Gedanken anlässlich eines des Videos „Warum die Künstliche Intelligenz zum Tod des Internets führen wird“ (2024) von Matthias Zehnder.
Von Guido Schwarz, 4. Jänner 2025
Die Bequemlichkeit ist mir schon länger ein Dorn im Auge. Dabei bin ich selbst auch gerne bequem, erkenne aber die Sinnhaftigkeit einer Grenze.
Hätte sie mich schon überwältigt, dann gäbe es auch diesen Artikel nicht. Es wäre viel bequemer ihn nicht zu schreiben.
Bequemlichkeit gehört zu unserem Leben, sie ist fast so etwas wie ein Grundbedürfnis, einfach weil sie die längste Zeit der Menschheitsentwicklung nicht vorhanden war. Das Leben war nicht bequem – zuerst für niemand, später dann für einige wenige.
Das hat sich geändert und das ist auch gut so. Ich mag es, wenn die Waschmaschine meine Wäsche erledigt und ich das nicht mit der Waschrumpel selbst tun muss.
Auch die elektrischen Fensterheber im Auto sind sehr bequem, hier beginnt aber bereits die Grenze aufzutauchen.
An diese stoße ich etwa in Afrika, genauer gesagt auf Safari irgendwo in freier Natur. Dort sind die elektrischen Fensterheber zwar auch praktisch, werden aber irgendwann kaputt, so wie alles an einem Auto, weil die Straßenverhältnisse (Waschbrettpisten etc.) dafür sorgen. Also ist es dort praktisch etwas NICHT eingebaut zu haben, weil es sowieso nur kaputt wird, wenn man es hat: Autoradios, Stoffsitze, Klimaanlagen und noch vieles andere, vor allem aber empfindliche Elektronik. Deswegen gibt es für das Militär spezielle Geräte, die gegen diese Umwelteinflüsse (Staub, Feuchtigkeit, Erschütterung) geschützt sind.
Wer also die Bequemlichkeit des elektrischen Fensterhebers genießen will, bezahlt das mit unbequemen Reparaturen, Werkstattaufenthalten und dem Problem, dass das Zeug genau dann kaputt geht, wenn man am weitesten von der nächsten Reparaturmöglichkeit entfernt ist. Irgendwo in der afrikanischen Wüste mit einem Fenster, das sich nicht öffnen oder nicht schließen lässt, ist ziemlich unbequem.
Aus meiner Sicht ist es sinnvoll die Grenzen von Bequemlichkeit auszuloten: Bis wohin ist es sinnvoll und ab wo überwiegen die Nachteile?
Notwendig wird das überall dort, wo wir mit der Bequemlichkeit übertreiben. Prinzipiell ist sie nämlich verführerisch, weil wir tief in uns nicht genug davon bekommen können. Wahrscheinlich liegt das an unserem Mensch-Sein, genauer an der Entwicklung, die wir durchgemacht haben und die uns geprägt hat.
Wenn jemand über Jahrhunderttausende Bequemlichkeit als höchst seltenes und äußerst attraktives Element erlebt hat, wird er wohl keine Grenzen kennen, wenn plötzlich viel davon vorhanden ist.
Durch die Industrialisierung unserer Gesellschaft sind die Möglichkeiten für Bequemlichkeit sprunghaft und massiv angestiegen. Das hat dazu geführt, dass wir uns daran gewöhnt haben, und zwar so weit, dass wir jede Abnahme, jede Verringerung als störend empfinden. Jede Einschränkung wird dann zur Zumutung, vor allem, wenn man die Bequemlichkeit als Recht ansieht, das einem uneingeschränkt zusteht.
Das gilt vor allem für die individuelle Bequemlichkeit und hier darf wieder ein Beispiel aus der Welt unseres liebsten Spielzeugs dienen, nämlich das Auto.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir jederzeit uneingeschränkt überallhin fahren können.
Wir sind auch der Meinung, dass jede Einschränkung eine Zumutung ist.
Eine solche Einschränkung kann durch das Wetter entstehen, etwa wenn es im Winter schneit. Dann liegt Schnee auf der Autobahn und man muss die Geschwindigkeit reduzieren, weil es sonst gefährlich wird.
Das wird von vielen Menschen als Zumutung empfunden, sie wollen auf der Autobahn immer und überall die Höchstgeschwindigkeit fahren, ob sie es nun eilig haben oder nicht.
Das geht aber nur bedingt, denn der Schnee muss weggeräumt werden. Wenn es viel schneit, wird das schwierig, daher versucht man das Problem durch enormen Einsatz von chemischem Streumittel zu lösen, so dass man auch bei dichtestem Schneetreiben 150 fahren kann. (Das sind „echte 140“ und für die 10 km/h zu viel wird man nicht bestraft, wenn 130 erlaubt sind. Willkommen in Österreich.)
Die Straßenverwaltung hat gefälligst dafür zu sorgen, schließlich zahlen wir Autofahrer ja Autobahnmaut und fühlen uns auch sonst gerne als die Spitzensteuerzahler schlechthin, ob das nun stimmt oder nicht. Für das eigene Gewissen ist so eine Gedankenkonstruktion äußerst bequem.
Matthias Zehnder erörtert in seinem Video eine dieser Grenzen, nämlich den Einsatz von KI bei Suchmaschinen, konkret bei Google.
Er behauptet, dass die Chatbots durch die Bequemlichkeit, die sie anbieten, die normale Suche im Internet obsolet machen werden.
Es ist nämlich viel bequemer dem Chatbot eine Suchanfrage zu diktieren und als Ergebnis eine gefällige, gut formulierte Zusammenfassung zu bekommen, anstatt eine Vielzahl an Links zur Durcharbeitung vor sich zu haben. Laut seiner Theorie wird das Bequemlichkeitsbedürfnis siegen und die normalen Suchvorgänge langsam verdrängen.
Die Grenze ist hier nicht auf den ersten Blick sichtbar, weil alles sehr nett und bunt und freundlich aussieht. Der Chatbot erledigt sozusagen die Kauarbeit für mich, ich muss nur noch runterschlucken.
Wer will das nicht? Vor allem, weil die Alternative viel mühsamer ist: Ich muss eine Anzahl an Links anklicken, mich dort durchkämpfen, das Informative vom Informationsmüll trennen, abschätzen, hinterfragen, abwägen, weiterdenken, mich auf Neues einlassen und dieses in Bezug zum Alten setzen und noch vieles mehr.
Klingt anstrengend und ist es auch.
Warum soll ich mich nicht in die Hängematte der KI legen, die das auf Knopfdruck für mich erledigt? So wie die Waschmaschine, die bringt mir ja auch keine Nachteile.
Matthias Zehnder sieht sehr wohl einen Nachteil an der Hängematte der KI. Wir werden fett im Gehirn, so wie wir durch diverse Bequemlichkeiten in unserem Leben auch körperlich immer fetter werden.
Sogar zum Fitnesscenter fahren die meisten Menschen mit dem Auto und dann mit dem Lift hinauf, weil das viel bequemer ist.
Zum Problem wird das sobald wir uns daran gewöhnen und in Folge die Fertigkeit der obigen, mühsamen Tätigkeiten verlieren. Dann können wir es nämlich auch dann nicht mehr, wenn die KI versagt. Das ist ähnlich wie viele Menschen heute keine Karten mehr lesen können, weil sie ja sowieso ein Navi haben, das ihnen die Arbeit abnimmt. Bergfex (eine Navi-App am Mobiltelefon) etwa ist extrem bequem, ich benütze das gerne bei Wanderungen. Wenn dann aber der Akku vom Handy bei einer langen Tour zu Ende ist und ich kein Powerpack dabeihabe, wird es schnell ungemütlich, weil ich dann nicht mehr weiß, wo ich bin und wo ich hinmuss. Eine Karte mitzuführen wäre viel zu unbequem. Das hat schon bei vielen Menschen so manche Bergnotsituation ausgelöst.
Es kann nun sein, dass wir die verlorenen Fertigkeiten nicht mehr erwerben können, weil sie nicht mehr gelehrt werden. Schließlich benützen ja alle die bequeme KI und die alten Fähigkeiten werden als nicht mehr notwendig eingestuft. Von da bis zu dem Punkt, an dem sie nicht mehr gelehrt werden und in Folge verloren gehen, ist es nur mehr ein kurzer Schritt.
Da die Künstliche Intelligenz aber nicht wirklich intelligent ist, sondern eine Rechenmaschine, die die Wahrscheinlichkeit von Wortkombinationen ausrechnet, führt das möglicherweise zu einer Abnahme unserer eigenen Intelligenz, weil sie nicht mehr trainiert wird, ganz im Gegenteil zur KI.
Dazu noch ein Beispiel: Die Archäologie hat bei der genauen Untersuchung des Parthenon auf der Akropolis entdeckt, dass beim Bau Techniken verwendet wurden, die wir heute nicht mehr beherrschen. Mehr noch: Es ist uns inzwischen – zumindest teilweise – unbegreiflich, wie die Menschen das damals geschafft haben, nämlich ohne die technischen Hilfsmittel, die uns heute zur Verfügung stehen.
Beim Auseinandernehmen von zwei Säulensegmenten fand man – quasi als Nut-Feder-System – einen Holzpflock. Es war nicht nur erstaunlich, dass dieser nach fast 2.500 Jahren noch erhalten war, sondern er roch noch nach frischem Holz. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass die aufeinander liegenden Flächen der Säulensegmente so präzise gearbeitet waren, dass ein Vakuum gebildet wurde. Durch die fehlende Luftzufuhr wurde der Holzpflock konserviert. (Quelle: Doku-Film „Der Parthenon“ von Gary Glassmann)
Es wäre mit heutigen Technologien sehr schwierig so etwas zustande zu bringen.
Die Menschen damals hatten die modernen Technologien nicht, daher dürfte hier eine entsprechende Intelligenzleistung vorliegen.
Es ist kaum vorstellbar wie sehr die Menschen überlegt, getüftelt, ausprobiert, modifiziert und reflektiert haben müssen. Jede Menge Training für´s Hirn sozusagen.
Dass es ein Segen ist, wenn uns Maschinen die Arbeit abnehmen, gilt als uneingeschränkter Narrativ, d.h. es wird nicht mehr wirklich hinterfragt. Die Buchstaben „bot“ in „Chatbot“ stehen als Abkürzung für „robot“, also für die Arbeit, die für uns vom Roboter erledigt wird.
Der Segen ist unbestritten, seine Grenzen sind es nicht.
Die eigentliche Gefahr liegt in der Gewöhnung an die schöne, neue, bequeme KI-Welt, die uns so angenehm erscheint, weil sie es auch tatsächlich ist. Es wird niemand zu irgendetwas gezwungen, unser eigener Drang zur Bequemlichkeitsmaximierung lässt uns freiwillig auf das mühsame Denken verzichten.
Die Gegenkraft dazu ist die menschliche Neugier, die Kreativität, die sich gerne eigene Wege bahnt. Es war für Forscher:innen und Wissenschaftler:innen nur sehr selten bequem, neue Wege zu beschreiten und nur allzu oft waren diese auch ohne pekuniären Reiz. Selbst des Ruhms war man sich nicht sicher, dafür lauerte hinter jeder Ecke ein unkalkulierbares Risiko. Ziemlich unbequem eigentlich, was Menschen freiwillig auf sich nehmen – übrigens soweit das historische Auge zurückblicken kann.
Wer beim Kampf Bequemlichkeit gegen Neugier gewinnen wird, könnten wir uns jetzt von der KI erklären lassen. Oder wir denken selber darüber nach, auch wenn das nicht ganz so bequem ist.