Das Regierungsprogramm – eine Analyse

Ich konnte mir bisher nur einen kleinen Teil vornehmen, aber das ist immerhin ein Anfang. (Und ich verstehe auch nicht von allen Teilen etwas)

Rechtssicherheit und Entlastung für Selbstständige und KMUs
(Seiten 95+96)

Anmerkung: Es fehlen zu den KMU (ohne „s“, das KMU ist bereits die Mehrzahl) noch die EPU, also die Ein-Personen-Unternehmen. Vielleicht wurde darauf auch nur in der Eile vergessen.
Legen wir los:

Das GmbH-Mindeststammkapital auf 10.000 Euro senken.

Ja, das erleichtert natürlich die Gründung. Es verleitet aber auch dazu eine Gesellschaftsform zu wählen, die sehr verlockend klingt, aber ihre Tücken hat (Vormänner-Solidarhaftung etwa – noch nie gehört? Eben.).

Evaluierung einer Verbesserung der sozialen Absicherung der Gruppe der Selbst- ständigen (ehem. SVA-Versicherte) im Rahmen der Zusammenführung der Träger SVA und SVB zu SVS

Das ist ein Platzhalter, der erst mit Inhalt gefüllt werden muss. Eine Evaluierung selbst bringt noch nix. Vor allem, weil die Zusammenführung gerade erst erfolgt und durchaus kritisch zu sehen ist. Könnte aber wichtig werden.

Regelmäßige und frühzeitige Informationsverpflichtung der SVS bzgl. der Nachbemessung nach dem 3. Jahr und bzgl. der freiwilligen Höherversicherung – „opt-in“ bzw. Verbesserung der Information zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung

Das ist gut, denn es hilft vielen, die mit der eigenen Planung und Organisation ihres Unternehmens etwas überfordert sind. Die neigen dazu diesen wichtigen Punkt zu übersehen und dann besteht die Gefahr, dass eine nicht geplante Nachbemessung das Unternehmen gefährdet. Die Verbesserung der Info zur Arbeitslosenversicherung ist nett, ich halte davon aber generell nichts, weil sie sehr teuer ist.

Rechtssicherheit in der Abgrenzung von Selbstständigkeit und Dienstverhältnissen: Der Dienstnehmerbegriff soll im Sozialversicherungs- sowie Steuerrecht vereinheitlicht und klarer umschrieben werden, um Rechtssicherheit zu schaffen. Dabei ist sowohl auf die Privatautonomie (bzw. Entscheidungs- freiheit, „Recht auf Selbstständigkeit“) als auch auf Missbrauchsfälle im Bereich der Scheinselbstständigkeit ein besonderes Augenmerk zu legen. Hierbei sind im Besonderen die Mehrfachversicherung und damit in Zusammenhang stehende Probleme zu evaluieren.

Ein wichtiger Punkt, der durchaus grüne Handschrift trägt, vor allem, weil diese Details dem ÖVP-Wirtschaftsbund bisher einfach nicht wichtig waren. Da hat die Grüne Wirtschaft eine Marke gesetzt.
Es ist ein erster Schritt in eine gute Richtung, nämlich der Blick auf die Vielfalt von Arbeitsformen, die in Zukunft neue Modelle vor allem im Steuerrecht brauchen.

Evaluierung eines Modells, um die soziale Absicherung in der Startphase der Unternehmertätigkeit sicherzustellen

Wieder ein Platzhalter. Und sie hätten wenigstens „Unternehmerinnen“ auch berücksichtigen können. So viel Zeit wäre schon gewesen.
Zur Sache: Ja, das ist wichtig. Wir dürfen gespannt sein, was ihnen dazu einfällt.

Leichtere Absetzbarkeit von Arbeitszimmern: Die steuerliche Absetzbarkeit von Arbeitszimmern zuhause (anteilig am Gesamtwohnraum) soll ausgeweitet werden, indem analysiert wird, ob die Voraussetzungen „ausschließliche, berufliche Nutzung“ und „Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit“ noch zeitgemäß sind bzw. wie diese Regelung vereinfacht und der heutigen Arbeitswelt angepasst werden kann. Eine Pauschalierung soll angestrebt werden.

Klingt nach einer Kleinigkeit, hat aber vielen UnternehmerInnen schon zahllose graue Haare und schlaflose Nächte beschert. Es zeigt vor allem, dass KleinunternehmerInnentum (grässliches Wort) einen Wert bekommt, den es vorher nicht hatte. Die Grüne Wirtschaft lässt grüßen.

Erhöhung der Freigrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG) auf 1.000 Euro, mit Ziel einer weiteren Erhöhung auf 1.500 Euro für GWG mit besonderer Energieeffizienzklasse (mit minimalem bürokratischen Aufwand)

Auch nur eine „Kleinigkeit“, die sich aber summiert. Bis vor kurzem waren es 400 Euro, jetzt sind es 800, die 1000 sind ein typischer Kompromiss, in dem die Handschrift der Grünen erkennbar ist (grüne Geräte werden belohnt).

Vereinfachung ausgewählter sonstiger Bezüge (z.B. Vergleiche, Kündigungsentschädigungen etc.) mit dem Ziel, die Komplexität zu reduzieren. Daher soll durch eine einheitliche Besteuerung mittels pauschalen Steuersatzes eine Vereinfachung erreicht werden.

Darüber weiß ich zu wenig.

Modernisierung der Gewinnermittlung, z.B. die „Unternehmensgesetzbuch-Bilanz“ und die „Steuerbilanz“ sollen stärker zusammengeführt werden („Einheitsbilanz“) (u.a. abweichendes Wirtschaftsjahr für alle Bilanzierer, Harmonisierung der Firmenwertabschreibung)

Ein Stück Entbürokratisierung, durchaus zu begrüßen.

Förderung des Prinzips „Reparieren statt wegwerfen“ durch steuerliche oder andere Anreizmaßnahmen zur gleichzeitigen Stärkung von Gewerbe und Handwerk

Das öffnet möglicherweise die Büchse der Pandora: weg von der Wegwerfgesellschaft, hin zur Reparaturgesellschaft. Das ist eine rein grüne Forderung, die in dieser Variante natürlich noch nicht weh tut, aber möglicherweise eine Türe öffnet, die einen Paradigmenwechsel schmackhaft macht. Das gilt es jetzt voranzutreiben, mit Inhalten, Regeln und Leben zu füllen. Um zu zeigen, in welche Richtung das führt, darf ich ein Modell der Grätzlwirtschaft hernehmen:
Schritt 1: Die Dinge werden im Grätzl verkauft („Nahversorgung“ im engeren Sinn)
Schritt 2: Die Dinge werden im Grätzl produziert
Schritt 3: Die Dinge werden im Grätzl repariert und wiederverwertet

Mit dieser Maßnahme wird ein erster Schritt in diese Richtung gesetzt.

Erleichterungen für Betriebsübergaben:
o Unternehmensübergaben in der Familie sollen erleichtert werden.
o Weiters soll eine zweijährige „grace period“ eingeführt werden, in der nur die nötigsten betrieblichen Kontrollen durchgeführt werden und an deren Ende der Übertritt in das Regelregime stattfindet.

Als Spezialist für Betriebsübergaben freut mich das natürlich ganz besonders, wenngleich hier noch nicht klar ist, welche Erleichterungen es konkret sein werden. Aber allein der Fokus darauf ist brandneu – zumindest für die Türkisen.

Die Bundesregierung bekennt sich grundsätzlich zur Förderung der Weiterbildung der Unternehmerinnen und Unternehmer, vor allem EPU und KMU, durch steuerliche oder andere Maßnahmen.

Ja, ganz nett. Und gegendert – das erste Mal in diesem Kapitel.

Kleinunternehmer-Steuererklärungen vereinfachen: Besonders für Einnahmen-Ausgaben-Rechner sollen bürokratische Vereinfachungen durch intuitive Online- Eingabemasken ausgebaut werden („Steuer-App“).

Klingt nach einer Kleinigkeit, hat aber schon vielen Menschen die Selbständigkeit vermiest bzw. die Angst davor geschürt. Ob das „Allheilmittel App“ das Richtige ist, möchte ich aber bezweifeln. Die Steuererklärung vom Handy aus zu machen – na ja…

Die Bundesregierung bekennt sich zur Stärkung der Rolle von Frauen in der Unternehmerschaft und damit zu spezifischen Förderprogrammen in der Gründungssituation.

Da haben wir die ganze Chuzpe der ÖVP in einem Satz. Die Rolle der Frauen soll gestärkt werden und im gleichen Satz wird nur von Männern gesprochen („Unternehmerschaft“). Die Sache an sich ist okay, wenngleich ich vermute, dass genauso viele Männer diese Förderprogramme nötig hätten.

Einführung eines Qualifizierungsschecks für Wiedereinsteigerinnen und – einsteiger sowie Langzeitarbeitslose, damit Unternehmen punktgenau Schulungen und Fortbildungen finanzieren können.

Ist okay.

Die Bundesregierung bekennt sich zur Stärkung wirtschaftlicher Kooperationsmodelle in der Rechtsform der Genossenschaft. Wir wollen Genossenschaften als nachhaltige und krisenfeste Unternehmensform in den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen stärken, um folgende Ziele zu erreichen:
• Unterstützung der kleinen und mittelständischen Unternehmen in den Regionen im Wettbewerb, z.B. durch gemeinsame Projekte der Digitalisierung
• Gründung und Etablierung von lokalen und nationalen Initiativen im Bereich des kooperativen Wirtschaftens und Sharing Economy als Alternative zu den Angeboten internationaler Konzerne
• Ausbau und Absicherung der kommunalen Infrastruktur in den ländlichen Regionen unter Einbeziehung von bürgerlichem Engagement
• Ausbau der Versorgungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger durch Kooperationen insbesondere im Bereich Gesundheit, Pflege und Energie.

Ganz zum Schluss der Knaller. Der grüne Knaller wohlgemerkt. Sharing Economy ist für brave ÖVP-ler mit Industriellenvereinigungsaffinität nahe dran an der Wirtschaftsapokalypse. Und die einzige Genossenschaft (wie links das schon klingt), die man gut findet, ist der Raiffeisenkonzern und der ist keine mehr – zumindest nicht in der Form, wie sie die Grünen bzw. die Grüne Wirtschaft fordern.
Wer noch Zweifel an der Grünen Handschrift hat – in diesem Kapitel ist sie unübersehbar.
„Alternativen zu internationalen Konzernen“ – da mussten wohl einige Türkise schwer schlucken, das ist eine klare Ansage gegen den Neoliberalismus.

All das muss natürlich noch mit Inhalten gefüllt und dann auch noch umgesetzt werden. Zu früh dürfen wir uns nicht freuen, aber es ist deutlich mehr, als ich mir hier erwartet hätte.

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