erzeugen, die wir zu einem Drittel wegwerfen.

Was wäre die Lösung des Problems?
Eine Idee besteht darin, die Art der Schweinezucht zu kennzeichnen. Dann könnten die KonsumentInnen sich beim Kauf entscheiden, was derzeit nicht möglich ist. Davor hat die Industrie Angst, denn sie weiß nicht, wie sich das auswirken würde. Und da die Industrie der Politik sagt, was Sache ist, wird es so eine Kennzeichnung nicht geben.

Ich bin daher für eine Aufhebung der Agrarsubventionen und somit für einen freien, transparenten Markt, in dem die KonsumentInnen das Recht haben Informationen über die von ihnen gekauften Produkte zu bekommen.

Mein Dutzend Gründe für politisches Engagement: 7 – TTIP

Politik ist die Kunst der Gesellschaft. Menschen leben nur dann friedlich in Gemeinschaften, wenn ihre unterschiedlichen Interessen ausbalanciert werden. Diese Vermittlungstätigkeit nennt man meinem Verständnis nach „Politik“. Sie regelt das Zusammenleben der Menschen.
Ich habe ein Dutzend Gründe gefunden um mich politisch zu engagieren. Heute ist der siebente Grund an der Reihe, es geht um Transatlantische Freihandelsabkommen.

Bisher haben alle Freihandelsabkommen, von denen ich gehört oder gelesen oder deren Auswirkungen ich gespürt habe, dem Vorteil einiger weniger und dem Nachteil vieler gedient. Sie kamen aufgrund bestimmter Interessen meist gieriger Konzerne zustande und wurden durch gezielten Lobbyismus eingefädelt und abgesegnet.

Aber vielleicht ist es diesmal anders.
Könnte ja sein. Warum nicht? Ich halte Menschen für lernfähig und vielleicht dient das TTIP ja wirklich dem Gemeinwohl.

Also sehe ich mir an, was da drin steckt.
Es geht erstens darum, dass internationale Konzerne die Nachteile, die ihnen durch eine Gesetzesänderung auf nationaler Ebene entstehen, einklagen können. Es könnte also etwa passieren, dass ein Staat einen Grenzwert in einem Umweltgesetz festlegt und dann nach einiger Zeit ändert, z.B. weil Studien belegen, dass der ursprüngliche Grenzwert gefährliche Krankheiten auslöst.
Dann könnte ein Konzern ein bestimmtes Produkt in diesem Land nicht länger verkaufen und den dadurch entstandenen Gewinnentgang einklagen. Da die Konzerne ausschließlich auf den eigenen Profit schauen, müssen ihnen die Krankheitsrisiken komplett egal sein, denn diese dienen ja niemals der Steigerung ihres Profits.
Diese Klage soll bei einem internationalen Schiedsgericht eingebracht werden, denn nationale Gerichte könnten sich nach nationalem Recht (basierend auf nationalen Interessen der Staatsbürger) richten und genau das soll nicht passieren.
Hier tauchen die ersten spannenden Fragen auf: Wer sitzt in diesen Gerichten? Und wie wird sicher gestellt, dass die dort dienenden Richter nicht nur zum Wohl internationaler Konzerne bzw. zur Steigerung ihrer Profite arbeiten?
Auf welcher Rechtsbasis können sie auch gegen die Konzerne entscheiden? Da die Konzerne ausschließlich auf den eigenen Profit schauen (das ist der Zweck ihrer Tätigkeit), müssen ihnen die Krankheitsrisiken komplett egal sein, denn diese dienen ja niemals der Steigerung ihres Profits.

Details darüber lassen sich in Robert Misiks Ausführungen lesen:
http://www.misik.at/sonstige/warum-freihandel-gut-das-ttip-abkommen-aber-dennoch-fragwurdig-ist.php

Das Ziel ist „nicht handelspolitische Handelshindernisse“ zu beseitigen. Was bitte soll das sein? Ich habe den dringenden Verdacht, dass damit die „Interessen der Bürger“ gemeint sind. Wenn etwa ein Konzern gentechnisch verändertes Soja in Europa verkaufen will, dann sind die Interessen der Menschen, die davor Angst haben, ein solches „nicht handelspolitisches Handelshindernis“ und können mittels eines Schiedsgerichts für irrelevant erklärt werden. Da das gentechnisch veränderte Soja laut unserem Lebensmittelgesetz auch nicht als solches deklariert werden muss, sind die Menschen gezwungen es zu kaufen und zu essen. Außer sie verzichten in Zukunft generell auf Nahrung, denn das gilt dann natürlich auch für Palmöl (wo ist das genau überall drin?) und für Mais und für Weizen und für Milch und Fleisch und Reis und auch sonst alles.

Somit bekommt „Freihandelsabkommen“ eine neue Bedeutung, es ist ein „Abkommen zur Entmündigung der Bürger“, da diese mit ihren Interessen die Profitgarantie der internationalen Konzerne verhindern könnten.
Es ist somit ein Abkommen gegen den freien Markt, denn in einem solchen haben alle Teilnehmer die Freiheit mitzubestimmen, auch die KonsumentInnen. Sie können sich aussuchen, was sie kaufen und was nicht.
Wenn das unterbunden wird, so empfinde zumindest ich das als Gegenteil eines freien Marktes. Und das gefällt mir nicht. Ich fordere daher die Balance der Interessen aller MarktteilnehmerInnen.
Nur wenn diese im TTIP als oberstes Prinzip festgeschrieben sind, bin ich für ein solches Abkommen.

Warum der Tolino leider nicht so toll ist

Der „Tolino“ ist ein Reader, also ein elektronisches Buchlesegerät. Ich habe ihn geschenkt bekommen und natürlich sofort ausprobiert. Anlass war der Science-Fiction-Roman „Picknick am Wegesrand“, den ich vom edlen Spender des Tolino empfohlen und auch digital geschickt bekam, als pdf-Datei.
Also begann ich ihn zu lesen, bei mir am großen Bildschirm daheim. Das ist jedoch stressig und nicht die Art, wie ich Bücher lesen möchte. Es macht mich müde, andere Dinge lenken ab und ich kann mich nicht gut konzentrieren. Außerdem bekomme ich immer so eine Hektik und möchte die Datei ganz schnell gelesen haben, eigentlich nur überfliegen, wie eine lange Email, die mich nervt.
Keine guten Voraussetzungen für ein entspanntes Leseerlebnis und nachdem ich Gerhard angeraunzt hatte, bekam ich den Tolino. An dieser Stelle Dank dem edlen Spender!

Der Tolino ist das Lesegerät von Thalia. Und das bringt mich auch schon zum ersten meiner Rezessionspunkte:

1.) Die Zwangsbeglückung
Wenn man den Tolino startet, nachdem man den Akku entsprechend aufgeladen hat, wird man zart, aber konsequent dazu gebracht sich bei thalia.at im Shop anzumelden. Dort kann man dann all die schönen Bücher kaufen, die man eigentlich noch nie lesen wollte. Und noch ein paar mehr. Wenn man das eigentlich nicht will, kann man etwas versteckt auch den Hinweis finden, dass man das Gerät an den Computer anstecken und als „externe Festplatte“ benützen kann.
Wer sich nicht gut auskennt, lässt das lieber. Wer sich schon besser auskennt, versteht, dass dann auch Dateien (wie etwa mein pdf mit dem SF-Roman) auf den Tolino hinaufladbar sein müssten.
Sofern der Tolino mit Apple-Computern kommunizieren kann.

Also, er kann es. Daher lassen sich pdf-Dateien draufladen und auch verwenden. So weit, so gut.
Ein paar Dateien, also Bücher, sind auch schon drauf, was ganz nett ist, wenn man diese lesen will. Eines ist etwa „Max und Moritz“, samt Bildern. Aber der Thalia-Shop ist immer in Griffweite und ruft leise „meld mich an“ oder „kauf was“.
Die Internetverbindung läuft übrigens über WLAN und wer das nicht hat, hat Pech und sollte sich normale Bücher kaufen.

2.) Die Technik, also die Hardware
Auf den ersten Blick ganz nett. Die Oberfläche des Gehäuses ist ausgesprochen griffig und wirkt hochwertig. Der Bildschirm ist mit einer Schutzfolie bedeckt (bei mir ist sie immer noch oben) und das Gerät passt in eine Hand – zumindest in meine, und ich habe ziemlich große Hände.
Er ist nicht sehr schnell, der Aufbau des LCD-Bildschirms (ich weiß nicht, ob es so einer ist, aber er sieht wie so einer aus) dauert immer ein wenig, auf jeden Fall länger als es dauert eine Buchseite umzublättern. Das ist nur ganz wenig kürzer, summiert sich aber.
Der Bildschirm ist schwarz-weiß. Damit kann man keine farbigen Abbildungen sehen, was mich bisher nicht gestört hat. Es macht aber den Vorteil zunichte, den man etwa bei meinen Vespa-Büchern durch den Tolino hätte, denn in meinen Büchern sind die Bilder auch nur schwarz-weiß und wer sie in Farbe will, muss auf meine Website gehen, wo sie zu finden sind.
Am Reader könnte man sie gleich in Farbe haben. Nur halt nicht am Tolino.
Die Batterie hält angeblich ewig, bevor man sie aufladen muss. Meine war nach ca. 5 Stunden auf 50% und ich habe noch nicht ausprobiert, wie lange die restlichen 50% halten. Ich war auch nur wenige Minuten im Internet, die Akkukraft wurde also durch ganz normales Lesen verbraucht.
Wenn sich das nicht um eine Zehnerpotenz bessert (und warum sollte es das plötzlich tun?) wäre der Tolino für einen Urlaub nicht wirklich brauchbar, denn genau das ist eigentlich der Witz eines Readers, dass er nicht an jeder Ecke eine Steckdose braucht.

3.) Die Bedienbarkeit, also die Software
Es gibt nur einen Knopf, mit dem kommt man auf die Startseite. Das ist okay. Und man kann auf den Bildschirm tippen, was leider nicht so leicht geht wie auf einem iPhone, sondern irgendwie schwerer. Das muss nicht schlecht sein, ist aber gewöhnungsbedürftig.
Das Umblättern hat – wie schon gesagt – eine Verzögerungssekunde eingebaut. Das ist nicht ganz so super, weil das hätte ich gerne schneller. Der Tolino braucht immer etwas, bis er die nächste Seite am Bildschirm aufbaut und scharf stellt. Das nervt, weil es in der heutigen Zeit nicht sein müsste, schon gar nicht bei einem schwarz-weiß Bildschirm.
Nach einiger Zeit schaltet der Bildschirm in den Ruhezustand. Dann erscheint ein Smiley am Bildschirm und meint „Psst… Tolino schläft!“ Um ihn wieder aufzuwecken, muss man einen winzigen Schalter links oben einmal ziehen, dann ist er wieder einsatzbereit. Das schont die Batterie und ist prinzipiell nicht schlecht, man kann auch die Zeit einstellen, bis er sich ausschaltet.
Eine echte Bedienungsanleitung gibt es leider nicht, nur eine Kurzeinführung. Den Rest muss man sich irgendwie erarbeiten. Wahrscheinlich gibt es irgendwo im INternet eine ausführliche Version, aber auf die Idee, diese auf den Tolino schon vorzuinstallieren, ist scheinbar noch niemand gekommen.

Kommen wir zum wichtigsten Punkt, der Lesbarkeit.
Hier ist sicher der größte Kritikpunkt anzubringen. Das File mit dem „Picknick am Wegesrand“ lässt sich zwar problemlos abspielen, die Größe der Darstellung lässt sich jedoch nur in Schritten und nicht stufenlos verstellen. Das bedeutet, dass bei einer Größe die Schrift so klein ist (siehe Bild 1), dass ich sie auch bei bestem Willen nicht lesen kann oder sehr bald die Augen weh tun. Wenn ich eine Stufe größer gehe (siehe Bild 2), habe ich nur mehr einen Ausschnitt der Seite im Bild. Scrollen? Geht nicht. Also, es geht schon, aber nach drei bis vier Seiten bist Du ein nervliches Wrack und wünscht dir nichts sehnlicher als ein echtes Buch.

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Der Bildschirm ist zu klein zum Leben und zu groß zum Sterben, zumindest für mich. Das Gewicht wäre okay, er ist echt leicht und handlich. Aber der Bildschirm misst 90 x 122 mm und ist somit deutlich kleiner als A6 (100 x 150).
Bei anderen Reader-Formaten kann man mehr skalieren. Die als Teaser aufgespielten Bücher können so etwas. Da kann man die Schriftgröße in kleineren Stufen verstellen, denn die Seiten sind nicht, wie beim pdf-Format, fix, sondern variabel. Das ist viel besser lesbar, aber jetzt gibt es keine Seiten mehr, zu denen man zurückblättern kann und auch keine Seitennummerierungen. Insofern erkauft man sich den Vorteil wieder durch einen Nachteil. Und man braucht dieses spezielle Format für den Reader (keine Ahnung wie das heißt).

4.) Die Haltbarkeit
Wie lange hält der eingebaute und verschweißte Akku? Das ist das ganz große Problem vieler moderner Geräte, bei denen man die Akkus nicht mehr herausnehmen und somit auch nicht tauschen kann. Die Hardware wird zur Wegware, also zur Wegwerfware. Wie lange hält er wirklich? Ein Jahr? Oder gar zehn Jahre? Und ist er dann mit den neuen Computern noch kompatibel, sprich: gibt es die normalen USB-Schnittstellen noch?
Der Umweltfreundlichkeitsaspekt ist auf jeden Fall ein dickes Minus, wobei man sich eventuell den Druck vieler Bücher spart, das könnte man in die Bewertung mit einbeziehen.
Dafür bleibt Elektronikschrott übrig, wenn der Tolino kaputt geht oder nicht mehr gebraucht wird. Ich bezweifle, dass man ihn wie ein Buch weiterschenken kann. Er ist auch nicht lagerfähig, denn das macht die Batterie nur eine Zeit lang mit, dann ist sie irgendwann tiefentladen und das ganze Gerät Schrott.

5.) Fazit
Ich bleibe beim Buch. Es ist nämlich auch das Weiterblättern um zehn, zwanzig oder hundert Seiten zwar möglich, aber extrem mühsam und genauso ist es mit dem Zurückblättern.
Ich werde bestimmte pdf aufspielen und dann mitnehmen, um sie für den Fall der Fälle dabei zu haben. Also zumindest habe ich vor das zu tun. Bücher werde ich auch darauf lesen, aber nur in Ausnahmefällen.
Und ich weiß jetzt, warum die Zahl der verkauften Reader in USA bereits wieder deutlich zurück geht.

Eine Studie zeigt jedoch, dass die Akzeptanz der E-Reader in USA ca. 10x so hoch ist wie bei uns. In Deutschland beträgt sie ca. 2 Prozent. Interessant ist die Erkenntnis, dass Menschen auf E-Readern schneller und effektiver lesen (siehe: bild der wissenschaft, August 2014) und die Inhalte besser aufnehmen als von gedruckten Büchern. Das stimmt mich nachdenklich, weil auch hier ein für mich sehr negativer Trend noch verstärkt wird. Ein Buch zu lesen bedeutete bis jetzt Entspannung, sich Zeit nehmen, vielleicht in eine gemütliche Ecke zurückziehen zu können. „Ich nehme mir zwei bis drei Bücher in den Urlaub mit, die ich eh schon lange lesen wollte und freue mich sehr darauf“ meinen zahlreiche Freunde des öfteren. Das gute Buch steht für die Welt der Entschleunigung, wo es nicht nur um Effizienz geht – möglichst schnell möglichst viel.
E-Reader bewirken genau das: Ich speichere mir hundert oder tausend Bücher darauf ab, viele davon vielleicht vorher bezahlt. Selbst wenn sie einzeln billiger sind, gebe ich dann letztlich doch mehr Geld aus. Bekomme ich dafür auch mehr Wert? Kann ich all diese hundert Bücher im Urlaub lesen, oder macht mir das genau den Stress, den ich eigentlich vermeiden wollte? Wie effizient muss ich dann lesen, um statt den üblichen zwei Büchern jetzt fünf oder gar zehn zu schaffen? Das ist ein Leistungsstress und vielleicht sagt mir dann ein guter Freund, dass er im Urlaub um zwei Bücher mehr geschafft hat als ich. Dann bekomme ich noch einen Post-Urlaubsstress dazu.
Welches Buch lese ich zuerst? Oder lese ich in viele hinein und entscheide mich dann? In der Studie wird auch erklärt, dass Wissenschafter daran arbeiten, uns die E-Reader noch schmackhafter zu machen, indem sie selbständig Erklärungen und Übersetzungen einblenden können, etwa wenn wir etwas nicht verstehen. Eine Kamera folgt unseren Augen (im Auto gibt es das ja schon, um Müdigkeit rechtzeitig zu erkennen) und registriert, wenn die Aufmerksamkeit nachlässt. Vielleicht gibt es dann automatisch eine Adrenalinspritze, damit wir wieder voll leistungsfähig sind. Das gemütliche Einschlafen mit einem Buch am Bauch können wir uns dann auf denselben pinseln, ganz abgesehen davon, dass durch die dann notwendige ständige Internetverbindung irgendjemand ganz nach Belieben jederzeit weiß, wo wir gerade sind und in welchem körperlichen Zustand.
Wenn ich in einem Buch etwas nicht verstanden habe, bekam ich Lust zu recherchieren. Vielleicht habe ich zurück geblättert oder mir ein anderes Buch gesucht, in dem ich eine Erklärung finden konnte. Nicht selten wurde meine Neugier geweckt und ich habe zu forschen begonnen. Das alles würde der Vergangenheit angehören und das wäre schlicht und einfach schade.
Ich werde diese Entwicklung nicht mitmachen. Glücklicherweise gibt es so viele gedruckte Bücher auf dieser Welt, dass ich keine Angst haben muss, in diesem Leben auf einen E-Reader angewiesen zu sein.

Bisher wollte leider noch niemand meinen Tolino haben. Er schlummert friedlich vor sich hin. Vielleicht lade ich seine Batterie demnächst auf.