D´Leut wolln d´Woahrheit hoid ned wissen…

…und so wer I hochkant ausseg´schmissn.

Das sang Georg Danzer in seinem Lied „Der Danzer“, wie so oft seiner Zeit voraus. Aber vielleicht war es auch schon immer so. Menschen wollen belogen werden, wenn es ihren Interessen dient.
Das derzeit aktuellste Beispiel findet sich bei künstlich von einem Computerprogramm generierten Bildern, die von den Menschen als echt eingestuft werden, auch wenn klar erkennbar ist, dass dem nicht so ist.
Die künstlich generierten Bilder werden von Programmen erzeugt, die als Rechenzeilen keine Schnittstelle zur Realität haben und daher nur Daten verarbeiten können, die ihnen eingespielt werden.
Die von solchen Programmen erzeugten Bilder haben daher nicht das, was wir als „Wissen“ bezeichnen. Sie haben z.B. keine Ahnung, dass Menschen fünf Finger haben und somit sehen viele dieser Bilder aus, als hätten die dort generierten Menschen verkrüppelte Hände, mit viel zu langen Fingern oder seltsam verbogenen. Manche Finger haben viel zu dicke Knöchel und manche Hände nur vier oder auch sechs Finger.

Trotzdem glauben viele Menschen, erschreckend viele, dass diese Bilder echte Fotos sind. Und wenn man sie auf die verkrüppelten Finger oder andere seltsame Teile dieser Bilder hinweist, werden sie aggressiv und wollen das nicht hören bzw. lesen.
In letzter Zeit tritt dieses Phänomen gehäuft auf sozialen Medienplattformen auf wie etwa Facebook. Dort gibt es unzählige Gruppen, die eine Vergangenheit verherrlichen, die es in der Form nie gab.
Das ist insofern verständlich, als die 1950er bis 1980er tatsächlich eine Zeit waren, in der es viel Fortschritt und Wohlstandswachstum gab, aber noch keine bekannten Umweltprobleme, wenig Kriege, die unser Leben irgendwie beeinflusst haben und durch das ständige Wirtschaftswachstum auch eine gewisse Stabilität.
Es war eine Zeit, auf die viele Menschen gerne zurückblicken und im Extremfall verherrlichen. Dann war dort alles gut, im Vergleich zu heute. Diese nach hinten gewandte Weltsicht macht natürlich den Blick nach vorne schwer bis unmöglich. Das ist vor allem dann schlecht, wenn dieser Blick dringend notwendig wäre, etwa weil schnelle Maßnahmen notwendig sind. Aus der Blickrichtung nach hinten sind solche Maßnahmen nicht zu sehen und werden somit auch nicht als wichtig empfunden, meistens sogar als störend, weil sie die derzeitige Bequemlichkeit angreifen würden.

Auch hier ist eine steigende Aggressivität zu beobachten. In den sozialen Medien toben sich diese Menschen dann aus und zeigen so etwas wie ihr wahres Gesicht, indem sie entsprechende Aussagen machen. Sie sind dort anonym, zeigen weder ihr Gesicht noch ihren Namen und fühlen sich unangreifbar.
Dann werden die guten, alten Zeiten beschworen, etwa so: „Yes the young ones these days will never know or enjoy the good times we had back then. Women were women and men were men.“
Ein anderer schreibt: „NATURAL BEAUTIES – NO purple hair, tattoos, piercings in nose, fat flabby, or black lip stick.“

Das ist interessant, weil er nennt künstlich erzeugte Frauenbilder „natural beauties“ – obwohl sie das exakte Gegenteil von natürlich sind. Noch deutlicher wird es bei diesem Kommentar: „Real women not the fake one’s we have today.“
Dieser Mann empfindet künstlich erzeugte Frauenbilder für realer als echte Frauen. Die bisher einzige Erklärung für dieses seltsame Phänomen habe ich bisher bei Klaus Theweleit in seinem Buch „Männerphantasien“ gefunden.
Als ich den Typen auf das gefakte Bild aufmerksam gemacht habe, dass nämlich die Gesichter der Frauen alle gleich aussehen, antwortete er „Drillinge“.
Die Wahrheit ist oft unbequem, deswegen wird man auch hochkant hinausgeschmissen, wenn man die Bequemlichkeit der Menschen stört. Das haben viele Umweltaktivistinnen und -aktivisten schmerzlich zu spüren bekommen, als sie den Autoverkehr behinderten, indem sie sich auf die Fahrbahn klebten.

Theweleit zeigt, wie Männer sich ganz bestimmte Frauenbilder erschaffen und dann versuchen, die Realität nach diesen Bildern zu gestalten. Alle Frauen, die nicht so sind wie die Wunschbilder, werden bekämpft. Derzeit erleben wir möglicherweise den Beginn einer Renaissance dieser künstlichen Frauenbilder, etwa im US-amerikanischen Trend der „Trad-Wifes“. Das sind Frauen, die versuchen einem traditionellen Frauenbild jenseits des Feminismus zu entsprechen: Sie machen sich für den Mann hübsch, damit er etwas Nettes zu sehen bekommt, wenn er vom harten Arbeitstag nach Hause kommt. Sie putzen, kochen und kümmern sich um die Kinder. Einen eigenen Beruf haben sie nicht und brauchen sie auch nicht, denn der Mann verdient genug, um das Leben der gesamten Familie finanzieren zu können. Sie sind in gewisser Weise Teil des Haushalts und tun das, was der Mann von ihnen verlangt – wie die Mikrowelle oder der Staubsauger. Sie hassen Feminismus und Emanzipation und empfinden dies als unnatürlich. Frauen, die diesem Bild nicht entsprechen, können und dürfen nicht real sein – deswegen bezeichnet sie der Facebook-Held oben auch als „fake ones“. Die Trad-Wifes sehen auch aus wie Frauen aus der Zeit, die sie bevorzugen. Sie sind weiß, blond, schlank und haben auf keinen Fall Tattoos oder Piercings.
Wer erinnert sich noch an die Austro-Pop-Gruppe STS? In ihrem Lied „Fürstenfeld“ besingen sie den Steirer vom Land, der in die Großstadt nach Wien kommt und dort auf einmal ganz andere Frauen sieht als er es gewohnt ist: „Schwarze Lippen – grüne Hoar, da kannst ja Angst kriagn, wirklich woar.“
Das dürfte auch das Angstbild des Posters sein, wenn er von lila Haaren und schwarzen Lippen spricht und beides als unnatürlich empfindet. Roter Lippenstift dürfte okay sein, blondierte Haare auch – das entspricht dem klassischen Schönheitsbild, das auch genormt sein muss. Jede Abweichung macht Angst, daher wird „Diversity“ auch abgelehnt und bekämpft.

Die Gefahr entsteht in den Echoräumen, die diese Menschen im Internet finden und wo sie sich wohlfühlen. Dort sind sie in ihrer Blase und verstärken sich gegenseitig. Je geschlossener diese Blasen sind, desto verdichteter, desto radikaler, extremer die dortigen Meinungen. Ab einem gewissen Zeitpunkt bzw. einer gewissen Intensität stecken die Menschen in der Blase so fest, dass sich ihre Identität dorthin verlagert. Ihre bisher vielfältig gestaltete Identität wird einseitig bzw. das, was man als „einfältig“ erkennt. Wir können hier eine Parallele zur Sektenbildung erkennen. Sekten leben auch davon, dass sie die Menschen von der Realität trennen (und natürlich auch von den sozialen Beziehungen dieser Realität) und dadurch in eine Abhängigkeit von einer ganz bestimmten Realität zwingen.

Das ist gruppendynamisch kein neues Phänomen, es tritt normalerweise aber nicht in dieser Stärke, in dieser Intensität auf. Es gibt meistens noch einen Realitätsbezug, etwa wenn die Menschen aus ihrer Blase hinaus ins echte Leben müssen – um einzukaufen oder ihrer Arbeit nachzugehen.
Wer jedoch arbeitslos ist und sich alles nach Hause liefern lässt, muss aus seiner Blase gar nicht mehr hinaus. Irgendwann beginnt dann die Realität Angst zu machen, weil sich die Menschen dort nicht mehr zurechtfinden. Sie flüchten sich so komplett wie möglich in die Scheinwelt ihrer Social-Media-Blase. Die echte Welt wird als gefährlich, bedrohlich empfunden und die Menschen bekommen Angst davor. Damit sie mit dieser Angst zurechtkommen können, müssen sie die echte Welt als unecht einstufen. Die Frauen dort sind dann nicht echt, sie sind „fake“.

Das ist ein relativ neues Phänomen, das es früher nicht gab. Der Unterschied liegt in der Gemeinschaft, die diese Menschen heute finden können. „Es gab immer schon in jedem Dorf einen Trottel, aber heute hat er Internet“ heißt der passende Spruch. Heute können sich die Dorftrottel zusammentun und sich eine gemeinsame Wirklichkeit schaffen, in der sie zumindest virtuell wirken können.
Wenn diese Menschen dann aus ihrer Blase ausbrechen (freiwillig oder nicht), dann stößt ihre Wirklichkeit auf die Realität. Das führt im besten Fall zu einer Rückführung dieser Menschen in die Realität, im schlechtesten Fall zum Amoklauf. Dann wird alles bekämpft, was nicht dem virtuellen Idealbild entspricht, im Extremfall die gesamte Welt, als deren Opfer sich diese Menschen – in der Logik fast immer Männer – empfinden. Wenn sie in der echten Welt kommunizieren, dann mit den Worten ihrer Blase. Wenn das klarerweise als schräg oder verrückt abgelehnt wird, empfinden die Menschen, dass man „nichts mehr sagen darf“.

Wohin führt das? Werden in Zukunft noch mehr Menschen in diesen Blasen leben? Und was passiert, wenn diese Blasen platzen? Wenn die Menschen raus müssen aus ihren Bunkern in die reale Welt, könnte das zu Problemen führen. Mir fällt eine gute Doku über Gated Communities ein, sozusagen die Blasen der realen Welt. Dort leben Menschen hinter hohen Mauern, gut durch Stacheldraht und mehr von der Außenwelt abgeschirmt. Sie wohnen in sauberen Einfamilienhäusern mit Garage und kleinem Vorgarten mit gestutzten Bäumchen und Plastikrasen. Ihre Kinder gehen in Schulen, die sich innerhalb dieser Areale befinden. Die größte dieser Gated Communities befindet sich in Sao Paulo in Brasilien. Dort zeigen sich seit ein paar Jahren die negativen Auswirkungen: Jugendliche, die aus diesem Areal kommen, finden in der echten Welt keine Jobs, weil sie unter einem Glassturz aufgewachsen sind und sich in der realen Welt nicht zurechtfinden. Wenn sie sich um einen Job bewerben, dann nützen ihnen die makellosen Zeugnisse ihrer Eliteschule nichts, weil sie damit in der Realität überhaupt nichts anfangen können. Sie sind am Arbeitsmarkt unbrauchbar.

Welcher Gegentrend wird uns wieder zurückführen in die Realität? Noch habe ich auch keine gute Antwort auf diese Frage.

Künstliche Intelligenz in der Diskussion

Das Thema ist zu komplex um es umfassend erörtern zu können. Angefangen habe ich damit bereits in dem Blog-Artikel „Künstliche Intelligenz oder die Rechenleistung einer Maschine?“, jetzt geht es in die Tiefe und Breite.
Auslöser ist für mich eine Diskussion in der TV-Serie „Philosophisches Forum“ (2023), die von Konrad Paul Liessmann geleitet und von Barbara Stöckl moderiert wird.
Hier möchte ich einige Aspekte beleuchten. Wie immer sind auch meine eigenen Gedanken und Schlüsse integriert.

Vorweg: Ich bin selbst als Lektor an einer Fachhochschule vom Thema direkt betroffen, weil anzunehmen ist, dass meine Student:innen da und dort „KI“ benützen, um ihre Arbeiten zu verbessern oder gar erstellen zu lassen.
Ich bin mit diesem Problem natürlich nicht allein, muss aber für mich einen Weg finden. Die FH gibt drei Möglichkeiten vor:

1.) Verbieten. Dann ist es in dieser Lehrveranstaltung (LV) nicht erlaubt, KI zu verwenden.
Das ist problematisch, weil schwer zu beweisen. Konkret meine ich es zu erkennen, wenn Formulierungen so geschliffen sind, dass ich selbst zu staunen beginne, vor allem, wenn der jeweilige Student/die Studentin solche verbalen Fähigkeiten sonst nicht erbringt.
Konkret geht es aber darum, dass die Verwendung ja Schummeln bedeutet und den Versuch, sich ohne Leistung eine Note zu erschleichen.
Das finde ich nicht gut, weil ich sowieso keine Prüfungen mache und meinen Studierenden viele Freiheiten gebe, um den Aufwand zu reduzieren. Ich will aber nicht, dass sie ihn auf Null reduzieren, weil wozu soll die Lehrveranstaltung dann dienen?
Die FH hat hier einen pragmatischen Ansatz: Was sich sowieso nicht verbieten lässt, sollte auch nicht verboten werden.
Das ist zu diskutieren.

2.) Erlaubnis für bestimmte Teile einer LV
Dieser Ansatz ist ebenfalls interessant, vor allem wenn er noch durch eine Sonderleistung ergänzt wird: Die Studierenden müssen selbst über den Einsatz der KI reflektieren und erklären, was sie gebracht hat und was nicht.
Das ist bei uns zwar nicht vorgesehen, könnte aber eine gute Ergänzung sein.
Ach ja: Auch in dieser Variante ist es nicht erlaubt eine ganze Arbeit einfach durch die KI erstellen zu lassen.

3.) Erlaubnis, sofern der Einsatz dem Lernzweck dient
Das ist ja ganz nett, aber so wie ich meine Pappenheimer kenne, dient dann jeder Einsatz der KI halt dem Lernzweck.
In Variante 2+3 muss der Einsatz übrigens dokumentiert, also in Form von Quellenangabe offengelegt werden.

So weit, so gut. Spannend wird es dann, wenn Masterarbeiten von der KI erstellt werden. Das ist nämlich nicht leicht überprüfbar. Wir werden sehen, in welche Richtung sich das entwickelt.

Zurück zum Thema, in dem wir natürlich schon drin sind. Ich selbst habe KI noch nie verwendet, schreibe derzeit aber mit zwei Kolleginnen ein Buch, wo wir das lange diskutiert haben, übrigens mit dem Ergebnis, dass wir keinerlei Passagen durch KI erstellen lassen. Es geht auch ohne, wenngleich die Vorteile da und dort natürlich offensichtlich sind.

Die Sendung reißt gleich zu Beginn eine Vielzahl an Themen auf, die Bandbreite ist enorm, die Ebenen sind vielfältig.
Trotzdem sticht ein Punkt aus philosophischer Hinsicht gleich hervor: Was ist überhaupt Intelligenz? Es fällt uns schon schwer das beim Menschen zu definieren, in der Diskussion wird das Wort derzeit äußerst leichtfertig verwendet. Das ist wichtig, denn es gilt in gewisser Weise der alte Spruch „was liegt, das pickt“: Wenn sich der Begriff einmal durchgesetzt hat, ist er schwerer zu hinterfragen. Wenn wo Intelligenz draufsteht, dann wird sie wohl auch drin sein – so der Trugschluss.
Dabei rutschen wir sehr schnell in die Themen Bewusstsein und Moral, gemischt mit Entscheidungsfindung und in Folge mit Grenzsetzung: Was soll KI dürfen und was nicht?
Jetzt taucht sofort die Frage nach der Beherrschbarkeit auf und wird mit der uralten Diskussion um den Golem verknüpft: Ein geschaffenes Wesen, das sich selbständig macht. Dieser Begriff macht tendenziell Angst, weil wir die Gefahr vermuten, dass der Selbständige auch gerne autonom wäre, also von uns nicht mehr zu kontrollieren, und dass er in Folge irgendwann auf die Idee kommt uns zu kontrollieren.
In zahlreichen Filmen (z.B. Terminator) wurde dieses Thema durchgespielt.

Um die Kirche im Dorf zu lassen: Bisher ergeben seriöse Diskussionen stets, dass der Begriff „Künstliche Intelligenz“ als nicht zutreffend einzustufen ist. Es handelt sich um Rechenoperationen eines Computers, die uns aufgrund ihrer Komplexität, Geschwindigkeit und Erscheinungsform als intelligent erscheinen.
Daraus folgt aber, dass diese Rechner nur das berechnen können, was wir ihnen eingeben. Wenn wir in die Eingaben Fehler einbauen, arbeitet die KI mit diesen Fehlern und produziert selbst Fehler.
Die Gegner dieses Standpunktes behaupten, dass die Computer aus den Eingaben plus dem, was sie sich selbst aus dem Internet holen, lernfähig sind. Das suggeriert, dass sie von sich aus eine höhere Abstraktionsebene erreichen können und das ist zu diskutieren.
Dazu zwei Geschichten:

Das Militär hat einen dieser neuen Computer gekauft, der strategische Entscheidungen besonders clever und besser als Menschen treffen können soll. Der gesamte Generalstab steht gespannt vor dem Riesending (die Geschichte ist schon ein paar Jahrzehnte alt) und der Programmierer gibt die Frage ein:
„Offense or Defense?“
Die Maschine beginnt zu arbeiten, rattert, es vergehen einige Minuten, dann spuckt sie das Ergebnis aus:
„Yes“.
Die Militärs sind aufgeregt, mit der Antwort natürlich nicht zufrieden und der Programmierer gibt eine neue Frage ein:
„Yes what?“
Wieder arbeitet der Rechner, diesmal fast doppelt so lang. Dann spuckt er das neue Ergebnis aus:
„Yes, Sir!“

Computer können uns maximal spiegeln, nicht aber übertreffen – das wäre die Conclusio aus diesem alten Witz.
Emotionale oder soziale Intelligenz haben Computer sowieso nicht, ganz zu schweigen von einem Bewusstsein ihrer selbst. Die Diskutierenden sind sich auch einig, dass die KI nicht einmal das Potenzial dazu hat.
Maximal in der Logik können sie punkten, wobei sie diese auch nicht selbst finden, sondern ihrer Programmierung folgen.
Das können sie hervorragend, so wie viele andere Dinge – etwa im Bereich der Medizin können sie große Sprünge in der Diagnostik bewirken und dadurch Menschenleben retten.

Weil viele Menschen die Frage nach der wirklichen Intelligenz gar nicht stellen, weckt die KI sowohl Hoffnungen als auch Ängste – Liessmann betont, dass beides wohl übertrieben sei.
Es ist die Kombination aus sehr schneller Rechenleistung plus Big Data plus den programmierten Vorgängen (Algorithmen), die das Ergebnis aussehen lassen, als wäre eine Intelligenz dahinter.
Wahrscheinlich, weil die meisten Menschen nicht verstehen, was dahinter verborgen ist. Und wohl auch, weil die mediale Berichterstattung stets auf Sensationsgier aus ist und die Debatte entsprechend steuert.
Verloren geht dabei die wichtige Frage, wie wir das alles nützen wollen und sollen. Wir erleben, dass KI einfach „passiert“, dass ChatGPT von Menschen genützt wird, weil es da ist und von daheim am Laptop mit einem Knopfdruck gestartet und verwendet werden kann, kostenfrei oder mit sehr geringen Kosten.
Wir leben immer noch in einem „technikgeilen“ Zeitalter und erhoffen uns von der Technik Lösungen für Probleme, die wir selbst nicht anpacken wollen oder können. Jede Zeit schafft ihre Erlösungsphantasien samt Erlösern, die irgendwann in Mode kommen und nach einer gewissen Zeit von etwas anderem, neuem abgelöst werden: A new kid in town!
Das war lange die Religion, später kamen die Naturwissenschaften etwa in Form der Genetik, der Biotechnologie und noch einiges mehr. Dann tauchten die Computer auf und jetzt ist es gerade die KI, die als Revolution, als neues Zeitalter gefeiert wird. Das war aber bei der Dampfmaschine auch schon so. Und beim Computer.

Um zu verstehen, was da vorgeht, müssen wir der Spur des Geldes folgen – eh wie immer, sozusagen. Sie führt uns zu den großen Technologiekonzernen, die ein enormes Interesse daran haben, die Debatte zu steuern, wie die Politikwissenschafterin Barbara Prainsack erklärt: Sie treiben die Ethikdebatte gerne vor sich her, um der Frage nach der Regulierung zu entkommen, denn das ist wiederum ihre größte Angst: Dass wir uns die Freiheit nehmen, die KI zu kontrollieren.
Dahinter steckt das Prinzip, dass Konzerne (samt den dort tätigen Menschen an der Hierarchiespitze) stets auf eine Maximierung des Gewinns aus sind und sich dabei ungern stören lassen. Da die dahintersteckende Gier immer unendlich ist, setzen sie sich selbst keine Grenzen, auch wenn sie nach außen hin anders auftreten.
Wenn die Menschen über ihr Ordnungsprinzip (genannt „Staat“) eingreifen wollen, wirken ihnen starke Kräfte in vielfältiger Form entgegen, die stärksten sind die Bequemlichkeit und die Neugier.
Daher bekommen sie Spiele (und Brot in Form von Zucker, das ist aber eine andere Geschichte) und nützen diese intensiv bis pervers. Im Idealfall machen wir uns von diesen Spielen – wir alle kennen sie als „Handys“ – so abhängig, dass wir ohne nicht mehr sein wollen und können.
Wer mit offenen Augen durch die Welt geht (und nicht gerade auf sein Handy starrt), kann das jeden Tag fast überall gut erkennen.
Das führt zu Phänomenen, etwa dass Menschen rund um sich herum alles egal ist, wenn sie auf ihr Handy (Computer, Fernseher etc.) fokussiert sind. Da stört am Weltuntergang nur, dass dann das Internet nicht mehr geht und das „Device“ nicht mehr geladen werden kann. Immerhin, dann sind die Menschen bereit aufzublicken, letztlich aber auch nur, weil sie dazu gezwungen werden.
Wir sind hier sehr schnell in einer politischen Diskussion, denn es ist die Verantwortung der Politik, die wesentlichen Fragen des menschlichen Daseins zu behandeln und im Sinne des Wohles der Gesellschaft zu steuern.
Die Technologiekonzerne werden sich um Fragen des Umweltschutzes, der Demokratie oder der Menschenwürde nur kümmern, wenn sie ihnen schnellen Profit bringen oder wenn sie dazu gezwungen werden. Da es in unserer Welt aber letztlich nur mehr zwei Dinge gibt, die man gefahrlos zum Zwecke der Profitmaximierung ausbeuten kann, wird dies auch getan: Menschen (die meisten zumindest) und Natur können sich nicht oder nur schwer wehren, zumindest nicht schnell genug, um die kapitalistische Wirtschaft zu bewegen. Hier gilt der Spruch „the king said to the priest: you keep them stupid, i keep them poor”.
Daher wird die KI auch in diesem Sinne verwendet, wenn wir dies zulassen. Die erste Bastion, die derzeit gerade massiv angegriffen wird, ist die Demokratie. Sie erschwert die schon angesprochene Profitmaximierung. Die Diktatur ist für die Konzerne viel praktischer: Ich besteche den Diktator und bekomme alle Rechte und Freiheiten, um Mensch und Natur maximal ausbeuten zu können. Das lässt sich an vielen Orten bzw. in vielen Ländern unserer schönen Welt trefflich beobachten.

Peter Kirchschläger wirft die Frage des Vertrauens auf: Dieses müssten sich die Technologiekonzerne erst erarbeiten. Liessmann entgegnet, dass sie (Günter Anders folgend) bereits einen Vertrauensvorschuss bekommen haben, der enorm groß ist – wie das bei neuen Technologien immer geschieht.
Sie erwecken Neugier und Hoffnung und bekommen in Folge Vertrauen, das erstaunlich lange anhält, bevor es bei Missbrauch in sich zusammenstürzt.
Dazu kommt noch die Pikanterie, dass die entsprechenden Konzerne ja darauf hinarbeiten, genau das Vertrauen nicht mehr zu brauchen. Wenn ich von etwas abhängig bin, muss ich ihm nicht vertrauen, weil ich sowieso keine Wahl, keine andere Handlungsoption habe. Deswegen suchen ja auch alle Wirtschaftsunternehmen die Monopolstellung, weil man ihnen und ihren Produkten dann nicht mehr vertrauen muss. Den Schmäh mit der „gesunden Konkurrenz“ muss man ja nicht unbedingt glauben, finde ich. Sie ist nicht mehr als ein Feigenblatt.

Auf die Frage, wie denn die Konzerne das anstellen, antwortet Kirchschläger: Mit Manipulation. Ihr großer Hebel liegt in der Unmenge an Daten, die gesammelt und verwertet werden. Die meisten Menschen, die Geld haben, haben auch Internet und stellen ihre eigenen Daten den Technologiekonzernen dort gratis zur Verfügung. Sie schreien zwar ständig nach Datenschutz, handeln selbst aber gegenteilig, indem sie ihre privatesten Daten jedem geben, der sie haben will. Der Köder ist die Gratis-Benützung der Programme (Facebook, Instagram, TikTok etc.) plus der Mehrwert der Teilnahme an einer Gemeinschaft – deswegen tut es auch weh, wenn man „entfreundet“ wird. Aber auch hier gilt die Regel: Wenn du für etwas nichts bezahlen musst, dann bist du nicht Kunde, sondern Produkt.
Diese Daten werden dann dazu verwendet, um uns zu manipulieren, etwa in unserem Konsum- oder in unserem Wahlverhalten. Nicht ohne Grund steckt die Politik Unsummen in Social-Media-Kampagnen und ebenfalls nicht ohne Grund geben die meisten Konzerne Unsummen für Werbung im Internet aus.
Selbstverständlich kann man sich dagegen wehren, den totalen Nicht-Konsum schafft aber wohl niemand ohne zu verhungern. Das Leben als selbstversorgender Eremit in der einsamen Hütte im Wald ist zwar möglich, allerdings nur für ganz wenige Menschen.
Alle anderen, also fast alle, brauchen soziale Kontakte, sind von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Haus, Supermarkt, Arbeitsplatz etc.) abhängig und müssen somit den gesellschaftlichen Normen folgen. Diese wiederum geben etwa vor, dass Menschen ein Smartphone brauchen. Ohne kann man heute vieles gar nicht mehr machen, das Leben wird sozusagen immer enger und schwieriger ohne Handy.
Im Gegenzug bietet es uns eine fast grenzenlose Welt der Unterhaltung, schon kleine Kinder bekommen heute von ihren Eltern ein Smartphone und werden damit ruhiggestellt. Die Gefahren werden nur höchst selten thematisiert und noch seltener diskutiert, möglicherweise weil auch die Politik am Smartphone hängt und diesen neuen Götzen nicht in der Kritik sehen will.

Eine nächste wichtige Frage ist die nach der Moral der KI. Kirchschläger führt aus, dass zur Moral die Freiheit gehört: Nur wer frei entscheiden kann, ist dazu fähig moralisch zu entscheiden. Ein Beispiel ist das autonom steuernde Fahrzeug. Wenn diesem einprogrammiert wird, den Fahrgast so schnell wie möglich von A nach B zu bringen, dann wird es diese Anweisung ausführen. Es gibt keine moralische Instanz, die es davon abhalten könnte. Das spielende Kind auf der Straße, das dabei überfahren wird, spielt für die so programmierte KI keine Rolle.
Wenn man einem Menschen diese Anweisung gibt, dann hat er das Potenzial diese moralisch abzuwägen und entsprechend zu handeln.

Der Informatiker Peter Reichel erläutert, dass Algorithmen nicht ethisch sind und daher auch nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Das obliegt einzig und allein dem Käufer eines autonomen Fahrzeugs. Ethik und Moral sind keine binären, digitalen Systeme – wenn jemand einen Schaden verursacht, dann wird er/sie als Mensch das Gefühl haben, dass es ihm bzw. ihr leid tut. Ein Computer kann so etwas nicht und wird es nie können.
Der Philosoph und Soziologe Christian Dries ergänzt, dass wir derzeit auf dem Weg sind Computern bzw. dem Internet mehr zu vertrauen als Menschen. Diese Entwicklung sollte so nicht weitergehen, auch wenn Computer manche Dinge schneller und sauberer ausrechnen können. Urteilskraft im Kant´schen Sinne lässt sich aber auf Computersysteme nicht übertragen.
Das Problem läge darin, dass wir seit Jahrzehnten Computer in unser Leben integriert haben und inzwischen der Annahme sind, dass sie uns insofern überlegen sind, als wir durch unsere Körperlichkeit und Emotionen nicht so scharf und klar rechnen können – wir werden dadurch sozusagen zu fehlerhaften KI-Systemen. Das überträgt sich dann auf unsere Entscheidungskraft, die in Folge ebenfalls als fehlerhaft angesehen wird. Dann vertrauen wir in immer mehr Lebensbereichen dem Computer, was wiederum dazu führt, dass dieser immer mehr Macht und in Folge noch mehr Vertrauen bekommt.

Dries greift auch noch die ökologische Frage auf: Die KI ist unglaublich energieintensiv und schöpft Ressourcen ab, die wir dringend für andere, oft lebenserhaltende Systeme brauchen – was wiederum großteils arme Menschen trifft. Wir kennen diese Thematik schon von den Blockchain-Währungen wie Bitcoin, die inzwischen unfassbare Mengen an Energie verbrauchen, was jedoch nahezu nirgends diskutiert wird.

Liessmann betont, dass die KI gar nicht in der Lage ist zu verstehen, was „Mensch sein“ überhaupt bedeutet. Es ist nicht möglich einer KI die Regel „schädige keinen Menschen“ mitzugeben, weil sie nicht wissen kann, was „Mensch“ bedeutet und was „schädigen“ ist.

Wir sehen also Chancen und Risiken, die dringend notwendige Diskussion auf gesellschaftlicher und politischer Ebene fehlt jedoch. Somit bleibt auch offen, wie es weitergeht.

Kornaten 2025 – ein Bubenwochenende

Bei unserem heurigen, runden Maturatreffen waren wir 28 Personen. Das finde ich 40 Jahren nach der Matura doch recht beachtlich.
Daher mussten wir das nachfeiern, bei einem guten Bier beim Grünspan. Und da kam Hubert die Idee uns auf ein Wochenende auf sein Boot einzuladen. Georg, Walter und Schmidl sagten sofort zu, Heini konnte leider nicht, dafür sprang mein Bruder Peter ein.
Als Termin wurde Mitte August gewählt: Donnerstag Abend mit Huberts Bus bis Zadar und am Montag wieder zurück – kein schlechter Plan.

Leider starb Schmidls Mutter und statt dem Burschenwochenende gab es für ihn ein Begräbnis.
So blieben wir zu fünft, was sich platzmäßig als optimal herausstellte. Einer mehr wäre noch gegangen, wobei es da in erster Linie um die Schlafplätze am Boot geht. Die Princess 330 ist – wie der Name schon sagt – 33 Fuß lang, das sind ca. 11 Meter. Zwei Kabinen mit Doppelbetten stehen zur Verfügung, wobei man sich da schon recht gut mögen sollte. Weitere Gäste können sich den Salon, das Heck oder die Flybridge aussuchen, was in heißen Sommernächten und einer luftigen Brise am Meer recht reizvoll ist. Weniger lässig ist es bei spürbarem Gelsen- oder Taueinfall, was je nach Ort, Wetter und Jahreszeit variiert.

Geht´s los? Es geht los!

Wir treffen uns am Bahnhof in Hütteldorf, wobei Georg traditionsgemäß zu spät kommt. Wir haben es aber nicht super eilig, Huberts Bus ist gemütlich und mit Kühlbox perfekt ausgestattet.
Die Fahrt ist kurzweilig und besteht bis auf die letzten fünf Kilometer nur aus Autobahn. Die Geschwindigkeit wird in erster Linie durch Baustellen und Staus bestimmt, die wir beide glücklicherweise nur in geringem Ausmaß erleben müssen. Die beiden Grenzen nach Slowenien und Kroatien haben auch ihren Schrecken verloren und bei Sonnenuntergang sind wir bereits tief am Balkan, was auch Zeit für ein Bier bedeutet.

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Bild: Die Rast ist kurz, aber notwendig

Gegen 23 Uhr kommen wir in der Marina Dalmacija in Sukosan an, die sich als riesig herausstellt, es gibt in Summe 1.700 Liegeplätze für alle Größen von Yachten.
Sofort leicht erkennbar ist, dass hier das Geld daheim ist. Vor allem wohlhabende Menschen aus Deutschland, Österreich und Kroatien haben hier ihre Motorboote oder Segelschiffe geparkt, die monatliche Miete für ein Boot der 10-Meter-Klasse beträgt ca. 800 Euro im Monat. Die hervorragenden Sanitäranlagen sind hier schon inbegriffen, Strom und Wasser auch oder kosten nicht sehr viel extra. An den dort geparkten Autos lässt sich der Geldadel gut erkennen, die meisten Kosten verursacht aber die Instandhaltung der Yachten. Sie müssen oft gewartet werden, müssen regelmäßig aufs Trockendock und brauchen generell viel Liebe und Pflege. Wer das nicht will, kann sich auch ein Boot chartern, was auch viele tun.
Beim Motorboot kommt noch der Sprit dazu, hier gibt es nach oben keine Grenze.

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Bild: Die Motorboote sind nach Größen geordnet und liegen dicht nebeneinander

Die erste Nacht schlafe ich in einer der Kabinen, mein Bruder zieht es vor oben im Salon zu übernachten, Hubert ebenfalls, Georg und Walter teilen sich die Bugkabine.

Am Freitag früh fahren wir in den Ort frühstücken und einkaufen. Wir haben keine Eile und die Gemeinschaftskasse wird nicht wirklich strapaziert, Wasser, Brot, Früchte und Käse stehen auf der Liste, am Abend werden wir jeweils ein nettes Lokal aufsuchen, Hubert hat keinen Herd an Bord.

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Bild: Einkauf im Supermarkt neben der Marina

Huberts Boot hat einen Steuerstand im Salon und eine Flybridge mit einem weiteren Steuerstand. Meistens wird von dort oben gesteuert. Alle modernen Geräte, die für eine sichere Fahrt notwendig sind, hat er an Bord, auch einen Autopilot, was die Sache sehr entspannt.

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Bild: Steuerstand

Das Boot hat zwei Volvo Penta Turbodieselmotore mit je ca. 330 PS. Sie sind sehr zuverlässig und brauchen im Verdrängerbetrieb nicht viel Diesel, im Gleitbetrieb natürlich wesentlich mehr. Wir sind bis auf zwei Mal zehn Minuten ausschließlich Verdränger gefahren, da wir es nicht eilig hatten und das Boot dadurch wenig verbrauchte.
Durch die vier Betten ist die ältere Princess natürlich für vier Personen ideal, dafür gibt es auch genügend Platz im Salon, wobei auf so einem Motorboot naturgemäß alles sehr eng ist und man ständig aufpassen muss – auf den Kopf, auf die Zehen etc.

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Bild: Salon, dahinter weiter unten die Küche, die Bugkabine, eine Toilette, die notfalls auch als Dusche verwendet werden kann und die zweite Kabine.
Die Toilette wird mit einer Pumpe betrieben – zuerst pumpt man ab und dann frisches Seewasser hinein. Das funktioniert tadellos und wer das Leben auf einem Schiff gewohnt ist, gewöhnt sich auch daran, dass das WC-Papier nicht ins WC geworfen werden darf.
Die Vorbereitungen zum Auslaufen gehen zügig voran, am Boot muss alles verstaut und in Ordnung gebracht werden. Hubert kontrolliert noch die Motoren, in Summe ist eine ganze Menge zu tun.

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Bild: Hubert bei der Ölkontrolle

Überall gibt es Klappen und jede Menge Herumhantieren mit Seilen und sonstigem Zeug. Georg und Walter werden als Leichtmatrosen eingeteilt und müssen lernen Mouringleinen einzuholen und Seilknoten zustande zu bringen.

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Bild: Walter ist für die Seile beim Ablegen verantwortlich.

Dann geht es los, wir laufen aus und nehmen Kurs auf die Kornaten. Diese Inselgruppe habe ich das erste Mal 1995 bei einer Tauchkreuzfahrt kennengelernt. Sie sind das beste Tauchrevier im ganzen Mittelmeer und ich war dort schon seit fast dreißig Jahren nicht mehr tauchen – was heute auch nicht mehr so einfach geht, es gibt nur ganz wenige Schiffe, die eine Sondererlaubnis bekommen. Damals war ich auf der „Vranjak“ unterwegs, heute gibt es die „Vranjak 2“, die vom Sohn des ehemaligen Betreibers Jani betrieben wird.

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Bild: Jani in den 1990ern, so wie ich ihn kennengelernt habe

Vielleicht ergibt es sich ja wieder einmal, reizen würde es mich schon sehr, ich habe dort – gemeinsam mit Hubert übrigens – ein paar meiner tollsten Tauchgänge erleben dürfen.

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Bild: Die alte Vranjak. Die beiden Masten sind reine Zierde, segeln kann man damit nicht.

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Bild: Georg darf ans Steuer. Die Princess 330 hat kein Bugstrahlruder und keine Gondeln, muss also über das Ruder bzw. die beiden Motoren gesteuert werden, was gar nicht so einfach ist, vor allem wegen der Trägheit muss man ziemlich vorausdenken. Das kleine, schwarze Kästchen mit den beiden roten Knöpfen ist der Autopilot. Damit hält das Boot den eingegebenen Kurs und mit den beiden Knöpfen kann man ein paar Grad nach links bzw. rechts korrigieren. Das hat man nach kurzer Zeit heraus.

An Bord ist es gemütlich, wir fahren mit 1.500 Umdrehungen langsam durch die Bucht zu einer Meeresenge mit einer Brücke und nehmen dann Kurs Richtung Süden, zu den Kornaten.

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Bild: Entspannt genieße ich die Fahrt, hinter mir die gerade durchfahrene Brücke.

Die erste Insel, an der wir vorbeifahren, ist Mrtovac, dort habe ich mit Hubert meinen bisher tiefsten Tauchgang (65 Meter) gemacht, vor langer Zeit. Die Erinnerung ist trotzdem noch sehr intensiv, ich kann mich an eine feuerrote Schmuckkoralle am Meeresgrund erinnern und an das Licht, das da unten dank des sehr klaren Wassers noch ausreichend vorhanden ist.

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Bild: Mrtovac – die Steilwand setzt sich unter Wasser fort, sie ist ab ca. 25 Metern Tiefe voll von Höhlen, in denen auf weißem Sand Langusten und Hummer hocken. Dazu gibt es tiefviolette Gorgonienwälder und noch einiges mehr. Ober Wasser ist das ein kahler Steinhaufen, unter Wasser befindet sich ein Paradies.

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Bild: Rote Gorgonie vor weißem Sandgrund auf Mrtovac

Wir fahren daran vorbei und weiter zu unserem Ziel, der Insel Levrnaka. Auch dort waren wir bei einer Dalmatienkreuzfahrt 1996. Ich erinnere mich noch gut an einen Abend, an dem wir mit einem schrägen Typen bei Rotwein, Brot und Oliven die tolle Atmosphäre dieser ruhigen Insel genossen haben.
Damals erzählte uns eine alte Frau von Kriegszeiten, als Partisanen einen Trupp deutscher Soldaten angriffen und die jungen Männer auf die Insel verschleppten. „Man hat ihnen dann die Beine gebrochen und sie in eine Doline (das sind tiefe Löcher im Kalkgestein, die meistens bis zum Wasser hinunterreichen) geworfen, wo sie langsam verreckt sind“ erzählte die alte Frau.
Mein alter Freund Gabor und ein paar andere fragten, ob sie wüsste, welche Doline das damals war und ob die Toten jemals geborgen wurden.
Natürlich wisse sie das und nein, die hat nie wer raufgeholt, meinte die Frau.
Also schnappten sich meine Tauchkollegen ein Seil und Ivan führte sie zur besagten Doline. Sie kletterten hinunter und fand die Überreste einer Handvoll junger Männer, vor allem Schuhsohlen, Gürtel und etliche Erkennungsmarken. Ich erinnere mich noch an eine Marke eines 19jährigen Deutschen eines Aufklärungsbataillons, einige waren durch das Leichengift zerfressen, viele aber noch gut lesbar.
Meine Kollegen haben sie dann ans Schwarze Kreuz geschickt, damit ihre Verwandten erfahren konnten, wo ihre Väter oder Brüder oder Ehegatten liegen – mit gut fünfzig Jahren Verspätung, aber besser als nie.

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Bild: Ein altes Bild von Levrnaka. Gut ist die Landbrücke mit dem Weg zwischen den beiden Buchten zu erkennen. Die Dolinen befinden sich in dem sonnenbeschienenen Teil hinter dem Hügel.

Die Insel besteht aus zwei Hügeln, die durch eine schmale Landbrücke verbunden sind. Seeseitig gibt es eine schöne Bucht, in der wir ankern. Laut Hubert lebt Ivan immer noch da und wir können ihn besuchen. Georg und ich beschließen zum Strand zu schwimmen, sehr weit schaut das nicht aus.
Da ich eine kleine Wanderung in Erwägung ziehe, borge ich mir einen Schwimmbeutel aus – garantiert wasserdicht, um mein Handy, ein T-Shirt (Sonnenbrandgefahr) und mein Bandana trocken transportieren zu können.
Die Strecke stellt sich dann als gar nicht soo kurz heraus und ich bin froh, am Strand angelangt zu sein.
Das mit dem Schwimmbeutel war keine gute Idee, er ist leider garantiert nicht wasserdicht und alles darin ist nass. Glücklicherweise funktioniert mein Handy noch und das nasse T-Shirt stört auch nicht wirklich, es ist ohnehin heiß.
Wir suchen einen Weg hinauf zu dem Haus und finden einen – den falschen, wie sich herausstellt. Georg und ich klettern über Felsen und an Büschen vorbei hinauf zum höchsten Punkt der Landbrücke – nur um festzustellen, dass es auf der anderen Seite des abgesperrten Camping-Geländes einen breiten, guten Weg gibt. Wir hatten uns ohnehin gewundert, wie all die Badegäste in der Bucht dorthin gekommen sind – egal, jetzt ist es eh zu spät.

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Bild: Blick in die Bucht, wo unser Boot vor Anker liegt. Es ist das letzte rechts hinten.

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Bild: Blick von der Höhe hinunter zum Anlegesteg auf der Innenseite von Levrnaka. Dort, wo die Ausflugsboote anlegen. Gut zu erkennen ist die Hauptinsel der Kornaten, Kornat. Dahinter ist dann das Festland. Und vor uns ein steiniger Weg (ohne Weg) hinunter zu dem Anleger.

Also klettern wir auf der anderen Seite hinunter, um vom Anleger den Weg zu dem gesuchten Haus zu gehen. Als wir dann den breiten Weg zu dem ehemaligen Haus gehen, finden wir uns in einem Camp wieder. Von einem Ivan hat hier niemand gehört, es gibt ihn wohl doch nicht mehr und wir wandern wieder die restlichen Meter zum Strand.
Georg und ich versuchen das Handy diesmal noch besser in dem Beutel zu verpacken und sind damit auch erfolgreich. Dann kommen wieder die anstrengenden paar hundert Meter zurück zum Boot, aber auch das geht vorbei.
Nach einem kleinen Snack starten wir wieder hinaus Richtung Piskera, wo unsere nächste Marina liegt.

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Bild: Kleines Mittagessen an Bord

Vorbei geht es an der schroffen Steilküste weiter in den Süden der Kornaten. Wir kommen an der Insel Balun vorbei, wo ich vor vielen Jahren an einer Kante in die falsche Richtung getaucht bin und meinen Buddy verloren habe.

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Bild: Balun

So schroff die Kornaten auch wirken, irgendwie ist die Landschaft auch schön. Weniger schön sind die unzähligen Steinmauern auf den größeren Inseln, vor allem auf Kornat. Bei einer kleinen Recherche erfahre ich, dass sie von Sträflingen gebaut wurden und viele dabei umgekommen sind. Das war vor fast hundert Jahren, so lange stehen diese Mauern schon. Sie erfüllen keinen wirklichen Zweck, angeblich wurden sie gebaut, um die vom Wind davongetragene Erde aufzufangen, haben diese Aufgabe aber nie wirklich erfüllt. Sie sind steinerne Merkmale menschlicher Grausamkeit, bleiben letztlich aber stumm, da es wohl nur wenige Menschen gibt, die ihren Sinn hinterfragen.

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Bild: Sinnlose Steinmauern

Wenig später sind wir in der kleinen Marina angelangt. Sie unterscheidet sich deutlich von der riesigen in Sukosan und liegt malerisch in einer kleinen Bucht. Auch hier sind die Sanitäranlagen tadellos, der Liegeplatz kostet für das Boot 70 Euro und ich komme drauf, dass ich meinen Rasierer daheim vergessen habe – zumindest die Klingen. Da die anderen auch keine dabeihaben, bleiben wir alle unrasiert. Soll nichts Schlimmeres passieren.

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Bild: Unser Boot in der Marina von Piskera

Dafür freuen wir uns auf ein gutes Abendessen im Restaurant der Marina. Die Preise sind stolz, 100 Euro für ein Steak keine Kleinigkeit.
Zu dritt essen wir einen großen Fisch, der mit Beilagen ebenfalls 100 Euro kostet, letztlich aber ausreichend ist und preislich somit okay. Das Bier schmeckt gut, lediglich die Gelsen trüben den wunderbaren Abend.

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Bild: Walter kämpft mit der Garnele in seiner Fischsuppe

Am nächsten Tag mache ich einen kleinen Spaziergang auf den Hügel neben der Marina, um mir die Beine ein wenig zu vertreten und weil die anderen eh noch schlafen. Es ist schon warm, aber noch nicht heiß und ich erhasche einen Blick auf die Kornaten in der Morgensonne.

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Bild: Kornaten im Morgenlicht. Rechts unten ist die Marina, die schmale Durchfahrt hinaus ins Meer verleitet dazu eine Abkürzung zu nehmen – sonst muss man nämlich um die ganze Insel herumfahren.
Das hat aber seinen Grund. Als ich darauf warte, dass die anderen aufwachen, fährt ein Segelschiff mit seinem Flautenschieber auf die Durchfahrt zu. Es macht einen Kracher und das Schiff läuft auf Grund. Jetzt haben alle erste Reihe fußfrei und können sich anschauen, wie die verzweifelte Mannschaft versucht das Schiff wieder freizubekommen. Sie scheitern mit mehreren Versuchen, dann kommt der Hafenmeister und versucht den Segler mit seinem Schlauchboot rückwärts zu ziehen, scheitert aber ebenfalls.
Erst ein herbeigeholter Fischer mit seinem kleinen, aber kräftigen Boot macht ein Seil an der Mastspitze fest und schafft es dann den Segler wieder ins tiefere Wasser zu ziehen. Er fährt dann sofort wieder raus aus der Marina, den Spott der vielen Skipper rundherum will er sich nicht geben.

Es ist Samstag und wir fahren zurück Richtung Zadar. Unser nächstes Ziel ist eine nette Bucht auf Dugi Otok, die wir nach ein paar Stunden Fahrt auch gut erreichen. Dort gibt es keine Marina, jedoch einen Hafen für Ausflugsboote und auch ein gutes, günstiges Lokal mit hervorragenden Grillplatten, wie Hubert uns versichert.
In der Bucht ankern jede Menge Motorboote und auch etliche Segelschiffe. Eines ist ganz besonders schön, ein alter Zweimaster, sicher älter als 70 Jahre, dessen Restaurierung nicht ganz billig war. Diese traumhafte Segelyacht gehört Italienern und heißt „Isabella“.

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Bild: Wunderschönes, altes Holzsegelboot in klassischer Form. Davor der Bug eines modernen Kevlarseglers.
Weil wir keine Mole haben, müssen wir mit einem kleinen Schlauchboot zum Ufer fahren. Mit einem wirklich kleinen Schlauchboot.

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Bild: Georg, Walter und Hubert im Schlauchboot

Gerudert wird, weil der kleine Außenbordmotor nicht funktioniert. Die Strecke ist aber nicht weit und wir verbringen den Nachmittag sowieso noch mit Faulenzen und auch das eine oder andere Bier muss daran glauben. Ich packe meine Schnorchelausrüstung aus, das Ergebnis ist aber mau, es gibt dort in der Bucht genau gar nichts zu sehen, absolut gar nichts. Das Gewicht und die Herumwurschtelei hätte ich mir sparen können, genauso wie den starken Sonnenbrand, den ich mir an diesem Tag hole. Ich schwöre, dass ich nur wenige Minuten in der Sonne war. Erst viel später werde ich erfahren, dass der Schatten an Bord nahezu nichts bringt, da das Wasser die UV-Strahlen so stark reflektiert, dass nur ein ordentlicher Sunblocker mich hätte bewahren können. So lernt man auch mit 58 Jahren noch was dazu, immerhin.

Nach einem kleinen Fußmarsch auf der Insel hinauf zu einer spektakulären Klippe (die dann doch nicht wirklich so spektakulär ist) sind wir bereit für die tolle Grillplatte.

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Bild: Peter vor der Klippe

Leider gibt es das Lokal nicht mehr bzw. es wurde umgebaut und ist jetzt ein mehr oder weniger nobles Restaurant. Die Karte spiegelt das wider.

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Bild: Speisekarte

Ähnlich wie auf Piskera zielen die Lokalbesitzer auf das betuchte Bootspublikum ab und liegen damit scheinbar goldrichtig. Wir gönnen uns trotzdem ein gutes Essen, schließlich ist das ein feines Wochenende und wir wollen unseren Spaß haben.
Am nächsten Tag in der Früh sehen wir die Ausflugsboote, wie sie in die Bucht einfallen, etwa ein knappes Dutzend, jedes voll mit Tagesausflüglern, die auf die Insel gebracht werden. Ich konnte nicht herausfinden, was sie dort den ganzen Tag tun und wir fahren ab Richtung Marina.

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Bild: Zwei der vollen Ausflugsboote

Davor treffen wir noch einen alten Bekannten von Hubert, der in der Marina mit seinem Boot den Nachbarplatz hat. Er ist so etwas wie das Marinafaktotum, kennt jeden und jeder kennt ihn. Wenn Du etwas brauchst, etwa einen schnellen Trockendocktermin, dann ist er der richtige Mann.
Gemeinsam gehen wir Mittagessen und finden endlich das, worauf ich mich schon die ganze Zeit freue: Ein kleines kroatisches Lokal (Ciao Ciao) direkt am Hafen von Kukljica mit gutem, bodenständigem Essen. Ich bestelle Oktopus und bereue es nicht, aber auch alle anderen Speisen sind gut und reichlich – so reichlich, dass wir nicht wissen, ob wir am Abend wirklich noch groß Essen gehen.

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Bild: Bereit für ein gutes Essen

Danach geht es heim in die Marina und gegen Abend bekommen wir doch noch Hunger und fahren in ein nettes Restaurant (Stari Most) zwischen Sukosan und Zadar, wo ich endlich die ersehnten Pleskjavica bekomme. Schließlich bin ich in Kroatien. Mit diesem Essen hoch über dem Meer geht der Urlaub auch fast schon wieder zu Ende. Wir haben am frühen Abend das Boot noch gesäubert und alles aufgeräumt und auf Vordermann gebracht, schließlich kommt morgen die Schwiegermutter von Hubert mit einer Freundin aufs Boot.

Am nächsten Tag fahren wir zurück nach Wien. Die Fahrt verläuft störungsfrei und nach guten sieben Stunden sind wir gesund und munter wieder daheim. Es bleibt ein großes Dankeschön an Hubert und eine wunderbare Erinnerung an ein tolles Bubenwochenende – auch wenn diese Buben schon rasant den 60er ansteuern, es war so lustig wie zu Zeiten der Matura.

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Bild: Die Buben sind froh

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Bild: Sonnenuntergang auf Dugi Otok

Was vom zweiten Weltkrieg übrig blieb

80-jährige haben den zweiten Weltkrieg nicht mehr miterlebt, 90-jährige können sich noch dunkel daran erinnern, in ca. zehn Jahren wird es keine Zeitzeugen mehr geben. Und doch ist noch einiges vorhanden, das hier einmal aufgezählt werden darf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Mir hat der WK2 drei meiner vier Großeltern genommen. Sie sind komplett sinnlos gestorben, so wie die anderen 60 Millionen Toten. Warum? Letztlich weil ein paar alte Männer ihren Machtrausch ausleben wollten. Das erinnert mich doch an was – wie ist das heute, was hat sich geändert?
Und was sollten wir tun, damit das nicht wieder passiert?
Um diese Diskussion nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, ist es notwendig sich daran zu erinnern, was geschehen ist und wie es geschehen konnte.

Der Fokus liegt auf Wien, dessen komplette Zerstörung glücklicherweise verhindert werden konnte. Selbstverständlich gab es auch im restlichen Österreich viel, was heute längst weggeräumt, überbaut, instandgesetzt oder abgerissen wurde.

1.) Schrift, Bild und Ton
Schon vom WK1 gibt es Filme, die auch heute noch ausgestrahlt werden, der WK2 ist umfassend erfasst, samt den Gräueltaten, teilweise sogar schon in Farbe.
Dieser Punkt steht in der Aufzählung nicht ohne Grund an erster Stelle, weil er aus meiner Sicht die größte Auswirkung hat. Einerseits mahnen die Schriftstücke, Ton- und Bilddokumente vor der Schrecklichkeit des Krieges, andererseits dienen sie auch der Rechtfertigung und tw. der Verherrlichung. Es gibt inzwischen leider immer mehr Menschen, die wieder vom Krieg schwärmen und dass einmal wieder ordentlich aufgeräumt werden sollte etc.

2.) Flaktürme
Sie sind unübersehbar, die drei Zwillinge – im 6. Bezirk das Haus des Meeres sowie der Turm in der Stiftskaserne, im zweiten Bezirk im Augarten und im dritten Bezirk die restlichen beiden. Sie werden noch lange herumstehen, Betongiganten, so dunkel wie die Zeit, aus der sie stammen.

3.) Geglättete Gründerzeithäuser
Es gab tausende Bombenschäden, jede Menge komplett zerstörte Häuser und auch solche, die renoviert werden konnten. Weil damals der Fokus auf schnelle Bewohnbarkeit gelegt wurde, mussten die schönen Fassaden daran glauben und wurden einfach gerade heruntergeputzt. Von diesen Häusern gibt es in Wien noch unzählige.
Die inneren Beschädigungen wurden im Laufe der Jahre natürlich auch beseitigt, ich erinnere mich noch gut an das Haus meiner Großeltern in der Zirkusgasse, bei dem der Aufzug aufgrund von Bombenschäden kaputt ging. Ich habe mich immer gefragt, warum er nie instandgesetzt wurde, schließlich wäre er gebraucht worden. Das geschah dann erst, als das Haus verkauft und generalsaniert wurde, ca. 50 Jahre nach Kriegsende.
Die Baulücken, die in meiner Kindheit noch in großer Zahl vorhanden waren, sind inzwischen alle geschlossen.

4.) Mahnmale, Denkmale und Tafeln
Das Russendenkmal am Schwarzenbergplatz ist wahrscheinlich das bekannteste Bauwerk, es gibt aber unzählige andere, in diesem Fall sogar mehr in ländlichen Regionen. Sie weisen meist auf die ermordeten Soldaten hin, die bis heute meistens als „Gefallene“ bezeichnet werden, als ob sie aus Unachtsamkeit hingefallen wären und sich das Genick gebrochen hätten. Als ob es keine Täter gäbe und es sich um einen Unfall handeln würde, wenn jemand erschossen, verbrannt oder zerfetzt wird.
In den meisten Ortschaften finden sich solche Kriegsdenkmäler, oft als Kombi aus WK1 und WK2. In Wien sind sie seltener, hier finden wir vor allem die Messingtafeln am Boden, die an die vertriebenen und in Konzentrationslagern ermordeten jüdischen Menschen erinnern.

5.) Luftschutzkeller
Es gibt sie noch und in manchen findet man heute noch alte Schilder oder aufgemalte Schriftzüge, die Fluchtwege markieren oder ähnliches. Hier sind wir aber bereits bei den versteckten Relikten.

6.) Schützengräben und Bombenkrater im Wienerwald
Auch hier muss man schon genau hinschauen, aber rund um Wien sind die alten Gräben immer noch sichtbar, auch einige Krater sind bis heute nicht zugewachsen oder aufgefüllt.

7.) Waffen
Auch sie sind im öffentlichen Raum nicht sichtbar, es gibt aber unzählige Sammler, die immer noch Waffen aus dem WK2 bei sich daheim haben.
Als Kinder spielten wir in Dornbach (Bezirksteil von Hernals) in dem Waldstück, das an unsere Siedlung angrenzte. Eines Tages fanden wir Waffen und Munition, für uns eine großartige Sache. Ich kann mich noch gut erinnern, als wir Gewehrpatronen zerlegten und das darin enthaltene Schwarzpulver anzündeten. Irgendwann kamen Eltern der Sache auf die Schliche und dann wurden Profis geholt, die das ganze Zeug fanden und entsorgten. Wir waren uns der Gefährlichkeit nicht wirklich bewusst.

8.) Fliegerbomben
Inzwischen sind sie selten geworden, aber die tausenden Blindgänger sind bis heute ein Problem. Bei einem Fund werden ganze Straßenzüge evakuiert, damit die teilweise noch immer scharfen und somit gefährlichen Bomben entschärft werden können.

ich erinnere mich noch gut an eine Fernsehdoku, in der eine alte Frau gefragt wurde, welche Botschaft sie aus ihrem Leben gerne an die Jugend weitergeben möchte. Sie dachte nach und dann meinte sie „Egal was passiert, Finger weg vom Krieg!“
Leider interessiert das die heutigen Kriegstreiber herzlich wenig. Sie suchen und finden Gründe, um andere Gruppen, Völker, Gesellschaften oder Länder anzugreifen. Es sind immer alte Männer, die junge Männer in den Tod schicken.
Somit ist es das Patriarchat, also die Herrschaft der Väter, die das erst ermöglicht. Es ist höchste Zeit diese zu beenden.

Kalymnos – die Kletterinsel

Urlaubsmäßig ist es bei mir heuer auf 4 Tage Kroatien und 7 Tage Griechenland beschränkt – immerhin, das war auch schon weniger.
Das hat mit meiner privaten Situation zu tun, aber auch mit meiner zunehmenden Unwilligkeit zu fliegen. Das wiederum hat nicht nur Umweltschutzgründe, mir geht das ganze Brimbori schlicht und einfach auf die Nerven, die langen Wartezeiten, die Verspätungen, die depperten Kontrollen (wie klein muss die Nagelschere sein, damit ich sie mitnehmen darf etc.) und vor allem die unwürdige Quetscherei in immer enger werdenden Sitzen. Wobei Kurzstrecken ohne Zwischenaufenthalte einigermaßen erträglich sind.

Das alte Problem bleibt bestehen: Ohne Flugzeug ist die Reichweite einfach massiv eingeschränkt und Zugreisen sind auch nicht immer angenehm, von langen Autofahrten ganz zu schweigen.

Mein Ziel ist maximal 1x jährlich und idealerweise gar nicht. Und ich sehe Fliegen nach wie vor als Luxus an, der im Sinne des Begriffs nur eingeschränkt verfügbar ist.
Um die Diskussion abzukürzen: Fliegen ist kein Menschenrecht. Schon gar keines, das Menschen immer überall uneingeschränkt zur Verfügung stehen muss. Fliegen sollte massiv teurer werden, mein Flug nach Kos hat 190 Euro gekostet, der gefühlt passende Preis sollte 500 sein. Dann müsste man Fluglinien auch nicht alle paar Jahre mit Millionen an Steuergeld „retten“ und wenn junge Menschen mit wenig Geld von Australien nach Kalymnos zum Klettern fliegen wollen, müssen sie ein wenig länger darauf sparen, so wie ich das in meiner Jugend auch tun musste, ohne dass mir Lebensqualität verloren ging. Oder sie kaufen sich beim jährlichen Handy eines um 700 statt um 1.400 Euro und schon geht das mit dem Flug.
Für mich wäre auch ein CO2-Kontingentsystem denkbar, bei dem man Flugkilometer durch Umweltschutz anderswo anspart, die man dann verwenden kann.
Das würde auch zu einer Bewusstseinsentwicklung führen, die ich derzeit noch nicht erkennen kann, wenn ich auf die übervollen Flughäfen und die ständig steigenden Flugzahlen schaue.

Mein Urlaub war schnell gebucht, mein lieber alter Freund Rudi hatte mir eine Griechenlandwoche schmackhaft gemacht und da ich schon lange nicht mehr dort war, konnte ich nicht widerstehen. In seinem kleinen Appartement gibt es zwei Betten und ich freute mich schon auf das Gezirpe der Zikaden in sommerlichen Wäldern, die ich durchwandern wollte. „Wenn Du willst, nehme ich dich ein oder zwei Mal zum Klettern mit, da kannst du dir das anschauen“ meinte Rudi.
Als ich aus Interesse und um mir gleich Wanderrouten schmackhaft zu machen die Insel googelte, war ein leichter Schock nicht zu vermeiden: Das ist ein Steinhaufen, da gibt es keine Handvoll Bäume auf der ganzen Insel. Also nix mit Wandern, schon gar nicht im August.
Somit war auch völlig unklar, was ich dort tun könnte. Natürlich gibt es nette Strände, aber ich bin kein Sonnenlieger. Dazu kam noch ganz aktuell ein fetter Sonnenbrand, den ich mir am Wochenende zuvor in Kroatien geholt hatte. Sonne war also eine ganz schlechte Idee.

Glücklicherweise kenne ich seit meiner Romreise die Alaska-Regel („Repariert wird etwas erst, wenn es kaputt ist“) und dazu die alte Regel meines lieben Freundes Hans („Man soll sich auf Sorgen keinen Vorschuss nehmen“).
Also beschloss ich die Woche einfach auf mich zukommen zu lassen. Irgendwas Nettes würde sich schon ergeben.

Die Anreise mit dem Roller zum Flughafen habe ich schon ausführlich in früheren Postings beschrieben, das funktionierte wie immer. Da ich nur mit Handgepäck flog, war die Anreise- und Wartezeit gering und weil es sich um einen Billig-Urlaubsflug handelte, musste wir mit diesen elenden Bussen zum Flugzeug fahren. Egal.
Nicht ganz egal war mir die Ansage des Piloten, dass sich aufgrund von Flugzeugstau in der Luft unser Abflug um ca. 30 Minuten verspäten würde, „sofern wir nicht Glück haben und früher drankommen“.
Das Glück war uns schließlich hold und wir konnten tatsächlich wenige Minuten später abfliegen. Dank des Wassertricks (Leere Wasserflaschen durch die Kontrolle bringen, danach am WC mit frischem Wiener Wasser anfüllen) hatte ich auch was zu Trinken an Bord, bei der AUA bekommt man nur einen kleinen Becher Wasser und immerhin eine Mozartkugel, deren Verzehr ich mit dem Prädikat „unverzüglich“ weiterempfehle, sonst hat man nämlich immer Schokoladegatsch in der Hose oder sonstwo.

Nach Kalymnos kommt man nur mit der Fähre von Kos. Der Flughafen befindet sich nur ca. zehn Fahrminuten vom Hafen, wo ich ein Zimmer für eine Nacht gebucht hatte. Das geht heute alles problemlos online, in diesem Fall über booking.com und die Kommunikation mit dem Vermieter klappte über Whatsapp.
Nicht ganz so einfach ist der Transport. Der Bus vom Flughafen zum Hafen von Mastichari kostet zwar nicht viel, aber die Busfahrer sind mit den Taxifahrern verbandelt und scheuchen einen gerne vom Bus weg hin zu den Taxis – so ist das Rudi letztes Jahr passiert.
Ein Taxi zu bekommen ist aber auch nicht einfach, weil man sich ganz hinten in einer langen Schlange anstellen muss.
Ich wollte mir ein Taxi mit anderen teilen und ging daher die Schlange von vorne an durch mit der Frage, ob jemand zum Hafen fährt und weniger bezahlen möchte.
Kurze Zeit später hatte ich ein nettes junges Pärchen gefunden, die über die Kostenersparnis erfreut waren und außerdem noch das Nachbarzimmer in meiner Unterkunft hatten. In einer kleinen Taverne direkt am Strand, keine Gehminute vom Hotel, haben wir dann noch gemeinsam Abend gegessen und ich fand den Urlaubsauftakt absolut gelungen. Inklusive
Mythos-Bier und hervorragendem Tzatsiki.

Am nächsten Morgen zur Fähre gehen, ein Ticket um 8 Euro kaufen und eine Stunde Überfahrt genießen oder überstehen – je nachdem. Für mich war es durchaus Genuss, man hat die Auswahl zwischen Oberdeck mit Sonne bzw. etwas Schatten oder einem klimatisierten Salon. Alles verläuft ohne Hektik und die Fähre war pünktlich.

Am Hafen in Kalymnos erwartete mich Rudi mit seinem Motorroller. Das ist auf der Insel das perfekte Fortbewegungsmittel, außer man hat Kinder dabei oder extrem viel Gepäck zu schleppen. Die Kosten sind ebenso überschaubar (in meinem Fall 15 Euro pro Tag für eine brandneue Piaggio Liberty 125) wie die Administration. Führerschein vorzeigen, einen Wisch unterschreiben und losfahren – komplizierter wird es nur bei einem Unfall, den Rudi letztes Jahr leider hatte. Aber auch da war die Rollerrückgabe einfach, über die paar Kratzer wurde großzügig hinweggesehen und auch Rudis Rücktransport mit dem ÖAMTC-Schutzbrief war perfekt organisiert.
Den Verkehr kann ich am besten mit „südländisch-anarchistisch-entspannt“ beschreiben. Griechen haben fast ausnahmslos keinen Helm auf, traditionell auch bei schweren Maschinen. Die meisten Menschen haben aber Roller, fahren flott, aber nicht völlig verrückt. Schutzkleidung gibt es nicht, maximal einen Helm.
Ich hatte ordentliche Motorradhandschuhe und einen Nierengurt aus Wien mitgenommen, ausleihen könnte man sich das dort nicht. Den Leihhelm muss ich als besseren Witz bezeichnen, stürzen will ich mit sowas nicht. Beim Fahren habe ich außerdem die festen Wanderschuhe angezogen – besser als nix.

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Bild: Bei einer Inselumrundung

Wir sind auf einer griechischen Insel, das ist die Erklärung für all das und noch viel mehr, etwa für die kreative Befestigung der Nummerntafel bei diesem Motorrad:

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Bild: Enduro vor Bougainville mit strafzettelreduzierender Taferlbefestigung

Wobei – die Rechnung geht für den Fahrer möglicherweise nicht auf, denn die Insel ist klein und wahrscheinlich kennt man sich sowieso.
Gestraft werden laut Rudi nur die Touristen, die im Ort Masouri gerne gegen die Einbahn fahren, wobei man zu ihrer Entschuldigung sagen muss, dass es keine Beschilderung gibt. Gelten tut sie trotzdem. Und die Einheimischen fahren sowieso gegen die Einbahn, was zu kurzen, aber gepflegten Staus und Schimpforgien führt, wobei sich in erster Linie die gegen die Einbahn Fahrenden aufregen, warum sie nicht weiterfahren können. Wir hatten bei solchen Szenen erste Reihe fußfrei in der Taverne.

Rudi fährt nach seinem Unfall dieses Jahr noch etwas vorsichtig, wir kamen ohne Probleme bis zu seiner Unterkunft, sehr nett gelegen mit Blick hinunter aufs Meer.

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Bild: Feiner Blick mit griechischer Flagge und Pinien.

Um dorthin zu kommen, muss man kleine, kurvige Straßen fahren. Ohne Roller oder Auto geht gar nichts. Für die Griechen ist das ganz normal und kein Problem, die Nachbarn fahren sogar die zwei Gehminuten hinunter zum Strand mit dem Motorroller. Vereinzelt gibt es zwar schon E-Autos, generell ist Umweltschutz aber eher ein Fremdwort. Es gibt keinerlei Mülltrennung und der Strom für die Insel kommt von einem Dieselkraftwerk.
Solarmodule gibt es nur vereinzelt und ich bin erstaunt, wie all die Klimaanlagen mit dem einen Kraftwerk betrieben werden können. Sollte es einmal eine Ölkrise geben, steht die Insel still.

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Bild: Ölhafen mit Tanklastern

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Bild: Dieselkraftwerk

Immerhin müssen sie nicht von einem Tankschiff mit Wasser versorgt werden. Laut unserer Zimmerwirtin kommt es aus den Bergen, ist aber salzig.

Meine Fähre ging um 9 Uhr und nach einer kurzen Einkaufstour in den Supermarkt und der Abholung meines Leihrollers ging es zum ersten Kletterplatz, dem „Arginonta Valley“. Die Insel ist DAS Paradies für Sportkletterer und bietet über 5.000 gebohrte Routen. Die sind alle in einem dicken Buch verzeichnet und gut beschrieben. Dieses Buch ist sozusagen die Bibel und alle haben es. Wer will, kann sich alle Routen auch online ansehen, aber es gibt nicht immer überall Empfang und außerdem geht ein guter Teil der Einnahmen in die Pflege und den Ausbau der Routen.

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Bild: Jedes Klettergebiet auf der Insel ist genau beschrieben, auch der Zustieg, der manchmal lange, steil und schwierig ist, oder aber nur wenige Minuten dauert, wie im erwähnten Arginonta Valley. Man fährt mit dem Roller oder Auto zum Beginn des Zustiegs und geht mit der Ausrüstung dann zum jeweiligen Klettergebiet. In diesem Fall heißt es „Secret Garden“ und hat Schatten ab ca. 10 Uhr. Das ist immer eine sehr wichtige Info, weil man in der Sonne im Sommer nicht klettern kann. Der Stein heizt sich auf und wird rutschig und außerdem ist es generell nicht aushaltbar.
Daher kann man manche Gebiete am Vormittag klettern und andere am Nachmittag.

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Bild: Zustieg zu „Poets“, das am Vormittag bekletterbar ist. Oben sind mehrere Wände sichtbar und es geht steil bergauf. Jeder hat einen Kletterrucksack, in dem sich das Seil, die Expressen, der Gurt und die Kletterschuhe sowie noch jede Menge anderes Zeugs befinden.

Wenn man dann bei der Wand angelangt ist, schaut man sich im Buch an welche Route man klettern möchte. Es gibt so viele, dass immer genügend frei sind. Die Routen liegen oft nur 2 Meter auseinander und manchmal tummeln sich schon eine Menge Leute an und in der Wand.

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Bild: Am Fuß einer Wand. Manche bereiten sich vor, andere klettern und werden von unten gesichert. Diese Wand heißt „Alani“ und hat relativ leichte Routen, die auch für Kinder geeignet sind.

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Bild: Eine Seite aus dem Buch. Man sieht die Routen einer Wand. Als Info gibt es eine Nummer, einen Namen, den Schwierigkeitsgrad, die Länge und eine kurze Beschreibung der Besonderheit. Das ist sehr professionell aufgezogen.
Dieses Bild stammt vom Klettergebiet Noufaro, die Wand heißt „Noufaro Main“ und die Route, die ich geklettert bin, heißt „Via Vai“, ist eine leichte Traverse und eine „leichte 6a“. Mehr dazu später.

An diesem Nachmittag war alles neu für mich. Wir trafen uns mit Andrea, einem sehr netten Italiener, mit dem Rudi schon einige Tage lang geklettert war. Da ich ja nicht geplant hatte klettern zu gehen und das ja auch überhaupt nicht beherrschte, war ich in erster Linie Zuseher. Das fand ich aber durchaus interessant, in eine neue Welt hineinzuschnuppern. Die Klettercommunity ist ähnlich wie andere Sportgemeinschaften, etwa beim Flaschentauchen, Surfen, Fallschirmspringen etc.
Es gibt wie überall Fanatiker, Mitläufer, Angeber, Profis und noch vieles mehr. Sportklettern unterscheidet sich vom Alpinklettern erheblich. Kern dieses Sports ist das Besteigen von Routen, in der Halle oder eben wie hier auf Felswänden. Um das irgendwie schaffen zu können, muss man es lernen und das geschieht in erster Linie in der Halle beim „Bouldern“. Dort lernt man die Technik, also wie man den Körper richtig bewegt, dreht, verspannt und vieles mehr. Dabei gilt: Je besser die Technik, umso weniger Kraft braucht man.

Ich hatte noch gar keine Technik und dazu auch nicht die notwendige Ausrüstung. Rudi hatte aber einen zweiten Klettergurt und so durfte ich bei einer Route, die Rudi und Andrea vorher hinaufgeklettert waren, mein Glück versuchen.
Als Minimaltechnik reicht zu wissen, dass man (zumindest in den unteren Schwierigkeitsgraden) mit den Beinen steigt und die Hände nur zur Stabilisierung verwendet. Allein das bewirkt, dass man schon doppelt so weit kommt wie ohne diese Technik. Ich kletterte also unter Anweisung hinauf („da links ist ein Griff… nein, noch ein bissi weiter links… ja, sehr gut… und jetzt den rechten Fuß noch etwas weiter nach oben… genau!“) und schaffte immerhin ca. 70% der Route „Terra Nullius“, einer leichten 5a.

Ich muss jetzt ein paar Worte über das Sicherungsprinzip verlieren. Jede dieser Routen ist „gebohrt“, d.h. es sind in gewissen Abständen Stahlstifte in die Wand betoniert, an deren Ende eine Öse ist. Wenn der erste hinaufklettert (das nennt man den „Vorstieg“), hängt er sich mit dem Seil, das an seinem Klettergurt befestigt ist, über sogenannte „Quick Draws“ in die jeweils nächste Öse ein. Diese Quick Draws (auf Deutsch werden sie „Expressen“ genannt) bestehen aus zwei Karabinern, die mit einem massiven Kunststoffband verbunden sind.
Der Kletterpartner (oder die Partnerin) steht unten und hält das Seil möglichst straff. Wenn man hinunterfällt, dann maximal den Weg bis zur oberst eingehängten Öse und den gleichen Weg natürlich noch einmal.
Das Seil dehnt sich noch ein wenig und federt den Sturz zusätzlich ab. Das ist so ausgereift, dass es bei vielen Millionen Besteigungen auf Kalymnos in den letzten 15 Jahren nur einen einzigen tödlichen Unfall gab.

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Bild: Andrea sichert Rudi, der gerade Vorstieg geht und in diesem Moment zu einem Quick Draw greift, von denen er ausreichend viele am Klettergurt hängen hat, um bis nach oben zu kommen. Auf der Route daneben kämpft sich gerade ein Kind hinauf – es ist unglaublich, was die zu leisten vermögen. Sie sind meistens komplett angstfrei und viele entwickeln sich später zu hervorragenden Kletterern.

In meinem Fall war die Angelegenheit sogar noch einmal sicherer, weil ich nicht als Erster hinaufsteigen musste, sondern schon ein Seil hatte, das ganz oben („Top“) der Route in einen Karabiner eingehängt wurde. Ich konnte also gar nicht hinunterfallen, was mir das Gefühl kompletter Sicherheit gab. Daher konnte ich auch komplett angstfrei klettern. Das nennt man „Top Rope“-Klettern und es wird für Kinder verwendet und Anfänger wie mich.

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Bild: Rudi sichert mich auf den ersten Metern – hier am Bild sind noch gut die Wanderschuhe erkennbar, mit denen ich die Route versucht habe.

Am Abend waren wir mit einer ganzen Gruppe aus Italien verabredet, das Lokal „Kokkinidis“ im Ort Masouri ist sehr empfehlenswert. Rudi und ich waren insgesamt vier Abende dort, das Essen war immer hervorragend und auch leistbar, wir zahlten zu zweit zwischen 45 und 60 Euro inklusive Getränk.

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Bild: Gebackener Feta in Honig – köstlich!

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Bild: Die nette Gruppe. Links Magdalena mit ihrem Mann Fabio (ihr Sohn Alessandro sitzt im Kinderwagen), meine Wenigkeit, die Freundin von Andrea, rechts hinten dann Andrea, Rudi, Alfredo, Adriana und Ferruccio. Bis auf die Freundin von Andrea und mich sind alle hervorragende Kletterer.

Am nächsten Tag gingen wir Kletterschuhe ausborgen, weil Rudi meinte, das wäre dann eine ganz andere Erfahrung für mich. 25 Euro für fünf Tage erschienen mir wohlfeil und so fuhren wir wieder ins Agrigonta Valley, um erneut unser Glück in den Routen zu versuchen.
Der Unterschied ist gewaltig. Mit den Schuhen war die Route vom Vortag nicht viel schwieriger als Stiegensteigen und so ging ich meine erste Route bis „zum Top“.

Noch ein paar Worte zu den Schwierigkeitsgraden: In Kalymnos wird die französische Skala verwendet, die von 1 bis 9 geht.
Bei 1 muss man das erste Mal die Hände verwenden, in Kalymnos wird ab 4 gezählt, alles darunter macht keinen Sinn im Sportklettern.
5 ist für Anfänger, wobei es dann überall noch die Unterscheidung in a, b und c gibt und manchmal kommt noch ein „+“ dazu.
Mit der Minimaltechnik lässt sich 5c meistens gerade noch schaffen, alles drüber hinaus nicht mehr.
Der Unterschied liegt in der Häufigkeit und Art der Tritt- und Griffmöglichkeiten. Ab 6 kommen dann noch Überhänge dazu. Wer 7 klettern kann, ist schon ziemlich gut, 8 ist nur mehr für sehr gute Kletterer und 9 lässt sich am besten mit „überhängende Rauhfasertapete“ beschreiben. Es ist mir rätselhaft, wie man da überhaupt hinaufkommen kann.
Kletterer kann man gut an ihren Händen erkennen. Die Knöchel sind deutlich verdickt und die Fingerspitzen sehen aus wie Kochlöffel – etwas übertrieben gesagt. Sie müssen sich mit den Fingern in und auf winzigsten Kuppen, kleinsten Leisten und wo auch immer festhalten. Die Kletterpatschen sind vorgespannt und unterstützen den Halt auf fast glatter Wand. Sie sind so eng, dass manche Kletterer sie beim Abseilen bereits lockern oder halb ausziehen. Meine waren glücklicherweise für Anfänger und im Vergleich noch einigermaßen bequem.

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Bild: Ferrucio klettert Vorstieg an einem Überhang und wird von Adriana gesichert. Er ist ein unglaublich kräftiger Kletterer, Adriana hat dafür eine besonders gute Technik und steht ihm um nichts nach.

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Bild: Ferrucio hat den Überhang geschafft und klettert nun die Route weiter. Seine Hand ist weiß von der Kreide, die in dem Beutel hinten am Gurt zu finden ist und den Fingern mehr Halt gibt.

Gesichert wird mit einem Sicherungsgerät, das zugleich auch zum Abseilen verwendet wird. Am gebräuchlichsten ist das sogenannte „Gri Gri“ der Marke Petzl, das auch Rudi hat. Es ist sehr hochwertig, aber nicht ganz leicht zu bedienen. Für Routiniers kein Problem, ich musste aber ordentlich schwitzen, vor allem beim Abseilen, denn zwischen Stop und zu schnell ist nur ein winziger Bereich, in dem man den Hebel bedienen muss.

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Bild: Start zu einer Route. Die Sicherung des Seils am Gurt ist gut zu erkennen, auf der Matte für das Seil sieht man das kleine, orange Sicherungsgerät (aufgeklappt).

Ein letztes Wort zur Technik. Für mich war es besonders anstrengend Rudi beim Vorstieg zu sichern – eh nur bis Schwierigkeitsgrad 5, bei dem er nicht wirklich abstürzen kann. Der Grund liegt darin, dass ich ja ständig hinaufschauen muss, um ihm mehr Seil zu geben oder das Seil auf Spannung einzuholen. Nach einiger Zeit tut der Nacken dann schon ordentlich weh. Daher gebührt großes Lob dem Erfinder der Umlenkbrille, die man aufsetzt und die den geraden Blick nach oben hin umlenkt. Das ist sehr einfach und sehr entspannend.

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Bild: Rudi mit Umlenkbrille. Die gibt es erst ein ein paar Jahren. Millionen Sportkletterer sind dankbar.

Da man auf der Insel sonst nicht viel machen kann, gingen wir halt jeden Tag klettern. Rudi war sowieso nur dafür auf Kalymnos und ich fügte mich dem Schicksal. Letztlich war das die richtige Entscheidung, denn es machte großen Spaß und ich konnte eine neue Sportart kennenlernen. Ob ich sie weiter pflegen werde, weiß ich noch nicht. Der nächste Schritt wäre ein Boulderkurs, um die Technik zu lernen.
Dafür spricht, dass der Sport sehr gesund ist, weil man immer den ganzen Körper trainiert. Dagegen spricht der Aufwand, der noch schwer abschätzbar ist. Regelmäßiges Training ist erforderlich, um halbwegs anspruchsvolle Routen klettern zu können.
Wobei – eine tolle Route hab ich auch geschafft, die schon erwähnte Via Vai mit Schwierigkeitsgrad 6a konnte ich bis zum Top klettern. Okay, es war eine eher leichte 6a mit nur zwei schwierigen Stellen, aber trotzdem, das Gefühl so etwas geschafft zu haben, war schon toll.

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Bild: Ich in einer 6a („Mostass“), die ich allerdings nicht bis ganz nach oben geschafft habe, auch weil dort oben ein Hornissennest war. Eine aus dem Schwarm hat mich in die Schulter gestochen und dann habe ich die Route abgebrochen. Ganz oben im Bild unter dem Überhang Fabio, der die Route daneben bis oben geklettert ist.

Rudi klettert seit 18 Jahren und ist ziemlich gut, er schafft Routen bis 7c, je nach Form. Der Fels auf Kalymnos ist hart und sehr gut zu klettern. Es gibt scharfe Stellen und sogenannte „Tuffa“.

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Bild: Rudi klettert eine schwierige Route mit sogenannten „Verschneidungen“, die er zwar kann, aber nicht besonders gern mag. Hier braucht man eine Mischung aus guter Technik und Kraft, sonst geht nicht viel.
Die Routen an dieser Wand sind unterschiedlich schwer, viele davon ordentliche Knacker.

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Bild: Am Fuß der Wand steht jeweils der Name und meistens auch der Schwierigkeitsgrad der Route. Diese hier sind auch für gute Kletterer echt schwer.

Einziger Wermutstropfen dieses Urlaubs war ein enormer Sonnenbrand am Rücken, den ich mir beim Klettern geholt habe. Wahrscheinlich wäre er nicht so schlimm geworden, wenn ich nicht schon mit einem noch nicht abgeheilten Sonnenbrand aus Kroatien (das Wochenende davor) gekommen wäre.
Trotz langem Hemd, breitkrempigem Hut etc. erwischte es mich. Ähnlich wie in Kroatien hatte ich total aufgepasst und erst die Italiener klärten mich auf: Es ist die Reflexion vom Meer, die so brutal wirkt. Ich wusste das nicht, es erklärt aber sowohl den Sonnenbrand aus Kroatien wie auch den auf Kalymnos. Obwohl das Meer oft ein paar hundert Meter von den Kletterwänden entfernt ist, wirkt es sich stark aus. Die Wände sind zwar im Schatten, das nützt aber nur bedingt, Einschmieren mit hohem Sonnenschutzfaktor ist unabdingbar.

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Bild: Eine Wand im Schatten, das Meer weit weg – alles nutzlos

Auch sehr nett war eine Runde um die Insel mit dem Motorroller. Da Kalymnos recht klein ist, kann man das in zwei bis drei Stunden bewältigen.

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Bild: Rudi mit seinem Roller auf dem Pass zwischen Arginonta-Tal und Vathy-Tal. Er hatte nach seinem Unfall doch etwas Angst vor den Straßen, die er als rutschig erlebt hat. Ich kann das nicht bestätigen, der Asphalt war überall sehr griffig, die Unebenheiten halten sich in Grenzen, die Insel lässt sich mit dem Roller gut befahren.

Da und dort lässt sich ein kleiner Abstecher in eine Bucht machen, nicht immer ist der Anblick dort nur malerisch.

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Bild: Die Menschen werfen ihren Dreck einfach ins Meer. Der Großteil besteht aus Wasserflaschen und anderem Plastik. Die Strände sind allerdings nicht so verschmutzt wie an anderen Küsten, zumindest nicht mit großem Unrat, das Mikroplastik ist ja nicht so einfach festzustellen.
Die meisten Badebuchten sind aber ganz nett und das Wasser ist sehr klar.

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Bild: Badebucht hinter Emporion mit ein paar Segelschiffen.

Wie schon gesagt, ist die ganze Insel mehr oder weniger kahl. Die einzigen nennenswerten Bäume sind im Vathy-Tal in Form von Olivenplantagen. Ansonsten gibt es Buschwerk und Gestein, somit ist auch wenig Landwirtschaft möglich, dafür gibt es Ziegenherden, aber auch die in nicht allzu großer Zahl.

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Bild: Das Vathy-Tal, immerhin ein wenig fruchtbar.

Auf unserer Rundfahrt haben wir auch Fischzucht entdeckt. Und der Hafen von Vathy ist wirklich malerisch. Dort gibt es noch alte Fischerboote und kleine Tavernen.

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Bild: Hafen von Vathy mit Fischerbooten

Am Abend des vorletzten Tages sind wir dann einer weiteren Empfehlung gefolgt und ins Psiris gegangen. Diese Taverne erfüllt alle Klischees, die man sich nur vorstellen kann: Direkt am Hafen, alles in den Farben blau und weiß gehalten, eine resolute Kellnerin und eine Art alter Seebär, der jedem Gast auf die Schultern klopft.

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Bild: Psiris, wie aus einem Prospekt

Das Essen entsprach auch genau unseren Erwartungen: Günstig und gut. Wir aßen als Spezialität des Tages ein Menü aus Vorspeise (Oktopusbällchen und Tsatsiki) danach jeder eine Dorade plus einen Griechischen Salat, dazu gab es einen halben Liter Wein sowie Wasser und Brot.

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Bild: Unsere Vorspeise. Im Hintergrund ist keine Fototapete, das ist der echte Sonnenuntergang.

Das alles um ca. 40 Euro. Und sie stellten uns dann noch eine Karaffe Wein gratis dazu. Das Lokal war vor allem von Griechen besucht. Etwas später kam noch ein Pope mit Anhang, Kinder spielten zwischen den Sitzen und wir hatten nicht den Eindruck, dass man darauf wartet, dass der Tisch für die nächsten Gäste frei wird. Es war ein sehr gemütlicher Abend zum Sitzenbleiben und noch ein Achterl griechischen Wein trinken. Oder einen Ouzo zum Abschluss.

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Bild: Der griechisch-orthodoxe Priester

Klettern, Essen, Schlafen – so verliefen letztlich die Tage. Auch der letzte Abend war erfreulich, uns wurde die „Ägaische Taverne“ empfohlen, wie die meisten Lokale liegt sie an der Straße durch Masouri – der schon erwähnten Einbahn. Die ist tagsüber, vor allem aber am Abend sehr belebt, in erster Linie von Touristen. Man kann meistens nur in Schrittgeschwindigkeit durchfahren, was aber auch nur wenige Minuten dauert. Dort liegen auch die Sportgeschäfte für die Kletterer, es gibt jede Menge Hotels und Pensionen, in gewisser Weise ist das der Hotspot der Insel. Neben Vathy und Kalymnos als namensgebender Hauptort gibt es auf der Insel nur mehr einige sehr kleine Orte. Ohne Tourismus gäbe es auf der Insel eigentlich gar nichts, bis auf ein paar Fischer und einige Ziegenhirten.
So wird es von abertausenden Kletterbegeisterten jedes Jahr aufgesucht – Nicolo und Chiara sind Kletterlehrer aus Bologna, das Pärchen ist schon das neunte Mal auf der Insel und sie werden wohl auch in Zukunft wieder herkommen. Da es im Sommer nicht regnet und die Felsen auch durch die Klimakrise nicht kaputt gehen, dürfte die Situation auch die nächsten Jahrzehnte stabil bleiben, da der Klettersport nicht besonders teuer ist: Die gesamte Ausrüstung lässt sich mit weniger als tausend Euro besorgen und die Kletterrouten sind – zumindest bisher – gratis. Es gibt zwar in Europa Klettergärten, für die man Eintritt bezahlen muss, aber immer genügend kostenfreie Alternativen. Seile, Schuhe und andere Verschleißteile müssen von Zeit zu Zeit erneuert werden, die Kosten sind aber im Vergleich mit anderen Sportarten wie Skifahren, Tauchen oder Golfspielen gering.

Wie wird es weitergehen? Hoffentlich werden die Griechen in den nächsten Jahren auch die Notwendigkeit des Umweltschutzes entdecken und vor allem ihre Energieversorgung sowie Mobilität entsprechend verändern. Technisch ist das alles bereits ausgereift, es fehlt am Bewusstsein und in Folge am politischen Willen.
Dann steht einer guten Zukunft nichts entgegen, auch für die Insel Kalymnos, diesem durchaus sympathischen Steinhaufen.

Zurück zum letzten Abend. Wir hatten glücklicherweise am Vortag reserviert, die Ägaische Taverne ist extrem gut besucht. Hier merkt man den Versuch der Transformation, weg von der klassischen griechischen Taverne hin zum Nobellokal. Glücklicherweise ist das noch nicht ganz gelungen, aber im Gegensatz zum Vortag hatten wir hier nicht das Gefühl verweilen zu wollen. Das Essen war hervorragend, Rudi hatte Fisch, ich Lammkoteletts. Das Tsatsiki davor war reichlich und das Beste, das ich seit vielen Jahren bekommen hatte.
Über die Plastikblumen und den fast echten Olivenbaum muss man hinwegsehen, die Bedienung war höflich und freundlich.

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Bild: Die Ägaische Taverne, nicht mehr in blau-weiß, sondern mit etwas moderneren Möbeln, dafür fast doppelt so teuer wie das Psiris. Trotzdem waren die 80 Euro für zwei Personen noch im Rahmen eines guten Preis-Leistungsverhältnisses.

Am nächsten Tag gingen wir noch einmal klettern, ich brachte Leihschuhe und Leihroller zurück und Rudi führte mich zur Fähre. Für die Rückreise habe ich noch einen kleinen Tipp: Wenn man auf Kos ankommt, kommt man am Anfang des Piers zu einem Kreisverkehr. Dort fahren nicht nur die Taxis ab, es gibt auch einen Bus zum Flughafen, der statt 20 Euro nur 2,60 kostet und genauso schnell ist. Die Abfahrtszeiten variieren zwar ein wenig und es kommen viele Busse vorbei, der richtige hat aber (auch) „Airport“ auf seiner Anzeigetafel stehen. Für das übrige Geld kann man in einer der beiden Tavernen noch einen Abschiedsdrink nehmen.
Unser Rückflug startete pünktlich und so ging ein interessanter Urlaub gut zu Ende.

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Bild: Die kleine Nachbarinsel Telendos in der Abendsonne.