Warum uns Afrika was angeht

Der ORF verschweigt es beharrlich und müllt uns stattdessen mit Habsburger-Begräbnis zu: In Ostafrika herrscht die schlimmste Dürrekatastrophe seit 60 Jahren. Nur – was geht uns das an?

Wer hier eine ehrliche und die Realität erfassende Analyse machen will, muss einiges an Komplexität bewältigen. Ich werde es versuchen und wahrscheinlich mehrere Teile benötigen.

Im ersten Schritt gehe ich autobiographisch vor: Was ist mein eigenes Bild von Afrika?
Es stammt aus der Kindheit und hat mein Bild genau genommen so lange geprägt, bis ich selbst das erste Mal in Afrika war, und zwar mit jugendlichen 17 Jahren. Davor machte ich mir über Afrika keine Gedanken. Ich hatte ein noch recht kindliches Bild, das war durch Kinderbücher geprägt war, da wir in der Schule auch nie sehr viel über Afrika lernten. Dieses Bild sieht folgendermaßen aus:

Afrika ist ein Kontinent, aber was genau ein Kontinent ist und wie ich ihn mir vorzustellen habe, war nicht so klar, vor allem im Volksschulalter. In Afrika leben die Neger im Urwald. Sie sind nackt bis auf ein paar Bananen, die sie um ihre Hüften tragen. Sie wohnen in Negerkrals (Strohhütten) am Rande des Urwalds. Sie sind pechschwarz, haben wulstige Lippen, lustige rosa Hand- und Fußflächen sowie gekräuselte Haare, in denen ein Knochen steckt. Sie heißen Hotten-Totten, Aschanti-Neger oder sonst wie und sind wild. Sie haben hin und wieder Speere und tanzen herum. Der Urwald hinter ihnen ist hoch und dicht und es schwingen sich lustige Äffchen von Baum zu Baum.

Man beachte: Das ist das Bild, das ein Kind Anfang der 1970er-Jahre hatte, nicht 1870 oder 1770. Dieses Bild veränderte sich aus mehreren Gründen lange Zeit nicht: Erstens weil ich mich nicht mit Afrika beschäftigte – Amerika oder Europa, auch Asien waren spannender. Zweitens hatte ich lange Zeit keine Gelegenheit hinzufahren, obwohl mein Vater bereits seit 1975 dorthin fuhr, aber er redete nie viel darüber und es interessierte mich und meine Geschwister auch nicht sehr. Also dauerte es bis 1984.
Davor war zwar schon klar, dass Afrika sehr groß ist, aus vielen verschiedenen Ländern besteht und auch in sich sehr vielfältig ist. Ägypten, die Sahara, die Sahelzone mit ihren verhungerten Kindern oder auch Südafrika waren mir bekannt, aber trotzdem änderte sich das Bild vom Urwald mit den wilden Negern nicht.
Bis heute vermitteln die Medien durchgängig ein Bild eines Landes namens Afrika, nicht eines Kontinents mit ca. 54 Staaten (seit ein paar Tagen ist ja der Südsudan ein eigener Staat).
Drittens gab es bei uns zu dieser Zeit noch keine Afrikaner, nicht einmal in Ausnahmefällen. Vielleicht sah ich einmal im Jahr einen auf der Straße gehen. Das reichte bei weitem nicht aus, um mein Afrika-Bild zu verändern.

Afrika war so unbekannt wie Atlantis. Und es hatte noch etwas mit Atlantis gemein: Es war wunderbar und geheimnisvoll. Das lässt sich am Urwald am besten erklären. Der Urwald (genauer: der tropische Regenwald Zentralafrikas, also rund um den Äquator) war in meinem kindlichen Bild ein magischer Ort: unendlich groß und undurchdringlich, in diesem Sinne mächtig, weil unerfassbar, ähnlich wie das Meer. Ein grüner Schlund, der einen verschlingen kann. In ihm lebt eine Unzahl an Tieren in einer nicht fassbaren Menge. Der Urwald ist unendlich groß und beherbergt unendlich viele Ressourcen.

Dieses Bild kann man ein wenig mit der psychologischen Brille betrachten und dann entdecken, dass es ein Urmutter-Bild ist. Die Ur-Mutter (als C.G. Jung´scher Archetyp wäre das die Große Mutter) ist unbegreifbar, allmächtig und geheimnisvoll – genauso wie der Urwald. Damit war er aber auch unangreifbar und unzerstörbar, da unendlich groß.

Bis heute ist es fast unvorstellbar, dass der tropische Regenwald in Afrika und im Amazonas gerodet werden könnte. Wir wissen zwar, dass die Menschheit am besten Weg dorthin ist, aber irgendwie erscheint es uns doch nicht wirklich real. Vielleicht spielt uns da das Bild der Urmutter einen Streich. Es ist daher auch nicht notwendig, den Urwald zu schützen, so wie ein kleines Baby die Mutter nicht schützen muss, weil es das auch nicht kann.

Wir können jedoch sehr wohl, und es handelt sich eher um eine Frage des Wollens. Aber auch die „Neger“ haben unser Bild von Afrika geprägt. Manfred Deix hat dies in einem seiner genialsten Cartoons dargestellt: Auf dem linken Bild ein blonder junger Mann mit akkuratem Scheitel, weißem Hemd, Anzug und Krawatte. Daneben ein Neger mit wulstigen Lippen und Knochen in den Haaren, der in der Sprechblase das Wort „Uga-Uga“ von sich gibt. Darunter stand in etwa der Text: „Mit welchem von den beiden wollen Sie einen spannenden Diskussionsabend beim Dinner verbringen?“

Deix hatte immer schon ein gutes Gespür, worum es eigentlich geht. Wer so ein Bild von den Schwarzafrikanern hat, der darf sich nicht wundern, wenn die eigentlichen Geschichten aus der Realität nicht bis über seinen Wahrnehmungshorizont kommen. Wir leben in einer langen Historie mit einem sehr seltsamen Afrika-Bild, das sich von dem über 200 Jahre alten Bild des eigentlich sehr gescheiten Philosophen nicht sehr stark unterscheidet:

„Man kann sagen, daß es nur in Afrika und Neuguinea wahre Neger gibt. Nicht allein die gleichsam geräucherte schwarze Farbe, sondern auch die schwarzen wollichten Haare, das breite Gesicht. die platte Nase, die aufgeworfenen Lippen, machen das Merkmahl derselben aus, ingleichen plumpe und große Knochen. In Asien haben diese Schwarzen weder die hohe Schwärze, noch wollichtes Haar, es sey denn, daß sie von solchen abstammen, die aus Afrika herübergebracht worden. In Amerika ist kein Nationalschwarzer, die Gesichtsfarbe ist kupferfarbig, das Haar ist glatt; es sind aber große Geschlechter, die von afrikanischen Mohrensklaven abstammen. In Afrika nennt man Mohren solche Braune, die von den Mauren abstammen. Die eigentlich Schwarzen aber sind Neger. Diese erwähnten Mohren erstrecken sich längst der barbarischen Küste bis zum Senegal. Dagegen sind von da aus bis zum Gambia die schwärzesten Mohren, aber
auch die schönsten von der Welt, vornehmlich die Ialofs. Die Fulier sind schwarzbraun. An der Goldküste sind sie nicht so schwarz und haben sehr dicke Wurstlippen. Die von Congo und Angola bis Cap Negro sind es etwas weniger. Die Hottentotten sind nur schwarzbraun, doch haben sie sonst eine ziemlich mohrische Gestalt – Auf der andern Seite, nähmlich der östlichen, sind die Caffern keine wahren Neger. Ingleichen die Abyssinier.“ (Immanuel Kant, Physische Geographie, Zweyter Band, Königsberg. 1802)

Bei diesem Bild darf es uns nicht wundern, wenn wir tief in uns drinnen die Afrikaner nicht als gleichwertige Menschen ansehen. Wir wissen nicht, dass sie auch bluten, wenn sie sich schneiden, weil wir haben so etwas noch nie gesehen.
Wie schwierig ist es eigentlich, so ein Bild zu verändern? Ich behaupte einmal, je früher in der Jugend bzw. Kindheit das Bild entsteht, desto schwieriger ist seine Veränderung. Das gefährlichste an diesen Bilder ist, dass sie unsere Wahrnehmung einfärben und somit verändern. Uns fallen bestimmte Dinge, Phänomene, Aussagen, Meinungen dann gar nicht auf oder sie bekommen eine gänzlich andere Bedeutung. Möglicherweise ist es nicht einmal ausreichend, eine Zeit in Schwarzafrika zu leben. Ich kenne eine große Zahl von Österreichern, die seit vielen Jahren in Kenia leben und deren Bild der „Neger“ sich nicht wesentlich verändert, oft sogar ins Negative entwickelt hat. Der größte Brocken dieses „Negativen“ besteht darin, dass wir die „Neger“ für dümmer als andere Menschen halten, ihnen daher viele Dinge nicht zutrauen und sie außerdem nicht als gleichwertige Menschen oder Geschäftspartner ansehen. Das passiert – so meine Beobachtungen – nahezu allen Europäern, die länger in Afrika leben. Sie halten – wenn auch hinter hervorgehaltener Hand – die Afrikaner für dumm bzw. zumindest für dümmer als sie selbst.
In bestimmten Bereichen mag dies da und dort sogar stimmen, aber es stellt sich die Frage, wie es dazu kommt. Ein Schimpanse hat nicht die anatomischen Voraussetzungen um sprechen zu können. Er kann es auch nicht lernen, das ist bei ihm einfach nicht vorgesehen.
Bei den „Negern“ ist das anders. In ihren Erbanlagen ist genau das gleiche vorgesehen wie in unseren, zumindest was ihre Intellektualität und ihre Kulturkomplexität angeht.
Das würde heißen: Dummheit in Form von Nichtwissen und Unvermögen komplexe Zusammenhänge zu erkennen – aufgrund von mangelnder Bildung ja. Dummheit in Form fehlender Grundvoraussetzungen: nein. Und noch etwas: Wer hier noch ein wenig weiter denken möchte, dem darf ich hier eine weitere Definition von Dummheit anbieten: Dummheit heißt, das Wesentliche nicht leben.
Auch die Kulturarmut ist eine Fehlannahme. Es stimmt zwar, dass kein Afrikaner bisher eine Beethoven-Sonate komponiert hat, aber bis auf Beethoven haben das auch bei uns nicht viele getan.
Es geht aber um etwas anderes: Wir glauben fest daran, dass wir die reichere, komplexere, modernere und letztlich bessere Kultur haben. Daher ist es notwenig und moralisch sogar wünschenswert, den Afrikanern unser – besseres – System zu geben. Wenn sie es nicht wollen, dann bezeichnen wir das einfach als Dummheit, Primitivität und Unwissen und sehen gnädig darüber hinweg, anstatt uns mit ihnen und ihrer Kultur und ihrem Denken zu beschäftigen. Und wir zwingen ihnen unser System trotzdem auf, denn wir nehmen ja an, dass es das bessere ist und somit auch der Feind des guten. Wir nehmen ihnen die Rohstoffe weg und reden uns hinaus, dass sie damit ohnehin nicht viel anfangen könnten und wir ihnen besser die komplexen, aus ihren Materialien gefertigten Werkstücke bringen sollten.
Das funktionierte in der ursprünglichen Kolonialzeit gut, um Ausreden war man nie verlegen wenn es darum ging, ein Gebiet zu erobern.

to be continued

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