Was für ein April-Tag!

Schon in der Früh strahlender Sonnenschein, aber eiskalt – zumindest im Vergleich zu vorgestern. Dazwischen Wolken, wieder Sonne – so muss der April sein.
Heute ist der große Tag, ich möchte die von mir fertig zusammen gebaute Vespa Rally an ihren Besitzer, meinen lieben Freund Cody, nach Klosterneuburg liefern, damit er sie anmelden und danach zweitaktenderweise Ostern erleben kann.

Vor ein paar Tagen war mir der frisch restaurierte Motor kaputt geworden (Schwungrad abgedreht, Keil abgerissen, tiefe Riefen im Kurbelwellenkonus plus tiefem Seufzer meinerseits) und die Ablieferung des Fahrzeugs war in weite Ferne gerückt. Motor zerlegen, neue Kurbelwelle bestellen, alles tauschen und wieder zusammenbauen, noch dazu mit einem kaputten Schwungrad, für das es keinen Ersatz gibt (Rally 200 mit Femsatronic).
Also setzte ich alles auf eine Karte und diskutierte mit zwei guten Freunden, die glücklicherweise auch Vespa-Spezialisten sind (Danke Ronny und Christian B.) die Möglichkeit der Reparatur. Ja, das könne durchaus funktionieren, meinten sie, nur müsse man den zerrieften Schwungradkonus perfekt auf den Kurbelwellenkonus (ebenfalls zerrieft) einschleifen.
Auf dem Bild sieht man die zerriefte Kurbelwelle:

keil

Ich hatte so etwas schon früher gemacht und besitze seit dieser Zeit drei Tuben mit Ventilschleifpaste (grob, fein und ganz fein). Bei so viel Riefen wäre das allerdings ein heikles und vor allem sehr langwieriges Verfahren, weil man muss das Schwungrad mit der Schleifpaste einschmieren und dann auf den Kurbelwellenkonus aufsetzen. Danach so lange drehen, bis sich die beiden Teile aufeinander einschleifen und nach dem Anziehen bombenfest sitzen. Dann kann sich das Schwungrad nicht mehr auf der Kurbelwelle verdrehen und auch nicht mehr den Zentrierkeil abreissen.

Nur, wie mache ich das? Stundenlanges Drehen mit der Hand ist erstens eine blöde Hacke, zweitens sehr mühsam und drittens ist ja nicht klar, ob das funktionieren wird. Also muss ich etwas erfinden, um das Schwungrad schnell auf der Welle drehen zu können, eine Art Aufsatz für die Bohrmaschine.
Diesen baute ich mir aus einer dicken, zurecht geschnittenen Metallplatte, vier Schrauben, einigen Muttern und Beilagscheiben sowie einer dicken 12er-Inbusschraube, zum Ansetzen mit der Bohrmaschine.
Die folgenden Bilder zeigen dieses Gerät:

platte unten

platte

platte auf schwungscheibe

Von der Aktion habe ich auch ein YouTube-Video gemacht, das man unter folgendem Link ansehen kann:

Nun stiegen die Chancen beträchtlich, den Motor, ohne ihn zu zerlegen, wieder instand setzen zu können. Die erste Probefahrt würde zeigen, ob das Schwungrad hält. Dazu gibt es verschiedene Theorien:
1.) Wenn sie die ersten Kicks aushält, hält sie ewig (die Schwungscheibe nämlich)
2.) Wenn sie eine Zeit lang Vollgas aushält, steigt die Chance, dass sie hält.
3.) Die Rally hat einen schweren Schwung. Wenn man Vollgas fährt und dann abrupt vom Gas geht und es durch den Schwung die Scheibe nicht abdreht, hält sie.
4.) Nix genaues kann man nicht sagen. Das kann 100 Meter halten oder 100 Jahre.

Das sind Aussichten! Vor allem hält die ganze Geschichte jede Menge spannende Momente bereit: Ein hässliches, kreischend-krachendes Geräusch beim ersten Kick bedeutet wochenlanges Warten, viel unangenehme Arbeit, die Unsicherheit, ob wir überhaupt eine intakte Schwungscheibe finden und auf jeden Fall wird die Sache dann richtig teuer.
Leichtes Schwitzen beim ersten Kick. Springt an. Vorsichtiges Hochdrehen des Motors. Hält. Eine erste Proberunde, nur um den Block, dann kann ich sie im Notfall zurückschieben. Hält. Die Stimmung steigt. Jetzt muss sie nur noch eine längere Probefahrt aushalten, so knappe zehn Kilometer, und ich könnte sie fertig stellen und dem Cody abliefern.
Ich mache diese Probefahrten immer hinauf zum Salettl Pavillon. Das ist quasi der höchste Punkt und ich kann sie im Falle des Verreckens fast bis zu mir hinunterrollen lassen, mit nur wenigen und kurzen geraden Stücken dazwischen. Das hat sich schon ein paar Mal bewährt.
Wenn ich dann noch mutig bin, fahre ich bis zur Krottenbachstraße hinunter und bis zum Kreisverkehr nach Neustift.

Diesmal war ich mutig und kam auch problemlos bis zum Kreisverkehr. Danach blieb ich kurz am Straßenrand stehen um den Leerlauf und den Motorlauf generell ohne Helm besser hören zu können.
Auch da schien alles in Ordnung. Bis ich den fehlenden Hupknopf bemerkte. Shit! Doppelshit, eigentlich noch mehr Shit, aller Shit dieser Welt! Plötzliche Stimmungsschwankung, härter und schneller als jeder Lastwechsel.

Was war passiert? Dazu muss man die Vorgeschichte kennen. Die österreichischen Vespa-Modelle der Siebzigerjahre hatten am linken Drehgriff einen eigens für sie eingebauten Knopf, der als Lichthupe funktionierte. Kein Vespafahrer hat diesen jemals betätigt, denn zu dieser Zeit hatten alle Vespas eine 6-Volt-Lichtanlage und das entspricht von der Wirkung einer tapferen Kerze. Hier eine Lichthupe zu konstruieren war komplett sinnlos, musste aber aufgrund irgend einer bürokratischen Kraftfahrgesetzordnung gemacht werden. Nur für Österreich.
Dieser Knopf wurde daher nie nachgebaut und ist seit den frühen Achtzigerjahren außer Produktion. Und es gab ihn sowieso nie in hoher Stückzahl. Daher ist er seit mehr als dreißig Jahren schwer zu bekommen. Genau genommen bekommt man ihn gar nicht, er ist seltener als die blaue Mauritius. Wer noch einen hat, gibt ihn nicht her.

hupknopf

Und ich hatte ihn verloren.

Das kam daher, weil beim Ausbau die verchromte Kappe zwei Risse bekommen hatte und er daher nur lose oben saß. Der Knopf darunter hat eigentlich einen Stift, der ihn auf der Unterkonstruktion festhält. Diesen gab es auch seit dem Ausbau nicht mehr und als ich ihn für den Zusammenbau suchte, musste ich halt eine Eigenkonstruktion bauen um ihn zu ersetzen. Die hatte naturgemäß keinen Haltesplint und so hielt nur die Kappe den Knopf. Und daher war jetzt nicht nur die Kappe weg, sondern auch der Knopf.
Irgendwie nicht mein Tag, oder eigentlich doch, weil der klaglos funktionierende Motor war natürlich wichtiger und für die Hupe würde mir schon was einfallen.

Dann kam der nächste Tag, sozusagen der große Tag der Abgabe. Ich musste zuerst ins Rollerkabinett um dort einen Hupknopf aus einer anderen Rally auszuborgen, damit ich beim Pickerl die Hupe vorführen konnte. Dann die Probenummer montieren und nach Klosterneuburg zum Pickerl fahren. Danach, wenn alles klappte, könnte ich das Fahrzeug seinem Besitzer geben. Ein großer Moment stand bevor. Hoffentlich.

Da sich die Sache mit der Probenummer verzögerte, beschloss ich eine kleine Radtour, nämlich entlang der Route, die ich am Vortag mit der Vespa gefahren war, um vielleicht den Hupknopf zu finden. Die Chance darauf war extrem gering, denn bei flotter Fahrt müsste der Knopf sieben Mal aufgepeppelt sein und daher irgendwo liegen, bis zu mehreren Metern seitlich irgendwo in der Botanik oder unter einem der zahlreichen Autos, die da überall geparkt sind.
Egal, ich hatte Zeit und fuhr los, und zwar so langsam wie ich noch nie radgefahren war. Zu finden war der Hupknopf, der Kontaktbalken, die winzige Feder und vor allem die verchromte Kappe. Die Unterkonstruktion könnte man nachbauen oder irgend einen anderen Knopf kaufen und adaptieren, aber die Kappe war einzigartig.

Ich fuhr die gesamte Tour ab und fand nichts, gar nichts. Ich weiß dafür jetzt, wie viele Zigarettenpackungen und vor allem wie viele Alu-Folien von Zigarettenpackungen die Leute beim Autofahren einfach aus dem Fenster schmeißen. Die Alufolien schauen nämlich manchmal aus wie so ein verchromter Knopf, vor allem aus der hoffnungsfrohen Entfernung. Die Runde war somit voll von Enttäuschungen, so alle 200 Meter eine, quasi eine „tour de désillusion“.

Kurz bevor ich bei meinem Häuserblock war, fand ich sie, die verchromte Kappe.

kappe

Von einem Auto plattgewalzt. Was für ein Tagesbeginn!
Dann wurde es besser, denn ich schaffte die Fahrt bis Klosterneuburg problemlos und alles an der Vespa funktionierte. Beim ÖAMTC sind sie stets freundlich, ich musste jedoch den Cody anrufen und bitten, kurz am Stützpunkt vorbei zu kommen, höchstpersönlich quasi, weil er eine neue Motorradmitgliedschaft abschließen müsste, sonst könnte kein Pickerl gemacht werden.
Auch das ließ sich lösen und nach ca. 45 Minuten Wartezeit war ich dran. Keine Beanstandungen. Danach fuhr ich zum Cody, der in der Zwischenzeit eine Telefonkonferenz hatte und daher nicht mit mir gemeinsam auf die Überprüfung warten konnte.
Den Helm legte ich auf eine Mauer bei seiner Eingangstür, damit ich ihn nachher nicht vergessen konnte, denn der Cody hatte versprochen mich mit dem Auto zurück nach Wien zu führen. Probenummer demontieren, geborgten Hupfknopf abmontieren (dabei bemerkte ich, dass ich seinen Hupknopfunterteil im Rollerkabinett vergessen hatte, egal…) und dann gingen wir noch gemeinsam essen. Bei der Rückfahrt kam mir die Idee, dass wir ja noch einen Sprung beim Rollerkabinett vorbei schauen könnten, denn ich musste ja die Probenummer zurück bringen und wir könnten auch gleich den vergessenen Hupknopfunterteil mitnehmen, den der Cody montieren könnte, bis wir Ersatz gefunden hätten.
Als wir im Rollerkabinett gerade zugange waren, kamen zwei Teenager herein und fragten, ob wir einen lockeren Spiegel auf ihrer Vespa reparieren könnten. Ich nahm ein paar Gabelschlüssel und ging mit ihnen die Gasse hinunter zu ihrem Moped. Vorne am Eck stand die Feuerwehr, die Polizei, ein kleiner Menschenauflauf und eine Bim samt kleinem Stau dahinter.

Codys Auto. Mist.

Es stellte sich heraus, dass er sein Auto zwar schön nahe am Randstein geparkt hatte, dass aber ein paar Zentimeter fehlten. Mir war das nicht aufgefallen, weil ich immer mit dem Roller fahre und die Bim wäre auch vorbei gekommen, aber es gibt seit einiger Zeit eine Linie, die da gezogen wurde. Wer da auch nur das berühmte Eutzerl drüber ragt, ist fällig. Der Bimfahrer holt sofort Polizei und Feuerwehr. Wir wir dann erfuhren, hatten die Wr. Linien früher einen eigenen Einsatzdienst für solche Fälle, dann gab es einen Streit und nun machen sie es nicht mehr und holen statt dessen sofort die Kavallerie. Und die Kavallerie ist teurer, sehr teuer sogar.
Selbstverständlich hätte der Fahrer mit einem Handgriff den Spiegel einklappen können, aber das tut er nicht, weil wenn der Spiegel innen beschädigt ist und durch das Klappen abbricht…
Früher war das weniger oft ein Problem, aber seit einigen Jahren werden die Autos immer größer und breiter und daher steht die Bim häufiger.
So wurde es leider teurer, denn es wird der Feuerwehreinsatz fällig, die Polizeistrafe und eine Strafe der Wr. Linien wegen Aufhaltens der Bim. Dreifach-Mist sozusagen.

Teuer wird es übrigens auch für die jungen Herren mit der Vespa, weil da stellte sich heraus, dass das Spiegelgewinde ausgeleiert war, eine bekannte Schwach- bzw. Sollbruchstelle bei der LX-Vespa. Da wird ein Lenkertausch fällig, für Piaggio eine super Einnahmequelle.

Dann brachte mich der Cody nach Hause. Es war alles soweit gut gegangen. Dann bemerkte ich, dass ich in meinem Rucksack noch die Probenummer hatte. Was ich hingegen nicht hatte, war mein Helm. Den hatte ich auf der Mauer in Klosterneuburg liegen gelassen.
In dem Moment rief mich der Cody an und berichtete, dass er gerade eine Mail bekommen hätte, von einem netten Vespafreak, der vor über einem Jahr einen Hupknopf zum Verkauf angeboten hatte. Der wäre noch zu haben.
Mein Helm lag übrigens auch noch auf der Mauer, wie ich etwas später erfahren durfte.

Was für ein April-Tag!