Jetzt reichts! Ich werde zum Hutbürger!

Ich habe mich ja lange zurück gehalten, aber jetzt ist es genug. Was die mit dem Parkpickerl aufführen, das geht ja wirklich nicht mehr. Es wird sowieso alles immer ständig teurer und jetzt werden noch einmal die Autofahrer geschröpft. Die Kurzparkscheine sind teurer geworden, dabei zahlen wir eh schon so viel für das Parken. Und der Benzin wird auch ständig teurer, seit 20 Jahren.
Doch das Parkpickerl ist die Krönung einer gänzlich unfähigen Stadtregierung, die immer nur alles teurer macht. Wieso will man mir mein Recht auf einen Gratis-Parkplatz nehmen? Das hat so lange sehr gut funktioniert und ein Freund hat mir neulich erzählt, dass er auch im 8. Bezirk eine halbe Stunde kreisen muss, um einen Parkplatz zu finden. Trotz teurem Parkpickerl!
Die Autofahrer zahlen ohnehin schon genug: Autobahngebühr, Steuern beim Autokauf und von den vielen Steuern am Benzin will ich ja gar nicht reden. Diese links-linken Öko-Gutmenschen machen unser ganzes Land kaputt. Und jetzt passiert das auch noch in Wien, das sich bis jetzt als fast einzige europäische Stadt gegen das schamlose Abkassieren bei den Parkplätzen erfolgreich gewehrt hat.

Die wollen das Autofahren in der Stadt überhaupt verbieten. Wie bitte soll das gehen? Womit sollen die Menschen zur Arbeit fahren? Mit einer überfüllten, stinkenden Straßenbahn und im Regen warten? Sicher nicht!
Und die Kinder? Denkt die ach so soziale Stadtregierung überhaupt nicht an die Kinder? Sollen die ZU FUSS in die Schule gehen? Das ist doch lächerlich, das kann ja kein verantwortungsbewusster Mensch ernst meinen, das ist viel zu gefährlich bei dem Verkehr! Erst neulich hat so ein Fahrrad-Raser ein Schulkind nieder geführt.

Also wenn ich Kinder hätte, ich würde sie nie und nimmer zu Fuß in die Schule gehen lassen. Oder mit den Öffis fahren. Was da alles passieren kann! Oder der Großeinkauf, soll ich den etwa zu Fuß nach Hause schleppen? Oder soll ich mit einem Einkaufswagerl fahren? Das ist total unzumutbar, die Verantwortlichen müssen einsehen, dass es ohne Auto einfach nicht geht.

Fußgänger gehören meiner Meinung nach überhaupt nicht auf die Straße. Erstens ist es sowieso zu gefährlich und zweitens sind sie viel zu langsam. Und die Luft, die sie einatmen müssen, ist auch viel zu dreckig. Ich möchte nicht wissen, wie viel von meinen hart erarbeiteten Steuergeldern für die Krankenhauskosten dieser Leute drauf geht.
Wenn man es logisch betrachtet, dann geht hier auch wahnsinnig viel Effizienz verloren. Die Gehsteige sind viel zu breit für die wenigen Fußgänger. Okay, in einer Einkaufsstraße oder einer Fußgängerzone, das sind mehr Fußgänger. Aber auch das wäre nicht notwendig, würde man statt der elendsbreiten Gehsteige Parkhäuser bauen, müssten die nichts mehr zu Fuß machen. Wenn man überlegt, wie viele Parkplätze man statt den Unmengen Gehsteigen bauen könnte – wir hätten überhaupt keine Parknot mehr und bräuchten auch keines von diesen unnötigen Parkpickerln, die eh nur teuer sind und nichts bringen.

Die ärgsten sind aber die Radfahrer. Die fahren ständig über die roten Ampeln und halten sich überhaupt nicht an Verkehrsregeln. Die sollen sich auch hinten im Stau anstellen. Wieso soll es denen besser gehen als mir? Ich schaffe mehr Arbeitsplätze durch mein Auto als der mit seinem Fahrrad. Nur weil die so schmal sind schlängeln sich immer vor und dann versperren sie mir den Weg. Und ich muss hinter dem herzuckeln. Und dann dieses blöde Argument, dass die genauso schnell am Ziel sind wie ich mit dem Auto. Das ist ja nur deswegen so, weil sie mich in der freien Fahrt behindern! Und gefährlich ist es auch, daher sollte man es im Sinne der Allgemeinheit komplett verbieten. Am Donauradweg oder meinetwegen auf separaten Radwanderwegen, kein Problem. Wer seinen Körper so schinden will, dem sei das unbenommen. Aber bitte nicht den privaten Radverkehr auf öffentlichen Straßen, das geht gar nicht!

Auch das Argument, dass Autos umweltschädlich sind, lasse ich überhaupt nicht gelten. Die vielen Abgase entstehen doch erst dadurch, dass man hinter den Radfahrern herzuckeln muss und den Motor nicht frei ausdrehen kann. Und durch die vielen Geschwindigkeitsbegrenzungen, die mich zwingen, ständig schneller und langsamer zu werden. Das verpestet die Luft, nicht das Autofahren. Ganz abgesehen davon wurde eh seinerzeit der Kat eingeführt und schon wieder wurden die Autofahrer zur Kasse gebeten. Das muss irgendwann ein Ende haben.

Wie stellen sich die Grünen das vor? Sollen wir alle zu Fuß gehen, mit dem Fahrrad und mit U-Bahn, S-Bahn, Taxi, Bus oder der Straßenbahn fahren? Das mag ja für eine kleine Anzahl von Leuten ganz okay sein, aber spätestens wenn man einen guten Job hat, braucht man dazu das passende Auto. Wie schaut denn das aus, wenn der Vorstand einer Firma in der Früh mit dem Fahrrad kommt oder – schlimmer noch – von seiner Frau in die Arbeit geführt wird. Ich will meinem Chef nicht in der Straßenbahn begegnen! Der wird glauben, ich kann mir kein Auto mehr leisten.

Aber am schlimmsten ist es, dass die Grünen nicht verstehen, dass die Autoindustrie ein wichtiger Motor für unsere Gesellschaft ist – ein richtiger Antreiber, der viele tausend Arbeitsplätze schafft. Was sollen die alle tun, wenn wir keine Autos mehr brauchen? Deswegen hoffe ich auch, dass dieses blöde Car-Sharing nicht kommt. So ein völliger Blödsinn! Wieso sollen sich Leute ein Auto teilen? Ich will ja auch nicht, dass daheim ein Fremder auf meiner Wohnzimmergarnitur sitzt. Ich habe mir mein Auto hart erarbeitet und bezahle brav meine Leasing-Raten. Eigentum ist zu schützen, sage ich immer. Wo kämen wir da hin, wenn mehrere ein Auto benützen? Das ist dann nie da, wenn ich es brauche und ich muss im Dreck meiner Vorgänger sitzen. Nicht mit mir, sicher nicht!
Auch die andere Schnapsidee ist typisch Grüne: Mehrere Leute fahren in einem Auto. Das geht einfach nicht, wie soll ich dann in Ruhe telefonieren oder meine vielen mails beantworten? Das kostet mich meinen Job! Ich muss auch während dem Fahren wichtige Telefonate führen, das hat einfach Priorität. Das geht nicht, dass ich mit meinen Kollegen gemeinsam ins Büro fahre. Sollen die alles mithören? Auch hier wird meine Freiheit total beschnitten – und wofür? Nur dass es weniger Stau gibt? Ich arbeite viel im Stau! Da habe ich meine Ruhe und bin angenehm von den Außeneinflüssen abgeschirmt. Ich muss nicht hören und sehen, was draußen los ist. Und natürlich nicht riechen! Das wäre bitte überhaupt das Ärgste, dass ich mit fremden Menschen in einem Raum sein muss.

Aus all dem heraus kann ich nur sagen: Auch ich werde jetzt zum Hutbürger!

PR – Public Relations oder Promotion?

In einer Studie wird gejammert, dass PR ein „Imageproblem“ hat. Ich kann nur sagen: Oh, das ist mir neu!

Gibt es wirklich noch jemand, der die Systematik nicht durchschaut hat? Zur Erinnerung:

Es gibt ständig mehr Produkte auf den Märkten und daher mehr Konkurrenz. Und das in fast allen Branchen und Bereichen.
Jeder will immer jetzt alles sofort zugleich, daher muss es billig werden, damit man sich mehr leisten kann.
Somit muss die Qualität sinken, die Produkte müssen so gestaltet sein, dass sie möglichst schnell kaputt werden (Geplante Obsoleszenz).
Weil Sättigung entsteht, müssen die Produkte geiler, schreiender, begehrenswerter designed werden bei gleichzeitig sinkendem Gebrauchswert. Design ersetzt Funktion (Autostoßstangen sind hochglänzend lackiert, bei Stößen jedoch sofort kaputt).
Um unter vielen Anbietern herauszuragen braucht man aggressive Werbung plus PR-Arbeit für das schlechter werdende Image des Unternehmens, denn wo die Qualität der Produkte sinkt, folgt die Qualität des Unternehmens. Auch intern, daher gibt es höhere Fluktuation, innere Kündigung, hohe Wechselbereitschaft, weniger Loyalität etc.
Somit muss das Unternehmen nach innen Qualität vortäuschen, etwa durch Alibi-Trainings für die MitarbeiterInnen.
Und es muss Qualität nach außen vortäuschen, etwa durch CRM, CSR oder andere Alibi-Aktionen, erkennbar meist an Drei-Buchstaben-Abkürzungen.

Beauftragt wird ein professionelles PR-Institut. „Professionell“ heißt in diesem Fall:
1.) Ausnützung des rechtlichen Rahmens inkl. Grauzonen (Produkthinweise möglichst klein gedruckt und versteckt)
2.) Lobbying, um die Gesetze entsprechend erzeugerfreundlich umzugestalten (heimische Produzenten haben z.B. keinerlei Verantwortung für ihre Zulieferer und Töchterfirmen, z.B. Nestlé kann legal Blutschokolade einkaufen oder Thyssen-Krupp mit einem Stahlwerk die Bevölkerung vergiften etc.)
3.) möglichst perfekte Täuschung der KonsumentInnen – je gründlicher, umso professioneller
4.) möglichst runde und perfekte, blitzsaubere und wunderschöne Darstellung des Unternehmens nach außen, die dunkle Seite verschweigen so lange es geht.
5.) kompletter Abschied von jeglichen ethischen Standards – die hat der Wettbewerb auch nicht und der könnte ja genau daraus einen Vorteil generieren.

Und dann wundern sie sich, wenn das Image nicht das beste ist? Öffentlichkeitsarbeit = Werbung. Und Werbung heißt immer (ausnahmslos!) die Vorteile herausstreichen und die Nachteile verschweigen.
So einfach ist das.

Was will Facebook mit der Timeline?

Angeblich wird man hineingezwungen und tatsächlich bin auch ich fast schon in die Falle getappt: „Wenn Du diese Anwendung startest, wirst Du auf die Chronik umgestellt“ hieß es.
Ich habe es nicht getan, aber früher oder später wird Facebook alle Benutzer umstellen. Also muss seitens des Betreibers eine Notwendigkeit dahinter stecken – mit anderen Worten: ein Geschäftsmodell.

Aber wie sieht dieses aus? Noch hüllen sich alle in Schweigen, und auch ich kann nur spekulieren. Hier die ersten Ideen und Ansätze:

1.) Facebook ist kein Charity-Verein. Die wollen Geld verdienen, und zwar so viel wie möglich. Daher verändern sie nur etwas, wenn es mehr Geld verspricht.
2.) Sie sagen es ganz offen: Wir ermöglichen euch Freundschaftspflege (wie auch immer die aussehen mag) und bekommen dafür von euch Daten geschenkt. Das ist eine klare Vereinbarung und ich betone es hier explizit: Alle Daten, die auf Facebook eingestellt werden, gehen in deren Eigentum über. Das betrifft Texte wie Bilder, Filmchen und Chats, – einfach alles.
3.) Der Fachausdruck ist „Data Mining“. Facebook geht davon aus, dass die relevanten Rohstoffe der Zukunft nicht mehr Kupfer oder Öl heißen, sondern Daten. Das bedeutet natürlich nicht, dass die „alten“ Rohstoffe nicht mehr gebraucht werden, sondern nur, dass sich mit ihnen nicht so viel Geld verdienen lässt wie mit Daten. Und genau diese Daten sammelt Facebook ein, viele Terabyte täglich.
4.) „In ihr Eigentum übergehen“ bedeutet, dass sie damit machen dürfen was sie wollen. Sie können etwa die privaten Urlaubsbilder der Nutzer verkaufen. Eine kostenpflichtige Bilder-Datenbank wäre etwa denkbar, ähnlich Fotolia oder Dreamtime. Dort könnten wir dann unsere eingestellten Bilder finden, mit einem Preisschild versehen. Ob es so eine Datenbank geben wird, ist fraglich, denn die Qualität der Bilder ist sehr unterschiedlich. Aber es gehört ihnen und sie dürfen alles damit machen, was man mit Eigentum so machen darf.
5.) Besonders wichtig ist der Aufbau von Zielgruppen-Datenbanken, die man dann teuer verkaufen kann. Unsere Konsumwelt sieht derzeit so aus: Es gibt unendlich viele Konsumartikel und wie im Regenwald die Bäume kämpfen die Hersteller bzw. Vertreiber dieser Artikel darum, ans Sonnenlicht zu kommen, sprich gekauft zu werden. Das wird immer schwieriger, denn die KonsumentInnen haben schon viel. Man bringt sie zwar dazu immer noch mehr zu wollen und verkauft ihnen Gegenstände, die schon nach sehr kurzer Zeit erneuert werden müssen, weil sie entweder kaputt oder aus der Mode sind, aber das alles hat Grenzen. Selbst der dümmste Konsumidiot hat irgendwann eine Sättigung erreicht und die Geldbörse spielt hier auch mit. Das versucht man zwar mit Kredit-Lockangeboten zu umgehen („Kaufen Sie heute, zahlen Sie nächstes Jahr), aber auch das hat Grenzen. Keine ethischen, aber quasi natürliche, etwa wenn die erste Kreditkartenblase explodiert.
6.) Daher geht es um die richtige Ansprache der Konsumentinnen. Das Geschäftsmodell sieht so aus: Wer seine Zielgruppe besser erreicht als der Mitbewerb, bekommt letztlich alles, weil der Mitbewerb das nicht überlebt. Wenn in meinem Basilikum-Beet direkt nebeneinander zwei Samen aufgehen, wird der Stärkere von beiden groß und der Schwächere geht ein. Somit hoffen alle auf generelles Wachstum, das aber wie überall in der Welt irgendwann auch an seine Grenzen gerät. Bei entsprechendem Wachstum überleben auch die Schwachen. Aber was ist, wenn die Spitze erreicht ist, wenn die Bäume im Urwald 35 Meter hoch sind und die Kapillaren das Wasser einfach aus physikalischen Gründen nicht mehr höher in die Wipfel transportieren können? Was ist, wenn die Menschen nicht mehr das Geld haben, um noch mehr zu kaufen oder die Ressourcen ausgehen? Es reicht ja schon ein Stagnieren von Fördermengen, um eine Kettenreaktion auszulösen. Dann wird es eng.
7.) Facebook bemüht sich also erstens viele Daten zu sammeln und diese zweitens ordnen zu können. Darin liegt die eigentliche Herausforderung, denn den ersten Teil der Aufgabe haben sie bereits bravourös gemeistert. Nun gibt es schlaue Computerprogramme, die Benutzerprofile anlegen. Dazu werden scheinbar voneinander unabhängige Daten miteinander in Beziehung gebracht und Schwupps! – schon hat man perfekte Kundenprofile und weiß, dass der Maxi Müller jeden Mittwoch Mörderappetit auf Vanilleeis hat. Also kann man ihm Mittwoch früh eine SMS schicken, dass zwei Häuserecken weiter zufällig heute gerade er zehn Prozent Rabatt auf Vanilleeis bekommt.
Wird das so funktionieren? Sind die Wünsche (nicht: Bedürfnisse! Dazu ein andermal) so stabil und vorausberechenbar? Sind die KonsumentInnen so fetzendeppert, dass sie das einfach so mit sich machen lassen?
8) Möglicherweise schwächelt hier das Geschäftsmodell, denn was ist, wenn die Profile zu keinen steigenden Umsatzzahlen bei der Kundschaft führen und die Käufer der Datenprofile dies bemerken? Hat Facebook dann ein zweites Geschäftsmodell auf Vorrat? Genau hier setzt meine Neugier an: Verhilft die Chronik, die Timeline Facebook dazu, noch andere Möglichkeiten zu generieren? Welche wären das? Ich bin gespannt auf die Diskussion.

Die kleinen Anzeichen

Es sind oft die kleinen Anzeichen, die auf große Veränderungen hindeuten. Sie erscheinen unzusammenhängend und sind es vielfach auch. Aber ihre Summe sollte uns aufhorchen lassen:

1.) Vereinzelung
Wehe, wenn sie sich zusammenschließen! Das wissen diejenigen, die ihre Macht erhalten wollen, nur zu gut – vom schwachen Abteilungsleiter in der Firma bis zum Papst. Ein probates Mittel ist die Vereinzelung (Idiotisierung) der Menschen (der „Idiot“ ist übersetzt der „Vereinzelte“). Je mehr sie auf ihr individuelles Wohl schauen („Wenn jeder auf sich selbst schaut, dann ist auf alle geschaut“), desto dünner wird die Gemeinschaft. Die Verlockung nach dem äußeren Zeichen der Individualität, dem individuellen Besitz, wird immer größer. Man muss die Gegenstände dafür weder brauchen noch benützen – Hauptsache man hat sie. Die Vermehrung, Erhaltung und Absicherung der Güter frisst dann die Zeit und Energie, die man sonst für die Gemeinschaft verwenden könnte.

2.) Konsumradikalisierung
Noch mehr von möglichst allem, jetzt gleich, vergleichbar einem Ertrinkenden, der nach Luft schnappt. Das Gekaufte macht immer weniger glücklich und immer kürzer. Schnell noch das ausgeben, was vielleicht morgen nichts mehr wert ist. Sammeln für einen möglicherweise harten und kalten Wirtschafts- und Sozialwinter. Der Widerspruch von „weniger Geld haben“ und „mehr kaufen wollen“ wird durch Herabsetzung der Qualität der Produkte bewältigt: Billige Materialien, billige Erzeugung und schon kann man sich alles leisten. Die damit verbundene Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt wird kostenmäßig in die Zukunft geschoben. Die Produkte werden langsam zu frisch erzeugtem Müll. Die Umwelt wird zu Müll. Und die Menschen, die darin leben, fühlen sich langsam auch so.

3.) Die Ruhigsteller werden mehr
Die mentale Ruhigstellung der Menschen weitet sich aus. Dazu gehören vor allem Fernsehen, Computerspiele und bilderreiche, textarme Zeitschriften. Auch die stoffliche Ruhigstellung nimmt stark zu: Mehr Fast-Food, weniger Bewegung, Verfettung von Körper und Hirn. Lärmisolierte, weich gefederte Autos, durch die man die Umwelt nicht mehr wahrnimmt, fette und zuckerreiche Nahrung, Dubai und DomRep, wo man in Strandfabriken ruhig liegend auf den Hautkrebs wartet. Und aufs Lachsbuffet. Wenn das nicht ausreicht: Epson hat jetzt die 3D-Brille für unterwegs erfunden, das ist die perfekte Ergänzung zu den Kopfhörern, mit denen man sich nicht nur selbst ruhigstellen, sondern auch perfekt von Außeneinflüssen abschotten kann.

4.) Zunahme der Tablettensucht
Sich zudröhnen, sich aus der Welt für eine Zeit hinausbegeben, in der Extremform: den Weltschmerz unterdrücken. 1,5 Mio. Menschen allein in Deutschland, die Tablettenmissbrauch betreiben. In Florida ist das bereits Nr. 1 der unnatürlichen Todesursachen. Meist unsichtbar, erst sehr spät erkennbar, mit hoher Dunkelziffer. Und besonders stark bei Jugendlichen.

5.) Gesundheitsbereich unter Druck
Wenn der Gesellschaftskörper nicht mehr funktioniert, so spüren das die Individualkörper. Obwohl wir immer gesünder und „besser“ leben, steigen die Kosten für Spitäler, Krankenpflege, Medikamente und medizinische Geräte ständig und stark. Die Menschen drängen zur Heilung und diese wird immer aufwändiger und teurer. Ab wann kann sich die Gesellschaft so viele Kranke nicht mehr leisten?

6.) Spiritualisierung
Die Bestsellerlisten sind voll von halbesoterischen Büchern zu allen möglichen Themen: Beziehung, Zukunft, Glück, Sex, Ernährung etc. Dies bewirkt eine Abschottung von der Realität, Scheinwelten werden aufgebaut, die glücklich machen sollen, wenn das reale Leben unglücklich macht.

7.) Zunahme des Glücksspiels
In der Geschichte war das stets ein Zeichen, dass eine Veränderung bevorsteht. Wenn Sicherheiten bröckeln, kann man nur mehr hasardieren und hoffen, zu den Glücklichen zu gehören.

8.) Burn-Out und Bore-Out
Die einen sind überarbeitet, stehen unter hohem Druck und werden krank. Die anderen sind arbeitslos, werden scheinbar nicht mehr gebraucht und werden krank. Viele spült es von der Mitte an den Rand, wo der Abgrund wartet. Dort haben sie Angst vor dem Hinunterfallen und klammern sich an alles, was ihnen gereicht wird.

9.) Radikalisierung und Xenophobisierung in der Politik
Man/frau ergreift in der Angst bzw. Panik auch die radikale Hand, wenn sie gereicht wird. Angst um den Besitz führt zum Wunsch, diejenigen zu bekämpfen, die einem das Erkrallte wegnehmen könnten. Das sind die anderen. Und je anders sie sind, desto mehr Angst hat man vor ihnen. Und hört vermehrt denjenigen zu, die diese Angst zur eigenen Machtergreifung zu nützen verstehen.

10.) Das Bröckeln der Autoritäten
Selbst wenn man die Vergangenheitsverklärungsbrille abnimmt – Kreisky, Kirchschläger, selbst Androsch waren noch Politiker, die man nicht als lächerlich empfand. Heute geistert Korruptionsverdacht durch alle Ebenen: Politik, Wirtschaft und auch NGO sind betroffen. Es scheint zumindest so, als ob Gier und Untreue überall um sich greifen. Die Kirche? Ein Skandal nach dem anderen. LehrerInnen? Nahe am Burn-Out oder unfähig. Familie – schon längst kein Ort der Sicherheit mehr. Banken, Versicherungen – die Säulen unserer Gesellschaft scheinen zu wanken.

11.) Bunker Cities bzw. Gated Communities
Reiche Menschen bunkern sich ein, bauen Mauern und Zäune um ihre Besitztümer – je größer die sozialen Unterschiede, desto höher. Sie haben Angst vor der Masse der Armen. (siehe eigener Blog-Beitrag)

Gibt es dazu Gegentrends? Selbstverständlich, darüber mehr demnächst hier.

Bunker Cities und Gated Communities

Bunker Cities

Sie werden auch „Gated Communities“ genannt und sind derzeit weltweit im Aufschwung: Wohnviertel für Reiche, mittels hoher Zäune, Elektronik und Wachpersonal gegen Gefahr von außen abgesichert.

Je weniger ein Staat auf das Gemeinwohl achtet, desto höher werden die Mauern und Zäune der Bunker Cities.

Die einen sind reich, die anderen arm. Die einen sind wenige, die anderen sind viele.

Das Problem: Zum Arbeiten müssen die Reichen ihre Hochsicherheitszonen verlassen.

Das 21. Jhd. wird als ein Jahrhundert der Mauern in die Geschichte eingehen. Diese Entwicklung ist in vollem Gange.

Besonders in denjenigen Gebieten auf dieser Welt, in denen es sehr viele Menschen und eine extrem große soziale Kluft gibt, entstehen die Bunker Cities.

• Südamerika – etwa in Rio
• Südafrika – etwa in Johannesburg oder Kapstadt
• Indien
• Russland
• USA – Florida und Kalifornien

Beispiel 1: Frankreich – Mirail in Toulouse

Es wäre falsch, das System zu verteufeln oder alles in einen Topf zu werfen. Der Beginn verläuft stets nach dem Muster der Ghettoisierung, d.h. die Mischung der ansässigen Bevölkerung löst sich auf, einzelne Gruppen (in Frankreich z.B. die Nordafrikaner) werden größer, übernehmen Häuserblöcke, Straßenzüge und letztlich ganze Viertel. Diejenigen Menschen, die ursprünglich dort gelebt haben, ziehen weg. Zuerst gehen die Sensiblen, aber ganz zum Schluss auch die Robusten, die eigentlich um jeden Preis bleiben wollten. Selbst sie fühlen sich dann nicht mehr wohl.

Diejenigen, die weg gehen, müssen irgendwohin. Sie ziehen manchmal in die harmlose Form der Gated Communities und bilden dort neue Gemeinschaften. Diese zeichnen sich einerseits durch echtes Zusammenleben (Nachbarschaftshilfe, Treffen, Aufeinander schauen etc.) aus, andererseits durch eine gewisse Abgrenzung nach außen, etwa durch interne Regeln, die befolgt werden müssen. Das betrifft meist die Lärmentwicklung, kann aber auch so restriktiv werden, dass sogar die Anzahl der Balkonpflanzen streng reglementiert ist.

Man schafft sich neue Orte des sozialen Friedens, der in dem Viertel, in dem man urspünglich gelebt hat, nicht mehr existiert. Die dortigen Verhältnisse empfindet man als feindselig und anarchisch. Dieser Nicht-Ordnung setzt man die übertriebene Ordnung der Bunker Cities entgegen.

Diese Form hat mit Reichtum nichts zu tun, es sind die Menschen der Mittelschicht, die sich nach Oasen der Ruhe sehnen und sich daher in solchen Communities zusammen schließen. Selbstverständlich zahlt man einen Preis, etwa den der massiv gestiegenen Überwachung – es gibt Videokameras an jedem Eck und man zahlt für Security.

Beispiel 2: Lake View, Nairobi

Die Hauptstadt von Kenia wächst und gedeiht. Das führt ebenfalls zu sozialen Spannungen, denn es gibt eine immer reicher werdende Oberschicht aus Weißen, Kenianern und Indern, aber auch eine ständig wachsende Armut, die sich in Slumbildung widerspiegelt.
Daher entstehen auch in Nairobi in den Außenvierteln Gated Communities und „Lake View“ ist eine davon. In der Mitte ist ein künstlicher See, der von 12 Parzellen umgeben ist. Das Areal wurde von einer indischen Familie (Sanghani) gekauft und angelegt. Davor war dort ein Sumpfgebiet.
Lake View hat rund um die Parzellen noch weitere Grundstücke und alle zusammen sind von einer Mauer umgeben. Es gibt nur eine Einfahrt und diese ist mit Schranken und Sicherheitspersonal versehen.

Im Gegensatz zu anderen Gated Communities ist Lake View relativ offen, somit auch relativ ungeschützt, aber auch weniger goldener Käfig. Es gibt keine Videokameras, keine umherstreifenden Hundestaffeln, keinen Stacheldraht und sogar die Mauer ist eigentlich ein Zaun mit hoher Hecke.

Aber es wohnen nur reiche Menschen dort: Diplomaten, Geschäftsleute, der spanische Botschafter. Bettler und andere Menschen, die dort nicht wohnen und auch nichts anliefern oder sonst wie beruflich zu tun haben, dürfen nicht hinein.

Beispiel 3: Die Condominios in Rio de Janeiro, Brasilien

Allein schon der Name ist Programm – wie ein Kondom schützt es vor Ansteckung und trennt, was eigentlich so gerne vereint wäre. Auf der anderen Seite sind die Favelas, mit armen Leuten, Drogen, Gangs und sonst noch allem, was man gerne nicht in seiner Nähe hätte.
Es ist aber in der Nähe der Condominios, und es verursacht ständige Angst und weitere Aufrüstung, die Mauern werden sozusagen ständig höher gezogen.

Das ist einerseits verständlich, denn die Armen würden sich nur zu gerne bei dem Vielen bedienen, das die Reichen haben (oft zu viel haben?).
Andererseits beschleicht die Menschen hinter den hohen Mauern hin und wieder der Verdacht, dass sie in einem goldenen Käfig leben und dass eigentlich sie die Eingesperrten sind, und nicht diejenigen, die nach ihrem Rechtsempfinden eingesperrt gehörten.

Es ist eine künstliche Trennung, herbeigeführt durch die Einführung des Unterschieds zwischen „arm“ und „reich“, die uns heute schon so selbstverständlich erscheint.

Die Gated Communities, die Bunker Cities trocknen aus. Damit ist nicht gemeint, dass sie kein Wasser mehr haben, denn das können sie sich mit dem vielen Geld kaufen, sondern sie trocknen sozial aus. Die Menschen verdorren innerlich und manche wünschen sich, dort wieder wegziehen zu können – irgendwo hin, wo man leben kann.

Beispiel 4: Die Gated Communities in Indien

Es sieht aus wie in einem Bollywood-Film und das soll es auch, denn es simuliert eine heile Welt. Schöne, reiche Menschen schlendern sorglos über Blumenwiesen, dahinter allerdings befindet sich eine hohe Mauer mit Stacheldraht und Selbstschuss-Anlage. In Indien ist die Kluft arm-reich besonders krass und entsprechend extrem sind auch die geschützten Areale. Aber auch hier besteht das Problem, dass die Menschen zum Arbeiten hinausfahren müssen.

Beispiel 5: USA, Florida und Kalifornien

In diesen beiden Bundesstaaten gibt es die meisten Areale dieser Art in den USA. Hier herrschen im Gegensatz zu Indien nicht Protz und Prunk, sondern alles dreht sich um die Ordnung. Wer in der Früh sein Garagentor offen lässt, nachdem er hinausgefahren ist, riskiert eine Strafe. Die Anordnung, Anzahl und Art der Büsche im Vorgarten ist genau geregelt und darf keinesfalls anders aussehen. Die gesamte Welt wirkt extrem künstlich und hier ist wohl der Begriff des Goldenen Käfigs am ehesten angebracht, wenngleich es auch in Indien mehr Gold gibt.
Im Dokumentarfilm wird gezeigt, wie ein rüstiger Herr im besten Alter dieses Leben nicht mehr aushält. Er zog in die Gated Community, weil seine Frau es so wollte. Jetzt fährt er einmal pro Tag mit dem Rennrad hinaus, um weite Touren zu unternehmen. Sonst würde er es drinnen nicht aushalten, meint er. Und er würde gerne wieder wegziehen. Das ist für ihn nicht das Amerika der Freiheit, die er so liebt.

Hier zeigt sich gut der alte Widerspruch: Wer zu viel Freiheit (in USA: des Marktes, was auch immer das dann genau ist) fordert, bekommt wie bei einem Boomerang die Rechnung serviert, und sie heißt Ordnung und Kontrolle.

Fazit

In gewisser Weise dürfen wir beruhigt sein – die Gated Communities sind ein vorübergehendes Phänomen. Sie werden in der Welt der Zukunft entweder sinnlos sein, oder sie werden überrollt von der Menschenmaschine, die dann alles niederwalzen wird. So hoch können die Mauern gar nicht sein, so dichte Grenzen gibt es nicht, dass sich solche Ungetüme mittelfristig halten können. Sie sind ein Menetekel, ein Mahnmal, dass wir uns dringend um einen Fortschritt in unserem Gesellschaftssystem kümmern sollten, bevor er von alleine entsteht, dann wahrscheinlich unkontrollierbar.

Quellen: Doku-Film „Bunker Cities“ von Paul Moreira, 2011
Doku-Film „Auf der sicheren Seite“ von Corinna Wichmann, 2009