Nightmare on Heathrow, Teil 2

Beim Aufwachen fällt mir die alte Piron + Knapp-Nummer ein mit der Strophe „Wir sollten scho in Italien sein nach unserer Uhr, darweil woa ma ned amoi no in Bruck an der Mur!“
Heute übernimmt nicht Cobra, sondern Peter und fährt mit dem Hotel-Hoppa zu Terminal 4 (4 Pfund hin und 4 Pfund zurück, ich weiß nicht, ob es zu Terminal 5 dann 5 Pfund kostet und so).
Nach ein paar Stunden kommt er zurück und meint, er hätte eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte wäre, dass sie unser Gepäck nicht gefunden hätten. Und die gute Nachricht? Hm, eigentlich gäbe es doch keine gute Nachricht, meint Peter, sie hätten ihm zumindest versprochen, dass sie das Gepäck finden und direkt nach Vancouver schicken würden. Dort müssten wir es sowieso abholen, dann nach Kanada einreisen und es dort wieder einchecken, die Kanadier wollen das so, das haben sie sich offensichtlich bei den paranoiden Amis abgeschaut.
Stunden vergehen, wir fahren auf den Flughafen und ich bekniee einen netten Mitarbeiter der British Airways mit uns Mitleid zu haben, wir wären beide 187 cm groß und wir hätten Mittelsitze in der Boeing 747 und 10 Stunden Flug zu überstehen.
Er meint auf meine weitere Nachfrage, dass unser Gepäck nach Vancouver gehen würde, das würde er versprechen, und er hätte uns ein Upgrade verschafft, wegen den Sitzen.

Wir sind nicht dankbar, sondern unendlich dankbar und besteigen gut gelaunt das Flugzeug – der Urlaub ist zwar noch in weiter Ferne, aber nicht mehr am anderen Ende der Milchstraße.
Das Upgrade stellte sich als eine Art Teilupgrade heraus, der BA-Jumbo hat 5 Klassen: First Class im ersten Stock, eine Super-Business-Class mit eigenen Kojen und Riesenmonitor und Bett, dann eine Business-Class mit breiten Liegesitzen und dann eben neben der normalen Holzklasse noch die leicht verlängerte Holzklasse („Economy Plus“ oder so), mit den gleichen Sitzen, aber etwas mehr Sitzabstand. Okay, besser als nix, aber wirklich kürzer werden die knapp 10 Stunden Flug dadurch auch nicht, schlafen is nich…
Es ist tatsächlich so, dass die Sitze schmäler als meine Schultern sind, sogar als die eingesunkene Schulter, die ich an diesem Heiligen Abend habe. Es ist dieses Eingepferchtsein, das mich so richtig fertig macht und mir das Fliegen auf Langstrecke so richtig verleidet. Ich glaube, dass mich der amerikanische Kontinent in Zukunft nicht sehr oft zu sehen bekommt, egal, was da drüben passiert oder zu erleben ist.

Im Filmprogramm spielen sie „Verdammt in alle Ewigkeit“ und mein Sitznachbar hat das Eau de toilette „Eternity“ und irgendwann sind wir in Vancouver, gut begleitet von einem zuckersüßen, schwulen Steward, der sich rührend um uns kümmert (warum hab ich ein komisches Gefühl, wenn ich das so formuliere?).
Dort warten wir lange an der Gepäckausgabe, sehr lange. Alle bekommen ihr Gepäck. Alle? Nein, wir nicht. Irgendwann sind wir die einzigen, die noch warten und geben auf. Mit letzter Kraft schleppen wir uns zum Schalter für verlorene Gepäckstücke und treffen dort auf eine Tussi, die sich für unser Problem genau überhaupt nicht interessiert. Wir sind übermüdet, mit den Nerven am Ende und bräuchten jemand, der sich unseres Problems annimmt, wir können das selbst schlicht und einfach nicht.
Als Peter einen leicht aggressiven Ton anschlägt, holt die Tussi ihren Chef, einen Chinesen (in Vancouver leben ca. 40% Chinesen), der uns in aller Ruhe erklärt, was wir tun könnten, nämlich einen „Report“ schreiben. Kompetente Leute würden diesen dann bearbeiten und sich mit all ihren Kräften auf die Suche nach unserem Gepäck machen. Wir könnten über Internet jederzeit Einblick in diesen Report nehmen (mit einem Code und unserem Namen), Kommentare dort direkt hineinschreiben, ebenso wie Orte, an die man das Gepäck liefern könne und wir könnten eine Mailadresse angeben und eine Telefonnummer und das würde wunderbar klappen, denn das würde ständig aktualisiert und so kämen wir problemlos zu unserem Gepäck.

Wir wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, dass das alles komplett hohle Phrasen waren, jenseits jeglicher Realität. Also füllen wir den Report aus, reisen nach Kanada ein und gehen zum Checkin der Mexicana. Dort ist bereits eine Schlange, jedoch kein Checkin. Ein sehr netter Kanadier (thanks, Connor) vor uns erklärt, dass der Schalter um 21 Uhr aufsperren würde und dass es jedoch ratsam wäre, jetzt schon hier zu stehen – er kenne die Mexikana von früheren Flügen. Dann schenkt er uns noch 5 kanadische Dollar für zwei Flaschen Wasser und bekommt als kleine Gegengabe eine Packung Manner Schnitten.
Das mit 21 Uhr nahmen die Mexikaner nicht so ernst, der Checkin beginnt um 22 Uhr. Wir beschließen, bei der Mexicana wegen unserem Gepäck nachzufragen, es könnte ja sein, dass es aus irgendeinem Grund durchgechecked wurde.
5 Stunden sind eine lange Wartezeit am Heiligen Abend, vor allem, wenn man auf eine Nachricht über sein verlorenes Gepäck wartet. Außerdem beginnt hier die Phase, in der die Leute nicht mehr oder fast nicht mehr Englisch können. Kurz vor Abflug kommt dann tatsächlich noch die kanadische Managerin und meint, leider, unser Gepäck wäre sicher nicht in der Mexicana.

So beginnt der nächste Abschnitt der Reise wieder mit einer Riesenenttäuschung.
Der Airbus A 319 der Mexicana ist eine Zeitreise in die Vergangenheit, ins Zeitalter des Präscreenium, also vor der Erfindung der Bildschirme. Das bunt gemischte Völkchen, das dort eincheckt, sieht zum Teil aus wie die Killerbrigade eines südamerikanischen Drogenbosses, zum anderen Teil wie eine mexikanische Großfamilie zu Besuch bei Verwandten. Die sind auch verdammt laut, die Großfamilien, kreischende Kinder im Flugzeug um 01:00 in der Nacht sind keine wahre Freude. Das Essen, das ausgeteilt wird, löst nach 25 Jahren die Alitalia ab, die seit einem Vierteljahrhundert das Ranking „ungenießbarstes Flugzeugessen“ hält. Das Zeug hier ist unpackbar mies, ein trockenes Sandwich mit einem dünnen Blättchen Wurst und einem dünnen Blättchen Käse, unbeschreiblich, de facto aber egal, ich habe ohnehin keinen Hunger.

Der Sitz ist wie erwartet eng, die Flugzeit beträgt 5 Stunden und endet im Morgengrauen (mit Morgengrauen) mit einem Flug über Mexico City. Diese Stadt hat 22 Millionen Einwohner und ist von oben gesehen das Abscheulichste, was mir je untergekommen ist. Sie hat auch den passenden Flughafen, über den ich genau genommen nicht einmal drüberfliegen möchte, schon gar nicht einen Aufenthalt genießen dürfen möchte, wollen möchte, wurscht.
Die Mexikaner haben sich von den US-Amerikanern das bescheuerte Zwangseinreisesystem abgeschaut und schicken uns auf eine Gratis-Runde. Was die genau mit den dadurch erhaltenen Daten anfangen, weiß ich nicht und will ich auch nicht wissen. Ich vermute, dass sie es selbst nicht wissen.

Nachdem schon der Flug hierher etwas verspätet war, hält sich die Aufenthaltsdauerknechterei in Grenzen und wir starten mit einem recht kleinen Airbus A 318 Richtung San Jose. Die Bordansagen sind in schnellem, sicher astreinem Spanisch und auch das darauf folgende Englisch klingt so spanisch, dass der Unterschied nur schwer auszumachen ist. Eigentlich interessiert es mich eh nicht, meine Gedanken kreisen um das immer noch nicht gefundene Gepäck. Auch das inzwischen nicht mehr superfrische T-Shirt stört nicht, der Mexikaner neben mir ist auch, äh, ja.
Nach der Landung marschieren wir schnurstracks zum Gepäckschalter, der ökonomischerweise gleich für alle Fluglinien zusammengepackt wurde. Da man uns in Vancouver gesagt hatte, wir sollten zur Mexicana gehen, marschieren wir zu den beiden Damen, die uns jedoch nicht weiterhelfen können. Sie verstehen nicht wirklich was von unserem Problem und sind des Englischen eher nicht so mächtig. Daneben steht eine Dame der Continental und wir fragen sicherheitshalber auch dort nach. Man bedauert und schickt uns wieder 3 Meter nach rechts zur Mexicana. Dann bekomme ich einen kleinen, sportlichen Ausraster und fange an, die blöde Kuh leicht zu beschimpfen, eh auf Deutsch, damit sie es nicht versteht. Nützen tut das natürlich nichts.
Kurz und gut: Unser Gepäck ist nicht da, weder bei der Mexicana noch bei der Continental, man schickt uns herum, speist uns mit Ausflüchten ab und erklärt sich für nicht zuständig.
Irgendwann hat dann der Manager der Continental Mitleid und lässt mich auf seinen Bildschirm schauen, wo er den Track-Report der BA aufgerufen hat. Dort steht… nichts Neues. Wir sollten halt immer wieder mal hineinschauen.
Wir verlassen den Flughafen ohne Gepäck, ohne Hoffnung, aber mit viel Wut gegen die verschiedenen Fluglinien und ihre MitarbeiterInnen, die sich so überhaupt nicht kooperativ oder verantwortlich zeigen.

Wir haben unsere beiden Gepäckstücke inzwischen „Godot 1“ und „Godot 2“ getauft, das Warten darauf erscheint ähnlich vergeblich.
Costa Rica haben wir immerhin erreicht, hier ist es warm und auch unser Mietwagen ist da. Wir treffen eine der besten Entscheidungen seit langer Zeit und mieten uns ein Garmin-GPS dazu, da wir heute keinerlei Lust auf Kartenlesen und an jeder Ecke irgendeinen Typen fragen haben, schließlich müssen wir heute noch in die La Carolina Lodge und die Fahrt dorthin dauert (je nachdem, wen man fragt) zwischen 2,5 und 4 Stunden.
Wir schreiben jetzt den 25. Dezember ca. 14 Uhr, die Frisur hält zwar, nicht jedoch das Deodorant. Wir sind seit 63 Stunden unterwegs, davon 37 ohne Schlaf und haben noch einen weiten Weg vor uns, zuvor müssen wir allerdings eine „Mall“ finden, in der wir die nötigsten Dinge einkaufen können, vor allem Unterhosen, T-Shirts, Sandalen, Zahnputzzeug und Wasser.
Der nette Mann vom Autoverleih „Dollar“ hat uns ein Einkaufszentrum einprogrammiert, das mehr oder weniger am Weg liegt. Zu unserem Glück haben die Einkaufszentren am heutigen Feiertag geschlossen. Wir entdecken jedoch ein paar Leutchen, die ganz hinten links um die Ecke gehen und folgen ihnen. Ein kleiner Seiteneingang hat offen und drinnen gibt es ein paar Geschäfte, die geöffnet haben. Einige Menschen feiern irgendwas und ein Kino dürfte Premiere haben.
Ich finde ein Sportgeschäft sowie tatsächlich einen Laden, der reisetaugliche Kleidung führt. Die Sandalen sind billig, dafür werde ich später entdecken, dass sie so lustige rote Scheuerstellen an den Füßen machen, die sich bei Kontakt mit Salzwasser brennend freuen.
Die Verkäufer machen das Geschäft des Jahrhunderts mit uns und wir starten unsere Reise mit einem etwas besseren Gefühl und nach einem Besuch beim Burger King auch mit fettigen, aber leicht erneuerten Energien.

Es ist erstaunlich, aber in Costa Rica sprechen etwa so viele Leute Englisch wie bei uns Mandarin, die meisten antworten auf die Frage „Do you speak englisch?“ mit „a little“, was stets bedeutet, dass sie zwei Worte können, nämlich „a“ und „little“.
Irgendwie geht es aber, mit international verständlichen Gesten und ein paar Worten aus dem Italienischen und mit Hinzeigen auf etwas und so weiter.
Auch das Autofahren haben sie nicht erfunden, es ist unglaublich, wie schlecht die Leute hier fahren – außer sie werden überholt, dann dürfte der Latino-Stolz von ihnen verlangen, dass sie alles geben, was die Kiste hergibt. Sie fahren, als ob sie bis gestern noch auf einem Esel geritten wären, Kurven werden ängstlich angebremst und noch viel ängstlicher durchfahren (in Costa Rica gibt es unglaublich viele Kurven, eigentlich müssten die das können), überholt wird prinzipiell nicht, egal wie langsam der Traktor oder das Fahrrad vorne fährt, vielleicht gefällt kolonialisierten Völkern das Kolonnenfahren, ich weiß es ehrlich gesagt nicht.
Die Straßen sind hingegen sehr gut und wenn man ein Dorf durchfährt, so ist es überall blitzsauber. Sie haben jede Menge Katzenaugen auf die Straßen geklebt, gelb in der Mitte und rot am Rand, das erspart sehr viel Energie beim Fahren in der Nacht, eine tolle Idee, sehr gut umgesetzt. Weniger toll sind die vielen unbeleuchteten Radfahrer und die Angewohnheit, sich jede Menge Lampen vorne aufs Auto zu schrauben und diese auch konsequent bei Dunkelheit aufzudrehen.
Wir erreichen nach knapp 4 Stunden Fahrt die La Carolina Lodge. Das Plätzchen ist wildromantisch, liegt mitten im Dschungel und besitzt keine Möglichkeit eines Internet-Anschlusses, was unsere Gepäcksuche nicht gerade erleichtert.
An diesem Abend ist uns das jedoch egal, wir genießen das erste Bett seit 42 Stunden und schlafen uns aus.

Teil 3 demnächst hier auf diesem Sender (wie lange es wohl noch dauern wird, bis unser Gepäck kommt und ob es überhaupt kommt?)

3 Gedanken zu „Nightmare on Heathrow, Teil 2

  • 2. Januar 2010 um 02:09 Uhr
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    :) hi Guido!
    Sehr nett geschrieben! Macht Lust auf Urlaub in Österreich!
    LG, Reinhard

  • 11. Januar 2010 um 23:18 Uhr
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    nach diesem hinflug kann es wohl nur noch besser werden. demnach sollte jetzt ein traumurlaub auf euch warten. *daumendrück*

  • 6. Februar 2012 um 00:09 Uhr
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    unfassbar!!! wahnsinn – ich bin einfach nur schockiert und frag mich gerade wie ich mit so einer situation umgehen würde…
    aber echt gut geschildert!

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