Uwe Arnold – ein Philosoph ist gegangen

UWE ARNOLD (1936 – 2024)

Im Sommer 2024 ist wieder einer der alten Gruppendynamik-Philosophie-Viererbande (Peter Heintel, Gerhard Schwarz, Ber Pesendorfer, Uwe Arnold) gegangen.
Uwe hat die letzten Jahre zurückgezogen in Klagenfurt gelebt und war leider auch nicht am Begräbnis meines Vaters 2022.

Begonnen hat alles am Institut für Philosophie an der Uni Wien, wo unter der Schirmherrschaft von Erich Heintel junge Philosophen ihre Karriere entwickeln konnten.

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Bild: Gerhard Schwarz und Uwe Arnold 1974

Sie landeten über Traugott Lindner dann auch alle bei der Gruppendynamik und blieben dort, was automatisch in den 1980ern einen Klagenfurt-Konnex eröffnete, da die Gruppendynamik dort an der Uni verankert werden konnte.
So zog es auch Uwe irgendwann dorthin und er wurde Professor am Institut für Philosophie in Klagenfurt.
Als Spin-off entwickelte sich die ÖGGG, die später in ÖGGO (Österreichische Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsberatung) umbenannt wurde. Uwe war dort lange Jahre als Trainer und Ausbildner tätig.
Sein Kern blieb aber immer die Philosophie und dort entwickelte er sich auch zu einem der außergewöhnlichsten Philosophen Österreichs.
Das Besondere an ihm war die Art und Weise, wie er schwierige Inhalte vermitteln konnte. Seine Vorlesungen waren exzellent und sehr beliebt. Ich konnte sie leider nie direkt genießen, glücklicherweise wurden sie aber alle auf Tonband aufgenommen und transkribiert, so dass sie heute verfügbar sind.
Wenn ich etwas Schlaues zu einem Thema von mir geben muss, schaue ich nach, was Uwe dazu gesagt hat. Seine geschichtlichen Herleitungen eröffnen mir heute noch Erkenntnisse, weil sie aus dem üblichen Denken heraustreten und somit andere Blickrichtungen eröffnen.

Uwe war ein besonderer Typ, er stach aus der Menge durch seine wilde Frisur, seine Rollkragenpullis und seine sonore, ausgesprochen markante Stimme hervor – und natürlich durch sein Faible für Tabakwaren. Früher Zigaretten, später dann Pfeife.

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Bild: Uwe Arnold

Sowohl in der Philosophie wie auch in der Gruppendynamik hatte er Autorität und Einfluss.
Unvergessen ist sein Auftritt im „Club 2“. Dort wurde er von einem Teilnehmer mit den Worten „Kennen Sie überhaupt Hegel?“ attackiert.
Seine Antwort: „Nicht persönlich.“

Zudem war er bei vielen Motivforschungsprojekten dabei und auch hier war seine Analyse stets gefragt. Seine Spezialität war die Verbindung von Tiefe und Überblick, was gerade in diesem schwierigen Forschungsgebiet dringend notwendig ist, um die Zusammenhänge auf den verschiedenen Ebenen zu verstehen.

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Bild: Hypothesensitzung im Büro von Gerhard Schwarz, ca. 1983 (von links: Monika Hänslin, Ewald Krainz, Traugott Lindner, Ber Pesendorfer, Uwe Arnold)

So gescheit und eloquent Uwe war, die eine oder andere Kante gab es doch. Eine davon führte leider zum Bruch, als er eine Empfehlung für die Gruppendynamikausbildung zurückzog, die er mir vorher schon gegeben hatte – und zwar weil er sich über jemand anderen geärgert hatte. Auf meine Nachfrage reagierte er unverständlich, was für mich der Anlass (nicht die Ursache) war, die Ausbildung abzubrechen.
Ich verlor dadurch auch den Kontakt zu ihm und fand ihn nicht mehr wieder.

Er wird mir aber als Quelle der Weisheit und Inspiration trotzdem in guter Erinnerung bleiben.

Die Renaissance der Ochlokratie

Ich kannte den Begriff selbst bis vor ein paar Jahren nicht, finde ihn aber inzwischen als wichtigen Orientierungspunkt in der politischen Diskussion.

Anlass ist die 180-Grad-Kehrtwende der ÖVP punkto FPÖ im Januar 2025. Davor gab es im Wahlkampf und auch danach (Herbst 2024) eine sehr klare Linie: Keine Koalition mit der Kickl-FPÖ.
Das war ohnehin schon eine Mauer mit Hintertürchen, das aber letztlich gar nicht benutzt werden musste. Nach dem Scheitern der Verhandlungen zu einer Dreierkoalition (ÖVP-SPÖ-NEOS) gab es binnen weniger Stunden eine Kehrtwende und auf einmal war die FPÖ ein willkommener Regierungspartner, wobei man seitens der ÖVP den Kanzler abgeben muss und noch einiges mehr.

Interessant ist für mich das, was dahintersteckt.
Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten Politik zu betreiben:

1.) Ich mache ein Programm und versuche möglichst viele Menschen davon zu überzeugen. Wenn ich eine Mehrheit zustande bringe, setze ich das Programm in der mir zur Verfügung stehenden Zeit bis zur nächsten Wahl um.

2.) Ich höre, wer am lautesten schreit und das verkünde ich dann als Programm. Das ändert sich immer, wenn die Lauten etwas anderes schreien oder wenn andere lauter werden.

Die zweite Variante nannten die Griechen „Ochlokratie“, was so viel heißt wie „Herrschaft der Lauten“. Dazu passt folgender, alter Witz:

In einer Gefängniszelle sitzen drei Herren und unterhalten sich, warum sie eingesperrt wurden.
„Ich habe fünf Jahre bekommen, weil ich war für Popov.“
„Ich habe zehn Jahre bekommen, weil ich war gegen Popov.“
„Gestatten: Popov.“

Die Ochlokratie ist heute manchmal auch als „Populismus“ bekannt. Man braucht dafür keinerlei Programm mehr, gewählt werden stattdessen Einzelpersonen bzw. deren öffentliches Auftreten. Die Sprüche zu den Bildern sind meistens austauschbar, ohne konkrete Inhalte, kurz gehalten und oft auch sehr schreierisch, also für die Lauten gemacht, die das dann laut nachschreien.
Außerdem wird man dadurch selbst laut.

Inhaltliche Tiefe ist dabei nicht mehr notwendig, alles kann oberflächlich bleiben, muss es sogar, die Tiefe würde die Menschen langweilen, weil sie nach einiger Zeit nur gewohnt sind alles in kleinen, gut verdaulichen Häppchen serviert zu bekommen. Die Ochlokratie funktioniert nur, wenn die Menschen – die Wähler:innen – auch mitmachen. In einer Zeit, in der sich die Convenience-Food-Regale in den Supermärkten vervielfacht haben und der Trend immer stärker wird alles von daheim vom Sofa aus mit einem Knopfdruck zu kaufen, hat die Ochlokratie als Convenience-Politik mit ihrem Bequemlichkeitsangebot leichtes Spiel.
Die Nebenerscheinungen sind gravierend: Wir können eine zunehmende Volatilität der Wähler:innen erkennen, die immer öfter spontan und sehr kurzfristig entscheiden, wem sie ihre Stimme geben. Die Schwankungen sind in den Wahlergebnissen der letzten 20 Jahre gut zu bemerken. Die Grünen etwa flogen 2017 aus dem Nationalrat und erzielten 2019 das beste Ergebnis seit ihrer Gründung.
Die Partei hat sich dabei genauso wenig verändert wie ihr Programm. Daran kann man gut erkennen, dass das eigentliche Herzstück einer politischen Partei, nämlich ihr Programm, das einer Linie folgt, die wiederum auf Grundwerten aufgebaut ist, immer weniger zählt.
2024 war fast noch extremer: Die Grünen sind auf den Populismus-Zug aufgesprungen und haben statt eines Programms eine junge Frau als Quereinsteigerin quasi als Programm zur Wahl aufgestellt. Aus der recht vehementen Umweltaktivistin wurde ein süßes Mauserl mit Herz gemacht. Die Umfragewerte sagten ein gutes Ergebnis voraus.
Dann wurde die Spitzenkandidatin (dahinter gab es medial und in der Kampagne eigentlich nichts mehr, kein Programm, kein Team) rausgeschossen und das Ergebnis war ein Wahldebakel.
Die Gegner hatten leichtes Spiel, sie mussten nur eine Schwachstelle finden und diese medial ausbreiten.

Aber selbst wenn es ein Programm gibt oder zumindest einen programmatischen Ansatz, funktioniert das nur mehr sehr bedingt. Die Grünen hatten bei der Nationalratswahl 2024 immerhin den Klimaschutz als Ansage. Das hat nur sehr wenige Menschen interessiert, sie wählten vor allem laute Männer.
Das mag die Komplexität vielleicht nicht ganz beschreiben, aber die Grundströmung meine ich zu erkennen.

Leben wir in einem ochlokratischen System? Nach dem Sieg von Trump in den USA und dem Triumph der Rechtspopulisten in zahlreichen europäischen Staaten beantworte ich diese Frage inzwischen mit einem klaren „Ja“.

Wie geht es weiter?
Das hängt davon ab, wie intensiv uns die Klimakrise trifft und welchen Narrativ das auslöst. Es wäre eigentlich höchste Zeit der momentanen Entwicklung weltweit eine vernünftige Politik mit einem klaren Programm entgegenzusetzen. Dazu müssen die Menschen aber aus der Bequemlichkeit heraus und das wird schwierig.
Das Problem der Populisten ist, dass sie für komplexe politische Herausforderungen und Aufgaben keine Lösungen haben. Dort, wo oberflächliches Geschrei nicht reicht, braucht es einen Plan, der die Komplexität bändigen kann und als Basis für Entscheidungen dient, die sehr oft nicht populär sind. Da bedarf es dann gemeinsamer Kraftanstrengungen, da muss man schwierige Phasen durchhalten und noch einiges mehr.
Die Verlockungen der Überflussgesellschaft haben bewirkt, dass viele Menschen glauben ein Recht auf Überfluss und Bequemlichkeit zu haben. So lange ihnen das jemand verspricht, wird die Ochlokratie wohl noch die Oberhand behalten.

Inhaltsstoffe in unseren Lebensmitteln

Der Entwurf dieses Artikels stammt aus dem Jahr 2021, inzwischen hat sich noch immer nicht wirklich viel getan. Es gibt zwar gewisse EU-Regeln, die nationalen Regelungen dürften hier aber stärker zählen. Die Industrie sträubt sich jedenfalls mit Händen und Füßen, denn auch der aufgeklärteste und informierteste Kunde hat derzeit keine Wahl. Noch weiter entfernt sind wir im gewerblichen Einsatz von Lebensmitteln. Da ist so ziemlich alles erlaubt. Nach der politischen Wende in Österreich im Januar 2025 gibt es sowieso einen massiven Drall in Richtung Unterordnung der Politik unter die Wirtschaft inkl. Finanzwirtschaft und Industrie. Schärfere Umweltschutzstandards dürften in weite Ferne rücken, weil auch gegen EU-Regeln kann man sich national ziemlich gut zur Wehr setzen.

Die Diskussion wird auf politischer Ebene geführt, denn dort prallen die unterschiedlichen Interessen aufeinander. Ich bringe zum Einstieg ein Beispiel: zwei „Zelten“, also runde Backwaren aus Mürbteig mit einer Fülle, die eine mit Nuss, die andere mit Mohn. Beide stammen laut Angaben aus dem Waldviertel.

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BILD 1: Die zwei Zelten

Die Mohnzelte stammt von der Firma „Waldland“ (https://www.waldland.at/de). Auf der sehr professionell gemachten Website finden sich jede Menge Informationen zum Unternehmen, das 160 MitarbeiterInnen beschäftigt. Die Vielfalt der Produkte ist beeindruckend, ebenso die Tiefe der Darstellung. Insgesamt wirkt der Betrieb auf mich authentisch.
Die Mohnzelten werden z.B. über BILLA vertrieben, wo ich sie auch gekauft habe. Die Plastikverpackung ist leider Standard bei industriell erzeugten und vertriebenen Produkten, die Inhaltsangaben sind ausführlich, haben jedoch ein paar Haken. Sehen wir uns die Beschreibung an:

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BILD 2: Beschreibung Mohnzelte

Stutzig werde ich bei „Palmfett und Kokosfett“ – ist das wirklich nicht ersetzbar bzw. sind Alternativen so viel teurer? Spannend wäre der Preisunterschied und ob den die Kunden zu zahlen bereit wären, etwa wenn statt dessen Zutaten aus der Region verwendet werden.
Was mir noch auffällt, ist die übliche, aber immer verbergend wirkende Auflistung von „Aroma“. Auf der einen Seite wird sehr aufwändig und mit Liebe beschrieben, wie wichtig der Graumohn ist und welchen Wert hier auf Qualität gelegt wird, auf der anderen Seite steht dann einfach „Aroma“ dort und steht aus meiner Sicht in krassem Widerspruch zu einem hochwertigen Lebensmittel, das ja genug Eigenaroma haben sollte.
Das Problem dabei ist der Lebensmittelgesetzdschungel, durch den ich als Einzelverbraucher nicht durchblicken kann. Was verbirgt sich hinter „Aroma“? Sind das Erdölderivate?

Blicken wir auf die zweite Zelte, diesmal mit Nuss und bei SPAR gekauft. Sie hat übrigens besser geschmeckt, war etwas saftiger, wenngleich auch die Mohnzelte nicht schlecht war.

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BILD 3: Beschreibung Nusszelte

Der „Waldviertler Bäcker Riederich“ hat ebenfalls eine sehr professionelle Website (www.riederich.at). Das Sortiment ist riesig und auch hier gehen die Beschreibungen in die Tiefe.
Was mir gleich auffällt, ist das „Sojamehl“ – mit der gleichen Begründung wir bei den tropischen Fetten, die hier nicht zum Einsatz kommen: Lässt sich da kein regionales Mehl verwenden? Oder entstammt es einer regionalen Sojasorte? Beim Fett geht es offensichtlich auch anders und scheinbar muss es gar nicht teurer sein, denn die Zelten kosten das gleiche oder fast das gleiche, wenngleich die Mohnzelte ein Drittel schwerer ist. Beim Verzehr ist mir das übrigens gar nicht aufgefallen.
Interessant ist die Beschreibung „in Handarbeit mit frischen und regionalen Zutaten“. Heißt das, das alle Zutaten frisch und regional sind, oder nur, dass einige es sind? Woher stammen die Haselnüsse? Der erste Gedanke ist die Assoziation mit der Haselnussproblematik von Nutella. Dort stammen die Haselnüsse von der Schwarzmeerküste in der Türkei und sind wegen des Verdachts auf Kinderarbeit vor ein paar Jahren unter Kritik geraten.

Das bringt uns zum Thema Herkunftsbezeichnung. Die Lebensmittelindustrie (möglicherweise die ganze) sträubt sich vehement gegen die Pflicht die Herkunft der Rohstoffe offenzulegen.
Das lässt sich am Beispiel „Ei“ gut zeigen. In der Werbung wird uns suggeriert, dass die in Österreich verkauften und verwendeten Eier aus Freilandhaltung stammen, jedenfalls nicht aus der besonders üblen Käfighaltung. Wir stellen uns glücklich auf der Wiese herumlaufende Hühner vor, die es ja tatsächlich auch gibt. Wer in´s Waldviertel fährt und bei Bauernhöfen vorbeikommt, kann das selbst beobachten.
Das Problem sind die industriell verwendeten Eier, deren Herkunft scheinbar nicht gekennzeichnet sein muss, vor allem, wenn sie als Eipulver verwendet werden – und das ist der Großteil. Auch der Bäcker Riederich verwendet „Eiweißpulver“, wohingegen bei der Graumohnzelte „Ei“ angegeben wird. Hier müssten wir genauer ins Lebensmittelgesetz eintauchen, ob das dann „Frischei“ bedeutet oder ebenfalls Pulver.

Das ist auch das Hauptproblem, dass wir als KonsumentInnen hier keinen Einblick haben und entsprechend aufwändig recherchieren müssten.
Konsument:innen sind aber tendenziell bequem, der Handel tut sowieso nichts und es sieht aus als würde sich der Trend in Richtung Umweltbewusstsein in der Nahrung eher umkehren.
Ein gutes Beispiel ist die Beliebigkeit, die ich immer öfter bemerke, hier etwa bei SPAR:

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BILD 34: Paprika bei SPAR

Unter der Beschreibung „Ein Produkt aus der Region“ samt Österreich-Fahne und einer scheinbar darüber liegenden Produktlinie „Nahe liegendes bei SPAR“ finden wir Paprika aus Israel. Okay, vielleicht weiß die größte österr. Handelskette geographische Feinheiten, die mir bisher verborgen geblieben sind. Vielleicht hat auch ein Mitarbeiter einfach die falsche Tafel erwischt. Es mag viele Gründe geben, das ist aber bei weitem kein Einzelfall. Und ich habe den Verdacht, dass ich so ziemlich der einzige bin, dem das auffällt.

Die Künstliche Intelligenz und die Bequemlichkeit

Gedanken anlässlich eines des Videos „Warum die Künstliche Intelligenz zum Tod des Internets führen wird“ (2024) von Matthias Zehnder.

Von Guido Schwarz, 4. Jänner 2025

Die Bequemlichkeit ist mir schon länger ein Dorn im Auge. Dabei bin ich selbst auch gerne bequem, erkenne aber die Sinnhaftigkeit einer Grenze.
Hätte sie mich schon überwältigt, dann gäbe es auch diesen Artikel nicht. Es wäre viel bequemer ihn nicht zu schreiben.
Bequemlichkeit gehört zu unserem Leben, sie ist fast so etwas wie ein Grundbedürfnis, einfach weil sie die längste Zeit der Menschheitsentwicklung nicht vorhanden war. Das Leben war nicht bequem – zuerst für niemand, später dann für einige wenige.
Das hat sich geändert und das ist auch gut so. Ich mag es, wenn die Waschmaschine meine Wäsche erledigt und ich das nicht mit der Waschrumpel selbst tun muss.
Auch die elektrischen Fensterheber im Auto sind sehr bequem, hier beginnt aber bereits die Grenze aufzutauchen.
An diese stoße ich etwa in Afrika, genauer gesagt auf Safari irgendwo in freier Natur. Dort sind die elektrischen Fensterheber zwar auch praktisch, werden aber irgendwann kaputt, so wie alles an einem Auto, weil die Straßenverhältnisse (Waschbrettpisten etc.) dafür sorgen. Also ist es dort praktisch etwas NICHT eingebaut zu haben, weil es sowieso nur kaputt wird, wenn man es hat: Autoradios, Stoffsitze, Klimaanlagen und noch vieles andere, vor allem aber empfindliche Elektronik. Deswegen gibt es für das Militär spezielle Geräte, die gegen diese Umwelteinflüsse (Staub, Feuchtigkeit, Erschütterung) geschützt sind.

Wer also die Bequemlichkeit des elektrischen Fensterhebers genießen will, bezahlt das mit unbequemen Reparaturen, Werkstattaufenthalten und dem Problem, dass das Zeug genau dann kaputt geht, wenn man am weitesten von der nächsten Reparaturmöglichkeit entfernt ist. Irgendwo in der afrikanischen Wüste mit einem Fenster, das sich nicht öffnen oder nicht schließen lässt, ist ziemlich unbequem.

Aus meiner Sicht ist es sinnvoll die Grenzen von Bequemlichkeit auszuloten: Bis wohin ist es sinnvoll und ab wo überwiegen die Nachteile?
Notwendig wird das überall dort, wo wir mit der Bequemlichkeit übertreiben. Prinzipiell ist sie nämlich verführerisch, weil wir tief in uns nicht genug davon bekommen können. Wahrscheinlich liegt das an unserem Mensch-Sein, genauer an der Entwicklung, die wir durchgemacht haben und die uns geprägt hat.
Wenn jemand über Jahrhunderttausende Bequemlichkeit als höchst seltenes und äußerst attraktives Element erlebt hat, wird er wohl keine Grenzen kennen, wenn plötzlich viel davon vorhanden ist.
Durch die Industrialisierung unserer Gesellschaft sind die Möglichkeiten für Bequemlichkeit sprunghaft und massiv angestiegen. Das hat dazu geführt, dass wir uns daran gewöhnt haben, und zwar so weit, dass wir jede Abnahme, jede Verringerung als störend empfinden. Jede Einschränkung wird dann zur Zumutung, vor allem, wenn man die Bequemlichkeit als Recht ansieht, das einem uneingeschränkt zusteht.
Das gilt vor allem für die individuelle Bequemlichkeit und hier darf wieder ein Beispiel aus der Welt unseres liebsten Spielzeugs dienen, nämlich das Auto.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir jederzeit uneingeschränkt überallhin fahren können.
Wir sind auch der Meinung, dass jede Einschränkung eine Zumutung ist.
Eine solche Einschränkung kann durch das Wetter entstehen, etwa wenn es im Winter schneit. Dann liegt Schnee auf der Autobahn und man muss die Geschwindigkeit reduzieren, weil es sonst gefährlich wird.
Das wird von vielen Menschen als Zumutung empfunden, sie wollen auf der Autobahn immer und überall die Höchstgeschwindigkeit fahren, ob sie es nun eilig haben oder nicht.
Das geht aber nur bedingt, denn der Schnee muss weggeräumt werden. Wenn es viel schneit, wird das schwierig, daher versucht man das Problem durch enormen Einsatz von chemischem Streumittel zu lösen, so dass man auch bei dichtestem Schneetreiben 150 fahren kann. (Das sind „echte 140“ und für die 10 km/h zu viel wird man nicht bestraft, wenn 130 erlaubt sind. Willkommen in Österreich.)
Die Straßenverwaltung hat gefälligst dafür zu sorgen, schließlich zahlen wir Autofahrer ja Autobahnmaut und fühlen uns auch sonst gerne als die Spitzensteuerzahler schlechthin, ob das nun stimmt oder nicht. Für das eigene Gewissen ist so eine Gedankenkonstruktion äußerst bequem.

Matthias Zehnder erörtert in seinem Video eine dieser Grenzen, nämlich den Einsatz von KI bei Suchmaschinen, konkret bei Google.
Er behauptet, dass die Chatbots durch die Bequemlichkeit, die sie anbieten, die normale Suche im Internet obsolet machen werden.
Es ist nämlich viel bequemer dem Chatbot eine Suchanfrage zu diktieren und als Ergebnis eine gefällige, gut formulierte Zusammenfassung zu bekommen, anstatt eine Vielzahl an Links zur Durcharbeitung vor sich zu haben. Laut seiner Theorie wird das Bequemlichkeitsbedürfnis siegen und die normalen Suchvorgänge langsam verdrängen.
Die Grenze ist hier nicht auf den ersten Blick sichtbar, weil alles sehr nett und bunt und freundlich aussieht. Der Chatbot erledigt sozusagen die Kauarbeit für mich, ich muss nur noch runterschlucken.
Wer will das nicht? Vor allem, weil die Alternative viel mühsamer ist: Ich muss eine Anzahl an Links anklicken, mich dort durchkämpfen, das Informative vom Informationsmüll trennen, abschätzen, hinterfragen, abwägen, weiterdenken, mich auf Neues einlassen und dieses in Bezug zum Alten setzen und noch vieles mehr.
Klingt anstrengend und ist es auch.
Warum soll ich mich nicht in die Hängematte der KI legen, die das auf Knopfdruck für mich erledigt? So wie die Waschmaschine, die bringt mir ja auch keine Nachteile.

Matthias Zehnder sieht sehr wohl einen Nachteil an der Hängematte der KI. Wir werden fett im Gehirn, so wie wir durch diverse Bequemlichkeiten in unserem Leben auch körperlich immer fetter werden.
Sogar zum Fitnesscenter fahren die meisten Menschen mit dem Auto und dann mit dem Lift hinauf, weil das viel bequemer ist.
Zum Problem wird das sobald wir uns daran gewöhnen und in Folge die Fertigkeit der obigen, mühsamen Tätigkeiten verlieren. Dann können wir es nämlich auch dann nicht mehr, wenn die KI versagt. Das ist ähnlich wie viele Menschen heute keine Karten mehr lesen können, weil sie ja sowieso ein Navi haben, das ihnen die Arbeit abnimmt. Bergfex (eine Navi-App am Mobiltelefon) etwa ist extrem bequem, ich benütze das gerne bei Wanderungen. Wenn dann aber der Akku vom Handy bei einer langen Tour zu Ende ist und ich kein Powerpack dabeihabe, wird es schnell ungemütlich, weil ich dann nicht mehr weiß, wo ich bin und wo ich hinmuss. Eine Karte mitzuführen wäre viel zu unbequem. Das hat schon bei vielen Menschen so manche Bergnotsituation ausgelöst.

Es kann nun sein, dass wir die verlorenen Fertigkeiten nicht mehr erwerben können, weil sie nicht mehr gelehrt werden. Schließlich benützen ja alle die bequeme KI und die alten Fähigkeiten werden als nicht mehr notwendig eingestuft. Von da bis zu dem Punkt, an dem sie nicht mehr gelehrt werden und in Folge verloren gehen, ist es nur mehr ein kurzer Schritt.
Da die Künstliche Intelligenz aber nicht wirklich intelligent ist, sondern eine Rechenmaschine, die die Wahrscheinlichkeit von Wortkombinationen ausrechnet, führt das möglicherweise zu einer Abnahme unserer eigenen Intelligenz, weil sie nicht mehr trainiert wird, ganz im Gegenteil zur KI.
Dazu noch ein Beispiel: Die Archäologie hat bei der genauen Untersuchung des Parthenon auf der Akropolis entdeckt, dass beim Bau Techniken verwendet wurden, die wir heute nicht mehr beherrschen. Mehr noch: Es ist uns inzwischen – zumindest teilweise – unbegreiflich, wie die Menschen das damals geschafft haben, nämlich ohne die technischen Hilfsmittel, die uns heute zur Verfügung stehen.
Beim Auseinandernehmen von zwei Säulensegmenten fand man – quasi als Nut-Feder-System – einen Holzpflock. Es war nicht nur erstaunlich, dass dieser nach fast 2.500 Jahren noch erhalten war, sondern er roch noch nach frischem Holz. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass die aufeinander liegenden Flächen der Säulensegmente so präzise gearbeitet waren, dass ein Vakuum gebildet wurde. Durch die fehlende Luftzufuhr wurde der Holzpflock konserviert. (Quelle: Doku-Film „Der Parthenon“ von Gary Glassmann)
Es wäre mit heutigen Technologien sehr schwierig so etwas zustande zu bringen.
Die Menschen damals hatten die modernen Technologien nicht, daher dürfte hier eine entsprechende Intelligenzleistung vorliegen.
Es ist kaum vorstellbar wie sehr die Menschen überlegt, getüftelt, ausprobiert, modifiziert und reflektiert haben müssen. Jede Menge Training für´s Hirn sozusagen.

Dass es ein Segen ist, wenn uns Maschinen die Arbeit abnehmen, gilt als uneingeschränkter Narrativ, d.h. es wird nicht mehr wirklich hinterfragt. Die Buchstaben „bot“ in „Chatbot“ stehen als Abkürzung für „robot“, also für die Arbeit, die für uns vom Roboter erledigt wird.
Der Segen ist unbestritten, seine Grenzen sind es nicht.

Die eigentliche Gefahr liegt in der Gewöhnung an die schöne, neue, bequeme KI-Welt, die uns so angenehm erscheint, weil sie es auch tatsächlich ist. Es wird niemand zu irgendetwas gezwungen, unser eigener Drang zur Bequemlichkeitsmaximierung lässt uns freiwillig auf das mühsame Denken verzichten.
Die Gegenkraft dazu ist die menschliche Neugier, die Kreativität, die sich gerne eigene Wege bahnt. Es war für Forscher:innen und Wissenschaftler:innen nur sehr selten bequem, neue Wege zu beschreiten und nur allzu oft waren diese auch ohne pekuniären Reiz. Selbst des Ruhms war man sich nicht sicher, dafür lauerte hinter jeder Ecke ein unkalkulierbares Risiko. Ziemlich unbequem eigentlich, was Menschen freiwillig auf sich nehmen – übrigens soweit das historische Auge zurückblicken kann.

Wer beim Kampf Bequemlichkeit gegen Neugier gewinnen wird, könnten wir uns jetzt von der KI erklären lassen. Oder wir denken selber darüber nach, auch wenn das nicht ganz so bequem ist.