Kenia von Nord nach Süd – Tag 14: Die Fahrt nach Mombasa

Meine innere Uhr stellt sich als zuverlässiger heraus als der Wecker, der schlicht und einfach nicht läutet. Es ist 03.59 Uhr und wir trinken einen schnellen Tee. Die am Vortag im Sarit Center gekauften Donuts stellen sich als steinhart heraus, aber ich habe sowieso keinen Hunger. Erstens ist es zu früh, zweitens hat sich doch ein gewisses Reisefieber eingestellt und drittens will ich einfach nur weg. Jede Minute ist eine Verzögerung, von der wir nicht wissen, ob sie sich nicht am Ende bitter rächt.
Schließlich schaffen wir es um 04.40 tatsächlich beim Tor hinaus zu fahren und die kühle, aber angenehme Nachtluft empfängt uns. Es ist ein Erlebnis der anderen Art Nairobi um diese Zeit zu durchqueren und es geht unglaublich schnell.
Zu allem Übel ist uns am Abend noch der Blinker ausgefallen. Wir haben zwar noch am Relais gerüttelt und die Sicherung angesehen, aber wir konnten auch mit Luis Hilfe den Blinker nicht reparieren.
Das ist zwar unangenehm, aber es muss halt ohne gehen.
Um Punkt fünf Uhr fahren wir über den letzten Kreisverkehr am Uhuru-Highway und verlassen Nairobi. Wir haben noch mehr als 1,5 Stunden Fahrt in der Dunkelheit vor uns – etwas, das man nur mit viel Routine auf Kenias Straßen tun sollte. Zu viele Wahnsinnige und Betrunkene sind in der Nacht unterwegs und die Straßen halten das eine oder andere Schlagloch oder sonstige Überraschungen bereit.
Nun wird es spannend: wie viel LKW-Verkehr wird es geben? Wir haben die Information, dass die LKW erst bei Sonnenaufgang Richtung Mombasa aufbrechen. Das stellt sich als grundfalsch heraus, sie fahren die ganze Nacht. Wir befinden uns auf der Hauptverkehrsroute von Mombasa Richung Uganda und manchmal treffen wir auf ganze LKW-Kolonnen.
Das ist mühsam und stressig, denn man muss sie überholen. Viele fahren gerade mal 30 km/h – manche, weil sie nicht schneller können, andere aus welchem Grund auch immer.
Wir haben ein linksgesteuertes Auto und in Kenia ist Linksverkehr. Überholen ist – wenn überhaupt – nur mit einem entsprechend guten Beifahrer möglich, im Idealfall ist man exzellent aufeinander eingespielt.
Da Thomy und ich seit 2000 nun schon das fünfte Mal gemeinsam unterwegs sind, wissen wir wie es läuft: „Langsam raus“ heißt, dass ich etwas nach rechts fahre, so dass Thomy sieht, ob etwas entgegen kommt. „Steig drauf“ heißt: raus und Vollgas!
So kann man ganze Kolonnen überholen, aber es ist sehr sehr anstrengend und nicht ungefährlich: es kann jederzeit ein Auto aus einem Querweg kommen oder ein gerade Überholter schert aus – das Schreckensszenario ist breit gefächert.
Dazu kommt die dauernde Hoffnung, dass es irgendwann weniger LKW werden, leider bleibt sie lange Zeit unerfüllt.
Die Straße ist sehr gut und hat auf beiden Seiten eine Art Pannenstreifen, der jedoch sehr schmal ist und den man vor allem in der Dunkelheit nicht befahren sollte. Es kann jederzeit ein Radfahrer auftauchen oder ein Moped, beide natürlich unbeleuchtet. Oder ein LKW hat eine Panne oder ist aus sonst einem Grund am Rand abgestellt. Auch er unbeleuchtet. Es gibt in Kenia auch nur selten Pannendreiecke. Wer eine Panne hat, reisst ein paar Zweige vom nächsten Baum und dekoriert die Gefahrenstelle rund um das Auto. Wenn es der Fahrer schlau macht, dann legt er noch ein oder zwei Zweige hinter die nächste Kurve.
Die Mombasa-Road ist ab Nairobi eine längere Zeit ziemlich bergig und unübersichtlich. Das ist besonders in der Nacht eine Herausforderung, ich habe sie jedenfalls wesentlich gerader und lang nicht mit so viel auf und ab in Erinnerung. Damals war natürlich wesentlich weniger Verkehr, allerdings war auch die Straße in einem schlechteren Zustand.
Thomy reicht mir immer wieder mal die Wasserflasche, ansonsten machen wir längere Zeit keine Pause. Es ist eine Horrorvorstellung, dass bei einer Pause all die LKW, die wir gerade mühsam überholt haben, wieder an uns vorbei fahren.
Es sind viele LKW, eigentlich sogar sehr viele. Manchmal gibt es ein oder zwei Minuten eine leere Strecke, aber dann fährt man auf die nächste Kolonne auf. Dafür halten die Reifen und wirken sehr vertrauenserweckend. Das beruhigt uns ein wenig.

Dann dämmert es langsam, im Osten zeigt sich ein oranger Lichtschimmer und langsam wird es hell. Das verändert alles, denn jetzt sind die Autos sichtbarer und auch der Straßenrand wird besser überschaubar. So ist das Fahren ein bisschen weniger anstrengend, aber wir haben nach zwei Stunden Fahrt noch immer nicht allzu viele Kilometer zurück gelegt. Die Straße wird jetzt auch flacher, wir kommen langsam aus den Bergen in die Ebene. Leider habe ich keine Augen für die teilweise grandiose Landschaft, der Verkehr verlangt volle Konzentration.

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Bild 98: Morgenröte

Irgendwann machen wir eine kurze Pinkelpause und essen zwei Bananen, doch dann treibt uns der Zeitdruck voran und wir hoffen bald die Hälfte des Weges geschafft zu haben.
Besonders gefährlich sind die Overland-Busse. Das sind riesige Fernbusse, in denen jede Menge Menschen sitzen und vorne ein irrer Fahrer. Die Fahrer von Overland-Bussen sind allesamt irre, ich darf das sagen, weil ich hatte mit ihnen zu tun, in diesem Fall 500 Kilometer lang.
Wenn sie entgegenkommen und überholen, dann bleiben sie einfach draußen. Du siehst, dass sich das nicht ausgeht und realisierst: zurück kann er nicht mehr und wenn er am Gas bleibt, geht sich das nie und nimmer aus. Keine Chance, niemals!

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Bild 99: LKW überholen

Was tun? Du hast eigentlich keine Zeit um eine Entscheidung zu treffen, sondern musst einfach handeln. Das bedeutet, du musst rechtzeitig seinen Überholvorgang bemerken und sofort runter vom Gas gehen, manchmal auch bremsen. Wenn du langsam genug bist, schleichst du dich nach links runter von der Fahrbahn. Sofern dort etwas ist, wo du dich hinschleichen kannst.
Dann donnert er vorbei und du kannst deine Fahrt wieder fortsetzen. Die Fahrer wissen genau, dass sie stärker sind und können dich damit zwingen von der Straße zu weichen. Wer das mit 80 probiert, ist wahrscheinlich um ein paar Überschläge reicher.
Ich möchte nirgends auf der Welt einen Unfall haben, aber hier ganz besonders nicht. Es gibt zwar eine Ambulanz, aber ob die kommt und wann und was die dann mit dir tut oder wohin sie dich bringt, das findet man besser nicht heraus.
Somit ist vorausschauendes Fahren das Gebot der Stunde und für uns des ganzen Tages.

Dann erreichen wir den Tsavo-Nationalpark, den die Mombasa-Road in „Tsavo East“ und „Tsavo West“ teilt. Der Park ist der größte in Kenia und besteht aus einer einzigen, riesigen Ebene. Für Safari kann ich ihn nicht so wirklich empfehlen, trotzdem ist er beliebter Zielort für billige Safaris von Mombasa aus.
Hier entdecken wir auch das nächste Großprojekt. Ich weiß nicht was die Chinesen hier bauen, aber es wird gewaltig. Sie schütten Unmengen rote Erde zu einer hohen, breiten Trasse auf, die neben der Straße verläuft. Wird das ein neuer Mombasa-Highway? Die Menge des Verkehrs würde das erfordern. Auf jeden Fall wird hier eine Unmenge an Material bewegt.
Leider setzt Kenia voll auf den Autoverkehr. Die alten Bahnverbindungen wurden entweder stillgelegt oder sie werden wenig benützt. Wir sehen auf der gesamten Strecke gerade mal einen Güterzug mit Containern, der Rest fährt auf der Straße. Dass die Eisenbahnstrecke nicht elektrifiziert wurde, brauche ich nicht extra erwähnen.
Immer wieder stehen am Straßenrand Crash-Denkmäler. Das sind vollkommen zerstörte Unfallautos, die auf ein Podest gestellt werden, meist garniert mit einem Sinnspruch gegen Raserei.
Ich schätze, dass die genauso viel wirken wie die Warnhinweise auf Zigarettenpackungen. Wir jedenfalls sind uns der Gefahren durchaus bewusst und fahren mit 80, maximal 90 Richtung Mombasa.
Irgendwann erreichen wir Mtito Andei, dann Voi und jetzt wird es punkto Tanken interessant. Wir dürfen maximal 25% Tankinhalt haben, wenn wir das Auto abgeben. Also gilt es die Liter zu berechnen, denn wir wollen noch genug Sprit für meinen Bruder drin lassen, vor allem, weil der hier ja deutlich billiger ist als in Europa. An jedem Stop sieht man natürlich LKW ohne Ende.

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Bild 100: LKW

Die erste Tankstelle, die wir ansteuern, hat keinen Diesel. Die zweite hat zwar Diesel, aber eine lange Warteschlange. Wir stellen uns hinten an und beobachten, wie die LKW, die wir gerade mühsam überholt haben, an uns vorbei ziehen, einer nach dem anderen. Kurz bevor wir an der Reihe sind, meint der Tankwart, dass der Diesel leider aus wäre.
Glücklicherweise ist gleich daneben noch eine weitere Tankstelle und sie haben Diesel, dafür aber keine Warteschlange.
Irgendwann verändert sich die Straße und wird schlechter. Das ist jetzt die Mombasa-Road, wie ich sie von früher kenne: eng und mit Schlaglöchern.
Besonders prickelnd wird es, wenn man einen LKW überholt, der genau dann einem Schlagloch ausweicht. Da es viele LKW gibt und auch jede Menge Schlaglöcher und alle LKW allen Schlaglöchern ausweichen, fahren wir etliche Kilometer Schlangenlinie. Das ist noch anstrengender als sonst und ich merke, wie die 7 Stunden fahrt ohne nennenswerte Pause langsam an meinen Kräften zehren. Auch Thomy geht es nicht viel besser, denn er muss sich fast genauso konzentrieren. Wir merken es daran, dass wir langsam aggressiv werden und uns gegenseitig da und dort sinnlose Vorwürfe machen.
Glücklicherweise sind wir ein wirklich gut eingespieltes Team und können diese kleine Krise bewältigen.
Irgendwann wird die Ebene noch flacher und wir ahnen, dass Mombasa nicht mehr fern ist. Die Landschaft hat sich auch verändert, seit einiger Zeit sieht man die berühmten Baobab-Bäume und es wird auch ständig heißer.

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Bild 101: Baobab-Bäume

Dann ist es soweit, wir merken, dass wir uns Mombasa annähern, weil der Verkehr dichter wird. Er wird sogar sehr dicht und wir fahren langsam durch die Vororte. Diese sind im Laufe der letzten zwanzig Jahre sehr gewachsen und so dauert es relativ lang.
Wir sind trotzdem guter Dinge, denn es ist erst 12.30 Uhr und wir haben noch genügend Zeit um Mombasa zu durchqueren.
Das stellt sich allerdings als gar nicht leicht heraus. Wir befinden uns in einer Art Donnerstag-Mittag-Stau und der ist nicht von schlechten Eltern: LKW, Minibusse, PKW und jede Menge Motorräder und natürlich Tuk-Tuks. Das sind die kleinen Motor-Rikschas, die aus dem asiatischen Raum kommen und ursprünglich in Italien erfunden wurden. Dort hat sie die Firma Piaggio als „Ape“ gebaut, als Lastendreirad, das auch menschliche Last befördern kann.
Hier haben sie sich auch durchgesetzt und es gibt Millionen davon. Sie haben kleine, nicht allzu abgasfreundliche Zweitakter, sind robust und mit sehr einfacher Technik ausgestattet. Die Fahrer sind so wie die meisten Taxifahrer bei uns nicht die Eigentümer der Tuk-Tuks. Sie drängen sich in jede kleinste Lücke und sind wahre Meister im Lückenfinden. Selbst wenn es beim besten Willen keine Lücke mehr gibt, ist noch Platz für ein Tuk-Tuk. Oder auch zwei. Bei drei ist dann allerdings wirklich Schluss, vor allem, nachdem sich das vierte und fünfte hineingedrängt hat.
Wir bewahren die Nerven, unser Toyota hat vorne einen Rammschutz, der auch von Tuk-Tuk-Fahrern problemlos respektiert wird.

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Bild 102: Stau in Mombasa

Nach langer Zeit im heißen Auto kommen wir bei einem Gebäude an, das uns als Treffpunkt von Frank genannt wurde. Leider kann man davor nicht anhalten und schon gar nicht parken, daher fahren wir einmal rundherum bis an die Rückseite des Hauses. Dort befindet sich eine kleine Straße, in der wir provisorisch parken können. Das ist zwar sicher nicht erlaubt, aber wir sind müde, erschöpft, durstig und verschwitzt. Wir bleiben hier jetzt einfach stehen. Sie können uns ja wegtragen, wenn sie wollen.
Es kommt aber niemand und die Wächter des Parkhauses daneben meinen nur, wir sollten zwei Meter weiter nach vorne fahren, dann kämen alle Parkenden vorbei und niemand hätte ein Problem damit.
Ich rufe Frank an und er meint, er wäre in zwanzig Minuten da. Ich rechne daher nicht vor einer halben Stunde mit ihm, eher in 45 Minuten.
Es ist heiß und wir finden glücklicherweise heraus, dass doch noch etwas Wasser im Tank ist. Einmal Banane essen und Hände waschen löst durchaus Entzücken aus. Noch viel schöner wäre es allerdings, wenn uns Frank nicht warten ließe, inzwischen ist eine knappe Stunde vergangen und ich frage mich, warum wir wie die Verrückten LKW überholt haben, wenn wir jetzt in einer staubigen, heißen Nebengasse auf Frank warten müssen.
Ich rufe ihn an und er meint, er wäre gleich da und wo wir denn seien.
Na, auf der Rückseite des ausgemachten Hauses, exakt auf der Rückseite, nicht zu verfehlen. Was soll die Frage?
Frank meint, dass alles klar wäre und ich ihm noch die Autonummer sagen solle, damit er anhand des Autos uns finden könne.
Ich denke mir, dass ich es mit einem Irren zu tun habe. Was ist an „Backside“ nicht verständlich? Der Idiot wird wohl in der Lage sein die Rückseite eines ihm gut bekannten Hauses zu finden. „Backside, do you know what a backside is?“ frage ich ihn und er bejaht.
Dann fragt er noch einmal nach der Autonummer und ich beschließe, ihn langsam zu meucheln, vorausgesetzt er kommt auf die Backside.
Frank dürfte ein gutes Gespür haben und beschließt sich dumm zu stellen. Ich schicke Thomy aus um ihn zu suchen, was vor allem deswegen schwierig ist, weil wir ja keine Ahnung haben wie der Typ aussieht. Okay, er dürfte Afrikaner sein, aber das reicht hier als Erkennungsmerkmal nicht wirklich aus.
Ich rufe ihn noch einmal an und frage ihn, wo er denn sei, denn wir würden bei ihm vorbei kommen, egal wo er ist, das wäre einfacher.
Er meint, dass er fast bei uns wäre, es könne sich nur mehr um Augenblicke handeln. Ich glaube ihm kein Wort und bestehe darauf, dass er mir verrät, wo er sich aufhält. Hätte ich jetzt eine Cruise Missile und seinen Standort, er wäre geliefert.
Leider habe ich weder das eine noch das andere und so überlebt Frank diesen Tag. Irgendwann reiche ich entnervt dem netten Parkwächter das Handy und er verspricht, dem wahnsinnigen Frank zu erklären, wo wir denn seien.
Das funktioniert tatsächlich und Frank taucht auf. Ich bin glücklich und beschließe, ihn ein anderes Mal zu lynchen.
Sein Office ist nur wenige Schritte entfernt, wir fahren trotzdem mit dem Auto hin und parken uns auf der Straße ein.
„Hatschieh“ ist der übliche Gruß in Häusern mit Klimaanlage. Wir betreten genau so ein Haus und werden auf der Stelle schockgefroren. Ich halte so etwas nicht sehr gut aus und hasse daher Klimaanlagen. Draußen hat es 36 Grad, herinnen 16 – das ist nicht lustig.
Wir werden seinem Chef vorgestellt und ich hoffe, dass jetzt alles gut und reibungslos verläuft. Wir überreichen das Carnet und er macht ein paar Telefonate.
Dann erfahren wir, dass alles soweit okay sei und wir nun bestimmte Kosten begleichen müssten. Das ist okay, denn darauf hat mich mein Bruder vorbereitet. Frank meint, dass wir das Auto dann in zwei Tagen abliefern sollten.
Moment, Halt, Stop: es war ausgemacht, dass wir das Auto heute abliefern. Erstens wollen wir nicht mehr damit herumfahren, zweitens sind wir wie zwei Wahnsinnige gerade acht Stunden über eine der gefährlichsten Straßen der Welt gefahren, nur um hier zu erfahren, dass wir erst in zwei Tagen da sein müssten?
Ich beschließe, meine Mordpläne wieder auszupacken. Frank beruhigt und meint, ihnen wäre es nur um das Original des Carnets gegangen, das Auto wäre sozusagen egal.
Frank hat Glück an diesem Tag, großes Glück sogar. Ob er das weiß?
Wir erklären ihm unmissverständlich, dass wir genau original keinen Meter mehr mit dem Toyota fahren würden. Das überzeugt ihn und er meint, wir müssten dann nur drei Tage Parkgebühr zahlen, das wären 1.050 Khs, also umgerechnet zehn Euro.
Außerdem würde er uns gerne das Carnet zukommen lassen und zwar durch einen Boten. Das wäre deswegen möglich, weil der Zoll das Carnet nicht mehr brauchen würde, nämlich ab Morgen Nachmittag.
Wir vereinbaren, dass er es gleich direkt an meinen Bruder in Österreich schickt, was noch einmal 50 Dollar kostet.
Dann passiert das Unerwartete: Frank meint, wir wären fertig. Wir müssten nur noch die persönlichen Sachen aus dem Auto holen und dann würde er uns helfen ein Taxi zu finden, das uns nach Kilifi führt.
Ich hatte schon mehrfach mit Johanna telefoniert, sie erwartet uns schon und hat uns außerdem verraten, dass wir ins „Bofa Beach Resort“ gehen sollten, das würde sie kennen und es wäre sehr nett.
Wir holen unsere Taschen aus dem Toyota und ich schenke einem der Parkwächter meine Schuhe. Vielleicht passt er ja dann besser auf das Auto auf, einen Versuch ist es wert.

Frank organisiert uns ein Tuk-Tuk, mit dem wir zum Taxi fahren können. Es gibt zwei verschiedene Größen von Tuk-Tuks und wir brauchen ein größeres, das auch nach kurzer Zeit verfügbar ist.
Die Tuk-Tuks bestehen eigentlich nur aus lackierten Rohren mit einem Motor und glücklicherweise einer Plane, die vor der Sonne schützt. Sie sind billig, aber einen Unfall darf man damit auf keinen Fall haben.
Wir erreichen die Taxi-Firma und erklären, dass wir nach Kilifi wollen. Ich habe von Johanna in weiser Voraussicht den üblichen Fahrpreis erfragt und kann daher verhandeln, denn sie wollen 7.000 KHS bis nach Kilifi und ich weiß, dass wir maximal 5.000 zahlen müssen. Einige Leute stecken einige Zeit die Köpfe zusammen und raunen Dinge, die ich nicht wissen will. Dann kostet es auf einmal 5.000 Khs und wir marschieren los zum Auto.
Der Fahrer heißt „Amos“ und hat die üppigste Unterlippe, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Er hat außerdem eine sehr tiefe Stimme und spricht langsam und nicht sehr laut. Aber er ist ein guter Fahrer und wir genießen es sehr, nicht selbst fahren zu müssen.
Natürlich ist auch jetzt sehr viel Verkehr und Amos kämpft sich durch.
Mombasa hört im Norden an der Küste nicht einfach auf, sondern es setzt sich in kleinen, aneinander gereihten Orten fort. Es gibt nur eine Küstenstraße und sie ist überlastet. Wir fahren an den ersten Hotels vorbei, die irgendwie alle den Namen „Beach“ haben. Wir müssen aber noch weit in den Norden, ca. 80 Kilometer. Amos fährt bedächtig und wir haben es nicht sehr eilig. Ich war noch nie hier an der Nordküste von Mombasa und sauge die Eindrücke auf.
Nach etwa zwei Stunden Fahrt kommen wir in Kilifi an. Rechts an der Küstenstraße entlang, gleich müssten wir da sein.
Dann biegen wir links ab und Thomy ist enttäuscht, denn er hat sich ein Hotel direkt am Strand erwartet, mit weißem Sandstrand, Palmen und jeder Menge Gin Tonics, die ihm an den Liegestuhl serviert werden.
Das Bofa Beach Resort liegt auf der anderen Seite der Straße und hat nur ein kleines Swimmingpool. Die Anlage ist nett, aber unspektakulär und die Dame, die uns empfangt, ist nicht allzu motiviert.
Wir bekommen ein Zelt und bemerken, dass wir die einzigen Gäste sein dürften. Ich bin fix und foxi und falle erst mal ins Bett, um ein wenig auszuruhen.
Unser Quartier besteht aus einem riesigen Zelt mit zwei großen Betten, von denen das eine leider viel zu kurz ist und selbst mit Querliegen eigentlich nicht bequem. Es gibt gute Moskitonetze und die Duschen sind auch in Ordnung.
Thomy sucht den Strand und findet ihn nicht. Das hat einerseits damit zu tun, dass es hier keinen breiten, klassischen Strand gibt und zweitens damit, dass gerade Flut ist.
Das frustriert ihn über die Maßen und er meint, wir sollten hier schnellstens wieder abhauen. Ich beschwichtige und meine, dass wir heute genau überhaupt nirgends mehr hinfahren würden und morgen könnten wir das dann diskutieren.
Heute brauchen wir noch ein gutes Essen und ein gutes Bett.
Während ich Johanna anrufe, organisiert Thomy sich ein Gin Tonic. Also er versucht es, leider haben sie an der Bar zwar Gin, aber kein Tonic. Daher kauft er eine kleine Flasche Gin in der Hoffnung, dass wir irgendwo noch Tonic auftreiben würden.
Wir fahren zu Johanna ins Pub. Das liegt in Tuk-Tuk-Reichweite und ist irgendwie ganz anders, als wir es uns vorgestellt haben. Es liegt nämlich nicht am Strand, sondern ein paar hundert Meter im Hinterland. Nach einer eher abenteuerlichen Fahrt quer um etliche Häuser auf Wegen, die in der Regenzeit eher nicht befahrbar wären, erreichen wir das „Danube Pub“, fühlen uns allerdings nicht wie an der Donau.
Johanna ist sehr nett und freut sich riesig über Besuch aus Österreich. Ich habe eine Kiste mit hausgemachten Marmeladen quer durch Afrika transportiert und kann diese jetzt los werden.
Das Pub ist geschmackvoll eingerichtet und wir bestellen Oktopus und Curry. Als das Essen kommt, sind wir mehr als nur positiv überrascht. Wir bekommen so ziemlich das beste Essen, das ich in Afrika je gegessen habe. Die Portionen sind riesig und die Beilagen exzellent. Wir können alles mit einem guten, kalten Tusker runterspülen und unseren Bärenhunger befriedigen.
Dann sitzen wir satt im Pub und tauschen Geschichten mit Johanna und ihrem afrikanischen Mann Evan aus. Er hat das Pub selbst gebaut, vor allem hat er den tiefen Brunnen geschlagen, den alle anderen rundherum nicht haben. Das führt leider zu Neid bei den Nachbarn, denn sie hätten alle gerne so einen Brunnen, der Zugang zu frischem Wasser ermöglicht.
Dieses fließt in Form eines kleinen Baches rund um das Lokal und ist viel weniger kitschig als man es sich genau jetzt vorstellt.
Wir plaudern bis lange in die Nacht hinein und nehmen uns dann ein Tuk-Tuk zu unserem Quartier.
Der bisher längste und anstrengendste Tag neigt sich dem Ende zu.

Kenia von Nord bis Süd – Tag 5: Marsabit

Die Nacht war ausgesprochen windig – man hatte es uns schon gesagt, aber jeden Abend frischt es hier ordentlich auf, wenngleich die Nächte nicht so kühl sind wie am Mount Kenya. Einerseits befindet man sich hier schon in der Halbwüste, andererseits doch in einer gewissen Höhe (1.700 m) und der Wind bläst meist von Osten und über die Vulkankegel des Mount Marsabit. Dort befindet sich ein Nebelwald und der schafft ein Kleinklima, von dem die ganze Gegend lebt.
Tau gab es hier keinen und die Nacht war sehr angenehm.
Heute war Nationalpark angesagt. In der Diskussion kamen Thomy und ich zu der Erkenntnis, dass wohl ein Tag genügen würde. Aber wenn es schön ist, bleiben wir halt zwei.

Der Weg zum Nationalparkeingang war nicht schwer zu finden und so marschiere ich frohen Mutes in das Büro, um Tickets zu kaufen. Glücklicherweise hat das Kenya Wildlife Service seine vor ein paar Jahren ersonnene Blödheit (Eintritt in die Parks nur mit einer speziellen Karte, die man nur in Nairobi bekommt) wieder aufgegeben und außerdem sind wir hier so weit weg von der Hauptstadt, dass sowieso alles anders läuft.
Zu meinem Erstaunen geht das hier extrem einfach und entspannt: Zwei Tickets zahlen (sehr günstig mit je 25 Dollar – okay, der Park ist klein, aber immerhin) plus die Fee für den Toyota plus eine Karte vom Park und schon kann es los gehen.

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Bild 26: Nationalparkeingang in Marsabit

Nein, doch nicht. Der Game Ranger kramt in einer Lade und zieht ein schwarzes Plastiksackerl heraus. Darin wären, so meint er, ein paar frisch aufgeladene Handys und ob wir die nicht seinen Kollegen im Park mitnehmen könnten. Die würden beim Lake Paradise auf uns warten. Und nein, wir müssten nicht genau wissen wo, denn sie würden uns finden.
Gut, warum nicht? Wir schnappen das Sackerl und fahren los.
Der Weg ist in gutem Zustand und wir kommen sofort in dichten Bergwald. Würzige Luft, tolle Bäume, aber hier würden wir wohl keine Tiere zu Gesicht bekommen. Außerdem war es inzwischen 10.30 Uhr und die Mittagshitze beginnt sich schon bemerkbar zu machen.
Nach kurzer Fahrt erreichen wir einen Krater mit See und sehen gegenüber eine Lodge.

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Bild 27: See im Krater mit Lodge

Nun muss man wissen, dass der Park klein ist und es daher nur eine einzige Lodge gibt.
Wir besuchen sie und sehen uns an, wie das dort so abläuft. Gäste dürften keine da sein, aber man erwarte welche, morgen oder in ein paar Tagen.

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Bild 28: See

Das ist das Problem von Marsabit, aber auch von den anderen Parks: Es gibt zu wenige Touristen. Die Parks kosten viel Geld und stehen unter gewaltigem Druck, denn sie müssen sich gegen die wachsende Bevölkerung rundherum wehren. Das betrifft alle Reservate in Kenia und in ganz Ostafrika generell.
Je mehr Menschen, desto mehr Ressourcen werden gebraucht: Essen und Feuerholz, d.h. Land um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Das beste Land gibt es in den Nationalparks und die Menschen rundherum verstehen nicht, warum sie diese nicht abholzen dürfen. Sie könnten das Holz gut gebrauchen und wer heute hungrig ist, der denkt nicht an morgen. Das Problem verschärft sich noch, wenn zu wenige Touristen kommen. Die Bevölkerung rund um einen Park profitiert nämlich von diesem, etwa durch Beteiligung an den Einnahmen oder dadurch, dass einige Leute aus den Dörfern rundherum im Park Arbeit finden.
Wenn zu wenig Touristen da sind, funktioniert das nicht. Und die Bevölkerung sieht noch viel weniger ein, warum man einen leeren Park nicht in Ackerland verwandeln und den Wald verbrennen kann.
Gerade Marsabit steht unter Druck, denn in den letzten Jahrzehnten ist der Ort neben dem Park massiv gewachsen und die Felder wandern immer näher und näher zum Wald.
Das konnten wir auch beobachten, denn unsere Fahrt führte uns auf der Hauptroute eine Runde um den Park. Im Süden und Südosten werden die Berghänge flacher und trockener, es gibt eigentlich keine echte Parkgrenze und so treiben die Hirten ihre Herden in den Wald. Der südliche Teil des Parks ist eigentlich schon Kulturland und die im Park lebenden Tiere können dort nicht mehr hinaus. Sie sind inzwischen mehr oder weniger eingesperrt, was natürlich für den Park nicht gut ist.
Wie soll man das Problem lösen? Irgendwann ist der Park so klein, dass sich die Artenvielfalt und der Tierbestand generell nicht mehr aufrecht erhalten lässt. Dann ist es nur mehr ein kleiner Schritt zur Aufgabe und kompletten Abholzung des Waldes. An seiner Erhaltung sind die dort lebenden Menschen bis auf wenige Ausnahmen nicht interessiert.

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Bild 29: Mittagsrast am Lake Paradise

Am Lake Paradise machen wir Mittagspause und so eine Art Mini-Picknick. Wir wissen nicht genau, ob Aussteigen hier erlaubt ist, aber die Game Ranger dürften schon am Weg in ihre Unterkünfte sein, gemeinsam mit ihren frisch geladenen Handys, die wir ihnen am Aussichtspunkt hoch über dem See gegeben haben.

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Bild 30: Lake Paradise, Blick von der Klippe hinunter

Tiere lassen sich keine blicken und Thomy ist ein wenig enttäuscht. Außer viel Gegend gibt es nicht viel zu sehen und wir fahren weiter.
Der südliche Weg ist nur für Geländeautos befahrbar, zweimal müssen wir mit der Untersetzung über Felsen klettern, der Rest der Straße ist aber gut und bequem befahrbar.
Rund um den Park ist alles Farmland.

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Bild 31: Farmland

An einer Kreuzung bleiben wir stehen um nach dem Weg zu fragen. Ein Mann fragt uns, ob er mitfahren darf. Thomy ist nicht begeistert, aber wir nehmen ihn mit, da wir sowieso schon am Rückweg sind.
Im Ort lassen wir ihn aussteigen und entdecken, dass wir an keinem Gate vorbei gekommen sind. Theoretisch könnte man den Park auch besichtigen ohne durch ein Gate zu fahren – allerdings dürfen sie einen dann im Park nicht ohne Tickets erwischen und außerdem muss man den Trick erst einmal wissen.
Uns ist es aber nicht leid um die 25 Dollar, denn wir haben damit zur Erhaltung des Parks beigetragen.

Wir kaufen noch ein paar Paradeiser und haben im Ort endlich wieder Internet-Empfang. Ein zweiter Krater im Norden von Marsabit am Weg nach Moyale erweist sich als öd und wir fahren zu Henrys Camp zurück.

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Bild 32: noch ein Krater

Eines ist klar: mehr als einen Tag braucht man hier nicht wirklich bleiben und wir werden morgen wieder fahren.
Wie wird das sein, wenn der Afrika-Highway fertig ist? Dann kann man Marsabit von Isiolo aus in 2,5 Stunden erreichen. Werden dann mehr Touristen kommen?
Wir verbringen den zweiten Abend geruhsam und ohne die Kanadier, die heute schon Richtung Süden aufgebrochen sind. Henry haben wir nicht zu Gesicht bekommen.
Marsabit war aus meiner Sicht einen Besuch wert – nur Tiere darf man sich hier nicht viele erwarten. Aber die werden wir woanders noch zu sehen bekommen.
Am Rückweg kommen wir noch an einer Kreuzung vorbei, die für Kenia-Reisende mit Hang zum Abenteuer eine Tafel mit besonderem Inhalt bereit hält: North Horr! Das ist von hier „nur 190 Kilometer, allerdings absolute Rough Road. Da braucht man schon einen Tag, wenn man Glück hat. Wer weiß, ob ich dort irgendwann hin komme?

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Bild 33: Schild nach North Horr

Kenia von Nord nach Süd – Tag 3: Die Fahrt zum Mount Kenya

Wir haben nur ein ganz kleines Frühstück eingeplant, aber Marion lässt es sich nicht nehmen ein größeres daraus zu machen.
Außerdem entdecken wir, dass der Kühlschrank nicht funktioniert. Das ist allerdings ein Problem, das wir noch lösen müssen, denn ohne Kühlschrank funktionieren die beiden Campingwochen nicht.
Luis zeigt seine Mechanikerkünste, er improvisiert einen Stecker und einen Anschluss und siehe da – der Kühlschrank funktioniert.
So wird es recht spät als wir endlich wegkommen und hoffen, Nairobi ohne allzu große Verkehrsprobleme hinter uns lassen zu können. Bis auf einen kleinen Stau in Westlands funktioniert das sehr gut und wir befinden uns bald auf dem sechsspurigen Thika-Highway. Man darf sich das getrost als sehr breite Straße vorstellen, eine Art Stadtautobahn mit allen Schikanen. Eine dieser Schikanen sind plötzlich auftauchende Fußgängerübergänge. Sie haben zwar an ein oder zwei Stellen Brücken über den Highway gebaut, aber es gibt davon zu wenige und die Leute bevorzugen es über die Bande zu springen und die Autobahn zu überqueren. Daher empfiehlt sich langsames Fahren, zumindest bis zur Stadtgrenze.
Besonders tückisch sind die Zu- und Abfahrten vom Thika-Highway. Sie sind gänzlich anders konstruiert als unsere heimischen Zufahrten, denn es fehlt die Beschleunigungsspur. Luis hat uns gewarnt, dass es hier jede Menge Unfälle gibt, die er oft bis in seine Werkstatt hinüber hört. Die Chinesen bauen schnell, aber ihre Straßen sind oft nicht ganz durchdacht.
Bei den zahlreichen Police-Checks werden wir seltsamerweise durchgewunken und der Verkehr hält sich in Grenzen, weil am Sonntag weniger LKW unterwegs sind.
Wenn wir schon bei der Sicherheit sind: Am Vortag hat mich noch mein Vater angerufen und gemeint, dass das österr. Außenministerium eine Reisewarnung für Marsabit ausgesprochen habe. Ich kann das nicht ganz glauben und tippe eher darauf, dass eine uralte Meldung einfach nicht gelöscht worden war.
Jedenfalls wollen wir uns noch absichern und rufen bei Henry an, dessen Kontaktdaten wir von Luis in Nairobi bekommen haben.
Er ist Schweizer, hat angeblich 15 Kinder und betreibt ein Camp neben dem Marsabit-Park. Er ist zwar „out“, aber eine nette Frauenstimme beteuert, dass der Weg sicher sei und Marsabit sowieso. Wir müssten auch nicht groß reservieren und könnten einfach vorbeikommen.
Nun stellt sich die Frage, wie relevant das für uns ist. Woher hat das Außenministerium diese Information und wie alt ist sie? Ich beschließe bei Henry anzurufen, um seine Einschätzung direkt vor Ort zu bekommen. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass die Al-Shabab im Niemandsland auf uns wartet und dort oben gibt es enorm viel Gegend und nur ganz wenige Menschen, die meisten davon Hirten vom Volk der Samburu oder Rendile. Die Terroristen brauchen Öffentlichkeit, deswegen haben sie ja auch ein belebtes Einkaufszentrum der Oberschicht attackiert. Außerdem rede ich noch mit Peter Baumgartner, ebenfalls ein Schweizer und ein guter Freund von Luis, der sich dort oben sehr gut auskennt. Er beschwichtigt: dort wäre noch nie ein Tourist zu Schaden gekommen, es sei so friedlich wie immer.
Wir glauben den lokalen Experten und beschließen hinauf zu fahren. Vorher müssen wir aber noch nach Naro Moru und das – wenn möglich – vor der Dunkelheit.
Die Fahrt verläuft unspektakulär und ich erinnere mich wieder an die Route, die ich das letzte Mal vor 9 Jahren gefahren war.
In einem Ort im Hochland überqueren wir eine alte Schmalspur-Bahnstrecke. Sie ist schon seit Jahrzehnten aufgelassen und erinnert daran, dass Ostafrika früher sehr gut durch die Bahn erschlossen war. Heute sind fast alle Linien stillgelegt und alles setzt auf den ständig wachsenden Autoverkehr.

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Bild 6: Buben an einer längst aufgelassenen Bahnstrecke

Der Mount Kenya empfängt uns fast wolkenfrei und in Naro Moru warten sie schon auf uns mit einem üppigen, wenn auch deutlich verspäteten Mittagessen. Wir sind zu Gast auf der Farm der Familie, irgendwo auf einem Grundstück neben einer nicht sehr belebten, staubigen Straße. Aber irgendwie ist es sehr nett hier, wir werden freundlich begrüßt und lernen Heather kennen, die ca. vierjährige Nichte von Judy und Marion. Die Kleine nimmt mich und Thomy sofort an der Hand und beschließt uns nicht mehr loszulassen.
Die Farm ist so wie man sich so eine Farm vorstellt. Hendln rennen herum und fliegen am Abend in einen großen Avocado-Baum, wo jede ihre Schlafstätte hat und in dem sie gegen Raubtiere geschützt sind.

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Bild 7: so wachsen Avocados
Es gibt Fließwasser aus einem Schlauch, der Strom ist aufgrund eines Defekts an der Solaranlage ausgefallen und es gibt eine Handvoll Kühe, etliche Schafe und Ziegen und eine Menge Kinder.

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Bild 8: In Kenya gibt es jede Menge Kinder

Der Tag ist etwas ganz Besonderes, denn wir sind zu Gast bei einer Bauernfamilie am Fuße des Mount Kenia. Als wir ankommen steht bereits ein gutes Essen parat: Hühnchen, ein Gemüseeintopf, Salat, Fladenbrot und ein für diese Gegend typisches Gericht namens „Mukimo“ aus Erdäpfeln, Erbsen und Mais und Spinat, das zu einer Art festem Brei verarbeitet wird. Wir haben es schon am Vortag im Homeland bekommen und es ist eine sehr gute Beilage, die von den Kikuyu auch gerne als Hauptspeise gegessen wird. Man bekommt sie in keinem Touristenlokal, so wie die meisten kenianischen Speisen. Essen die Touristen das nicht, weil sie es nicht bekommen oder bekommen sie es nicht, weil sie es nicht essen? Diese Frage konnte ich noch nicht klären, aber ich finde es sehr schade, weil es gibt exzellente Gemüsesorten, die ich tw. nicht einmal vom Namen kenne. Vor allem die zahlreichen Knollen sind nahrhaft und – richtig zubereitet – einfach köstlich.
Ich glaube, dass hier zwar kein bewusster Keil zwischen die Essenskulturen getrieben wird, aber die Tourismusindustrie tut auch absolut nichts um den breiten Graben zu überwinden. Davon werde ich später noch berichten.
Natürlich schmeckt es anders und tw. auch ungewohnt. Als uns David, der Bruder von Judy am Abend noch einmal Mukimo zubereitet, warnt er uns vor scharfen Knochensplittern. Er hat – wie hier durchaus üblich – einfach Hühnerteile klein gehackt und das darin enthaltene Fett als Basis für die Zubereitung verwendet. So muss man sehr vorsichtig essen, um die Knochensplitter entfernen zu können.

Ich mache den Vorschlag den restlichen Nachmittag zu nützen und die Straße bis zur Grenze des Nationalparks hinauf zu fahren. Ich war seit neun Jahren nicht mehr dort und der Mount Kenya ist einer meiner Lieblingsberge. Wir werden diesmal zwar nicht hinauf gehen, aber zumindest war ich dann dort, mehr oder weniger halt.
Judy und ihre Schwester fahren mit und wir beschließen, nicht zu spät wieder zurück zu fahren, schließlich muss ich noch mein Zelt aufbauen und das funktioniert bei Licht deutlich einfacher.
Die Fahrt ist einfach, ich kenne die Strecke ja recht gut und wir passieren ein paar Dörfer am Weg bergan.
Auch der Mount Kenya National Park gerät inzwischen unter Druck durch die ständig wachsende Bevölkerung, die Acker- und Weideland braucht sowie viel, sehr viel Holz zum Kochen.
Daher treiben die Hirten ihre Herden hoch hinauf in den Bergwald.

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Bild 9: Schafe und Kühe im Bergwald, vor ein paar Jahren noch Dickicht mit Wildtieren

Am folgenden Bild sieht man die Küche unserer Gastgeber – gekocht wird mit Holz und Töpfen, das wäre soweit alles.

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Bild 10: Küche

An der Parkgrenze sehe ich, dass es den alten Hangar für das Rettungsflugzeug zwar noch gibt, Judy erklärt mir jedoch, dass es schon seit vielen Jahren nicht mehr da sei, sondern jetzt auf der anderen Seite des Berges. Das stimmt mich leicht melancholisch, denn ich habe noch das Dia von Gabor vor mir, als wir 1992 an der gleichen Stelle stehen geblieben und den Hangar samt Flugzeug fotografiert haben.

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Bild 11: der leere Flugzeughangar

Es soll nicht das letzte Mal sein, dass ich die Veränderungen von Jahrzehnten leicht schmerzlich zu Gesicht bekomme.
Als wir uns ein wenig die Beine vertreten kommt eine Fuhre Träger von oben – sie sind stets wesentlich schneller als die Touristen und haben wieder eine Tour bewältigt. Ich würde jetzt sehr gerne auf den Berg gehen, auch das Wetter würde passen. Da wir aber weder Ausrüstung noch Zeit mitgebracht und außerdem andere Pläne haben, wende ich mich wieder ab vom Mount Kenia.

Wir fahren wieder hinunter und Judy zeigt uns noch den Betrieb, in dem sie arbeitet. Dort hat ein Amerikaner einen Hochseilgarten gebaut und wir sehen uns das Gelände an. Für eine Übernachtung nahe am Berg wäre das gar nicht übel, es gibt viel Platz um zu campen und auch die notwendige Infrastruktur. Und es ist wie ausgestorben. Judy meint, dass gerade keine Gäste da wären und das stimmt mich nachdenklich.
Wie sieht es aus mit dem Tourismus? Schließlich leben hier sehr viele Menschen davon, ähnlich wie in Österreich.

Die Fahrt zum Grundstück von Judys Eltern ist insofern ein Hallo, als wir von der Hauptstraße, die von der Naro Moru River Lodge zum Parkeingang führt, abzweigen müssen. Das machen Touristen normalerweise nicht und so sind die „Muzungus“ (Weiße) die Attraktion. Es hat sich herumgesprochen, dass wir da sind und wir schauen in viele neugierige, aber freundliche Gesichter.
Luis hat dem Vater seiner Freundin Marion ein Grundstück abgekauft und plant, dort einmal ein Haus zu bauen. Wasser gibt es in Form einer Leitung, die vom Berg kommt. Ansonsten gibt es nichts, zumindest noch nicht. Aber wir können unser Zelt aufschlagen, wobei wir die Aufteilung diesmal so machen, dass Thomy im Auto schläft und ich im Zelt. Der Toyota hat ein Hochdach, in dem theoretisch zwei Personen schlafen können, aber gemütlich ist es nur für eine, zumindest wenn sie so groß ist wie wir.

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Bild 12: Unser Zeltplatz

Leider ist der Toyota ziemlich verbaut. Das Hochdach ist unpraktisch, weil es fix ist und nicht, so wie bei unserem anderen Toyota, ein Hubdach, das man für die Fahrt einklappen kann. Von den Mechanikern von Luis wird der Wagen liebvoll „The Egg“ genannt. Außerdem hat das Hochdach keine Fenster und ist nur mit akrobatischen Verrenkungen zugänglich. Die Dachluke hat eine wackelige Schließkonstruktion und muss während der Fahrt gegen spontanes Aufklappen gesichert werden.
Mit dem Auto fällt man immer und überall auf. Den Toyota gibt es dort wie Sand am Meer, aber nicht mit Hochdach. Wir haben außerdem einen großen Österreich-Aufkleber vorne drauf und das mag einer der Gründe sein, warum wir von Zeit zu Zeit bei einem Police-Check aufgehalten werden. Davon später mehr.

Als es dunkel wird marschieren wir wieder die hundert Meter zum Bauernhaus hinauf. Dort werden all die Kleidungsstücke, die wir mitgebracht haben, vorsortiert. Die Familienmitglieder dürfen sich natürlich ein paar besonders schöne Stücke aussuchen, den Vogel schießt eindeutig der Bruder von Judy ab, der ein weißes Gala-Sakko der Wiener Polizeimusik bekommt – es passt ihm übrigens sehr gut. Alle haben eine Riesenfreude, Judy und ihre Schwester bekommen zwei erstklassige Tagesrucksäcke und auch für die Kinder ist etwas da.
Morgen früh werden die Träger, Führer und Köche zusammengetrommelt, die gerade nicht am Berg sind. Jetzt jedoch ist es Zeit für ein gutes Bier und wir versammeln uns in dem Raum, den man mit etwas Phantasie als Wohnzimmer bezeichnen kann. Er ist auch Esszimmer und es finden sich eine Couch und zwei Sofas plus zwei Tische – ausreichend für uns und die Familie plus noch zwei oder drei Freunde.
Der Abend ist gesellig, wenngleich die Solaranlage einen Defekt hat und wir uns das Licht aus einer brustschwachen, stinkenden Petroleumlampe plus unseren Taschenlampen erzeugen müssen.
Bis spät in den Abend werden Geschichten erzählt – einmal wir, dann wieder sie. Es geht um Politik, Kultur und das Leben ganz allgemein. Das ist auch etwas, das man als normaler Tourist schlicht und einfach niemals erlebt, denn das Zusammentreffen mit den hier lebenden Menschen geschieht nur in streng vorgeplanten Formen: beim Besuch einer Touristen-Manyatta (Lehmhüttendorf der Maasai) oder wenn man mit Servierpersonal oder Zimmermädchen zu tun hat – meist jedoch sind auch das nur sehr kurze Begegnungen.

Wir dürfen ein wenig am echten Leben einer kenianischen Familie teilhaben und das ist interessant und lehrreich. Diese Menschen sind sicher nicht unglücklicher als wir, obwohl sie wesentlich weniger materielle Güter besitzen.

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Bild 13: Bauernhof

Die Familie von Judy ist nicht reich, nicht einmal kenianischer Mittelstand, aber sie leben ein genügsames Leben in einer fruchtbaren Gegend, die sie mit allem versorgt, was lebensnotwendig ist. Und selbstverständlich hat jeder ein Handy, das ist in Kenia mindestens genauso wichtig wie bei uns.
Durch das Mobiltelefon hat sich unglaublich viel verändert. Die meisten Kenianer haben zwar (noch) kein Smartphone, aber das Telefonnetz ist gut ausgebaut und die Tarife sind niedrig. Kenia und auch die anderen afrikanischen Staaten sind bevölkerungsreich und somit interessante Märkte für die großen Mobilfunkfirmen. Es gibt inzwischen eine ganze Menge davon, die bekannteste ist „Safaricom“. Auch wir haben so ein lokales Mobiltelefon und es funktioniert fast überall gut. Nur die Datenübertragung ist da und dort noch nicht möglich oder funktioniert nur temporär.
Die Menschen in Kenia lachen mehr als die in Österreich, so viel ist klar. Offensichtlich kann man auch ohne Flatscreen und Auto glücklich sein, wenngleich sich die meisten Kenianer auch solche Konsumgegenstände wünschen und durchaus der Meinung sind, dass sie dadurch glücklicher werden könnten. Doch auch dort gilt: mehr zu haben als der Nachbar ist das eigentliche Ziel und so können sie mit wesentlich weniger glücklich werden, weil die anderen auch nicht mehr haben.
Werden sie, sofern es dort irgendwann einen ähnlichen Konsumrausch gibt wie bei uns, dadurch wirklich glücklicher? Oder bauen sie dann auch hohe Zäune und Mauern, um den Besitz gegen andere zu sichern? Diese hohen Mauern gibt es jetzt schon überall in Kenia und gefühltermaßen ein Viertel aller Kenianer arbeitet irgendwo als Security, um Besitz – meist von Firmen – gegen die anderen drei Viertel zu schützen.
Ich hoffe nicht, dass die Zukunft dieses wunderschönen Landes so aussieht. Noch ist es nicht zu spät, die Menschen wirken dort noch glücklich, auch wenn sie nicht so viel Dinge besitzen wie wir.

In Kenia muss man den Tagesrhythmus umstellen, sonst erlebt man keine schöne Zeit. Man geht mit der Sonne schlafen und steht mit der Sonne wieder auf. Das muss man zwar nicht so genau nehmen, aber wir sind meist gegen 22 Uhr schlafen gegangen und lange vor dem Morgengrauen aufgewacht. In Wien gehe ich selten vor Mitternacht schlafen, wache dann aber meist auch nicht so früh auf.

Als wir das Farmhaus verlassen, ist es draußen auf einmal eiskalt. Unter Tags hatte es über dreißig Grad, jetzt vielleicht noch zehn. Wir haben nur T-Shirts an und beeilen uns Richtung Schlafsack. Den brauchen wir diese Nacht auch dringend, ich meinerseits habe aus Bequemlichkeit das Überzelt nicht aufgebaut und hoffe, dass es in der Nacht nicht regnet. Dem ist auch so, aber in der Früh ist trotzdem alles nass, weil erheblich Tau gefallen ist. Sobald jedoch die Sonne heraußen ist, trocknet alles blitzschnell und einem frühen Aufbruch sollte nichts im Wege stehen.

Kenia von Nord nach Süd – Tag 2: Die Vorbereitungen

Die erste Nacht schlafe ich meistens schlecht, weil die Klimaumstellung nicht sofort funktioniert. Diesmal war es aber ganz okay und das Frühstück wartete schon. Ich liebe afrikanisches Frühstück, es hat immer einen leichten englischen Kolonialtouch (Tee, Toast) und es gibt frische Früchte.
Leider war über meinem Fruchtsalatteller Joghurt, worauf ich mangels Joghurtleidenschaft diesen wieder zurück schicken musste. Ich hatte es zwar vorher gesagt, aber die Botschaft war nicht bis zur Küche durchgedrungen.
Das stellte die Logistik vor ernsthafte Probleme, denn offensichtlich hatten sie die letzte Banane in meinen Fruchtsalat geschnitten und konnten jetzt keinen neuen mehr zubereiten. Ich hätte ihn auch ohne Bananen genommen, aber das konnte ich der Kellnerin nicht kommunizieren, weil ich es erstens nicht wusste und sie sich zweitens eine halbe Stunde lang nicht blicken ließ. Ich konnte recherchieren, dass sie in der Zwischenzeit irgendwie versuchten eine Banane aufzutreiben. Da Warten für die Afrikaner kein nennenswertes Problem darstellt, war diese Lösung wohl einfacher als mir einfach zu sagen, dass die Bananen aus wären.
Also bekam ich mit Verzögerung meinen Fruchtsalat und war zufrieden. Die Moskitos hatten sich aufgrund der Trockenzeit in der Nacht in Grenzen gehalten und das Auto von Peter stand startbereit da. Also nicht ganz startbereit natürlich, wir mussten noch den Wassertank füllen, was mittels eines im Hof von Chris herumliegenden Schlauches und Thomys Improvisationsgeschick problemlos gelang – immerhin fasst dieser 140 Liter, das dauert eine Zeit.
Die kleine Hürde zuvor (wo sind die verdammten Schlüssel für den Wassertank, am Schlüsselbund sind sie nicht und am zweiten auch nicht) nahmen wir mit Bravour und auch das Gepäck war schnell eingeladen.
Dann ging es um das Carnet, das ist sozusagen das Herzstück des Autos und das wichtigste Dokument für die Fahrt. Es wird in Österreich von der Hilfsbehörde ÖAMTC ausgestellt und besteht aus einer Unzahl von Blättern, von denen bei einem Grenzübertritt jeweils eines herausgerissen wird. So kann man etwa quer durch Afrika fahren, was mein Bruder vor nicht langer Zeit auch getan hat (Nairobi-Kapstadt und retour). Mindestens einmal im Jahr muss man aber eine Grenze überschreiten und außerdem gilt ein Carnet nur für ein Jahr. Also brachte ich ein neues mit, das von Chris abgestempelt wurde. Das Besondere ist die Erlaubnis, die Chris für diesen hochoffiziellen Akt hat und das macht ihn und seine Jungle-Junction auch so wertvoll für die Overlander und für uns.
Nachdem der eben frisch reparierte Kühlschrank bezahlt war, konnten wir aufbrechen. Den ersten Teil des Weges fuhr Frank mit uns, ein in Kenia lebender Deutscher, der in Nairobi mit dem Motorrad unterwegs war und es gerade bei Chris zur Reparatur abgeliefert hatte: eine BWM R 80 GS, eines der alten, robusten Modelle. Frank selbst sah auch etwas alt aus, allerdings nicht mehr sehr robust. Wahrscheinlich frönte er wie die meisten dort lebenden Europäer ein heimlich dem Alkohol. Oder unheimlich, wer weiß.

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Bild 2: Hof von Chris mit Frank und Motorrad

Von Chris hatte ich beim morgendlichen Tratsch noch eine für mich ganz besonders wichtige Information erhalten. Wir hatten nämlich geplant nach der Charity-Geschichte am Mount Kenia gleich dort oben zu bleiben und weiter in den Norden zu fahren, eventuell in den Samburu-Nationalpark.
Plötzlich tauchte die Idee mit Marsabit auf. Das ist für mich seit über zwanzig Jahren ein fast mystischer Name und eines der wenigen größeren Ziele, die ich mir noch nicht erfüllen konnte. Christ meinte, von Isiolo wäre fast alles bis Marsabit asphaltiert. Das war mir neu, sehr neu sogar und ich spürte sofort das Kribbeln des Abenteuers. Bisher war das eine sehr beschwerliche Reise auf einer schlechten Straße, fast so schwierig wie hinauf auf den Turkana-See.
Marsabit ist ein Nationalpark und besteht aus ein paar Vulkanen mit Kraterseen und Nebelwald. Von dort stammt Ahmed, der größte jemals gesichtete Elefant in Kenia. Er wurde nach seinem Tod ausgestopft und steht seitdem im Museum in Nairobi.
Dort wollte ich immer schon hin, und jetzt gab es die Chance dazu. Thomy war nicht ganz so erfreut, denn er ahnte, dass das mit einer langen Fahrt verbunden sein würde. Wir hatten diesmal geplant nicht viele Kilometer zu fressen, weil wir das seit den letzten beiden Afrika-Touren satt hatten und eigentlich den Ball flach halten wollten. Dazu kam noch die Aussicht auf die gar nicht lustige Überstellung des Toyota nach Mombasa, die auch wieder viel Fahrerei bedeuten würde.
Aber ich war Feuer und Flamme und wollte dorthin. „Asphalt bis fast nach Marsabit“ war eine tolle Nachricht, von der wir allerdings nicht wussten, ob sie so auch stimmte. Chris lebt schon seit vielen Jahren in Afrika und die Straßenangaben von Afrikanern entsprechen nicht immer dem, was wir uns darunter vorstellen.
Jetzt aber machten wir uns auf den Weg nach Lake View, denn es gab heute viel zu tun. Die Fahrtstrecke hatte ich mir in Wien schon herausgesucht und ausgedruckt, denn wir mussten Nairobi im Westen umfahren bzw. in den westlichen Teilen durchfahren, wegen des unmöglichen Verkehrs im Zentrum.
Bis zur Ngong-Road ging das auch sehr flüssig, doch dann wurde der Verkehr immer dichter und irgendwann hatten wir dann genau den Stau, den wir vermeiden wollten. Andererseits waren wir noch ganz gut in der Zeit und es ging immer wieder was weiter. Nach dem Dagoretti-Corner konnten wir auf kleine Straßen ausweichen und schlängelten uns bis nach Westlands durch. Unsere erste Adresse war Luis, bei dem wir unser Gepäck zwischenlagern und auch die nächste Nacht verbringen konnten.
Ich war noch nie vorher bei ihm und die Adresse war nicht ganz einfach zu finden, schließlich schnappte ich mir das Handy und rief ihn an. So konnte ich erfahren, dass wir ohnehin gerade vor seinem Tor standen. Er bewohnt ein kleines Haus auf einem Herrschaftsgrundstück, das einer 83jährigen Lady gehört, der schon vor langer Zeit der Mann gestorben war.

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Bild 3: Haus von Luis

So wohnt sie jetzt in einem riesigen Haus mit mehreren Angestellten und in einem der Nebengebäude wohnt Luis mit seiner Freundin Marion. Sie ist eine Kikuyu und stammt aus Naro Moru, dem Ort am Fuß des Mount Kenia, zu dem wir am nächsten Tag fahren wollten.
Ihre Schwester Judy ist Bergführerin und unsere Schnittstelle für die Charity-Aktion, die ich kurz erläutern möchte.

Wärme für die Menschen am Ende der Welt

Im Februar 2012 machten Thomy und ich eine Trekking-Tour durch die Mondberge in der Grenzregion Uganda – Kongo. Das Gebirge heißt auch Ruwenzori und das wiederum heißt „Regenmacher“ und ist bezeichnend für das Klima. Die Touren dauern mindestens sechs Tage und man braucht einen Menge Träger, Führer und Köche. Der Generalveranstalter ist das Ruwenzori Mountaineering Service (RWS). Es ist zuständig für die Erhaltung der Wege und Hütten und es engagiert auch die vielen lokalen Hilfskräfte, die man für so eine Expedition braucht.
Nun ist das RWS gewinnorientiert und hat daher wenig Interesse an teuren Investitionen. Am besten sparen kann man an den Hilfskräften, also bei Trägern, Köchen und Führern. Diese bekommen keine eigene Ausrüstung und müssen sich diese beim RWS mieten. Das können sie sich bei dem Hungerlohn, den sie sie bekommen, aber nicht leisten und daher frieren sie.
Der Ruwenzori ist einer von drei Orten in Afrika (neben Mount Kenia und Kilimandscharo), an dem es Gletscher gibt. Wir reden hier vom Hochgebirge über 5.000 Metern. Die Hilfskräfte müssen bis ca. 4.800 Meter hinauf und dort herrschen immer Temperaturen um den Gefrierpunkt oder auch deutlich darunter.
Wer da keine warme und gute Ausrüstung hat, ist eine arme Sau. Und die haben bis auf wenige Ausnahmen alle keine gute Ausrüstung, vor allem keine warmen Jacken und keine Schlafsäcke.
Die Touristen schlafen in Hütten, die Hilfskräfte machen sich unter einem Felsvorsprung ein Feuer und kauern sich die ganze Nacht lang davor, manchmal gibt es auch alte Schaumgummimatratzen und hin und wieder Blechhütten, in denen es aber mangels Feuer noch kälter ist.
Ich habe einige Träger gesehen, die hatten überhaupt nur mehrere T-Shirts übereinander und froren erbärmlich.
Die Lösung für dieses Problem wäre einfach: Das RWS müsste nur im Vorfeld der Buchungen eine kurze Nachricht an die Bergtouristen schicken, dass jede(r) ein einziges warmes Kleidungsstück mitnimmt. Wir haben davon alle jede Menge daheim, meist in hervorragendem Zustand, weil wir uns längst was Neues gekauft und das alte in den Keller getragen haben.
Dem RWS ist das egal, die tun einfach nichts. Daher haben wir am Ende unserer Tour möglichst viel Gewand hergeschenkt und beschlossen, in Österreich eine Sammelaktion zu starten.
Es gibt eine entsprechende Facebook-Gruppe mit über 370 Mitgliedern und im Jahr 2012 konnte ich über 120 kg warme Kleidung und Schlafsäcke sammeln. Dann verpackte ich das alles in eine riesige Holzkiste, in der ein Freund einen alten Roller aus Asien geschickt bekam.
Leider funktionierte der Transport nicht, mein Kontakt zur österr. Post konnte leider nicht helfen, die Post bringt zwar allen was, nicht aber den armen Leuten am Ende der Welt. Nach fast 9 Monaten warten bekam ich die Nachricht, dass man leider nicht helfen könne.
Mit einer Spedition konnte ich die Kiste auch nicht schicken, denn die Kosten hätten den Wert der Kleidung deutlich überschritten und außerdem hätte ich sie nie und nimmer aus dem Zoll bekommen.
Also beschloss ich beim nächsten Afrika-Urlaub die Sachen selbst in Seesäcken mitzunehmen, in den Toyota zu laden und eigenhändig nach Uganda zu bringen. Die Grenzformalitäten würde ich mit meiner Erfahrung locker packen und die lange Fahrt dorthin hatte ich ja schon einmal gemacht.
Leider spielten bestimmte Faktoren nicht mit und ich konnte weder im Februar 2013 noch 2014 nach Afrika fliegen. Allerdings konnte mein Bruder mit seinem Freund Markus etwa die Hälfte der Sachen schon nach Kenia bringen, weil sie viel Freigepäck hatten.

Dann änderte sich die Situation noch einmal gewaltig: Ich verlor den Kontakt nach Uganda, irgendwann kam auf meine Mails keine Antwort mehr und ich ahnte, dass ich die Sachen wohl nicht ans Ende der Welt würde bringen können.
War das das Ende der ganzen Aktion? War die viele Arbeit umsonst? Genau zu diesem Zeitpunkt (Herbst 2014) erfuhr ich von meinem Vater von Marion und Judy. Das eröffnete ganz neue Perspektiven, denn auch am Mount Kenia gibt es ein ähnliches Problem für die vielen Träger und Führer, wenngleich diese etwas besser ausgestattet sind als die Kollegen in Uganda.
Also fassten wir den Plan: mein Vater würde im Dezember 2014 das schon in Kenia befindliche Gewand nach Naro Moru bringen und dort an die Träger, Führer und Köche verschenken, die Judy informieren und zusammentrommeln könnte.
Im Februar würden dann Thomy und ich den Rest mitnehmen und ebenfalls nach Naro Moru fahren, um alles zu verteilen.
So könnte alles noch ein gutes Ende nehmen.

Erwähnenswert sind noch die Schattenseiten dieser Aktion. Durch die massive Überproduktion von Kleidung für die westliche Konsumgesellschaft besitzen die meisten Menschen bei uns wesentlich mehr als sie je verwenden können. Dazu drängt die Industrie darauf ständig neue Teile zu verkaufen und ist durch den damit verbundenen Modeschmäh („Iiiih, das ist ja vom letzten Jahr, wie kannst du diese Farbe HEUER tragen, schäm dich…“) auch sehr erfolgreich.
Daher landen die alten Sachen entweder im Müll und werden verbrannt oder sie lagern in diversen Kellern, Abstellräumen etc. Fast immer sind die Kleidungsstücke neuwertig oder in sehr gutem Zustand. Vieles davon ist auch in recht guter Qualität gefertigt, wenngleich das in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat, an dieser Stelle ein Dankeschön an die geplante Obsoleszenz, die übrigens mit der Erfindung der Nylonsstrümpfe gleich miterfunden wurde.
Diese Unmengen an Kleidung werden nun zu einem Teil über Hilfsaktionen nach Afrika gebracht und ruinieren dort die ansässige Textilindustrie. Gar nicht wenige Unternehmen in Kenia und Tansania sind schon pleite gegangen, weil sie sich gegen den Preisdruck der Gratiskleidung nicht wehren konnten. Manche Hilfsorganisationen verlangen zwar etwas für die Second-Hand-Ware, aber die AfrikanerInnen haben längst entdeckt, dass die gebrauchte und billige Ware aus Europa und USA teilweise von besserer Qualität ist als die im Land erzeugte.
Ich selbst habe noch einige „Tinga Tinga T-Shirts“ aus der Zeit guter Qualität, da gibt es nicths daran auszusetzen. Wenn aber die afrikanischen Firmen sich dem Preisdruck stellen müssen, so sind sie gezwungen mit der Qualität runter zu gehen und dann können sie erst recht nicht mit der Konkurrenz mithalten.
Unsere Aktion streift diese Problematik nur am Rand, da es wirklich warme Kleidung in Afrika nicht gibt, und zwar mangels niedriger Temperaturen, die gibt es hier nur ganz selten.

Also packten wir unsere Sachen aus und fuhren dann zu unserem Haus in Lake View. Dort empfing uns Helge, ein Deutscher, der das Haus meines Vaters gemietet hat, da dieser nur ca. 4 Monate im Jahr dort verbringt und es den Rest der Zeit nicht nützt.
Wir packten das noch fehlende Camping-Equipment in den Toyota und ich holte mein in Nairobi in zwei Kisten lagerndes Gewand und sonst noch einige Dinge, die man für zwei Wochen Safari braucht.
Danach fuhren wir wieder zu Luis, der nur sieben Minuten entfernt wohnt und dann mit ihm gemeinsam zu seiner Werkstatt und anschließend ins „Homeland“. Das ist ein Lokal am Thika-Highway, das mir bisher gänzlich unbekannt war. Dort kommen fast nur Einheimische hin und man kann günstig und gut kenianisch essen. Das bekommt man in keinem einzigen Touristen-Lokal, selbst wenn man es will.

Der neue Konsum

Am Nachmittag fuhren wir in den Village-Market um für die Safari einzukaufen. Das ist ein riesiges Einkaufszentrum, wie sie in Nairobi in den letzten 25 Jahren in größerer Zahl entstanden sind. Im nobelsten davon gab es vor nicht allzu langer Zeit den Terroranschlag der Al-Shabab, einer Art Ableger der Al-Kaida oder der Taliban oder des IS oder von allen zusammen.
Im Einkaufszentrum am Parkplatz sahen wir dann eine staunende Menge, die einen giftgrünen Lamborghini Aventador bewunderte. Dieser Supersportwagen passt nach Nairobi wie Mangos auf den Nordpol und ist nur auf wenigen Strecken überhaupt fahrbar, da er mangels Bodenfreiheit weder Bumps noch Schlaglöcher aushält. Das Ding kostet deutlich über 300.000 Euro und hatte ein Kennzeichen aus dem Kongo. Nur ein Schelm würde hier Blutdiamanten oder andere Sauereien vermuten.
Die Schere zwischen arm und reich ist hier noch wesentlich größer als bei uns. In Nairobi fahren die Porsches neben den Lastkarren, die mangels Zugtieren von den Menschen selbst gezogen werden – oft mitten auf der Straße, weil es im Straßengraben daneben schlicht und einfach nicht möglich ist.
Bei der Einfahrt in den streng bewachten Parkplatz des Village Market wurden wir durchleuchtet, das Auto wurde an der Unterseite mit Spiegeln untersucht und wir mussten ähnliche Kontrollen über uns ergehen lassen wie am Flughafen.
Das war vor dem Anschlag allerdings auch schon und hat nichts genützt. Wenn dreißig Wahnsinnige mit Maschinenpistolen kommen, laufen auch die Security-Leute weg oder werden erschossen.
Der Nakumatt-Supermarkt ist etwa mit dem Interspar vergleichbar und führt fast alles, was wir brauchten, auch wenn ich die mühsam erstellte Einkaufsliste bei Luis liegen gelassen hatte.
Leider kann man die Verschlechterung der Qualität vor allem bei den Lebensmitteln gut beobachten. Ein Beispiel ist das Fleisch, das bis vor einiger Zeit stets gute Qualität hatte. Jetzt schrumpft es plötzlich beim Braten auf die Hälfte zusammen. Bisher war das nicht der Fall und somit ist klar, dass auch in Kenia die europäisch-amerikanischen Tierfabriken am Vormarsch sind.
Das Gemüse ist wie immer, nur konnte ich beobachten, dass es jetzt auf einmal mehrere Sorten Äpfel gibt. Dazu muss man wissen, dass Äpfel kein afrikanisches Obst sind. Damit sie dort wachsen, muss man 1x im Jahr den Bäumen händisch die Blätter abzupfen, damit sie einen Winter vorgegaukelt bekommen. Ich finde das unnötig, es gibt dort so viel hervorragendes einheimisches Obst und die paar Europäer, die unbedingt Äpfel wollen, sollen diese als Importware bekommen.
Leider betrifft die Veränderung auch das Bier. Bisher gab es vor allem Flaschenbier, jetzt sind die Dosen am Vormarsch. Damit die KonsumentInnen umstellen, werden die Pfandflaschen ab sofort nicht mehr zurück genommen. So einfach geht das und schon ist alles wieder voller Aluminium: umweltschädlich, teuer, weil energieaufwändig in der Herstellung und die Recyclingquote beträgt null Prozent. Da es in Kenia so etwas wie eine grüne Umweltbewegung nicht gibt, haben die internationalen Konzerne samt ihrer Profitgier freie Hand.
Es gibt in Kenia und besonders in Nairobi eine wachsende Schicht reicher Kenianer, die ungebremst und unhinterfragt die Konsumgier des Westens übernehmen. Die bis vor einiger Zeit wirtschaftlich dominierenden Inder sind etwas in den Hintergrund geraten, dafür werden jetzt in der Phase steigenden afrikanischen Selbstbewusstseins die Weißen, speziell die Europäer und Amerikaner attackiert. Es ist derzeit sogar von Landenteignung die Rede, wenngleich ich nicht weiß, ob das ernst gemeint ist.
Daher sind die Einkaufszentren voll mit kauflustigen Kenianern, die auch das Geld dazu besitzen. Das wiederum fördert den Ausbau der großen Handelsketten, ein relativ neuer Player am Markt ist „Tuskys“. Selbst in der bis vor einiger Zeit noch verträumten Maasai-Stadt Narok hat man ein riesiges Einkaufszentrum aus dem Boden gestampft. Die Stadt ist nicht wiederzuerkennen und hier sieht man gut, dass sich die Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten verdoppelt hat.
Zugleich geht die Schere von Arm und Reich weiter auseinander, denn der immer noch sehr schmalen Oberschicht steht eine riesige bettelarme Unterschicht gegenüber, die allerdings ausschließlich davon träumt irgendwann einen Aufstieg zu machen. Daher hat sich auch eine bewundernde Menschenmenge rund um den teuren Sportwagen versammelt.

Unser Einkauf ist auch nicht billig, etwa 20.000 Kenia-Schilling legen wir für Essen und ein paar Safari-Kleinigkeiten hin. Das sollte für einige Tage reichen.

Zurück bei Luis packen wir die Kisten für die morgige Abfahrt. Judy wird uns begleiten und gemeinsam werden wir nach Naro Moru fahren, wo ihre Familie lebt. Sie sind Kikuyu-Bauern und wie die meisten Familien mit einer zahlreichen Kinderschar gesegnet.

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Bild 4: Packlogistik

Gemeinsam mit Luis checken wir den Toyota für die lange Reise. Der linke Türschloss-Schnapper funktioniert nicht und Luis zerlegt die Seitenverkleidung, um den Fehler zu finden. Bis auch ein paar Kleinigkeiten ist das Auto jedoch in sehr gutem Zustand und fahrbereit. Wir haben die harten, aber widerstandsfähigen Reifen vom Toyota meines Vaters montiert und unser Equipment ist vollständig – bis auf die tolle Camping-Lampe, die Thomy in Wien vergessen hat, was ihn seitdem ständig wurmt. Irgendwann ist das Auto dann voll – eigentlich brauchen wir zu zweit nur wenig Gepäck, aber erstens tendiert ein großes Auto mehr Gepäck aufzunehmen als ein kleines und zweitens haben wir ja mehrere Seesäcke mit dem Charity-Gewand mit.

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Bild 5: voller Toyota

Nach der Reparatur des Türschlosses sind wir fertig und auch hungrig. Also beschließen wir noch nach Westlands ins „Gipsys“ zu fahren und eine Kleinigkeit zu essen. Die gute Dusche davor beschränkt sich auf ein kalt-heißes Tröpferlbad, denn auch Luis ist auf die Elektrodusche umgestiegen, allerdings ist sein Fabrikat noch ein wenig bescheidener. Nur durch das schnelle Wechseln zwischen heiß und kalt kann man eine Art unechten Durchschnitt erzeugen, was das Duscherlebnis merklich einschränkt.

Im Gipsys ist die Musik viel zu laut, überall hängen Flachbildschirme, auf denen englische Fußballspiele gezeigt werden. Wir entscheiden uns für Cheeseburger und bekommen durchaus erwähnenswertes Essen mit guter Qualität. Judy und ihre Schwester Marion tauchen auch noch auf und Thomy bestellt sein erstes Gin Tonic und sicherheitshalber auch gleich sein zweites, aber bei weitem nicht letztes in diesem Urlaub.
Da uns die Müdigkeit bald einholt fahren wir zurück zu Luis und beenden diesen doch recht anstrengenden Tag. Als kleiner Abschluss fällt noch die Armaturenbrettbeleuchtung des Toyota aus, kann aber mittels neuer Sicherung repariert werden.

Buben in Dublin – ein Reisebericht

Donnerstag, 28. August 2014

Es braucht nicht viel Gepäck für so ein Wochenende: Jeans, Sweater, feste Schuhe, eine Regenjacke und einen Kulturbeutel – mit wenig Inhalt, nicht einmal Rasierzeug nehme ich mit. Das alles passt in den famosen englischen Hedgren-Rucksack, einer der besten Käufe meines Lebens und stets handgepäcktauglich.
Laut ÖAMTC-Website gibt es diesen kleinen Zweirad-Parkplatz noch, den ich vor Jahren am Flughafen entdeckt habe und bei dem es sich immer noch um einen Geheimtipp handeln dürfte. Er befindet sich gleich neben der Abflughalle, ist unbewacht, überdacht und kostenlos.

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Mit dem Motorroller fällt jedes Staurisiko weg, ich gebe den Helm, die Handschuhe, den Nierengurt und die Protektorenjacke ins Topcase, nehme meinen Rucksack und marschiere zum Abflug, wo ich die Buben treffe: Rupert, Knochi, die Steiner-Brothers, Schnick, Roschl, Killer, Andi C., Gösser, Stefan, Fifi, Wiesi, Martin, Thomas F. und Andi H. – einige haben sich bereits mit einem Aufwärmbier die Wartezeit verkürzt.
Air Lingus fliegt in 2,5 Stunden direkt nach Dublin, dem Gösser haben sie sein Roll-On und sein Duschgel bei der Sicherheitsschleuse abgenommen, sonst ist alles im grünen Bereich. Bei Air Lingus muss man für jedes Gepäckstück zahlen (saftige Euro 63,-), wir haben aber alle nur Handgepäck und da zeigen sie sich einigermaßen großzügig, entsprechend eng geht es in den Overhead-Bins zu.
Im Flugzeug können wir es irgendwie nicht lassen etwas zu laut und etwas zu auffällig zu sein, etwa wenn wir Andi H. mit tosendem Applaus begrüßen, als er das Flugzeug betritt. Der Pilot schafft es dann jedoch tadellos den Kurs zu halten, obwohl Andi H. Fifi und Wiesi alle rechts sitzen und wir demgemäß eigentlich in Dubai landen müssten und nicht in Dublin.
Andi H. kauft sich noch am Flughafen einen Football-Sweater, den er dann auch braucht, weil er beim Anprobieren (oder davor oder danach) seinen eigenen ließen lässt und erst im Taxi drauf kommt.
Das Taxi ist bei geteilter Rechnung billiger als der Bus und wir landen gut im Ripley Court Hotel. Das stellt sich als alter, unglaublich düsterer Kasten heraus, dem ich trotzdem eine Empfehlung geben möchte, schließlich habe ich nichts anderes erwartet und es hat uns eigentlich an nichts gefehlt.

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Wir zahlen 70,- Euro pro Nacht im Dreibettzimmer, was zu der spannenden Frage führt, wer schnarcht und wer nicht. Ich erwische mit Gösser und Killer zwei Gelegenheitsschnarcher, die nur in bestimmten Schlafpositionen so richtig loslegen, wobei sich auch der Alkoholisierungsgrad als Einflussfaktor erweist.
Kurz gesagt, bis auf ein kleines Wäldchen wurde nichts gesägt.

Damit sind wir auch schon beim eigentlichen Sinn der Reise, denn es handelt sich um ein echtes Buben-Wochenende, an dem beruflich und privat vielbeschäftigte Familienväter in den besten Mannesjahren einmal im Jahr unbeaufsichtigt Schabernack treiben dürfen. Die Grenzen stecken die Iren, wir selbst und eine gewisse moralische Lässigkeit, am Rande flankiert von Budget und Alterserscheinungen – mehr dazu später.
Ich darf noch erwähnen, dass ich das erste Mal auf der grünen Insel bin und entsprechend voller Erwartungen und Klischees, sie sich so ziemlich alle als Volltreffer erweisen.
Da wäre etwa die skurril-britische Zimmereinrichtung mit Bügelbrett und Mini-Teebar – beides ließen wir unbenutzt. Die unpassenden Stecker (Irland-Profi Killer hat einen Adapter mit) passen zur unsäglichen Erfindung getrennter Wasserhähne und der Duschkopf ist fix an der Wand befestigt und höhenmäßig eher für Zwerge konzipiert, was für mich eine stets devote Duschhaltung bedeutet.

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Auf den Betten liegen jeden Tag auf´s Neue seltsame rote Stoffbahnen und Zierkissen und die Fenster kann man nur kippen und auch da nur die Hälfte.
Überall befindet sich watteweicher Teppichboden und der Iren liebste Chemikalie dürfte Chlor sein, auf jeden Fall riecht es im ganzen Hotel immer nach Jörgerbad.

Wir treffen uns nach dem Einchecken, um irgendwas gegen den Hunger zu tun – die Air Lingus Snacks waren mies und teuer – und marschieren zum Pub gegenüber und auch gleich wieder hinaus, weil uns Markus mit den Worten „do brunzelts“ davon überzeugt eine andere Lokalwahl zu treffen.
An dieser Stelle sind ein paar Worte zur Gruppendynamik fällig. Wir sind jetzt eben 8 Leute, die alle die Straße hinunterschlendern. Die anderen kommen nach oder gehen woanders hin, wobei 2 gerade in ein Geschäft hinein gehen und von den restlichen 6 nur mehr 4 zu sehen sind, von denen 2 eher nach links tendieren und die anderen zwei geradeaus gehen wollen oder vielleicht auch nach links. Oder nach rechts.

walk

Kurz und gut, nach wenigen Augenblicken hat man sich aus den Augen verloren. Wenn man sich nicht immer an Andi (deutlich über zwei Meter groß) anhängt, ist man sofort allein. Da hilft die Erfindung des Handys, denn sonst läuft man den anderen nur per Zufall über den Weg (das hat bei mir zwei Mal geklappt, ich hatte mein Handy nämlich ausgeschaltet) oder das ganze Wochenende gar nicht.
Jedenfalls landen wir an einer Ecke im O´Sheas, einem Hotel mit Restaurant und Bar, das aussieht wie ein Pub und sich auch so anfühlt. In einem Hinterzimmer ergattern wir einen Tisch für uns 9. Eigentlich sollte man Servierpersonal ja nur nach eingehender Spezialschulung auf uns loslassen, die kleine Irin ist jedoch recht robust und hält uns aus, vor allem, weil sie noch nicht weiß, dass wir die nächsten Tage noch öfter hier antanzen werden, allerdings nie mehr in Vollbesetzung.
Ich lerne schnell, dass Getränke in Dublin teuer sind und sich gut auf Guinness (Bier), Bulmers (Cider) und Jameson (Whiskey) zusammenfassen lassen. Als Unterlage eignet sich so ziemlich alles, was man hier zu essen bekommt, weil die notwendige Fettration überall reichlich enthalten ist.
Ich will es klassisch und entscheide mich für Fish & Chips, was sich als gute Wahl herausstellt.

fishandchips

Auch die restlichen 5 sind inzwischen eingetroffen und unterziehen den Guinness-Zapfhahn einem ersten Stresstest, den dieser jedoch ohne Punkteabzüge besteht.
Nach dem Essen geht es weiter Richtung Stadtzentrum, wobei sich hier alles in Gehdistanz abspielt – zumindest die für uns wichtigen Orte wie Hotel, Stadion und Temple Bar District. Letzterer ist ein Stadtviertel, in dem sich sozusagen alles abspielt, vergleichbar mit dem früheren Bermuda-Dreieck in Wien, der Khaosan-Road in Bangkok oder der Bahnhofstraße in Zürich.
Dublin sieht großteils so aus, wie ich es mir vorgestellt habe: Backsteingebäude, an jedem Eck ein Pub oder auch vier, rothaarige Menschen mit Irland-Teint (dauerregen-bleich) und Autobusse, Autobusse, überall Autobusse, die meisten davon doppelstöckig. Der Lokal-Mix ist bunt, die Pubs sind absolut vorherrschend und wirken von außen meist recht einladend und gemütlich. Dicht auf den Fersen sind ihnen die Pizza-Fastfood-Läden, die meist von Pakistanis betrieben werden und meist auch Burger, Kebab oder Fish & Chips anbieten.
China-Restaurants sowie die großen amerikanischen Burger-Ketten runden das Bild ab, wobei nicht nur McDonalds architektonisch heraussticht, weil sich die Filialen erstaunlich gut an das Stadtbild anpassen – bis auf einen Schriftzug ist meist gar kein CD zu erkennen, übrigens auch nicht bei Starbucks, von denen es ebenfalls jede Menge gibt.

mcdonalds

Die Preise sind etwas höher als bei uns, wobei wir an einem ganz besonderen Wochenende hier sind, es spielen nämlich am Samstag die Penn State Lions gegen die UCF Knights – zwei US-Collegeteams, die mit Sack und Pack angereist sind und einmal im Jahr ein Meisterschaftsspiel in Irland austragen. Deswegen ist Dublin mit Amis quasi abgefüllt und bemüht sich sehr diese Amis wiederum mit Guinness abzufüllen – die Stadt hat ca. 200.000 Einwohner und es sind etwa 40.000 Amis da. Zum Spiel kamen übrigens 53.000 Zuseher.
Die Amis sind überall auf der Welt leicht zu erkennen, diesmal besonders gut durch die Fan-Kluft, die sie fast alle tragen.
Ein Pint Bulmers Cider kostet in der Temple-Bar im Herzen des gleichnamigen Districts 6,85- Euro. Das Guinness ist ein wenig günstiger und am Stadtrand schon um 4,50 zu haben.

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Wir finden in der Temple-Bar einen erstklassigen Platz im überdachten Freien, was vor allem die Raucher freut. Generell herrscht hier schon seit vielen Jahren in allen Lokalen Rauchverbot, was aber niemand wirklich zu stören scheint und der Gemütlichkeit keinerlei Abbruch tut. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier und bei uns wird auch in ein paar Jahren kein Hahn mehr danach krähen.
Extrem auffällig ist auch die hohe Dichte an SPAR-Märkten. Ich schätze, der dänische Konzern hat irgendwann eine große lokale Supermarktkette übernommen. Die Supermärkte haben oft bis Mitternacht offen und dafür auch eine „special license“, was sehr praktisch ist, wenn man am Heimweg noch eine Wasserflasche gegen den morgendlichen Brand kaufen möchte, das Leitungswasser ist doch recht chloriert.
Die Temple-Bar ist riesig, es gibt Live-Musik, an diesem Wochenende allerdings leider nicht irisch, sondern amerikanisch – an jeder Ecke kannst Du dich an „Brown Eyed Girl“ tothören.

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Wir können uns gute Plätze und die Aufmerksamkeit des Servierpersonals besorgen. Andi bestellt um 14 Euro ein Sixpack Austern und erntet Hohn und Spott, weil es in der Karte um 12 Euro ebenfalls ein Sixpack Austern plus ein Pint Guinness gibt – so ganz ist die Preisgestaltung hier nicht zu durchschauen.
Eines wurde mir übrigens schnell klar: Half-Pint geht gar nicht, denn das bedeutet ersten erheblichen Reputationsverlust in der zunehmend lauter gröhlenden Runde („Jo wos is´n des?“) und zweitens kostet es unerheblich weniger als das doppelt so große Pint, das hier übrigens immer und überall sehr gut eingeschenkt wird, randvoll quasi.
Gerade recht kommt uns jetzt auch das nette Angebot eines Bloody-Mary-Oyster-Shots, die sie hier wohlfeil um 12 Euro im Sixpack anbieten, inklusive Zitrone und Tabasco. Nach drei bis vier Runden ist jedoch bei allen eine gewisse Sättigung mit den kleinen Schleimbatzen zu erkennen und es wird ordentlich nachgespült, meist mit einem Guinness oder zwei.

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Flotter als das Bier macht nur der Schmäh die Runde, vor allem als wir noch die Herren Sascha, Sladi, Peter und Blockmalz-Harry begrüßen dürfen, die mit einer anderen Fluglinie und daher anderem Zeitplan nach Dublin gekommen sind – es warat wegen dem Ausschlafen am Sonntag, wie sie meinen.
Heute gehört die Hütte uns, so viel ist schnell klar, wenngleich wir später noch einen Wechsel ins Quays gegenüber machen, weil auch dort ordentlich was los ist und gepflegtes Bier ausgeschenkt wird.
Fifi beschließt uns in dem überfüllten Lokal etwas Platz zu verschaffen und stellt einen ab. Dieser ist so gewaltig, dass nicht nur rundherum plötzlich alles frei ist, sondern auch eine unmissverständliche Mitteilung vom Kellner an ihn ergeht, dass bei einer Wiederholung der Untat ein sofortiger Hinauswurf bevorstünde.
Vor der Türe ist es übrigens auch nicht gerade menschenleer, wenngleich hier immer wieder zarte Schauer hernieder gehen. Mit Bierglas darf man übrigens nicht hinaus, die Türsteher haben allerdings stets einen Plastikbecher zum Umfüllen bei der Hand.
Das Wetter ist übrigens das ganze Wochenende irisch, d.h. es wechseln sich Sonne und Regen im Stundentakt ab. Alles in allem bleiben wir jedoch äußerlich weitgehend trocken.
Irgendwann gegen 23 Uhr beschließen Gösser und ich ins Hotel zu gehen, unterbrochen nur durch die eine oder andere Heißhungerattacke, die ihn immer dann befällt, wenn wir an einem der noch offenen Fastfood-Läden vorbei gehen. Das führt dazu, dass er sich letscherte Hot Dogs und kalte Pizza („bevor die mir das in die Mikrowelle hauen, ess ich es lieber so“) einwirft und noch bis Samstag eine Art Klumpen im Magen mit sich herum schleppt.

Freitag, 29. August

Die Gruppendynamik bleibt spannend, weil trotz äußerst verschiedener Hotelrückkunftszeiten irgendwie alle rechtzeitig zum Frühstück erscheinen, wenn auch in sehr unterschiedlicher Verfassung.
Das English Breakfast heißt hier Irish Breakfast und ist genau das gleiche. Fifi magaziniert mit einem Teller Baked Beans mit Tomatensauce für den heutigen Tag auf, alle anderen genehmigen sich die übliche leichte Kost: Ham & Eggs, gebratene Würstel und „Black Pudding“ – so heißt hier die Blutwurst. Toast, Tee und ein unbestimmbares Getränk, das offiziell als „Kaffee“ angeboten wird, runden das nicht ganz fettfreie Frühstück ab, wohlfeil um 5 Euro und vom Wiesi auch nach dem dritten Teller für erledigt erklärt. („Jetzt geh i schlofn“.)

Jetzt zeichnet sich wieder eine Aufsplittung der Gruppe ab: Gösser möchte eine Landpartie zu den Klippen einer nicht weit entfernten Insel machen, Killer will zur Jameson Destillerie, einige bevorzugen eine Stadtrundfahrt und andere wissen nicht, was sie wollen. Die Vorerfahrungen könnten unterschiedlicher nicht sein, vom Dublin-Profi Knochi und Markus bis zum blutigen Anfänger (ich).
Letztlich wählen wir die Hop-on-hop-off-Tour, für die es zwei Anbieter gibt. Wir entscheiden uns für die grüne Tour, weil da im Preis auch eine Dock-Tour inkludiert ist. Bei der Guinness-Brauerei sowie bei der Jameson-Destillery halten alle, daher fällt die Wahl letztlich leicht und auch der Killer ist zufrieden, zumindest bis zu dem Zeitpunkt des Einsteigens in den Bus, als er entdeckt, dass er die Fahrkarte (17 Euro) nicht mehr findet und noch ein zweites Mal kaufen muss.
Die Busse sind doppelstöckig, wobei der obere Stock zu einem Drittel überdacht ist. Da es nieselt wollen wir einen Bus mit freiem Dachabteil und müssen daher etwas warten, weil der gerade für die Abfahrt bereite Bus oben schon besetzt ist. Also raucht man eine. Dann kommt der nächste Bus, Leute steigen ein und besetzen einen Teil des oberen Stocks, was wiederum dazu führt, dass wir auf den nächsten warten müssten und die Burschen dazwischen eine rauchen können.
Dann wird es mir zu blöd und ich gewinne eine Mehrheit für eine Einsteigaktion.
Letztlich haben wir das ganze Dachabteil für uns, irgendwie und aus irgendwelchen Gründen haben uns die anderen Touristen Platz gemacht, Fifi ist aber unschuldig, seine Chemiewaffe kam diesmal nicht zum Einsatz.
Die Fahrt wird zu einem der Höhepunkte dieses Wochenendes, weil jeder von uns allein schon eine Dreckschleuder ist, gemeinsam jedoch können wir ungeahnte Momente aus dem Nichts erschaffen, bis sogar dem Schmäh selbst schwindlig wurde und der Tourleiter am Mikrophon einen Stock tiefer anmerkt, dass er sein eigenes Wort nicht mehr versteht.
Wir zeigen uns eher unbeeindruckt und starren um die Wette auf hübsche Mädchen unten auf der Straße, wodurch uns natürlich wichtige Sehenswürdigkeiten entgehen – nicht jedoch die Tatsache, dass ganz Dublin voll von Kirchen ist. Von einer grüßt sogar ein Priester und winkt uns zu.

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Bei der riesigen und weitläufigen Guinness-Brauerei beschließen wir nicht auszusteigen, sehr wohl jedoch bei der Jameson-Distillery. Der Busfahrer gibt noch per Funk an all seine Kollegen durch, dass sie bei unserem Anblick an der Haltestelle unverzüglich durchstarten sollen und entschwindet dann in der Ferne.
Wir marschieren um´s Eck und entdecken eine unglaublich lange Schlange an Touristen, die alle auf eine Führung warten. Da die prognostiziert-geschätzte Wartezeit etwa drei Stunden betragen dürfte, beschließen wir nur auf die Toilette und in den Gift-Shop zu gehen. Ab jetzt werden uns kleine Jameson-Flaschen in der Brown Bag durch den Tag helfen.

brownbag

Die Diaspora unserer Gruppe ist wieder einmal komplett vollzogen, der gemeinsame Treffpunkt könnte am Nachmittag die Cheerleader- und Marchingband-Parade im Temple-Bar District sein, was jedoch misslingt. Ich fahre mit einer kleinen Restmannschaft zurück ins Zentrum und mache noch die Dock-Tour, die man sich allerdings getrost schenken kann. Einziges Highlight ist eine Brücke in Form einer Harfe, irgend einem irischen Schriftsteller oder Dichter gewidmet.

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Einer der Steuerungsmechanismen unserer Gruppe sind Durst und Hunger. Jetzt etwa betrifft es mich, ich brauche dringend eine Stärkung in Form von Fish & Chips, aber die Herren Schnick und Roschl werden zu Mädchen und müssen jedes Schuhgeschäft von innen ausgiebig bestaunen. Da es jede Menge Schuhgeschäfte gibt, dauert das ewig und mein Hunger wird nicht kleiner. Dann ist auch noch die Zeit für die Parade, aber bei der Temple Bar erfahren wir von Penn-State-Fans, dass ihre Parade erst um 16.30 beginnen wird, aber die von UCF soll angeblich irgendwo dort drüben schon früher sein.

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Wir marschieren irgendwo dort hinüber und finden einen Platz, wo ein paar gelangweilte Musiker üben und eine Handvoll Cheerleader herum stehen. Etwas enttäuscht ziehen wir wieder ab und marschieren über die Brücke, wo wir einige der Buben treffen, die uns in die „Church“ schicken, einer zur Bar umgebauten Kirche.

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Dort warten Sascha, Blockmalz-Harry und Andi H. bei einem Getränk auf bessere Zeiten. Ich nütze die Chance um das erste Mal in meinem Leben Stoffwechselprodukte in einer Kirche zu hinterlassen und kenne jetzt das Designer-Häusl der Church.

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Dann marschieren wir endlich in Richtung Fish & Chips, doch dem Roschl gefällt die Bude nicht. Mir eigentlich auch nicht, aber ich habe schon richtig Hunger und eile daher zu einem anderen Lokal, das mir schon früher aufgefallen ist. Die anderen gehen weitere Schuhgeschäfte anschauen, während ich das zu teure und nicht wirklich gute Essen runterwürge.
Die anderen gehen einstweilen ins O´Sheas und speisen köstlich, ich marschiere ins Hotel zwecks einer kleinen Ruhepause. Am Abend könnte es ja noch intensiv werden. Beim Hotel treffe ich den Gösser, der gerade von seiner Inseltour zurück kommt und auch entsprechend müde ist, jedoch noch für seinen kleinen Sohn shoppen gehen möchte.
Ein wenig ausruhen, dann geht es ins „Quays“, das wir schon vom Vorabend kennen. Diesmal ist fast die ganze Runde vollständig und wir haben jede Menge Gaudi mit jeder Menge netter Menschen, etwa mit Tanja von der Isle of Man. Noch jemand ohne Foto mit ihr? Nein? Gut!

tanja2

Auch die seltsamen Leutchen mit ihrem noch seltsameren Schild werden von uns befragt. Es stellt sich heraus, dass sie von einer Sekte sind und was auch immer predigen.

sekte

Wir predigen Guinness in Theorie und Praxis und sind damit wesentlich erfolgreicher. die Zweimann-Band holt das letzte aus den feiernden Amis heraus und die Stimmung ist überall wirklich gut, vor allem weil es nur hin und wieder tröpfelt, also vom Himmel.

quaysband

Irgendwann ist auch dieser Abend zu Ende und ich marschiere alleine zurück zum Hotel. Gösser ist bereits da und Thomas wird auch nicht allzu spät eintreffen. Auch der zweite Tag war ein voller Erfolg.

Samstag, 30. August 2014

Auch im Ripley Court Hotel grüßt täglich das Murmeltier und so versammeln sich alle zur Einnahmer fettreicher Speisen, meist noch leicht gezeichnet vom Vorabend. Aber heute ist Game Day und alles steht im Zeichen des American Football. Ich marschiere mit ein paar von den Jungs noch in den Temple-Bar-District um ein wenig Tailgating zu erleben. Es dient aber eher dem Zeitvertreib und ich erspare mir das Bier am Vormittag (ICH, nicht so manche andere…). Dann geht es Richtung Croke Park Stadium, denn ich möchte noch vor dem Kickoff dort sein. Das wollen auch viele andere und die zuerst einzelnen kleinen Grüppchen, die dem Stadion zuströmen, werden mehr und größer und dichter, bis wir am Schluss in einer langen, trägen Menschenschlange auf das beeindruckende Gebäude hinwandern.

crokepark

Ich habe mir noch Sandwiches und Wasser gekauft, die sie mir aber beim Eingang sicher abnehmen werden – gerade bei so einem Match wird die Sicherheitslage gespannt und die Kontrolle entsprechend scharf sein.
Dachte ich bis jetzt. Es gibt de facto genau überhaupt keine Security, ich marschiere durch ein Drehgitter, zeige meine Karte und bin drin. Es gibt keine lange Schlange und keine Abtastungen, ich hätte weiß Gott was hineinschmuggeln können.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass American Football traditionell eine friedliche Sportart ist. So brutal es am Spielfeld aussieht, so friedlich gehen die Fans miteinander um. Es gibt nahezu nie Raufereien und beim Tailgating vor dem Stadion grillt man gemeinsam und trinkt untrinkbare Biersorten, zumindest in USA.

Es ist das erste große Footballmatch in meinem Leben und damit auch das erste College-Match, das ich live sehe. Da die Teams aus USA angereist sind, haben sie nur einen Bruchteil ihrer Entourage mit, also z.B. nur 7 Cheerleader-Girls und eine winzige Marching Band. Zu Beginn springen zwei Fallschirmspringer ins Stadion, von denen es aber nur einer schafft, der andere knallt außen an die Stadionwand und ward nicht mehr gesehen.

parachute

Dann gibt es ein Fly-Over mit zwei Jets und die üblichen Rituale vor Spielbeginn. Das Stadion fasst max. 80.000 Personen und wenn man die Sitze sieht, weiß man warum. Sie sind auch für zart gebaute Gäste winzig, die Herren Wiesi, Fifi, Sascha und Andi H. haben ihre liebe Not und suchen sich zeitweise anderswo eine Reihe, wo mehrere Sitze nebeneinander frei sind.

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Wir sitze auf der UCF-Seite und wissen nicht wirklich genau, zu wem wir halten sollen. Penn State hat deutlich mehr Fans, UCF gilt als die eigentlich stärkere Mannschaft, die jedoch im ersten Viertel bereits zurück liegt und langsam schwappen die Sympathien in Richtung Florida. Die Cheerleader tun ihr Bestes und zeigen sich als wahre Profis: kräftig gebaute junge Männer und kleine, auch kräftig gebaute Mädchen zeigen sensationelle Akrobatik. Ich habe noch nie versucht ein Mädchen in die Höhe zu halten, die nur auf einer meiner nach oben gestreckten Hände steht und ich werde es auch nie tun. Die Cheerleader können es und zwar nicht nur einmal. Ihre Show dauert drei Stunden, so lange wie das Spiel.

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In der Halbzeit zeigen die Iren eine ihrer Nationalsportarten, von der ich bisher nicht einmal noch gehört habe: Hurling. Das ist eine seltsame Mischung aus Rugby, Cricket, Basketball, Baseball und noch einigen anderen Sportarten. Es wird mit kleinen Bällen gespielt und jeder hat eine Art Schläger in der Hand, der so lange wie ein Baseballschläger ist, aber flach. Das Spiel ist extrem schnell und sie pracken wie die Irren (Iren) auf den Ball, ohne Rücksicht auf andere Spieler und deren Körperteile. Außerdem spielen sie das alles ohne Handschuhe. Ja, auch der Torwart.

Die zweite Spielhälfte wird richtig spannend, nach ein paar Big Plays liegt UCF kurz vor Schluss zwei Punkte vorne. Wenn sie jetzt den letzten Angriff von Penn State abwehren können, gewinnen sie das wichtige Spiel. Jetzt hält es niemand mehr auf den Sitzen, es entwickelt sich zu einem richtig guten Spiel, bei dem letztendlich Penn State die Nase vorn hat und noch ein Fieldgoal erzielen kann. Es endet 24:23 und man sieht, wie groß die Enttäuschung bei UCF ist.
Ich bekomme noch die Gelegenheit die Cheerleader zu fotografieren, dann geht es auch schon wieder zurück in die Stadt.

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Wie üblich fällt die Wahl auf das O´Sheas, in dem heute ebenfalls Sport angesagt ist. In dem proppenvollen Lokal bekommen wir tatsächlich noch einen Tisch und können ein frühes Abendessen genießen. Meine Wahl fällt diesmal auf Lamb Stew, traditionell und durchaus empfehlenswert. Dazu sehen wir noch eine Übertragung eines Gaelic-Football-Matches und lernen die zweite völlig unbekannte Sportart kennen. Jetzt ist es eine Mischung aus Rugby und Handball, mit unten einem Fußballtor und oben einem American-Football-Tor. Das Spiel ist auch extrem körperbetont und wir spülen die Eindrücke mit einem Guinness runter.

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Bei mir geht dann die Energie auf Reserve und ich mache die letzte Tour zur Temple Bar nicht mehr mit. Wir müssen morgen am Sonntag um 05.30 raus, weil um 07.30 die Maschine zurück nach Wien geht. Ein ruhiger Abend im Hotel ist auch okay.

Sonntag, 31. August

Der Taxifahrer ist extrem gesprächig und gut aufgelegt, seine Schmähs sind gut und so sind wir im Nu am Flughafen. Da wir am Vorabend bereits online eingecheckt haben und die Security hier in Dublin sehr flink arbeitet, sind wir bald am Gate und warten auf den Heimflug. Auch dieser verläuft unspektakulär, die Mitreisenden müssen mit der einen oder anderen Fahne leben und auch mit dem dazu passenden Schmäh. Immerhin – es hat keiner geklatscht bei der Landung.
Auch meine brave Honda steht noch da und ich komme ohne weiteren Regenschauer nach Hause.
Als ich das Handy aufdrehe, sehe ich die Nachricht vom Tod meines lieben Freundes Oliver. Irgendwie bin ich froh, dass ich sie nicht in Irland bekommen habe. So war es ein wirklich schönes Wochenende mit den Buben.