Ein neuer Aufbruch

Was bringt Menschen dazu, über das Meer zu fahren?

Konkreter Anlass für diese Überlegungen war eine TV-Doku über die Besiedelung der Welt durch Homo Erectus und Homo Sapiens. Eine der wichtigsten Fragen entsteht durch die frühe Besiedelung Australiens. Aufgrund der Eiszeiten war der Meeresspiegel weltweit zeitweise bis zu 150 Meter tiefer als heute. Dadurch entstanden viele Landbrücken (Beringstraße etc.) über die Menschen in andere Kontinente wandern konnten.

Bei Australien ist das nicht der Fall, man musste mit Booten hinüber, da dazwischen Tiefseegräben liegen. Es ist heute erwiesen, dass die Menschen in der Steinzeit diese Überquerung des Meeres zustande brachten. Ganz abgesehen von der Frage WIE sie das machten, ist die Frage nach dem WARUM noch viel spannender.

1.) Die Notwendigkeit nachfolgenden Menschen auszuweichen oder neue Siedlungsgründe zu erschließen.
Das ist unwahrscheinlich, da es zu dieser Zeit sehr wenige Menschen und sehr viel Platz gab.

2.) Die Ressourcen sind zu Ende.
Auch unwahrscheinlich, weil es für die wenigen Menschen genug gab.

3.) Der Drang nach neuen Abenteuern.
Auch das erscheint mir unwahrscheinlich, da das Leben ohnehin ein einziges Abenteuer darstellte und das Überleben schon schwierig genug war. Außerdem war da ja das Problem, dass diese Menschen nichts von Australien wussten, also keine Ahnung haben konnten, ob da weit draußen auf dem Meer überhaupt Land war und wo es war und wie weit weg.

Das führt uns schon zur grundlegenden Problematik: Welches Denken ist notwendig, um so eine Überfahrt nicht nur zu wagen, sondern überhaupt in Betracht zu ziehen?

Menschen sind und waren neugierig, also gierig nach Neuem. Es gab seit immer schon (also seit Anbeginn der Menschheit) Individuen, die neugieriger waren als andere. Irgend einer stellte sich immer die Frage: Was ist hinter dem nächsten Hügel? Was ist hinter der Bergkette? Was ist auf der anderen Seite des Flusses?

Aber die Frage, was hinter dem Horizont des Meeres ist, erweist sich als eine qualitativ gänzlich andere. Zu dieser Zeit gab es keine Geografie und keine Kunst der Seefahrt, es gab noch keine Idee der „Erde“, also weder flach noch rund. Oder irren wir uns selbst gewaltig in dieser Annahme? Es gibt eine notwendige Grundvoraussetzung, um über eine Seefahrt über das Meer überhaupt nachdenken zu können: „Dort kann was sein.“
Wenn man diesen Gedanken nicht hat, fährt man nicht. Wenn man annimmt, dass sich das Meer ewig weit hinaus erstreckt oder ein tödlicher Abgrund lauert oder sonst irgend eine Art von Ende der Welt zu finden ist, dann fährt man nicht, auch nicht, wenn man muss.
Dieses Müssen ist sowieso in Frage zu stellen, aber die Frage nach dem „Dort kann was sein“ muss trotzdem positiv beantwortet werden können. Woher konnten die Menschen also das Wissen haben, dass hinter dem Meer etwas – nämlich ein vergleichbares Land – sein kann. Vielleicht war ja bereits die Möglichkeit ausreichend, um mit viel Mut diesen Schritt zu wagen. Und man darf nicht vergessen: Um ein Land zu besiedeln, muss man eine entsprechend große Anzahl an Menschen mitnehmen, zumindest Frauen, vielleicht sogar Kinder. Das setzt entsprechend große Schiffe voraus und die Fähigkeit, diese auch zu steuern und hochseetauglich zu machen.

„Dort kann was sein“ denkt man, wenn Information dieser Art vorhanden ist und transformiert werden kann. Wenn also der Großvater davon erzählt, dass die Vorfahren einen großen Bogen rund um ein Meer gewandert sind, dann könnte die Idee einer Abkürzung kommen – es entsteht zumindest die Idee eines „Gegenüber“. Abgesehen von der Frage, wie man diese Art von Information von den Vorfahren bekommen kann und diese eine solche Information überhaupt abstrahieren konnte, muss dieses Gegenüber entsprechend plastisch vorstellbar sein, und zwar inklusive so großer Vorteile, dass die doch deutlich erkennbaren Risiken einer Fahrt ins Unbekannte gering erschienen sein mussten.

Wir reden hier von der möglicherweise ersten Vorstellung vom Paradies überhaupt. Ein Land, in dem Milch und Honig fließen. So eine Vorstellung musste in den Köpfen entstehen, um ein derart großes Vorhaben überhaupt planen zu können. Von der Komplexität der Leistung würde ich das mindestens mit dem ersten Flug zum Mond gleichsetzen.

Das neue Land muss auf jeden Fall einen entsprechend großen Vorteil gegenüber dem alten, bekannten Land aufweisen. Eine Variante ist, dass dort die Götter wohnen und man ihnen näher kommen, vielleicht sogar bei oder mit ihnen wohnen kann. Diese Vorstellung gibt es ja auch heute noch, z. B. im Christentum. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Menschen damals Naturgötter hatten, also einen Gott des Windes und einen der Wellen. Ihre Gottesvorstellungen waren noch nicht so anthropomorph, und ob man beim „Wind“ wohnen wollte, das darf hinterfragt werden. Aber vielleicht waren auch ihre Götter schon in menschlicher Gestalt.

Fehlt uns das Denken, das diese Menschen hatten? Waren sie so furchtlos, dass sie auf wackeligen Flößen ins Nichts fuhren? Glaubten sie an Götter, die sie beschützen würden? Bis eine Besiedelung erfolgt, muss mehr als nur eine Fahrt gewagt worden sein. Kamen Menschen wieder zurück, um zu berichten, was in der Ferne war? Dann mussten sie eine gar nicht so primitive Form der Navigation gehabt haben, oder einfach enorm viel Glück. Verschwanden zehn Schiffe im Nirgendwo, bis eines das ferne Land erreichte? Schickte man dann immer wieder Schiffe los, ohne zu wissen, wie es denen davor ergangen war?

Wir haben heute keine Wissenschaft, die solche Fragen als Einzeldisziplin lösen kann. Hier wird Interdisziplinarität gefragt sein, um sich dem Phänomen stellen zu können.

Warum Stevia erst jetzt kommt

Stevia ist ein Süßmittel, das aus einer Pflanze gewonnen wird, die in subtropischen Regionen wächst, relativ genügsam ist und lange Zeit von großen Märkten ferngehalten wurde – seitens der Zuckerindustrie.

Nun wird mit Fanfaren verkündet, dass Stevia jetzt auch in der EU auf den Markt kommen wird. Hier ein Auszug aus einem medianet-Atrikel vom 21. November 2011:

„Seitens Rewe wurde die Zulassung von Stevia schon mal begrüßt: „Die ersten Marken-, aber auch Eigenmarkenprodukte werden raschestmöglich in unseren Märkten zu finden sein“, stellt Erich Riegler, Leiter des Zentraleinkaufs der Rewe International AG, in Aussicht. Wann das passiert und welche Produkte betroffen sind, gibt er aber nicht bekannt. Auch seitens Hofer heißt es, dass entsprechende Lieferanten-Gespräche laufen. Bei Lidl Austria zeigt man sich vorsichtiger und verweist darauf, dass zurzeit kein Stevia-Produkt geplant sei. Der Zuckerkonzern Agrana hat vor dem neuen Süßungsmittel angeblich keine Angst. „Stevia ist keine Konkurrenz zu Zucker, sondern eher zu anderen Süßungsmitteln“, mutmaßt Unternehmenssprecherin Christine Göller.“

Wenn man Stevia als echten Zuckerersatz einsetzt, so schmeckt man es heraus. Das ist übrigens auch bei Zucker der Fall, nur haben wir uns daran gewöhnt, ganz abgesehen davon, dass es sehr unterschiedliche Zuckervarianten gibt (Rüben- und Rohrzucker sind die wichtigsten zwei), die auch unterschiedlich süßen und schmecken.

Stevia kommt erst jetzt, weil sich die Zuckerindustrie den Markt sichern musste. Nun können sie nach Belieben Stevia so einordnen, dass es ihre Zuckerpläne nicht durchkreuzt. Stevia wurde quasi der Reisszahn gezogen, es kommt als neckische Variante, als Nischenprodukt auf den Markt, obwohl es medizinisch eigentlich so schnell wie möglich den Zucker ersetzen sollte, da es etwa den Cholesterinspiegel nicht erhöht. Daher wäre es volkswirtschaftlich gut. Betriebswirtschaftlich ist es für die wenigen mächtigen Zuckerkonzerne (in Österreich die Agrana, Rewe, Spar und Lebensmittelriesen wie Nestlé) natürlich nicht gut.

Hier wäre die Politik gefragt, die Gemeinwohl und Profitgier Einzelner auszugleichen hätte, etwa durch eine entsprechende Gesetzgebung.

Herr Faymann, ich fordere Sie hiermit auf, Stevia aus medizinischen Gründen steuerfrei zu stellen bzw. Zucker entsprechend höher zu besteuern, da es jetzt eine gesunde Alternative gibt. Nur so könnte die Allmacht der Zuckerkonzerne in Schranken gehalten werden. Eine demokratische Regierung hat nicht den Monopolisten blind zu folgen. Zusätzlich fordere ich noch eine breite öffentliche Diskussion, die etwa durch das Lebensministerium zu führen wäre und bei der die Bevölkerung mindestens so viel mit der Aufklärung über Stevia überschüttet werden sollte wie mit Zuckerwerbung.

Zucker ist nicht von heute auf morgen durch Stevia ersetzbar und der Zuckerrübenanbau in Österreich sollte den heimischen Zuckerbedarf aus regionalem Anbau decken. Der Rest sollte Stevia sein.

Das wünsche ich mir zu Weihnachen. Ich befürchte nur, dass das einzige, was der Faymann in dieser Angelegenheit tun wird, ein mildes Christkind-Lächeln sein wird.

Einst lehnte er im Stoll am Fassl…

…heut lehrt er an der Uni Kassel.

Dieser Spruch stammt von meinem lieben Freund Peter Bachmann und gehört leider seit gestern der Vergangenheit an (das „Stoll“ ist ein Lokal in Klosterneuburg und unser Stammplatz war rund um ein altes Holzfass zwischen Bar und DJ-Pult). Nach den ersten drei Semestern gab es letztes Sommersemester schon eine Pause, und dann jetzt noch ein letztes Aufflackern, bevor die Flamme meines Lehrauftrags endgültig erlischt.
Obwohl schlecht bezahlt und mit viel Mühe verbunden, hinterlässt es doch ein bisschen Wehmut, und ich frage mich, wieso.

Die Antwort liegt in den StudentInnen, ihre Freude an meinen Geschichten wird mir fehlen. Daher ist ein Blick zurück angebracht, jetzt, wo die Eindrücke noch frisch sind.

Die Uni Kassel ist eine Agglomeration von Backsteinbauten, Anfang der 1970er Jahre errichtet und der Architekt wurde nicht getötet, obwohl er es gleich mehrfach verdient hätte. Ich erwähne als besondere Schmankerln nur die unglaubliche Anordnung von Bauten, Hörsälen und Gängen. Wer sich dort nicht wirklich gut auskennt, gerät in einen Irrgarten, alles scheint gleich auszusehen, es gibt tausende Ecken und Winkel, selbst die zögerlichen Beschilderungen helfen nichts.
In den Gebäuden sieht es nicht viel anders aus. Man sollte an jedem Eingang Ariadne-Fäden verteilen, wobei man dann vor lauter Fäden auch nicht mehr durchkommen würde. Manche Stiegenaufgänge sind offen, andere hinter Türen versteckt, und es gibt keinerlei erkennbare Struktur in der Anordnung der unzähligen Räume und auch nicht in deren Nomenklatur. Ein Beispiel gefällig? Der Hörsaal 1215 befindet sich eine Ecke neben dem Hörsaal 1309. Warum? Das weiß niemand. Manchmal scheint eine Reihenfolge erkennbar zu sein, die ganz plötzlich wieder aufhört. Die Hinweisschilder in jedem Stockwerk teilen mit, dass es bestimmte Räume in genau diesem Stockwerk gibt. Wo man sie findet, sagen die Schilder nicht.

Die Hörsäle selbst sind wahnwitzige Gebilde mit teilweise unbrauchbaren Formen. So gibt es Fenster, die man nur mit akrobatischen Meisterleistungen öffnen kann oder mitten im Hörsaal wurde eine Säule hingebaut. Das ist nicht nur für einen Vortragenden verwirrend, denn bei voller Belegung gibt es eine Art toten Winkel, hinter dem sich dann eine Anzahl Studenten verbirgt. Vielleicht heißt es ja deswegen „Hörsaal“ und nicht „Sehsaal“, weil man von dort aus halt nichts sieht.

Manche Säle sind offen, andere versperrt, wieder andere haben ein Nummernschloss. Und man erlebt jedes Mal eine neue Überraschung, etwas wenn es darum geht, ob man Tische und Sessel vorfindet, und wie viele, und wie sie gerade angeordnet sind. Es gibt in den Hörsälen stets dreckige Tafeln, meist aber keine Kreide und niemals ein Waschbecken, um Wasser für das Säubern der Tafeln zu organisieren.
Der Willkommensgruß letzten Freitag sah so aus:

paper.jpg

Ich hatte wieder einmal ein hartes Wochenende vor mir: Freitag 5.30 Tagwache, dann mit dem ICE ca. 8 Stunden mit 1x Umsteigen bis Bahnhof Kassel Wilhelmshöhe, dann mit der Straßenbahn quer durch die Stadt bis zur Uni, Seminar bis 20.30 Uhr, Samstag den ganzen Tag, Sonntag früh bis Mittag, dann wieder zurück mit dem ICE und um ca. 22 Uhr in Wien. Wobei das eine sehr optimistische Schätzung ist, denn meist gibt es irgendwo eine Verspätung. Wir hatten diesmal eine Baustelle zu umfahren und bekamen nur eine halbe Stunde aufgebrummt.

Die erste nette Überraschung erfuhr ich gleich zu Beginn, als ich an der Uni ankam. Mein Hörsaal (der schon erwähnte 1215) war eine Art extended Besenkammer, klein, mit besonders fetter Säule, Fenster nur in Form von seltsamen Oberlichten, vor allem aber viel, viel zu klein, für etwa 20 Personen geeignet, notfalls 30. Ich wusste: ich habe 50. Das wäre nicht nur eng, sondern gänzlich unmöglich. Also neuen Hörsaal suchen. Mein lieber Freund Rudi verriet mir den Zahlencode für 1219, den ich vor zwei Jahren schon einmal hatte. Auch mit prachtvoller Säule, aber größer, knapp ausreichend. Also zog ich wie Moses mit der Karawane aus und brachte meine StudentInnen in das gelobte Land, äh, den gefundenen Hörsaal. Leider war klar, dass ich ihn Samstags und Sonntags nicht haben konnte, da Rudi dort selbst Lehrveranstaltung hatte.
Also zog die Karawane am Samstag weiter. Die Hörsäle 1102 und 1309 waren belegt, und zwar beide durch den mir persönlich unbekannten Kollegen Jurkovsky. Wie das genau funktionieren sollte, war mir nicht klar. Würde er sportlich zwischen beiden Räumen hin- und hersprinten, Gruppenarbeiten beaufsichtigen und kleine Vorträge halten? Meine Hochachtung vor solch famosen Leistungen schwand, als sich herausstellte, dass der Kollege weder den einen noch den anderen Hörsaal brauchte – schlicht und einfach, weil er nicht da war, weder Samstags noch Sonntags. Er hatte nur beide reserviert und somit für mich blockiert. Gab es ihn überhaupt, oder ist der das Phantom der Uni?

So schnappten wir uns die Räume, einen für das Plenum und den anderen für zwei Arbeitsgruppen. Mir ist unbekannt, ob der Kollege für Abwesenheit bzw. Mehrfachbelegung (oder eben Nicht-Belegung) von Hörsälen bezahlt wird. Wenn ja, so einen Job hätte ich auch gerne. Und ich koffere für ein Wochenende von Wien nach Kassel und zurück. Nun gut, es war eh das letzte Mal.

Das administrative System der Uni Kassel hat auch etwas Gutes: Man lernt Selbständigkeit, und zwar als Student wie auch als Dozent. Diese Selbständigkeit fördert die Tatsache, dass ab Freitag Mittag alle Sekretariate fest verschlossen sind, die Dozenten der geblockten Wochenendveranstaltungen dürfen daher improvisieren: Wo bekomme ich Kreide her? Wer sperrt Sonntags den plötzlich abgeschlossenen Hörsaal auf? Man fühlt sich unwillkürlich gewollt, unterstützt, gewertschätzt etc.

Ich will nicht meckern, die von mir bestellten Flipcharts waren samt Papier und Stiften vorhanden. Da man die Hörsäle jedoch nicht zusperren kann, musste ich sie jeden Tag zwei Mal in den Lift hineinquetschen und in den durch Code versperrbaren Postraum bringen, damit sie nicht gestohlen werden, so wie die vielen Beamer in den Hörsälen, von denen nur noch leere Boards und ins Nichts ragende Stecker zeugen. So bleiben alte Professoren jung und junge Dozenten sehen manchmal ein wenig alt aus. Die StudentInnen dürften es gewohnt sein, sie nehmen die Lage recht stoisch hin, ganz im Gegensatz zu der praktizierten Geschäftstüchtigkeit eines meiner (mir ebenfalls unbekannten) Kollegen, der von all seinen TeilnehmerInnen verlangt, dass sie sein Buch kaufen, um die Lehrveranstaltung absolvieren zu können. Zum Sonderpreis von 80 Euro. Deswegen waren sie bei mir so erstaunt, dass sie mein Buch erstens nicht kaufen mussten und wenn sie doch wollten, dann um 15 Euro. Ich gebe nämlich den Autorenrabatt weiter.

So geht eine anstrengende Zeit vorbei. Vielleicht lehne ich ja demnächst wieder einmal im Stoll am Fassl. Und denke an Kassel, an diese seltsame Stadt in Nordost-Hessen, die im Krieg dem Erdboden gleich gemacht wurde (Panzerproduktion) und der man das heute stimmungsmäßig noch immer anmerkt. Die als einzige kulinarische Errungenschaft „Aaale Woarst“ hat, eine Art Kantwurst in einem Weckerl. Wo die Menschen meinen Vornamen „Giiido“ aussprechen und wo ich letzen Samstag Abend eine Kirschplunder und eine Marzipantasche um zusammen nur einen Euro bekam, weil sie von gestern waren. So wie ich inzwischen, an der Uni Kassel.

Sind Korallenriffe bald Geschichte?

1.000 – das ist in etwa die Anzahl der Taucher, die ein Riff auf Small Giftoun Island betauchen. Täglich. Eine unfassbare Horde an Freizeitsportlern, von kleinen und großen Schiffen von allen Seiten herbeigekarrt, die meisten aus der in Sichtweite gelegenen Stadt Hurghada.
Wir befinden uns in Ägypten und es ist Hochsaison, Ende September. Da ist es unter Tags nicht mehr so knallheiß wie im Sommer, das Meer ist angenehm warm und es schein immer die Sonne. Das sind ideale Bedingungen und sie werden seit ca. dreißig Jahren gerne genützt.
Hans Hass hat sich diese Art von Massentourismus sicher nicht vorstellen können, als er vor über 70 Jahren das erste Mal in diese unglaublich schöne Unterwasserwelt eintauchte, als erster Mensch unter Wasser atmend, mit einem selbst entwickelten „Schwimmtauchgerät“.

Heute kann jedermann – und jedefrau – binnen drei Tagen und um wenig Geld den Tauchsport lernen und die Industrie lebt gut davon. Sowohl der Sportartikelverkauf als auch der gesamte Tourismus haben das Tauchen inzwischen professionalisiert und kommerzialisiert, und zwar weltweit bzw. überall dort, wo man tauchen kann.
In Ägypten am Roten Meer geht das besonders gut, es ist das Hausmeer der Europäer, die geographische und klimatische Lage erlauben einerseits eine schnelle Anreise, andererseits die Existenz tropischer Korallenriffe in einer eigentlich subtropischen Zone.
Die Touristen bewirken leider die Zerstörung der Unterwasserwelt, ironischerweise gerade weil sie es dort so schön finden.

Es sind allerdings nicht nur die Touristen, auch die ägyptische Industrie sowie der Schiffshandelsverkehr tun ihr möglichstes, um eines der größten Wunder dieser Erde zu zerstören. Korallenriffe gibt es seit Millionen Jahren und sie sind eine der Lebensgrundlagen dieser Erde.
Das Rote Meer ist quasi die Südost-Tangente der Meere, zwanzig Prozent des weltweiten Konsumgüter, die per Schiff transportiert werden, fahren dort durch und dann durch den Suez-Kanal. All diese Schiffe werden mit Schweröl betrieben. Wissen Sie, wie Schweröl aussieht? Es sieht so ähnlich wie Teer aus und wird in großen Blöcken auf die Schiffe gebracht, wo es mit hochgiftigen Chemikalien flüssig gemacht und dann verbrannt wird. Es Die Abgase sind hochgiftig und werden ohne jegliche Filterung durch die Schornsteine geblasen, mit dem 16.000-fachen Schwefelanteil von Superbenzin und noch jede Menge anderer Schadstoffe. Der weltweite Schiffsverkehr verursacht mehr Abgase als der Autoverkehr und ist gänzlich ungeregelt. Es gibt keine Vorschriften für Filter oder sonst irgend etwas, kein Gesetz gegen die Verschmutzung oder irgend jemand, der dieses international durchsetzen könnte. Lediglich die Schweden/Norweger haben ihren Schiffen die Umrüstung auf Diesel verordnet.
Dieser Dreck landet in der Luft und dann natürlich auch im Meer und wir alle profitieren davon, denn die Ölindustrie möchte das bei der Benzinerzeugung übrig gebliebene Abfallprodukt Schweröl los werden und die Eigner der Schiffe wollen möglichst billigen Sprit. Das ermöglicht, dass die Transportkosten per Schiff weltweit extrem niedrig sind und wir billige Waren aus der ganzen Welt kaufen können.

Den Preis dafür zahlen unter anderem die Korallenriffe, da sie durch die Luftverschmutzung und den Treibhauseffekt massiv gefährdet sind. Wenn sich die Meere erwärmen, sterben sie ab. Wenn El Nino kommt, sterben sie ab. Wenn sich durch Dreck und andere Faktoren die Balance unter Wasser verschiebt, haben die Schädlinge wie die Dornenkrone (riesiger Seestern, der Korallen frisst) Hochsaison und die Korallen sterben ab. Wenn Heerscharen von Tauchern die Riffe bevölkern und zertrampeln, sterben sie ab. Man wird auf der Welt wohl keinen einzigen Unterwasserexperten finden, der die Riffe nicht weltweit als äußerst bedroht einstuft.

Als Tourist merkt man von all dem nur etwas, wenn man genau hinschaut. An vielen Riffen muss man übrigens gar nicht genau hinschauen, denn es ist offensichtlich. Wo früher ein bunter Korallengarten mit einer Vielzahl von Lebewesen war, sieht man jetzt tote Korallenstöcke, die mit schleimigen Algen überzogen sind, die in dem mit Nährstoffen angereicherten Wasser gut gedeihen. Woher die Nährstoffe kommen? Rund um das kleine Fischerdorf Marsa Alam wurde vor ein paar Jahren ein internationaler Flughafen eröffnet und pro Jahr kommen 5-7 neue Ressorts dazu, jedes für 1.000 bis 3.000 Touristen. Woher die Touristen kommen? Wenn man durch Hurghada geht, dann sieht man alles auf Englisch, Deutsch und seit einigen Jahren auch auf Russisch angeschrieben. Die Russen haben Ägypten als billigen Ferienort entdeckt und holen sich jetzt ihren Teil vom Massentourismus westlicher Prägung. Es gibt billiges Fressen und Klimaanlagen wohin man schaut, Burger King und McDonald´s, Pizza Hut und Kebab, StarBucks und Kentucky Fried Chicken. Noch Fragen?

Jedes dieser Ressorts leitet seinen gesamten Dreck ins Meer. Es gibt keine Kläranlagen und der Strom wird aus riesigen Dieselgeneratoren gewonnen, die für die Entsalzungsanlagen sowie die Klimaanlagen gebraucht werden. Man darf nicht vergessen: Wir befinden uns in der Wüste und dort sieht es eigentlich auch so aus. Jetzt findet man Golfplätze und Swimming Pools, Stahlbeton-Hotels und Shopping-Center. Neben dem Flughafen von Marsa Alam wurde eine künstliche Stadt (Port Ghalib) rund um eine künstlich angelegte Marina gebaut. Das Vorbild war eine andere, schon ein paar Jahre länger existierende ähnliche Plastikstadt nördlich von Hurghada, nämlich El Gouna.

Ich war vor ein paar Jahren in El Gouna. Dort haben sie einen Golfplatz und eine Handvoll große Hotels (Steigenberger Golf Hotel etc.) hingebaut. Das Gras des Golfplatzes ist gentechnisch so verändert, dass es mit Salzwasser (bzw. teilentsalzenem Wasser) gegossen werden kann. Auch das verbraucht Unmengen an Öl, das es allerdings in Ägypten noch in ausreichenden Mengen und somit zu Spottpreisen gibt. Mit diesen Petrodollars sind einige Ägypter sehr sehr reich geworden, und sie haben sich dann jeweils eine eigene künstliche Stadt gebaut, mitten in die vorher komplett unberührte Wüste.

Ghalib.jpg

Bild 1: Anlegestelle mit Stromtankstelle in Port Ghalib. Im Hintergrund sind die Appartements erkennbar, ein Stück Kanal und eine Brücke

Port Ghalib ist auch so eine Stadt und wenn man durch marschiert, sprich: an der Hafenmole entlang geht, dann kann es einem so vorkommen, als ob man in einem Potjemkinschen Dorf wäre. Ich hatte das Gefühl, dass die Häuser nur aus einer Fassade bestehen, hinten durch Holzpfeiler abgestützt, wie bei einer Filmkulisse.

Es ist eine Art Geisterstadt, denn die dort gebauten Wohnungen und Appartements sind großteils unbewohnt. Der Besitzer und Erbauer der Stadt hat ohnehin genug Geld und ist nicht darauf angewiesen, die Wohnungen billig zu verkaufen. Auch die Angestellten der zahlreichen Geschäfte und Lokale hängen gelangweilt herum, da und dort sitzt ein kleines Grüppchen Touristen und isst Hamburger mit Pommes.

Ghalib2.jpg

Bild 2: Abendspaziergang an der Hafenmole von Port Ghalib

Es gibt kleine Brücken über unbenützte Kanäle, wie in Venedig, nur sind sie hier aus Stahl-beton. Die Palmen sehen aus wie aus Plastik und das türkisblaue Wasser in der Lagune wirkt gefärbt. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, obwohl es ein sehr warmer Abend war. Übrigens: Auch in Hurghada, wo es eine neue Marina gibt, sieht die Hafenpromenade genau gleich aus, alles wirkt künstlich und ist es auch.

Ghalib3.jpg

Bild 3: Hafeneinfahrt Port Ghalib mit künstlich angelegtem Rasen und Lagune im Hintergrund

In Planung sind weitere Kanäle, die bis zum ca. zwei Kilometer entfernten Flughafen reichen sollen, so dass die Touristen ohne Bus direkt auf ihre Schiffe gehen können.

Ghalib4.jpg

Bild 4: Private Motoryacht „Port Ghalib“ im Hafen von Port Ghalib. Gehört wahrscheinlich einem Scheich namens Ghalib. Dürfte nicht ganz billig gewesen sein. Die große weiße Fläche am Heck ist übrigens eine Garage für Wetbikes.

Den Meeresbewohnern entgeht die Verschmutzung und der Druck auf ihren Lebensbereich nicht. Besonders hervorheben möchte ich die Korallen, denn sie sind die Basis allen Lebens am Riff. Ihre staatenbildenden Polypen dienen im Larvenstadium vielen Fischen als Nahrung und als Riffbauer erzeugen sie erst das gesamte Biotop, von dem unzählige Arten abhängig sind. Wenn sie sterben, stirbt das Riff und mit ihm alle Bewohner.
Auch die Menschen kommen dann auf lange Sicht nicht ungeschoren davon, so viel ist sicher.

Kommen wir wieder zu unserem Tauchausflug zurück. Um sechs Uhr früh geht es los, die am Riff festgebundenen oder gerade angekommenen Safariboote lassen die ersten TaucherInnen ins Wasser – je zwanzig Stück pro Schiff. Das sind meist noch diejenigen, die am wenigsten Schaden anrichten, weil sie meist gute und somit kontrollierte Taucher sind, die oft auch ein gewisses Verantwortungsbewusstsein mitbringen. Sie passen auf, was sie mit ihren Flossen tun und versuchen, nichts zu berühren. Aber auch sie üben Druck aus, weil sie seit der Erfindung der kleinen, billigen Digitalkameras viel öfter einen Fotoapparat mit haben und sich zum besseren Knipsen gerne auf den Korallen abstützen. Wenn das hin und wieder ein Taucher macht – kein Problem, aber die Masse ist für das Riff schwer zu verkraften.

Ab zehn Uhr geht es dann los. Im 5-Minutentakt treffen die Tagesboote ein, die ebenfalls zwischen fünfzehn und zwanzig Taucher an Bord haben. Bis zu Mittag habe ich etwa 40 Schiffe gezählt, allein für das eine Riff mit einer Länge von ein paar hundert Metern.

Auf diesen Booten befinden sich TaucherInnen jeglicher Güte, bis hin zu so genannten „Bubblemakern“ – meist Anfänger oder unroutinierte GelegenheitstaucherInnen. Auch sie wollen alle die fantastische Unterwasserwelt sehen und geben dafür gutes Geld aus. Auch sie zerstören nicht mutwillig die Korallen, aber sie tun es, denn sie wirken unter Wasser wie eine Dampfwalze, Millionen Flossenschläge setzen das Riff gewaltig unter Druck, denn eine abgebrochene Koralle hat oft Jahrzehnte gebraucht, um heranzuwachsen. Dazu kommen noch der ins Wasser geworfene Müll sowie die Fäkalien, die einem dann unter Wasser geschmackvoll entgegen treiben. Die meisten Boote haben nämlich als Abfluss für die Toilette einfach ein Rohr, das den Dreck unten raus lässt. Auch die großen Safariboote lassen sämtliche Fäkalien ins Wasser, jedoch meist bei einer Überfahrt auf hoher See, wenn es niemand merkt.
Dazu kommt noch das Öl und Benzin, das die Boote verlieren – es ist auch hier die Summe der Verschmutzungen, die das Riff belasten.

Am folgenden Bild sieht man die große Schar der Schnorchler und Taucher, die über das Riff herfallen. Die Tagesboote, die sie dorthin bringen, stehen unter starkem Konkurrenzdruck und müssen so auf ihre Kosten schauen. Die Umwelt steht da an allerletzter Stelle, was bei den Safaribooten nicht ganz so schlimm ist.

Die Schnorchler (darunter auch viele Kinder) bekommen eine Schwimmweste und dann dürfen sie über das Riff schnorcheln. Einen Vorteil hat das ganze: Durch die Weste können sie wenigstens nicht hinunter tauchen und unten nichts kaputt machen, zumindest nicht direkt.

Schnorchler.jpg

Bild 5: Tagesboote mit Schnorchlern und Tauchern vor einem Riff bei Small Giftoun Island, 5. Oktober 2011

Wer zu einem Korallenriff hinabtaucht, befindet sich plötzlich in einer anderen, uns sehr fremden Welt, und zwar als Eindringling. Unzählige Augenpaare starren die TaucherInnen an, manche neugierig, viele ängstlich und bei einigen lässt sich das nicht so genau sagen. Das System unter Wasser ist perfekt abgestimmt, viele Riffbewohner gibt es in nahezu unveränderter Form schon seit vielen Millionen Jahren.
Eiszeiten, Meteoriten, Vulkanausbrüche, Erdbeben, Klimaveränderungen – all das konnte dem System Korallenriff nichts anhaben, denn sie waren immer lokal oder fanden in einem so langen Zeitraum statt, dass sich die Riffe daran anpassen konnten.

Jetzt stehen sie vor einer neuen Herausforderung, denn der Mensch bedroht sie global (es gibt auf der ganzen Welt kein einziges wirklich unbelastetes Riff mehr) und extrem schnell.

Binnen weniger Jahrzehnte hat er es geschafft, die Meere gründlich zu verschmutzen und zu plündern. Einige Meeresbewohner stehen am Rand der Ausrottung. 95 % des weltweiten Haibestandes sind bereits verschwunden, das merkt man auch beim Tauchen ganz massiv. Noch vor ein paar Jahren sah man in einigen Gebieten bei jedem Tauchgang einen Hai. Wenn man heute dort taucht, ist man über 2-3 kleine Exemplare pro Woche schon zufrieden. Geldgier und mangelndes Verständnis führen eine Tierart, die es schon vor den Dinosauriern gab, wahrscheinlich bald zu einem Ende. Dafür können einige Menschen sagen, dass sie Haifischflossensuppe gegessen haben.
Haie sind insofern ein spezielles Beispiel, als sie beim Menschen (auch durch den Film „Der weiße Hai“) einen Angstreflex auslösen. Und wovor der Mensch Angst hat, das tötet er. Die Haie sind aber seit Jahrmillionen ein wichtiger Bestandteil der Nahrungskette der Meere, die man nicht einfach beliebig verändern kann, ohne mit drastischen Folgen leben zu müssen.

Pfoetchenkoralle.jpg

Bild 6: Eine Pfötchen-Koralle kämpft ums Überleben. Im Hintergrund sieht man den noch intakten Teil (mit einer Fünfbinden-Demoiselle), im Vordergrund den abgestorbenen, von schleimigen Algen überzogenen Bereich.

Echte, d.h. verantwortungsvolle TaucherInnen stehen vor einem Dilemma: sie lieben die Unterwasserwelt und wollen sie schützen. Sie wollen aber auch genau diese Unterwasserwelt besuchen und erleben:

Am besten schütze ich diese Welt, wenn ich ihr fernbleibe.
Am besten schütze ich diese Welt, wenn ich sie besuche.

Wer nicht dorthin fliegt und taucht, bricht keine Korallen ab und trägt nicht zur Verschmutzung bei. Leider ist das nicht so einfach, denn wir alle konsumieren diejenigen Produkte, die durch das Rote Meer auf riesigen Containerschiffen und Tankern zu uns gebracht werden. Wir alle tanken das Benzin, wir alle kaufen das Plastik aus China und fast alle kaufen auch die Birnen aus Südafrika (statt aus dem Mostviertel).
Wer dorthin auf Tauchurlaub fliegt, sichert eine Menge Arbeitsplätze: die Werftarbeiter, die das Schiff bauen, die Crew der Schiffe, die Händler, die Bauern, die Tourismusmanager und noch unzählige Menschen mehr leben vom Tauchtourismus. Wollen wir ihnen das weg nehmen? Welche Verantwortung wiegt schwerer?

Wer die Unterwasserwelt kennen und lieben lernt, wird oft zu ihrem Botschafter. Diese Menschen erzählen ihren Freunden davon, wie traumhaft schön und somit schützenswert diese Lebensräume sind. Manche wählen dann sogar eine Partei, die sich wirklich für Umweltschutz engagiert, einige setzen sich selbst auch aktiv dafür ein.

Ich wage eine erste, vorsichtige Auflistung, was der einzelne Taucher tun kann:

1.) Boote buchen, die sich bemühen, die Umwelt zu schützen

Leider gibt es die nicht wirklich, denn die meisten Ägypter haben (zumindest meiner Erfahrung nach) keinerlei Sinn für die Umwelt. Es fällt ihnen gar nicht auf, wenn in einer leeren Kabine eine Woche lang die Klimaanlage auf voller Kraft läuft. Das Benzin ist in Ägypten staatlich subventioniert und immer noch spottbillig. Das folgende Bild zeigt einen Ausschnitt des Problems:

greenforce.jpg

Bild 7: Das 32-Meter-Safariboot von Greenforce.be. – es unterscheidet sich nicht von anderen Booten, links hinten kann man den Dreck sehen, den der Auspuff rausschleudert.

Mülltrennung ist überhaupt ein Fremdwort, hier wäre es jedoch sehr aufwändig, eine Veränderung zu versuchen, denn man müsste ja nicht nur auf dem Schiff trennen, sondern dahinter ein System wissen, das ebenfalls die Trennung weiter verarbeitet. Und das gibt es in Ägypten schlicht und einfach nicht.

2.) Möglichst wenig kaputt machen

Ein guter Vorsatz, er entspricht dem Taucher-Motto „Take only impressions, leave only bubbles“. Wer seine Tauchgänge so plant, dass er/sie möglichst wenig kaputt macht, entwickelt ein Bewusstsein der eigenen Fähigkeit dem Meer zu schaden: Wir entstammen dem Meer – was gibt uns das Recht, es kaputt zu machen? Das ist ein guter Anfang.

3.) Auf Kleinigkeiten achten

Da wird es schon schwieriger: Klimaanlage abdrehen, wenn sie nicht wirklich gebraucht wird, das gleiche gilt für Licht und andere Energiefresser. Wir hatten diesmal an Bord der „Golden Dolphin II“ pro Person eine beschriftete Wasserflasche, die an den diversen Tankstationen, die überall im Schiff verteilt waren, nachgefüllt wurde. Das hat eine Menge Plastik gespart.

4.) Initiativen unterstützen

Es gibt sie zuhauf und es ist gar nicht so leicht, die richtigen herauszusuchen: Wale, Haie, auch Riffe, Delphine, Tunfische – alles mögliche müsste geschützt werden und für fast alles gibt es Initiativen. Manchmal ist schon eine Unterschrift oder ein „Gefällt mir“ hilfreich, man wird sehen, wie es in Zukunft im Social-Media-Bereich weiter geht.

5.) Parteien wählen, die für den Schutz der Meere sind

Natürlich sind alle für den Schutz der Meere, aber sind sie das wirklich? Kann man zugleich der Ölindustrie huldigen und die Meere schützen? Bleiben nur die Grünen als in diesem Punkt wählbare Partei übrig, oder nicht einmal die? Letztlich muss das jede(r) selbst entscheiden.

6.) BotschafterIn der Meere werden

Artikel schreiben, mit leuchtenden Augen über die Schönheiten berichten, aber auch über die Zerstörung, die unter Wasser inzwischen unübersehbar ist. Das geht den Leuten mit der Zeit auf die Nerven, daher muss jeder die maximal zumutbare Dosierung selbst finden.

Irgendwie ist das nicht sehr viel, als TaucherIn fühlt man sich meist ein wenig hilflos. Es ist klar, dass die Belastung der Meere in den nächsten Jahren noch erheblich zunehmen wird. Noch mehr Menschen mit noch mehr Hunger und anderen Bedürfnissen, wie etwa dem nach endlosem Konsum und Luxus. Das verursacht bei unserem heutigen Lebensstil in der Wegwerfgesellschaft noch mehr Müll, der letztlich wieder in den Meeren landen wird. Mehr Plastik, mehr Öl, mehr Chemikalien, mehr Pestizide, mehr Phosphate und natürlich immer mehr Freizeitwünsche, die befriedigt werden wollen – jetzt gleich und für alle.

In Ägypten zeigt sich im so genannten „Tiefen Süden“ an der Grenze zum Sudan folgendes Bild: Ein Drittel jedes Riffs ist tot: abgestorbene Korallenstöcke, von schleimigen Algen überzogen, die sich von dem Dreck ernähren, den wir ins Meer leiten. Da und dort ein kleiner Fisch. Ein weiteres Drittel ist am Absterben und bereits massiv geschädigt. Das dritte Drittel ist noch ganz okay. Wenn Hans Hass mit einer Zeitmaschine aus den 1950ern in die heutige Zeit reisen würde, dann erschiene ihm auch das schöne Drittel als katastrophal, aber wir haben nichts mehr, mit dem wir es vergleichen könnten. Selbst die Erinnerungen reichen da nicht aus.
Die Zerstörung passiert blitzschnell – gemessen in erdgeschichtlichen Rhythmen, wie eine Explosion. Für einen menschlichen Rhythmus ist es überhaupt keine Explosion, sondern ein langsamer Vorgang, den man nicht wirklich mit freiem Auge beobachten kann. Ich war im Abstand von fünf Jahren zwei Mal auf den St. Johns-Riffen und bin entsetzt, wie sehr sich die Riffe zum Negativen verändert haben.
Nun passiert folgendes: Das gute Drittel wird umso mehr betaucht, da die TaucherInnen ja nur die schönen Plätze sehen wollen. Die Guides wissen das und drehen meist vor der Ecke, hinter der man den Korallentod gut sehen könnte, mit ihrer Gruppe um.
Damit ist es nur eine Frage der Zeit, bis das noch gute Drittel auch abstirbt, denn es wird die massive Dauerbelastung nicht mehr lange aushalten.

Nun könnte man einwenden, es gibt ja noch die arabische Seite mit genauso vielen schönen und spektakulären Riffen wie herüben auf der ägyptischen Seite. Und dann gibt es noch den Sudan und Eritrea, beide Staaten mit endlos langen Küsten. Dort müssten die Korallen eigentlich noch in Ordnung sein, quasi ein Paradies, wie wenn man mit einer Zeitmaschine zu den Zeiten gesunder Riffe zurückfahren könnte.

Leider ist dem nicht so. In all diesen Ländern wird auf Teufel komm raus mit Dynamit gefischt. Das ist die kurzfristigste Art wie man schnellen Profit manchen kann und somit sehr beliebt.
Irgendwie dürften Araber keinen Sinn für die Umwelt haben, denn die Saudis haben genügend Geld, um die Zerstörung ihrer Umwelt zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen.
Sie haben aber keinerlei Interesse daran, warum auch immer. Dafür plant der Saudische König den Bau von einem Dutzend Atomkraftwerke oder mehr.

Seit ein paar Jahren gelten Tauchsafaris in den Sudan als Geheimtipp. Dort befinden sich noch die unberührten Riffe, heißt es. Wenn man dann mehr Informationen einholt, dann ändert sich auch dieses Bild. Vor dem Sudan und vor Eritrea fahren die gleichen Supertanker und Containerschiffe, einzig und allein die Belastung durch Taucher und Industrie ist geringer. Aber das Rote Meer ist das Rote Meer und Strömungen kennen keine Nationalgrenzen.

Was wir jedoch sehr wohl tun können, ist unser Leben Schritt für Schritt ein wenig grüner zu machen, oder „ökologischer“, wem das Wort „grün“ zu sehr nach linkslinken Chaoten klingt. Man kann z. B. auf gestressten Fisch verzichten (Lachs, Tunfisch) und statt dessen Karpfen und Reinanken essen. Das fetzt nicht so rein wie Wolfsbarsch und Seeteufel? Mag sein, aber letztere spielt es dann auch nicht mehr so lange. Wer von uns möchte derjenige sein, der mit einem zarten Schmatzen und einem gepflegten Rülpser den letzten Branzino verschlingt?

© Guido Schwarz, 14. Oktober 2011

Bildquellen: Alle Bilder Guido Schwarz, außer Bild 6 (Andrea Blanzano)