Mein Dutzend Gründe für politisches Engagement: 1 – die Borana

Politik ist die Kunst der Gesellschaft. Menschen leben nur dann friedlich in Gemeinschaften, wenn ihre unterschiedlichen Interessen ausbalanciert werden. Diese Vermittlungstätigkeit nennt man meinem Verständnis nach „Politik“. Sie regelt das Zusammenleben der Menschen.
Ich habe ein Dutzend Gründe gefunden um mich politisch zu engagieren. Heute ist der erste Grund an der Reihe und er führt mich nach Afrika, genauer gesagt nach Äthiopien.

„Unser Volk leidet unter der Dürre. Immer mehr sehen sich gezwungen ihr Vieh um jeden Preis verkaufen zu müssen. Den Hirten geht es schlecht und ihre Tiere sind ebenfalls in keiner guten Verfassung. Doch wir haben nichts zu verkaufen außer unserem Vieh. Wer krank wird, kann sich nur so Medikamente besorgen. Wir verkaufen unsere Tiere, weil wir hungern. Uns bleibt keine Wahl.“

Das sagt ein hagerer Mann mit traurigen Augen, der gerade sein Vieh um einen Bettel in der Stadt verkauft hat. (Quelle: „Die Brunnen der Borana“, TV-Doku von Mario Michelini)
Doch was ist danach, wenn das Vieh und damit die einzige Lebensgrundlage weg ist? Der Klimawandel trifft Afrika besonders hart, da die Regenzeiten in den meisten Gebieten länger werden, manchmal jedoch auch ausbleiben, was zu unglaublichen Überschwemmungen samt enormer Erosion führt.

Bis vor nicht allzu langer Zeit haben die Borana als Viehhirten gelebt und hatten ein gutes, erfülltes Dasein. Die Trockenzeit und eventuelle Dürren konnten sie mit den „singenden Brunnen“ gut überstehen. Sie lebten seit Ewigkeiten in Einklang mit der Natur und ihren regionalen Besonderheiten. „Damals herrschte nicht so viel Hass und Missgunst“ meint ein anderer Borana.
Doch jetzt hat das Geld die Macht übernommen. Junge Menschen gehen zur Schule und interessieren sich nicht mehr für die Viehzucht. Immer mehr Borana sind auf internationale Hilfslieferungen angewiesen, um nicht zu verhungern.

Was geht uns das an? Schließlich sind wir ja nicht Schuld am Elend der Borana und anderer Völker. Und wir liefern denen dort ja ohnehin Hilfspakete.

Ist das wirklich so? Oder haben wir in unserer Gier und Maßlosigkeit einfach nur keine Rücksicht genommen und die Folgen unseres Handelns nicht betrachtet?
Wir konsumieren um den Preis des Elends anderer und fühlen uns auch noch im Recht. In Äthiopien gibt es nach wie vor viel fruchtbares Land, das die Bevölkerung und auch die Borana gut ernähren könnte. Doch das wurde den Menschen dort weggenommen, sie wurden einfach von korrupten Politikern enteignet und vertrieben oder umgebracht. Jetzt gehört das Land den Indern und Chinesen, die dort Monokulturen betreiben und die Waren exportieren. Nach China, in die USA und auch nach Europa. Zu uns, um es einmal klar zu benennen. Damit wir T-Shirts um 4,99 Euro bei H&M kaufen können – oder besser noch um 2,99 Euro.
Wir sind es, die dem hageren Mann keine Wahl lassen, nicht das Klima. Eine gesunde Kultur kann mit Klimawandel zurecht kommen, denn den gab es früher auch schon. Und dann regen wir uns furchtbar auf, wenn der hagere Mann vor dem entwürdigenden Leben und den Hilfslieferungen flieht. Dann beauftragen wir Frontex sein Boot zu versenken, damit er unser Land nicht erreicht. Und wir schicken ihn zurück, wenn er es doch schafft.

Ich finde das schlecht und maße mir damit ein Urteil an. Und ich will bei dieser Entwicklung nicht schweigen so wie die meisten. Daher engagiere ich mich bei der einzigen Partei, die mit ihrem Programm glaubhaft, wenn auch nicht oder noch nicht erfolgreich einen anderen Weg einschlagen will.
Ich bin dafür die Ausbeutung Afrikas zu stoppen. Ich empfinde es nicht als Menschenrecht, dass man sich jede Woche eine neue Kiste mit Modeartikeln von Zalando schicken lassen kann. Ich empfinde es jedoch sehr wohl als Menschenrecht, dass man in seinem eigenen Land sauberes Wasser erhält und sich selbst ernähren kann. Wer sich selbst das Recht heraus nimmt, der nimmt es anderen Weg.
Das Zeug von Zalando (stellvertretend für viele Konsumartikel) ist nicht billig. Es zahlt nur jemand anderer den Preis. Vielleicht der hagere Mann der Borana, dessen Augen genauso traurig sind wie die der KundInnen von Zalando. Wären sie es nicht, dann müssten sie nicht jede Woche was Neues kaufen.

Die Borana betreiben seit Jahrhunderten die „singenden Brunnen“. Das sind große, tiefe Brunnen, aus denen die jungen Männer mit Eimern das Wasser nach oben in einer Kette weiterreichen. Sie singen dabei, um sich die schwere Arbeit zu erleichtern. Hirten aus nah und fern kommen zu den Brunnen und dürfen dort ihre Tiere tränken. Für die Borana ist das Wasser aus ihren Brunnen für alle da.
Nun versiegen die Brunnen langsam und man hat einen neuen, motorgetriebenen Brunnen gebaut. Dort gibt es Zank und Streit und jeder denkt nur mehr an sich und sein Wasserbedürfnis. Zudem sind die Borana jetzt von Treibstofflieferungen abhängig, für die sie kein Geld haben.

In einer Welt, in der fast überall das Wasser privatisiert wird, sollten wir uns überlegen, ob das der richtige Weg ist. Oder ob wir Wasser nicht als ein Menschenrecht ansehen sollten, als Garant und Bedingung für eine funktionierende Gesellschaft.
Ich jedenfalls finde, dass dem so sein sollte und so fällt es mir nicht schwer zu entscheiden, welche politische Kraft ich daher unterstützen muss und will.

Daher meine politische Forderung Nr. 1: Dinge, die Menschen zum Leben brauchen, sollten nicht in der Verfügungsmacht bzw. im Besitz einiger weniger sein.

Armut ist ansteckend

Eine spannende Sendung in 3sat über die Armut der Mittelschicht hat mich zu diesen Gedanken inspiriert.

Die soziale Mittelschicht, die in Europa eigentlich Trägerin des Wohlstandes ist, wird dünner, und zwar deutlich und immer schneller. Das gilt für Deutschland ganz besonders, aber natürlich auch für Österreich und etwa Frankreich.
Gut ausgebildete Menschen mit bisher guten Jobs und gutem Einkommen sitzen plötzlich auf der Straße, oft mit fünfzig Jahren am Buckel und damit in einer heiklen Situation: laufende Kredite, verwöhnte Kinder und ein Lebensstandard, an den man sich gewöhnt hat.

Eine Französin sagt: „Meine neue Situation wirkt auf meine Umgebung als hätte ich Krebs.“ Das ist erstaunlich und in meinen Augen ein Warnsignal. Sobald jemand arbeitslos ist oder in Gefahr gerät sozial abzusteigen, verliert er seine Freunde. Das wirkt wie ein Nachbrenner auf dem Weg nach unten. Die Menschen haben Angst, dass ihnen das auch passieren könnte und meiden die Person, der es gerade passiert oder schon passiert ist. So als hätte er/sie eine ansteckende Krankheit.

Was läuft da falsch? Mir wurde und wird ständig erzählt, dass durch unser Wirtschaftssystem plus Politik etc. die Mittelschichte wachsen würde und auch die unteren Schichten immer weiter hinauf wandern würden. Man hat sogar aus der „Unterschicht“ in den 1970ern die „Untere Mittelschicht“ gemacht. Der Reichtum der Oberen wird als Segen für die Unteren gepriesen.

Und jetzt geht das in die Gegenrichtung? Obwohl die Wirtschaft boomt, die Börsenkurse steigen und die glitzernde Konsumwelt geradezu gestürmt wird? Kann es sein, dass da was nicht stimmt?

Ist es notwendig, sich das Wertesystem, das dahinter gut verborgen ist, auf seine Brauchbarkeit zu durchleuchten? Machen uns die vielen Dinge, die wir besitzen (ich habe neulich meiner Schwester beim Umzug geholfen, ja, es sind sehr viele Dinge), wirklich glücklich und zufrieden?

Viele Fragen und ich habe noch keine guten Antworten.

Jedenfalls bröckeln einige der bürgerlichen Werte:

Fleiß und Anstrengung zahlen sich aus – das stimmt nur mehr sehr bedingt. Es gibt genügend Menschen, die enorm viel arbeiten und immer tiefer sinken.
Bildung zahlt sich aus – es gibt Absolventen mit mehreren Titeln, die Taxi fahren. Nein, keine Verrückten, ganz normale Menschen.
Mit einem guten Job alt werden – in immer weniger Branchen und Firmen ist das möglich bzw. überhaupt denkbar.

Was somit wegfällt ist die Steuerbarkeit und Planbarkeit. Man ist hilflos ausgeliefert – nur wem oder was eigentlich? Der Politik? Der „Wirtschaft“ oder der „Globalisierung“? Dem Glück?
Vielleicht nehmen deswegen die Glückspiele zu?
Viele schielen nicht mehr hoffnungsvoll nach oben, sondern eher ängstlich nach unten.

Es ist an der Zeit darüber zu reden, was wir falsch machen.

Die Ausbeutung Afrikas

Wir tun es jeden Tag und die meisten von uns wissen es gar nicht. Wir leben auf Kosten anderer, ohne wenn und aber. Ein spannender Doku-Film (wie üblich auf ARTE) zeigte die besonders unschönen Seiten.

Er beginnt in Rüschlikon, der reichsten Gemeinde der Schweiz. Es gibt dort keine Arbeitslosigkeit und enorm viele sehr wohlhabende oder reiche Menschen, unter anderem den Chef eines riesigen Bergbaukonzerns (Glencore, 180 Mrd. Dollar Jahresumsatz), der vor zwei Jahren in den Ort zog. Darauf erhöhten sich die Steuereinnahmen um 50 Millionen Franken und der Bürgermeister schlug eine Steuersenkung um 7 % vor.

Ein Bürger wandte ein, dass man doch 5 % machen könnte und das restliche Geld, ca. 2 Millionen Franken, nach Afrika als Entwicklungshilfe schicken könnte. Der Bergbaukonzern ist in Sambia aktiv und beutet dort die Menschen aus. Kein einziger Rappen der 50 Millionen Steuergeld wurde in der Schweiz erwirtschaftet und schon gar nicht in Rüschlikon.

Die Abstimmung im Ort ergab eine extrem hohe Mehrheit gegen die 5 %. Das Geld, so meinte man, solle im Ort bleiben. Was man hat, gibt man nicht mehr her.

Ist diese kleine Schweizer Gemeinde eine Ausnahme? Eine Analyse ergab, dass die meisten der Einwohner von den Zuständen in Afrika keine Ahnung hatten.
Psychologische Experimente haben herausgefunden, dass Menschen umso weniger gerne was hergeben, je mehr sie haben. Um das zu wissen, bräuchte man allerdings nur in der Bibel nachblättern: Eher passt ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in den Himmel kommt.

Sambia gehört zu den zwanzig ärmsten Ländern der Welt, obwohl es enorme Reichtümer an Bodenschätzen hat. Zwischen 2001 und 2008 hat sich der Kupferpreis weltweit vervierfacht. Da die internationalen Großkonzerne, die das Kupfer abbauen, jedoch in Sambia keine Steuern zahlen, profitieren nur einige wenige Privilegierte von deren Reichtum. Das erhöht den Gewinn der Schweizer Firma Glencore und den Preis zahlen die Sambier. Das ist Ausbeutungsfaktor Nr. 1.

Diejenigen, die am meisten von den Reichtümern profitieren, zahlen also keine Steuern. Wieso lässt sich die Bevölkerung das gefallen?
Hier kommt der alte Spruch zum tragen: „The king said to the priest: You keep them stupid, I keep them poor.“
Wer keine Bildung hat, kann das System nur schwer durchschauen und hat auch nicht die Ausdrucksmittel um seiner Stimme Gewicht zu geben – sofern er überhaupt in dem politischen System eine hat.
Wenn die Machthaber auch die Medien beherrschen, ist das System perfekt.

Glencore bekam einen hohen Kredit (50 Mio. Dollar) von der europäischen Investitionsbank und verwendete diesen um die Produktion der Kupferminen zu erhöhen. In den Umweltschutz wurde nichts investiert, daher gibt es verseuchtes Wasser, verseuchtes Land und verpestete Luft. Das erhöht den Gewinn von Glencore und den Preis bezahlen die Sambier. Das ist Ausbeutungsfaktor Nr. 2.

Wie kommt Glencore eigentlich dazu, die Kupferminen Sambias zu besitzen? Vor einigen Jahren waren die Minen staatlich und trotz Verschwendung landete doch einiges an Geld in den Staatskassen. Leider hatte Sambia viele ausländische Kredite und als der Kupferpreis nach unten ging, konnten sie die Kredite nicht mehr zurückzahlen. Also verlangte man (IWF und Weltbank) von ihnen die Privatisierung und den Verkauf der Minen, und zwar um den lächerlichen Betrag von 46 Millionen Dollar. Die jährliche Fördermenge stellt einen Wert von 6 Milliarden Dollar dar. Dazu kam ein korrupter, konsumsüchtiger Präsident und schon hatte Glencore ein Schnäppchen gemacht.

Kredite geben, dann wirtschaftlich unter Druck setzen und wenn sie die Kredite nicht mehr bedienen können: Kaufen und ausbeuten. Das ist Ausbeutungsfaktor Nr. 3.

Wie hat im Film „Let´s make money“ ein Nigerianer gesagt: „Hört auf uns auszubeuten, sonst kommen wir zu euch. Und dann wünsche ich euch viel Glück beim Bau einer Mauer rund um Europa.“

Ja, ein Teil unseres Wohlstandes beruht darauf, dass wir die Afrikaner ausbeuten. Es ist genau der Teil des Wohlstandes, der uns nicht glücklich macht. Er verschafft uns diejenigen Produkte, die wir nicht brauchen, die kein Bedürfnis befriedigen, sondern ein Begehren. Und das wird durch seine Befriedigung größer.

Der falsche Weg

Eine Pressemeldung bejubelt eine neue Erfindung: Mittels einer App am Smartphone plus elektronischer Schaltung müssen Radfahrer in Zukunft nicht mehr selbst schalten. Dies wird als „deutliche Erleichterung“ beschrieben und im Text genauer erklärt:

„Zur Auswahl stehen dabei zwei unterschiedliche Betriebsarten: Im „Manual Mode“ kommuniziert das Schaltsystem per Bluetooth mit einem Smartphone, das sich in der Hosentasche des Radlenkers befindet. Dessen Schaltkommandos werden über eine spezielle App an ein umgebautes elektronisches Getriebesystem weitergeleitet, das auch Bluetooth-Befehle verarbeiten kann. Im „Automatic Mode“ liest hingegen ein Magnetsensor die aktuelle Trittgeschwindigkeit ab. Aus den empfangenen Daten wird dann automatisch der optimale Gang berechnet und eingestellt.“

Für mich ist es das genaue Gegenteil:
1.) Ich verlerne das Schalten.
2.) Ich habe jede Menge zusätzliche Teile, die kaputt werden können und das durch die geplante Obsoleszenz auch werden.
3.) Die Umweltbilanz des Fahrrads wird deutlich schlechter, ich brauche eine Batterie, muss diese immer wieder tauschen etc.
4.) Das Rad wird schwerer.
5.) Ich mache mich abhängig von einem Hilfssystem, das funktionieren kann oder auch nicht. Bisher konnte ich jede Schaltung selbst reparieren, mit diesem System ist das nicht mehr möglich. Wenn es kaputt wird, muss ich in die Fachwerkstatt fahren und es dort teuer tauschen lassen.
6.) Manchmal will ich in einem anderen Gang fahren, ganz bewusst, etwa um die Muskeln anders zu belasten.

Die Nachteile überwiegen klar, ganz abgesehen davon, dass mir die Vorteile nicht ersichtlich sind. Ich hatte nie ein Problem mit dem Schalten und ich kenne niemanden, der jemals eines hatte.
Es erinnert mich an den elektrisch verstellbaren Innenspiegel beim Auto, der mir das Hinaufgreifen mit der rechten Hand plus einer kleinen Bewegung ebendieser erspart. Dafür brauche ich zwei elektrische Stellmotoren, jede Menge Kabel, Schalter etc.

Das sind zwei exzellente Beispiele für den falschen Weg. Er führt uns in die Abhängigkeit von technischen Hilfsmitteln ohne erkennbaren Nutzen. Gerade mal die Hersteller dieser Dinge haben einen solchen Nutzen, denn sie können ihren Umsatz steigern.

Wo machen wir uns von der Technik abhängig ohne echten Nutzen oder gar mit deutlichen Nachteilen, weil wir eigene Techniken verlernen? Was ist, wenn die Technik versagt und wir keine Alternative mehr haben, weil wir verlernt haben ohne die Hilfsmittel zu überleben?

Selbstverständlich ist es praktischer ein Feuerzeug zu haben als mittels Steinzeitmethoden Feuer machen zu müssen. Viele technische Erfindungen haben uns echten Nutzen gebracht, das soll hier nicht bezweifelt werden.
Aber wo ist die Grenze?

Das Extrem ist ein Mensch, der in einer warmen, weichen Umgebung liegt und sich nicht mehr bewegen muss, weil ihm (technische) Diener alle notwendigen Bewegungen abnehmen.
Das ist das alte Traumbild aus unserer Kindheit und es heißt „König“. In unzähligen Märchen und TV-Sendungen bekamen wir ständig das Bild des in Luxus und Wohlstand glücklich lebenden Königs aufgebrummt, mit einer hübschen Königin an der Seite und unzähligen Dienern, die den beiden das Leben auf dem Märchenschloss zum Paradies machen.
Viele Menschen lechzen auch heute noch nach diesen Bildern und die höchsten Einschaltquoten bekommen Märchenhochzeiten. Das ist verständlich, wir haben es ja unsere gesamte Kindheit hindurch gelernt.

Leider sind Märchen nicht real, nicht einmal für die „echten“ Prinzessinnen und Könige.
Aber das ist nicht das Problem.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Völker immer und ohne Ausnahme zugrunde gingen, wenn sie aufgrund von Luxus in die Dekadenz verfielen. Sie entfernten sich von der Realität und wurden von dieser immer irgendwann eingeholt. Ob das nun die Khmer in Kambodscha waren oder die mittelamerikanischen Hochkulturen, die Habsburger oder die Römer – sie alle gingen unter, weil sie den Blick auf die realen Umweltbedingungen verloren. Sie waren zu träge um sich zu bewegen, zuerst mit dem Körper und dann mit dem Geist.
Platon hat schon vor 2.500 Jahren auf dieses Problem aufmerksam gemacht und Hegel hat es in sein System der Herr-Knecht-Problematik übernommen, das dann von Karl Marx auf seine Theorie adaptiert wurde: Die Herrscher verlieren die Macht an die Knechte, weil diese sich der Umwelt stellen müssen und körperlich wie geistig fit bleiben. Irgendwann übernehmen dann die Knechte die Herrschaft und werden nach einiger Zeit zu dekadenten Herrschern, die irgendwann wieder von den neuen Knechten vom Thron gestoßen werden etc.

Es stellt sich die Frage, ob die Menschheit so weit ist, um diesen Kreislauf durchbrechen zu können. Oder siegt auch hier die ewig Wiederkehr des Gleichen? Der Unterschied zu den alten Kulturen ist heute die Globalisierung. Das erste Mal in der Geschichte betreffen lokale Krisen möglicherweise die gesamte Menschheit. Vielleicht führt das zu einem Lernprozess.

Schwingungen oder was?

Als Philosoph und rationaler Denker tue ich mir mit Spiritismus in all seinen Formen schwer und kann auch mit esoterischen Modellen wenig anfangen. Es ist aber immer wieder spannend, sich Phänomene genauer anzusehen. Das Ergebnis ist stets die Erkenntnis der Wahrnehmungsgrenzen und ich stehe staunend vor dem Unerklärlichen. Ein Physiker hat das einmal so geschildert: Stellen wir uns vor, wir wären zweidimensionale Wesen, also nur aus Länge mal Breite bestehend. Wir säßen auf einer riesigen Kugel, etwa wie die Erde. Nun bewegen wir uns fort und weil die Kugel so groß ist, können wir ihre Krümmung nicht wahrnehmen, sie erscheint uns wie eine Ebene.
Wenn wir nun geradeaus gehen, kommen wir irgendwann wieder an unseren Ausgangspunkt und können uns diese Tatsache unmöglich erklären.

So ähnlich sehe ich das mit den Phänomenen, die mir von Zeit zu Zeit begegnen. Dazu drei Beispiele:

1.) Ich war im Sommer 1987 mit meinem Vater und meiner Schwester in Tunesien zwecks Urlaub. Genau zu dieser Zeit starb mein Großvater. Als wir nach Wien zurück kamen, erzählte mir meine Mutter, sie hätte vor ein paar Nächten von ihm geträumt. Sie wusste aber noch nichts von seinem Tod. Und sie hatte seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm und sich auch nicht mehr mit ihm beschäftigt.

2.) Vor ein paar Tagen kam mir ein Lied in Erinnerung, das ich schon länger nicht gehört hatte und das mir auch nicht in besonderer Erinnerung war: „On Silent Wings“ von Tina Turner gesungen.
Es wurde immer stärker und ich summte den Refrain mehr oder weniger ein paar mal am Tag und wunderte mich, warum mir genau dieses Lied ständig im Kopf herum geisterte.
Am nächsten Tag erfuhr ich in der Früh, dass meine Nachbarin (91) gestorben war. Jetzt wusste ich, warum mir das Lied eingefallen war und widmete es der freundlichen alten Dame.

3.) Vorgestern kam mir Norbert Walter in Erinnerung und ich erzählte einem Freund von ihm. Ich hatte ihn bei einem Kongress in München als inspirierenden Hauptredner gehört und er war mir als kritischer Geist in Erinnerung. Das ist deswegen bemerkenswert, weil er Chefökonom der Deutschen Bank war – da ist die Luft an kritischen Geistern sehr sehr dünn.
Sein wichtigster Tipp des Vortrags (2008) war: Wer zu wenig Zeit für wichtige Dinge hat, soll einfach seinen Fernseher in den Keller stellen. Das würde helfen, auch wenn es am Anfang schwer sei sich umzugewöhnen.
Er war einer, der die Finanzkrise voraussagte und in einer ruhigen Art präzise Analysen machte.
Gestern ist er gestorben.

Der Tod löst irgend welche Schwingungen aus – oder sonst etwas, für das mir die richtigen Worte fehlen. Er ist vielleicht über Entfernung wahrnehmbar, auch wenn wir für diese Wahrnehmung kein Organ besitzen, zumindest kein bekanntes.

Das mögen Zufälle sein und jede Analyse dieser Phänomene gelangt sehr schnell an die Grenzen des Unerklärlichen und des Spekulativen. Die Theorie der morphologischen Felder wurde widerlegt oder ist zumindest aus der wissenschaftlichen Perspektive verschwunden. Die Sterne als Erklärung ist mir auch zu dünn. Am ehesten lohnt es sich meiner Ansicht nach, wenn man in den neuen Theorien über Netzwerke nachsieht und dort weiter denkt. Vorbild sind hier die neuronalen Netze des menschlichen Gehirns, wo man ebenfalls ständig neue Phänomene entdeckt. Vielleicht gibt es ja größere Netzwerke, die ähnlich funktionieren und wir sind zweidimensionale Wesen, die sich über die Dreidimensionalität wundern.
Immerhin haben wir das Wundern als Wahrnehmungshilfe und wir können uns Gedanken und Theorien machen. Das ist dem einfachen zweidimensionalen Wesen nicht möglich.