Dunkle Erinnerungen an Schulskikurse in den 1980ern. Selbst damals sind wir mit dem Bus gefahren, scheinbar aus guten Gründen.
Inzwischen hat sich enorm viel getan – die Autobahnen wurden gewaltig ausgebaut, da ist es nur verständlich, dass für den Ausbau der Bahnstrecken kein Geld mehr da ist. Deswegen quälen sich die Züge immer noch quietschend und langsam über den Semmering, gerade mal so schnell, dass man nicht daneben hergehen und Blumen pflücken kann.
Es soll ja irgendwann einmal einen Tunnel geben, vielleicht so einen, wie es schon seit vielen Jahren für die Autos gibt.
Egal – ich muss zu einem Kongress nach Schladming und wieder einmal fällt meine Wahl auf die Bahn. Mit etwas Bauchweh und üblen Vorahnungen, aber egal.
Los geht es um 08:25 vom Hauptbahnhof Wien. Der ist für mich einigermaßen stressfrei mit dem Bus und zwei U-Bahnen erreichbar. Das birgt zwar ein gewisses Risiko, weil vor allem die U-Bahnen hin und wieder eine Störung haben und das dann bedeutet, dass ich den Zug versäume, was ich echt gar nicht leiden kann.
Diesmal geht alles gut und ich erreiche den Zug rechtzeitig. Zudem bin ich noch echt froh, dass ich reserviert habe, denn er ist knackevoll. Wir reden hier nicht vom letzten besetzten Sitzplatz, sondern von mehreren Schulklassen, die an diesem Montag auf irgendwelche Landschulwochen fahren. Es handelt sich um klassische Halbwüchsige mit einem harten Kern von laut kreischenden, laut TikTok-Videos schauenden Mädchen.
Sie sind überall im Zug, verteilen sich irgendwie, hocken auf den Gängen, dazwischen jede Menge Gepäck, so ähnlich stelle ich mir die Atmosphäre in einem Zug zwischen Kalkutta und Mumbai vor. Lehrer:innen wuseln geschäftig durch den Zug und versuchen irgendwie irgendwen zusammenzuhalten oder irgendetwas zu bewegen.
Es geht dann doch nicht um 08:25 los, denn irgendwie funktioniert das nicht mit den vielen Schulklassen. Es gibt aber keinerlei Durchsage oder sonst irgendeine Info, nur den Kärtner Schaffner in Mitten seine Gesamtüberforderung, schwitzend und im Dauerversuch freundlich zu bleiben. Ja, er hofft, dass wir bald wegkommen. Nein, er kann mir nicht sagen ob ich meinen Anschlusszug versäumen werde.
Genau genommen brauche ich diese Info auch nicht, denn nach 15 Minuten Verspätung und der Gewissheit, dass Züge Verspätungen prinzipiell nicht aufholen, sondern meistens noch mehr Verspätung aufreissen (in diesem Fall gleich ein paar Minuten später in Meidling: noch einmal fünf Minuten drauf), ist mir ohnehin klar, dass ich meinen Anschlusszug in Leoben ganz sicher versäume.
Als dann irgendwann ein paar unverständliche Worte kratzend aus irgendeinem Lautsprecher kommen, fällt mir mein alter Freund Bacherl ein, der in gekonnter Analyse meinte, die Menschen können zwar selbstfahrende Roboterautos zum Mars schicken, schaffen es aber nicht funktionierende Lautsprecher für Zugdurchsagen zu bauen.
Zu allem Übel hat die Bahn scheinbar begonnen sich der Flugindustrie anzunähern, bemerkbar an einem Sitzabstand, der schon stark nach Economy im Billigflieger erinnert. Das ist besonders bitter, denn so verspielt die Bahn einen ihrer Vorteile gegenüber dem Flugzeug oder dem Reisebus: genügend Platz.
Zu viert gegenübersitzen, in der Mitte ein Tisch – geht nur im Zug. Ich fürchte, dieser Trend wird sich fortsetzen, denn die Bahn versucht zu sparen und das wunderbare Klimaticket hat eine Schattenseite: viel mehr Zugfahrende und in Folge überfüllte Züge, aus denen sogar Gäste mit Ticket wieder aussteigen müssen, weil sie keine Reservierung haben.
Die ÖBB konnte auf die Einführung des Klimatickets nur sehr eingeschränkt reagieren, sie dürften weder die notwendigen Zuggarnituren noch das notwendige Personal haben. Vielleicht gibt es auch andere Gründe, die ich aber nicht kenne. Jedenfalls waren sie davon überrascht wie die Schneeräumung im Dezember, wenn es schneit.
Wenn ich mich ärgere, wirkt der Sitz gleich noch enger, vielleicht auch wegen der dicken Dame, die neben mir sitzt und deren Tuchfühlung aufgrund der Beengtheit bei mir nur wenig Freude auslöst.
Wenigstens muss ich ab der Stadtgrenze keine Maske mehr aufhaben, die meisten Schüler:innen hatten in moralischer Lässigkeit auch in Wien schon keine mehr auf und der überforderte Schaffner hatte andere Sorgen, als sie darauf hinzuweisen.
In Wr. Neustadt war dann aufgrund von inzwischen 30 Verspätungsminuten klar, dass ich mir wohl eine andere Zugverbindung nach Schladming suchen müsste. Ohne reservierten Sitzplatz, versteht sich.
Dafür gab es keine Fahrkartenkontrolle, weder im Zug von Wien nach Leoben noch von Leoben nach Schladming.
Vielleicht fielen die Schaffner ja auch schon einem Kostensenkungsprogramm zum Opfer, wer weiß das schon.
Nach zwei Stunden bin ich endlich in Leoben und muss dort in die S8 umsteigen und eine Station nach St. Michael fahren. Von dort kann ich dann nach einer ca. 30-minütigen Pause den R 4476 nehmen, der mich nach Schladming bringt.
Also eigentlich nicht nur nach Schladming, sondern zu jedem Misthaufen zwischen St. Michael und Schladming. Der Regionalzug ist die langsamste Variante des Zugfahrens in Österreich, nur die Zahnradbahn auf den Schneeberg ist noch langsamer. Die hält dafür nicht so oft.
BILD 1: Ein Gruß aus der Vergangenheit
Jedenfalls dauert es noch weitere zwei Stunden bis Schladming. Auch hier habe ich wieder Gruppen von Schülern im Zug, die ihre Energieüberschüsse abbauen müssen. Das geschieht in einer Lautstärke und Vehemenz, dass an so Tätigkeiten wie arbeiten oder ein Buch lesen nicht zu denken ist.
Hier verspielt die Bahn ihren zweiten Vorteil, vor allem gegenüber dem Auto. Natürlich kann ich erste Klasse buchen und es gibt zarte Versuche das Problem in den Griff zu bekommen, etwa durch lärmberuhigte Waggons, die aber nicht wirklich gut funktionieren, weil die Leute dann halt doch telefonieren und der Mitzi-Tant ihre Lebensgeschichte erzählen. Meistens zweimal, jedenfalls aber bis zum Zielbahnhof.
Im Auto kann ich Musik hören, kann mit anderen plaudern oder ganz alleine reisend meine Ruhe haben. Das ist zwar nett, aber im Zug kann ich die Zeit zum Arbeiten nützen, das geht im Auto nur, wenn ich einen Chauffeur habe.
Für mich war das in den letzten Jahrzehnten oft ein Grund das Auto zu nehmen, weil ich den Arbeitsmöglichkeitsvorteil nahezu nie realisieren konnte. Dass es ihn in der Theorie gibt, nützt mir nichts.
Ich hasse Autofahren, das elende Stehen im Stau, die ständige Konzentrationsnotwendigkeit aufgrund immer stärker werdenden Verkehrs, die Umweltkosten, die Kosten generell und noch vieles mehr.
Wenn die Bahn aber ihre strukturellen Vorteile nicht ausspielt, fahren die Menschen wieder mit dem Auto. So einfach ist das.
Mein Zug nach Schladming ist wenigstens nicht überfüllt und so gondle ich vorbei an kleinen Ortschaften durch die wunderschöne Steiermark. Hätte ich kein Nachmittagsprogramm, dann könnte ich das durchaus genießen.
So aber ärgere ich mich, weil die Gesamtverspätung von zwei Stunden meine Pläne doch ordentlich über den Haufen wirft.
Das Problem besteht darin, dass der Verspätungsnachteil noch zum generellen Zeitnachteil dazu addiert werden muss. Mit dem Auto steht man zwar auch oft im Stau und die Flugzeuge sind mindestens so oft und genauso brutal verspätet wie die Bahn, aber auch hier verspielt die Bahn wieder einen Vorteil, der sie auf gut ausgebauten Strecken durchaus attraktiv macht. Von Wien nach Innsbruck kann man in vier Stunden mit dem Railjet Express fahren, das ist konkurrenzlos und selbst mit dem schnellsten Auto nicht zu schaffen.
Aber das geht halt nur auf dieser einen Strecke in Österreich – und selbst da wäre noch einiges drin, denn im Deutschen Eck gibt es keinen Hochgeschwindigkeitsausbau und die letzten 50 Kilometer vor Salzburg auch nicht.
Aber noch sind wir nicht da und bummeln weiter durch das Ennstal. Plötzlich eine scharfe Bremsung, sehr ungewöhnlich.
Der Grund ist schnell ersichtlich: Der Lokführer hat die Station Niederöblarn übersehen und sich jetzt ordentlich eingequietscht, um nicht vollständig im Nirwana stehenzubleiben.
Das gelingt auch, die letzte Türe hinten im Zug ist auf Höhe der Bahnsteigs. Also kommt eine Durchsage, man möge doch bitte ganz hinten aussteigen.
Leider hat es die alte Dame mit dem großen Koffer nicht mehr geschafft. Ihr Pech, dass sie weit vorne im Zug war, sie muss wohl oder übel weiterfahren, bei der nächsten Station aussteigen und dann auf einen Zug warten, der sie wieder zurückbringt.
Vielleicht hat sie ja Glück und muss die ungewollte Fahrstrecke nicht extra bezahlen. Ich wünsche es ihr jedenfalls.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir in Schladming und ich hoffe, doch noch eine kleine Nachmittagsbergtour machen zu können – was auch gelingt.
Es ist traumhaft schön in Schladming und nach dem Kongress am nächsten Tag muss ich leider schon wieder nach Wien zurückfahren.
Ich hoffe daher, dass wenigstens die Rückfahrt problemlos abläuft.
Am Bahnhof angekommen muss ich feststellen, dass es dort irgendwie keine Anzeigetafel gibt, zumindest keine, die ich finde.
Also frage ich am Bahnsteig 2 eine junge Dame, ob ich hier richtig bin für den Zug nach Leoben (bzw. Graz, dort fährt er eigentlich hin).
Sie bejaht, meint aber, dass der Zug Verspätung hätte.
Geh bitte! Nicht schon wieder. Und ich hab wieder wenig Umstiegszeit in Leoben, also bleibt nur das Hoffen, dass das irgendwie noch geht.
Dann eine Durchsage: Leider hat der Zug aufgrund eines Gleisdefekts 15 Minuten Verspätung. 15 bis 20 Minuten, genauer gesagt.
Ich krame mein Handy raus und suche neue Verbindungen nach Wien. Es gibt tatsächlich eine Möglichkeit schneller nach Wien zu kommen als mit dem nächsten Zug der gleichen Verbindung, der fährt nämlich erst zwei Stunden später.
Wie ich die Warterei auf Bahnhofsbahnsteigen hasse!
Die Alternative ist die S8, die ich schon von gestern kenne, sie fährt von Leoben nach Bruck/Mur, dort kann ich dann in einen Railjet einsteigen, der mich nach Wien bringt.
Im Zug frage ich den Schaffner, ob und wie ich es machen könnte. Er meint, die Variante mit der S8 sei eh gut, aber er ist sich nicht sicher, wie wir in Selzthal wegkommen. Das ist ein Verschubbahnhof, bei dem unser Zug eine neue Lok an der anderen Seite bekommt. Und der Schaffner dürfte schon wissen, dass das nicht immer so einfach und vor allem nicht schnell geschieht.
So ist es dann auch, wir stehen schon eine gefühlte Ewigkeit herum, als irgendwo auf einem anderen Gleis langsam, sehr langsam eine einzelne Lok vorbeifährt.
Das ist natürlich unsere, und es dauert noch ein paar Minuten, bis wir weiterfahren können. Vielleicht tue ich der ÖBB Unrecht, aber sehr durchdacht erscheint mir das nicht. Der Schaffner ist wenigstens supernett und telefoniert extra mit der S8, damit die auf uns wartet.
Das tut sie auch, nur leider kommt sie dann in St. Michael (dort mussten wir umsteigen, nicht in Leoben, nur Gott und die ÖBB wissen warum) nicht weg. Wir verlieren zwar nur zwei Minuten, aber das sind letztlich genau die zwei Minuten, die uns den Anschlusszug doch nicht erreichen lassen. Er fährt uns buchstäblich vor der Nase davon.
Ich habe keine Lust mich noch mehr zu ärgern und versuche die nächste elende Warterei mit Wurstsemmelkauf zu verkürzen. Das Panorama von Bruck/Mur rund um den Bahnhof hebt meine Stimmung allerdings nicht merklich.
BILD 2: Bruck an der Mur, in der Nähe des Bahnhofs
Nach einer Stunde geht endlich mein Railjet nach Wien. Es ist ein tschechischer, was aber keinen wirklich großen Unterschied macht, über den Semmering sind alle gleich langsam.
Der Zug ist wenigstens nicht überfüllt und die Leute sind leise, so dass ich etwas lesen kann.
In Summe waren es zwei Mal sechs Stunden, die ich für die Reise gebraucht habe. Plus den Ärger ergibt das eine durchwachsene Bilanz. Es ist letztlich mühsam und ich mache es nicht freiwillig und schon gar nicht gerne.
Was schade ist, denn da wäre viel mehr drin.