Nach Schladming – mit dem Zug

Dunkle Erinnerungen an Schulskikurse in den 1980ern. Selbst damals sind wir mit dem Bus gefahren, scheinbar aus guten Gründen.
Inzwischen hat sich enorm viel getan – die Autobahnen wurden gewaltig ausgebaut, da ist es nur verständlich, dass für den Ausbau der Bahnstrecken kein Geld mehr da ist. Deswegen quälen sich die Züge immer noch quietschend und langsam über den Semmering, gerade mal so schnell, dass man nicht daneben hergehen und Blumen pflücken kann.
Es soll ja irgendwann einmal einen Tunnel geben, vielleicht so einen, wie es schon seit vielen Jahren für die Autos gibt.
Egal – ich muss zu einem Kongress nach Schladming und wieder einmal fällt meine Wahl auf die Bahn. Mit etwas Bauchweh und üblen Vorahnungen, aber egal.

Los geht es um 08:25 vom Hauptbahnhof Wien. Der ist für mich einigermaßen stressfrei mit dem Bus und zwei U-Bahnen erreichbar. Das birgt zwar ein gewisses Risiko, weil vor allem die U-Bahnen hin und wieder eine Störung haben und das dann bedeutet, dass ich den Zug versäume, was ich echt gar nicht leiden kann.
Diesmal geht alles gut und ich erreiche den Zug rechtzeitig. Zudem bin ich noch echt froh, dass ich reserviert habe, denn er ist knackevoll. Wir reden hier nicht vom letzten besetzten Sitzplatz, sondern von mehreren Schulklassen, die an diesem Montag auf irgendwelche Landschulwochen fahren. Es handelt sich um klassische Halbwüchsige mit einem harten Kern von laut kreischenden, laut TikTok-Videos schauenden Mädchen.
Sie sind überall im Zug, verteilen sich irgendwie, hocken auf den Gängen, dazwischen jede Menge Gepäck, so ähnlich stelle ich mir die Atmosphäre in einem Zug zwischen Kalkutta und Mumbai vor. Lehrer:innen wuseln geschäftig durch den Zug und versuchen irgendwie irgendwen zusammenzuhalten oder irgendetwas zu bewegen.
Es geht dann doch nicht um 08:25 los, denn irgendwie funktioniert das nicht mit den vielen Schulklassen. Es gibt aber keinerlei Durchsage oder sonst irgendeine Info, nur den Kärtner Schaffner in Mitten seine Gesamtüberforderung, schwitzend und im Dauerversuch freundlich zu bleiben. Ja, er hofft, dass wir bald wegkommen. Nein, er kann mir nicht sagen ob ich meinen Anschlusszug versäumen werde.
Genau genommen brauche ich diese Info auch nicht, denn nach 15 Minuten Verspätung und der Gewissheit, dass Züge Verspätungen prinzipiell nicht aufholen, sondern meistens noch mehr Verspätung aufreissen (in diesem Fall gleich ein paar Minuten später in Meidling: noch einmal fünf Minuten drauf), ist mir ohnehin klar, dass ich meinen Anschlusszug in Leoben ganz sicher versäume.
Als dann irgendwann ein paar unverständliche Worte kratzend aus irgendeinem Lautsprecher kommen, fällt mir mein alter Freund Bacherl ein, der in gekonnter Analyse meinte, die Menschen können zwar selbstfahrende Roboterautos zum Mars schicken, schaffen es aber nicht funktionierende Lautsprecher für Zugdurchsagen zu bauen.

Zu allem Übel hat die Bahn scheinbar begonnen sich der Flugindustrie anzunähern, bemerkbar an einem Sitzabstand, der schon stark nach Economy im Billigflieger erinnert. Das ist besonders bitter, denn so verspielt die Bahn einen ihrer Vorteile gegenüber dem Flugzeug oder dem Reisebus: genügend Platz.
Zu viert gegenübersitzen, in der Mitte ein Tisch – geht nur im Zug. Ich fürchte, dieser Trend wird sich fortsetzen, denn die Bahn versucht zu sparen und das wunderbare Klimaticket hat eine Schattenseite: viel mehr Zugfahrende und in Folge überfüllte Züge, aus denen sogar Gäste mit Ticket wieder aussteigen müssen, weil sie keine Reservierung haben.
Die ÖBB konnte auf die Einführung des Klimatickets nur sehr eingeschränkt reagieren, sie dürften weder die notwendigen Zuggarnituren noch das notwendige Personal haben. Vielleicht gibt es auch andere Gründe, die ich aber nicht kenne. Jedenfalls waren sie davon überrascht wie die Schneeräumung im Dezember, wenn es schneit.

Wenn ich mich ärgere, wirkt der Sitz gleich noch enger, vielleicht auch wegen der dicken Dame, die neben mir sitzt und deren Tuchfühlung aufgrund der Beengtheit bei mir nur wenig Freude auslöst.
Wenigstens muss ich ab der Stadtgrenze keine Maske mehr aufhaben, die meisten Schüler:innen hatten in moralischer Lässigkeit auch in Wien schon keine mehr auf und der überforderte Schaffner hatte andere Sorgen, als sie darauf hinzuweisen.
In Wr. Neustadt war dann aufgrund von inzwischen 30 Verspätungsminuten klar, dass ich mir wohl eine andere Zugverbindung nach Schladming suchen müsste. Ohne reservierten Sitzplatz, versteht sich.
Dafür gab es keine Fahrkartenkontrolle, weder im Zug von Wien nach Leoben noch von Leoben nach Schladming.
Vielleicht fielen die Schaffner ja auch schon einem Kostensenkungsprogramm zum Opfer, wer weiß das schon.

Nach zwei Stunden bin ich endlich in Leoben und muss dort in die S8 umsteigen und eine Station nach St. Michael fahren. Von dort kann ich dann nach einer ca. 30-minütigen Pause den R 4476 nehmen, der mich nach Schladming bringt.
Also eigentlich nicht nur nach Schladming, sondern zu jedem Misthaufen zwischen St. Michael und Schladming. Der Regionalzug ist die langsamste Variante des Zugfahrens in Österreich, nur die Zahnradbahn auf den Schneeberg ist noch langsamer. Die hält dafür nicht so oft.

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BILD 1: Ein Gruß aus der Vergangenheit

Jedenfalls dauert es noch weitere zwei Stunden bis Schladming. Auch hier habe ich wieder Gruppen von Schülern im Zug, die ihre Energieüberschüsse abbauen müssen. Das geschieht in einer Lautstärke und Vehemenz, dass an so Tätigkeiten wie arbeiten oder ein Buch lesen nicht zu denken ist.
Hier verspielt die Bahn ihren zweiten Vorteil, vor allem gegenüber dem Auto. Natürlich kann ich erste Klasse buchen und es gibt zarte Versuche das Problem in den Griff zu bekommen, etwa durch lärmberuhigte Waggons, die aber nicht wirklich gut funktionieren, weil die Leute dann halt doch telefonieren und der Mitzi-Tant ihre Lebensgeschichte erzählen. Meistens zweimal, jedenfalls aber bis zum Zielbahnhof.
Im Auto kann ich Musik hören, kann mit anderen plaudern oder ganz alleine reisend meine Ruhe haben. Das ist zwar nett, aber im Zug kann ich die Zeit zum Arbeiten nützen, das geht im Auto nur, wenn ich einen Chauffeur habe.
Für mich war das in den letzten Jahrzehnten oft ein Grund das Auto zu nehmen, weil ich den Arbeitsmöglichkeitsvorteil nahezu nie realisieren konnte. Dass es ihn in der Theorie gibt, nützt mir nichts.
Ich hasse Autofahren, das elende Stehen im Stau, die ständige Konzentrationsnotwendigkeit aufgrund immer stärker werdenden Verkehrs, die Umweltkosten, die Kosten generell und noch vieles mehr.
Wenn die Bahn aber ihre strukturellen Vorteile nicht ausspielt, fahren die Menschen wieder mit dem Auto. So einfach ist das.
Mein Zug nach Schladming ist wenigstens nicht überfüllt und so gondle ich vorbei an kleinen Ortschaften durch die wunderschöne Steiermark. Hätte ich kein Nachmittagsprogramm, dann könnte ich das durchaus genießen.
So aber ärgere ich mich, weil die Gesamtverspätung von zwei Stunden meine Pläne doch ordentlich über den Haufen wirft.
Das Problem besteht darin, dass der Verspätungsnachteil noch zum generellen Zeitnachteil dazu addiert werden muss. Mit dem Auto steht man zwar auch oft im Stau und die Flugzeuge sind mindestens so oft und genauso brutal verspätet wie die Bahn, aber auch hier verspielt die Bahn wieder einen Vorteil, der sie auf gut ausgebauten Strecken durchaus attraktiv macht. Von Wien nach Innsbruck kann man in vier Stunden mit dem Railjet Express fahren, das ist konkurrenzlos und selbst mit dem schnellsten Auto nicht zu schaffen.
Aber das geht halt nur auf dieser einen Strecke in Österreich – und selbst da wäre noch einiges drin, denn im Deutschen Eck gibt es keinen Hochgeschwindigkeitsausbau und die letzten 50 Kilometer vor Salzburg auch nicht.

Aber noch sind wir nicht da und bummeln weiter durch das Ennstal. Plötzlich eine scharfe Bremsung, sehr ungewöhnlich.
Der Grund ist schnell ersichtlich: Der Lokführer hat die Station Niederöblarn übersehen und sich jetzt ordentlich eingequietscht, um nicht vollständig im Nirwana stehenzubleiben.
Das gelingt auch, die letzte Türe hinten im Zug ist auf Höhe der Bahnsteigs. Also kommt eine Durchsage, man möge doch bitte ganz hinten aussteigen.
Leider hat es die alte Dame mit dem großen Koffer nicht mehr geschafft. Ihr Pech, dass sie weit vorne im Zug war, sie muss wohl oder übel weiterfahren, bei der nächsten Station aussteigen und dann auf einen Zug warten, der sie wieder zurückbringt.
Vielleicht hat sie ja Glück und muss die ungewollte Fahrstrecke nicht extra bezahlen. Ich wünsche es ihr jedenfalls.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir in Schladming und ich hoffe, doch noch eine kleine Nachmittagsbergtour machen zu können – was auch gelingt.
Es ist traumhaft schön in Schladming und nach dem Kongress am nächsten Tag muss ich leider schon wieder nach Wien zurückfahren.
Ich hoffe daher, dass wenigstens die Rückfahrt problemlos abläuft.

Am Bahnhof angekommen muss ich feststellen, dass es dort irgendwie keine Anzeigetafel gibt, zumindest keine, die ich finde.
Also frage ich am Bahnsteig 2 eine junge Dame, ob ich hier richtig bin für den Zug nach Leoben (bzw. Graz, dort fährt er eigentlich hin).
Sie bejaht, meint aber, dass der Zug Verspätung hätte.

Geh bitte! Nicht schon wieder. Und ich hab wieder wenig Umstiegszeit in Leoben, also bleibt nur das Hoffen, dass das irgendwie noch geht.
Dann eine Durchsage: Leider hat der Zug aufgrund eines Gleisdefekts 15 Minuten Verspätung. 15 bis 20 Minuten, genauer gesagt.
Ich krame mein Handy raus und suche neue Verbindungen nach Wien. Es gibt tatsächlich eine Möglichkeit schneller nach Wien zu kommen als mit dem nächsten Zug der gleichen Verbindung, der fährt nämlich erst zwei Stunden später.
Wie ich die Warterei auf Bahnhofsbahnsteigen hasse!

Die Alternative ist die S8, die ich schon von gestern kenne, sie fährt von Leoben nach Bruck/Mur, dort kann ich dann in einen Railjet einsteigen, der mich nach Wien bringt.
Im Zug frage ich den Schaffner, ob und wie ich es machen könnte. Er meint, die Variante mit der S8 sei eh gut, aber er ist sich nicht sicher, wie wir in Selzthal wegkommen. Das ist ein Verschubbahnhof, bei dem unser Zug eine neue Lok an der anderen Seite bekommt. Und der Schaffner dürfte schon wissen, dass das nicht immer so einfach und vor allem nicht schnell geschieht.

So ist es dann auch, wir stehen schon eine gefühlte Ewigkeit herum, als irgendwo auf einem anderen Gleis langsam, sehr langsam eine einzelne Lok vorbeifährt.
Das ist natürlich unsere, und es dauert noch ein paar Minuten, bis wir weiterfahren können. Vielleicht tue ich der ÖBB Unrecht, aber sehr durchdacht erscheint mir das nicht. Der Schaffner ist wenigstens supernett und telefoniert extra mit der S8, damit die auf uns wartet.
Das tut sie auch, nur leider kommt sie dann in St. Michael (dort mussten wir umsteigen, nicht in Leoben, nur Gott und die ÖBB wissen warum) nicht weg. Wir verlieren zwar nur zwei Minuten, aber das sind letztlich genau die zwei Minuten, die uns den Anschlusszug doch nicht erreichen lassen. Er fährt uns buchstäblich vor der Nase davon.

Ich habe keine Lust mich noch mehr zu ärgern und versuche die nächste elende Warterei mit Wurstsemmelkauf zu verkürzen. Das Panorama von Bruck/Mur rund um den Bahnhof hebt meine Stimmung allerdings nicht merklich.

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BILD 2: Bruck an der Mur, in der Nähe des Bahnhofs

Nach einer Stunde geht endlich mein Railjet nach Wien. Es ist ein tschechischer, was aber keinen wirklich großen Unterschied macht, über den Semmering sind alle gleich langsam.
Der Zug ist wenigstens nicht überfüllt und die Leute sind leise, so dass ich etwas lesen kann.

In Summe waren es zwei Mal sechs Stunden, die ich für die Reise gebraucht habe. Plus den Ärger ergibt das eine durchwachsene Bilanz. Es ist letztlich mühsam und ich mache es nicht freiwillig und schon gar nicht gerne.
Was schade ist, denn da wäre viel mehr drin.

Griechenland 87 – ein Sommer wie von STS besungen

Es ist Sonntag Abend und ich sitze auf meiner Couch. Plötzlich summe ich „I still haven´t found what I´m looking for“ und habe große Lust, die Nummer sofort anzuhören.
Also marschiere ich zum CD-Regal und greife ganz nach unten, zur neunten CD, die ich je gekauft habe: U2 – The Joshua Tree. Ich bin begeistert, wie gut die Scheibe heute noch ist, irgendwie nicht tot gehört, zeitlos, vielleicht wirklich die beste CD, die U2 je gemacht hat.

Und dann kommen die Erinnerungen. An den Griechenland-Urlaub im Juli 87. Eine Geschichte nach der anderen fällt mir ein. Und es wird Zeit, sie wieder an die Oberfläche zu holen und aufzuschreiben – oder besser: einzutippen.
Leider gibt es von diesem Urlaub keine Fotos – zumindest keine, die ich zur Verfügung habe. Handys gab es damals noch nicht, Digitalkameras natürlich auch nicht und keiner von uns hatte einen Fotoapparat mit. So bleiben nur die Erinnerungsbilder im Kopf.

Eigentlich beginnt die Geschichte noch viel früher, nämlich im Sommer 1980, als mein Vater meine Geschwister und mich in seinen damals brandneuen Puch G einlud und wir alle nach Griechenland fuhren. Das Ziel war die Ostseite von Sithonia, dem mittleren Finger der Halbinsel Chalkidike.
Dort gibt es eine Küstenstraße und mein Vater wollte dort campen, wild und direkt am Meer. Eine Bucht gab es nicht und so schlugen wir die Zelte einfach irgendwo auf. Das war damals noch möglich und mehr oder weniger erlaubt.
Viele Jahre später, im Frühjahr 1986, fuhren wir wieder hin. Ich schon mit meinem ersten, eigenen Auto, 19 Jahre alt, frisch vom Bundesheer abgerüstet.
Wir zelteten damals in einem wilden Oleandertal, an das ich mich noch erinnern und glücklicherweise auch finden konnte. Es war der wahrscheinlich schönste Urlaub meines Lebens.

Ein Jahr später fuhr ich noch einmal hin, diesmal in einer anderen Konstellation. Mit dabei waren der Schmidl und der Georg. Ich weiß nicht mehr, warum wir uns gerade für diesen Urlaub entschieden. Georg war ein Jahr davor auch dabei und wahrscheinlich fiel uns auch einfach nichts besseres ein. Dort kannten wir uns wenigstens schon gut aus und so borgte ich mir einen alten, grünen Audi 100 aus, da mein eigenes Auto kurz davor aufgrund von Rost einfach mehr oder weniger zerfallen war.
Der Audi war in mittelprächtigem Zustand, hatte immerhin ca. 100 PS und somit das Doppelte von meinem alten Golf. Ich würde mit so einem Auto heute gar nirgends mehr hinfahren, aber damals war uns das egal. Springt die Kiste an? Ja. Rinnt irgendwo was aus? Nein. Passt.
Wir hatten sehr wenig Geld und viel Optimismus, wir waren unglaublich unbekümmert und packten einfach Campingequipment zusammen, wobei ich mir das meiste von meinem Vater ausborgen konnte.
Zwei Zelte, Schlafsäcke, Matten, ein wenig Geschirr und ein paar T-Shirts, sehr viel mehr brauchten wir nicht.

Was wir aber sehr wohl brauchten, waren Benzingutscheine, ohne die man in Jugoslawien keinen Sprit bekam oder nur viel teurer – so genau weiß ich das nicht mehr.
Wir fuhren einfach los und kamen auch gut über die Grenze nach Ungarn. Das war damals nicht so einfach wie heute, der Ostblock war noch stark und für Ungarn musste man einen „Adatlap“ ausfüllen, ein kompliziertes Formular. Aber das waren wir gewohnt.
Mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen nahmen wir es nicht so genau und so wurden wir in einer Ortschaft von der ungarischen Polizei aufgehalten. Weil wir durch Ungarn nur schnell durchfahren wollten, hatten wir keine Forint mit, nur jugoslawische Dinar und griechische Drachme und natürlich Schillinge.
Nach längeren Verhandlungen gaben uns die Ungarn zu verstehen, dass sie weder Drachme noch Dinar wollten und ließen uns einfach weiterfahren.

Ich weiß nicht mehr viel von der Fahrt, der Georg und ich wechselten uns ab, weil der Schmidl damals noch keinen Führerschein hatte – oder umgekehrt? Jedenfalls hielt der Audi durch und nach 20 Stunden durchgehender Fahrt kamen wir zu unserem Zeltplatz im Oleandertal. Aus heutiger Sicht war das der komplette Wahnsinn, denn wir waren natürlich komplett übermüdet – und Red Bull war noch nicht erfunden. Vor allem gab es in Jugoslawien noch keine Autobahn, erst wieder ab der griechischen Grenze in Gevgelija. Wir mussten die alte „Autobutt“ fahren – die damals gefährlichste Straße von überhaupt, die sogenannte „Gastarbeiterroute“, auf der im Sommer gefühlte Millionen uralter Ford Transits unterwegs waren, vollgestopft mit türkischen Familien am Weg nach Ostanatolien. Jedes Überholmanöver ein Hasardspiel.
Und dann die Fahrt durch Thessaloniki, eh schon hundemüde und damals gab es ja kein Internet, d.h. wir mussten nach Karte fahren und Tankstellenverzeichnis gab es auch keines, von Handys ganz zu schweigen.

Als wir im Oleandertal ankamen, war es fast wie im Vorjahr. Nur der wildromantische Bach war kleiner, aber wir fanden unseren alten Zeltplatz wieder.
Das war eine komplett andere Zeit, offiziell war es damals schon nicht erlaubt wild zu zelten, aber wir hatten im Jahr davor Jannis kennengelernt, einen alten Ziegenhirt, und dem waren wir sympathisch. Sein Sohn Christos war der zuständige Feuerpolizist und so bekamen wir eine inoffizielle Sondererlaubnis. Wir durften halt kein Feuer machen und mussten aufpassen, aber das war sowieso Ehrensache. Außerdem kam Jannis fast jeden Tag einmal mit seinen Ziegen vorbei.
Der einzige echte Unterschied zum Jahr zuvor war ein riesiger Sandhaufen, den ein Bagger neben unserem Platz aufgeschaufelt hatte. Das Tal war sonst menschenleer, wir waren die einzigen dort, alle paar Tage kamen zwei, drei verirrte Wanderer vorbei – wenn überhaupt. Wenn wir ins Dorf fuhren, ließen wir unsere Sachen einfach im Zelt. Es ist nie etwas weggekommen.

Es gab einen Weg in das Tal hinein, den man mit einem Auto befahren konnte, wenngleich es auch ziemlich holprig war. Am Ende des Weges war unser Zeltplatz. Von da ging ein schmaler Pfad weiter, den man nur mit einem Geländewagen befahren konnte, was mein Vater 1980 auch getan hatte. Es ging dort auch relativ steil die Hügel hinauf, bis auf den Berg Itamo. Es war alles von Feuerstraßen durchzogen, sonst aber so wild, wie nur möglich.

Ein paar hundert Meter oberhalb unseres Zeltplatzes gab es einen kleinen Teich, in dem man baden konnte. Hohe Pinien, das laute Zirpen der Zikaden, eine wilde Geruchsmischung aus zahllosen Kräutern und eben jede Menge blühender Oleander an den Flanken des Baches.

Leider gibt es dieses Tal in seiner alten Pracht nicht mehr, der Bach wurde einige Jahre später weiter oben in ein anderes Tal zu einem Hotelkomplex umgeleitet und das romantische Oleandertal ziemlich zerstört. Als ich das erfahren habe, hat es doch ziemlich weh getan. Mein Unverständnis für die blinde Zerstörung der Natur aus Profitgier machte mich damals schon wütend, vielleicht ist da in mir der Grüne gewachsen, der ich heute bin.

1987 war die Welt dort noch heil. Und wir waren Anfang unserer Zwanziger und wollten einen Sommer in Griechenland erleben, mit allem, was dazu gehört.
In den 1980ern waren das Disko, dunkelbraune Haut und Coolness. Und wir waren die coolsten, das war von vornherein klar. Und dass das im Dorf Sarti auch alle merken sollten, war noch viel klarer.
Also bauten wir zuerst einmal unsere Zelte auf, ich hatte mein kleines, grünes Marechal-Kuppelzelt (und habe es bis heute), Schmidl und Georg schliefen in einem anderen. Damals musste ich lernen, dass es eine große Rolle spielt, wo man sein Zelt aufbaut. Und zwar spätestens am nächsten Morgen, wenn die Sonne aufgeht und ein dunkelgrünes Zelt in einen Backofen verwandelt, vor allem in Griechenland im Juli. Der einzige, mehr oder weniger erwünschte Nebeneffekt besteht darin, dass man trotz ordentlichem Rausch am Vorabend verlässlich aufsteht, wenn die Sonne auf´s Zelt scheint, was in Griechenland im Juli verdammt früh der Fall ist.

Wir waren punkto Campingequipment hervorragend ausgestattet, vor allem Dank der Erfahrung aus dem Jahr davor. Außerdem brauchten wir nicht wirklich viel, das Gewand beschränkte sich auf T-Shirts, kurze Hosen und Espandrillos, am Abend vielleicht eine lange Hose und ein luftiges Hemd. Wir mussten auch nicht viel Essen kochen, da wir das Frühstück meistens verschliefen, zu Mittag zu faul zum Kochen waren und daher vor allem Früchte zu uns nahmen, vielleicht einmal eine Eierspeis oder ähnliches, Weißbrot mit Paradeiser und Gurken – alles, was schnell hergerichtet war und wofür wir keinen Kühlschrank brauchten, den hatten wir nämlich nicht dabei.
Es ist heute schwer vorstellbar, mit wie wenig Dingen wir auskamen und dabei genauso zufrieden waren wie heute mit einem Campingmobil um 100.000 Euro. Wir hatten den alten Audi und wenig Ansprüche.
Und wir hatten wenig konkrete Pläne für den Urlaub. Wir wollten die Schönheit der Wildnis von Sithonia genießen, eine Menge Gaudi haben, abends im Dorf abhängen und einfach eine nette Zeit erleben.

Da es ziemlich heiß war, wanderten oder fuhren wir unter Tags gerne nach vor zum Meer um zu baden oder machten einen kleinen Spaziergang zum kleinen See. Die schon erwähnte Bräunung spielte dabei eine große Rolle, sie war Teil der geplanten Coolness und letztlich dazu da, die Mädels zu beeindrucken, die wir ja hoffentlich kennenlernen würden.

Schon am ersten Abend fuhren wir die sieben Kilometer nach Sarti, um die Lage zu checken und unseren Hunger zu stillen. Es gab dort jede Menge Tavernen im Ort und am Strand, das Essen war sogar für unsere schmale Börse leistbar und von guter Qualität. Kalamari, Fisch, Moussaka, Spieße und natürlich den griechischen Salat. Nach dem Essen gab es eine Reihe Bars, um sich ein kühles Bier zu organisieren oder einen Cocktail. Und es gab eine Handvoll Diskos, die wir alle abklappern mussten.
Ich erinnere mich an die Lokale nur sehr dunkel, beim Bier hatten wir auf jeden Fall die Auswahl zwischen Amstel und Henninger und auch hier waren die Preise sehr moderat.

Heute wäre eines der größten Probleme, wie wir nach einem feuchtfröhlichen Abend nach Hause in unser Oleandertal kommen würden. Damals war das komplett egal, gefahren wurde in fast jedem Zustand, der noch irgendwie eine halbwegs brauchbare Überlebenschance auf der extrem kurvigen Küstenstraße erkennen ließ. Da der Schmiedl ja noch keinen Führerschein hatte, war meistens ich der Fahrer.
Aus heutiger Sicht war das ein Wahnsinn, reihte sich aber gut in den dort üblichen Wahnsinn junger, griechischer Männer ein, die in Shorts und Espandrillos und in jedem Fall ohne Helm mit schweren Maschinen herumbrausten. Zahlreiche Kreuze am Straßenrand machten damals schon deutlich, dass das nicht immer gut ging.
Die Sorglosigkeit dieses Urlaubs war uns damals selbst nicht bewusst, sie war einfach da und selbstverständlich. Es war Sommer, wir waren in Griechenland und das Leben war so wolkenlos wie der Himmel.

Ich kann mich noch gut an die Situation erinnern, als beim Essen neben uns eine kleine Gruppe aus Wien saß. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir sie kennenlernten, aber es war wenig später der Fall. Kathi mit ihrem Freund, Dagmar und XX – sie wohnten in einem Hotel im Ort, waren ebenfalls für 2-3 Wochen da und zu viert mit einem alten Mazda 323 hergefahren.
Wir wussten damals noch nicht, dass sich daraus eine nette Freundschaft ergeben würde, die über den Urlaub hinaus halten sollte. Wir trafen uns einfach am Abend und zogen gemeinsam durch´s Dorf.

Dieser Urlaub sollte auch ein paar der legendärsten Geschichten hervorbringen, die wir in unserer Jugend zusammenstecken konnten.
Die erste beginnt an einem der Morgen, an denen ich von der Hitze schon recht früh aus dem Zelt getrieben wurde. Da die anderen noch schliefen, beschloss ich ins Dorf zu fahren und einzukaufen. Mich überkam noch rechtzeitig der Gedanke, dass die Schlafmützen recht ang´fressen wären, wenn ich ihnen nichts mitbringen würde. Also weckte ich sie so sanft aus, wie mir das nur möglich war. Die Reaktion war ein böses Fauchen, wobei ich mich an den genauen Wortlaut nicht mehr erinnern konnte, irgendwas mit „Schleich di, lass uns schlafen“ wird schon dabei gewesen sein.
Also schlich ich mich und fuhr ins Dorf. Neben frischem Brot und Gemüse kaufte ich auch sogenannte „Yannis-Riegel“, das waren geschnittene, viereckige Stücke aus Nüssen und Honig oder Sesam und Honig.
Und natürlich kaltes Cola für die Jungs.

Als ich zurück kam, waren sie immer noch nicht wach, konnten aber eine Hand aus dem Zelt strecken und das kalte Cola hineinziehen.
Später saßen wir dann bei einem späten Frühstück, so gegen 13 Uhr muss das gewesen sein, und ich gab den beiden die Yannis-Riegel, die ich als absolute Köstlichkeit zu schätzen gelernt hatte.
Schmiedl unterlief allerdings genau jetzt ein folgenschwerer Fehler. Er dachte, dass die Riegel etwa in der Konsistenz eines Müsli-Riegels wären und biss herzhaft hinein.
In Wirklichkeit waren die Dinger steinhart und man musste sie vorsichtig abknabbern.
Dieser Unterschied war entscheidend für Schmidls oberen Schneidezahn, der spontan beschloss, den Besitzer zu wechseln und im Riegel stecken zu bleiben.
Es handelte sich nämlich um einen Stiftzahn, was wir vorher nicht wussten, und jetzt mit Erstaunen, gefolgt von brüllendem Gelächter zu Kenntnis nahmen. Das Gesicht von Schmidl habe ich heute noch vor mir, wir sind fast gestorben beim Anblick der Zahnlücke.
Schmidl hätte es auch durchaus gerne gesehen, wenn wir gestorben wären, er fand das nämlich ganz und gar nicht lustig. „Wof foll i jepft mochn, i fau auf wie a Volltrottel“ waren in etwa seine Worte. Wir lagen am Boden und wälzten uns im Staub.

Irgendwann hatten wir fertig gelacht und waren bereit, dem armen Schmidl zu helfen, dessen Disko-Coolness mit einer fetten Zahnlücke auf der Stelle gegen Null gehen würde.
Also musste ein Plan her, denn uns war klar, dass ein ständig ang´fressener Freund auch unserem Urlaub nicht gut tun würde. Die Option Zahnarzt gab es aus irgend einem Grund nicht, also mussten wir eine Möglichkeit finden, den Zahn irgendwie wieder in den Mund zu bekommen, konkret: hineinzukleben.
Wenig später saß ich im Audi und raste nach Sarti, um Superkleber oder etwas ähnliches zu kaufen. Dummerweise gab es nichts dergleichen, in keinem der greißlerartigen Geschäfte, und ich klapperte sie alle ab.
Also wieder zurück zum inzwischen ziemlich verzweifelten Schmidl, dem die Nachricht, dass ich ohne Erfolg zurückgekommen war, nicht eben zur Freude gereichte.
Und dann kam der legendäre Satz: „Ef Oaflächa, fiats mi sofoat noch Falloniki, i foa ham.“

Diese nicht sehr erfreuliche Aussicht brachte unsere Gehirnzellen zum Arbeiten, nachdem wir uns wieder eine Runde vor Lachen im Staub gewälzt hatten.
Dann kam mir der rettende Gedanke: Weil der Audi damals eine seltsame Konstruktion der Rückspiegelbefestigung hatte – er war auf die Windschutzscheibe geklebt – und ich wusste, dass er von Zeit zu Zeit runterzufallen pflegte, hatte ich aus Wien einen Zwei-Komponenten-Kleber mitgenommen.
Wir beschlossen, damit dem Schmidl den Zahn wieder in die Pappn zu kleben. Das Hauptproblem bestand darin, eine ruhige Hand zustande zu bringen, was vor lauter Lachen eine ordentliche Herausforderung darstellte. Georg und ich konnten uns nur schwer beruhigen, vor allem, weil der Kleber 30 Minuten Trocknungszeit verlangte. Und der Zahn in dieser Zeit nicht bewegt werden durfte.
Ich weiß nicht mehr ganz genau, wie wir das geschafft haben. Ich weiß nur, dass Georg dem Schmidl währenddessen mit einem Strohalm Wasser auf der Seite des Mundes einflößte.
Irgendwann war der Kleber trocken und Schmidl konnte wieder lachen. Als er zwei Wochen später in Wien zum Zahnarzt ging, rüttelte der nur am Zahn und meinte, dass er in drin lassen würde. Er hielt noch weitere zwei Jahre, wenn ich mich richtig erinnere.

Also alles wieder gut. Dass wir das am Abend in Sarti ordentlich feiern und begießen müssen, war klar. Und irgendwie war auch klar, dass die Geschichte mit dem Zahn nicht das einzige Erlebnis bleiben sollte.
An einem der nächsten Abende lernten wir in der Disco ein paar Griechinnen kennen, die sich als der weibliche Teil der griechischen Rudernationalmannschaft herausstellten. Was sich in dieser Nacht genau abspielte, kann ich bei bestem Willen nicht mehr rekonstruieren, ich weiß nur noch, dass wir am nächsten Tag am Strand aufwachten, und zwar im Audi. Es stellte sich heraus, dass wir irgendwann von der Disko noch zum Meer gefahren sein mussten und dort mit dem Audi uns im Sand eingegraben hatten. Scheinbar konnten wir ihn nicht mehr frei machen und sind einfach eingeschlafen, mit offenen Türen, irgendwie auf den Sitzen liegend, mit Verrenkungen, die ich mir heute ebenfalls nicht mehr vorstellen kann. Die Griechinnen waren weg, dafür waren jede Menge Badegäste rund um uns herum, die uns alle ziemlich erheitert bewunderten. Zumindest hoffe ich, dass sie uns bewunderten, ich verstehe kein Griechisch.
Gemeinsam mit ein paar jungen Griechen schoben wir die Kiste aus dem Sand und fuhren nach Hause, mit einem ordentlichen Brand und großem Schädel.

So und so ähnlich verliefen die Nächte, an den Tagen ruhten wir uns aus, mehr oder weniger war es das. Wer heute die Partylaune junger Menschen kritisiert, sollte an die eigene Jugend zurück denken, wir jedenfalls hatten außer Strand, Disko, Saufen und Mädchen genau nichts im Kopf. Die Erinnerungen bestehen aus Fragmenten, etwa aus dem Tanzwettbewerb in der Disko, der wahrscheinlich an einem Samstag Abend stattgefunden hat und an dem wir natürlich teilnahmen. Die Musik durfte man sich aussuchen und wir wählten „Real wild child“ von Iggy Pop. Dazu tanzten wir eine Mischung aus Pogo und Ska, genau genommen irgendetwas, bei dem wir wie wild auf der Tanzfläche herumhüpften, die Beine in die Höhe rissen und uns gegenseitig anrempelten. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Anwesenden das gar nicht so lustig fanden, wir waren von uns jedenfalls begeistert und hatten riesigen Spaß.

Irgendwann, genauer nach drei Wochen, war der Urlaub zu Ende und wir packten unser Klumpert für die Heimreise. Unser Bach war merklich geschrumpft und wir hatten auch nicht vor gehabt länger zu bleiben. Jedenfalls stand uns eine lange Heimreise bevor, die glücklicherweise ohne größere Zwischenfälle verlief. Also bis auf einen, an den ich mich gut erinnern kann. Eigentlich zwei, aber der zweite war bereits daheim.
Wir fuhren irgendwo durch Jugoslawien, ich war hundemüde und wir mussten tanken. Dazu muss ich anmerken, dass das ganz anders war als heute. Um bei der Tankstelle Benzin zu bekommen, brauchte man Tankgutscheine – zumindest war das Benzin damit wesentlich billiger. Ich hatte sie in Wien besorgt und sorgsam gehütet, weil wir sie bei der Rückfahrt brauchten.
Georg wurde zahlen geschickt, kam zurück und wir fuhren weiter. Irgendwann, wahrscheinlich bei der nächsten Pinkelpause machte ich einen Blick in unsere Reisebörse und war leicht geschockt – die Benzingutscheine waren weg, alle oder fast alle, glaube ein oder zwei waren noch da.
Georg wurde zur Rede gestellt und erklärte, dass er nicht genau gewusste hätte wie viel wir zu zahlen hätten und so hätte er dem Tankwart einfach alle Gutscheine in die Hand gedrückt, auf dass dieser sich nehmen sollte, was es eben ausmacht.
Und das tat dieser auch, nicht zu knapp.

Nach einer gefühlten Ewigkeit waren wir dann in Wien, die Rückfahrt hatte 20 Stunden gedauert, ohne nennenswerte Pausen. Ich stellte den Audi daheim ab, schnappte mir meinen kleinen Reiserucksack mit den Wertsachen und ging hundemüde ins Bett. Der verdiente Schlaf dauerte aber nicht lange, denn meine Großmutter rief an, um mir mitzuteilen, dass die Feuerwehr bei unserem Audi stehen würde. Dazu muss man wissen, dass ich damals im 17. Bezirk wohnte und der Weg zur Straße, in der der Audi stand, den halben Schafberg hinunter führt. Es stellte sich heraus, dass ein Benzinschlauch gerissen und der Tankinhalt auf die Straße geflossen war. Die Feuerwehr hatte bereits alles abgesichert und den ausgelaufenen Sprit gebunden und ich wusste, dass das jetzt ganz zum Schluss noch ein wirklich großes Loch in die Reisekasse reissen würde.
Immerhin konnte ich jetzt schlafen gehen.

Emmylou Harris in Gstaad

Es muss irgendwann ca. 2008 gewesen sein, ich war zu Gast bei meinem lieben Freund Rudi in Klagenfurt und er meinte, ich soll mir unbedingt Gram Parsons anhören. Gram wer? Nie gehört.
Ich muss zugeben, das war ziemlich lässig. Liegt vielleicht daran, dass mich Rudi lange und gut kennt. Einige Nummern später war die Bestellung einiger CDs quasi schon abgeschickt.

Gram Parsons war ein Star der US-Country Szene und starb 1973 im Alter von 27 – so wie fast alle Musikerinnen und Musiker, die ihren 30er nicht erleben.
Irgendwann blieb ich bei einer seiner Nummern hängen, genauer gesagt bei „We´ll sweep out the ashes in the morning“, und zwar bei einer Strophe, die von einer Frau gesungen wurde. Die Stimme fesselte mich und ich wurde neugierig, wer das wohl sei.
Die Recherche ergab: eine gewisse Emmylou Harris.
Nie gehört. Also googeln.
Und dann ging es dahin, wie auf einer Wasserrutsche hinein in die Welt einer Sängerin, die 14-fache Grammygewinnerin ist, in der Country Music Hall Of Fame und noch einiges mehr.
Je mehr ich von ihr hörte, je mehr YouTube-Videos ich genoss, desto interessanter wurde sie. Eine Frau, die seit mehr als fünfzig Jahren auf der Bühne steht, in Würde ergraut, und scheinbar immer noch Spaß an der Musik hat.
Mit der Zeit verstand ich auch, warum Willie Nelson gemeint hat: „There’s only two kinds of men in the world, those that are in love with Emmylou and those who have never met her.“

Und dann war sie es, die mir lange Abende im ersten Corona-Lockdown kurz vorkommen ließ.
Der entscheidende Moment war jedoch im Frühsommer 2021, als ich irgendwo las, dass sie nach Europa kommen würde, und zwar zum Country Music Festival nach Gstaad, genauer gesagt für zwei Abende, 10. und 11. September.

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Bild: Konzert-Plakat

Als mir dann dämmerte, dass Gstaad nicht gerade ums Eck ist, war eine Entscheidung schwer. Noch dazu war ich bei vielen Aufnahmen der letzten zwanzig Jahre von ihrer Stimme eigentlich enttäuscht. Sie hat viel Kraft verloren, sie singt die Texte schlampig und verschluckt halbe Worte.
Würde ich eine herbe Enttäuschung erleben, verbunden mit ziemlich viel Aufwand?
Also beschloss ich die Entscheidung aufzuschieben.

Am 21. August beschloss ich dann hinzufliegen. Wie oft würde ich noch die Gelegenheit haben, sie live zu sehen? Wie oft würde ich mir in Zukunft eingestehen müssen, dass ich aus Bequemlichkeit die Chance verpasst habe, sie einmal in meinem Leben zu treffen – wenn auch nur als Unbekannter in der Menge?
Billig wird das nicht, andererseits: Ich hatte heuer noch keinen Urlaub und auch meine Österreichtour mit der Elektrovespa musste ich am zweiten Tag abbrechen. Das Geld war also da, blieb noch die Frage, ob ich die notwendigen Tickets bekommen würde. Nach Gstaad in der Westschweiz ist es eine halbe Weltreise, dann noch die Übernachtung, das Konzertticket und einiges mehr.
Zwei Wochen vor dem Konzert sagt noch Rodney Crowell (war in Emmylous bester Band aller Zeiten, der „Hot Band“) ab und mir kommen Zweifel, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Corona kann dem Festival in letzter Sekunde einen Strich durch die Rechnung machen, oder Emmylou sagt ab und das Ganze wird für mich wertlos.
Egal – no risk, no fun. Ich buche einen Flug, der mit 178 Euro deutlich billiger als eine Zugfahrt ist und noch dazu direkt geht, wenn auch zu der sportlichen Abflugzeit 07:35 Uhr.
Dann brauche ich noch zwei Zugtickets, denn eine Busverbindung lässt sich irgendwie nicht eruieren und das Taxi ist viel zu teuer.
Der Zug ist allerdings auch nicht gerade billig, hin und zurück macht das 106 Euro, und zwar vom Flughafen in Genf nach Montreux und von dort mit einem zweiten Zug nach Gstaad.
Das Konzertticket kostet 125 Euro und das billigste Hotel, das ich zu diesem Zeitpunkt noch buchen konnte, schlägt mit 130 Euro an.
Das müssten die größten Brocken sein, es kommt noch was fürs Essen dazu und ev. ein paar kleinere Ausgaben.
Das Hotel ist übrigens nicht in Gstaad, weil dort wären nur noch Zimmer in Luxushotels frei gewesen, so ab 800 Euro aufwärts, pro Nacht und nicht unbedingt mit Frühstück.
Ich wohne in Saanen, dem Nachbarort, der binnen einer guten halben Stunde auch zu Fuß erreichbar ist. Mein Hotel, der „Saanerhof“ liegt direkt an der Bahnstation und das Frühstück ist im Preis inkludiert.

Die letzten zwei Wochen verbringe ich in einer Mischung aus Vorfreude und ein wenig Bauchweh.
Dann allerdings ist es Samstag, sechs Uhr früh und ich fahre mit dem Roller zum Flughafen. Hier ist schon die erste Hürde zu überwinden: Vor einigen Jahren gab es einen eigenen Motorradparkplatz, den man gratis benützen konnte. Er war überdacht und man konnte von dort direkt in die Abflughalle gehen.
Gibt es den noch? Am Flughafen wird seit Jahren massiv um- und ausgebaut und gratis gibt es dort eigentlich gar nichts, schon gar keine Parkplätze.
Ich bin allerdings hocherfreut, als ich feststelle, dass es diese Enklave in einer durchkapitalisierten Welt noch gibt. (Für alle, die das auch einmal machen wollen: Man fährt an der Abflugrampe vorbei und biegt direkt dahinter scharf rechts ab, fährt unter der Rampe durch und hat sofort auf der rechten Seite den überdachten Abstellplatz.)

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Bild: Gratis-Parkplatz am Flughafen Schwechat

Ich gebe Helm, Jacke, Handschuhe und Nierengurt in den Koffer, nehme meinen Rucksack heraus und wandere zu meinem Gate.
Dass ich schon lange nicht in der Schweiz war kann ich daran erkennen, dass der Schengen-Beitritt spurlos an mir vorübergegangen ist. Also marschiere ich nach der Sicherheitskontrolle (gefährliche Deos, terroristische Nagelscheren) ohne jedwede weitere Kontrolle (Covid, Pass) zum Gate und warte auf den Abflug.
Ein erster Vorgeschmack auf die Schweiz zeigt sich in Form von Abflugpünktlichkeit, die ich seit Jahren nicht mehr gewohnt bin. Alle, ausnahmslos alle Abflüge der letzten Jahre waren verspätet.
Der Flug ist halbvoll, dauert eine Stunde und zwanzig Minuten und das Wasser an Bord kostet 3,50 Euro, kann aber gerne mit Kreditkarte bezahlt werden, wahrscheinlich nehmen sie sogar Bitcoins.

Kurz vor der Landung taucht die Sonne den Genfer See in goldenes Licht und ich bin schon gespannt, wie die Preise in der Schweiz sich entwickelt haben. Das mehrfach angekündigte Einreiseformular verlangt niemand und ich marschiere mit meinem kleinen Rucksack schnurstracks hinaus und Richtung Bahnhof, der in wenigen Minuten erreichbar ist. An einem Geldautomaten hole ich mir Schweizer Franken, was ebenso problemlos funktioniert. Die kleine Wasserflasche kostet 4 Euro und ich erreiche den Zug um 09:19, der ebenfalls pünktlich abfährt.
Ich sitze in einem Doppelstockzug, der extrem leise und sehr flott unterwegs ist. Vom Flughafen nach Genf fährt er in weniger als zehn Minuten, dann geht es weiter über Lausanne nach Montreux, was in Summe knapp 1,5 Stunden dauert.
Ich muss mich erkundigen, welche Weinsorten hier an den Hängen des Genfer Sees wachsen, jedenfalls müssen es unglaubliche Mengen sein, die hier produziert werden, ich fahre fast die ganze Strecke an Weingärten vorbei. Es steht hier quasi an jeder freien Ecke ein Weinstock, das Klima dürfte günstig sein.

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Bild: Wein wohin man schaut

Bis auf zwei Deutsche reden im Zug fast alle Passagiere Französisch, viele auch eine Sprache, die ich nicht verstehe, die irgendwie portugiesisch klingt.

In Montreux steige ich um und fahre nach wenigen Minuten mit dem zweiten Zug Richtung Gstaad. Es ist eine Schmalspur-Panoramabahn und die Teleobjektive der asiatischen Touristen haben in den letzten Jahren nichts an Größe eingebüßt.
Kurz nach dem Bahnhof schraubt sich der Zug steil in die Höhe, hier ist überhaupt alles sehr eng und sehr steil. Am Berghang stehen überall Schlösschen herum, alles wirkt sehr sauber und ordentlich, wie man es klischeemäßig in der Schweiz erwartet.

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Bild: Blick von oben auf Montreux am Genfer See

W-Lan gibt es im Zug keines, dafür hält er auf Wunsch an winzigen Bahnhöfen, wo er von Zeit zu Zeit ein paar Minuten warten muss, bis der Zug aus der Gegenrichtung vorbeifährt, die Strecke ist nämlich eingleisig.
Die Gegend ist nett, sieht aber auch nicht viel anders aus als bei uns in den Alpen.

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Bild: Landschaft zieht am Zug vorbei

Nach knapp 1,5 Stunden erreichen wir Saanen und ich gehe die wenigen Meter zum Hotel.

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Bild: Saanerhof

Dort erfahre ich vom ziemlich gestressten Manager, dass ich mein Zimmer leider erst gegen 16 oder 17 Uhr beziehen kann, die Festivalgäste von gestern sind heute erst ausgezogen und das Herrichten der Zimmer würde etwas dauern. Ich könnte mein Gepäck allerdings gerne schon im Zimmer abstellen.
Es ist Mittagszeit und ich hatte heute noch keinen Bissen zu Essen. Also beschließe ich einen kleinen Rundgang durch den Ort, um nach einem passenden Wirtshaus Ausschau zu halten. Nach dem Essen wäre dann ein längerer Spaziergang angesagt, für den ich vom Wirt noch schnell einen Tipp erhalten habe: Entlang des kleinen Flusses in Richtung Rougemont wäre es sehr nett.

Saanen ist ein rein touristischer Ort, den es mit ziemlicher Sicherheit irgendwo in China noch einmal gibt. Alles wirkt wie frisch geschleckt, die Häuser sind hier in der Gegend alle im gleichen Stil gebaut, mit Holzfront und Balkonen mit Blumenkisten und die Erdgeschosse sind fest in der Hand von Nobelboutiquen. Der Ortskern ist eine Fußgängerzone, die Schar der Touristinnen und Touristen hält sich allerdings in Grenzen, alles wirkt ruhig und beschaulich.

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Bild: Ortskern von Saanen

Als alter American-Football-Fan bin ich beim Anblick eines Geschäfts hängengeblieben. (Für Nicht-Fans: Der Quarterback der Pittsburg Steelers Ben Roethlisberger hat Vorfahren in der Schweiz. Möglicherweise auch von hier.)

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Bild: Röthlisberger

Punkto Essen geht man hier mit der Mode, es gibt fast ausschließlich Burger und Pizza, eventuell noch was Asiatisches.
Ich will das nicht. Wenn ich in ein Land komme, dann möchte ich landestypisch essen und Burger hängen mir sowieso schon zum Hals raus, die gibt es bei uns auch seit einigen Jahren an jeder Ecke.
In einem Gasthof bekomme ich Rösti mit Spiegelei und Käse, immerhin. Die Kellner:innen sind ausschließlich aus dem ehemaligen Ostblock, also auch alles wie bei uns. Bis das Essen kommt dauert es, die Schweiz bemüht sich hier dem eigenen Klischee gerecht zu werden, aber ich habe es ja nicht eilig.
Die Rösti ist okay, sehr sättigend und ohne jeglichen Pfiff, auch Pfeffer kann da nicht viel retten.

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Bild: Rösti

Um der schnell aufsteigenden Müdigkeit zu entkommen, mache ich mich auf den Weg zu der empfohlenen Wanderung, die mich zuerst ein gutes Stück am Flughafen vorbeiführt. Hin und wieder landet ein Sportflugzeug und bringt gut betuchte Gäste. Auch hier auf dem kleinen Waldweg ist alles sauber und ich sehe das erste Mal in meinem Leben Mistkübel mit einem eigenen Dach.

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Bild: Mistkübel mit Dach

Hin und wieder zieht ein Mountainbiker vorbei und ich treffe einen älteren Herrn – freundlich, mit dezentem Schnurrbart, so stelle ich mir einen Schweizer vor. Kurz vor Rougemont drehe ich um und bin erfreut, dass mein Zimmer jetzt um 16 Uhr doch schon beziehbar ist. Nach einer Dusche und einer Stunde des Ausruhens mache ich mich auf den Weg nach Gstaad, der Zug fährt wie erwartet pünktlich und die Fahrt dauert nur etwa fünf Minuten.
Gstaad selbst ist das, was man einen Nobelort nennt. Boutiquen aller Luxusmarken, hohe Ferraridichte und eine Art Schloss, das über dem Ort thront.

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Bild: Gstaad

Auch das gibt es mit Sicherheit irgendwo in China noch einmal, vielleicht ohne das Country-Festival, aber selbst da bin ich mir nicht sicher.
Das Festival findet in einer Halle plus angeschlossenem Zelt plus Freigelände statt. Es sieht aus wie auf einem Jahrmarkt, mit Fahrgeschäften, Zuckerwatte und einem elektrischen Bullen, der von Kindern gezähmt werden will.
Das Publikum ist bunt gemischt, das Alter eher Richtung Pension gehend, aber auch ganz kleine Knirpse sind unterwegs, wenn auch eher bei den Attraktionen im Freien.

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Bild: Freigelände

Es gibt eine strenge Ausweis- und Coronanachweispflicht, im Gelände bewegen sich die Menschen jedoch ohne Maske – das wird in ein paar Tagen spannend. (gleich vorweg: Ich habe mich drei Tage später testen lassen und war glücklicherweise negativ. In den Medien gab es auch keinerlei Vorfallsmeldungen.) Interessanterweise gibt es keinerlei Taschenkontrolle, ich habe meinen Rucksack dabei und hätte mir jede Menge Getränke mitnehmen können. So habe ich nur eine kleine Flasche Wasser dabei. Scheinbar gibt es keinerlei Angst vor einem Terroranschlag.
Alles ist nach Möglichkeit amerikanisiert worden, sogar die Künstler:innen werden mit Jeeps abgeholt, es gibt an jeder Ecke Burger und anderes Junkfood plus jede Menge Verkaufsstände für Cowboystiefel, Fransenjacken, Cowboyhüte und ähnliche Dinge, die in der Schweiz eher wie eine Verkleidung wirken.
Als ich in das Musikzelt komme, spielt bereits Jade Eagelson, ein junger kanadischer Country-Sänger, der für Rodney Crowell eingesprungen ist. Seine Musik klingt gefällig, aber ohne irgendwie was Besonderes. Nice to hear.
Das Zelt ist groß und bietet ca. 2.500 Sitzplätze, von denen geschätzt 75% belegt sind, wobei ein ständiges Kommen und Gehen herrscht.
Bier wird hier in eher geringen Mengen getrunken, es gibt 0,3-Liter-Becher, die 5,50 CHF kosten und Flaschen mit alkoholfreiem Bier um das gleiche Geld, das eindeutig mehr konsumiert wird als das alkoholische Bier.
Die Stimmung ist friedlich, viele Schweizerinnen und Schweizer sind da, natürlich Leute aus USA, viele Deutsche, Italiener und dann noch jede Menge Leute von überall aus der Welt. Der Ansager redet in moderatem Schwitzerdütsch und Englisch.

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Bild: Die Halle

Irgendwie wirkt die Country-Kulisse für mich ähnlich wie die Gstaad-Kulisse. Nahezu niemand hier ist Cowboy oder Holzfäller, aber viele bemühen sich so auszusehen. Es wirkt oft nicht echt, ganz im Gegensatz zur Musik, die sehr echt ist. Nach Jade Eagleson kommt Philipp Fankhauser, ein Ur-Schweizer, aber mit gewaltiger Stimme, guter Profi-Band und gutem Schmäh.
Der dritte Act ist Aaron Watson – der Cowboy unter den Cowboys. Er lebt tatsächlich in Texas und sieht auch so aus. Seine Musik ist typisch Country, seine Sprüche aber durchaus witzig. Er erzählt, dass er mit einem Hangover von gestern (ich war ja am zweiten Abend dort) heute auf einen Gletscher gebracht wurde und dass er so etwas noch nie gesehen hätte. Es wäre sein erstes Mal in der Schweiz und er sei sehr erstaunt und beeindruckt, dass die Landschaft hier hinter jeder Ecke aussieht wie ein Gemälde. Und dass Pflanzen, die sie in Texas mit enorm viel Mühe und mäßigem Erfolg züchten, hier einfach überall auf Felsen wachsen.
Am meisten aber hat ihn das Unkraut beeindruckt: „Bei uns hat das große Dornen, hier hat es Erdbeeren und Heidelbeeren“ meinte er.

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Bild: Aaron Watson

Ich habe mir meinen Platz vier Reihen vor meinem eigentlichen Sitz gesucht, dort ist alles rundherum frei, was nicht nur Covid-mäßig angenehm ist, sondern auch was die Sicht betrifft.
Der Ton ist extrem laut, auch als mit ein wenig Verspätung Emmylou auftritt. Es gilt den ganzen Abend schon die Regel, dass die Leute bei der ersten Nummer nach vorne kommen und ein Foto machen dürfen. Ab der zweiten Nummer werden sie von den Securities weggescheucht.
Bei Emmylou funktioniert das aber nicht gut und es dauert bis zur dritten Nummer, bis vorne alles geräumt ist.
Auf dem ganzen Festival geht es aber extrem friedlich zu, die Taschenkontrollen sind tatsächlich nicht notwendig, es gibt keine Betrunkenen und keine Randalierer, alles läuft sehr gesittet ab.

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Bild: Emmylou

Emmylou ist wunderbar, ihre Stimme kräftig wie schon seit zwanzig Jahren nicht mehr und ich merke ihr an, dass sie immer noch echte Freude am Spielen hat. Die Frau ist 74 und rockt die Bude ordentlich. Sie spielt eine gute Mischung aus alten und neueren Nummern, von schwungvollem Country bis zu langsamen Balladen ist alles dabei, die letzte Zugabe ist „From Boulder To Birmingham“ und ich bin begeistert, weil ich das nicht erwartet hatte.

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Bild: Emmylou

Als das Konzert aus ist, beschließe ich zum Hotel zurückzugehen. Es gibt zwar in der Halle noch eine Party, aber ich habe eigentlich den ganzen Abend komplett alleine zugebracht, das Festival wirkte auf mich nicht so, dass ich Anschluss hätte finden können. Die meisten Leute waren in Form von Pärchen oder kleinen Gruppen da und mehr als ein paar belanglose Worte waren nicht drin, als ich mich zu ein paar Leuten an einen Tisch setzte, um mein Bier zu genießen.
Außerdem war es schon kurz vor ein Uhr in der Früh und ich hatte noch eine halbe Stunde Fußweg vor mir, von Gstaad nach Saanen. Ich hätte zwar das Geld für ein Taxi, aber ich wollte sowieso ein wenig Luft schnappen und runterkommen. Der Weg war nicht schwer zu finden, er führt immer am Fluß entlang, zum Großteil jedoch unter Bäumen und so war es ausgesprochen dunkel. Das Licht am Handy ist jedoch mehr als ausreichend und ich hatte auch noch genügend Akku.
Irgendwann treffe ich dann auf ein Pärchen, das ebenfalls in die gleiche Richtung unterwegs ist und kein Licht hat. Wir gehen gemeinsam bis zu dem Campingplatz in Saanen, wo sie ihr Wohnmobil stehen haben. Es ist das einzige echte Gespräch an diesem Abend für mich und sehr nett.
Dann bin ich im Hotel und rechtschaffen müde.

Am nächsten Morgen freue ich mich schon auf ein ausgiebiges Frühstück, werde aber leider enttäuscht. Die Kellnerin ist entweder komplett demotiviert oder überfordert, das Buffet ist fast leer. Ich urgiere Butter und Marmelade und bekomme ein langes Gesicht, als sie den Kaffee bringt (ich vertrage keinen Filterkaffee). Auf meine Frage nach einem weichen Ei kommt ein schroffes „Nein“ und bis auf ein wenig Müsli und ein paar Scheiben Käse, die nicht sehr appetitlich aussehen, gibt es mehr oder weniger nichts. Nur das Croissant ist gut, ansonsten kann ich das Hotel für Frühstückfans nicht empfehlen.
Ich bin ordentlich ausgeschlafen und beschließe, den Zug um 10:39 nach Montreux zu nehmen und mir diese Stadt anzusehen. Zeit habe ich genug und hier hält mich auch nichts mehr.
Die Fahrt verläuft unspektakulär und ich begebe mich in Montreux zur Uferpromenade, weil mir der Zimmerwirt in Saanen empfohlen hat zum Chateau zu wandern, das sei besonders schön.

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Bild: Promenade mit Palmen

Glücklicherweise gibt es ein Häuschen mit einer Touristeninformation und ich hole mir ein paar Infos und einen Stadtplan. Der Weg ist mit 40 Minuten angegeben und ich beschließe, eher dahinzuschlendern, schließlich habe ich es nicht eilig, jede halbe Stunde fährt ein schneller Zug nach Genf, ich habe also die Wahl, wann ich weiterfahren möchte.
Es sind ziemlich viele Leute unterwegs, es ist sehr warm und ich marschiere im T-Shirt los. Die Promenade ist angenehm zum Gehen, Montreux hat einen alten Stadtkern mit jeder Menge schöner Gründerzeithäusern und Villen, die sich die steile Bergflanke hinaufziehen. Da ist seit langer Zeit das Geld daheim – so der Eindruck.
Die Moderne hat aber auch an den Grenzen der Schweiz nicht Halt gemacht und so verschandelt eine Autobahn die eigentlich wunderbare Bergkulisse.

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Bild: Autobahn

Und es gibt eine Nestlé-Straße, mit passendem Schild am Rasen daneben.

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Bild: Die Nestlé-Straße in Montreux

Als ich dann aber an mehreren großen, alten Hotelkästen vorbeikomme, die zum Teil leer stehen, ändert sich der Gesamteindruck. Auch in der reichen Schweiz ändert sich scheinbar einiges, Montreux dürfte seine besten Zeiten vielleicht schon hinter sich haben.

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Bild: Das Grand Hotel

Alt und Neu treffen sich hier so wie Arm und Reich. Und es gibt einen Raddampfer, der natürlich nicht mehr mit Dampf betrieben wird, mich aber sehr an die „Gisela“ am Traunsee erinnert.

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Bild: Raddampfer

Ich bin körperlich heute nicht ganz auf der Höhe, vielleicht ist es auch die Sonne, jedenfalls fühle ich mich nicht sehr fit und beschließe, bei dem Chateau eine kleine Pause zu machen. Die ins Wasser gebaute Burg ist ein düsterer Kasten, für dessen Besichtigung sie 13 Franken Eintritt verlangen, was mich nicht wirklich reizt.

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Bild: Chateau de Chillon

Ich marschiere zurück und finde ein nettes Bankerl, um eine meiner Wasserflaschen zu leeren. Ein Vogel (Spatz oder was ähnliches) pickt Kerne aus dem Baum neben mir und ich kann ein wenig entspannen.
Dann geht es weiter, ich beschließe mir bei McDonalds eine Kleinigkeit zu kaufen, erstens um zu sehen, wie der hier ist und zweitens, weil ich glaube, dass es hier W-Lan gibt.
Fazit: Schmecken tut das Zeug wie bei uns, die Preise sind genau das Doppelte und W-Lan gibt es nur, wenn man eine Schweizer Telefonnummer hat.
Ich marschiere zum Info-Haus zurück, wo es tatsächlich W-Lan gibt.
Nach einiger Zeit gehe ich zum Bahnhof und fahre mit dem nächsten Zug nach Genf, um dort auch noch ein wenig die Zeit totzuschlagen. Eigentlich wäre mir ein früherer Rückflug durchaus recht, den gibt es aber nicht und so werde ich noch warten müssen.
Ich war vor langer Zeit einmal in Genf, bei einem Frisbee-Tournier, und kann mich an die Stadt nicht mehr erinnern.
Die Häuser sehen aus wie in Montreux und vom Bahnhof zum See sind es nur ein paar Meter.

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Bild: Park am See

Die Promenade dort ist wesentlich ausladender als in Montreux und ich suche ein nettes Plätzchen zum Ausruhen, irgendwie bin ich ziemlich geschlaucht.
Ich finde es unter einer großen Birke, ein schattiges Stückchen Wiese, auf dem ich mich ein wenig hinlegen kann.

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Bild: Die Birke am Genfer See

Die Atmosphäre ist friedlich, irgendwo daneben hockt eine kleine Gruppe, Kinder spielen und das Wetter ist sehr angenehm. Das Einzige, was mein Glück trübt, ist eine Taube, die im Baum genau über mir sitzt. Ich hatte schon vor vielen Jahren ein wenig angenehmes Erlebnis dieser Art und hoffe, dass sie nicht runterschwatzt.
Natürlich tut sie das irgendwann, glücklicherweise verfehlt mich aber der Batzen Glück. Ich hole mein Handy heraus, höre ein paar alten Nummern von Emmylou und genieße die freundlich-angenehme Szenerie, wenngleich im Hintergrund dreispurig die Autos vorbeifahren.

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Bild: Der Genfer See

Irgendwann hält es mich dann nicht mehr hier, die Sonne ist verschwunden und ich mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Der Zug fährt aber nur zehn Minuten zum Flughafen und ich bin viel zu früh dort. Ohne Gepäck und mit Bordkarte am Handy ist das Einchecken auf diesem eher kleinen Flughafen keine Affaire.
Also hole ich mir einen W-LAN-Code und gehe aus dem Abfluggebäude hinaus. Draußen gibt es eine freie Bank und ich beschließe, hier zu warten. Es wird nämlich noch dauern, da es hier heute genau einen einzigen verspäteten Flug gibt, und das ist natürlich meiner.
Ich hasse das Warten auf Flughäfen. Ich kann natürlich Musik hören oder diesen Bericht hier schreiben, aber das verkürzt die unendlich erscheinende Wartezeit nur unwesentlich. Das W-LAN funktioniert übrigens nur im Gebäude, hier draußen nicht, dafür muss ich hier keine Maske tragen.

Irgendwann sind auch diese Stunden vergangen und ich mache mich auf den Weg zum Gate. Dort sitzen zwei gelangweilte Angestellte, die für genau nichts zuständig oder kompetent sind. Vor allem nicht für die Frage, wie viel Verspätung wir tatsächlich noch aufreißen werden. Ich habe nämlich den Verdacht, dass die angegebene Zeit von 30 Minuten eine freie Erfindung ist. Kurz vor der angegebenen Abflugzeit steht nämlich immer noch kein Flieger da. Auf meine lästige Nachfrage erfahre ich, dass die Maschine vorher aus Athen nach Wien geflogen ist und von dort schon verspätet kam.
Diese elende Nicht-Information hat den Sinn, dass Fluglinien für Verspätungen nicht belangt werden können. Würden sie zugeben, dass sie eine nennenswerte Verspätung haben, könnte irgendwer irgendwie Entschädigung verlangen. So tun sie so, als wäre eh alles im Plan und lassen die Fluggäste dumm sterben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit landet die Maschine und nach einer weiteren Ewigkeit beginnt das Boarding.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt, der Flug verläuft unspektakulär, ebenso die Heimfahrt mit dem Roller.
Ich bin froh, wieder da zu sein. Die zwei Tage haben mich viel Kraft und Geld gekostet. Ich bin aber mindestens genauso froh, dass ich mir das Konzert mit Emmylou gegönnt habe. Es war die Reise wert, keine Frage.

Sudan

Kennt ihr das? Es gibt Bilder im Kopf, die Sehnsüchte erzeugen. Bei mir gibt es ein uraltes Bild, das seine Strahlkraft nie verloren hat. Im Jahr 1978 war ich zu Ostern auf meinem ersten Auslandsurlaub, als 12jähriger Bub. Es ging mit meinem Vater und meinen beiden Geschwistern nach Israel. Einer meiner ersten Eindrücke war das Rauschen des Mittelmeers in Tel Aviv, wo wir die erste Nach verbrachten. Alles war unglaublich aufregend, denn das Meer war an diesem Abend rauh und die riesigen Wellen machten gewaltige, noch nie gehörte Geräusche.

Mein Vater mietete damals einen alten Ford Escort und fuhr mit uns zuerst nach Jerusalem und dann auf die Halbinsel Sinai, die zu dieser Zeit von Israel annektiert war.
Unser Hotel lag im Ort „Neviot“, dem heutigen Nueweiba, und somit direkt am roten Meer, im Golf von Akkaba bzw. Eilat.
Alles in diesem Urlaub war neu und unglaublich spannend – die Gerüche, die Wüste, das Meer, das Essen und noch vieles mehr. Es war so beeindruckend, dass ich z.B. von dem Geruch der Blüten in unserem Hotel noch immer eine Erinnerung habe.
Das rote Meer war für mich damals schon ein irgendwie interessanter Ort, obwohl ich natürlich keine Ahnung hatte, dass ich es Jahrzehnte später einmal betauchen würde – und nicht zu knapp.
Von Tauchen war damals keine Rede, aber unser Vater kaufte uns allen ein Schnorchelset und ein Tauchermesser. Das Messer hielt ich in Ehren und verwendete es viele Jahre lang beim Tauchen, bis eines Tages eine Befestigungsschlaufe riss und ich ohne Messer wieder auftauchte. Ich hatte aber – warum auch immer – daheim noch das Messer meiner Schwester und das habe ich bis heute bei jedem Tauchgang dabei. Es ist mehr als ein Erinnerungsstück – wäre ich ausreichend abergläubisch, dann würde ich sagen, dass es mir Glück bringt.

Wir waren schnorcheln und fuhren mit einem Glasbodenboot über die Riffe. Die unfassbare Vielfalt an Leben, die Farben und noch vieles mehr prägen seit damals mein Bild der Unterwasserwelt. Mit Wehmut denke ich daran, wie es heute wäre, gäbe es diese Riffe noch.

Leider ist das eine Illusion, sie sind schon lange kaputt oder zumindest schwer beschädigt und ich fürchte, es gibt auf der ganzen Welt kein wirklich intaktes Korallenriff mehr. Sollte es doch eines geben, dann würde es binnen weniger Jahre auch zerstört sein, denn Flaschentauchen wird als Hobby von mehreren Millionen Menschen weltweit betrieben.
Auch wenn die Meere groß sind, die Menschen schaffen es problemlos sie zu zerstören. Wer heute in Nuweiba tauchen geht, findet ein kaputtes Riff mit ein paar noch lebenden Korallen und einem Fischbestand, der nur mehr traurig macht.
Die Fische können sich in absehbarer Zeit regenerieren, das wäre nicht das Problem, aber die Korallenriffe sind für sehr lange Zeit verschwunden, wenn sie einmal kaputt sind.

Was bleibt, sind Erinnerungen und eine kleine Hoffnung, noch einmal so ein Riff zu sehen, wie ich es damals sehen konnte. Eine dieser Hoffnungen war der Sudan, denn dort ist die Anzahl der Taucherinnen und Taucher noch sehr überschaubar und ich richtete meinen Blick schon vor ca. 15 Jahren auf diesen Ort. Damals war es allerdings sehr umständlich, mühsam und teuer im Sudan zu tauchen. Die Genehmigungen waren teuer, Safarischiffe durften nicht von Ägypten über die Grenze fahren und es blieb ein Ort der Sehnsucht.

Umso spannender fand ich es, als mein alter Freund Gabor letzten Herbst mit einem Angebot für eine Tauchsafari daher kam. Meine Schwägerin sah es zuerst und hatte die Idee, dass wir es meinem Bruder zu seinem 50er schenken könnten.
Ich zögerte nicht wirklich lange und so buchten wir die Tour „Sudan Nord“ über ein Reisebüro in Innsbruck. Wirklich billig ist es auch heute noch nicht, die Gesamtkosten kamen für mich auf 2.700 Euro. Das ist ein ordentlicher Batzen Geld für eine Woche Urlaub (knapp 10 Tage inklusive der An- und Rückreise, dazu gleich mehr), aber Träume erfüllen kostet eben Geld.

Dazu kommt bei mir leider noch das Problem, dass Tauchreisen einen unfassbar großen ökologischen Fußabdruck haben, der sich nicht wirklich gut verringern lässt. Das beginnt schon bei der Anreise, die ohne Flugzeug nicht zu machen ist. Das Safariboot wird mit Diesel angetrieben und braucht davon eine ganze Menge, genau genommen einige tausend Liter für die beiden Motoren und die beiden Generatoren.
Der Rest ist eher vernachlässigbar, denn die Tauchausrüstung hält ewig und das Essen besteht großteils aus Fisch und Gemüse, es gibt allerdings auch Rind und Huhn.
Tauchsafaris auf Segelschiffen werden sehr selten angeboten und haben einige Nachteile. Sie können Riffe z.B. nur anfahren, wenn sie auch einen Motor eingebaut haben und die Kompressoren zum Füllen der Flaschen lassen sich mit einem Solarpanel nicht betreiben.

Mein Kompromiss besteht darin, dass ich solche Reisen selten mache, in den vergangenen zehn Jahren waren es fünf (1x Costa Rica aber ohne Safari, 2 x Ägypten, 1x Malediven und jetzt der Sudan).

Leider wird uns das Thema Umweltschutz durch diesen Beitrag begleiten (müssen).

Die Vorfreude nach dem Buchen wurde durch die Art und Dauer der An- und Rückreise erheblich getrübt. Ich hasse Fliegen. Mehr als Fliegen hasse ich nur noch die elenden Flughäfen und das dortige Warten. In der Jugend war das noch irgendwie ein Abenteuer, heute ist es purer Stress. Nach Ägypten ist das halb so wild, abgesehen von den Flugzeiten, die oft ein Aufstehen um drei in der Nacht erfordern. Aber man kann direkt von Wien nach Hurghada oder Marsa Alam fliegen, das dauert so 4,5 Stunden, ist mühsam aber okay.
Nach Port Sudan sieht die Sache schon anders aus. Es gibt die eine oder andere afrikanische Fluglinie, die aber oft dermaßen Verspätungen aufreissen, dass die Gefahr besteht das Schiff zu versäumen. Das würde die gesamte Woche zerstören, denn wenn das Schiff weg ist, ist es weg. Daher bleibt eigentlich nur mehr Emirates, was aber bedeutet, dass man über Dubai fliegen muss.
Ich war das erste Mal 2005 in Dubai und erinnere mich noch an den damals schon riesigen Flughafen mit der goldenen Palme und dem Luxussportwagen, den man gewinnen konnte.
Letztes Jahr musste ich auf die Malediven wieder über Dubai fliegen und hab das schon als sehr knechtend in Erinnerung. Erstens war ich allein, weil meine Freunde schon zwei Tage vorher geflogen sind, und zweitens hatte ich ca. 3,5 Stunden Aufenthalt. Dieses Herumhocken auf irgend einer Bank ist fürchterlich.
Wenigstens liegt Dubai am Weg wenn man auf die Malediven fliegt. Bei Port Sudan ist das nicht der Fall, da fliegt man erst lange Richtung Osten und dann wieder zurück Richtung Westen.
Und wir hatten 7 Stunden Zwischenstopp. Das ist eigentlich unerträglich, aber mein Bruder meinte, da gehen wir in eine der zahlreichen Lounges, die sind in Dubai sehr gut ausgestattet und man hat so etwas wie Liegestühle und das geht schon irgendwie. Seine Mastercard würde ihm da problemlos Zugang verschaffen und um ein paar Dollar könnte ich mit hinein.
Beim Rückflug hatten wir etwas anderes geplant, denn da beträgt der Zwischenstopp neun Stunden und das halte ich persönlich einfach nicht aus. Also buchten wir ein Hotel in Dubai, gleich neben dem Flughafen, mit einem „Superior Doppelzimmer“ um wohlfeile 80 Euro die Nacht (oder waren es 120? Auch egal).
Da wir den späteren Flug um 15:40 statt den in der Früh buchten, könnten wir ein paar Stunden lang Dubai anschauen. Das war für mich zwar eine mäßig prickelnde Aussicht, aber wer weiß, vielleicht wird das ja ganz interessant.

Das gebuchte Schiff war die „Seawolf Dominator“, ein ägyptisches Schiff, vergleichbar mit der Golden Dolphin, die ich gut kenne. Diese größeren Safarischiffe haben einen hohen Standard zu einem sehr fairen Preis. Dazu kam eben noch die Aussicht auf interessante Tauchgänge, deren 20 an der Zahl geplant waren.
Das bedeutet aber vier Tage mit je vier Tauchgängen, das ist ziemlich anstrengend, aber schließlich fahre ich zum Tauchen hin.

Dann ist er plötzlich da, der Tag der Abreise.

Meine Schwägerin bringt uns zum Flughafen, der mit einer Neuerung aufwartet: Es gibt jetzt einen Schranken vor der Rampe, bei dem man ein Ticket ziehen muss. Zusätzlich bringt die Digitalisierung es mit sich, dass das Nummernschild des Autos gescannt wird. Man darf nämlich maximal zehn Minuten dort stehen bleiben und das maximal zwei Mal am Tag. So bekommen sie die vielen UBER-Taxis in den Griff, die es bisher schamlos ausnutzten, dass die Benützung der dortigen Parkplätze – die nur zum Aussteigen gedacht sind – gratis war.

Das Einchecken geht schnell und ich kann mit der Dame am Schalter auch einen besseren Sitzplatz verhandeln. Zumindest ein Gangplatz ist es geworden, ich bin der Dame sehr dankbar, Mittelsitze halte ich einfach nicht aus.

Die Kiste ist knackevoll, schließlich ist es in Österreich kalt und in Dubai angenehm warm und dort befinden sich somit die neuen Hausmeisterstrände für den Winter. Das Publikum sieht auch ganz nach Hausmeisterstrand aus, viele Jogger sind zu sehen und Karl Lagerfeld hätte sein persönliches Armageddon, wenn er erstens noch leben und zweitens mit diesem Flieger fliegen würde.

Irgendwann haben alle ihren Sitzplatz gefunden, das Gepäck verstaut und der Flieger rollt Richtung Startbahn. Ich bin froh, dass es endlich losgeht und überlege mir schon, wie ich die fünf Stunden einigermaßen überstehen kann.

Dann bleiben wir stehen. Was ist jetzt los? Mir gegenüber am Jumpseat sitzt Milos aus Bosnien. Er informiert mich: Weiter vorne fühlt sich die Tochter einer Dame nicht ganz wohl und möchte jetzt doch lieber nicht fliegen.
Oidaaaaaa!
Geh bitte!
Na, ned jetzt. Warum unbedingt heute, hier in diesem Flieger?

Alles ärgern nützt nichts, wir drehen um und rollen wieder zur Fluggastbrücke. Türe auf, irgendwo kommt ein Krankenwagen, die Polizei, die Nationalgarde nicht (aber auch nur, weil wir sowas gar nicht haben), Superman dürfte sich verspäten und auch ich bin alles andere als erfreut.

Das Prozedere ist genau vorgegeben: Die Dame samt ihrer Tochter wird von einem Team an Ärzten und Sanitätern mit viel Trara aus dem Flugzeug hinausgebracht, das Gepäck muss ausgeladen werden und meistens müssen auch alle Gäste von Bord. Dann muss der Sprengstoff-Spürhund kommen, auch das Handgepäck muss raus und nach einer Ewigkeit geht es dann weiter. Das Problem verschärft sich noch dadurch, dass die Start-Slots in Wien sowie die Lande-Slots in Dubai neu berechnet werden müssen und noch vieles mehr.

Wir fassen – Glück im Unglück – nur die Light-Variante aus und dürfen an Bord bleiben. Allerdings muss jeder an Bord befindliche Gegenstand identifiziert und zugeordnet werden.
Irgendwann ist alles erledigt und wir starten tatsächlich.

Ich winke vorher noch Milos herbei und frage ihn, was denn jetzt mit den beiden freien Plätzen wäre und ob ich einen davon haben könnte. Er zwinkert mir zu und meint, dass er schauen würde, was sich machen lässt.

So komme ich zu einem tollen Sitz. Genauer gesagt die Reihe 37 beim Notausgang. Das hat den Vorteil großer Beinfreiheit, allerdings bekomme ich nur mehr einen Mittelsitz, was die Freiheit nach links und rechts auf ein veritables Eingezwängtsein reduziert. Für mich bedeutet das fünf Stunden Flug in einer Lage absoluter Würdelosigkeit. Natürlich wäre es möglich Business Class zu fliegen, aber das passt vom Preis-Leistungsverhältnis einfach nicht.
Glücklicherweise kann man bei Emirates in der Boeing 777 auch beim Notausgang die Sitzlehnen umlegen, das geht bei einigen Flugzeugen nämlich nicht und dann wird es zur puren Qual, da hilft auch die Beinfreiheit nichts mehr.

Das Essen ist okay, das Bier von Heineken (wenn´st grad ka Glück hast kommt auch noch a bissl a Pech dazu…) und das Schlafmittel wirkt nicht, wahrscheinlich wegen dem Heinenken, die heben sich irgendwie auf oder so.
Egal, irgendwann ist der Flug vorbei und wir landen mitten in der Nacht in Dubai mit der erfrischenden Aussicht auf sieben Stunden Herumhängen.

In einer gemütlichen Lounge sollte das etwas besser gehen als auf irgend einem Plastiksessel irgendwo in diesem riesigen Flughafen. Also marschieren wir dorthin und mein Bruder legt die Mastercard auf den Tisch.
Dummerweise funktioniert der Pin-Code nicht und sehr zur Enttäuschung aller müssen wir unverrichteter Dinge wieder abziehen und uns doch einen Pastiksessel suchen.

Natürlich habe ich Bücher mit und damit kann man sich die Zeit gut vertreiben. Aber ich kann und will nicht sieben Stunden lesen. Also verrinnt die Zeit elend langsam und auch das Beobachten der durchaus interessanten und vielfältigen Typen auf diesem sehr internationalen Ort wird irgendwann fad. Essen ist eine Möglichkeit, aber außer den üblichen Fastfood-Buden gibt es hier nichts. Also wird es doch der McDonalds, da weiß man wenigstens, wie es schmecken wird. Die Kosten belaufen sich auf 15 Euro für uns beide (Gabor und Mathias sind nach Dubai hinein gefahren um den Burj Khalifa zu besteigen), was etwas teurer ist als bei uns, aber nicht viel.

Dann ist es endlich soweit, wir fliegen weiter nach Port Sudan, und zwar mit der „Fly Dubai“, einer Billiglinie der Emirates. Dort sitzen in der Economy-Class zwei Klassen, von denen nur eine Essen bekommt, die andere immerhin einen Becher Wasser.
Auch dieser Flug dauert 3,5 Stunden und ist irgendwann vorbei. Glücklicherweise ist das Flugzeug nur halb voll und wir haben zumindest einen Sitzplatz zwischen uns frei, was den Flug doch deutlich erleichtert.

Port Sudan ist ein winziger Flughafen und empfängt uns mit schweren Regenwolken. Es gibt nur eine Startbahn, ein Gate, eine Wartehalle, aber ich finde das eigentlich sehr sympathisch, weil es gemütlicher zugeht und irgendwie persönlicher ist. Dort fliegen pro Tag auch nur eine Handvoll Flugzeuge und wir werden von zwei Herren empfangen, die mit einem seltsamen Gerät zu uns kommen, das sie uns an die Stirn halten. Es entpuppt sich als Wärmebildkamera, mit der sie uns ins Gesicht leuchte, wahrscheinlich um den Corona-Virus zu entdecken. Da ihn niemand von den Fluggästen haben dürfte, ziehen sie unverrichteter Dinge wieder von dannen.
Wir füllen die üblichen Formulare aus, die jedoch dort dann niemand braucht. Ein Typ kommt, nimmt uns die Pässe ab und führt uns zur Durchleuchtungsmaschine. Er erledigt alle Einreiseformalitäten und schleust uns an allen möglichen und unmöglichen Kontrollen vorbei. Ich fühle mich wie in Kenia vor 30 Jahren. Es sieht übrigens auch so aus wie in Kenia vor dreißig Jahren, der ganze Flughafen ist schmuddelig und abgenützt, aber das ist uns egal, wir sind draußen und es beginnt leicht zu regnen. Die Menschen wirken durchaus sympathisch und wir entdecken die anderen 6 Gäste für unser Schiff, die zu unserem Bus geführt werden.
Christian ist Sozialpädagoge aus Kärnten, Nathalie kommt aus Chur, Robert und Martina sind waschechte Bayern, Markus ist aus Bremen angereist und Werner aus Karlsruhe.

Unser Bus ist die übliche Kracksn mit vielen Fransendecken im Innenraum und einer Klimaanlage, die daraus einen Eisschrank macht. Glücklicherweise kann man sie abdrehen, was – wie erwartet – beim Fahrer größtes Unverständnis auslöst. Bei 45 Grad würde ich das noch verstehen, aber es ist eher kühl und das letzte, das allerletzte, was wir jetzt brauchen, ist eine Klimaanlage, die uns einen Spontanschnupfen beschert, der das Tauchen verunmöglicht.
Also fahren wir los auf die große Küstenstraße Richtung Port Sudan. Der Flughafen liegt etwa so weit außerhalb wie Schwechat und wir fahren durch die Wüste, vorbei an Industrieanlagen und den üblichen Rohbau-Ruinen, die scheinbar die gesamte Küste des Roten Meeres hässlich machen.
Plötzlich fliegt ein großes, dunkles Ding an meinem Fenster vorbei und wir rufen dem Fahrer zu, dass er bitte schnellstens stehen bleiben soll. Eine unserer Taschen hat sich bei geschmeidigen 80 km/h verabschiedet und der Fahrer wandert zurück, um sie wieder zu holen.

Sie dürfte einigermaßen unbeschädigt sein und nachdem sie wieder am Dach verstaut wurde (wo sich all unser Gepäck befindet), geht es weiter. Alles easy, alles entspannt.
Port Sudan ist ein bizarrer Ort, mit gerade angelegten Straßen, ein bisschen wie Hurghada vor 30 Jahren. Die meisten Autos, die dort herumfahren, sind relativ neu und Stau ist ein Fremdwort, obwohl die Stadt als wichtigste Hafenstadt des Sudan inzwischen auf ca. 600.000 EinwohnerInnen gewachsen ist. Davon ist aber nichts zu bemerken, sie wirkt nicht sehr bevölkert und auch nicht groß, wobei wir ja nur das Stück zum Hafen sehen.

Das Interessanteste ist wohl die Hafenmole, eine Art sozialer Treffpunkt. Aufgereiht stehen dort eine große Anzahl an Plastiksesseln, die den ganzen Tag, vor allem aber am Abend besetzt sind – mit Männern (und auch ein paar Frauen, mit Kopftuch, aber unverschleiert), die einfach hinaus schauen, auf das Schiff, den Hafen oder sonstwohin. Sie trinken Tee und rauchen Sisha, es herrscht absolutes Alkoholverbot – insgesamt eine fremdartige, bizarre Szenerie.
Dahinter stehen eine Handvoll Billardtische, die am Abend alle bespielt werden.

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Bild: Hafenmole in Port Sudan

Wir gehen an Bord unseres Schiffs und ich fühle mich sofort wieder wie auf einer der vielen Tauchsafaris in Ägypten. Das Schiff ist genauso aufgebaut wie fast alle anderen Safarischiffe, mit einem Unterdeck samt Kabinen und drei weiteren Decks, das oberste als reines Sonnendeck.

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Bild: Die „Seawolf Dominator“

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Bild: Das oberste Deck – wird gerne zum Sonnenbaden, Lesen, Herumhängen genützt.

Unser Riesenglück besteht jetzt darin, dass wir nur 10 Gäste sind und so bekomme ich ohne Aufpreis eine Einzelkabine, was sehr angenehm ist, weil mein Bruder hin und wieder zu schnarchen pflegt.
Die Kabinen sind auf dem aktuellen Standard mit WC, heißer Dusche und zwei Betten und wenn man die Klimaanlage ausschaltet, ist es recht aushaltbar, ganz abgesehen davon, dass wir uns sowieso nur zum Schlafen darin aufhalten und jeden Tag um 05:30 aufgeweckt werden (oder früher, dazu später).

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Bild: Kabine

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Bild: WC

Ich werde diesmal mit NITROX tauchen, quasi meine Premiere, obwohl ich schon vor zehn Jahren den Schein dazu gemacht habe. Kurz zur Erklärung: Flaschentauchen funktioniert mit Pressluft. Die Standardflasche hat 12 Liter Fassungsvermögen und wird mit 200 bar gefüllt, das macht 2.400 Liter Luft.
Die Luft besteht zu 21% aus Sauerstoff, 78% Stickstoff und einigen Edelgasen, darunter auch CO2.
Stickstoff reichert sich während es Tauchgangs im Körper an und muss dann abgeatmet werden (die sogenannte Dekompression). Je weniger davon man in der Luft hat, desto kürzer ist diese Zeit bzw. umso länger kann man in der Tiefe bleiben, weil weniger angereichert wird.
Der Sauerstoff wiederum wird ab einer gewissen Tiefe giftig, man braucht also eine passende Mischung, um irgendwo in der Mitte anzukommen. NITROX heißt auch „enriched air“, weil die Mischung ca. 30% Sauerstoff enthält und somit nur mehr ca. 70% Stickstoff.
Das bedeutet, dass man nicht so tief hinuntergehen kann wie mit Luft, dafür aber länger bleiben.

In der Praxis sagt man der Crew, dass man mit NITROX tauchen möchte und sie füllen die Flasche entsprechend auf. Vor jedem Tauchgang prüft man mit einem kleinen Tester die Mischung und tippt den entsprechenden Wert in den Computer, der dann die richtigen Zeiten berechnet.
Mehr ist nicht zu tun, angeblich lässt einen das Tauchen mit NITROX weniger schnell müde werden, ich konnte diesen Effekt nicht beobachten.
Nitrox kostet übrigens auf diesem Schiff 70 Euro Aufpreis für eine ganze Tour.

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Bild: Christian und Markus, der sich gerade für einen Tauchgang fertig macht. Im Hintergrund die Kästchen, die uns für kleines Equipment zur Verfügung stehen. Da werden Masken, Tauchcomputer und Kameras gelagert.

An Bord ist die Verpflegung inbegriffen, ausgenommen sind Wein, Bier und Cola. Am Schiff gibt es mehrere dieser 20-Liter-Wasserspender und jede(r) bekommt eine Plastikflasche (wahlweise um ein paar Euro eine Aluflasche), die beschriftet wird und immer wieder gefüllt wird. Auf einem Safarischiff wird enorm viel Wasser getrunken, weil Tauchen austrocknet. Der Grund dafür ist, dass die Luft getrocknet wird, bevor sie in die Pressluftflaschen kommt. Das führt aber auch dazu, dass ich vor und nach jedem Tauchgang auf´s Klo muss, gepinkelt wird prinzipiell weiß, ich komme auf bis zu 10x pro Tag.
Bier wurde aus Ägypten mitgenommen, sie haben viele Dosen Stella-Bier für die gesamte Saison (bis Mitte Mai) gebunkert, da es im Sudan keinerlei Alkohol zu kaufen gibt. Die Dose kostet 4 Euro, ich trinke jeden Abend eine.

Das Essen ist wie fast immer hervorragend, es ist immer wieder erstaunlich, was der Koch in seiner kleinen Kombüse zaubern kann. Es gibt nach dem Early Morning Dive schon ein üppiges Frühstück, sehr beliebt sind Omlettes und Palatschinken, die es auf jedem Safarischiff gibt und die aus einem mir unerfindlichen Grund zum Standard geworden sind.

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Bild: Buffet

Nach dem zweiten Tauchgang gibt es ein tolles Mittagsbuffet, viel Gemüse und Fisch, aber auch Huhn und Rind sowie mehrere Salate. Nur die Nachspeisen sind meistens nicht so meins, es gibt seltsame Puddingcremes und ähnliches. Dann gibt es noch eine Nachmittagsjause und nach dem Nachttauchgang, der schon kurz nach Sonnenuntergang beginnt, ein ebenso üppiges Abendessen.
Scheinbar verbraucht der Körper beim Tauchen aber viel Energie, denn ich habe nichts zu- eher etwas abgenommen.

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Bild: Am Tauchdeck hat jeder Taucher/jede Taucherin einen Platz mit der Flasche, auf der Jacket und Regler fix montiert sind und die ganze Woche dran bleiben. Die Flaschen werden nach jedem Tauchgang blitzschnell gefüllt. Unter der Bank hat jeder seine Box und hinten sieht man auch die Anzüge hängen, die allerdings selten bis nie zwischen den Tauchgängen trocknen.

Die Sicherheit kommt an Bord auch nicht zu kurz – es gibt zwei große Sauerstoffflaschen für den Fall der Fälle, dazu Rettungsinseln und die entsprechende Elektronik, die heute Standard ist.

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Bild: Sauerstoffflaschen für einen Deko-Unfall. Rechts ist die Treppe auf das Oberdeck, die große Türe führt in den Salon. Gut zu sehen ist auch der Wasserspender – einer von vielen an Bord.

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Bild: Das Oberdeck. Unsere beiden Guides Safwat und Helmy diskutieren gerade irgendwas.

DER ERSTE TAUCHTAG

Als wir Freitag Nachmittag aufs Schiff kommen, ist alles hergerichtet. Das Tauchzeug wird am Tauchdeck verstaut, auch hier herrscht Routine vor, alle kennen das Prozedere. Dann gibt es ein Briefing für das Schiff und den Plan für den nächsten Tag: Wir fahren in der Früh zum Checkdive hinaus, allerdings nur 20 Minuten und danach wieder zurück, weil wir noch Diesel tanken müssen, das funktioniert am Freitag nicht, weil muslimischer Sonntag, sozusagen.

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Bild: Diese Kiste ist ein riesiger Autotransporter. Mit diesen Schiffen kommen unsere Autos von Asien nach Europa.

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Bild: Die Containerfrachter, die Port Sudan anlaufen, sind eher kleiner (ca. 500 Container, die großen fassen mehr als 6.000) Um anlegen zu können, helfen ihnen Schlepper. Und die Wolken, die diese Schlepper oben raushauen, willst du nicht gesehen haben.

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Bild: Am Sonnendeck gibt es einen Steuerstand, den der Kapitän vor allem beim An- und Ablegen verwendet. Im Hintergrund der Containerhafen von Port Sudan.

Die Nacht ist angenehm, bis auf den Dieselgestank, den wir im Unterdeck von irgendwo draußen durch das Bullauge abbekommen.
Das Riff, zu dem wir fahren, ist von mäßiger Schönheit und ich hoffe, dass es nicht typisch ist für die Riffe generell. Ich tauche mit meinem Tropenanzug, der sich als ein wenig zu kühl herausstellt. Für den zweiten Tauchgang werde ich noch einen Neopren-Unterzieher verwenden, und zwar einen, den ich über den Anzug tragen kann und der eine Haube hat, weil man am Kopf am meisten Wärme verliert.
Die Korallen sind klein, man sieht überall die (durch zu warmes Wasser bedingte) Korallenbleiche und eine Menge Dornenkronen, die in größerer Population ein Riff zerstören können.
Der Tauchgang ist erfolgreich, das Nivau taucherisch hoch und unsere beiden Guides Helmy und Safwat sind zufrieden. Sie haben eine einigermaßen entspannte Woche vor sich, weil statt Russen in dieser Woche wir an Bord sind, was ihnen die Arbeit erleichtert. Beide stammen aus Kairo und haben Familie.
Am Nachmittag fahren wir wieder hinaus zum Wingate-Reef, wo die Umbria liegt – einer der Gründe, weshalb man in den Sudan tauchen fährt. Das Wrack ist einfach zu betauchen, nur das Wetter spielt nicht ganz mit. Es ist sehr windig und bewölkt, der Wind ist vor allem dann eiskalt, wenn man nach dem Tauchgang den Anzug auszieht.
Das Schiff hat die beiden üblichen Zodiacs mit (Schlauchboote mit Außenborder) und wir erfahren, dass wohl die meisten Tauchgänge damit stattfinden werden. Deswegen ist diese Tour auch nichts für Anfänger, weil Tauchgänge mit dem Zodiac einer gewisse Erfahrung bedürfen. Das Reinplumpsen lassen ist ja noch einfach, aber wieder zurück in den Zodiac zu klettern manchmal eine ziemliche Prüfung, vor allem bei hohem Wellengang.

Die Umbria ist ein stattlicher Dampfer von 155 Metern Länge. Er wurde im zweiten Weltkrieg zum Frachter umgebaut und am 7. Juni 1940 bei Kriegseintritt Italiens vom Kapitän versenkt, sehr zum Leidwesen der Briten, die die Fracht gerne gehabt hätten, vor allem die Unmenge an Bomben, die mit dem Schiff untergingen.
Die kann man heute besichtigen, ebenso die 3 Fiat Lunga, die in einem der Frachträume stehen sowie Weinflaschen, Zementsäcke und noch einiges mehr.
Wir werden an diesem Wrack noch einmal bei der Rückfahrt am letzten Tauchtag vorbei kommen und tauchen diesmal nur die Außenseite, was spektakulär genug ist.
Das Wrack liegt seitwärts und ist nicht zerbrochen. Es lässt sich fast mit der berühmten Thistlegorm vergleichen und drei Tauchgänge sind nicht zu viel.
Ganz zum Schluss entdecken wir noch einen Krokodilfisch, der auf der Flanke direkt unter der Reeling Platz genommen hat.

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Bild: Krokodilfisch

Leider bin ich mit der Hand an einer scharfen Kante angekommen und hab mir einen Finger aufgeschnitten. Das blutet ein wenig, ist aber vor allem deswegen unangenehm, weil es in den nächsten Tagen nicht gut verheilen wird, bei bis zu vier Tauchgängen am Tag. Das Schiff ist aber sehr gut mit allem ausgestattet, was man bei kleineren Verletzungen braucht und so macht die Wunde kein echtes Problem.

Uns reicht jetzt erst einmal einer, das Abendessen verbringen wir noch im Schutz des Wingate-Riffs und dann geht es auf die lange Nachtfahrt Richtung Norden. Sie dauert sieben Stunden und wir haben leider starken Seegang. Es ist heiß in der Kabine, weil die Bullaugen geschlossen bleiben müssen und das Holzschiff knarzt und ächzt. Von Zeit zu Zeit springt meine Kabinentür auf und lässt sich nicht wirklich sicher schließen, was ziemlich nervig ist
Irgendwann in der Nacht gibt es dann einen riesigen Kracher, ein metallisches Scheppern und ich erfahre in der Früh, dass die Rechauds von ihrem Tisch gefallen sind. Kaputt ist nichts und irgendwann ist die Fahrt vorbei, wir sind am Ziel angekommen und mehr oder weniger bereit für den ersten Early-Morning-Dive.
Mein Bruder Peter ist unentspannt, weil sein Bett zu klein ist und er in der Bugkabine noch mehr von der Schaukelei abbekommen hat.

DER ZWEITE TAUCHTAG

Heute sind vier Tauchgänge angesetzt. Ich bin mit dem von Gabor ausgeborgten Suunto-Tauchcomputer nur mäßig zufrieden. Er hat ein dermaßen kompliziertes Menü, dass ich ins Schwitzen komme, wenn ich die Bedienungsanleitung durchlesen muss. Intuitiv wie mein Aladin ist anders. Zudem ist die Schrift zu klein, mit meiner Altersweitsichtigkeit kann ich sie unter Wasser nur schwer ablesen.
Die Tauchgänge sind etwas mager, immerhin sehen wir am Angarosh-Reef einen grauen Riffhai und 2-3 White Tip. Die Wassertemperatur ist hier 24 Grad, was um einen Hauch zu kühl ist, um eine ganze Stunde bequem zu tauchen.
Der zweite Tauchgang ist etwas besser punkto Korallen (Abington-Reef), unterhalb von 8 Metern ist aber auch nicht mehr viel los. Den dritten Tauchgang am Merlo-Reef lässt Peter aus, bis auf einen Barracuda und jede Menge kleiner, oranger Fahnenbarsche is aber nicht viel zu sehen. Diese Riffe sind leider um nichts besser als die vielbetauchten in Ägypten.
Der vierte Tauchgang ist der erste Nachttauchgang am Shambaia-Reef. Auch hier ist das Riff ziemlich kaputt, es gibt sehr wenig zu sehen, ein paar schlafende Fische, ein paar Garnelen, das war es dann aber auch.

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Bild: Wir bereiten uns auf den ersten Nachttauchgang vor – mit einem fast gar nicht gestellten Bild…

Leider muss ich nach ein paar Minuten bemerken, dass meine Tauchlampe schwächer wird, trotz frischer Batterien. Als ich vorne einen Blick ins Glas werfe, muss ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass drinnen eine braune Suppe sichtbar ist. Die Lampe ist undicht und gibt gerade den Geist auf. Mir bleibt nichts anderes übrig als die Ersatzlampe zu aktivieren, die ich immer dabei habe.
Auch zu ihr gibt es eine kleine Geschichte: Als ich im Sommer 1993 als frisch gebackener Taucher in Kroatien auf der Insel Cres das Wrack der „Lena“ betaucht habe, bin ich zum Schluss in eine kleine Grotte geschwommen, die nur 2 Meter unter Wasser ist und die sozusagen als nettes Gimmick für das Ende des Tauchgangs empfohlen wurde.
Dort sah ich am Boden die Lampe liegen, die jemand verloren hatte. Seitdem besitze ich eine Reservelampe, die immer noch tadellos funktioniert. Sie reicht völlig aus um den Tauchgang fortzusetzen, noch dazu, weil alle anderen sowieso die Fischgriller dabei haben und die Szenerie durch mehrere Tauchlampen ordentlich erhellt wird.

Zurück an Bord machen wir die Lampe auf Anraten von Werner sehr vorsichtig auf, da sich ein ordentlicher Überdruck aufgebaut hat. Heraus spritzt eine braune Sauce, die durch die geplatzten und ziemlich heißen Batterien entstanden ist. Die Lampe ist hinüber. (Anmerkung: Ich hab sie nach Österreich zurück genommen, dort noch einmal getestet und dann auf Willhaben verschenkt. Binnen weniger Stunden hatte ich mehrere Anfragen und ein netter Herr hat sie abgeholt und gemeint, er hätte die restlichen, kaputten Teile. Irgendwie netter als Wegwerfen, finde ich.)

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Bild: meine Tauchlampe, inzwischen Geschichte

DER DRITTE TAUCHTAG

Wir tauchen noch einmal am Angarosh-Reef, der Wind wechselt von Süd auf Nord und dadurch wird sie Sicht schlechter, weil Sediment aufgewirbelt wird. Es ist eher dunkel, weil stark bewölkt, meine Maske sitzt zu fest und bis auf einen Napoleon und einen White Tip ist nichts zu sehen. Eher unangenehm fällt der Spanier von der Blue Force 3 auf – einer dieser großkotzigen Typen, die mit ihrer Ausrüstung prahlen. Er geht mit 4 (!) Flaschen tauchen – keine Ahnung, wofür das gut sein soll. Die anderen Taucher von seinem Schiff dürften recht routiniert sein, die Tauchgänge sind weder sehr lang noch sehr tief – ich kann den Grund nicht erkennen.
Zu allem Überfluss kratzt er auch noch mit einem Metallgegenstand an einer seiner Flaschen, um Haie irre zu machen. Das kann durchaus gefährlich werden, und zwar nicht nur für ihn, sondern auch für alle anderen Taucher in seiner Umgebung. Wir haben mit unserem Guide Helmy länger darüber diskutiert und er hat schon einige gefährliche Situationen erlebt.

Der zweite Tauchgang findet dann an einem Platz namens „Qita el Banna“ statt, ein schönes, rundes Riff mit gutem Bewuchs bis ca. 15 Metern Tiefe, viele kleine Höhlen und ein Seidenhai über uns. Ich kann dann noch einer Seegurke beim Fressen zusehen – das war es aber auch schon.

Der dritte Tauchgang bei Sha´ab Suedi ist mühsam. Wir ankern in einer Art Kanal und es gibt deutlich spürbare Strömung. Peter und ich tauchen allein (die Guides bleiben an Bord und geben uns nur das Briefing – prinzipiell kein Problem) und besprechen den Tauchgang leider nicht an Deck vor. So irre ich mich in der Richtung, in die wir tauchen sollen und zeige meinem Bruder unter Wasser, dass wir in die andere Richtung gehören. Er hat sich aber vorher die Richtung von Bord aus angesehen und weiß, wo wir hin wollen. Das wiederum weiß ich aber nicht.
Wir erreichen nicht das angepeilte Ziel und landen an einer anderen Stelle des Riffs. Beim Zurücktauchen ist die Strömung ganz ordentlich, aber nicht problematisch. Wieder an Bord erfahren wir, dass es ca. der Hälfte der anderen auch so gegangen ist.
Ein Problem waren die Seile, mit denen das Schiff verankert ist. Am Bild beim Briefing waren nur zwei Stück auf einer Seite eingezeichnet, de facto gab es aber auf der anderen Seite auch zwei, was meine Verwirrung noch gesteigert hat, da ich so die Seiten noch mehr verwechselt habe.

Wie auch immer – es ist nichts Schlimmes passiert und immerhin weiß ich, dass der Platz, an dem der Nachttauchgang stattfinden wird, an einem ziemlich kaputten Riff liegt. Es sieht in etwa so aus wie die meisten Riffe in Ägypten – ein paar Weichkorallen, nur mehr sehr wenig Hartkorallen, große Teile abgestorben – sehr traurig, das hätte ich mir hier nicht erwartet.

Bis auf Werner und mich will niemand den Nachttauchgang machen. Beim Briefing rät Helmy davon ab – die Strömung sei jetzt wesentlich stärker als am Nachmittag, die Tafel, die an einer Leine im Wasser hängt, steht zwar nicht waagrecht, aber in ordentlichem Winkel. Werner würde trotzdem gerne gehen und meint, dass wir das schon irgendwie machen würden. Notfalls muss uns halt der Zodiac abholen, wenn wir es nicht zum Schiff zurück schaffen.
Mich reizt die Aussicht auf so ein Abenteuer nicht wirklich und nach längerer Überlegung sage ich Werner ab. Ich muss dieses kaputte Riff sowieso nicht noch einmal sehen.

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Bild: Werner, Robert und Martina

Dafür gibt es oben am Sonnendeck ein Barbecue, das Essen ist fantastisch wie immer und Peter beschließt, diese Nacht an Deck zu schlafen.

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Bild: Gute Laune bei gutem Essen

DER VIERTE TAUCHTAG

Der Early-Morning-Dive findet am Sha´ab Rumi South Point statt. Die Korallen sind mittelprächtig, wir sehen ein paar graue Riffhaie, einen Büffelkopf-Papageienfisch und meine Maske beschlägt, wenn auch nicht dramatisch.
Leider ist das mit der Maske so eine Sache. Meine ist schon viele Jahre alt und sollte eigentlich überhaupt nicht mehr beschlagen. Das ist seit vielen Taucher- und Taucherinnengenerationen ein Mirakel. Manche behaupten, dass das Silikon der Maskendichtung ausdampft, andere sind der Meinung, dass nur Spucke hilft. Einige haben ein Spezialmittel mit, andere spülen vorher mit Meerwasser aus, wieder andere kurz vorher mit Süsswasser. Dann kann man die Maske noch kurz vor dem Tauchgang aufsetzen oder schon ein paar Minuten vorher und es spielt angeblich eine Rolle, ob man das Gesicht mit Sonnencreme eingeschmiert hat oder nicht.

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Bild: Gabor, der oft in der Sonne liegt, aber mit tadelloser Maske

Ich weiß nicht, was stimmt, bei mir beschlägt die Maske sehr selten und ich habe nicht den blassesten Tau warum.
Der Tauchgang selbst ist eher chaotisch, einige wollen ins Blauwasser und auf Haie warten, andere wiederum zu den Korallenstöcken. Ein paar aus unserer Gruppe wollen eine größere Runde tauchen, andere wiederum länger an einem Platz bleiben. Die Guides können sich nicht auseinander teilen und bilden eine große Gruppe, der eine Guide bleibt hinten, der andere vorne, was aber auch nicht wirklich funktioniert.

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Bild: Auch das Beobachten kleiner Fische kann sehr nett sein. Hier einer von vielen.

Der zweite Tauchgang ist an der gleichen Stelle wie der erste, allerdings mit weniger Strömung, einem Hammerhai, mehreren Grauen Riffhaien, einem Barracuda-Schwarm und insgesamt etwas besser.

Der dritte Tauchgang ist etwas ganz besonderes. Wir fahren in die Lagune und dann mit dem Zodiac zum Riff, wo sich „Precontinent Conshelf 2“ befindet, die Reste der Unterwassersiedlung, die Jacques Cousteau vor fünfzig Jahren dort hat bauen lassen. Sie haben (das würde man heute nicht mehr machen) einen Kanal ins Riff gesprengt, damit Versorgungsschiffe in die Lagune fahren können. Dann wurden mehrere Stationen unter Wasser errichtet, in denen Taucher einige Tage bis Wochen gelebt haben. Es gibt darüber einen Dokumentarfilm, den wir uns an Bord angesehen haben.
Heute sind nur mehr zwei Objekte übrig, alles andere wurde schon vor langer Zeit abgebaut. Man kann noch in die Kuppel der Andockstation des U-Boots hineintauchen und durch eine Art kleinen Hangar schwimmen, den es daneben gibt.

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Bild: Der „Hangar“

Es ist trotzdem eines der Highlights der Tour und ich finde den Tauchgang sehr schön. Das Riff ist nicht schlecht, es gibt viele Fische, wenngleich die Korallen auch hier eher mittelprächtig sind. Man kann aber erahnen, wie toll es damals gewesen sein muss.

Der Nachttauchgang findet in der Lagune statt, das Wasser ist eher trüb und es ist für einen Tauchgang viel zu flach. Direkt unter dem Schiff beträgt die Tiefe zwar 10 Meter, aber beim Riff nur 1-3 Meter. Es gibt aber ohnehin fast nichts zu sehen, wenigstens funktioniert meine Maske.

DER FÜNFTE TAUCHTAG

Wir bleiben noch am Sha´ab Rumi und machen den Early Morning Dive noch einmal am Südplateau. Wir sehen einige Haie, sonst ist es eher unspektakulär.
Allerdings nur bis zum Schluss des Tauchgangs. Als wir zum Riff zurück tauchen, sehe ich auf einmal aus nördlicher Richtung ober uns einen großen Schatten. Ein großer Riffhai? Dann sehe ich das breite Maul und weiß: der erste Walhai in meinem Leben!
Ich habe das Glück, dass ich am nächsten dran bin und schwimme in seine Richtung, er ist etwa auf 12 Metern Tiefe und schwimmt langsam vorbei. Es handelt sich um einen jungen Walhai, vielleicht 6 Meter lang, aber auch das ist beeindruckend. Ich genieße jede Sekunde, denn der Hai schwimmt zwar gemächlich, das ist aber immer noch viel zu schnell um ihm folgen zu können. Glücklicherweise ist auch Werner relativ nah dran und kann ca. 20 Sekunden tolle Filmaufnahmen machen.
Das ist das Highlight der Tour, keine Frage! Als wir an Bord zurück sind, gibt es überall breites Grinsen, für einige KollegInnen war das auch der erste Walhai.
Hier ist der Link zum YouTube-Video:

Wir fahren weiter zum Sanganeb-Riff und tauchen am South-East-Plateau. Dort gibt es einige schöne Korallenblöcke, ein paar Grauhaie und sonst nicht viel zu sehen.

Vor dem dritten Tauchgang gehen wir den großen Leuchtturm besuchen, der dort vor langer Zeit gebaut und in den 1960er-Jahren ausgebaut wurde. Wie im Roten Meer üblich, kann man unten T-Shirts kaufen, ich besitze nur schon so viele, dass ich mir das spare.

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Bild: Vor dem Eingang gibt es die T-Shirts

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Bild: Über diese Wendeltreppe geht es hoch hinauf.

Der Blick vom Leuchtturm ist spektakulär und ich kann die Besteigung über die lange Wendeltreppe sehr empfehlen.

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Bild: Blick auf das Riff

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Bild: Blick vom Leuchtturm auf die zwei Schiffe, die in dieser Woche im Sudan unterwegs waren. Unsere Dominator liegt am Landesteg, die Blue Force 3 rechts davon.

Oben ist es extrem windig, aber die Laune ist gut.

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Bild: Alle oben am Leuchtturm

Interessant ist die Leuchtanlage des Leuchtturms. Sie besteht – wie bei so ziemlich allen Leuchttürmen dieser Welt – aus einer Fresnel-Linse, und das schon recht lange, wie uns Wikipedia aufklärt: „Eine Fresnel-Linse [f???n?l] oder genauer eine Fresnelsche Stufenlinse ist eine volumen- und massereduzierte Bauform einer optischen Linse. Sie wurde um 1822 vom französischen Physiker Augustin Jean Fresnel ursprünglich für Leuchttürme entwickelt. Das Funktionsprinzip erdachte Georges-Louis Leclerc de Buffon im Jahre 1748.“

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Bild: Fresnel-Linse

Den Nachmittagstauchgang machen wir direkt vor dem Ankerplatz und ich bin erstaunt, wie gut das Riff hier ist. Wir tauchen flach in eine Richtung und dann wieder zurück, es gibt viel zu sehen und ich entdecke eine feuerrote Anemone, die äußerst selten ist. Leider hat Peter kein Foto davon gemacht. Diesen Platz kann ich sehr empfehlen.

Der Nachttauchgang wird dafür zum Debakel. Ich habe eine unfassbar angelaufene Maske, was gerade beim Nachttauchgang extrem mühsam ist. Ich flute sie alle zwei Minuten, aber nur zehn Sekunden später ist die wieder angelaufen. Ich tauche den beiden Kollegen hinterher und kann nur auf das Ende des Tauchgangs warten, das glücklicherweise schon nach 36 Minuten ist. Es gab aber auch dort eher wenig zu sehen, der Ort heißt El Ashara.

Dafür gibt es am Abend das Gala-Diner mit dem Kapitän. Das ist üblich auf diesen Tauschschiffen und der Koch strengt sich auch ganz besonders an.

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Bild: Koch mit Abendessen. Im Hintergrund Mathias, hungrig und mit Kapuze – man merkt die langsame Auskühlung des Körpers.

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Bild: Dekoration

Der Sonnenuntergang präsentiert sich diesmal mit Schiffen, die vor Port Sudan vor Anker liegen.

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Bild: Sonnenuntergang, ganz zum Schluss des Urlaubs bei schönem Wetter

DER SECHSTE TAUCHTAG

Es ist leider der letzte, dafür fahren wir noch einmal zur Umbria, um dort die beiden letzten Tauchgänge zu machen. Diesmal tauchen wir in das Wrack hinein und besichtigen die drei Fiat Lungo, die Bomben und den Rest. Die Maske ist okay, aber ich merke, wie mein Körper von fünf Tagen Tauchen schon ausgekühlt ist und mir wird nach einer halben Stunde ziemlich kalt. Trotzdem ist der Tauchgang schön, die Umbria gibt – wie schon gesagt – für mehrere Besuche was her.
Zu meinem Pech ist mir ein Zipp beim Tauchanzug kaputt gegangen. Das ist für die letzten beiden Tauchgänge kein echtes Problem, aber sehr schade, denn ich weiß nicht, ob ich ihn sauber reparieren lassen kann. Ich mag den Anzug sehr, er sitzt perfekt und ich weiß nicht, ob ich so einen wieder bekommen kann.

Dann naht auch schon der letzte Tauchgang. Wir betauchen die Außenseite, etwa zu einem versunkenen Rettungsboot und ich probiere eine Sony-Kamera aus. Leider muss ich in Wien dann feststellen, dass alle Aufnahmen extrem überbelichtet und somit unbrauchbar sind. Filmer werde ich keiner mehr.

Ich freue mich einerseits, dass das Tauchen zu Ende ist und ich nicht noch einmal bei – relativer – Kälte in den nassen Anzug schlüpfen muss, andererseits ist es auch traurig, dass es schon wieder zu Ende ist. Wer weiß, wann ich das nächste Mal zum Tauchen komme.

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Bild: Kurz vor Port Sudan liegen zwei Wracks auf einem Riff – oder das, was davon noch übrig ist. Die Szene erinnert mich an Mad-Max-Filme

Dann fahren wir zurück in den Hafen. Die Tauchsachen werden gewaschen und getrocknet, was bei starkem Wind und – endlich – Sonnenschein sehr schnell geht.
Am späten Nachmittag machen wir dann noch einen Spaziergang am Hafen. Uns wird gesagt, dass wir das Hafengelände aus Sicherheitsgründen nicht verlassen sollen, ich halte das aber für übertrieben. Die Szenerie wirkt fremd und bizarr, aber in keiner Weise gefährlich. Ich überhöre, dass wir nicht in kurzen Hosen an Land gehen sollen, es stört aber niemand wirklich.
Ich bin ja schon lange und oft in Afrika, aber Port Sudan ist anders, exotischer, zugleich modern und alt. Es gibt eine Art Markt, wo Sudanesen und Sudanesinnen Waren verkaufen – fast alles souvenirartig, aber eher nicht für Touristen gedacht, denn die Deckel für Taschentücher sind mehr als nur kitschig. Sonst gibt es nur Tee und Kaffee, der an jeder Ecke ausgeschenkt wird.

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Bild: „Kitsch ist alles, was schöner ist als Kunst“ (Quelle unbekannt, aber vielleicht aus dem Sudan)

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Bild: Boxen für Taschentücher.

Wir marschieren auf und ab und kommen am Rande der Hafenmole zu einem Schotterparkplatz, der bis zum Wasser geht. Daneben ist eine Tauchschule, die wir interessiert beäugen. Ein Mann kommt heraus und bittet uns hinein. Das Angebot ist nicht mit Tauchbasen woanders zu vergleichen und wir sind uns nicht sicher, ob die überhaupt ein Geschäft machen, aber es könnte auch ein Anfang sein, der sich in dieser Gestalt zeigt.

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Bild: Die Tauchbasis in Port Sudan

Auf dem Parkplatz findet irgendetwas statt. Autos kommen und fahren wieder, mache mit deutschem Überstellungskennzeichen – es sieht aus wie ein illegaler Automarkt. Dann plötzlich kommen zwei Typen mit einer Vespa bzw. einer Bajaj Chetak, dem indischen Nachbau der Vespa Sprint. Das muss ich mir genauer ansehen und marschiere hin.

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Bild: Im Gespräch mit dem Fahrer

Der Fahrer ist sehr nett und lässt mich den Roller näher begutachten. Bei uns würde das als „Ratte“ durchgehen, sie ist zusammengeflickt, aber fahrtüchtig.

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Bild: Die Bajaj im Zustand „Sudan Hafen“

Plötzlich meint der Fahrer, ich könnte gerne eine Runde fahren. Das lass ich mir nicht zweimal sagen – wie oft komme ich schon zur Gelegenheit im Sudan mit einer (fast echten) Vespa zu fahren?
Ich bewältige die Runde am Parkplatz einigermaßen würdevoll und werde vom Besitzer gelobt („Good Vespa Driver“). Ich habe alle Menschen hier generell als freundlich erlebt, der Rollerfahrer war da keine Ausnahme.

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Bild: Eine kleine Runde am Parkplatz

Wenig später befinden wir uns am Rückweg, als plötzlich drei Araber herkommen und fragen, ob sie mit mir ein Foto machen dürfen. Sie freuen sich riesig und ich phantasiere, wo mein Grinser wohl auftauchen wird.

Als es Abend wird, belebt sich die Hafenmole, die Billardtische werden bespielt und überall sitzen junge und auch ältere Menschen an Tischen und spielen Karten, rauchen Sisha und trinken Tee. Die Szenerie ist friedlich und ohne jede Aggression. Tuk-Tuks kommen und fahren wieder, am Schotterparkplatz lädt ein LKW mehrere chinesische Motorräder auf, die scheinbar von der Polizei beschlagnahmt werden. Junge Gruppen legen am Gehsteig ein großes Tuch auf und machen ein Picknick, kleine Buben fahren mit selbstgebauten Dreiradlern mit Elektroantrieb, die Frauen tragen Kopftuch, es gibt aber keine Verschleierten.

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Bild: Picknick

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Bild: Die beiden Dreiräder mit Elektroantrieb.

Hier treffen Tradition und Moderne in einer Art Mix zusammen, der auf den ersten Blick naiv anmutet. Alles hier ist irgendwie zusammengewürfelt, modernste LED-Technik hier, stinkende alte Diesel dort. Es stört aber niemand.
Der Kaffee, den wir aus kleinen Kännchen trinken, kostet für uns etwa das Dreifache wie für Einheimische, was aber immer noch nur einen Euro pro Person ausmacht.

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Bild: Kaffee im Sudan

Es wird Abend und sie drehen die Palmen auf.

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Bild: Leuchtpalme

Wir gehen zurück auf´s Schiff und bekommen das letzte Abendessen. Danach sitzen wir noch an Deck und genießen bei einem ägyptischen Bier den letzten Abend. Mir graut leider schon vor der Rückreise.

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Bild: Unsere Reise, die „Sudan Nordtour“

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Bild: Unsere Guides führen genau Buch über alle Tauchgänge einer Tour

DER ABREISETAG

Unser Flug geht leider erst um 14:50 und wir starten gegen 12:30 mit dem Bus Richtung Flughafen. Einige sind am Vormittag noch ins Stadtzentrum gefahren, um sich einige Märkte anzusehen, aber mir war das zu stressig.

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Bild: Links ein modernes Safarischiff, rechts eines von vor ca. 20 Jahren

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Bild: Der Abschied fällt schwer

Am Flughafen müssen wir wieder durch alle möglichen Kontrollen, das Gepäck wird zweimal durchleuchtet, dafür ist ihnen Wasser vollkommen egal und ich kann meine Flasche mit zum Gate nehmen.
Bei der Passkontrolle drängt sich plötzlich eine vollverschleierte Frau vor und knallt ihren Pass (aus Eritrea) aufs Pult. Ehe ich reagieren kann, ist sie dran. Sei´s drum, wir haben es ja nicht eilig.
Allerdings macht sich dann eine weitere Frau auch daran, ihren Pass vor mir durchzureichen. Mir reicht es und ich strecke meinen langen Arm mit dem Pass zugleich mit ihr an den Schalter. Meiner wird zuerst genommen.
Mir ist völlig schleierhaft, was sich die dabei denken. Unhöfliche und rücksichtslose Menschen gibt es scheinbar überall auf der Welt.

Ich bitte die Dame beim Checkin mir einen Gangsitz zu geben oder zumindest einen Fensterplatz. Da wir bis nach Wien durchchecken können, bekomme ich beide Bordkarten. Mit je einem Mittelsitz.
Es ist zum Verzweifeln. Ich marschiere noch einmal zu ihr hin, sie meint, ich könnte es gegenüber am Schalter der Fly Dubai probieren. Dort ist aber niemand anwesend. Ich gehe wieder zurück und sie meint, in fünf Minuten würde jemand kommen. Das ist auch so und der Typ hat Einsicht mit meinem Problem. Gemeinsam gehen wir wieder zum Checkin-Schalter, diesmal aber zu einer anderen Mitarbeiterin. Ich bekomme einen Gangplatz bis Dubai und einen Fensterplatz von Dubai bis Wien.
Immerhin, besser als nix.

Als wir nach langem Warten das Flugzeug betreten, sitzt auf dem Fensterplatz meines Bruders… richtig: die vordrängende Araberin. Murrend wechselt sie den Platz, und zwar zu unserem Leidwesen in die Mitte zwischen mich und meinen Bruder.

Glücklicherweise ist der Flieger nicht ganz voll und wir finden zwei Plätze jenseits der Araberin. Khartoum ist in verkraftbarer Zeit erreicht, der Zusammenfluss von weißem und blauem Nil ist von oben beeindruckend. Jetzt steigen viele Leute zu, der Halbmond lässt grüßen: schreiende Babies, überforderte Sudanesen, die ihren Platz nicht finden, Gepäckstücke wie aus 1001 Nacht – sowohl die Form wie auch die Anzahl betreffend. Die Mischung aus Schlapfen, Tuch und Smartphone ist exotisch.

DUBAI

Dann, nach gefühlten 10 Stunden, fliegen wir in Dubai ein. In der Nacht wirkt die Wüste von oben bizarr – pechschwarz, mit beleuchteten, schnurgeraden Straßen, alles wirkt unglaublich künstlich, quadratisch, vom Reißbrett herunter gebaut. Der Burj Khalifa ist taghell erleuchtet und sticht wie eine überdimensionale Nadel in den Nachthimmel. Schon aus der Luft wirkt alles protzig, überdimensioniert, letztlich geschmacklos.

Nach der Landung suchen wir uns ein Taxi, was insofern nicht ganz einfach ist, als uns die ersten nicht transportieren wollen, weil unser Hotel zu nahe am Flughafen liegt.
DAs Hotel ist das „Flora Inn“ und liegt auf der anderen Seite des Flughafens, direkt an einer 4-spurigen Straße. Es besteht aus Stahlbeton, Glas und Klimaanlagen, ein moderner, seelenloser Bau. Im Zimmer komme ich mir eingesperrt vor, da man die Fenster nicht öffnen kann. Da ich Klimaanlagen nicht aushalte, verspricht es eine stickige Nacht zu werden. Peter und ich sind aber hundemüde und fallen sofort ins Bett. Vorher gönnt sich Peter noch eine Dusche. Ich verschiebe das auf den nächsten Tag, da der Abfluss verstopft ist und ich hoffe, dass das Wasser bis in der Früh abgeflossen ist.

Das Frühstück kostet 65 Dirham, das sind ca. 16 Euro pro Person. Es ist genauso geschmacklos wie das Hotel, alles ist künstlich, sogar die Marmelade. Und alles ist klein verpackt, jede winzige Butterportion ist einzeln abgepackt in ein Plastikschüsserl mit Aludeckel. Ich will jetzt gar nicht alles einzeln aufzählen, umweltmäßig ist Dubai ein einziger Supergau.

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Bild: Butter-Irrsinn

Einzig das Omlette ist so wie überall und einigermaßen genießbar, das Baguette dazu schon nicht mehr. Im Hintergrund spielen sie nichts sagende Jazzmusik, an der Wand hängen irgendwelche Bilder von irgendwo, die Ziegel an der Wand sind keine Ziegel, sondern eine Art strukturierte Plastiktapete und beim Eingang steht als Deko eine Vespa, die nichts mit einer Vespa zu tun hat, die Form ist irgendwie ähnlich.

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Bild: Die Fake-Vespa als Dekoration, hier ist wirklich nichts echt

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Bild: Die Fake-Wand

Einzig das Häusl ist okay und wir verlassen diesen Ort so schnell wie möglich Richtung Stadt, wieder mit dem Taxi, da es in der Nähe des Hotels keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt.

Wir fahren über eine 7-spurige Autobahn, rund um uns die Reichen mit amerikanischen Cabrios. Unser Ziel ist eine Mall, in der es die Skihalle gibt. Peter, Mathias und Gabor wollen Skifahren gehen und haben zwei Stunden gebucht.
Vorher kommen wir noch am Burj Khalifa vorbei:

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Bild: Das (vielleicht immer noch) höchste Gebäude der Welt

Vor der Halle befindet sich ein großer Bereich, in dem man eincheckt und die Ausrüstung geliehen bekommt. Der Bereich ist grob einer Almhütte oder etwas Ähnlichem nachempfunden. Genau genommen hat es mit einer Almhütte genau nichts zu tun, es gibt kleine Dächer aus Holzschindeln, das war es genau genommen schon.

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Bild: Die künstliche Skiwelt, hier gerade mit einem Haufen Kinder

Der Spaß kostet 55 Euro inklusive Ausrüstung für zwei Stunden. Die Piste ist 400 Meter lang und überwindet 80 Höhenmeter, eine Fahrt dauert ca. eine Minute.

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Bild: Das Angebot

Dazu gibt es einen Sessellift und einen Tellerlift, wobei letzterer die bessere Wahl ist, weil der Sessellift ständig stehen bleibt, da dort die Anfängerinnen und Anfänger aus der ganzen Welt fahren.

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Bild: Peter am Tellerlift

Ich erfahre, dass es im zweiten Stock ein Lokal gibt, von dem aus man ein Stück der Piste durch eine Glaswand beobachten kann. Das Lokal stellt sich als ein „TGI Friday“ heraus und ist leer. Ich setze mich hin und warte, bis die Jungs vorbeifahren, um ein paar nette Fotos zu schießen.

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Bild: Die Piste mit den Sicherungen

Auf der Piste gibt es Plastiktannen, alles ist narrensicher gesichert, so dass niemandem etwas passieren kann. Es fahren extrem wenig Leute, Peter, Gabor und Mathias sind mehr oder weniger allein, weil es noch recht früh ist.

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Bild: Die Anlage mit den künstlichen Tannen

Ich mache mich auf den Weg, um die Mall zu erkunden. Die Szenerie wirkt ein wenig gespenstisch, weil jetzt um 10 Uhr Vormittags die Geschäfte und Lokale erst aufsperren und generell wenig los ist.
Die Mall ist riesig, besteht aus mehreren Etagen und hat (werden wir später noch brauchen) einen U-Bahn-Anschluss. Auf einer Etage gibt es die Fressmeile. Dort sind alle Fastfood-Ketten dieser Welt vertreten, 50 oder noch mehr, ich habe sie nicht gezählt. Die Preise sind etwa wie bei uns.

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Bild: die Fressmeile

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Bild: Pizza wäre italienisch, das Lokal will kalifornisch sein und befindet sich doch in Dubai

Der Rest ist dem Konsum gewidmet, es gibt alle großen Mode- und Schmuckketten. In einer Ecke entdecke ich einen Virgin Megastore und begebe mich hinein, um zu schauen, was sie an Platten und CDs haben.
Ich merke, dass ich aus einer anderen Zeit stamme, es gibt zwar eine kleine Ecke mit Tonträgern, 95 % des Geschäfts sind aber Spielzeug und Computerspielen gewidmet.
Juwelen, Fetzen, Parfums, Candys – alles, was Menschen nicht brauchen, aber glauben, dass es sie glücklich macht. Das Shopping dient wohl in erster Linie dazu, die Langeweile des eigenen Lebens zu überdecken. Gegen meine Langeweile hilft das leider nicht, ich entkomme dem Shoppingwahnsinn aber nicht zur Gänze und kaufe mir eine Badehose, weil ich seit längerer Zeit schon eine brauche. Bezahlen kann man alles mit Kreditkarte, selbst die Candys an den kleinen Ständen, die es überall gibt.

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Bild: Der Stil des Einkaufszentrums ist deswegen schwer beschreibbar, weil es keinen hat. Es ist eine Mischung aus irgendwas.

Ich habe mir überlegt, auch auf den Burj Khalifa zu gehen, aber erstens funktioniert mein Google-Account aus unerfindlichen Gründen nicht, zweitens ist es an diesem Tag etwas trüb, drittens ist es relativ teuer (37 Euro für die 125. Etage und 100 für ganz oben) und viertens habe ich irgendwie einen Widerwillen hier mehr Geld zu lassen als notwendig.

Also marschiere ich nach den zwei Stunden wieder zur Skihalle, um die Jungs abzuholen. Bei einem Standl gibt es als Erinnerung an das Ski-Erlebnis Löwen aus Plüsch zu kaufen. Wieso Löwen? Mir fällt wenig ein, das mit Skifahren so wenig zu tun hat wie Löwen (Tiger gibt es auch). Andererseits – warum nicht? Das Skifahren hat hier auch nur wenig mit Skifahren zu tun, genau genommen ist alles egal, es gibt hier keine Kultur irgendwelcher Art, außer die Anbetung des Mammons. Es geht um den kurzen Adrenalinstoß des Kauferlebnisses, das ist alles. Was gekauft wird, spielt überhaupt keine Rolle. Überhaupt keine.

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Bild: Löwen und Tiger. Vielleicht glauben die Leute, dass es diese Tiere in den Alpen gibt

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Bild: Wer vom künstlichen Erlebnis noch nicht genug hat, kann sich noch künstliche Schneeflocken aus Plastik mitnehmen

Den Jungs hat das Ski-Erlebnis gut gefallen und wir gehen zum McDonalds – weil´s schon wurscht ist. Danach fahren wir mit der U-Bahn Richtung „Creek“, weil sich Gabor die Altstadt von Dubai ansehen möchte. Tickets für die U-Bahn zu kaufen ist gar nicht leicht, irgendwie nimmt das System nicht alle unsere Kreditkarten, eine nette Angestellte hilft uns aber unkompliziert.
Die U-Bahn ist auch keine U-Bahn, sondern eine Hochbahn, die fahrerlos unterwegs ist. Sie ist schnell und billig und es gibt drei Linien in dieser riesigen Stadt. Ein paar Busse gibt es auch, aber die Mehrzahl der Menschen fährt hier mit dem Auto.

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Bild: Eine U-Bahn-Station

Da die Zeit knapp wird, schaffen wir es nicht mehr bis in die Altstadt und sehen nur das Fake-Modell der Altstadt, das sie daneben aufgebaut haben. Das ist aus Plastik, so wie fast alles hier.

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Bild: Die Fake-Altstadt

Es wird gebaut wie verrückt, ein Wolkenkratzer schießt neben dem anderen in den Himmel und mich erinnert das alles an den Turmbau zu Babel. Man darf gespannt sein, ob die Geschichte hier auch so ausgeht.
A pro pos Sünde: Prostitution ist hier streng verboten, was aber natürlich nicht bedeutet, dass es das in den Emiraten nicht gibt. Es funktioniert nur anders. Man lässt hier Karten auf den Gehsteig fallen. Darauf befindet sich eine Telefonnummer. So geht das hier.

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Bild: Karten

Dann fahren wir mit der Metro zum Flughafen. Das Einzige, was ich hier wirklich gut finde, sind die Trinkbrunnen. Generell muss man dem Flughafen aber auch zugestehen, dass er sehr gut organisiert ist. Bei einer Kontrolle werde ich abgesondert und muss zum „Schalter C“ – was auch immer dort anders ist als bei den anderen Schaltern. Ein gelangweilter Beamter blättert lustlos in meinem Pass und winkt mich dann gelangweilt durch. Ich finde Peter nicht, der in einer Lounge sein müsste, aber scheinbar woanders ist. Der Whatsapp-Anruf funktioniert nicht und ich beschließe, zum Gate zu gehen.
Dort beschließe ich noch einmal mein Glück zu versuchen und gehe zu einer netten Dame am Schalter. Ich erzähle wieder meine Geschichte (groß, brauche Platz und ob noch irgendwo was frei wäre, vielleicht sogar in Reihe 37…) und tatsächlich: sie tauscht mir die Bordkarte aus und ich sitze wieder beim Notausgang.
Diesmal habe ich sogar besonderes Glück, weil der Platz neben mir nicht besetzt ist, obwohl die Maschine wieder knackevoll ist. Die nette Dame am Schalter meint noch, dass dieser Platz eigentlich einen ordentlichen Aufpreis kostet und wünscht mir einen guten Flug.

Über ebendiesen Flug gibt es wenig zu berichten, ich schaue mir zwei Filme an – einer davon gut, der andere schlecht, und irgendwie vergehen die sechs Stunden bis Wien einigermaßen erträglich.
Wir landen in Wien, wo uns Vanessa abholt. Auch das Gepäck ist da und so geht ein interessanter, aber auch durch die mühsame Reise durchwachsener Urlaub zu Ende.

Wieder in Ostafrika – wieder daheim

Nach 35 Jahren Ostafrika-Besuchen kommt schon so etwas wie ein kleines Heimatgefühl auf, wenn ich am Jomo Kenyatta-Airport lande und wieder die typische Luft rieche.
Doch alles der Reihe nach. Diesmal kam die Idee von Thomy, mit dem ich seit 2000 regelmäßig hinunter fliege. Es sei schon zwei Jahre her und höchst an der Zeit, meinte er und fand natürlich meine Zustimmung. Da auch die Geldbörse nach dem nicht gerade billigen Urlaub auf den Malediven Ende Jänner trotzdem eine zweite Reise zuließ, blieb nur noch die Frage offen, was wir denn diesmal tun könnten.
Alle meine großen Ostafrika-Träume habe ich mich ja schon erfüllt, erst vor zwei Jahren kam Sansibar dazu.

Thomys Vorschlag war die Serengeti. Dort waren wir zwar vor zehn Jahren schon einmal, allerdings nur zwei Tage und somit konnten wir die größten Teile noch nicht erleben.
Ich fand den Vorschlag gut und begann zu planen. Als Vorprogramm kam von Thomy erstaunlicherweise eine Bergtour als Vorschlag. Ich dachte, dass er nach dem Ruwenzori genug von den afrikanischen Bergen hätte, aber er belehrte mich eines Besseren.
Da mein Bruder schon vor vielen Jahren am Mount Meru war und ich an diesem von unten sehr unspektakulären Berg immer nur vorbei gefahren war, fiel der fünft höchste Berg Afrikas in die engere Wahl. Angeblich wäre er sehr schön, meinte auch eine ehemalige Schulkollegin.

Damit war die Reiseroute perfekt: nach Nairobi fliegen, mit dem Toyota nach Arusha, Berg besteigen und dann in die Serengeti. Zum Drüberstreuen plante ich noch zwei Tage im berühmten Amboseli-Nationalpark ein, da ich den auch noch nie bereist hatte.

Zwei Wochen vor Reisebeginn dann die schlechte Nachricht: Das Logbook vom Toyota wäre unauffindbar. Unser Mechaniker Luis bestätigte, dass wir ohne Logbook (so etwas wie Typenschein und Zulassungsschein des Autos) nie und nimmer über die Grenze in Namanga kommen würden, schon gar nicht als Weiße. Ich kenne diese Grenze gut und hatte dort schon die seltsamsten Erlebnisse. Angeblich wäre es jetzt aber um vieles strenger, da beide Länder nicht wollen, dass die Touristen aus dem jeweiligen Land ausreisen und im Nachbarland ihr Geld ausgeben.

Jetzt war schnelles Handeln gefragt, denn wir hatten die Bergtour schon gebucht und auch schon bezahlt. Also mussten wir in jedem Fall nach Tansania und die einzige Alternative zum Auto ist das Flugzeug, denn auch mit einem – z.B. von Luis ausgeborgten – Auto kämen wir nicht weit und der VW-Bus ist mit seinen 30 Jahren schon zu riskant für so eine lange Strecke.
Also fliegen. Viel Auswahl hat man da nicht, aber es gibt ein Codesharing zwischen Kenyan Airways und Precision Air (mir schon gut bekannt durch den Sansibar-Flug) und die fliegen mehrmals am Tag zum Kilimanjaro-Airport.
Billig sind die Tickets nicht, ich konnte aber gerade noch zwei Stück für eine zeitmäßig passende Maschine buchen, quasi wohlfeil um 300 Euro pro Person.

Nicht so erfreut war darüber Thomy, der schon seit Tagen jede Menge Serengeti-Pläne gewälzt hatte und dessen Bild (am Abend mit einem Bier gemütlich da sitzen und in die weiten Ebenen schauen) nun genauso verschwand wie irgendwann zuvor das Logbuch unseres Autos.
Ein Duplikat war in der kurzen Zeit nicht mehr zu bekommen und auf die vage Hoffnung, dass mein Vater seine Papiere nur ungenau durchwühlt haben könnte, wollte ich nicht das Risiko eingehen die Bergtour umsonst bezahlt zu haben.
Dazu kam sowieso noch das Wetterrisiko. Wir waren noch nie so spät dran gewesen, denn ab Mitte März kommt hin und wieder schon die große Regenzeit und dann können wir sowohl den Berg wie auch jede Art von Camping-Safari vergessen. Das war und blieb auch das größte Risiko generell (zumindest dachten wir das zu diesem Zeitpunkt).
Während Thomy die Entwicklung langsam zu Kenntnis nehmen musste, schmiedete er schon neue Pläne für Kenia: irgendetwas Spannendes müsste es doch geben, das wir noch nicht kennen und wo wir hinfahren könnten.
Ich selbst war eher für eine gemütliche Safari in die Masai Mara – nicht sehr aufregend, aber mit recht geringem Risiko. Außerdem wollte ich nicht wieder die ganze Zeit nur im Auto sitzen und tausende Kilometer abspulen, so wie das bisher immer der Fall war.
Wir werden ja nicht jünger und brauchen nicht mehr die volle Packung Abenteuer. Erholungsbedürftig war sich sowieso, also wieso nicht einen Gang zurückschalten.

Schließlich einigten wir uns darauf, dass wir einmal hinunter fliegen und dann die gute Idee schon noch kommen würde. Ich schrieb daher an meinen Masai-Häuptling James, dass wir noch nicht genau wüssten wann und ob wir ihn besuchen kommen können und dass wir uns vorher noch melden würden.

Zu den Vorbereitungen zählte diesmal auch eine Reihe von Impfungen, die schon vor dem Reisantritt die Urlaubskasse ein wenig dahinschmelzen ließen. Sportliche 200 Euro für drei „Jauckerln“, eines davon tat danach tagelang weh. Dafür bin ich jetzt durchgeimpft wie ein Arzt ohne Grenzen im Kongo.
Nach diesen Vorbemerkungen können wir jetzt beruhigt in den Live-Bericht einsteigen.

Es ist Freitag Abend und meine Mutter führt uns auf den Flughafen. Ich habe uns schon am Vortag einen Online-Checkin verpasst und wir müssen nur mehr das Gepäck aufgeben. Daher haben wir auch genug Zeit, in meiner Wahrnehmung sogar viel zu viel Zeit, ich hasse das Warten auf Flughäfen, so wie ich mich für das Fliegen generell nicht mehr begeistern kann. Dazu kommt noch, dass ich mir zwei Wochen vorher ordentlich das Kreuz verrissen habe. Genau genommen ein Bandscheibenvorfall mit Entzündung und einem Tag kompletter Sendepause, weil ich mir nicht einmal Schuhe anziehen konnte.
Das wurde zwar durch die Hilfe eines Chiropraktikers deutlich besser, aber jetzt graut mir vor dem Langstreckenflug nach Addis Abeba.

Da auch die längste Wartezeit irgendwann vorbei ist, sitzen wir in unserer Boeing 787, dem sogenannten „Dreamliner“ und starten einigermaßen pünktlich Richtung Addis. Das Besondere daran ist, dass wir hier keinerlei zeitlichen Spielraum haben, denn auch eine nur kleine Verspätung würde bedeuten, dass wir den Anschlussflug nach Nairobi verpassen.
Es klappt aber alles und mit 15 Minuten zusätzlich zu den 6 Stunden Flug landen wir in Addis Abeba. Der Flug selbst war okay, da nicht ausgebucht und somit hatte ich eine Dreierreihe für mich allein und konnte mich niederlegen. Das ist für mich die einzige Variante wie ich im Flieger schlafen kann. Das eingeworfene Schlafmittel half allerdings genau gar nicht.
Jetzt heißt es wieder warten, allerdings weniger als eine halbe Stunde, dann ist wieder Boarding und wieder sitzen wir in einem halb leeren Dreamliner.
Der zweite Flug dauert nur knapp zwei Stunden und wir landen einigermaßen fit in Nairobi, wo wir die erste positive Überraschung erleben: das Visum ist auch für die zweite Einreise nach dem Mount Meru gültig, meinte die nette Dame am Schalter.
Ich glaube ihr zwar nicht ganz, lass mich aber gerne überraschen.

SAMSTAG

Als wir das Flughafengebäude verlassen, suche ich sofort nach einem Taxistand und merke, dass sie Preise ziemlich fair sind: 2.600 Kenia-Schilling für die dreißig Kilometer Fahrt sind echt okay, das entspricht in etwa 25 Euro.
Unser Fahrer führt uns über den Southern Bypass Richtung Lower Kabete, kennt aber dummerweise den Weg nicht. Der Bypass ist so etwas wie eine Ringautobahn und erst in den letzten zwei Jahren fertig gebaut worden, daher kenne ich den Weg auch nicht. Also verfahren wir uns einige Male, kommen aber dann mit Einsatz von zwei Handy-Navis in Lake View an.
Im Haus wohnen derzeit Filmleute vom WDR und es herrscht buntes Treiben. Wir sind eher mäßig willkommen und haben auch nur ein Zimmer im Haus zur Verfügung. Also beschließt Thomy im Hochdach vom Toyota zu schlafen. Das ist erstens luftig und gar nicht schlechter als ein Bett, zweitens mag er es dort zu nächtigen. Das erste Problem von vielen hätten wir also gelöst. Das zweite – ein gutes Mittagessen – löst sich auch von selbst, denn das Filmteam hat so viel gekocht, dass wir mitversorgt werden können. Unserer Nachbarin Paula habe ich wieder einige Packungen Parmesan aus Österreich mitgebracht, hier gibt es keinen guten. Dafür werden wir am letzten Abend zum Essen eingeladen, worauf ich mich jetzt schon freue.

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Bild 1: Am See gibt es die heiligen Ibisse, die in der Früh einen enormen Lärm machen, an den man sich aber gewöhnt.

Langsam kommen wir wirklich an. Die Situation ist nicht besonders rosig, da es in unserer Gegend Water-Shortage gibt und zwar von Montag bis Freitag Abend. Duschen und Kochen geht, Wäsche waschen nicht und für den Garten gibt es auch kein Wasser, was man ihm deutlich ansieht: Büsche und die gesamte Wiese sind vertrocknet.
Der Toyota steht zwar frisch serviciert da, nur leider finden wir trotz gründlicher Suche das Logbook nicht und Thomy gewöhnt sich langsam daran, dass es nix wird mit unserer Fahrt in die Serengeti.
Daher ändern wir unsere Pläne, der Flug nach Tansania ist ja glücklicherweise schon gebucht und jetzt brauchen wir nur noch eine Idee für ein Ersatzprogramm.
Vorerst richten wir einmal den Toyota für eine längere Safari her. Dazu muss etwa einer der beiden Rücksitze ausgebaut werden, denn dann gibt es unten genügend Platz für mich zum schlafen. Verrostete Schrauben erschweren uns zwar dieses Vorhaben, nach einiger Zeit und etwas Schweiß ist es aber geschafft. Wir beschließen auch gleich all diejenigen Sachen einzukaufen, die ohne Kühlung auf die Safari warten können: Tee, Bier, Geschirrspülmittel und noch viel andere Dinge.
Am Abend fahren wir dann ins „Asmara“, ein äthiopisches Lokal, in dem wir mehr bekommen als wir essen können. Die den Palatschinken nicht unähnlichen Fladen aus Sauerteig geben unglaublich aus und wir müssen einiges überlassen.
Nach einem letzten Drink in Westlands fallen wir todmüde ins Bett.

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Bild 2: Auf unserer Terrasse schmeckt ein Tusker-Bier besonders gut.

SONNTAG

Als ich aufwache, piepst mein Handy und ich sehe eine Nachricht meines Bruders: „Geht es euch gut? Seid ihr wohlauf?“ Ich habe keine Ahnung, was er meint. Warum soll es uns nicht gut gehen?
Dann kommt schon Thomy, der auch eine Nachricht bekommen hat und klärt mich auf: Es gab einen Flugzeugabsturz der Ethiopian Airlines, und zwar genau unsere Flugnummer. Das ist exakt der Flug, mit dem wir gestern von Addis nach Nairobi geflogen sind: ET 302. Die abgestürzte Maschine hat über 150 Menschen in den Tod gerissen, es handelte sich um eine Boeing 737 Max. Da unser Flug besser gebucht war, sind wir am Vortag mit einer Boeing 787 geflogen. Hätten unseren Flug weniger Menschen gebucht, hätten wir die Todesmaschine gehabt. Wie sich später herausstellt, hatte sie eine fehlerhafte Software an Bord, die von den Piloten nicht mehr rechtzeitig ausgeschaltet werden konnte. So ein Unfall hatte sich schon vor einem halben Jahr ereignet und es ist eigentlich unfassbar, dass man diesen lebensgefährlichen Fehler nicht eliminiert hat.

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Bild 3: Die Bordkarte, die ich nicht so schnell vergessen werde

Wie wir ebenfalls später erfahren, wurden die alten 737er mit neuen Triebwerken ausgerüstet, die deutlich schwerer sind als die alten. Daher hat sich die Tarierung des Flugzeugs geändert und eine spezielle Software sollte das ausgleichen. Sie drückt die Nase des Flugzeugs nach unten und tut das leider so lange, bis die Maschine abstürzt.
Kein angenehmer Gedanke, wenngleich wir froh sind, einen Tag früher geflogen zu sein.
Über mangelndes Glück können wir uns jedenfalls nicht beklagen.

Der Tag vergeht mit Vorbereitungen und einem netten Besuch bei Paula. Sie hat gerade ihre Freundin Lydia zu Gast, die viele Jahre in Kenia gelebt hat und uns mit der Idee impft, dass wir doch in den Kakamega Forest fahren sollten. Dort wäre es ausgesprochen nett und interessant und es gäbe viel zu sehen.
Da weder ich noch meine Familie jemals dort waren, hört sich der Vorschlag gut an, bis auf die elende Fahrerei, denn der Wald liegt ganz im Westen Kenias, also eine Tagesreise entfernt. Aber Thomy gefällt die Idee auch und so beschließen wir, nach unserer Bergtour die Safari mit dem Kakamega Forest zu beginnen, auch wenn wir nicht wissen, was uns dort erwartet. Aber Thomy sucht schließlich das Abenteuer.

Noch ist es allerdings nicht soweit, morgen geht es erst einmal nach Tansania.
Wir sind schon gespannt und gehen am Abend in ein Restaurant essen, das uns von Thomys Handy vorgeschlagen wird: Ein Inder der höheren Preisklasse, nicht weit weg von Westlands.
Das Fazit: Essbar, aber nicht mehr. Weder die Größe der Portionen ist okay noch die dazu gehörenden Preise. Aber wer nicht wagt, der gewinnt auch nicht.

MONTAG

Nach weiteren Vorbereitungen ist der Toyota fertig gepackt für die Safari. Das bedeutet, wir haben die Option direkt am nächsten Tag nach unserer Rückkunft aus Tansania losfahren zu können. Dadurch verlieren wir keinen weiteren wertvollen Tag in Nairobi.
Jetzt aber holt uns erstmal Paul ab, der uns als zuverlässiger Fahrer empfohlen wurde. Und er verlangt nur 2.000 KHS zum Flughafen – die Strecke beträgt übrigens ca. 30 Kilometer, über den Bypass sind es 60, dafür ist man dort vor Stau sicher. Und Nairobi hat gewaltige Staus, rangiert weltweit unter den Top 3 der Städte mit den wildesten, brutalsten und längsten Staus. Das geben wir uns nicht und zahlen gerne den kleinen Aufpreis von umgerechnet 5 Euro für die längere, aber sichere Strecke.

Wir fliegen diesmal mit Kenyan Airways operated by Precision Air, das ist die Fluglinie, die uns vor zwei Jahren schon nach Sansibar gebracht hat. Ich mag die Turboprop-Maschinen, zumindest für so kurze Strecken. Umweltfreundlich ist das alles nicht, so viel ist auf jeden Fall klar. Leider konnten wir nicht voraussehen, dass der Toyota ohne Logbuch nicht zu verwenden ist, wenngleich auch der mit seinem Dieselmotor nicht umweltschonend ist.
Der Flug ist fast ausgebucht und wir landen nach einer Stunde am Kilimandjaro-Airport, der in der Mitte zwischen Arusha und Moshi liegt. Ich mag diesen Flughafen, weil er so klein und gemütlich ist. Man steigt aus dem Flugzeug aus und geht ein paar Meter zum Eingang, wo ein freundlicher Herr mit einem Gerät nach unseren Ohren verlangt und dort Fieber misst. In Tansania haben sie große Angst vor Gelbfieber und so wird jeder ankommende Gast höflich gefragt, ob er oder sie sich auch gesund fühlt.
Wir fühlen uns gesund und dürfen einreisen. Wie in Kenia hat auch Tansania ein modernes Datenerfassungssystem und wir müssen freundlich in eine Kamera schauen und unsere Finger zum Scan auflegen. Nach einer Zahlung von 50 Dollar für das Visum sind wir eingereist und marschieren zum Minibus, der uns nach Arusha ins Hotel bringen wird.

Die Fahrt dauert insofern lang, als der Fahrer das ist, was wir bei uns als extremen Schleicher bezeichnen würden. Hinter stinkenden Diesel-LKW bleibt er ewig, aber irgendwann ist das auch vorbei und wir sind im Golden Crest Hotel angelangt, mit dem unser Tour-Operator Zara einen Vertag hat. Die Hütte ist barock inszeniert, mit nie benütztem Pool und schweren Vorhängen überall. Uns ist das egal, die Dusche passt und die Betten auch.
Das Hotelrestaurant reizt uns nicht sehr und so gehen wir zu Fuß zu einem Lokal, das Thomy auf Google Maps gefunden hat. Es heißt „Ambrosia“ und verspricht zwar keinen Nektar, dafür aber indisches Essen. Außerdem ist es nur fünf Minuten entfernt und hält, was es verspricht, nämlich wirklich gut gewürzte Speisen und kühles Bier.
Dann ist dieser Tag auch schon wieder zu Ende und wir sind schon gespannt auf den nächsten.

DIENSTAG

Niemand kann uns Auskunft geben, wann wir abgeholt werden. Das ist eine Sache in Afrika, mit der ich auch nach 35 Jahren noch nicht wirklich gut zurecht komme. Irgendwann erreicht die Rezeptionistin nach ewiger Herumtelefoniererei dann doch jemand bei Zara, der uns ausrichten lässt, dass der Fahrer schon am Weg sei. Seit wann und von wo und wann er da sein würde, bleibt jedoch ein Rätsel.
Also warten wir halt. Und genehmigen uns noch ein zweites Frühstück. Und warten.
Irgendwann ist dann der Minibus da, der uns abholt. Wir lernen Juma kennen, unseren Führer. Schon in den ersten Minuten stellt sich heraus, dass er sehr leise spricht. Wenn er überhaupt spricht. Das Reden ist nicht so seine Stärke, was aber nicht an seinem Englisch liegt, das recht gut ist. Das bedeutet aber, dass wir ihm jede Info aus der Nase ziehen müssen. Könnte noch anstrengend werden, aber bitte.
Jetzt starten wir einmal los, Richtung Berg. Das Wetter ist gut, was zugleich auch meine größte Sorge ist. Wir sind spät dran und ich hoffe, dass die große Regenzeit noch ca. zwei Wochen auf sich warten lässt. Die kann in Ausnahmefällen auch schon Anfang März beginnen, jederzeit jedoch Mitte März, also genau jetzt. Oder sie beginnt erst im April. Laut unserem Fahrer Paul – wesentlich gesprächiger als Juma – beginnt sie immer an der Küste in Mosambik und wandert dann hinauf nach Tanzania, immer von der Küste langsam ins Landesinnere. Während ich diese Zeilen schreibe, geschieht gerade eine der größten Flutkatastrophen Afrikas mit tausenden Todesopfern. Dazu muss ich erwähnen, dass starke Regenfälle zur Regenzeit gehören, das ist ganz normal. Auch die eine oder andere Überschwemmung gehört dazu, nicht jedoch so etwas wie jetzt im südlichen Ost- und Zentralafrika.
Afrika trifft der schnelle Klimawandel in Form einer Klimakatastrophe, weil sich Flora und Fauna nicht darauf einstellen können. Extreme Klimaänderungen gab es in der Erdgeschichte schon oft, auch sehr schnelle, die waren aber immer durch einen Vulkanausbruch oder einen Meteoriten verursacht. Beides ist diesmal nicht der Fall und ich fürchte, wir sind im Anthropozän angelangt, also in dem Erdzeitalter, das durch den Menschen definiert wird bzw. seine Einwirkungen auf die Biosphäre. Jeden Tag finden weltweit 200.000 Flüge statt. In Österreich wünscht man sich noch deutlich mehr und will daher die 3. Piste in Schwechat bauen, als ob nichts wäre, als ob es keinerlei Anzeichen für einen radikalen Klimawandel gäbe.
Ich versuche meinen Teil beizutragen indem ich immer weniger fliege. Derzeit beschränkt sich das auf durchschnittlich einen Urlaubsflug pro Jahr plus eine Handvoll beruflich bedingte Flüge nach Deutschland. Politisch trete ich dafür ein, dass Flüge deutlich teurer werden sollten. Dann werde ich auch die Konsequenzen tragen und noch weniger fliegen oder eben mehr Geld dafür ausgeben müssen. Fliegen war Luxus und sollte es auch wieder werden. Dann lernen die Menschen das vielleicht auch wieder schätzen, denn was nichts kostet ist nichts wert – so zumindest meine Erfahrung.
Im Gegenzug dazu sollte die Bahn ausgebaut werden, dann könnte ich so billiger nach Deutschland kommen als mit dem Flugzeug. Derzeit ist das nicht der Fall, leider.

Zurück nach Afrika. Wir klauben noch ein paar Träger auf und kommen zur Parkgrenze des Arusha National Parks, dessen Teil auch der Mount Meru ist.

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Bild 4: Der erste Blick auf den Berg. Schaut nicht sehr spektakulär aus.

Das Wetter ist für uns vor allem deswegen wichtig, weil wir bei starken Regenfällen nicht auf den Berg gehen können, zumindest nicht auf den Gipfel, der auf 4.550 Meter Höhe liegt. Das ist um ein paar hundert Meter niedriger als der Mount Kenia, aber immer noch hoch genug um problematisch zu sein.
Von Kälte und Regen ist derzeit aber nichts zu bemerken, ganz im Gegenteil. Es ist sehr heiß, irgendwas bei 35 Grad und die Sonne knallt unbarmherzig herunter. 50er-Creme ist angesagt und warten. Wir sind im Ranger-Hauptquartier angekommen und machen unser Gepäck fertig. Wir selbst haben Tagesrucksäcke mit einem Lunchpaket und Wasserflaschen. Thomy und ich haben je eine Aluflasche mit und dazu bekommen wir noch eine Plastikflasche, die jedoch immer wieder befüllt wird. So lässt sich das umweltmäßig einigermaßen sauber hinbekommen.

Wir starten gegen ein Uhr Mittag und es ist heiß, sehr heiß sogar. Das macht sich vor allem deswegen bemerkbar, weil wir auf einer in der prallen Sonne liegenden Schotterstraße mehrere Kilometer entlang gehen müssen, bis zu einem riesigen alten Feigenbaum, durch den ein Auto fahren kann.

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Bild 5: Der riesige Feigenbaum. Er entstand durch zwei Feigenbäume, die als Würgebäume einen anderen Baum überwuchert haben, der dann abgestorben und verrottet ist. Die Feigen sind übrig geblieben.

Ich bin zwar Hitze einigermaßen gewöhnt, dieser Marsch nimmt mich aber trotzdem mit, wie ich etwas später zu spüren bekomme.
Jetzt geht es aber erst einmal hinein in den Bergwald, wir haben insgesamt ca. 4 Stunden Fußmarsch zu bewältigen und in Summe 1.000 Höhenmeter bis zur ersten Hütte auf 2.500 Metern.

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Bild 6: Es ist zwar noch nicht steil, aber wir sind in der prallen Sonne.

Nach etwa einer halben Stunde geht es mir nicht sehr gut, ich fühle mich kraftlos und habe auch eine leichte Unterzuckerung. Das ist verwunderlich, weil weder ist die Strecke besonders anstrengend noch bin ich völlig untrainiert. Trotzdem plage ich mich ziemlich und es kommt auch Ärger auf, weil wenn das nicht besser wird scheitere ich an diesem Berg.

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Bild 7: Blick hinüber auf den Kili. An dem bin ich seinerzeit nicht gescheitert. Leider ist er inzwischen fast eisfrei und der berühmte Blick auf die eisbedeckte Kappe des Kilimandjaro ist bereits Geschichte.

Es wird aber besser und es geht durch dichten Bergwald stetig bergauf, eigentlich eine wunderschöne Wanderung. Hin und wieder überqueren wir einen Bach, in dem ich meine Trinkflasche auffülle. Juma und Joseph raten zwar ab, können auf Nachfrage aber auch nicht genau sagen warum. Sie meinen lediglich, dass es nicht gut schmeckt und leicht salzhaltig wäre. Ich kann davon nichts erkennen und vertraue der Natur, die Bächer binnen kurzer Zeit säubert, vor allem, wenn sie keinen chemischen Verschmutzungen ausgesetzt sind. (Das hat übigens funktioniert, ich bekam keinerlei Beschwerden durch das Wasser.)
Nach etwas mehr als vier Stunden erreichen wir die Miriakamba-Hut. Und dann ist der da, der Moment, den ich aus der Piefke-Saga kenne, als Herr Sattmann nach einem qualvollen Aufstieg auf der Hütte ankommt und auf der anderen Seite des Berges die Seilbahn sieht, die zur Hütte hinauf fährt.

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Bild 8: Die Miriakamba-Hütte besteht aus einer ganzen Reihe an Hütten bzw. Häusern, inklusive Solaranlage

Hier gibt es zwar keine Seilbahn, dafür aber eine Straße. Es ist die Verlängerung der Schotterstraße, die wir zu Beginn gegangen sind und sie ist – ein kleiner Trost – für Touristentransporte gesperrt. Lediglich Versorgungsfahrten dürfen damit gemacht werden und natürlich werden auch von Zeit zu Zeit marode Bergsteiger hinunter geführt.

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Bild 9: Die Hütte hat eine riesige Zisterne, aus der das Wasser in die Tanks gepumpt wird.

Wir sind übrigens nicht alleine unterwegs, sondern werden vom 25-jährigen Holländer Steye begleitet, der in Mto Wa Mbu am Lake Manyara ein Praktikum für sein Geologiestudium (Spezialfach Erosion) absolviert und für drei Monate in Tansania ist. Er spricht etwas Suaheli, was bei den Einheimischen hier sehr gut ankommt. Zudem ist er sehr nett und ich bin schon gespannt, wie es ihm weiter oben gehen wird, es ist schließlich der erste Berg in seinem Leben.

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Bild 10: Mitten im Bergwald

Die erste Etappe hat er jedenfalls gut genommen, gleich hinter Thomy, dem unser gesamter Tross deutlich zu langsam ist. Ich wiederum bin ganz froh, dass wir heute nicht schneller gegangen sind.
Der Tross besteht übrigens aus zwei Führern, einem Ranger (Joseph), einem Koch, einem Kellner und einer Handvoll Träger, darunter eine junge Frau (Veronika). Die Träger bekommen wir nur selten zu Gesicht, sie sind trotz schwerem Gepäck deutlich schneller als wir und somit immer irgendwo unterwegs.

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Bild 11: Die Träger tragen etwas weniger als früher, es gibt jetzt strengere Regeln. Trotzdem tragen sie immer noch jede Menge Gepäck.

Joseph ist der Netteste in der Runde, er erzählt gerne lustige Geschichten und kennt sich mit allem aus, was es hier zu sehen gibt. Jede Gruppe muss einen Ranger mit dabei haben, auch wenn die Gefahr nicht wirklich groß ist. Am gefährlichsten sind Kaffernbüffel, die es hier in größeren Mengen gibt. Für den Fall der Fälle hat unser Ranger ein altes Gewehr mit. Es ist wirklich alt, eine deutsche Mauser aus dem Jahr 1909. Joseph meint, dass sie zwar nicht sehr treffsicher ist, jedoch immer noch verwendet werden kann. Ich glaube ihm, auch wenn das 110 Jahre alte Stück eigentlich in ein Museum gehört.

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Bild 12: Die Mauser von Joseph

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Bild 13: Mitten im Wald treffen wir einen seltsamen Bergbewohner.

Die Hütte ist sensationell, ich habe in Ostafrika noch nie eine bessere gesehen. Mehrere Hütten zu je 8 Räumen mit je 4 Betten stehen zur Verfügung, derzeit aber nicht sehr ausgelastet, außer uns sind gerade mal 4 weitere Touristen da, darunter eine Holländerin, die gerade von einer gescheiterten Gipfelbesteigung kommt.
Es gibt eine große und sehr saubere Waschinsel und sogar eine Dusche, wenngleich auch nur mit kaltem Wasser. Unser Kellner ist auch für unser Gesamtwohl verantwortlich und bringt uns je zwei Lavoirs mit heißem Wasser.

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Bild 14: Gut ausgestattet, aber typisch afrikanisch. Alles ist irgendwie montiert.

Der Speiseraum ist riesig, so dass wir uns ein wenig verloren vorkommen. Dafür ist das Abendessen einfach, aber gut. Wie auf all den Bergen hier wird es in Plastikschüsseln serviert, das Besteck ist aber aus Metall.

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Bild 15: Der riesige Speisesaal. Außer uns ist allerdings fast niemand da.

Als es dunkel wird, schenkt uns der Berg ein tolles Farbenspiel durch die untergehende Sonne. Danach wird es schnell sehr dunkel und auch ziemlich frisch, so dass wir nach dem Abendessen nicht mehr lange im Freien verbringen. Wenn man mit der Taschenlampe in den Wald leuchtet, dann gibt es immer das eine oder andere leuchtende Augenpaar zu sehen. Hin und wieder, so meint Joseph, sieht man in der Nacht auch einen Büffel oder anderes Getier über die große Wiese zwischen den Hütten marschieren.
Wir jedenfalls sind rechtschaffen müde und gehen schlafen.

MITTWOCH

Wir müssen zwar nicht früh raus, da wir aber am Vorabend schon recht früh (so gegen 22 Uhr) schlafen gegangen sind, stehen wir schon bei Sonnenaufgang auf und freuen uns, den Kilimanjaro von einer Art Mini-Aussichtsturm wolkenlos in der Morgensonne bestaunen zu dürfen. Der Blick ist vollkommen frei und auch das Wetter sieht wieder sehr gut aus.
Nach einem üppigen Frühstück marschieren wir los. Es geht gleich ziemlich steil los, wobei unser Ranger Joseph die betonierten Stücke sehr kritisiert. Sie seien auf Touristenwunsch hin gebaut worden, es wären aber alle damit unzufrieden, so seine Aussage.
Bergauf stören sie nicht weiter, aber ich stelle mir schon vor, wie das bergab zur Tortur werden kann, schrecklich für Knie und Sehnen.
Die Wege sind generell extrem gepflegt und ich erfahre auf Anfrage, dass Reparaturtrupps aus den anliegenden Dörfern für ein nettes kleines Nebeneinkommen der Bevölkerung Arbeit und Geld bringen. Einmal im Jahr, also nach der ersten Regenzeit, rücken sie aus und bringen die Wege wieder gut in Schuss.
Es geht ziemlich ordentlich bergauf – das unterscheidet den Mount Meru von den anderen hohen Bergen in Afrika und macht ihn etwas schwieriger als z.B. den Mount Kenya. Er ist übrigens der fünfthöchste Berg auf diesem Kontinent – das steht zumindest am Gipfel so angeschrieben. Typisch afrikanisch, denn eine genauere Recherche ergibt, dass die Reihung nach Gipfeln so aussieht:
Nr. 9: Äthiopien: Semien Mountains, 4.462 m
Nr. 8: Ruanda: Virunga Mountains 4.507 m
Nr. 7: Tansania: Mount Meru 4.566 m
Nr. 6: Republik Kongo: Mount Emin (Ruwenzori-Gebirge) 4.798 m
Nr. 5: Uganda: Kiyanja Mount Baker (Ruwenzori-Gebirge) 4.844 m
Nr. 4: Uganda: Mount Speke (Ruwenzori-Gebirge) 4.890 m
Nr. 3: Uganda: Ngaliema, Mount Stanley/Margherita-Spitze (Ruwenzori-Gebirge) 5.109 m
Nr. 2: Kenia: Mount Kenya (Nelion) 5.199 m
Nr. 1: Tansania: Kilimandscharo 5.895m

Unser Weg ist angenehm, ich spüre zwar die Schwäche vom Vortag wieder und bin nicht besonders schnell, aber es geht deutlich besser. Wir marschieren weiter durch dichten Bergwald, hin und wieder sieht man Spuren von Büffeln und es geht ordentlich bergauf.

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Bild 16: Die Stecken sind wertvolle Balancehilfe, wenn auch nicht überall nötig – ganz im Gegensatz zum Hut, ohne den ich aufgeschmissen wäre.

Unser Ranger erzählt Geschichten und langsam lichtet sich der Wald. Jetzt übernehmen Büsche die Vorherrschaft, interessanterweise gibt es jede Menge Klee, der im Prinzip aussieht wie unser Klee. Wir erfahren, dass das nach einem Buschbrand Vorreiterpflanzen sind, die später dann von anderen verdrängt werden, sich aber erstmal enorm ausbreiten.
Nach ca. 4,5 Stunden kommen wir zur Saddle Hut und sind erstmal erstaunt, was für eine riesige Anlage das ist. Es gibt wieder mehrere Schlafhütten mit ähnlichen Zimmern wie auf der ersten Hütte. Dusche gibt es zwar keine, aber die wird gerade gebaut. Alles ist enorm aufwändig gemacht, viele betonierte Fundamente und auch hier sind die Hütten mit betonierten Wegen verbunden, die überdacht sind. Der Speisesaal ist etwas kleiner und es gibt eine ganze Menge Wassertanks. Auch hier wird das Regenwasser gesammelt und über Pumpen in die oberen Tanks geleitet. Wie das funktioniert, können wir wenig später sehen, denn es fängt zu regnen an. Genauer gesagt handelt es sich um ein Berggewitter und schon geht der Regen in Hagel über. Wir sitzen im Speisesaal und beobachten eine Gruppe Kolkraben, die versuchen sich unter Büschen und in kleinen Erdnischen vor dem Unwetter zu verstecken. Nach 45 Minuten ist alles vorbei und die Sonne erscheint wieder. Nach einer kurzen Besprechung entscheiden wir uns auf den Little Meru zu gehen. Das ist quasi der kleine Gipfel des Mount Meru und man braucht von der Hütte nur eine knappe Stunde hinauf.

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Bild 17: Thomy am Weg zum Gipfel des Little Meru. Unten sieht man schön die Saddle Hut.

Oben angekommen hat man einen sehr schönen Blick in alle Richtungen, vor allem auch in die Serengeti und hinüber zum Kilimandscharo. Nach dem Abstieg haben wir genug Meter gemacht und freuen uns schon auf das Bett, wenngleich es eine sehr kurze Nacht wird.

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Bild 18: Gipfelfoto mit Steye, dem jungen Holländer

DONNERSTAG

Um ein Uhr kommt Juma um uns aufzuwecken. Das ist aber nicht wirklich notwendig, denn weder Thomy noch ich noch der Holländer haben wirklich geschlafen. Es liegt zumindest bei mir weniger an der Höhe als an der Anspannung, die vor der Gipfeletappe deutlich zu spüren ist. Der Weg raus aus dem warmen Schlafsack ist nicht leicht, wir ziehen uns an und bekommen einen heißen Tee und ein paar Kekse. Dann packen wir unseren Tagesrucksack mit einer Kleinigkeit zu essen und Getränken und machen uns für den Abmarsch bereit.
Thomy und dem Steye haben auch wenig und schlecht geschlafen, sind aber bereit für den Gipfel.
Mit von der Partie ist auch Veronika, die Trägerin, die von Juma zur Assistentin ausgebildet wird. Juma schlägt vor, dass sie meinen kleinen Rucksack tragen soll. Ich bin sicher der Schwächste in der Gruppe und nehme den Vorschlag gerne an. Sonst gehen keine Träger mit und auch Joseph, der Ranger ist hier nicht mehr notwendig.
Wir sind zu sechst und marschieren im Schein der Stirnlampen in Richtung der ersten Serpentinen. Es hat ca. Null Grad und das Wetter ist gut, wenngleich ein starker Wind weht, was die Sache mühsam macht und die Kälte verstärkt.

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Bild 19: Eine kurze Rast mitten in der Nacht. Es hat um die Null Grad.

Meine Kondition ist immer noch nicht die beste und ich quäle mich mehr als am Mount Kenia. Mein Hauptproblem besteht darin, dass ich den Grund dafür nicht kenne.
Thomy ist viel zu schnell, will aber nicht langsamer gehen. Einerseits verstehe ich das, denn jeder braucht einen eigenen Rhythmus, andererseits meint Juma, dass wir erstens zusammen bleiben sollten und Thomy zweitens zu schnell wäre. Der Holländer könnte zwar sicher schneller gehen als ich, bleibt aber auch gerne bei uns.
Der Weg zieht sich und nach einiger Zeit kommen wir auf eine Kuppe, die sich als „Rhino Point“ herausstellt. Eine kahle Bergkuppe, aber das ist nicht das Problem. Ich bekomme eine leichte Krise als ich bemerke, dass es jetzt bergab geht. Zusätzlich marschieren wir noch über schräge Steinplatten, die mit Ketten gesichert sind. Das ist keine wirkliche Herausforderung, denn es ist trocken und meine Schuhe haben bei solch einer Witterung sehr gute Haftung. Mein Problem ist im Kopf, denn ich weiß, dass wir jeden Meter, den wir jetzt bergab gehen, wieder hinauf müssen. Es sind zwar eigentlich „nur“ tausend Höhenmeter bis zum Gipfel, aber die 200, die wir jetzt bergab gehen, kommen noch dazu.
Ich versuche aus Juma herauszubekommen, wie viele solcher Bergabstücke es gibt. Juma redet aber nicht wirklich mit mir und kommt mir schwammigen Erklärungen („not many“), was mich ziemlich wütend macht. Ich bin frustriert, denn ich gehöre zu den Menschen, die schwierige Situationen gut meistern können, wenn sie wissen, was auf sie zukommt. Wenn ich weiß, wie viel es noch bergab geht, kann ich mir die Kräfte einteilen. So aber habe ich das Gefühl ins Endlose hinauf zu steigen.
Später am Nachmittag wird Joseph (der redet ja mit mir) mich aufklären, dass es sieben „No-summits“ gibt, also sieben Hügel, bei denen man glaubt, dass man den Gipfel erreicht hat. Der Rhino Point war übrigens der erste davon und ich bin dafür nicht der erste, der dieses Problem hat.
Jetzt aber muss ich so zurecht kommen. Was mir hilft, ist eine Monotonie. Das funktioniert durch die regelmäßige Schrittfolge von Juma, der vor mir geht. Ich konzentriere mich auf seine Schritte, die ich im Schein der Stirnlampe sehe. Links, rechts, links, rechts, links, rechts… Die Zeit vergeht zwar gefühltermaßen gar nicht, aber es lenkt die Gedanken weg von meinem Ärger und ich baue mir so eine kleine Trance auf, in der ich mich wohler fühle als bei den ständigen Gedanken, wie weit es noch sein könnte. Die Nacht ist pechschwarz und mondlos. Auch die Sterne, die normalerweise auf dieser Höhe alleine schon für eine Festbeleuchtung sorgen, sind irgendwie nicht sehr hell heute Nacht.
Die Landschaft ist in ihrer bizarren Form trotzdem erkennbar, es handelt sich um einen echten Vulkan mit Lavageröll, viel Sand und allen möglichen Basaltformen und Eruptivgestein. Wir kommen an Felsen vorbei, die wie Drachen aussehen und leiden unter sandigen Halden, bei denen wir immer wieder zurück rutschen.

Irgendwann beginnt es ganz leicht heller zu werden und ich bin mit meinen Kräften ziemlich am Ende. Wir gehen jetzt schon seit einigen Stunden und legen nur hin und wieder eine kurze Trinkpause ein. Juma redet zwar nicht viel, packt aber jetzt eine Dose mit einem Energy-Drink aus und gibt sie mir. Das Zeug schmeckt wie Red Bull und ist grauslich wie nur was, vor allem durch die Kohlensäure auch schwer zu trinken, aber ich hoffe, dass es wenigstens wirkt.
Eigentlich hatte ich schon vor umzukehren, mein Gipfelehrgeiz ist nicht wahnsinnig groß und meine Bereitschaft mich komplett zu verausgaben auch nicht. Aber ich möchte wenigstens warten, ob der Energy-Drink wirkt und marschiere daher weiter. Juma bestätigt mir, dass es keine längeren Bergabstücke mehr gibt und ich beschließe ihm einfach zu glauben.
Er behält übrigens Recht, es geht nur mehr 1-2 x wenige Schritte bergab, dafür wird es jetzt immer steiler. Am Horizont erscheint der erste rote Streifen und wir wissen, dass wir es nicht mehr bis Sonnenaufgang auf den Gipfel schaffen werden. Noch liegt eine geschätzte Stunde Aufstieg vor uns.

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Bild 20: Es fängt ganz leicht zu dämmern an, es weht ein eiskalter, starker Wind, der uns den Sand in die Augen treibt.

Der Sonnenaufgang hinter dem Kilimandscharo ist sensationell, vor allem wenn man ihn aus dieser bizarren Vulkanlandschaft aus sehen darf. Das Red-Bull-Zeugs wirkt und ich kann mir vorstellen mit der verbleibenden Kraft auf den Gipfel zu kommen. An den ebenfalls kräftezehrenden Abstieg denke ich einfach noch nicht, das ist besser so.

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Bild 21: Das ist einer der Momente, für den man die Strapazen auf sich nimmt. Hinter dem Kili geht die Sonne auf.

Da es jetzt schon hell ist, kann man den noch verbleibenden Weg sehen, was einerseits gut ist, weil so eine Einteilung der Kräfte irgendwie möglich ist, andererseits schlecht, weil ich sehe, wie weit es noch ist.

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Bild 22: Die aufgehende Sonne taucht die bizarre Vulkanlandschaft in oranges Licht. Hinten sieht man den Gipfel.

Und jetzt wird es richtig steil. Über große und kleine Felsblöcke geht es den letzten Anstieg hinauf zum Gipfel. Thomy ist ein paar Meter vor mir oben, aber selbst für ihn war das letzte Stück kein Kinderfasching mehr. Der Holländer ist auch nicht mehr gut beinand, er hat leider Höhenkrankheit bekommen, ihm ist schlecht und er hat Schädelweh.

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Bild 23: Keine Ahnung, warum ich mir die Handschuhe ausgezogen habe. Vielleicht um das Foto zu machen, das ich dann doch nicht gemacht habe.

Den Gipfel erreichen wir nach fünf Stunden Aufstieg und ich bin ziemlich erschöpft. Es gibt eine Tafel und sogar ein Gipfelbuch, in das ich mich eintrage. Im Gegensatz zum Kilimandscharo gehen hier nicht allzu viele Menschen hinauf, was dem Berg sicher gut tut. Es ist immer noch ziemlich kalt, wir sind aber vom anstrengenden Aufstieg aufgewärmt und außerdem beginnt die Sonne auch ein wenig zu wärmen.

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Bild 24: Auch an Thomy ist der Aufstieg nicht spurlos vorüber gegangen.

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Bild 25: Steye ist erledigt, allerdings weniger von der Anstrengung des Aufstiegs, sondern eher von der Höhenkrankheit. Veronika macht das alles nichts aus.

Lang bleiben wir nicht heroben, nach einer knappen halben Stunde beginnen wir den Abstieg, nachdem Juma und der andere Guide jede Menge Bilder mit ihren Selfie-Sticks gemacht haben.
Diese Unsitte macht auch vor Afrika keinen Halt.

Der Abstieg geht einigermaßen gut, ich habe ausreichend Kraft um die Schritte gut zu setzen. Das ist enorm wichtig, denn hier oben verknöcheln kann fatale Folgen haben. Jetzt sind die Sticks eine große Hilfe und glücklicherweise hat der Holländer auch welche. Ihm gebührt großer Respekt, denn es ist sein erster Berg im Leben und außerdem macht ihm die Höhenkrankheit leider auch beim Abstieg schwer zu schaffen. Normalerweise verschwindet sie recht flott wieder, wenn man hinunter geht, bei ihm funktioniert das aber aus unerfindlichen Gründen nicht. Er will auch keine Tabletten nehmen, die Juma ihm anbietet. Auch auf meinen Vorschlag zu hyperventilieren geht er leider nicht ein, dabei würde ihm das helfen.

Also rutschen wir die sandigen Geröllhalden bergab und steigen über unzählige Felsblöcke. Meine Kraft ist wieder da, lediglich die um einen Hauch zu kleinen Stiefel machen mir zu schaffen und ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie das nach weiteren Stunden des Bergabgehens sein wird.

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Bild 26: Eine der wenigen Stellen, die sehr harmlos aussehen. Bergauf rutscht man aber auf diesem Sand ordentlich dahin.

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Bild 27: Auf diesem Bild sieht man den Weg, der immer in der Nähe des Grats entlang führt. Die Steilheit sieht man aber nicht.

Jetzt wird es auch warm und ich ziehe meine dicke Jacke aus, was sich aber im nächsten schattigen Stück wieder als Fehler herausstellen wird. Unterhalb des Rhino-Points legen wir eine längere Rast ein, auch um etwas zu essen. Der Holländer ist immer noch höhenkrank, akzeptiert jetzt aber wenigstens Tabletten gegen Übelkeit und Kopfweh. Sie werden ihm leider nicht allzu viel helfen, keine Ahnung, warum. Aber er ist jung und kräftig und wird es schaffen. Dummerweise hat er die Dreitages-Tour gebucht und müsste heute noch bis ganz nach unten absteigen, was eine unglaubliche Strecke und über dreitausend Höhenmeter bergab bedeutet. Juma und Joseph machen ihm den Vorschlag, dass sie ihn von der letzten Hütte mit dem Auto hinunterbringen lassen, das wäre im Preis inkludiert. Er nimmt diesen Vorschlag dankend an.

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Bild 28: Beim Abstieg sieht man schön in den Krater, der sich irgendwann gebildet hat, als der äußere große Krater schon längst erodiert war. Links hinten der Little Meru, rechts ganz hinten der Kili.

Nach 3,5 Stunden sind wir wieder auf der Saddle Hut. Ich bin einigermaßen froh, leider erhalten wir die schlechte Nachricht, dass längeres Ausruhen nicht möglich ist, weil ein Wetter aufzieht und die Führer und Träger gerne schon im Wald sein wollen, wenn der Regen kommt.
Also haben wir nur eine Stunde Zeit um was zu essen und uns ein wenig auszuruhen. Ich verhandle eine halbe Stunde dazu, letztlich werden es dann zwei Stunden, bevor wir die nächste Etappe zur unteren Hütte starten können.
Um es kurz zu machen: Es ziehen zwar ordentliche Wolken auf, Regen kommt aber keiner. Möglicherweise wollten die Führer aus irgend einem anderen Grund schnell absteigen.

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Bild 29: Colobus-Affen gibt es eine Menge, sie sind aber schwer zu fotografieren.

Wieder geht es durch den Bergwald bergab. Ich vertreibe mir die Zeit mit langen Gesprächen mit Joseph. Wir plaudern über den Verkehr in Städten, über Politik und die Natur. Irgendwann kommen wir auf die betonierten Flächen und ich merke, dass meine Zehen zunehmend mehr Probleme bekommen. Die Kritik an dieser Form der Wegebefestigung hat ihre Berechtigung und ich bin froh, als wir bei der Hütte ankommen. Für heute sind wir genug gewandert und auch der Holländer ist heilfroh, dass er von hier mit dem Auto weiterfahren kann. Der Landcruiser steht schon bereit und wir verabschieden uns. Es waren drei sehr nette Tage und wir werden in Kontakt bleiben.

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Bild 30: Die Hütten fassen je 48 Personen in Zimmern zu je 4 Betten.

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Bild 31: Ein Blick in die Zimmer

Am Abend kommt Juma zu uns – es geht um das Trinkgeld für die Träger und den Koch und natürlich für ihn selbst. Wir haben uns leider vorher nicht erkundigt, was denn so üblich ist. Laut Zara Tipping Policy wären da zwischen 8 und 20 Dollar pro Person pro Tag fällig. Das würde die Tour um fast die Hälfte verteuern und erscheint mir auch im Nachhinein als stark übertrieben. Wir haben dann insgesamt ca. 180 Dollar an Trinkgeld gegeben plus einige Kleidungsstücke, in meinem Fall gute Bergstiefel, wenngleich Juma dafür ungefähr 10 Paar Socken brauchen würde, um hinein zu passen.

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Bild 32: Steye ist schon am Vorabend talwärts gefahren. Hier sehen wir links den Koch, dann einen der Träger, den Kellner (auch Träger), hockend Juma unser Guide, Veronika und Joseph, der Ranger

FREITAG

Die Nacht war erholsam und wir haben extrem lang geschlafen. Ein gutes Frühstück soll uns wieder Kraft für den restlichen Abstieg geben.

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Bild 33: Palatschinken, Porridge und was man sonst halt so braucht.

Nicht zu missachten ist der ordentliche Muskelkater in den Beinen, aber sonst sind wir fit für den weiteren Abstieg.
Dieser führt uns eine etwas andere, direktere Route hinunter. Juma hatte uns vor Beginn der Tour zugeraunt, dass wir die „short route“ hinauf gehen sollten und nicht auf den Ranger hören, der lieber die lange Tour gehen will. Ich verstand damals überhaupt nicht, was er damit meinte und bemerkte auch zu Beginn keine Abzweigung, die ich in Frage stellen hätte können. Also dürften wir die lange Route gegangen sein.
Später hat mir Joseph dann erklärt, dass sie hinauf immer die längere Route gehen, weil diese länger im Schatten liegt als der direkte Weg, der dafür beim Abstieg angenehmer wäre.
Das leuchtet ein.

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Bild 34: Guido und Thomy beim Abstieg

Also marschieren wir den Berg hinunter bis zu einer kleinen Schlucht, in der sich ein wirklich toller Wasserfall befindet. Da es sehr heiß ist, wirkt er ausgesprochen erfrischend, verstärkt noch durch die im Schatten liegende Schlucht. Eigentlich will ich hier gar nicht mehr weg und außerdem ist das Wasser so klar und frisch, dass ich meine Flasche auffüllen kann. Selbst hier weigern sich Juma und Joseph das Wasser zu trinken, was mir völlig unverständlich ist. Sie trinken aber generell nicht viel und selbst beim Aufstieg zum Gipfel haben sie nahezu nichts zu sich genommen. Vielleicht ist das mit dem Wasser trinken wirklich mehr Gewöhnungssache als wir glauben. Gerade in den letzten Jahren ist es bei uns zur Modeerscheinung geworden immer und überall eine Wasserflasche dabei zu haben. Auf den Bänken in der Fachhochschule oder der AKH-Akademie sprießen die Flaschen in allen Farben und Formen wie die Schwammerln auf den Tischen.

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Bild 35: Der Wasserfall liegt schon unten in der Ebene, ist permanent und extrem angenehm.

Dann geht es am Fuß des Berges noch über eine Mischung aus Savanne und Sumpflandschaft, wo wir in wenigen Metern Entfernung an Pavianen und Giraffen vorbei marschieren. Zu Fuß habe ich diese Tiere noch nie so nahe gesehen, sie dürften aber an Menschen gewöhnt sein.

Schließlich sind wir wieder beim Hauptquartier angekommen und erhalten ein Lunchpaket für die Weiterreise. Diese geschieht mit einem Minibus, mit dem wir noch auf einen Gamedrive durch den Park fahren. Es geht vorbei an einigen Seen und die hügelige Vulkanlandschaft ist abwechslungsreich und interessant. Kronenkraniche, Flamingos, Giraffen, Paviane, diverse Antilopen, Warzenschweine und noch einiges mehr gibt es hier zu sehen. Zugleich ist die Nähe zur Kulturlandschaft deutlich, es erinnert mich ein wenig an den Nakuru-Nationalpark, wo es ähnlich ist: hier die Zebras, zweihundert Meter weiter Häuser und Felder. Kultur und Wildnis liegen hier sehr dicht zusammen.

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Bild 36: Einer der Seen im Nationalpark. Das rosa Zeugs sind jede Menge Flamingos.

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Bild 37: Thomy gelingen immer wieder richtig gute Aufnahmen.

Wir haben mit Juma zwar mehrfach besprochen, dass wir direkt zum Flughafen müssen und natürlich auch rechtzeitig dort ankommen wollen, da wir ja am Berg nicht online einchecken konnten.
Der Gamedrive ist zwar nett, aber irgendwann frage ich Juma, ob dem Fahrer und ihm klar ist, dass wir in etwas mehr als einer Stunde am Flughafen sein müssen.
Auf einmal geht alles sehr schnell. Der Fahrer zeigt seine versteckten Rallye-Künste und wir fliegen förmlich durch den Rest des Parks. Offensichtlich haben sie einfach vergessen, wann wir am Flughafen sein müssen.
Beim Gate sehen wir wie schnell es in Afrika gehen kann wenn es schnell gehen muss. Der Fahrer wird gerade einmal langsamer und beschleunigt sobald der Schranken in die Höhe geht.
So schaffen wir es knapp zwei Stunden vor Abflug tatsächlich am Flughafen zu sein und verabschieden uns von Juma. Dann geht es wieder hinein in den Flughafen und zum Checkin.
Wir geben unsere Rucksäcke ab und erhalten unsere Bordkarten. Jetzt beginnt wieder die lähmende Warterei. So denke ich zumindest als ich zur Sicherheitskontrolle komme. Am Stirnrunzeln des Mannes hinter dem Durchleuchtungsgerät merke ich, dass etwas nicht stimmt. Er lässt mich den kleinen Rucksack ausräumen und ganz unten findet er – den Leatherman. Er ist brandneu, ich habe ihn genau genommen noch nie benützt und er war immerhin 150 Euro teuer.
So ein Mist! In der Eile der Anreise habe ich auf ihn vergessen. Jetzt stehe ich da und überlege, ob es noch irgend eine Möglichkeit gibt das Ding zu retten. Eine junge Dame hinter mir meint, es wäre doch noch genügend Zeit um meinen kleinen Rucksack auch noch einzuchecken. Jetzt kommt mir zu Hilfe, dass wir uns hier auf einem kleinen, eher gemütlichen Flughafen befinden. Ich bekomme die Erlaubnis den ganzen Weg wieder retour zu gehen und tatsächlich ist es möglich den Rucksack noch abzugeben. Das ist noch keine Garantie dafür, dass der Leatherman in Nairobi auch noch drinnen ist, vor zwei Jahren haben sie mir in Dar es Salaam den Vorgänger der jetzigen Neuerwerbung aus dem großen Rucksack entwendet.
Egal – ich marschiere wieder zur Durchleuchtung und erlebe, dass dich der Sicherheitsmann ehrlich darüber freut, dass ich es geschafft habe. Nur das Gefühl ist seltsam – vollkommen ohne Gepäck, einfach nur in Leiberl, Hose plus Reisepass und Bordkarte – so bin ich noch nie zu einem internationalen Flug aufgebrochen.

Die restliche Wartezeit vergeht schnell und auch der Flug dauert nicht lange. Es ist schon finster als wir in Nairobi landen und ich bin gespannt, ob das Versprechen der Zollbeamtin halten wird, dass unser Visum auch für eine zweite Einreise gültig ist.
Tatsächlich, wir müssen nichts mehr zahlen. Auch meine beiden Gepäckstücke sind da und nichts fehlt. Irgendwie dürfte der Tag noch gut ausgehen, vor allem weil Paul schon auf uns wartet und auf schnellstem Weg nach Hause führt. Wobei – sofort wollen wir noch nicht nach Lake View, schließlich haben wir einen ordentlichen Hunger. Paul erklärt sich bereit auf uns zu warten, während wir in Spring Valley noch eine ordentliche Portion hineinschaufeln. Mein Steak ist eher von der Marke Schuhsohle, Thomys Burger hingegen ausgezeichnet.
So geht ein weiterer langer Tag zu Ende und wir sind froh, wieder gut in Nairobi angekommen zu sein. Vor dem Schlafengehen stecken wir noch den Campingkühlschrank im Haus ans Netz, damit er bis in der Früh gut vorkühlen kann. Dann geht es ab ins Bett.

SAMSTAG

Wir schaffen es um 08:20 wegzukommen, nach einem kurzen Frühstück und hoffentlich allen Dingen, die wir brauchen werden. Nur Gemüse, Obst und Fleisch müssen wir noch einkaufen.
Es ist wolkig und ich habe immer noch die Angst, dass die Regenzeit jederzeit einsetzen könnte. Am Waiyaki-Way ist erstens sehr viel LKW-Verkehr und zweitens gleich eine fette Baustelle. Es gibt überhaupt derzeit jede Menge Baustellen und fast alle sind fest in chinesischer Hand. Die bauen dort vor allem Infrastruktur, also Straßen und – wie wir später noch bemerken werden – eine neue Uganda-Bahn. Sie machen das natürlich nicht uneigennützig, sondern profitieren durch gute Handelsverträge und dadurch, dass sie auf den gebauten Straßen erstens chinesische Waren ins Land und wertvolle Rohstoffe außer Landes bringen können. Sie sind aber weder gieriger noch skrupelloser als die Europäer, nur machen sie es deutlich geschickter.
Die große Straße nach Nakuru ist in tadellosem Zustand, das Überholen ist trotzdem sehr schwierig und so brauchen wir relativ lang bis Nakuru, wo wir den Einkauf geplant haben.
Wir finden das Einkaufszentrum, in dem wir vor zwei Jahren schon waren und das in der Zwischenzeit umgebaut wurde. Als wir den Supermarkt finden, bin ich erstaunt: Bisher gab es zwei große Ketten – Uchumi und Nakumatt. Das entsprach ungefähr dem, was bei uns SPAR und BILLA sind.
Jetzt gibt es neue, z.B. den französischen Carrefour oder Taskys. Sowohl die Qualität wie auch die Auswahl sind deutlich zurück gegangen. Bier gibt es fast nur mehr Dosen, viele gute Marken sind verschwunden, es wirkt alles billiger, noch mehr Plastik, noch weniger frische Waren. Besonders schlimm ist es mit Obst und Gemüse. Die Auswahl ist winzig, die Qualität mies, dafür ist es sauteuer. Wir könnten zwar da und dort am Straßenrand gute Ware deutlich günstiger kaufen, wissen aber natürlich nicht, was wir angeboten bekommen. Paradeiser und Paprika wollen wir unbedingt, aber bekommen wir das auch auf der Strecke?
Die Preise entsprechen ungefähr dem österr. Niveau, genau genommen ist es teurer. Ich bin recht unzufrieden, dafür funktioniert das Geldwechseln sehr schnell und einfach.

Dann sind wir wieder auf der Landstraße, genauer gesagt auf der A 104 Richtung Eldoret. Der LKW-Verkehr ist beträchtlich, hier fahren aber auch alle, die etwas nach Uganda in den Kongo bringen. Die Strecke geht von Mombasa über Nairobi und Nakuru nach Eldoret und von dort weiter über Jinja nach Kampala. Da es die alte Uganda-Bahn nicht mehr gibt bzw. nur mehr bis Nairobi, muss alles mit dem LKW transportiert werden.
Wir können glücklicherweise irgendwann links Richtung Kisumu abzweigen und von dort an ist fast kein Verkehr mehr. Dafür ist die Landschaft reizvoll, es geht durch riesige Teeplantagen über sanfte Hügel Richtung Westen bis zur kleinen Stadt Kericho.

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Bild 38: In den Teeplantagen arbeiten viele Menschen. Hier sehen wir ihre Quartiere.

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Bild 39: Ein Bub mitten in den Teeplantagen.

Der Toyota läuft prächtig und wir nähern uns irgendwann Kisumu, der großen Stadt am Viktoriasee. Dort fahren wir allerdings nur durch Richtung Kakamega.

Was sofort und extrem auffällt: Kenia hat seit ca. einem Jahr ein Verbot von Plastiksackerln. Und sie halten das ein, der Verkauf ist genauso verboten wie die Benützung. Uns wird empfohlen die letzten noch vorhandenen Exemplare möglichst schnell loszuwerden – wenn man erwischt wird, kann es sehr teuer werden, das geht bis zur Gefängnisstrafe.
Die Auswirkungen sind eklatant. Es gibt fast keinen Dreck mehr auf den Straßen, lediglich die unseligen Plastikflaschen liegen noch herum, aber auch von denen deutlich weniger als noch vor einem Jahr oder zwei Jahren. Ich bereise Ostafrika jetzt seit 35 Jahren, aber so etwas habe ich noch nie auch nur annähernd erlebt. Die Straßenränder, die Straßengräben wie geschleckt. Dort, wo früher kleine Müllhalden waren, ist es jetzt blitzsauber. Hecken, Sträucher, Zäune, Gräben – nirgends mehr die unglaubliche Fülle an Sackerln, das Land schaut ohne Übertreibung ganz anders aus, erinnert stellenweise schon fast an Costa Rica.
Einmal haben wir so einen Stoßtrupp gesehen, der auf der Straße den Müll einsammelt. Leider gibt es noch die unseligen Plastikflaschen, aber immerhin sind wenigstens die Sackerln weg. Teilweise konnten wir unseren Augen kaum trauen, es wirkt wie ein anderes Land, sehr anders, sehr sauber, sehr schön.
Wir haben auch mit den Kenianerinnen und Kenianern gesprochen und alle sind über dieses Verbot glücklich. Freiwillig wäre da gar nichts gegangen – so viel ist sicher.
Und der Effekt ist durchschlagend, wenn auch – wie fast alles in dieser Welt – nicht ganz ohne Nachteile. Das Einkaufen von Obst und Gemüse ist schwieriger geworden, statt der Plastiksackerl gibt es jetzt Plastiknetze, die man in der Obstabteilung bekommt. Aber auch hier wird schon nachgedacht, ob man die verbieten soll.
Jetzt fehlen nur noch die Plastikflaschen und dann hängt uns Afrika um viele Jahre ab was die Entwicklung betrifft. Es gibt Bereiche, in denen uns Afrika nicht nur einholt, sondern längst überholt hat. Das trifft auf die Telekommunikation zu (M-Pesa und noch vieles andere), aber auch auf den Umgang mit Plastik. Bei uns ist so ein Verbot in weiter Ferne, dort haben sie es einfach umgesetzt.

Nach einer neun Stunden dauernden Fahrt sind wir endlich in Kakamega angekommen und finden die Abzweigung zum National Reserve. Wir wissen noch nicht, was uns dort erwartet, aber in meiner Karte sind „Udos Bandas“ eingezeichnet und angeblich darf man dort campen.
Der Parkeintritt ist im Vergleich zu den großen Parks sehr günstig (22 Dollar) und die nette Dame von der Parkverwaltung meint, ein Guesthouse käme auf 40 Dollar, Camping pro Person auf je 20 Dollar. Also nehmen wir das Guesthouse und ich freue mich auf ein Bett statt auf den harten Toyota.
Das Guesthouse stellt sich als vollwertiges Haus heraus, mit komplett eingerichteter Küche, Bad und WC und einem Schlafzimmer mit Doppelbett.
Thomy will eh im Toyota schlafen (er liebt das Ausstelldach heiß) und so richten wir uns gemütlich ein. Am Parkeingang haben wir noch Salomon getroffen, einen lokalen Führer. Er bietet uns für den nächsten Tag eine Wanderung durch den Kakamega Forest an. Wir buchen und zahlen das gleich und sind gespannt was uns morgen erwartet.

Jetzt kochen wir uns erstmal ein Abendessen. Wir waren beim Einkaufen mit dem Fleischangebot nicht sehr glücklich und wollen ohnehin mehr Gemüse und Obst essen. Daher haben wir nur ein paar Würstel gekauft, die jetzt in der Pfanne landen. Dazu gibt es eine riesige Portion Salat. Danach den obligaten Sundowner, obwohl die Sonne schon länger weg ist. Wir bevorzugen Fruchtsaft mit Kenya Cane, gut gekühlt versteht sich.

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Bild 40: Thomy brät ein paar Würstel, während ich einen Salat zubereite.

Das funktioniert seit den neuen Solarmodulen auch hervorragend, denn die liefern so viel Strom, dass der Eiskasten auf der Minimumstufe immer noch ordentlich kühlt. Der Fortschritt erscheint mir vor allem deswegen so groß, weil wir jahrzehntelang mit den Kühlschränken gekämpft haben. Sie waren sauteuer und haben nur selten gut funktioniert. Man konnte sie mit 220 Volt, 12 Volt und mit Gas betreiben. Während der Fahrt hat das mit 12V einigermaßen funktioniert. Sobald das Auto aber abgestellt wurde und vor allem über Nacht, saugte der Kühlschrank die Batterie leer und man konnte am nächsten Tag nicht mehr starten. Daher wurde der schwere Kühlschrank aus dem Auto gehoben und unter einen Tisch gestellt, damit ihm der Regen nichts anhaben konnte. Dann wurde eine Gasflasche angeschlossen und man musste mit einem langen Zündholz ganz unten hinten in ein Röhrchen hineinfahren, das Gas aufdrehen und halten und dann hoffen, dass die Flamme anspringt. Der Kühlschrank musste komplett eben stehen und komplett windgeschützt sein, denn sonst blies ein Lufthauch die Flamme aus und am nächsten Morgen war alles kaputt. Also mussten wir in der Nacht hin und wieder aufstehen und die Flamme kontrollieren. Spätere Varianten hatten wenigstens schon eine Zündung, die aber eher selten funktionierte. Also wieder Zündholz und mühsam in das Röhrchen schauen, ob dahinter die Flamme brennt.
Und es war oft gar nicht leicht Gasflaschen zu bekommen. Dazu mussten wir manchmal quer durch ganz Nairobi in die Industrial Area fahren, zur Firma „Afrigas“, und dort hoffen, dass sie gerade die richtigen Flaschen haben, sofern die Firma überhaupt offen hatte.
Es war echt mühsam.

Das ist alles Vergangenheit, der Toyota hat eine leistungsstarke Extra-Batterie, an der ein Controller hängt, der den Solarstrom kontrolliert. Und die neuen Solarmodule sind so gut, dass sie ausreichend Strom liefern, damit der Kühlschrank problemlos die ganze Nacht kalt bleibt. Die beiden Fahrzeugbatterien für das Starten sind davon getrennt und somit muss man nicht mehr nachdenken, ob man am nächsten Tag noch starten kann.
Wir freuen uns jedenfalls auf diesen nächsten Tag und unsere Wanderung durch den Wald.

SONNTAG

Dummdadamm, dumm-dadamm, dadamm, dumm… So ging es die ganze Nacht lang, irgendwo wurde getrommelt. Später erfahren wir, dass dies zu einem Begräbnisritual gehört und wohl auch die nächste Nacht noch so sein würde. Macht nichts, wir haben trotzdem sehr gut geschlafen und gönnen uns jetzt ein gutes Frühstück mit Spiegeleiern, Toast und Orangenmarmelade. Ich habe leider vergeblich versucht im Supermarkt einen Kräutertee zu bekommen. Das gibt es hier einfach nicht. Der hiesige Schwarztee ist zwar hervorragend und billig, mir aber etwas zu stark. Das war vor allem am Berg ein Thema, jetzt geht auch der Schwarztee.
Um 9 Uhr holt uns der Führer ab und wir starten mit leichtem Gepäck auf die Tour, die 5-6 Stunden dauern soll. Der Kakamega-Forest ist nicht sehr groß und wir erfahren, dass zwei Drittel davon auch bewohnt sind. Der verbleibende Rest im Norden – wo wir sind – ist echter Urwald, davon aber nur ein kleiner Teil Primärwald.
Das kenne ich schon von Costa Rica, auch dort gibt es nur mehr winzige Reste an Primärwald. Darunter versteht man einen Urwald, in dem es noch große alte Bäume gibt. Bis Ende der 1950-er Jahre haben die Engländer hier in Kenia alle Primärwälder fällen und das wertvolle Tropenholz nach England verschiffen lassen.
Dazu wurden Gruben gegraben, mit deren Hilfe die riesigen Stämme an Ort und Stelle zersägt werden konnten. Manche dieser Gruben sieht man heute noch.
Jenseits aller Hemmingway-Romantik haben die Engländer im Kolonialismus die Länder schlicht und einfach ausgeraubt. Die Bevölkerung hatte nichts zu melden, denn die Engländer hatten das bessere Militär. So einfach war das.
Heute ist man sich des Werts alter Wälder zwar bewusst, nur gibt es keine mehr. Die Engländer haben ganze Arbeit geleistet. Nur ein kleines Stückchen Wald konnten sie nicht mehr roden und das schauen wir uns heute an.

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Bild 41: Blick von einem Hügel hinunter in den Kakamega-Forest. Sehr viel mehr als das gibt es allerdings nicht mehr.

Der Campingplatz wurde erst in den 1990ern von einem Amerikaner namens Udo gegründet bzw. dort, wo der Forscher auch ein paar Bandas gebaut hat. Das sind kleine Hütten, die den ursprünglichen Behausungen der Menschen in dieser Gegend nachempfunden sein sollen. Sie haben keine Fenster und wirken nicht sehr einladend. Vielleicht hat uns die nette Dame am Gate deswegen das Guesthouse empfohlen.
Es sind nicht nur die Trommeln der vergangenen Nacht – wir haben generell das Gefühl uns nicht in der Wildnis zu befinden. Die nächste Siedlung ist nur wenige hundert Meter entfernt, wenn überhaupt. Es wirkt eher wie ein Park, ein gepflegter Park – und schließlich heißt es ja auch „Nationalpark“, wenngleich es sich hier um ein „Reserve“ handelt.
So wie alle anderen Parks steht auch dieser unter Siedlungsdruck und es bleibt abzuwarten, wie er sich entwickelt.

Salomon führt uns nur wenige Meter neben dem Campingplatz in den Wald. Dort gibt es sehr schöne und sauber angelegte Wege, die wie ein Irrgarten wirken – ständig kommt eine Wegkreuzung und alle sehen mehr oder weniger gleich aus. Salomon erklärt uns einige Büsche und Bäume und merkt an, dass es hier viele Vogelarten gibt. Einer dieser Vögel kann Rufe imitieren. Salomon stößt eine Reihe unterschiedlicher Pfeiflaute aus und der Vogel macht sie exakt nach.
Das ist lustig anzuhören und ich habe das noch nie erlebt.

Wir marschieren weiter, es beginnt langsam heiß zu werden. Wir haben aber genügend Wasser mit und sind uns noch nicht sicher, wie lange die Tour wirklich dauern wird. Jetzt geht es aber einmal flach dahin und Salomon zeigt uns den „Drum-Tree“, einen Baum mit hohen, schmalen und in die Luft ragenden Ausläufern, aus denen die Wurzeln entstehen. Wenn man mit der Faust auf diese Ausläufer hämmert, erzeugt das ein Geräusch wie eine Trommel. So hätten sich Menschen früher Signale gegeben, weil dieses Geräusch weit trägt.

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Bild 42: Die Wurzeln sind beeindruckend.

Salomon zeigt uns Teak- und Palisanderbäume, Feigenbäume und noch einige andere mehr. Darunter sind auch wahre Urwaldriesen und wir sind froh, dass sie den Äxten der Engländer entgangen sind, etwa der African Prune, bei dem man vor kurzem herausgefunden hat, dass seine Rinde gut ist gegen Prostatakrebs. Überhaupt dürfte so ein Urwald eine veritable Apotheke sein und es ist jammerschade, dass nur so wenig davon übrig ist. Manche Bäume sind 500 Jahre alt und man kann sich vorstellen, welcher Schaden durch die gierige Abholzung hier wirklich entstanden ist.

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Bild 43: Ein Baumriese samt Schmarotzerbaum, der an ihm emporwächst.

Nach einiger Zeit kommen wir in einen Sekundärwald. Er bildet sich, wenn der Primärwald gefällt wurde und man findet dort keine hohen Bäume mehr. Dafür gibt es eine Unzahl an Guave-Bäumen, die regelmäßig von den Affen geplündert werden. Diese Affen bekommen wir hin und wieder zu Gesicht: Redtail-Monkeys, schwarz-weiße Colobusaffen, Blue Monkeys sowie einige Paviane.
Auch wilde Ingwerfrüchte finden und verkosten wir gerne. Vieles im Wald ist essbar, wenngleich manchmal schwer zu bekommen, weil dies auch die Affen wissen.

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Bild 44: Wilder Ingwer. Leicht säuerlich, interessant im Geschmack.

Auf die Frage, ob es auch Schlangen gäbe, antwortet Salomon wahrhaft salomonisch: Ja, es gibt viele, und wenn du sie zu sehen bekommst, dann bist du „lucky“, oder auch „unlucky“ – er will sich da nicht festlegen.

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Bild 45: Wir überqueren mehrere kleine Brücken, die über Bäche gebaut sind. Nicht alle wirken vertrauenerweckend.

Es wird immer heißer und wir erklimmen eine kleine Anhöhe, auf der einmal eine Aussichtswarte stand. Wenig später machen wir eine Rast und dann geht es immer weiter durch den Wald. Der Führer hat weder einen Rucksack noch Wasser, will aber auch nichts von uns haben. Wie schon am Berg merken wir, dass die Afrikaner nicht viel trinken.

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Bild 46: Wie die meisten Schwarzafrikaner trägt auch unser Führer eine Art Einheitskleidung. Mit der geht er in die Kirche und in den Wald, einkaufen und zu einem Business-Meeting.

Dafür wird Salomon immer schweigsamer und wir marschieren stundenlang durch den heißen Wald. Das ist zwar ganz nett, macht aber keinerlei Lust auf einen zweiten Tag hier im Nakamega Forest. Der ist zwar ganz nett, aber das ist der Wienerwald auch.
Ganz zum Schluss machen wir noch einen kleinen Umweg zu einem Wasserfall. Dieser ist weder besonders hoch noch sonst irgendwie spektakulär. Kann man machen, muss man aber nicht.

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Bild 47: Der Wasserfall im Kakamega Forest.

Das einzig auffällige am Retourweg ist eine junge Frau, deren Begleiter einen Ghettoblaster in den Händen hält und laute Musik spielt, während beide durch den Wald wandern. Es gibt hier scheinbar nichts, was es nicht gibt.
Etwas erschöpft kommen wir nach knapp sechs Stunden zu unserem Guesthouse zurück. Die Wanderung war nett und ihr Geld durchaus wert, wenngleich alles Wichtige in der ersten Stunde zu sehen und zu erleben war. Salomon hat auch schon geahnt, dass wir hier keinen zweiten Tag bleiben werden. Aber wir bleiben noch eine Nacht in unserem Guesthouse, denn die Alternative wäre irgend ein Hotel in Kakamega, bei dem wir auch nicht kochen könnten.

So wird es Abend und nach einem guten Essen und einem einfachen Abwasch (weil in einer echten Küche), gönnen wir uns nach dem Bierchen noch unseren klassischen Gute-Nacht-Trunk. Auch dieser Tag war lange und anstrengend und wir freuen uns auf eine angenehme Nacht. Morgen werden wir in Richtung Masai Mara aufbrechen.

MONTAG

Nach einem leicht eingeschränkten Frühstück schaffen wir es um 08:20 wegzufahren. Der Führer und auch unser junger Betreuer vom Guesthouse bekommen jeder von Thomy ein Hemd bzw. etwas anderes als Geschenk und wir fahren zum Gate. Dort bezahlen wir noch die zweite Nacht bei einer Rangerin mit rosa Strickhaube und dann geht es wieder auf die Hauptstraße zurück nach Kisumu.

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Bild 48: Der Eingang zum Nationalpark

Im „Tuskys“ decken wir uns mit Vorräten ein, was wieder länger dauert als geplant. Dann geht es durch eine ewig dauernde, sehr staubige Baustelle wieder hinunter nach Kisumu, das die Region der Tuktuks zu sein scheint. Während es die in Nairobi und anderen Gegenden überhaupt nicht gibt, fahren hier die indischen Dreiräder zu tausenden herum.
Was sich in Kenia auch verändert hat, ist das Tankstellennetz. Es gibt extrem viele und es dürfte ein ziemlicher Konkurrenzkampf zwischen einer Vielzahl Mineralölfirmen sein, jedenfalls deutlich mehr als bei uns. Früher oft vertreten, heute aber extrem selten ist „Kobil“, die kenianische Mobil. Immer schon gab es Shell und Total, seltener BP. Jetzt gibt es jede Menge mir unbekannte Marken, nicht alle hätten mit ihrem Namen auch in Österreich gute Karten so wie etwa die Tankstelle mit dem namen „Aftah“.

Vor zwanzig Jahren war die Planung der Tankmöglichkeiten ein wichtiger Bestandteil jeder Reise, genauso wie das Thema mit den Patschen. Beides hat sich heute erledigt. Auf der Strecke von Nairobi in die Masai Mara gab es zwar in Nairobi genügend Tankstellen, dann aber erst wieder in Narok. Im Park selbst hatte nur die Keekorok-Lodge eine Tankstelle, dort gab es aber nicht immer Benzin und noch seltener Diesel. Manchmal mussten wir regelrecht betteln, um 10 oder 20 Liter kaufen zu dürfen, gerade so viel, um noch bis Narok zu kommen. Das war sehr mühsam.
Heute hat die Ahsnil-Lodge ein paar hundert Meter neben unserem Zeltplatz eine Tankstelle. Und in Narok gibt es statt einer jetzt zehn davon.
Das ist natürlich angenehm, genauso wie die Tatsache, dass wir seit Jahren keine Reifenpanne mehr hatten. Da sind die Ursachen allerdings bekannt. Kenia hatte eine spezielle Wirtschaftsstruktur, die zugleich gut und schlecht war. Wenn ein Produkt im Land erzeugt wurde, hat man den Import dieses Produkts mit hohen Zöllen belegt – so hoch, dass sich der Import mehr oder weniger nicht mehr ausgezahlt hat. Dadurch bekam das produzierende Unternehmen eine sehr gute Marktposition. Soweit ist das okay, denn das hat internationale Unternehmen dazu gebracht in Kenia Fabriken zu bauen und somit Arbeitsplätze zu schaffen.
Selbstverständlich konnte jederzeit die Konkurrenz auch eine Fabrik bauen. Das hat dann den Markt belebt und im Idealfall zu einer Verbesserung der Produkte geführt, zumindest zu einer Verbilligung.
Bis daher ist immer noch alles okay. Das Problem bestand aber immer schon darin, dass dadurch bestimmte Produkte am Markt gar nicht erhältlich oder sehr teuer waren.
Ein gutes Beispiel sind Reifen. Schon in den 1980ern baute die Firma Firestone eine Reifenfabrik und ab da gab es fast nur mehr Firestone-Reifen. Leider keine guten. Der „Trans-Lug“ war, gelinde gesagt, ein Schas. Ein Gewebereifen ohne Stahlgürtel und somit für alles anfällig, was auf Kenias Straßen an spitzen Gegenständen vorhanden war. Und das war eine ganze Menge. Das hat dazu geführt, dass wir in der schlimmsten Zeit eine Reifenpanne täglich hatten. Das war nicht nur sehr öd und zeitraubend, wir mussten auch immer zwei Reservereifen mit dabei haben, denn es kam schon vor, dass wir zwei Patschen hatten bevor wir die nächste Reparaturwerkstatt ansteuern konnten. Die gab es dafür an jeder Ecke und sie konnten blitzschnell den „Puncture“ reparieren.
Hin und wieder konnten wir sauteure Importreifen kaufen, die das Problem reduzierten.

Die Änderung kam Mitte der 1990er Jahre mit dem MS 212, einem 16 Zoll Stahlgürtelreifen, der auch auf unseren VW-Bus passte und den Firestone im Land produzierte. Ab dem Zeitpunkt hatten wir nur mehr sehr wenige Reifenpannen und heute mehr oder weniger gar keine mehr. Ich muss einmal recherchieren, wie der Reifenmarkt in Kenia heute strukturiert ist. Die Zeit des mühsamen Reifenwechselns im Straßengraben oder sonstwo ist glücklicherweise vorbei, die des Spritmangels auch.

Die Veränderung im Tankstellennetz zeigt auch die Veränderung in der Mobilität. Die Mittelschicht ist gewachsen und das erste, was sie sich kaufen, ist natürlich ein Auto. Also genau genommen ein Handy, aber das hat dort auch schon jedes Kind. Kenia motorisiert sich und das bedeutet auch, dass die Straßen überlastet sind. Nairobi gilt als eine der drei schlimmsten Stau-Städte der Welt. In der Früh und am Abend geht im Zentrum oft gar nichts mehr, deswegen haben sie auch eine Ringautobahn gebaut, die den Stau zwar nicht sehr verringert hat, aber jetzt eine Alternative bietet, wenn man von einem Ende zum anderen muss.

Der Umweltschutz spielt noch keine Rolle, wenngleich die unfassbaren Schwerlaster aus den 1970er und 80er Jahren fast alle aus dem Straßenbild verschwunden sind. Das waren vor allem uralte Trucks von Mercedes und Fiat, aber auch Pritschen von Bedford. Sie waren unfassbar langsam und bliesen die schlimmsten Dreckwolken hinaus, die man sich vorstellen kann. Natürlich waren sie ständig kaputt und das führte zu höchst gefährlichen Szenen, denn sie blieben einfach mitten auf der Straße stehen, auch wenn davor eine Kurve war. Manchmal rissen die Fahrer am Straßenrand ein paar Büsche aus und legten Zweige anstelle eines Pannendreiecks aus. Dann konnte man rechtzeitig bremsen.
Diese Zeiten sind vorbei, heute gibt es Pannendreiecke und scheinbar brechen auch weniger LKW auf der Strecke zusammen. An manchen Orten findet man aber noch die bizarre Szenerie von LKW-Werkstätten am Dorfrand, wo sie mehr oder weniger auf der Straße Achsen zerlegen oder eifrig an einem Motor zangeln.
Viel sicherer sind kenianische Straßen aber noch nicht geworden, vor allem, weil der Verkehr massiv angestiegen ist. Auch Uganda braucht Waren und die werden derzeit noch alle mit LKWs geliefert – für ein ganzes, nicht gerade kleines Land, über eine einzige Straße. Vielleicht gab es deswegen die sicher richtige Entscheidung eine neue Uganda-Bahn zu bauen. Darüber berichte ich noch.

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Bild 49: Die alten Überlandbusse gibt es immer noch. Sie fahren extrem flott und sind extrem überladen.

Was sich eben auch verändert hat, sind die Straßen. Es gibt die Einteilung in A-Straßen (quasi Autobahnen bzw. Schnellstraßen, auf jeden Fall asphaltiert), B-Straßen (meistens asphaltiert, nicht immer gut) und C-Straßen (gute Schotterstraßen, oft Wellblechpisten, aber auch in der Regenzeit einigermaßen befahrbar). Und dann gibt es noch D- und E-Straßen. Dafür braucht man ein robustes Auto und viel Zeit.

Die Situation hat sich schon geändert und tut es weiter. Wir sind jetzt auf C-Straßen gefahren, die wünsche ich mir in Österreich als Bundesstraßen. Sie haben zwar keine Bodenmarkierungen, sind aber in oft tadellosem Zustand, wahrscheinlich auch weil sie sehr neu sind. Es ist immer wieder eine freudige Überraschung, wenn man eine asphaltierte C-Straße findet, wo man zumindest für einige Kilometer dem Staub und dem Gerüttel entkommt. Das spart unglaublich viel Zeit und hier ist der Fortschritt eindeutig zu begrüßen, denn das bringt auch den Orten etwas, die durch diese Straßen verbunden sind.

Zu unserem Glück finden wir so eine C-Straße, die Sondu mit Chepilat verbindet – die C22. Sie führt durch eine malerische Hügellandschaft mit Teeplantagen und es ist einfach eine Freude dort zu fahren.
Leider hat alles Glück auch ein Ende und Thomys Navi führt uns auf die C14, die mit der C22 so wirklich gar nichts zu tun hat. Sie zweigt unscheinbar in einem unbekannten Ort von der B3 ab und wird in ihrem Verlauf immer schlechter. Irgendwann glauben wir, dass wir uns massiv verfahren haben. Thomys Google Maps zeigt immer noch die C14 an, aber wir fahren über Stock und Stein (mehr Stein) und sind froh, dass wir einen massiven Geländewagen haben. Das ist vom Zustand nicht einmal mehr eine E-Straße und manchmal ist es schwer zu erkennen, ob hier überhaupt je wer gefahren ist.
Ich gerate mit Thomy in einen kurzen Streit über die Zuverlässigkeit von Google Maps, das angeblich die statistischen Häufigkeiten unzähliger Autos berechnet und uns dort führt, wo die meisten fahren.
Wo wir uns gerade befinden, kann das einfach nicht stimmen. Was wenigstens stimmt, ist die ungefähre Himmelsrichtung, die mir verlässlicher erscheint als Google Maps.

Irgendwann wird die Piste wieder als solche erkennbar, nachdem wir durch ein Never-never-Land gefahren sind und das Gefühl hatten, die ersten Europäer zu sein, die hier je gefahren sind.
Und irgendwann treffen wir auf die C13 und sind wieder sicher auf dem richtigen Weg. Über eine gute Schotterpiste geht es Richtung Parkeingang, dem Ololoolu-Gate unterhalb des gleichnamigen Escarpments, das die Masai Mara nordwestlich auf natürliche Weise begrenzt.

Die Mara ist ein National Reserve, das aber nicht durch das Kenya Wildlife Service verwaltet wird. So scheint dieser wahrscheinlich schönste Park quasi nirgends offiziell auf. Er wird durch die District-Verwaltung gesteuert und durch die dort ansässigen Masai geführt. Das hat Vor- und Nachteile.
Eindeutig ein Vorteil ist die zumindest teilweise Einbeziehung der lokalen Bevölkerung. Viele Masai arbeiten in der Mara oder auf irgend eine Art zumindest für das Wildreservat.
Andererseits mangelt es ihnen oft an Professionalität, was auch wiederum ein Vor- und ein Nachteil sein kann. Jedenfalls richten sie sich punkto Eintrittspreisen nach den teuersten Nationalparks, sprich: 70 Dollar pro Tag. Diese Summe zahlt man für 24 Stunden und seit einiger Zeit haben sie bei jedem Gate Computer, die ein wenig Fortschritt mit sich bringen. Zumindest wenn sie funktionieren. Vor vier Jahren war das nicht der Fall und sie waren ziemlich hilflos.
Ein Nachteil liegt eindeutig darin, dass die zentrale Verwaltung in Narok gerne ihr eigenes Spielchen spielt. Hier prallen unterschiedliche Interessen aufeinander und man merkt immer wieder den alten „Tribalism“, der noch immer nicht der Vergangenheit angehört. Damit ist gemeint, dass nicht nur Stämme verfeindet sind, sondern auch innerhalb der Masai es verschiedene Interessensgruppen gibt, die vor allem ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen, egal, was für Nachteile andere damit haben. In früheren Zeiten war es durchaus sinnvoll nur auf den eigenen Stamm zu schauen, heute läuft man damit Gefahr die Gesamtstruktur so zu zerstören, dass man selbst auch nicht übrig bleibt.
Ein Beispiel: Der Fluss Mara ist die Lebensader des gesamten Reservats. Ohne ihn würde es in ziemlich kurzer Zeit einer so starken Veränderung unterliegen, dass weite Gebiete samt den bekannten Tierwanderungen zugrunde gehen würden.
Vor ein paar Jahren sollte das Gebiet des Oberlaufs verkauft werden, und zwar an einen Investor, der dort Gemüseplantagen anlegen wollte und dazu das Wasser der Mara gebraucht hätte. Die Mara wäre ausgetrocknet.
Glücklicherweise konnte das irgendwie verhindert werden. Wenn wir aber ein System haben, in dem jeder nur auf seine lokalen Vorteile schauen kann, würde dort wirklich alles zugrunde gehen.
Derzeit befindet sich das gesamte Land in einer Art Schwebezustand und es ist in meiner Wahrnehmung unklar, wohin es sich entwickeln wird.

Wir sind jedenfalls froh die Mara noch in ihrer ganzen Pracht besuchen zu dürfen. Leider ist die Tierpopulation in den letzten zwanzig Jahren stark zurück gegangen, was auch wir bemerken mussten. Der Grund ist die stark steigende Bevölkerungszahl von Kenia und der dadurch entstehende Druck auf die Randgebiete.
Es war schon vor dreißig Jahren so, dass die Massai ihre Herden in den Park treiben durften, wenn die Trockenzeit zu lang andauerte. Das war so lange kein Problem, als die Herden klein waren. Dann wurden sie durch bessere medizinische Versorgung immer größer und auch nicht mehr durch Wildtiere bejagt, so dass die Weidegebiete immer schneller und gründlicher leergefressen wurden. Die Massai drängten also in den Park und die Distriktverwaltung, die ja auch aus Massai besteht, konnte oder wollte das nicht verhindern.
Dann schritt die Regierung ein und vertrieb die Massai mit Gewalt aus dem Park. Für die Wildtiere und den Tourismus natürlich gut, für die Massai mit ihren viel zu großen Herden hingegen schlecht. Das hat Gegengewalt produziert und war als Konflikt insofern unlösbar, als die Massai den Besitz von möglichst vielen Kühen als Zeichen des verdienten Wohlstands ansehen. Je mehr Kühe ein Massai, desto angesehener ist er und jeder Massai will maximal angesehen sein.

Heute hat sich die Situation zwar ein wenig verändert, jedoch nur temporär verbessert. Die Massai haben inzwischen auch riesige Ziegenherden, die ebenfalls die Weidegebiete kahlfressen. In guten Jahren ist genug für alle da, in schlechten jedoch kochen alte Konflikte wieder hoch.

Wir werden das Problem leider nicht lösen können und stehen selbst vor dem – natürlich deutlich geringeren – Problem der Frage, wann wir in den Park hinein fahren. Das ist nämlich eine Frage der Zeitrechnung: der Eintritt gilt für jeweils 24 Stunden, so viel wussten wir schon. Von einem der Ranger, mit dem wir unter einem großen Baum im Schatten sitzen und versuchen, der großen Nachmittagshitze zu entkommen, erfahren wir, dass wir beim Durchfahren des Mara Triangles an der Marabrücke noch einmal zahlen müssen und die 24 Stunden dort neu starten. Die restlichen Stunden des schon bezahlten Tages würden verfallen.
Das wollen wir natürlich nicht und rechnen herum, wie wir dem entgehen können. Das Ergebnis sieht folgendermaßen aus: Rund um das Gate gibt es weder ein reizvolles, günstiges Massai-Camp wie beim Sekenani-Gate auf der anderen Seite der Mara, noch eine interessante Lodge. Was es jedoch gibt, ist eine public campsite gleich hinter dem Gate. Diese kostet 30 Dollar pro Person, man verspricht uns dafür eine gute Dusche.
Wir könnten jetzt hinein fahren, auf der Campsite übernachten und den kommenden Tag mit einem langen Game Drive im Triangle verbringen, um dann ca. 22 Stunden später über die Mara Brücke ins National Reserve „Greater Mara“ zu fahren. Dann hätten wir immer noch genügend Zeit um zu unserem privaten Campingplatz zu kommen.

Das scheint ein guter Plan und wir zahlen einmal den Eintritt für eine Nacht sowie die Campinggebühren. Im Gegensatz zu den offiziellen Nationalparks des Kenya Wildlife Service kann man in der Mara mit Dollar zahlen – woanders braucht man MPesa oder eine Kreditkarte.
Dann fahren wir die paar Meter hinunter zur Campsite. Sie liegt absolut malerisch, hat aber mehr oder weniger keinerlei Schatten. Drei dünne Schirmakazien sind zu vernachlässigen und wir merken, dass dieser Platz gut für eine Übernachtung ist, jedoch schlecht um dort Tage zu verbringen.
Dafür stimmt das mit der Dusche. Aufgrund eines ausreichenden Höhenunterschiedes zum Tank ist der Wasserdruck exzellent und wir genießen eine wirklich tolle Dusche.

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Bild 50: Duschen mit Blick in die weite Ebene.

Nicht weit weg grasen ein paar Elefanten und der Tag neigt sich dem Ende zu. Sundown in der Savanne – das schreit nach einem Bier, einem guten Abendessen und danach muss das alles mit einem Kenya Cane mit Mango-Maracujasaft begossen werden. Das Leben könnte schlechter sein.

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Bild 51: Sonnenuntergang in der Masai Mara mit den drei mageren Schirmakazien auf unserem Zeltplatz

DIENSTAG

Heute gönnen wir uns ein ausgiebiges Frühstück. Erstens haben wir keine Eile aufzubrechen, da wir noch den ganzen Tag im Auto sitzen werden, zweitens werden wir uns das Mittagessen ersparen.
Danach geht es los und schon wenige Minuten nach dem Aufbruch laufen uns drei Löwinnen über den Weg. Das ist ein mehr als nur guter Anfang und wir fahren zufrieden weiter.

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Bild 52: Drei Löwinnen, die allerdings nicht sehr gut genährt aussehen.

Eine Elefantenherde taucht auf, wenig später eine zweite, wir sehen Kronenkraniche und merken, dass wir uns in einer sehr netten Ecke der Massai Mara befinden. Ich selbst war hier noch nie auf Game Drive und so kenne ich mich auch mit den kleinen Wegerln nicht gut aus. Das macht aber nichts, denn dieser Teil ist sehr übersichtlich und man kann sich fast nicht verfahren: Auf der einen Seite ist das Escarpment, auf der anderen Seite der Mara-Fluss. Dazwischen kann man nach Herzenslust herumfahren. Das ist jetzt ganz besonders einfach, weil alle Tracks trocken sind und das gilt auch für die unzähligen kleinen Bäche, die jetzt lediglich Mulden sind, die wir durchfahren. Das alles macht der Toyota ohne dass wir den Allradantrieb aktivieren müssen.

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Bild 53: Kronenkraniche und Enten an einem der ganz wenigen Wasserlöcher.

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Bild 54: Zwei aus einer mittelgroßen Herde

Wir fahren einige Zeit an der Mara entlang, sehen aber außer Elefanten nicht viel. Das Problem der heißen Phase der Trockenzeit besteht für Touristen darin, dass es für die Tiere nur in der Früh und am Abend in der freien Savanne interessant ist. Dazwischen halten sie sich fast alle im Wald auf, wo sie natürlich nicht sichtbar sind.

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Bild 55: Eine liegende Giraffe ist sehr selten.

Wir fahren in das eigentliche Triangle, das wir vor vier Jahren schon besichtigt haben. Es punktet durch viele kleine Sümpfe und ist somit nur in der Trockenzeit gut befahrbar. Die Landschaft ist malerisch, aber auch hier gibt es in der Mittagshitze nicht viel zu sehen. Also machen wir unter einem Baum Rast und essen ein paar Bananen.

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Bild 56: Eine typische Szene aus dem Mara-Triangle. Im Hintergrund das Escarpment, das den Park natürlich begrenzt.

Dann beschließen wir zur Mara Serena Lodge zu fahren. Sie ist die zweitälteste Lodge in der Mara und befindet sich ganz nahe an unseren alten Campingplätzen, allerdings auf der anderen Seite der Mara. Diese kann fast auf ihrer gesamten Länge nicht durchfahren werden, daher gibt es auch die Mara-Brücke. Ich war daher noch nie in der Serena-Lodge und bin gespannt, wie diese aussieht. Ich kenne sie ja nur aus der Ferne.
Sie hat einen eigenen Airstrip und befindet sich hoch auf einer Klippe, mit einem absolut sensationellen Ausblick auf den Mara-Fluss und den ihn säumenden Galeriewald.
Daneben gibt es auch eine Special Campsite, die aber nicht allzu einladend wirkt, wenngleich es guten Schatten gibt. Dafür nur ein Plumpsklo und keine Duschen.
Wir fahren in die Lodge und werden am Eingang herzlich willkommen geheißen. Das ist nicht selbstverständlich, in der Vergangenheit sind wir schon ein paar Mal weggescheucht worden, wenn auch immer bei Camps, nicht in Lodges.

Also parken wir das Auto und schauen uns die Lodge an. Dann wird ein Drink fällig, den wir auf einer Terrasse mit toller Aussicht genießen. Hin und wieder kommen andere Touristen vorbei, die Lodge wirkt aber jetzt in der Nebensaison nicht gerade ausgebucht. Das Publikum ist extrem international, wir hören zahlreiche Sprachen und sehen eine Vielzahl skurriler Typen: blade Amis, technisch voll ausgestattete Asiaten, kleine und große Familien, Menschen in voller Safarikluft und andere im Jogger – Weiße, Schwarze und Inder, es ist einfach alles da und es ist ein Genuss diese Menschen alle zu sehen.

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Bild 57: Die Lodge ist im Stil von Masai-Lehmhütten gebaut.

Nach einer längeren Pause brechen wir wieder auf, nicht ohne vorher ein großes Feuer am Horizont zu bemerken, das eine mehrere Kilometer hohe Rauchsäule in den Himmel schickt. Es lässt sich auf den großen Plains lokalisieren, nicht gerade in der Nähe unseres Löwenplatzes, aber auch nicht ewig weit davon entfernt. Es beunruhigt uns zwar nicht, wir werden es aber weiter beobachten.

Die restliche Fahrt zur Mara-Brücke verläuft unspektakulär, wir schmieren noch ein paar Flussschlingen des Flusses aus und sehen einen Elefantenbullen, der mitten unter Nilpferden im Fluss steht, bei unserem Anblick jedoch im Wald verschwindet.

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Bild 58: Die Mara-Brücke zur Querung in die Greater Mara.

An der Brücke angekommen sind wir deutlich zu früh dran und beschließen noch eine kleine Runde zu fahren. Etwas jenseits der Straße entdecken wir unter einem großen Baum einen Picknickplatz und beschließen, hier noch schnell einen Fruchtsalat zuzubereiten. Dieser mundet hervorragend und wir machen uns zufrieden auf zum letzten Teil des heutigen Safaritages.

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Bild 59: Bei der Zubereitung eines Fruchtsalats. Natürlich mit einem Schuss Rum.

Die Formalitäten an der Brücke sind schnell erledigt und wir bezahlen einen weiteren Tag Nationalparkgebühr. Dann fahren wir einen altbekannten Weg vorbei am Lookout-Hill bis zu unserem Platz, der am Fluss Olkeiju-Ronkei liegt, und zwar tief im Wald, von außen vollkommen unsichtbar.
Damit das auch so bleibt müssen wir aufpassen, dass uns beim Abbiegen vom Track Richtung Galeriewald niemand sieht. Wir bleiben stehen und sehen uns um, ob irgendwo ein Safariauto steht oder fährt. Erst wenn die Luft komplett rein ist, fahre ich los und eine Minuten später sind wir verschwunden.
Den Platz findet man übrigens nur wenn man sich wirklich gut auskennt. Genau genommen finden ihn vielleicht ein halbes Dutzend Menschen und das ist einer der Gründe, warum wir noch dort sind. Rundherum wurden schon Camps gebaut und auch die Ashnil-Lodge, die ich schon beschrieben habe.

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Bild 60: Ein vertrauter Platz

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Bild 61: Ein Chamäleon. Als wir näher kamen, hat es uns angepfaucht.

Jetzt sind wir einmal sehr froh an unserem Zielort angekommen zu sein. Er verändert sich jedes Mal, wenn wir da sind. Bäume stürzen um, der Fluss verändert seinen Lauf ein wenig und noch einiges mehr. Trotzdem ist der Platz auch irgendwie sehr vertraut, auf keinem anderen zuvor waren wir jemals so lange.
Ein gutes Abendessen und ein später Besuch von Salomon, dem für uns zuständigen Game-Ranger, beenden den anstrengenden, aber guten Safari-Tag.

MITTWOCH

Das Wetter ist prächtig, es dürfte aber wieder ein sehr heißer Tag werden. Ich empfehle Thomy einen Early Morning Gamedrive, aber das ist ihm zu früh. Wir müssten bei Sonnenaufgang schon unterwegs sein, das heißt 6:30 starten.
Es wird 7:40, was aber immer noch früh genug ist um noch Tiere zu sehen. In dieser Ecke gibt es immer welche, auch wenn die Mara sonst recht leer ist. Wie ich später erfahre, ist der Tierbestand generell deutlich zurück gegangen und das merken wir auch. In den 1950er Jahren schrieb Bernhard Grzimek „Serengeti darf nicht sterben“ und drehte den gleichnamigen Film. Jetzt ist es wieder soweit, wir bräuchten einen neuen Grzimek. Also eigentlich nicht wir, die Serengeti bräuchte einen.

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Bild 62: Die Topis sind generell nicht sehr scheu, aber in dieser Ecke sind scheinbar die meisten Wildtiere an Menschen gewöhnt. Seit 1975 gibt es den Huntingstop und es dürfen keine Wildtiere mehr gejagt werden. Das hat sich herumgesprochen.

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Bild 63: Diese Hyäne ließ sich von uns auch nicht stören.
Das Feuer von gestern brennt noch immer, ist aber weit genug weg, um uns nicht gefährlich zu werden. Plötzlich auf einem Hügel vier Löwinnen – wie üblich lassen sie sich genau gar nicht von uns stören und wir können sie in aller Ruhe fotografieren.

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Bild 64: Die Ohren zeigen viele Kampfspuren

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Bild 65: Vier Löwinnen, die sich in der Sonne ausruhen

Haben sie in der Nacht gut gespeist? Vielleicht den Kollegen von diesem Zebra:

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Bild 66: Die große Wunde zeigt von einem Angriff, wahrscheinlich von Löwen.

Dann fahren wir durch eine der Furten, die durch den Talek führen. Das ist diesmal besonders unspektakulär, weil auch der Talek mehr ein Rinnsal ist als ein Fluss. Dann sind wir auf der anderen Seite und fahren durch den Galeriewald Richtung Talek Mündung. Vor vielen Jahren konnte man auf einem schmalen, fast nicht sichtbaren Track dorthin fahren. Es war ein unberührtes Stück Natur, mit Nilpferden, Krokodilen und unzähligen Vögeln.

Als wir in die Nähe kommen, sehen wir einen gut befahrenen und gepflegten Track mit einem Schild, das zu einer Campsite weist. Wir fahren ihn dennoch entlang und gelangen zu einem Privatcamp, vor dem uns ein Wächter unfreundlich anschaut. Nein, wir könnten hier weder weiterfahren noch das Camp anschauen. Es wäre besser, wenn wir kehrtmachen und wieder wegfahren.
Das ist schon ein wenig typisch für die Entwicklung. Der einstmals frei zugängliche Raum wird eingezäunt, bewacht und an Privatpersonen verkauft, die ihn zu Geschäftszwecken verwenden.
Wir fahren an die Mara. Dort gibt es immer wieder Stellen, an denen man vor allem Hippos gut beobachten kann, aber auch Krokodile.

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Bild 67: Krokodile fotografiert Thomy ganz besonders gerne. Daher müssen wir auch immer wieder zur Mara fahren und uns quasi anschleichen. Krokodile spüren den Trittschall auch wenn sie hundert Meter entfernt sind und verschwinden sofort im Wasser.

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Bild 68: Die Zähne müssten wieder mal gebleicht werden.

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Bild 69: Hippos verbringen den Tag im Wasser, wie hier am Talek-Fluss.

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Bild 70: Das habe ich so auch noch nicht gesehen: Ein Elefant nimmt ein Bad mitten in einer Gruppe Hippos.

Wir fahren weiter auf die Paradise Plains. Vor vier Jahren gab es da große Gnu- und Zebraherden, jetzt ist alles wie ausgestorben. Wir sehen mehr oder weniger keine Tiere und machen unter einem großen Baum Rast. Diese Bäume habe ich schon öfter beschrieben, sie sind die Helden der Savanne, wackere Einzelkämpfer, die allen denkbaren Unbillen trotzen müssen. Ich habe das Gefühl, dass es immer weniger werden. Wie sollten auch welche nachwachsen? Wir haben das lange und oft diskutiert und auch Masai gefragt, die aber unsere Frage entweder nicht verstanden haben oder keine Ahnung hatten.
Sind das Reste eines ehemaligen Waldes? Wie war das vor hundert Jahren und wie wird es in hundert Jahren sein?

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Bild 71: Der Einzelkämpfer

Glücklicherweise treffen wir einen netten Safaribus, der uns verrät, dass nicht weit weg zwei Löwen zu sehen wären. Wir fahren seiner Beschreibung nach und haben Glück.

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Bild 72: Gestatten: Der König der Löwen

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Bild 73: Die Ohren zeigen viele Kampfspuren

Da es wirklich heiß ist, fahren wir zu unserem Campingplatz zurück, denn Tiere gibt es ohnehin keine zu sehen und die Gegend kennen wir auch schon gut. Das Feuer brennt übrigens immer noch.

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Bild 74: Das Buschfeuer

Der Nachmittag ist nicht wirklich angenehm. Es ist der bisher heißeste Tag und bei unserem Platz gibt es in der Trockenzeit relativ wenig Schatten, weil die Bäume nicht sehr hoch sind. Wir hängen eher lustlos herum und warten, bis der Abend ein wenig Kühlung bringt. Ein Fruchtsalat vertreibt die Zeit und irgendwann werden die Schatten länger. Wir kochen uns Süßkartoffeln und eine Handvoll Würstel sowie eine große Portion Salat. Das kühle Bier mundet heute ganz besonders und den Kenya Cane gibt es mit Guave – meinem Lieblingssaft.

Dann bricht die Nacht herein. Das geht in Äquatornähe ja sehr schnell und heute haben wir noch dazu Vollmond. Er taucht die Landschaft in ein helles, silbernes Licht. Die Geräusche der afrikanischen Nacht im Busch sind vielfältig und laut, wenngleich wir das ja gewohnt sind. Neulinge tun die erste Nacht meist kein Auge zu.
Diesmal gibt es auch drüben bei den Affen in einem Baum irgend eine heftige Streiterei mit jeder Menge Gekreische und Gebrüll. Irgendwann hört es auf und wir genießen die ruhige Nacht – es ist die vorletzte hier in der Mara.

DONNERSTAG

Nach einem ausgiebigen Frühstück verlassen wir diesen wunderschönen Platz und fahren über die Ashnil-Road Richtung Keekorok, also in den Süden der Masai Mara.

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Bild 75: Ein gutes Frühstück mit Toast, Orangenmarmelade, Kaffe, Tee und vielen Früchten

Diese Straße wurde extra für die Luxuslodge angelegt und hat den Vorteil, dass sie ganzjährig befahrbar ist. Früher musste man sich in der Regenzeit mühsam einen Weg über die Plains suchen. Auf der jeweiligen Anhöhe zu fahren hat den Vorteil, dass man dort keine Bäche durchqueren muss, dafür gibt es jede Menge sumpfige Stellen, wo man ebenfalls wunderbar hängen bleiben kann. Wenn dann kein zweites Fahrzeug dabei ist, muss man mit der Seilwinde und einem Erdanker arbeiten. Das ist anstrengend und dauert lange.

Jetzt ist aber Trockenzeit und wir haben diese Sorgen sicher nicht. Dafür werden wir heute eine neue Gegend erkunden, in der ich noch nie war, nämlich das Gebiet südlich der großen Straße bis hinunter zum Sand River, wo die Grenze zu Tansania und zur Serengeti verläuft.
Auch in diesem Abschnitt ist das Gras sehr hoch. Die Wege sind angenehm zu befahren, es gibt aber auch hier fast keine Tiere, was nicht nur an der Hitze liegt. Wir begegnen einem Safaribus, ansonsten ist auch touristisch hier nicht viel los. Kaffernbüffel und ein paar Impalas gibt es aber auch hier.

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Bild 76: Impala-Gazellen gehören zu den Klassikern.

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Bild 77: Kaffernbüffel sind durchaus gefährlich, vor allem, wenn sie alleine unterwegs sind.

Dann sind wir am Sand River angelangt, der seinem Namen alle Ehre macht. Er ist komplett ausgetrocknet, man sieht lediglich das sandige Flussbett, das ihm wohl den Namen gegeben hat. Die Gegend unterscheidet sich von der restlichen Mara und wird durch einige sehr große Bäume geprägt, die neben dem Fluss stehen, manche auch auf kleinen Steininseln mitten im Fluss.

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Bild 78: Der Sandriver

Unter einem großen Baum steht eine Gruppe Elefanten im Schatten, ansonsten sehen wir hier nichts. Dafür ist die Gegend sehr reizvoll und es gibt schon wieder zwei neue, große Camps. Sie werden überall dort gebaut, wo noch große Bäume stehen und nehmen den Tieren diese wertvollen Plätze weg.

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Bild 79: Diese Baumriesen werden leider immer weniger.

Wir fahren am Fluss entlang und kommen nach einiger Zeit zum Sand River Gate. Das ist schon seit langem ziemlich verwaist, weil man nicht nach Tansania hinüber fahren darf. Kenia würde das angeblich begrüßen, aber Tansania will es nicht – warum auch immer. Wir kommen zu einigen Steinen, die uns den Weg versperren und bleiben stehen. Nach ein paar Minuten kommt ein junger Mann, der sich als Ranger herausstellt. Er ist zuerst ein wenig unfreundlich und fragt, ob wir die Fahrverbotsschilder nicht gesehen hätten. Ich kann wahrheitsgemäß antworten, dass wir sie nicht gesehen haben.

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Bild 80: Im Gespräch mit dem jungen Ranger

Irgendwie glaubt er mir und ich frage, wie wir seiner Meinung nach weiterfahren sollen. Anhand der Karte erkläre ich ihm, dass wir zu den Kopjes wollen. Das sind große Granitblöcke, die in der Serengeti eine ganze Gegend prägen und ziemlich berühmt sind. In einer kleinen Variante gibt es sie hier auch und vor ziemlich genau zehn Jahren waren wir auch dort, sind allerdings von einer anderen Seite zugefahren.
Der Ranger meint, wir könnten doch über die Brücke fahren und dann links. Der Weg wäre sehr angenehm und wir könnten sogar hinauf bis zur Grenze fahren.

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Bild 81: Das Sandriver-Gate

Ich finde den Plan gut und wir starten los. Der Weg ist tatsächlich angenehm zu fahren und ein wenig wehmütig blicke ich auf den nicht mehr vorhandenen Campingplatz, den mein alter Freund Wolfi Schreitl jahrelang für seine Safaris verwendet hat. Es war genau so eine Public Camp Site wie wir sie bei unserer Ankunft in der Mara hatten. Nur ist diese nicht mehr in Betrieb.
Also fahren wir den Weg weiter. Ich habe eine sehr gute und genaue Karte von der Mara und man kann sich aber auch ohne Karte schwer verirren. Einfach immer den Fluss entlang. Die Gegend ist interessant, es gibt Dornstrauchwäldchen und weiter im Süden höhere Berge, die aber schon zu Tansania gehören, wo weiter hinten auch schwere Wolken aufziehen.
Bei einer Furt begegnen wir einem Safariauto und der Fahrer fragt uns, wo wir hinwollen. Mit „Kopjes“ kann er nichts anfangen, aber wir kommen drauf, dass die Felsen hier „Black Rocks“ heißen. Dort könnten wir aber nicht über den Sand River und müssten alles wieder zurück fahren, meint der Masai. Ich verstehe nicht, was er damit meint, denn die Furt, die es dort gibt, kenne ich gut und bei einem ausgetrockneten Sand River ist sie locker zu befahren.
Egal – wir fahren weiter und kommen nach einiger Zeit zu einem sehr schmalen Track, der nur notdürftig freigehackt wurde. Es wird steil und wir fahren über Stock und Stein hinunter zum Sand River, wo der Weg plötzlich aus ist. Vor uns sind riesige Felsen und einige Kopjes. Das ist wohl mit „Waterfall“ auf der Karte gemeint: In der Regenzeit wird der Sand River hier durchaus spektakuläre Katarakte bilden. Wir sehen auf der anderen Fluss-Seite einen Landrover mit Touristen, merken aber, dass wir den Fluss hier nicht durchqueren können. Also fahren wir wieder zurück und suchen einen Track, der oben nach rechts abzweigt und uns zur alten Furt hinunter bringt. Diesen Track finden wir auch, er ist nur schon lange nicht mehr befahren worden und kaum zu sehen.
Wir können ihm aber folgen und kommen genau dorthin, wo ich auch hinwollte. Als wir zur Furt kommen, sehen wir ein Schild, das uns die Weiterfahrt verbieten will. Dazu hat man einen Graben gezogen, um dem Schild mehr Nachdruck zu verleihen. Das also hat der Fahrer des Jeeps gemeint. Besonders beeindruckt bin ich allerdings nicht und unser Toyota auch nicht. Weder der Graben noch die Furt sind ein Hindernis und wir fahren auf der anderen Seite den Track am Fluss entlang, um dorthin zu kommen, wo wir den Landrover gesehen haben. Dort sind auch ein paar Kopjes und auf eine klettere ich hinauf, während Thomy lieber beim Auto bleibt.

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Bild 82: Am Sand River bei den Kopjes

Dann geht es zurück, an unserem ehemaligen Flussschlingenplatz vorbei, auf dem jetzt auch ein großes Private Camp steht. Auf alten, mir sehr vertrauten Wegen geht es zur Keekorok-Lodge, auf der wir eine Rast machen wollen.
Im Gegensatz zu den unfreundlichen Camps sind wir hier herzlich willkommen und setzen uns auf die Terrasse, um einen kühlen Drink zu genießen. Irgendwie komme ich hier immer wieder gerne her und wir plaudern mit einem der Kellner und dann mit Judy, einer Managerin der Lodge.
Im Gespräch stellt sich heraus, dass sie meinen Vater kennt, weil sie mit ihm vom Wilson Airport in die Mara geflogen ist, letzten Dezember. Mich erstaunt das nicht, mein Vater ist hier bekannt wie ein bunter Vogel. Trotzdem finde ich es witzig.
Wir besichtigen noch den langen Holzsteg, den die Lodge gebaut hat und der zu einem Hippo-Pool führt. Obwohl ich die Lodge jetzt schon 35 Jahre kenne, war ich noch nie auf diesem Steg.

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Bild 83: Der Safari-Walk in der Lodge

Dann fahren wir weiter Richtung Sekenani-Gate, um die Mara zu verlassen. Es ist schon später Nachmittag und als wir am Gate ankommen, erleben wir eine freudige Überraschung: Sie vergessen einen Tag zu kassieren. Das ist uns hier schon ein paar Mal passiert und da wir ohnehin viel Geld hier lassen, habe ich kein schlechtes Gewissen, dass wir uns 140 Dollar ersparen.
Nur ein paar hundert Meter hinter dem Gate treffen wir James vom Wajee-Camp. Ich habe mit ihm telefoniert, dass er uns an der Kreuzung abholen soll, denn wir wollen eine Nacht im Masai-Camp bleiben.

An diesem Ort waren wir schon vor zwei Jahren und ich habe ihn im Weblog-Beitrag auch ausführlich beschrieben. Jetzt bin ich gespannt, was sich verändert hat.
Kurz gesagt: ein bisschen, aber nicht viel. Sie haben ein paar neue Wege angelegt und einige Blumen gepflanzt. Und sie haben 1-2 Haken im Bad befestigt.

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Bild 84: Das Camp

Es gibt Tischtücher und die eine oder andere Kleinigkeit, wirklich weiterentwickelt haben sie es aber nicht. Dazu muss ich anmerken, dass das auch nicht leicht ist. Die Grundvoraussetzung ist gut: Sie haben einen Bach, der „permanent“ ist, also auch in der Trockenzeit frisches Wasser gibt. Und sie haben Bäume für Schatten. Mehr ist eigentlich nicht notwendig. Die Dusche ist hervorragend und die Zelte sind gut. Der Preis (20 Dollar pro Person pro Nacht) ist sehr fair, das Camp ist eine gute Alternative zu den teuren Camps (ab 100 Dollar aufwärts) rundherum, zumindest wenn man kein Whirlpool braucht und keine Erdbeeren zum Frühstück.
Im Internet beschreiben sie das Camp in schönen Bildern von tollem Essen. Das ist allerdings leider nicht empfehlenswert, wie eine Freundin von mir erfahren musste, die dort mit ihrer Tochter ein paar Nächte verbracht hat. Es war scheußlich und ich bedauere, dass ich ihr nicht geraten habe, sich selbst zu versorgen, so wie wir das tun. Die Masai können für Europäer nicht kochen, das muss man wissen und akzeptieren.
Um das Camp wirklich essentiell weiterzuentwickeln fehlt ihnen das Geld. Sie haben auch kein Marketingkonzept um mehr Gäste hinzulocken. Ich habe ihnen schon vor vier Jahren empfohlen, ein wirklich ansprechendes Schild an der Straße aufzustellen, mit dem sie sich von den anderen Masai-Camps unterscheiden. Das haben sie nicht verstanden oder wollen es nicht. Vielleicht bekommen sie dann Schwierigkeiten mit den anderen Masai – es kann viele Gründe dafür geben. Ich finde es schade, weil der Ort hat Potenzial und es wäre wichtig, dass die Masai Geld verdienen um sich und ihr schönes Land zu schützen und zu erhalten.

Es gibt vier junge Burschen, die im Camp arbeiten. Sie sind bemüht, uns zu helfen. Wirklich interessieren tun sie sich allerdings für ihre Smartphones, darin unterscheiden sie sich nicht von unseren Jugendlichen. Die Seuche ist hier sogar schlimmer, denn der Kulturwandel ist hier wesentlich massiver. Bis vor wenigen Jahren kannten sie kein Telefon, jetzt surfen sie im Internet, sofern sie das Geld für die Airtime aufbringen können. Handyempfang gibt es hier fast überall und in unseren Maßstäben sind Datenpakete auch recht billig zu haben. Und dann ist da noch die Sache mit dem Strom, den man braucht um die Geräte aufzuladen. Das funktioniert in Kenia tw. schon mit einem Entwicklungsmodell, bei dem man um eine geringe Startsumme ein Photovoltaikmodul samt Elektronik und Batterie bekommt. Den Preis kann man abstottern und nach einiger Zeit besitzt man dann das Paket. Das führt dazu, dass es am Abend elektrisches Licht gibt, das man etwa verwenden kann um sich weiterzubilden. Bisher gab es Petroleumlampen und wer kein Petroleum hatte, saß im Dunklen. Das führt auch dazu, das weniger vom wertvollen Holz geschlägert wird. Ich hoffe, dass die Durchelektrifizierung schnell geht und dass sie im nächsten Schritt Alternativen zum Kochen mit Holz finden, denn dann können sie die noch verbliebenen Wälder retten, was dringend notwendig wäre.

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Bild 85: Die Masai – zwischen Tradition und Moderne

Wir kochen uns Nudeln mit einer guten Sauce und brauchen die letzten Vorräte auf. Unsere Logistik war diesmal so gut, dass uns kein Essen schlecht wurde und wir fast nichts mehr mit zurück nach Nairobi nehmen. Wir sitzen noch eine Zeit lang mit James und einem anderen Masai und plaudern über das, was hier geschieht. James erzählt, dass sie Angst vor der neuen Straße haben, die von den Chinesen in die Mara gebaut wird. Es gab Vorfälle in einem vergleichbaren Gebiet, wo Kühe gestohlen und mit einem LKW abtransportiert wurden. Aufgrund der asphaltierten Straße ging das angeblich ganz schnell und man konnte es nicht verhindern.
Mich erinnert das an Österreich, wo nach der Grenzöffnung gegen Osten die Kriminalitätsrate gestiegen ist. Das war zwar nicht dramatisch, aber es passiert auch heute noch, dass Autos gestohlen und schnell über die Grenze gebracht werden, etwa nach Rumänien oder in die Ukraine. Was bei uns die Autos, sind bei den Masai die Kühe: der wertvollste Besitz. Auf schlechten und holprigen Straßen wäre das nicht so einfach, meint James.
Ob das jetzt eine berechtigte Angst ist oder nicht, lässt sich schwer beurteilen. Diese Art von Angst dürfte jedenfalls quer über die Kulturen vorhanden sein.

Wir plaudern auch ein wenig über Emmanuel, der so etwas wie mein Patenkind ist. Ich habe ihm vier Jahre lang die Schule bezahlt. Jetzt möchte er Lehrer werden. Leider ist er gerade nicht in der Gegend, aber ich bin seit einiger Zeit über Facebook mit ihm befreundet und gespannt, was aus ihm wird. Er ist clever, aber das alleine wird nicht reichen.

FREITAG

Die Heimreise steht bevor und wir beschließen, früh aufzubrechen. Das gelingt uns zumindest einigermaßen, um 08:35 sitzen wir im Toyota und fahren zurück nach Nairobi.
Gleich zu Beginn geht es über eine breite neue Schotterpiste, die schon die Basis für die spätere Asphaltierung darstellt.

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Bild 86: Die Piste

Die Chinesen bauen ja blitzschnell und wahrscheinlich wird die Straße schon fertig sein, wenn ich das nächste Mal hierher komme. Dann wird man von Nairobi bequem und schnell in die Mara fahren können, es ist aber schwer abschätzbar, was das für das Naturreservat bedeuten wird. Generell ist es sehr überlaufen und durch eine gute Straße könnte das noch zunehmen, da man dann billiger hierher fahren kann. Leider ist die Mara bzw. Serengeti durch die Übernützung der Randgebiete schon schwer unter Druck geraten und das wird dann wohl noch schlimmer werden. Das eigentliche Problem sind dann nicht die Lodges und Camps im Park, sondern die außerhalb. Die Menschen hier fangen zwar an zu begreifen, dass die Natur erhaltenswert ist, stehen aber unter ökonomischem Druck. Gleich gegenüber vom Wajee-Camp haben die Chinesen eine riesige Lodge gebaut und weitere werden wahrscheinlich folgen. Im Park hat man den Bau neuer Camps zwar angeblich gestoppt, aber erst auf sehr hohem Niveau. Außerhalb gibt es keine Handhabe und hier wird gebaut, was geht. Der Park alleine kann zwar als Kern seine Aufgabe erfüllen, wenn aber die Randgebiete keine Wildtiere mehr zulassen wird sich der Kern auch nicht halten können. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Wir kommen auf ein Stück der alten, holprigen Straße, das aber nur 35 km lang ist. Danach beginnt schon die Asphaltstraße, die sehr breit und schön ausgebaut ist. Es gab sie hier schon einmal, dann ging sie komplett kaputt und jetzt ist sie wieder da, bis auf ein kurzes Stück vor Ewaso Ngiro, das gerade gebaut wird.

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Bild 87: Noch vor zwei Jahren hingen hier überall Plastiksackerln herum und es lag jede Menge Müll auf der Straße.

Wir kommen gut voran und bleiben schon um 10:30 in Narok stehen, um einen Bissen zu essen. Wenn das so weitergeht, sind wir am frühen Nachmittag in Nairobi.
Der Toyota läuft gut, verbraucht aber durch die dicken Geländereifen um drei Liter mehr als sonst. Das ist sehr viel und ich ärgere mich, dass wir keine schmalen Straßenreifen aufgezogen haben, die Schlammreifen haben wir jedenfalls nicht gebraucht. Das war allerdings schwer planbar, insofern lässt es sich eh nicht mehr ändern.
Jetzt werden wir auch von der Polizei aufgehalten. Der Polizist ist allerdings sehr freundlich und wünscht uns nur eine gute Weiterfahrt. Es war die einzige Kontrolle auf dieser Reise.

Im Rift Valley sehen wir dann plötzlich eine riesige Brücke. Was bitte ist das? Sie ist Teil einer Trasse, nur wofür ist die? Die einzige Erklärung für dieses riesige Bauwerk ist eine neue Uganda-Bahn.
Dazu passend sehen wir immer wieder große Slots, in denen sich chinesische Baufirmen angesiedelt haben.

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Bild 88: Ich habe leider kein besseres Bild von der gigantischen Bahntrasse, die hier gebaut wurde. Auch auf Google Earth ist sie noch nicht sichtbar, die Fotos sind zu alt.

Wir kommen nach Maai Mahiu, an dem die Straße von Narok auf die Straße trifft, die durch das Rift Valley nach Nakuru führt. Hier müssen alle LKW fahren, da ihnen die Fahrt durch die Uplands verboten ist. Wir biegen rechts ab und fahren die schmale, kurvige Straße hinauf. Leider nicht lang, denn auf einmal steht vor uns eine Kolonne, die sich kilometerlang den Hang hinaufzieht. Ein Motorradfahrer, der von oben kommt, erzählt uns von einem Unfall, der oben stattgefunden hat.
Das sind schlechte Nachrichten, denn bis das geräumt ist, kann es lange dauern. Wie lange, lässt sich nicht abschätzen. Thomy ist dafür das abzuwarten, ich möchte lieber zurück fahren. Allerdings müssten wir dann bis Naivasha und über die Uplands zurück, was ca. 100 Kilometer Umweg bedeutet.
Ein Matatu-Fahrer meint, es gäbe von Maai Mahiu einen Weg hinauf, aber die Abzweigung wäre schwer zu finden. Dann kommt ein junger Motorradfahrer und der Matatu-Fahrer bittet ihn uns zu der Abzweigung zu führen. „Zahlt ihm aber ja nicht mehr als 100 Kenia-Schillinge“ (ca. ein Euro) meint er.

Wir drehen um und fahren an der langen Kolonne wieder hinunter. Hinter dem Ort folgen wir dem Motorradfahrer über eine steile Schotterstraße hinauf in die Uplands. Blöderweise hatten auch einige andere Autofahrer diese Idee und an einer steilen Passage bleiben zwei PKW hängen. Man darf sich das nicht als Straße vorstellen, es ist eine Art Piste mit Felsblöcken, in der Regenzeit wahrscheinlich unbefahrbar, jetzt zwar trocken, aber für Autos mit wenig Bodenfreiheit kann es schwierig werden.
Das ist eine typische Szene für Kenia. Alles steht, die Leute steigen aus, man diskutiert, wie zu fahren sei und wo und überhaupt. Irgendwann rollt dann einer der PKW zurück, ein paar Umherstehende schieben an und irgendwann geht es weiter. Das regt hier keinen Menschen auf, das ist normaler Alltag.

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Bild 89: Stau

Wir folgen weiter dem Motorradfahrer und kommen nach einiger Zeit zu einer Asphaltstraße, die nach Kijabe führt. Der Motorradfahrer bekommt noch einmal 200 KHS und wir fahren die steile und enge, aber sehr gute Straße hinauf zum Highway. Der Umweg ist beträchtlich, aber ich fahre lieber als dass ich im Stau stehe und nicht weiß, wann es weiter geht (Thomy nennt das „Fluchtreflex“, aber das ist mir egal).

Abgesehen von zwei oder drei staubigen Baustellen und langsamen LKW, die wir nicht überholen können, geht es gut dahin. Dummerweise versäumen wir die nicht gekennzeichnete Abfahrt zur Lower Kabete Road und müssen noch ein Stück Richtung Zentrum fahren, bevor wir links in Richtung Lower Kabete abbiegen können.
Doch irgendwann ist es dann geschafft und wir sind wieder daheim. Ich bin ziemlich erledigt von der anstrengenden Fahrt und Thomy übernimmt dankenswerter Weise die Säuberung des Toyotas, den wir zumindest innen ordentlich putzen müssen. Außerdem müssen wir noch den Sitz einbauen, den wir ausgebaut haben, damit ich hinten schlafen kann und auch sonst sind noch einige Dinge zu erledigen.
Ich bin aber auch erledigt und außerdem ist es sauheiß. Nach einer Pause geht es dann aber wieder und ich rufe Marion an, mit der ich ausgemacht habe, dass ich ihr die Wäsche vorbei bringe. Wir haben zwar auch eine Waschmaschine, dummerweise aber kein Wasser. Das gibt es erst morgen. Oder auch nicht. Marion und Louis wohnen zwar nur fünf Autominuten entfernt, haben aber immer Wasser. Das liegt daran, dass die privaten Wasserfirmen einem Minister gehören. Dieser lässt in manchen Gebieten einfach das Wasser absperren, damit die Leute seine Tankwägen bestellen. Das bringt ihm einen Haufen Geld, denn es gibt vor allem in den Nobelvororten von Nairobi eine große Menge reicher Leute, denen so eine Tankwagenfüllung finanziell vollkommen egal ist. Sie lassen sich dann den Garten bewässern, damit die Blumen wachsen.

Marion ist leider nicht daheim, meint aber, ich könnte zu ihr fahren und Joseph, ein Angestellter, würde mir aufsperren und ich könnte die Sachen selbst in die Maschine tun. Sie würde dann die fertig gewaschene Wäsche aufhängen, wenn sie spät am Abend nach Hause kommt.
Der erste Teil dieses Plans funktioniert gut (Wäsche waschen), der zweite weniger, weil Marion leider vergisst die Wäsche aufzuhängen.

Ich schreibe das so ausführlich, weil es für mich bei jedem Keniaurlaub ein wichtiges Kriterium ist. Ich habe in unserem Haus eine große Kiste mit all meinen Sachen. Dadurch fliege ich quasi nur mit Handgepäck hinunter, weil alles schon vor Ort ist. Das funktioniert aber nur, wenn ich die Sachen vor dem Heimflug waschen, trocknen und wieder in die Kiste packen kann. Thomy findet das aus irgend einem Grund irgendwie blöd und meckert daran herum. Ich meckere dann an irgendwas herum, das mich an ihm stört und wir fühlen uns dann ein bisschen wie so ein altes Ehepaar. Aber schließlich fliegen wir schon seit 19 Jahren gemeinsam nach Kenia und das ist irgendwie okay.

Am Abend sind wir noch bei Paula zum Essen eingeladen. Dort ist auch der Amerikaner Rob, den ich schon vor vielen Jahren einmal bei Paula getroffen habe und eine Freundin von Paula, eine Deutsche, die auch schon hin Pension ist und in Äthiopien lebt. Oder in Kanada? Nein, Rob lebt jetzt in Äthiopien – jedenfalls geht es bei Paula immer ausgesprochen international zu. Vor ein paar Tagen haben wir Richard getroffen, den Lebensgefährten von Paula, der aus Zimbabwe stammt. Der ist aber schon wieder weg, ich glaube in Südafrika.

Paula hat einen riesigen Lachs gekocht und jede Menge schmackhafte Beilagen dazu. Es gibt südafrikanischen Wein und kenianisches Bier. Wir reden englisch und unterhalten uns über Weltpolitik, Afrika und noch vieles andere. Paulas Freundin schaut sich meinen linken Arm an, der seit zwei Tagen dick geschwollen ist. Irgendetwas hat mich am Sand River ins Handgelenk gestochen, was ich in der Situation aber nicht gespürt habe. Ich erinnere mich nur, dass wir eine Horsefly im Auto hatten, also eine Bremse, an deren Stich ich mich aber erinnern würde, weil der tut weh.
So gibt es nur eine Einstichstelle und einen geröteten, geschwollenen Arm, der aber nicht schmerzt. Paulas Freundin meint, dass sie das kennt und dass es sich um eine Pferdezecke handeln würde. Sterben müsste ich daran nicht, die Schwellung würde von allein wieder verschwinden. Paula schmiert den Unterarm mit Lavendelöl ein, Thomy meint, dass es sich um eine allergische Reaktion handeln würde und ich schlucke eine Tablette Antibiotika, nach dem Motto: nutzt´s nix, schadt´s nix.

Der Abend ist extrem angenehm und wir genießen die Atmosphäre, das Essen und Afrika. Es sind unter anderem diese Momente, weshalb ich immer wieder hierher zurück komme und Kenia so etwas wie eine zweite Heimat geworden ist. Wer weiß, wie lange das noch möglich ist? Mein Vater ist jetzt 81 und wird irgendwann hier abrüsten. Ohne Haus und ohne Autos wird es nicht mehr das sein, was es jetzt ist. Ob ich dann noch hierher reisen werde? Ich weiß es nicht.

SAMSTAG

Unser Abreisetag beginnt unspektakulär mit weiteren Putz- und Aufräumarbeiten. Viel ist glücklicherweise nicht mehr zu tun und wir putzen die restlichen Vorräte zum Frühstück weg: Toast, Butter, Marmelade – mehr brauchen wir nicht. Nachdem ich am frühen Nachmittag dann doch die getrocknete Wäsche abholen kann und wir den Toyota fertig gemacht haben, kommt irgendwann das Taxi, um uns zum Flughafen zu bringen.

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Bild 90: In Nairobi wird gebaut auf Teufel komm raus. Die Stadt wächst rasant.

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Bild 91: Kenia motorisiert sich. Hier ein Lager am Rand von Nairobi.

Der Abschied fällt schwer und ich freue mich nicht gerade auf den Heimflug, vor allem, weil wir in Addis Abeba vier Stunden Aufenthalt haben, bevor wir nach Wien weiterfliegen können.
Aus den vier Stunden werden aber nur drei, weil die Maschine nach Addis Verspätung hat. Wie immer erfahren wir nicht warum und auch nicht wie lange, aber die lange Wartezeit in Addis ist jetzt wieder ein Vorteil. Weniger toll finden das die zahlreichen Fluggäste, die einen baldigen Anschlussflug haben und diesen jetzt versäumen, wie eine nette ältere Kanadierin. Sie wird wohl eine Zeit lang in Addis bleiben müssen, denn Flüge nach Kanada gehen nicht so oft.

Wir fliegen mit einer Boeing 737, allerdings mit einem alten Modell, das auch entsprechend klapprig wirkt und weder Bildschirme hat noch sonst den heute üblichen Komfort. Das ist für den recht kurzen Flug aber egal und wir landen gut in Äthiopien. Der Flughafen ist immer noch irgendwie komisch und die Zeit vergeht elend langsam.

Irgendwann ist es aber soweit und mit nur leichter Verspätung starten wir gegen 01:20 Uhr Richtung Wien. Dreierbank gibt es leider keine, aber immerhin ist der Sitz zwischen mir und Thomy frei, weil die Maschine nicht ganz ausgebucht ist. Trotz Schlafmittel kann ich nicht einschlafen, mehr als ein wenig Dösen ist nicht drin.
Dann ist auch das überstanden und wir landen in Wien. Für die Heimfahrt nehmen wir uns ein Car2Go und ich bringe Thomy noch heim nach Klosterneuburg.
Dann dauert es nur noch knappe zwanzig Minuten und ich bin auch daheim, müde aber glücklich über einen letztlich doch sehr schönen Urlaub.