Sterbebegleitung am Korallenriff – die Tauchsafari 2024 am Roten Meer

Niki möchte gerne tauchen lernen. Er wird in seinem Leben wahrscheinlich nie ein Korallenriff sehen.

Niki ist mein Neffe, derzeit gerade fünf Jahre alt. Ab dem Alter von zwölf Jahren ist es möglich den Tauchschein zu machen. Das wird zu spät sein um noch irgendetwas von der Pracht zu erleben, die ich erleben durfte.

Um das verständlich zu machen, muss ich von der Reise schildern, von der ich gerade zurückgekommen bin.
Davor ein paar Fakten: 1993 habe ich in Sri Lanka (genauer: Poseidon Tauchbasis in Hikkaduwa, Lehrer Hannes Hantl) den PADI Open Water gemacht und seither ca. 350 Tauchgänge erleben dürfen.
Am Roten Meer war ich das erste Mal im Februar 2000, genauer: in einem Hotel in Mangroove Bay in El Quseir, gemeinsam mit meinem alten Freund Martin Heigl. Tauchgänge fast alle am Hausriff, einige wenige mit dem Zodiac ein Stück hinaus.

Ich erinnere mich an fantastische Tauchgänge an einem Riff, das damals schon nur mehr ein Schatten seiner eigenen Pracht war, und trotzdem noch schön, vor allem wenn man es nie in seiner Urform gesehen hat, die etwa bis in die 1960er-Jahre gedauert hat.

Danach folgten viele Tauchsafaris, manchmal jedes Jahr, dann wieder mit einigen Jahren Pause. Die letzte war im Februar 2020, kurz vor Corona, die Erfüllung eines alten Traums: Tauchen im Sudan.
Das war zwar nett, mein Haupteindruck war allerdings auch die Enttäuschung, wie kaputt die Riffe dort schon waren. Ich erhoffte mir doch einen deutlichen Unterschied zu Ägypten, weil es im Sudan 1.) viel weniger Betauchung gibt und 2.) keine Ressorts, die seit immer schon ihre gesamten Abwässer durch Rohre ins Meer leiten.

Ich konnte allerdings keinen Unterschied zu Ägypten feststellen. Viele tote Korallenstöcke, reduzierte Vielfalt und Menge bei der Unterwasserfauna, aber noch fast keine Korallenbleiche.

Diesmal war das anders. Sehr anders, zu meinem Erschrecken.

Beginnen wir beim Anfang der Reise. (Wer das nicht alles lesen will – ich habe immer wieder kleine Überschriften eingebaut, zu denen man hinscrollen kann. Ich beschreibe alles so ausführlich, weil es für mich auch als Erinnerung gedacht ist.)

Die Anreise

Beim Taxifahrer stellt sich heraus, dass er aus Ägypten ist. Irgendwie passend, kosten tut der Spaß 39 Euro und einchecken muss man beim A1-Terminal, für die Billigfluglinien. Die vorausgesagte Strenge („20 kg und kein Gramm mehr“) stellt sich als dehnbar heraus, was praktisch ist, weil mein Tauchtrolley leider leer schon zu schwer ist. Übrigens lässt sich schummeln, wenn notwendig, weil man das große Tauchgepäck nach dem Einchecken ggü. beim Großgepäckschalter abgeben muss. Dort wird es aber nicht mehr gewogen. Wer also Dringlichkeit hat, kann noch das eine oder andere Kilo reinpacken.

Ansonsten verläuft alles erfreulich, wir bekommen Fenster- und Gangplatz und die Dame am Schalter meint, den Mittelplatz würden sie nicht mehr vergeben. Sehr angenehm, weil die Air Cairo hat unfassbar enge Sitzabstände:

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Bild: Ich sitze aufrecht, so weit hinten wie möglich, trotzdem stoße ich mit den Knien am Vordersitz an.

Inzwischen ist mir Fliegen nicht nur unangenehm, ich hasse es geradezu. Leider lassen sich sehr viele Orte ohne Flugzeug einfach nicht erreichen. Mein Ziel ist es in Zukunft möglichst wenig zu fliegen. Die letzten Jahre waren das maximal zwei Flüge pro Jahr. Das sollte noch weniger werden, nicht nur aus Umweltschutzgründen.
Vor dem Einsteigen geht es aber noch durch die diversen Kontrollen, bei der Sicherheitsschleuse werde ich auf Sprengstoff abgetupft und jede einzelne Batterie für meine Tauchlampen auch.
In der Hektik lasse ich meinen Gürtel liegen, komme aber erst zu spät drauf. Pech gehabt.

Sehr mühsam finde ich die Schlangenlinien, die man durch die Duty-Free-Shops machen muss, Konsumindustrie sei Dank. Dafür kann man in Schwechat, wenn man eine leere Wasserflasche mitgenommen hat, diese im Abflugbereich anfüllen. Das empfehle ich vor allem für die AirCairo, weil dort bekommt jeder Gast genau einen Becher Wasser für den gesamten Flug von vier Stunden. Wer mehr will, muss ordentlich in die Tasche greifen, derzeit kostet eine kleine Flasche 3,50 Euro.

Der unangenehmste Teil dieser Reise erfolgt dann am Weg zum Flugzeug. Irgendwer koordiniert schlecht und wir müssen fast 20 Minuten im gerammelt vollen Zubringerbus auf das Einsteigen warten. Dabei knallt mir die Klimaanlage direkt ins Genick und auf den Kopf. Ausweichen unmöglich.

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Bild: Abendstimmung beim Flug. Beeindruckend, aber auch erschreckend war der Flug über Kairo, der dauerte gefühltermaßen ewig, so groß ist diese Stadt.

Der Flug selbst verläuft unspektakulär, die Einreise in Marsa Alam ist es ebenso, wir sind nach nicht einmal zehn Minuten draußen, sie sind dort freundlich und ziemlich unbürokratisch. Der Großteil der Touristen ist von der Sorte, die nach der Landung klatscht und dann für eine Woche an den Hotelpool verschwindet.

Das Taxi bringt uns zum Hotel „PickAlbatros“, genauer zu einem der Hotels, die haben mehrere nebeneinander. An der Rezeption finden sie unsere Buchung nicht, was etwas nervig ist, denn es geht auf 23 Uhr zu und wir sind müde. Dann die Nachricht, dass sie uns ein „Upgrade“ in ein anderes Hotel geben. Dort angekommen stellt sich heraus, dass das Zimmer nur ein Doppelbett hat (mit nur einer Decke), was meinen Bruder etwas auf die Palme bringt.
Sie versprechen uns ein Einzelbett hineinzustellen und ich bin den Hotelbesuch jetzt schon leid. Es gibt sogar noch ein wenig Abendessen für uns und auch die Klimaanlage lässt sich abstellen.
Wir sind auf Nummer sicher gegangen und schon am Mittwoch geflogen, obwohl wir erst am Donnerstag aufs Schiff gehen.

Die Nacht ist leider schrecklich, die vielen Klimaanlagen machen sich bemerkbar, meine Nase ist zu und weil wir das Fenster offen lassen müssen, quälen die lärmenden Gäste draußen.

Das Frühstück ist üppig, sehr üppig sogar, so dass jeder wirklich alles findet, was das Herz begehrt. Da bleibt kein Wunsch offen, leider entsteht dadurch auch eine immense Verschwendung an Lebensmitteln, was ich wiederum nicht so toll finde. Etwas weniger würde auch reichen, aber die Touristen wollen in ihrem Urlaub gerne verschwenderisch sein, den Überfluss genießen, den sie möglicherweise daheim nicht haben.

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Bild: Ein Teil des Süßigkeitenbuffets.

Es ist nicht nur der Überfluss, es ist auch die sagenhafte Ressourcenverschwendung. Plastik, Metall – der Müll landet in Ägypten im Meer oder hinter der nächsten Düne. Wer das nicht glaubt, braucht nur hundert Meter jenseits der Küstenstraße hinter den nächsten Hügel zu schauen oder auf eine der flachen Inseln im Nordteil des Roten Meeres zu gehen. Die bestehen fast nur mehr aus Plastikabfall.

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Bild: Die winzige Butterportion, unglaublich aufwändig verpackt. Nach drei Sekunden Gebrauch ist sie Müll, der zu 100% nicht wiederverwertet wird, zumindest in Ägypten.

Nach einer mühsamen Wartezeit (ich finde Warten generell mühsam, besonders aber bei Reisen) kommt das Taxi, um uns zum Schiff zu bringen.

Das Schiff

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Bild: Unser Schiff

Die Golden Dolphin IV ist das neueste, größte und schönste Schiff der Flotte. Es hat ca. 10 Mio Euro gekostet, ist ein Stahlschiff und speziell für Tauchsafaris gebaut.
46 Meter Länge, fünf Decks, 2 Cummins-Dieselmotoren mit je 1.500 PS, ein Gewicht von 420 Tonnen, 3 Generatoren und eine extrem leistungsstarke Kompressoranlage zum Befüllen der Tauchflaschen. Es ist Platz für 28 Gäste und ca. 20 Mann Crew.
Das Schiff ist erst in seinem dritten Jahr auf See und das merkt man – alles ist noch fast wie neu.
Der Whirlpool am Oberdeck sieht am Prospekt gut aus, wird aber fast nie verwendet. Bei der Fahrt muss er sowieso ausgelassen werden und auch das Bild, das ich habe machen lassen, ist ein Fake: Das Wasser war kalt, die Bierdose habe ich nie geöffnet (alkoholfreie Woche an Bord) und die Sonnenbrille war sinnlos, dahinter sieht man den letzten Rest der Abenddämmerung, es war schon recht dunkel.

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Bild: Guido macht auf lässig im Whirlpool. Ein Fake

Kein Fake ist die hervorragende und perfekt aufs Tauchen abgestimmte Ausstattung des Schiffs. Das beginnt bei der Sicherheit (Sauerstoffflaschen, Feuerlöscher etc.) und geht bis zur Füllung der Flaschen, die pro Flasche nur ca. 1,5 Minuten dauert. Platz ist sowieso überall reichlich vorhanden, die Kabinen sind kleine Hotelzimmer, jedes mit einem Bad und WC ausgestattet.

Als mein Bruder Peter und ich an Bord kommen – wir sind bis auf Tatjana die ersten Gäste, weil schon zu Mittag da – bekommen wir eine Kabine ganz unten zugeteilt. Die war zwar sehr schön, liegt aber etwas über der Wasserlinie und hat daher keine Fenster, die man öffnen kann. Daher braucht man die Aircondition, was für mich, vor allem aber für Peter eigentlich nicht in Frage kommt.
Nun haben wir das Problem, dass die Kabinen ja schon im Vorfeld zugewiesen werden. Wir hatten vergessen einen entsprechenden Wunsch zu äußern, weil wir das Schiff ja nicht kannten und die Sache mit den verschlossenen Fenstern nicht wussten.
Die Lösung wäre eine Kabine ein Deck weiter oben, weil dort gibt es Fenster, die man öffnen kann und somit keine Klimaanlage braucht.
Also müssen wir versuchen, schnell eine Lösung zu finden. Wir bitten einen der Boys (von der Mannschaft ist noch niemand da und die Guides auch nicht) im Büro anzurufen. Am Telefon haben wir dann Hazem, der sich als einer der Guides vorstellt und meint, er würde schauen, was sich machen lässt.
Ein paar Minuten später kommt der Rückruf: zwei Gäste wären bereit mit uns zu tauschen. Wir sind dankbar und happy, dass unser Problem gelöst werden konnte.

Ich war in den letzten zwanzig Jahren schon auf der Golden Dolphin 1, 2 und 3. Alles wunderbare und gut ausgestattete Tauchschiffe, kein einziges reicht aber an die 4er heran.

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Bild: Längenvergleich zwischen der Golden Dolphin 3 links und der Golden Dolphin 4 rechts. Die 4er hat auch ein Deck mehr.

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Bild: Peter im Briefingraum. Er wird auch zwischen den Tauchgängen zum Entspannen genützt, manch einer sieht sich Tauchdokus am riesigen Fernseher an und es gibt rund um die Uhr frisches Obst und Kekse zur freien Entnahme. Gut zu sehen sind auch die Taschentuchboxen, die am ganzen Schiff verteilt sind und reichlich genützt werden, vor allem von denen, die gerade einen Schnupfen zu bekämpfen haben.

Vor zehn Jahren fuhren ca. 70 Safarischiffe am Roten Meer, heute sind es ca. 115. Die verschiedenen Krisen wie instabile politische Lage oder Corona haben dem Tourismus wenig bis gar nicht geschadet. Ich wage trotzdem eine Prognose: In zehn Jahren fahren hier nur mehr zehn Prozent der Schiffe. Auf die Gründe gehe ich später noch genauer ein.
Die älteren, kleineren Safarischiffe wurden tw. irgendwohin verkauft, etwa in den Oman oder nach Eritrea, einige fahren heute als Tagesboote herum und bringen Schnorchler und Taucher zu den diversen Riffen nahe der Küste. Es ist wie bei den Autos: alles wird immer größer, luxuriöser, bequemer, aber auch umweltzerstörender. Das gilt für die Safarischiffe ganz besonders, denn sie brauchen bei mehr Größe deutlich mehr Treibstoff.
Gut kann man die Entwicklung an den Zodiacs erkennen – jedes Safarischiff hat zwei davon, sie werden bei fast jedem Tauchgang gebraucht um die Taucher zum Einstieg zu bringen bzw. aufzusammeln, wenn sie es nicht bis zum Schiff zurück schaffen.
Die neueste Entwicklung sind Zodiacs mit Steuerstand und Einstiegsleiter – manche haben sogar zwei davon, was ein wenig übertrieben erscheint. Wahrscheinlich hat ein Safariboot damit begonnen und alle anderen sind nachgezogen. Das ist durchaus eine erfreuliche Entwicklung, weil das Einsteigen vor allem bei Wellengang war immer ein unwürdiges Schauspiel. Jetzt ist das wesentlich einfacher.

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Bild: Bereit um zum Tauchplatz zu fahren. Die Einstiegsleiter ist gut sichtbar, das Lenkrad halb verdeckt.

Der Umweltaspekt spielt genau genommen an jeder Ecke eine Rolle. Ein Beispiel ist das Wasser. Die großen Schiffe haben einen Watermaker an Bord, der macht aus Meerwasser Süßwasser, braucht dafür aber jede Menge Energie, die wiederum aus dem Dieseltreibstoff über die Generatoren erzeugt wird. Früher musste man noch Wasser sparen, heute bekommt man den Komfort so lange und so oft duschen zu können wie man will.
Unsere Guides haben zwar betont, dass wir das möglichst nicht tun sollen, also ein kurzes Abspülen nach jedem Tauchgang und am Abend eine normale Dusche schon, aber nicht eine halbe Stunde 4x am Tag oder so.
Das wurde auch beherzigt, erscheint mir aber als Tropfen auf den heißen Stein.

Generell sind die Gäste gewissen Umweltschutzvorgaben durchaus zugänglich – es gibt z.B. zwar Plastikwasserflaschen an Bord, wir wurden aber gebeten, mit möglichst wenig davon auszukommen. Dafür gibt es an jeder Ecke die großen Wasserspender, aus denen man noch dazu gekühltes Trinkwasser in Becher oder eben eigene Plastikflaschen abfüllen kann. Aber auch die Wasserspender brauchen Strom und das Wasser muss in großen Mengen mit dem LKW herbeigeschafft werden. Dazu kommt die Fabrik, in der die großen Behälter befüllt werden etc.
In den Hotels ist der Ressourcenaufwand für das Wasser noch höher, denn es gibt dort – wir befinden uns in der Wüste – kein Süßwasser, es muss alles aus Meerwasser erzeugt werden.
Das führt in Ägypten so weit, dass es mitten in der Wüste Golfplätze gibt (z.B. bei El Gouna), die mit Spezialgras bepflanzt werden, das einen gewissen Restsalzgehalt im Wasser aushält.
Weil manche Menschen sich einbilden mitten in der Wüste Golf spielen zu müssen. So wie manche in Dubai Skifahren. Umweltmäßig ein Irrsinn, aber wenn man den Preis dafür nicht zahlen muss, ist es halt egal.

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Bild: Das Hauptdeck mit einer Bar. Dort gibt es eine Kaffeemaschine, einen Wasserkocher, Gläser, Kühlschränke und noch einiges mehr. Alle können sich rund um die Uhr dort bedienen. Tee und Kaffee wurden auch ständig getrunken, noch vor dem Early-Morning-Dive und bis zum Schlafengehen. Rechts sieht man die Wasserbehälter für die Spender. Nervig die Türe in den Briefing-Raum, die immer geschlossen gehalten werden muss. Jeder, der raus- oder reingeht, muss sie mit einem Schnapperl verschließen, das ist echt mühsam. Der Grund: Dahinter beginnt die Arktis, denn der Raum wird runtergekühlt bis zur Gefriergrenze, so wie auch der Speisesaal, die Gänge und die Kabinen. Argumentiert wird das mit der Notwendigkeit Schimmel und Kondenswasser zu vermeiden plus dem Wunsch mancher Gäste, kühle Räume zu haben. Draußen hatte es ja 30 Grad, wobei wir hier von Oktober sprechen, im Sommer hat es hier 40 Grad oder mehr.

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Bild: Das große Tauchdeck. Gut zu erkennen ist die hochwertige Ausstattung, etwa ein breiter Abgang mit dem speziellen Holzboden, der superschnell trocknet, leicht zu reinigen ist und sich in allen Freibereichen findet. Er war superteuer, ist aber eine qualitative Aufwertung. Die Niro-Box gibt es zwei Mal, sie wird mit Süßwasser gefüllt und dort kommen nach dem Tauchgang die empfindlichen Teile wie Brillen, Computer sowie die Fotoausrüstungen und Lampen hinein. Die beiden Flossen gehören meinem Bruder und mir.

Die Gäste an Bord haben sich meiner Wahrnehmung nach an all die Vorgaben gehalten, sowohl was den Wasserflaschenverbrauch als auch das Duschen anbelangt.
Dafür ist der Verbrauch der Softdrink-Dosen enorm, was die Umweltbilanz wieder ordentlich zusammenhaut. Die Softdrinks sind im Preis inkludiert, lediglich Bier und Wein muss man zahlen, eine 0,5er-Dose kostet 3,50 Euro, eine Flasche südafrikanischer Wein 25 Euro.
Bier wurde nur wenig getrunken, wie die Stricherlliste am Ende der Woche gezeigt hat, Cola-Dosen und ähnliches jedoch in großen Mengen.
Da es in Ägypten keine Mülltrennung und somit auch keine Wiederverwertung gibt, landet der gesamte Müll auf Deponien (im besten Fall), hinter einer Düne (nicht so gut) oder im Meer (katastrophal)

Der Müll am Schiff wird jedenfalls nicht über Bord gekippt, bis auf die Speisereste, die werden auf hoher See entsorgt oder mit dem Zodiac ein paar hundert Meter vom Riff entfernt ins Meer geworfen, um nicht Haie anzulocken (auch wenn die Taucher sie gerne sehen).
Die Fäkalien werden aber ins Meer gelassen, und zwar geschieht das automatisch, wenn ein Tank voll ist. Hin und wieder taucht man dann durch so eine Wolke und ob die vom eigenen oder von einem anderen Schiff ist, bleibt sich gleich.

Das Service an Bord ist hervorragend, die Matrosen sind allesamt junge Männer, gut ausgebildet oder zumindest gut angelernt. Sie sind auf Dienstleistung programmiert und helfen schnell, wenn es notwendig ist – ob das jetzt ein wenig WD40 für meinen Brillenbügel ist oder ein frisches Handtuch.

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Bild: Zwei der netten jungen Ägypter, die uns den Aufenthalt sehr angenehm gestalteten

Das Essen ist ebenfalls hervorragend, abwechslungsreich, immer mit Fisch, Huhn, viel Gemüse und Salaten. Wer will, kann sich an Bord ausgesprochen gesund ernähren. Im Laufe der letzten 25 Jahre hat sich das irgendwie durchgesetzt, dass es auf den Safaribooten gutes Essen gibt, ich kann mich an keines erinnern, wo das nicht der Fall war. Diesmal war alles noch eine Stufe höher, weil vielfältiger und wirklich gut gekocht.

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Bild: Calamari, vegetarische Maki, dahinter überbackene Erdäpfel – es gibt drei Mal am Tag Buffet.

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Bild: Salate, Rindsragout, Reis, Nudeln etc.

Wenn ich die Golden Dolphin IV mit den Schiffen vergleiche, auf denen ich Anfang der 2000er-Jahre war, so ist das heute purer Luxus. Die alten Schiffe waren halb so groß, hatten aber auch 16 Gäste an Bord. Es gab keine Zimmer mit Bad und WC, sondern enge Kajüten mit Stockbetten und einem indischen Klo (am Ende des Ganges). Da wir damals aber nichts anderes kannten, störte uns das nicht und die Tauchgänge waren – dazu komme ich noch – wesentlich schöner, wenn auch oft schwieriger.
Am meisten spüre ich den Unterschied bei langen Überfahrten. Da konnte es bei den früheren Safaribooten schon passieren, dass du in der Nacht bei jeder Welle in der Luft schwebst. Unser Schiff hingegen ist so groß, schwer und außerdem aus Stahl, dass der (bei dieser Safari eh nie hohe) Wellengang fast nicht zu spüren war.
Es gibt nur eine einzige Sache, die sich die ganz neuen mit den ganz alten Booten teilen: Du darfst kein WC-Papier ins WC werfen, das ist streng verboten. Seit immer schon haben sie ganz schmale Rohre, die durch das Papier sehr schnell verstopfen, was immer eine riesige Schweinerei verursacht. Das Papier kommt in eine kleine Plastiktonne, die einmal am Tag geleert wird.
Auf dieser Tour haben sich alle daran gehalten.

Die Taucher:innen

Wenn man keinen Vollcharter hat, weiß man natürlich nicht, wer aller an Bord sein wird. Das ist meistens eine gemischte Partie mit Taucherinnen und Tauchern aus der ganzen Welt. Diesmal waren es 4 aus Österreich, 9 aus Deutschland und 13 aus der (West)Schweiz.
Somit wurde an Bord Deutsch, Französisch, Englisch und Arabisch gesprochen. Weil die „Welschen“, also die französischsprachigen Schweizer, miteinander französisch sprachen und die anderen Deutsch, gab es eine gewisse Trennung, etwa beim Essen, beim Tauchen, aber auch am Abend an Deck. Ich war einer von denen, die da eine Brücke schlagen konnten, denn erstens kann ich (noch) ein wenig Französisch und zweitens sprachen einige Schweizer auch Deutsch. Verständigen konnten sich alle sowieso, wenn es notwendig war.

Der wohl schrägste und witzigste Typ an Bord ist Jose, ein alter Hase des Tauchens in Ägypten, der selbst schon Safariboote besessen hat und auch Anteile an der Golden Dolphin hat. Er ist auch zugleich der Guide für die Schweizer, bis auf Tatjana aus Zürich, die bei unserer Gruppe dabei ist, weil Deutsch sprechend.

Das taucherische Niveau ist recht hoch, es gibt etliche Tauchlehrer an Bord, bis hin zu Carsten, der Tech-Instruktor ist und Höhlentaucher und sonst noch einiges. Das war für alle ein Vorteil, weil das gesamte Tauchen durch die große Routine zu einer entspannten Sache wurde. Es gab wenig technische Defekte und fast keine Hoppalas wie vergessene Flossen oder versenkte Taucherbrillen.
Auch unter Wasser merkte man die Erfahrung aller Taucher:innen, beim Einstieg aus dem Zodiac oder wenn es darum ging einander nicht im Weg herumzutauchen.

Das Tauchen

Fast alle Taucher:innen hatten ihre eigene Ausrüstung mit. Meine ist eine der ältesten, die Tarierweste ist 30 Jahre alt und funktioniert immer noch hervorragend. Damals war die Qualität noch wesentlich besser als heute, leider.

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Bild: Die alte, aber gute Tarierweste ist schon auf der Flasche befestigt und bleibt dort auch für den Rest der Woche. Jeder Taucher hat seinen fixen Platz mit einer Kiste darunter, in der die übrigen Teile der Ausrüstung auf den nächsten Tauchgang warten. Die Flaschen werden am Platz befüllt.

Wichtig sind stets die Tauchguides. Das sind in Ägypten meistens Ägypter und normalerweise haben sie sehr viel Erfahrung, kennen alle Riffe und sind Profis für das Safaribusiness. Wir haben diesmal Hazem und Omar, wobei zweiterer auch sehr gut Deutsch spricht.
Tauchguide ist kein einfacher Job, denn die Touristen verlangen stets Höchstleistungen. Als Guide musst du immer gut gelaunt sein und dich quasi auf jeden Tauchgang freuen. Du darfst nie krank sein und musst allen zu jeder Zeit für jedes Anliegen zur Verfügung stehen.
Wenn man bedenkt, dass die Saison fast rund ums Jahr geht und die Guides eine Gruppe am Donnerstag Vormittag verabschieden und die nächste am Donnerstag Nachmittag willkommen heißen, lässt sich erahnen, dass das herausfordernd sein kann.
Unsere Guides waren im Laufe der Woche nicht ganz gesund und das ist das schlimmste, was dir passieren kann. Eine verstopfte Nase – vergiss den Tauchgang. Und selbst wenn du ins Wasser gehst, bist du nachher kaputt. Außerdem musst du nicht nur einfach ins Wasser, sondern den Tauchgang führen, d.h. stets auf alle achten, bereit sein einzugreifen wenn irgendwas passiert und außerdem noch mit einem 360-Grad-Blick alles sehen, was es zu sehen gibt und die Taucher:innen darauf aufmerksam machen.
Und wenn ein Tauchgang einmal nicht perfekt ist, weil die Strömung doch anders ist als erwartet, gibt es sofort Kritik und Zweifel an deiner Kompetenz.

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Bild: Links der Kapitän im Gespräch mit Hazem, einem unserer beiden Tauchguides

Wir waren für die Guides wenigstens keine schwere Aufgabe, weil die Taucher:innen sich alle sehr gut um sich selbst kümmern konnten und auch schwierigere Tauchgänge kein Problem waren, etwa mit stärkerer Strömung, die es in dieser Woche aber eh fast nicht gab.
Für jeden Tag gibt es einen Tauchplan, der am Oberdeck hängt. Bei den meisten Tauchtouren gibt es vier Tauchgänge pro Tag, wir hatten diesmal leider nur einen Nachttauchgang, weil in den Marineparks das Nachttauchen verboten ist.

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Bild: Die Tafel mit dem täglich neuen Tauchplan.

Ergänzt wird der Plan durch das Briefing vor jedem Tauchgang. Hazem ist noch von der alten Schule und zeichnet die Tauchplätze auf Whiteboards. Inzwischen haben alle Schiffe große Flachbildschirme, auf denen die fertigen Bilder aufgerufen werden. Dann wird der Tauchgang ausführlich besprochen: Was es alles zu sehen gibt, wie tief wir gehen, wo wahrscheinlich Strömung zu erwarten ist und noch vieles mehr.

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Bild: Das Daedalus-Riff. Anhand dieser Zeichnung werden die Tauchgänge geplant – etwa ob man die Ost- oder die Westseite betaucht, wo das Schiff festgemacht hat usw.

Am Donnerstag Vormittag legte das Schiff ab und kurz danach gab es den ersten Tauchgang auf Abu Dabab Nr.6 – rechtzeitig bevor die Tagesschiffe da waren. Danach ging es in den Süden zu Elphinstone, leider ist das Betauchen von „The Arch“ inzwischen verboten.

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Bild: Das ist ein typisches Riff, lanzenförmig mit je einem Plateau an beiden Spitzen. Die Szene zeigt wie wir gerade ankommen und einer der Matrosen mit dem dicken Seil zum Riff fährt, um es dort an einer der Fixleinen (Mouring Lines) zu befestigen. So müssen die Schiffe nicht am Riff ankern, was natürlich sowieso verboten ist.

Nach dem zweiten Tauchgang geht es zurück zu Abu Dabab, weil wir dort den (leider einzigen) Nachttauchgang machen können. Glücklicherweise erwies sich der als Volltreffer. Highlight waren für mich die beiden Calamari, die am Bild nicht in ihrer ganzen Pracht herauskommen.

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Bild: (von Jennifer Gary) Gute Bilder bei einem Nachttauchgang zu machen ist gar nicht leicht. Jenny hat dafür die (erstaunlich tolle) GoPro genommen. Die Calamari schillerten violett-bunt und vor allem die riesigen Augen machen sie zu Geisterwesen unter Wasser.

Als Jenny und Thomas gerade umgedreht haben, entdeckt Peter zwei spanische Tänzerinnen, die sind sowieso das Highlight eines jeden Nachttauchgangs. Leider hatten wir beide keine Kamera dabei.
Ich tauche supergerne in der Nacht, die Eindrücke sind so ganz anders und die Nachttauchgänge bleiben mir in Erinnerung, auch wenn sie schon dreißig Jahre her sind. Es ist generell so, dass ich mich an viele Tauchgänge von früher erinnere, vor allem weil der Unterschied der Unterwasserwelt so eklatant ist.

In der Nacht legen wir ab und fahren fast sieben Stunden in den Südosten zum Daedalus-Riff. Das habe ich durch seine Hammerhai-Schule in bester Erinnerung und wir hoffen diesmal auch welche zu sehen.
Die Fahrt ist ruhig, es gibt wenig Wellen und wir kommen noch lange vor Sonnenaufgang an unserem Liegeplatz an.

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Bild: Daedalus in der Morgensonne

Meine Nase ist immer noch ziemlich zu, das Tauchen sollte aber möglich sein. In der Kabine ist es trotz offenem Fenster heiß und stickig, die Temperatur ist für Oktober eigentlich zu hoch, wenngleich der Oktober der beste Monat ist, sozusagen zwischen Sommerhitze und Winterkühle.

Daedalus ist ein großes Riff mit einem Leuchtturm. Die Tauchgänge verlaufen leider erfolglos, die Haie lassen sich nicht blicken. Für sie ist das Wasser einfach zu warm, wir messen auf 30 Meter Tiefe 29 Grad, das ist um 3 Grad zu warm für die Hammerhaie, die somit weiter unten bleiben und für uns außer Reichweite.
Das einzige, was wir zu sehen bekommen, war ein Longimanus, also ein Weißspitzen-Hochseehai. Das sind tolle Tiere, die recht neugierig sind und nahe an Taucher heranschwimmen.

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Bild: (Jennifer Gary) Ein Longimanus, gut an seinen geschwungenen Seitenflossen zu erkennen. Das Exemplar ist ca. 2 Meter lang.

Erschreckend ist der Zustand des Riffs. Geschätzte 2/3 der Hartkorallen sind von der Korallenbleiche betroffen. Wenn das Meer einige Zeit 32 Grad oder wärmer ist, stoßen die Korallen ihre Partneralgen ab und die Polypen sterben. Zurück bleiben blütenweiße Kalkskelette, die nach einiger Zeit von irgendwelchen Algen überwuchert werden. Das ist dann der letzte Zustand eines toten Riffs.

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Bild: (Hannes Keppeler) Eine tote Koralle. Rundherum sind weitere gebleichte Korallen sichtbar, daneben bereits überwucherte. Mehr dazu später.

Das Riffdach war schon vor zwanzig Jahren nicht mehr sehr schön, jetzt ist es tot. Den Leuchtturm kann man immer noch besichtigen, eine willkommene Abwechslung, die gerne und meistens von allen in Anspruch genommen wird. Nach den drei heutigen Tauchgängen auf Daedalus haben wir Zeit, weil es ja keinen Nachttauchgang gibt.

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Bild: Auf einem Pier wandert man zum betonierten Sockel des Leuchtturms. Links daneben sieht man die Reste des alten Jettys, der schon seit Jahrzehnten vor sich hinrostet. Da macht sich auch niemand die Mühe ihn wegzuräumen.

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Bild: Meine Wenigkeit am Weg zum Leuchtturm

Der Blick von oben entschädigt für den mühsamen Aufstieg über die steile Wendeltreppe. Interessanterweise wurde irgendwann die alte Fresnel-Linse (1822 entwickelt) gegen ein modernes LED-System ausgetauscht. Das ist nicht mehr so effizient, was aber egal ist, weil die Leuchttürme in GPS-Zeiten ohnehin nicht mehr gebraucht werden. Sie sind halt noch in Betrieb, inzwischen energiesparend. Aus nostalgischen Gründen vermisse ich die Fresnel-Linsen mit ihrer enormen Leuchtkraft. Wenn wir früher am Abend von einem Leuchtturm weggefahren sind, konnte man sein Licht noch stundenlang sehen, bis es irgendwann hinterm Horizont verschwunden war.

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Bild: Die moderne Linse

Die Abendstimmung ist toll, einige von uns kaufen ein T-Shirt (davon leben die Leuchtturmwärter) und dann genießen wir noch den Abend.

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Bild: Der Blick Richtung Westen. Weil es ungewöhnlich klar ist, sieht man sogar die Berge an der Küste. Das hatte ich noch nie.

Nach dem etwas enttäuschenden Besuch von Daedalus geht es in den Norden zu den Brothers. Das sind zwei Inseln mitten im Roten Meer, zwei ehemalige Vulkane auf einem gemeinsamen Stock, der ca. 2,5 Kilometer lang ist. Die Inseln sind (wie die Riffe) lanzenförmig mit Riffdächern und Plateaus auf jeder Seite. Big Brother ist nördlicher, Little Brother zwei Kilometer weiter südlich.
Das erklärt auch, warum es mitten im Roten Meer Riffe gibt. Es ist dort immerhin ca. 800 Meter tief.

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Bild: Gut erkennbar ist der Basaltstock, das sind uralte, erkaltete Lavaströme, also die Reste des Vulkans bei Big Brother

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Bild: Big Brother, das Bild stammt von der Rückfahrt, als wir gerade abgelegt haben und Richtung Norden nach Hurghada unterwegs sind. Drei Safariboote liegen noch dort.

Die Fahrt dauert die ganze Nacht, wir legen aber rechtzeitig für den Early-Morning-Dive an, und zwar beim Little Brother, weil dort weniger Schiffe sind. Das ist nämlich so eine Sache mit den Safarischiffen, sie fassen alle ca. 20 Taucher:innen und alle haben natürlich ein Interesse an möglichst schönen Tauchgängen. Die sind von den Tauchplätzen her begrenzt, in der Früh etwa wollen alle die Sonnenseite. Wenn man Pech hat, werfen zur gleichen Zeit fünf Tauchschiffe mittels zehn Zodiacs insgesamt etwa hundert Taucher ins Wasser. Dann wurlt es unter Wasser, vor lauter Luftblasen sieht man wenig bis nichts und das Tauchen ist nicht wirklich ein Genuss.
Daher sprechen sich die Kapitäne der Schiffe untereinander ab, so dass nicht alle zur gleichen Zeit gehen. In der Früh ist das schwierig, weil alle eben vor dem Frühstück tauchen gehen wollen. Wie der Tauchgang verläuft, hängt aber von vielen Faktoren ab, einer ist die Strömung. Gegen die kann man nicht ankämpfen, wenn sie einen erwischt – also im Idealfall immer die ganze Gruppe, das ist wichtig – dann treibt man am Riff entlang. Das ist nicht ohne Charme, weil man tariert sich auf eine Tiefe aus und treibt gemächlich am Riff vorbei. Das geht unterschiedlich flott, im Idealfall kommt man bis zum Schiff zurück und erspart sich das Setzen der Boje und das Reinklettern ins Zodiac.

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Bild: Little Brother ist wirklich little, im Hintergrund ist Big Brother zu sehen, mit einer ganzen Menge Safarischiffe. Die Tagesboote dürfen dort gar nicht hinfahren, die Vorschrift verlangt zwei Motore, was sie nicht haben. Für unerfahrene Taucher sind die Brothers aber sowieso nix.

Bei den Brothers versuchen die meisten Gruppen auf Haie zu gehen. Das bedeutet, man steigt oben an der nördlichen Spitze ein (mit leerem Jacket vom Zodiac hintenrum reinplumpsen lassen und sofort abtauchen auf ca. 5 Meter, dort sammeln und dann schauen, wo es hingeht) und versucht in Sichtweite des Riffs im Blauwasser zu warten, ob was vorbeischwimmt. Ich mache es kurz: Wir haben fast nichts gesehen.

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Bild: (Hannes Keppeler) Das ist Carsten im Blauwasser, der darauf wartet, dass irgendwas auftaucht.

Was wir glücklicherweise schon sehen konnten, war ein Fuchshai. Die sind eher selten und mit ihrer langen Schwanzflosse sehr leicht zu identifizieren. Ich hatte vor 15 Jahren genau am Little Brother schon einmal einen gesehen, diesmal war er aber viel näher.

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Bild: (Jennifer Gary) Der Fuchshai, bei mir schwamm er nur ein paar Meter weit entfernt vorbei.

Die Korallen bei den Brothers sind in ähnlich schlechtem Zustand wie bei Elphinstone und Daedalus, wenngleich es weniger Korallenbleiche gibt. Je weiter südlich, desto schlimmer, weil desto wärmer ist das Meer, vor allem im Sommer. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es im Sudan oder noch weiter südlich aussieht.
Am Brutalsten finde ich die unfassbare Geschwindigkeit der Entwicklung. Die Korallenbleiche kam in diesem riesigen Ausmaß erst vor zwei Jahren. Auch wenn Jose meint, vor ein paar Wochen war noch alles super, ich kann ihm das leider nicht glauben. Auch die Annahme, dass sich das bald regenerieren wird, ist wohl mehr Wunschdenken und abseits aller Realität.
Damit kommen wir zu einem wichtigen Thema.

Das Sterben der Riffe

„Meine Güte, dann gibt es halt keine Korallenriffe mehr – wen stört das schon?“ Diesen Satz werden wir in den nächsten Jahren noch oft hören. „Deswegen werden wir auf die Steigerung unseres Wohlstands nicht verzichten“ werden zwar weniger Menschen sagen, aber genau darum geht es.
Der Reihe nach.

Schon Hans Hass hat in den 1960er-Jahren mit dem Tauchen aufgehört, weil er die Entwicklung nicht mehr ausgehalten hat. Dabei war das damals erst der Beginn der Auswirkungen der Umweltzerstörung, die Riffe waren noch in einem Zustand, der uns heute paradiesisch erscheinen würde. Hans Hass ist (kleines Outing) eines meiner Vorbilder. Seit Pioniergeist, sein Mut, seine Entschlossenheit sind bewundernswert, ich habe leider die Chance, ihn persönlich kennenzulernen, versäumt. Gleichzeitig mit Jacques-Yves Cousteau hat er das moderne Tauchen erfunden und vieles, was heute die Basis darstellt. Ähnlich wie Reinhold Messner punkto Bergsteigen hat er aber auch die Entstehung des heutigen Tauchtourismus ausgelöst. Seine Bilder der bunten Unterwasserwelt waren in den 1950er- und 60er-Jahren nicht nur neu, sondern auch höchst attraktiv.

„Die Touristen zerstören das, was sie suchen, indem sie es finden“ ist der wohl passendste Spruch für das, was weltweit derzeit passiert, auch beim Tauchen.
Ich darf mich da selbst nicht ausnehmen. Die Flugreise, das Schiff, das Hotel und noch einiges mehr – die Umweltbilanz so einer Tauchreise ist katastrophal.
Die Konsequenz zu ziehen und mit dem Tauchen aufzuhören, fällt auch mir schwer und ich verlange sie von niemand anderem. Aber ich erlaube mir darzustellen, was ich sehe und welche Schlüsse ich daraus ziehe.
Es muss ja niemand lesen.

Die ursprüngliche Pracht der Korallenriffe ist heute nirgends auf der Welt mehr zu finden, genau genommen schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Tauchtourismus kam in den 1970er-Jahren richtig in Fahrt, indem er professionalisiert wurde. Es entstanden die großen Tauchsportvereinigungen wie PADI, CMAS und SSI. Die Ausrüstungsfirmen (allen voran Scubapro) erlebten ihre größte Wachstumsphase und alles zusammen entwickelte sich zu einem Teil der Tourismusindustrie. Hurghada war in den 1970er Jahren ein Fischerdorf, heute hat es knapp 200.000 Einwohner und ist der größte Tourismusort am Roten Meer. Sehen wir uns an, was Wikipedia dazu sagt:

„Beim Kampf um die besten Plätze setzten Investoren Bootsstege und ganze Hotelkomplexe auf die Riffe. Dabei wurden an Hurghadas Küste über 2 km² Landfläche durch Sandaufschüttungen gewonnen. Dabei erstickte nicht nur die zugeschüttete Meeresfauna und Flora; durch verstärkte Sedimentation und veränderte Strömungsmuster ging auch ein Großteil der angrenzenden Korallenriffe zu Grunde.

Durch die Anker der Tauchtouristenboote, die hohe Anzahl durchgeführter Tauchgänge mit häufig schlecht ausgebildeten Sporttauchern, das Aufwirbeln von Sand, das Abbrechen der Korallen als Souvenirs und das mangelnde Umweltbewusstsein der einheimischen Bevölkerung haben die Riffe vor Hurghada schweren Schaden genommen. Sie sind auf lange Zeit schwer beschädigt oder gar zerstört. Die wissenschaftlich errechnete Verträglichkeitsgrenze von ca. 6000 Tauchgängen pro Jahr und Tauchplatz, bei deren Überschreitung Schäden an den Riffen und der Unterwasserwelt exponentiell zunehmen, wurde bei Hurghada bereits Anfang des 21. Jahrhunderts zum Teil schon innerhalb eines Monats erreicht. Außerdem werden viele Abfälle von den Booten oder Bootsstegen aus direkt in das Meer geworfen. Der Meeresgrund unter den Stegen und Anlegeplätzen ist häufig von Müll bedeckt, von dem Gefahren für Tiere und Menschen ausgehen.“ (Quelle: Wikipedia)

Hurghada streckt sich über 30 Kilometer an der Küste hin und wächst immer noch. Als ich 2004 eine Woche segeln im Roten Meer war (das geht sich umweltmäßig zumindest einigermaßen gut aus), starteten wir in El Gouna, 20 km nördlich von Hurghada. Mit dem Taxi fuhr ich am Weg an einem riesigen Windpark vorbei, der aber nicht in Betrieb war. Als ich nachfragte, wurde mir erklärt, dass dieser Windpark Ägypten im Zuge der Entwicklungshilfe von den G7-Staaten geschenkt worden war. Er wurde aber nie in Betrieb genommen, weil die ägyptische Regierung zeigen wollte, dass sie so einen Windpark nicht braucht und all ihre Energie durch Öl decken kann.

Wer eine Nordtour macht, kann vom Safarischiff aus unzählige ehemalige Bohrinseln sehen, die dem Verfall preisgegeben werden. Wenn ein Ölfeld ausgebeutet ist, erschließt man einfach das nächste. Der Benzinpreis ist staatlich geregelt, ein Liter kostet ca. 20 Cent, bei uns zahlt man das Achtfache.
Würde der Sprit so viel wie bei uns kosten, wäre eine Tauchsafari doppelt so teuer. Wir sind also alle Teil des Systems der Ausbeutung der Natur, wenn wir eine Reise dorthin machen, ob wir wollen oder nicht.
Es geht ja nicht nur um den Treibstoff, das gesamte Wasser wird durch das Verbrennen von Öl gewonnen, das im Überfluss verwendete Plastik detto.

Das alles bewirkt nicht nur die Klimakrise, sondern wirkt sich auf mehreren Ebenen auf die tropischen Meere aus. Die drei Hauptfaktoren für die Riffe sind folgende:

1.) Die Erwärmung der Meere. Die Wassertemperatur vor Hurghada wird auf Wikipedia für die Monate Juli und August mit 30 Grad angegeben, im Februar mit 22.
Heuer betrug sie im Sommer 32 Grad, das ist einfach zu viel für die Korallen, sie sterben ab. Marsa Alam liegt ca. 300 Kilometer weiter im Süden und wir hatten im Oktober 30 Grad und – wie schon erwähnt – 29 Grad in 30 Metern Tiefe. Das ist ein Killer.

2.) Die Betauchung
Wahrscheinlich ist das der geringste Faktor, aber er spielt eine sichtbare Rolle. Begonnen hat das erst durch die Industrialisierung des Tauchsports. Inzwischen entsteht der Schaden nicht mehr nur direkt durch das, was die Taucherinnen und Taucher unter Wasser bewirken, sondern auch durch die Infrastruktur, die dafür geschaffen wurde. Die Safariboote sind ein gutes Beispiel, die Fliegerei ein weiteres und alles, was rundherum noch notwendig ist, ergänzt das Gesamtpaket.
Unter Wasser kommt es sehr darauf an, wer taucht und wie getaucht wird. Die erste Belastung entsteht durch ungeübte Taucher, die z.B. gerade erst ihren Tauchschein gemacht haben. Sie können noch nicht gut tarieren und stoßen daher unkontrolliert an die Korallen. Ein Ast braucht hundert Jahre um zu wachsen und ist in einem Augenblick abgebrochen.
Ein bisschen was halten die Korallen schon aus und von diesen Schäden können sie sich auch wieder erholen.
Die eigentliche Belastung entsteht – wie so oft – durch die Gesamtmenge vieler hunderttausender Taucher, die alle Korallenriffe dieser Welt bereisen.
Dazu möchte ich anmerken, dass es auch die Taucherinnen und Taucher sind, denen die Unterwasserwelt ein Anliegen ist und die sich für ihren Schutz einsetzen. Trotzdem bleibt aus meiner Sicht eine bedenkliche Entwicklung, nämlich die Unterwasserfotografie. Jenny hatte eine kleine GoPro-Kamera an einem Stiel, mit der sie Filme machen konnte. Die Kamera ist leicht, klein und sie kann sie in einer Hand halten. Daraus entstehen keine Probleme. Dann gibt es aber auch die Taucher, die mehr oder wenige riesige Apparate mit sich herumschleppen. Sie müssen, um ein gutes Foto zu machen, sich irgendwo abstützen. Ich konnte bisher nur ganz wenige Fotografen beobachten, die frei schwebend fotografiert haben. Fast alle knien sich auf die Korallen oder halten sich mit einer Hand daran fest. Das richtet leider erheblichen Schaden an, die Priorität der Taucher liegt leider immer am Foto.
Ich freue mich natürlich auch über gute Bilder, das sind tolle Erinnerungen, aber derzeit sieht es für mich nach einer Entwicklung aus, die ich für zu extrem halte.

3.) Die Verschmutzung der Meere. Das Rote Meer ist so etwas wie die Südost-Tangente der Meere, unfassbar viel befahren. Obwohl man es heute per Satellit schon sehen kann, werfen alle Schiffe ihren Dreck ins Meer. Das allein ist es zwar noch nicht, aber die Summe allen Drecks über viele Jahre und Jahrzehnte setzen dem Meer zu. Die Riffe liegen an der Küste, dort ist die Belastung aber noch viel höher. Die Ressorts und Hotels an der Küste sind auf Gewinnoptimierung konzipiert, für Abfallentsorgung ist da meist kein Budget vorgesehen. Sie bauen daher Rohre ins Meer, die in hundert Metern Entfernung von der Küste die Abwässer hineinleiten. (Ich habe diese Rohre selbst gesehen.) Diese Ressorts sind für ca. fünf, maximal zehn Jahre Betriebsdauer gebaut. Dann sind sie abgewirtschaftet, die Elektrik am Ende, die Rohrleitungen kaputt etc.
Dann müssen sie ihren Gewinn eingespielt haben, koste es was es wolle. Danach werden sie einfach stehengelassen und man baut daneben das nächste, neue Ressort.

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Bild: Südlich von Port Ghalib am Weg zu Elphinstone. Man sieht links ein Ressort in Bau, rechts daneben eines, das gerade in Betrieb ist.

Die Ressorts und Hotels sind geschlossene Anlagen, die von den Touristen meist nur für Jeepsafaris und ähnliches verlassen werden. Sie besitzen alle Pools und sind zur Gänze klimatisiert. Sie sind aus Stahlbeton gebaut und haben einen enormen Ressourcenverbrauch in so ziemlich jeder Hinsicht, auch weil der Anspruch der Touristen ständig steigt: Statt einer normalen Dusche muss es eine Regenwalddusche sein, das neue Hotel hat eine noch größere Pool-Anlage und ein um zehn Meter längeres Buffet in jedem seiner vier Restaurants als das Hotel daneben.
Das bedeutet auch, dass täglich Unmengen an Nahrungsmitteln weggeworfen werden, ich wage sogar zu behaupten, dass die Tourismusindustrie die Spitze der Wegwerfgesellschaft darstellt (und erinnere an das Beispiel mit dem Plastikbutterschüsserl).
Der Hintergrund ist die Urlaubsgesellschaft, die auf dem Modell der Work-Life-Balance aufbaut. Dieser Begriff bedeutet, dass Arbeit kein Leben ist, sonst müsste man der Arbeit ja nicht das Leben gegenüberstellen, als Gegensatz sozusagen.
Der Urlaub ist also die Zeit, in der ich nicht arbeiten muss und somit lebe. Zum Leben gehört das Genießen, die Freizeit, die Entspannung – all das, was ich im Bergwerk nicht habe.
Daher ist der Urlaub da um zu genießen, um das zu haben und zu holen, was man daheim nicht hat. Dazu gehört auch Luxus, also der Genuss des Nicht-Alltäglichen. Wer täglich zehn Champagnerflaschen trinkt, weil er sie einfach zur Verfügung hat (warum auch immer), wird den Champagner nicht mehr als Luxus empfinden. Luxus ist das Gegenteil von Verknappung, Luxus ist somit der Genuss der Verschwendung.
Wer sich mit offenen Augen in einem Hotel an ein Buffet stellt, kann das beobachten: Viele Menschen nehmen sich wesentlich mehr, als sie essen können. Es ist ja im Überfluss da, ein kleines Abbild des Modells vom Schlaraffenland.

Wer genießen will, möchte sich diesen Genuss möglichst nicht trüben lassen, etwa von Gedanken an Umweltschutz. Die schiebt man im Urlaub gerne weg (ich versuche das auch, schaffe es nur immer seltener), das gehört nicht zum schönen Teil des Lebens.
Deswegen versuchen wir es uns im Urlaub so angenehm wie möglich zu machen – vielleicht mit Ausnahme der Abenteuerurlauber, aber das ist ein anderes Thema, in Hurghada gibt es die nicht.
Am Tauchschiff schon eher, der Early-Morning-Dive ist manchmal eine ungemütlichen Angelegenheit, vor allem, wenn es kühl ist und man in den nassen Tauchanzug hinein muss.

Egal – auch an Bord versuchen wir so viel Luxus wie möglich zu bekommen und die Golden Dolphin IV ist dafür optimiert. In der Wüste ist Wasser Luxus und Klimaanlagen sind es auch, genauso wie überquellende Buffets mit all dem, was in der Wüste nicht wächst. (Einer der Gründe, warum ich nicht mehr auf die Malediven reisen werde – dort wird bis auf Kokosnüsse alles von weither importiert.)
Luxus bedeutet, dass es mir gut geht, wir greifen hier auf ein archaisches Muster der menschlichen Evolutionsgeschichte zurück, das tief in uns sitzt. Über Jahrhunderttausende war der Mensch ein Mangelwesen, ist in Krisen verhungert und hat immer Zeiten überstehen müssen, die von Mangel geprägt waren.
Erst seit wenigen Jahrhunderten, tw. seit wenigen Jahrzehnten ist das anders. Wir sind es gewohnt immer alles zu haben, was wir brauchen, im Idealfall im Überfluss.
Je mehr wir haben, desto mehr gewöhnen wir uns auch daran und empfinden irgendwann jede Art der Einschränkung als Zumutung, als unzumutbar.
Daraus leiten wir irgendwann ein Recht auf Überfluss und Luxus ab, das uns nicht genommen werden darf. Die Perversion (also die Entwicklung ins Krankhafte) dessen haben wir in der Corona-Krise erlebt, wo Menschen es als unzumutbare Freiheitseinschränkung empfunden haben, wenn sie ein paar Wochen bestimmte Formen von Luxus (Fitnesscenter, Skiurlaub, Restaurant etc.) nur eingeschränkt oder gar nicht genießen konnten.

Kehren wir mit diesem Beispiel zurück an Bord der Golden Dolphin. „Na geh, schon wieder Fisch“ war die Aussage, als uns das serviert wurde:

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Bild: (Hannes Keppeler) Mittagsbuffet an Bord

Okay, die Aussage kam mit einem Augenzwinkern, aber wir alle sind in dieser Dynamik der Überflussgesellschaft gefangen. Der Ausbruch aus diesem Gefängnis ist schwierig und oft stellt sich die Frage, ob es herinnen nicht besser ist als draußen. Selbstverständlich bin ich selbst dagegen auch nicht gefeit, als wir in unserem Hotel einen Cocktail bekamen, motzte ich ordentlich, dass der nicht gut gemixt wäre, mit Orangensaft, der diese Bezeichnung nicht verdient etc.

Wenn es in der Evolution reiche Jagdbeute gab, hat man sich meistens darum gestritten und dann so viel verschlungen wie man konnte – es war ja nicht klar, ob es am nächsten Tag wieder was geben würde. Heute ist der Überfluss die Normalität und jede Abweichung wird als störend empfunden, als unzumutbare Normverletzung.
Die Grenzerfahrung von Corona hat interessanterweise nicht zu einer Besinnung geführt, sondern im Sinne der Konsumgesellschaft zu einem „jetzt erst recht mehr genießen, wer weiß, wie lange es noch geht“. Auf dieser Basis lässt sich natürlich keinerlei Umweltschutz entwickeln, das ist klar. Luxusmaximierung und Umweltschutz sind einander diametral.

Es greift das alte, archaische Muster: Ich stopfe mir so schnell wie möglich den Bauch möglichst voll, vielleicht geht es morgen nicht mehr. „Jetzt noch einmal möglichst viel die Welt bereisen, sobald das Fliegen teurer wird, geht das eh nicht mehr.“ Das höre ich in meinem Umfeld immer öfter.
Die Rekordflugzahlen zeigen, dass da möglicherweise was dran ist. Erschreckend ist nur, dass wir dadurch zu einer Art pervertiertem Steinzeitindividuum werden – pervertiert deshalb, weil die Steinzeitmenschen sehr wohl an die Zukunft ihrer Kinder gedacht haben.
Das fällt jetzt völlig weg, wenn wir ihre Ressourcen heute schon selbst verbrauchen.

Zurück zur Golden Dolphin. Dort ist glücklicherweise allen klar, dass das Jammern auf hohem Niveau stattfindet, was das Schiff betrifft. Das Problem ist hier der Vergleich – wer an einem Riff schon einmal einen tollen Tauchgang gemacht hat, wird mit einem nicht so tollen unzufrieden sein. Das ist menschlich – es ist aber auch menschlich, das zu reflektieren und sein eigenes Denken (heute sagt man gerne „mindset“ dazu) entsprechend anzupassen, Ärger zu relativieren und sich auf das Schöne zu konzentrieren. Das hervorragende Essen wird z.B. von allen an Bord geschätzt, der üppige Platz überall ebenso. Ich selbst bin nur unzufrieden, wenn die Tauchflaschen nicht gut gefüllt sind. Das kommt ein paar Mal vor und ergibt sich aus der Differenz zu anderen, die gut gefüllte Flaschen haben. Der Ärger darüber ist aber nicht groß und mit einer kleinen Bitte lässt sich das binnen weniger Minuten erledigen.
Der Service an Bord ist wirklich gut, das gehört klar ausgesprochen.

Es fällt mir gar nicht leicht an die kaputten Riffe zurückzudenken, aber ich muss meine geschätzten Leser:innen noch ein wenig damit beschäftigen.
Sehen wir uns das folgende Bild einmal genauer an:

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Bild: (Hannes Keppeler) Zwei Falterfische an einem Korallenstock

Vor einigen Jahren war dies ein bunter, kleiner Korallenstock mit einer Handvoll Hartkorallenarten, dazu eine Weichkoralle, ein oder zwei Seescheiden, vielleicht eine kleine Anemone und noch einige andere Pflanzen. In den Ritzen wohnten einige kleine Garnelen, es gab einen Seeigel, zwei Seesterne und noch viele andere kleine Tiere. Rundherum sind viele bunte Fische geschwommen.
Das folgende Bild (vor ca. 10 Jahren aufgenommen) zeigt auch nicht die ganze Pracht – vor allem die Farben fehlen, aber der Unterschied ist sichtbar

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Bild: Hier ist noch eine Vielfalt sichtbar – lebend!

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Bild: (Hannes Keppeler) Ein Masken-Kugelfisch an einem fast komplett toten Korallenstock beim Nachttauchgang

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Bild: (Hannes Keppeler) Eine Muräne an einem Riff. Man sieht die vielen toten Stellen, unterhalb der Muräne eine kleine Koralle, leider auch schon bleich, also relativ frisch abgestorben. An diesem Bild kann man gut sehen, wie das Riff vergeblich versucht sich zu regenerieren.

Es sind aber nicht nur die kleinen Korallenstöcke, es ist vor allem das Gesamtbild, das mir Angst macht und in Bildern nicht gut darstellbar ist.
Die Korallenriffe nennt man nicht ohne Grund die Regenwälder der Meere. Die unglaubliche Vielfalt der Lebewesen, die gigantischen Strukturen, die im Laufe von Jahrmillionen aufgebaut wurden. Derzeit sieht es so aus, als ob es das in wenigen Jahren (nicht einmal Jahrzehnten) nicht mehr oder nur mehr in Resten geben wird.

Ich möchte die Problemlage aus meiner Sicht noch einmal zusammenfassen.

1.) Die Sommer werden immer heißer und es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich diese Entwicklung irgendwann umkehren könnte. Selbst wenn es einmal ausnahmsweise einen kühlen Sommer gibt, ändert das nichts an der Problematik.

2.) Der Großteil der Korallen im Roten Meer ist jetzt schon tot bzw. stirbt gerade. Und das ist leider auch bei fast allen Riffen weltweit der Fall, das Great Barrier Reef in Australien als größtes Riff der Welt ist angeblich massiv geschädigt, die Malediven ohnehin, auch die Karibik, Indonesien und viele andere berühmte Gegenden mit tollen Riffen sind laut Berichten schwer unter Stress und bereits ziemlich kaputt.

3.) Das ist alles nicht neu, das geschieht seit Jahrzehnten, mehr oder weniger schleichend. Obwohl die Meeresbiologen und andere Wissenschafter Alarm schlagen, geschieht eigentlich gar nichts. Da und dort gibt es Initiativen um Riffe zu schützen, hitzefeste Korallen zu finden und zu züchten oder lokale Tauchverbote zu verhängen.
Das ist alles ehrenwert, in Summe aber wohl wirkungslos.
Das Problem liegt auch darin, dass die schleichende Entwicklung den Blick vernebelt. Es ist ja nur ein wenig schlimmer als vor drei Jahren. Und selbst wenn die Schäden eklatant sichtbar sind, wie derzeit die Korallenbleiche, war ich auf dem Schiff der Einzige, der das zur Sprache brachte. Alle anderen haben versucht die Reste zu genießen. (Falls ich jemandem Unrecht tue, bitte um Verzeihung. Da und dort habe ich in den Gesprächen schon heraushören können, dass man die Entwicklung bedauert.) Und wenn ein Tauchort wie das Rote Meer kaputt ist, fliegt man dann halt irgendwo anders hin, wo es noch etwas besser ist. Das verstärkt dann den Druck auf diese Gebiete.

4.) Die Verschmutzung nimmt weiter ungebremst zu. Es gibt zwar heute schon die Möglichkeit per Satellit zu erkennen, wenn Schiffe ihren Dreck ins Meer lassen, aber ich habe noch nie gehört, dass es zu spürbaren Strafen oder anderen Konsequenzen gekommen ist. Viele Schiffe fahren auch extra hinaus, um Giftmüll im Meer loszuwerden, die berühmte Dünnsäureverklappung ist hier ein Begriff. Gibt es Verbote, die auch exekutiert werden? Gibt es irgendeine Entwicklung weg vom Schweröl, mit dem die meisten Frachter und Kreuzfahrtschiffe betrieben werden? Wird irgendwo weniger Plastik ins Meer geschmissen? Ich höre immer nur von einer weiteren Steigerung, was ja auch logisch ist: Die Wirtschaft soll wachsen, dadurch werden mehr Dinge erzeugt und das ergibt mehr Müll, weltweit versteht sich.

5.) Der Post-Covid-Effekt ist weltweit sichtbar: schnell noch genießen, schnell noch ausnützen, ich möchte noch etwas erleben, ich möchte mir etwas gönnen, ich finde, die anderen sollen zurückstecken, ich sicher nicht.
In einer Welt, in der Egoisten für den Konsumwachstum gefragt sind (in jedem Haushalt braucht es eine Bohrmaschine, obwohl das ganze Haus nur eine bräuchte), In einer Welt, in der für viele Menschen das einzige, zumindest aber das größte Glücksversprechen die Konsumsteigerung ist, brauchen wir uns über die derzeitige Entwicklung nicht wundern und auch nicht auf einen Gegentrend hoffen.

6) In einer Welt, in der die Krisenmenge und -vielfalt ständig zunimmt oder es zumindest danach aussieht (die Medien füttern das fleißig nach dem Motto „only bad news are good news), steigt der Wunsch nach Sicherheit und Bequemlichkeit. Das ist direkt konträr zum Umweltschutz, der dann konsequenterweise ausgeblendet wird.

7.) Stark wachsende Bevölkerungen rund um den Globus haben wachsende Bedürfnisse, geleitet von der westlichen Konsumkultur.

8.) Wir haben Kaskadeneffekte. a.) Die derzeitige Entwicklung an den Korallenriffen betrifft nicht nur die Korallen. Wenn sie tot sind, sterben auch die Korallenfische und danach alle Lebewesen, die sich von all dem ernähren. Danach die Großfische usw. Zusätzlich fehlt dann der Korallensand an den Küsten, die dadurch stärker erodieren, mehr Sedimente ins Meer bringen, wodurch die restlichen Korallen ersticken etc.
b.) Wenn die Riffe tot sind, kommen weniger Touristen. Dann müssen die Preise steigen, was zu noch weniger Touristen führt. Wenn man die Preise jedoch senkt, geht das nur auf Kosten der Umwelt. (Abwässer ins Meer leiten ist billiger als eine Kläranlage etc.)

9.) Es gibt derzeit fast keine Bewusstseinsentwicklung, weil die Menschen a.) andere Sorgen haben, b.) nur wenig berichtet wird und c.) die Konsequenzen schwer vorstellbar sind, wenn man noch nie ein sterbendes Riff gesehen hat.
Das bedeutet aber auch, dass wir nur durch eine entsprechend sichtbare und spürbare Katastrophe lernen werden. Und die muss wahrlich gewaltig sein, wie wir an einigen Beispielen sehen können: Das Hochwasser in Niederösterreich Mitte September 2024 hat enorme Schäden angerichtet. Der Tenor lautet aber: Der Staat soll die Schäden bezahlen und dann machen wir so weiter wie bisher. Wird schon nix mehr passieren!
Es gibt keine, absolut keine Konsequenzen in Richtung Maßnahmen zur Vermeidung solcher Hochwässer. Man tut ein wenig gegen die Symptome, greift die Ursachen aber nicht an.

10.) Wir halten die kognitive Dissonanz sehr gut aus: Unter Wasser bestaunen wir die Fische, ober Wasser essen wir sie. Ich als Grüner zahle für die Erhaltung des Nationalparks und trage zugleich zu seiner Zerstörung bei etc.

Die Lösungsansätze

Genau genommen gibt es keine, denn in einer hedonistischen Welt ist etwas anderes als ewige Konsumsteigerung nicht denkbar.
Trotzdem möchte ich einige Ideen zur Diskussion stellen.

1.) Mengenbeschränkungen
Das gibt es schon da und dort, eventuell könnten bestimmte Entwicklungen dadurch etwas abgefedert oder hinausgezögert werden.

2.) Einen Tag säubern, zwei Tage tauchen
Das widerspricht zwar dem Urlaubsgedanken und auch der Bequemlichkeit, könnte aber zur Bewusstseinsbildung beitragen. Unter Wasser befindet sich jede Menge Müll, den man raufholen und ordentlich entsorgen könnte.

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Bild: (Jennifer Gary) Hazem hat ein altes Seil von einer Mouring-Line runtergeschnitten und nimmt es zum Schiff mit. Dort wurde es eingelagert und mit dem Müll in Hurghada entsorgt.

3.) Kontrollierte, gewidmete Umweltabgaben
Nur wenn ich weiß, was damit gemacht wird, zahle ich gerne. Das gilt für Steuern und würde auch für Umweltabgaben gelten.

4.) Ehrliche, sichtbare Umweltbilanzen
Auch das widerspricht dem störungsfreien Urlaubsgedanken, weil es ein schlechtes Gewissen machen könnte. Trotzdem wäre es interessant, welche Umweltbilanz tatsächlich durch so einen Tauchurlaub entsteht.

5.) Ein Totem-Rifftier
Oder auch eine Pflanze – egal. Damit ist gemeint, dass sich jeder Taucher ein Lebewesen aussucht, das ab da „seines“ ist. Für das übernimmt er (sie) eine gewisse Verantwortung. Das könnte sein…
…Infos über dieses Tier sammeln, wie ist der Bestand, wie geht es ihm, wie ist die Entwicklung etc.
…selbst aktiv für seinen Schutz werden, auf welche Art auch immer
…Botschafter für das Tier und seine Umgebung werden, Infos verbreiten etc.
…sich zu einer Gemeinschaft zusammenfinden, um Ideen und Aktionen zu diskutieren und gemeinsam umzusetzen. Das fängt bei Petitionen an und hört bei Sammelaktionen für die Erhaltung noch nicht auf. Auch die Wissenschaft könnte von solchen Gemeinschaften und dem gesammelten Wissen profitieren;

Der Rest der Reise

Wir sind immer noch auf den Brothers. Die Korallenbleiche ist hier weniger als weiter im Süden, aber der Zustand der Riffe ist trotzdem katastrophal – vor allem, wenn man in Erinnerung hat, wie es früher war. Die unglaublichen Schluchten, Canyons, Buchten, Steilwände – das macht die Schönheit dieser Tauchplätze aus. Vor allem die Porenkorallen sind hier noch tw. in Ordnung, es ist auch etwas kühler als im Süden. Am Little Brother sind mit uns 6 Schiffe, ungefähr 11 weitere am Big Brother, das ist viel, aber nicht sehr viel.
Am Abend gibt es dann das Gala-Essen. Das ist Teil jeder Safari und immer sehr nett. Diesmal wird das Abendessen am Oberdeck serviert, es gibt besonders liebevoll zubereitete Speisen und alle bekommen eine Verkleidung, was irgendwie auch ganz witzig ist.

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Bild: Peter und Thomas sind für das Abendessen bereit

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Bild: Links Carsten, rechts Hannes, vor allem Hannes geht als echter Ölscheich durch

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Bild: Der liebevoll dekorierte Truthahn

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Bild: (Matthias) Das Gruppenbild am Galaabend

Nach dem Essen genießen wir noch die Abendstimmung und freuen uns, dass wir die Brothers ohne Komplikationen betauchen durften.

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Bild: Abendstimmung, dazu zwei Safariboote

An diesem Bild kann man ein wenig den enormen Energieaufwand sehen, der für den Betrieb solcher Schiffe notwendig ist. Verbrannt wird Diesel, der auch die drei Generatoren antreibt, von denen mindestens einer rund um die Uhr läuft. Das war früher anders, da wurde der Generator über Nacht abgeschaltet, eventuell notwendiges Licht oder der Strom für die Kühlschränke kam aus Batterien.
Heute geht das nicht mehr, allein die Klimaanlage würde jede Batterie sofort in die Knie zwingen. Die großen, modernen Schiffe haben einen massiv höheren Energiebedarf. Hier im Vergleich eines der früheren Safarischiffe:

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Bild: Die myTala ist ca. 25 Jahre alt und wesentlich kleiner als die modernen Schiffe. Die NileSat, mit der ich meine ersten Safaris gemacht habe, war noch einmal ein wenig kleiner.

Nach den Brothers geht es auf die lange Fahrt Richtung Hurghada, die über Nacht absolviert wird und ruhig verläuft. Am letzten Tag gibt es noch zwei Tauchgänge auf Small Giftun Island, das direkt vor Hurghada liegt. Der Early Morning Dive ist nett, weil nur wenige andere Schiffe da sind. Hier gibt es fast keine Korallenbleiche, wir sind ja noch einmal einiges nördlicher, fast 350 Kilometer von unserem südlichsten Punkt. Ich bin auch erstaunt, wie sehr sich das Riff trotz der enormen Betauchung irgendwie erhalten konnte, wenngleich hier auch viel kaputt ist, keine Frage.

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Bild: Guido bei einer Hirnkoralle. Die sind inzwischen recht selten und im Süden alle tot.

Danach wird es heftig. Im Minutenabstand kommen Tagesboote, manche mit Tauchschülern, die meisten mit Schnorchlern, die sie hier ins Wasser kippen. Das sind tausende pro Tag, sie kommen von den zahlreichen Hotels.

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Bild: Tagesboote kommen zu Dutzenden

Dort werden diese Ausflüge mit traumhaften Bildern einer bunten Korallenwelt angepriesen, als tollstes Abenteuer von überhaupt. Softdrinks inklusive. In der Realität sieht das anders aus. Auf einem alten Kahn fährt man tuckernd und gedrängt hinaus, oft ohne Schatten, um dann eine Stunde mit vielen anderen die fast toten Riffe zu beschnorcheln.
Aber es funktioniert, die meisten Menschen sehen das scheinbar nicht dramatisch und bezahlt hat man ja auch dafür.

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Bild: Die Boote lassen die Schnorchler in großen Gruppen ins Wasser. Uns Taucher stören sie eigentlich nicht, wir sind sowieso viel tiefer unten.

Der letzte Tauchgang ist dann der entspannteste, den auch nicht mehr alle mitmachen. Insgesamt sind es 17 Tauchgänge, die ich machen konnte. Die beiden anderen aus Österreich hatten auch eine entspannte Woche und lassen es sich mit einem Bier gut gehen:

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Bild: Jenny und Thomas vor Small Giftun Island

Danach wird das Tauchzeug getrocknet und es geht zurück nach Hurghada in den Hafen. Auf der Fahrt sehen wir eine schöne Jacht, die vor Anker liegt. Der Kapitän fährt näher heran um sich das Schiff genauer anzusehen. Google hilft schnell bei der Identifizierung: Es ist die „George Town“ von den Virgin Islands, hat 60 Mio Dollar gekostet und ist für den Schnäppchenpreis von 1,2 Mio für eine Woche zu mieten. Platz ist für 12 Gäste.

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Bild: Die Luxusjacht

Ich finde das Schiff wirklich fesch, möchte es aber weder besitzen noch damit fahren. Es zeigt die Perversion unserer Welt, die auch wir in kleinerem Umfang leben. Die Tauchreise hat mich alles inklusive ca. 2.700 Euro gekostet. Ein durchschnittlicher Ägypter verdient 200 Euro im Monat – davon kann man einigermaßen leben, meinte unser Taxifahrer. Meine Urlaubswoche hat deutlich mehr gekostet als er im Jahr verdient.

Wir verbringen den Nachmittag jedenfalls am Oberdeck, plaudern über die Woche, tauschen Ansichten aus und lassen es uns ein letztes Mal an Bord gut gehen.

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Bild: Abhängen an Deck.

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Bild: Omar und Hazem, unsere beiden Guides. Und weil wir zwar noch voll vom Mittagessen sind, eine Jause aber immer geht, gibt es jeden Nachmittag noch was Gutes: Kuchen, kleine Pizzastücke und noch vieles mehr. Verhungert ist hier noch niemand.

Dann sind wir im Hafen. Sofort beginnt die Crew mit dem Wechsel, Nachschublieferungen kommen, Wasser wird nachgetankt, das Schiff wird gereinigt und wir kommen uns ein wenig überflüssig vor. Alle anderen werden am kommenden Tag in der Früh bzw. am Vormittag von Bord gehen und heimfliegen – bis auf uns, wir bleiben noch einen weiteren Tag in einem Hotel gleich in der Nähe.

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Bild: Transporter bringen alles, was in der kommenden Woche gebraucht wird: Jede Menge Essen, neue Wassertanks, frische Bettwäsche und noch vieles mehr.

Nach der Safari

Am Abend machen Peter und ich noch einen kleinen Spaziergang durch Hurghada bzw. durch den Teil, in dem die kleine Marina für die Golden Dolphin-Schiffe liegt. Dort reiht sich ein Riesenhotel an das nächste, wir haben für den nächsten Tag das „PickAlbatros Blu Spa“ gebucht, nicht billig, dafür „adults only“. Gleich daneben ist ein anderes Hotel der gleichen Gruppe mit riesigen Spielanlagen für Kinder.
Die Hotels gleichen einander, haben alle riesige Eingangshallen, im Stil brutalistisch-pseudoorientalisch – die geneigte Leserschaft merkt hier schon, dass ich kein Freund von Hotelaufenthalten bin.

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Bild: Das Hotel von außen.

Innen sieht es auch nicht anders aus. Eine riesige Pool-Anlage mit brav germanisch reservierten Liegen, vier Restaurants und ein Strand mit weiteren Liegen. Es gibt kleine Sportanlagen und Animation für die Menschen ohne Seele (lat: anima), also für die, die nichts mit sich anzufangen wissen.

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Bild: Das Hotel innen

Ich tu mir hier im Hotel auch schwer. Aber das ist ein Vorgriff, noch sind wir beim Spaziergang durch Hurghada. An jeder Ecke irgendein Laden, die Straße in grottenschlechtem Zustand, vor allem die Gehsteige sind überall aufgebrochen. Wer sich wundert, warum es hier an jeder Ecke eine Apotheke gibt: Als wir in der Dämmerung entlangmarschieren, stürzt eine ältere Dame über eine aufgebrochene Gehsteigplatte. Repariert wird hier gar nichts im öffentlichen Raum – dabei gibt es sogar ein Stück Radweg.
Was es gibt: Die Rauchkanonen um Gelsen zu töten. Ich kenne das schon von den Malediven, da sind sie alle zwei Tage herumgegangen und haben die ganze Insel ausgeräuchert. Dass da nicht nur die Gelsen zugrunde gehen, liegt auf der Hand.

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Bild: Ausräuchern der wenigen Grünanlagen eines Hotels

Am nächsten Tag müssen wir um 10 Uhr von Bord, die meisten sind schon früher abgeholt worden, wir fahren die fünf Minuten mit dem Taxi zum Hotel und checken ein. Unser Zimmer ist noch nicht fertig, wir werden ins Restaurant geschickt, was okay ist.
Der Tag ist zum Vergessen, ein wenig Internetsurfen, ein kleiner Spaziergang, essen gehen.

Hurghada bietet ein tristes Bild, abgewrackte Einkaufszentren zeigen, dass nicht nur Ressorts eine kurze Existenz haben, aber auch, dass die besten Zeiten vorbei sind. Das war vor zehn bis fünfzehn Jahren, als die Russen in Horden hier eingefallen sind. Besonders beliebt waren sie nicht, ihr Geld schon. Jetzt sieht man deutlich weniger davon, sie sind aber leicht und von ferne zu erkennen, die Frauen tragen allesamt Miniröcke und haben ihre Lippen aufgespritzt wie ich es sonst nur in Horrorfilmen je gesehen habe. Gefällt ihnen scheinbar.

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Bild: Ein abgewracktes Einkaufszentrum

Hier gibt es einen McDonalds, einen KFC und einen Pizza Hut. Ich spüre die gleiche Endzeitstimmung wie unter Wasser. Auch hier übernimmt das Plastik die Regie und zwar an jeder Ecke. Alles ist irgendwie künstlich, passt nicht hierher, ist nachgebildet wie die Palmen, die Lagunenlandschaft in Port Ghalib oder El Gouna.
Markus schafft es uns in sein Geschäft hineinzulocken, indem er einen besonderen Schmäh anwendet. Er kommt zu mir und fragt mich, woher ich mein T-Shirt habe. Auf die Frage nach dem Warum meint er, das Motiv interessiert ihn und ob er ein Foto machen darf.
Er darf. Und lockt uns zugleich in sein Geschäft, wo eine Stickmaschine steht. Er erklärt uns in gutem Deutsch, dass er jede Form von Stickerei schnell und günstig anfertigen kann. Nur zehn Euro für ein T-Shirt mit Stickerei.
Das stimmt natürlich nur zum Teil, denn damit ist ein billiges Shirt gemeint und eine sehr einfache Stickerei. Alles andere kostet mehr.
Mein Bruder möchte aber sowieso so etwas haben, sein Sohn Niki braucht schließlich ein Geschenk vom Urlaubsort seines Vaters. Markus ist sehr beflissen und nicht zu aufdringlich. Außerdem hat er genau was wir suchen, ich entdecke T-Shirts der Marke „Apple“. Das hat nichts mit der Computerfirma zu tun, sondern ist ein ägyptischer Kleidungshersteller, der seine Fabrik in Kairo hat und hervorragende Qualität erzeugt. Ich habe mir vor vier Jahren im Sudan auf der „Seawolf“ einen Sweater gekauft, von dessen Verarbeitung ich restlos begeistert bin. Außerdem hat die ägyptische Baumwolle einen guten Ruf.
Ich erfahre von Markus, dass es die Marke nirgends im Internet gibt – sie wird nur direkt vertrieben. Glücklicherweise hat er genau den von mir gesuchten Sweater, sogar in einem hellen Blau, das mir sehr gut gefällt. Eine Jogginghose für daheim suche ich auch und werde ebenfalls fündig. Ich gehe höchst ungern „shoppen“ und bin daher erfreut über diese tolle Gelegenheit, damit habe ich nicht gerechnet.
Peter sucht sich Shirts für Niki aus und die passende Stickerei. Wir werden uns handelseins und Markus meint, er würde die fertigen Shirts noch in der Nacht ins Hotel liefern.
Wir bezahlen und hoffen, dass er sein Wort hält. Er heißt übrigens nicht Markus, sondern eher Ali oder Mohammed, aber für uns Touristen klingt Markus besser.

Am nächsten Tag werden wir von einem am Abend gebuchten Taxi abgeholt und zum Flughafen geführt. Markus hat Wort gehalten, die T-Shirts sind da und gut gearbeitet.
Der Taxifahrer spricht sehr schlecht Englisch und fragt uns zu welchem Terminal wir müssen. Wir meinen, zur Air Cairo, die nach Wien fliegt. Er führt uns zu Terminal 1, wir steigen aus und er fährt weg.
Dann entdecken wir, dass wir doch beim falschen Terminal sind. Glücklicherweise steht da noch ein anderes Taxi, dessen Gast sich gerade verabschiedet. Ich laufe hin und erkläre ihm unsere Situation. Er meint, das wäre kein Problem, er führt uns sofort zum anderen Terminal.
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger kennt er sich aus und so landen wir dort, wo wir hingehören. Jetzt hat die Fahrt halt das Doppelte gekostet.
Das Anstellen ist knechtend wie immer, lange Schlangen, dazwischen elende Wartezeiten. Beim Security-Check nehmen sie mir alle Batterien für die Tauchlampen ab, weil man darf normale Batterien nicht im Handgepäck transportieren, Lithium-Ionen-Batterien jedoch muss man im Handgepäck transportieren. Beim Hinflug war das kein Problem und ich hasse Fliegen wie die Pest.

Irgendwann sind wir dann im knallevollen Flugzeug, es wird eng und ich hoffe, dass die Zeit irgendwie vergeht.

Nach ca. vier Stunden sind wir in Wien und nach neuerlichem Stress mit der Taxifirma (der Fahrer meint, er wäre gleich da, was nicht stimmt, er ist noch irgendwo, kommt aber bald, angeblich etc.) bin ich dann daheim.
Ein sehr durchwachsener Urlaub ist zu Ende, was sich gut anfühlt. Vielleicht war das meine letzte Tauchreise, wer weiß das schon.

Währing Rundumadum

Letztes Jahr waren es die 14 Wiener Stadtwanderwege und der Rundumadum (Weg rund um Wien, siehe Blogbeitrag), jetzt brauche ich neue Bewegungsmöglichkeiten.

Martin, ein lieber Kollege, hat mir schon vor längerer Zeit erzählt, dass er einmal rund um Währing gegangen ist. Damit hat er sozusagen die Ränder unseres Bezirkslogos nachgezeichnet.

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Bild: Das Währinger Bezirkslogo. Es steht für die Vielfalt in unserem Bezirk.

Und er hat auch erzählt, dass das gar nicht so einfach war. Also die allermeisten Abschnitte schon, aber dann gibt es ein paar Stellen, die nicht so ganz unproblematisch sind.

Das muss ich ausprobieren. Und heute ist ein ruhiger Sonntag, das passt. Wetter gut, bewölkt, so um die 20 Grad, gegen Mittag haben sie ein bisschen Regen angesagt, das sollte nicht weiter stören.

Ich starte um 10:43 unten am Gürtel, Ecke Anastasius-Grün-Gasse, einfach weil ich dorthin nur ein paar Minuten gehe, in die Runde kann man ja überall einsteigen. Und ich gehe gegen den Uhrzeigersinn, ohne besonderen Grund.
Ein Rucksack mit Regenjacke, Wasser, einem Apfel und einer Packung Mannerschnitten müssen reichen. T-Shirt und kurze Hose, Laufschuhe, Sonnenbrille quasi in Reserve.
Die Route ergibt sich aus der Bezirksgrenze, die auf wien.gv.at zu finden ist. Ich habe sie vom Bildschirm in Teilen abfotografiert und arbeite mich sozusagen von Foto zu Foto durch. Hier eines davon:

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Bild: Die violette Linie ist die Bezirksgrenze, hier führt sie rund um den Michaelerberg an der Höhenstraße entlang.

Das kombiniere ich mit Bergfex, diese App schätze ich schon seit langem, sie führt mich fast auf den Meter genau und es gibt nur selten Wege, die es dann gar nicht gibt. Sie greift auf die Alpenvereinskarten zu, die stimmen einigermaßen. Auch wenn man kein Fan des Smartphone-Irrsinns unserer Gesellschaft ist, für Wanderungen ist das schon ausgesprochen praktisch.
Gleich zu Beginn die erste Herausforderung: Ecke Gürtel/Döblinger Hauptstraße führt die Bezirksgrenze mitten durch ein Haus.
Mitten durch oder drüber geht nicht, also rundherum. Gleich hinter dem Jüdischen Friedhof muss ich ebenfalls ausweichen, auch hier hält sich der notwendige Umweg aber in Grenzen.
Und weil das nicht genug ist, kommt ein paar hundert Meter weiter schon die nächste Sackgasse: Laut Plan muss ich links am Dolmetsch-Institut vorbei (der alten Hochschule für Welthandel, wie die Wirtschaftsuniversität früher hieß).
Das geht aber nicht, da gibt es kein Durchkommen, also rechts vorbei.

Danach wird es einfach, die Strecke deckt sich zum Großteil mit einer meiner Laufrouten und führt über die Hasenauerstraße hinauf durchs Cottage zum Türkenschanzpark, an der Boku vorbei quasi immer am Bergrücken bergauf. Und gleich am nächsten Friedhof vorbei.

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Bild: Die Universität für Bodenkultur. Dieser Teil steht auf der anderen Straßenseite und befindet sich somit in Döbling.

Ich gehe auch durch die Büdingergasse, wo ich das erste Jahr meines Lebens gewohnt habe. Bin quasi Ur-Währinger.
Weiter bergauf komme ich zum Sommerhaidenweg, von wo aus der Blick hinüber auf den Hermannskogel (höchster Punkt Wiens) schweift, und nach einer Stunde Marsch ist auf einem Bankerl die erste kurze Rast fällig.

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Bild: Der Blick hinüber auf Dreimarkstein und Hermannskogel ist sehr fein, unten liegen Neustift am Walde und Salmannsdorf

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Bild: Der Sommerhaidenweg ist eine beliebte Rad- und Laufstrecke

Dann bin ich oben an der Höhenstraße. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt Wasser nachzutanken, der Türkenbrunnen im Türkenschanzpark, der quasi nur zehn Meter Umweg verlangt, ist leider nicht in Funktion. Hier oben gäbe es einen Hydrant, der hat aber keine Pumpe und ist somit unbrauchbar.
Schade – es gibt übrigens auch sonst am Weg rund um Währing keine Möglichkeit Wasser nachzufüllen.
Dafür kommt jetzt die erste kleine Herausforderung. Die Bezirksgrenze verläuft nämlich auf der anderen Seite der Keylwerthgasse und dort ist kein Weg. Glücklicherweise wurde gemäht und so kann ich auf dem schmalen Streifen bis zur nächsten Kreuzung, bei deren Überquerung Vorsicht angesagt ist, die meisten Autofahrer sind hier flott unterwegs.
Neben diesem Streifen befindet sich übrigens eine Art Refugium. Hier die Website dazu: http://www.himmelshof.at

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Bild: Die enge Stelle will mit Vorsicht begangen werden.

Dreck findet sich auf diesem Weg rund um Währing eigentlich nur an der Höhenstraße. Leider schmeißen immer noch viele Autofahrer ihren Müll einfach beim Fenster raus. Mit großem Abstand führend sind Red Bull Dosen. Warum auch immer.

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Bild: Das beliebteste Objekt zum Rauspfeffern aus dem Autofenster

Jetzt geht es bergab an der Höhenstraße entlang. Für alle, die es genau nehmen und dem Bezirksgrenzenverlauf wirklich möglichst exakt folgen wollen, bietet sich der alte asphaltierte Weg direkt neben der Straße an. Selbstverständlich kann man auch daneben auf dem neu asphaltieren Kombiweg für Radfahrer und Fußgänger gehen. Das ist angenehmer als neben den Autos.

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Bild: Der alte Weg direkt neben der Höhenstraße

Unten komme ich zur sogenannten „Meierkurve“, wo sich vor sehr langer Zeit das Gasthaus Meier befand. Dort zweige ich links in den Wald ab, auf einen kleinen Weg direkt neben dem Bach.

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Bild: Der sogenannte „Kräuterbach“

Da hilft Bergfex sehr, denn kurze Zeit später müssen wir links steil hinauf. Es folgt die anstrengendste Passage, denn es geht diretissima auf den Michaelerberg. Die Bezirksgrenze zu Hernals wurde in einem Graben gezogen, der eher nicht die beste Routenwahl darstellt. Gleich rechts daneben führt ein Weg, der gut begehbar wäre, gäbe es nicht die umgestürzten Bäume.

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Bild: Links der Graben, rechts der Weg. Was man hier nicht sieht: Es geht wirklich steil bergauf.

Wir befinden uns hier im Biosphärenreservat Wienerwald und zwar in einer der sogenannten Kernzonen. Hier wird der Wald so belassen wie er ist und daher werden auch nur die Hauptwanderwege von Ästen und Bäumen befreit. Wir befinden uns nicht auf so einem Weg.

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Bild: Am steilen Weg bergauf gilt es ein paar Baumstämme zu überqueren

Nach einiger Zeit bin ich oben am Michaelerberg angekommen, der dortige Weg ist breit und schön und führt geradeaus bis zu einer Kleingartensiedlung, von wo es wieder bergab geht.

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Bild: Dieser Weg führt oben am Kamm entlang. Links hinunter gehen alle vierzig Meter sogenannte „Rückegassen“, die hier verwendet werden, um den Wald zu bewirtschaften und in Ordnung zu halten. Inzwischen gibt es aber noch neuere Konzepte, dieses ist aber schon extrem fortschrittlich im Gegensatz zu dem, was sonst gemacht wird. Der hiesige Förster, Herr Lauscher, achtet sehr genau auf unseren Wald und seine Gesundheit.
Dort oben gibt es auch einen der vielen Wasserspeicher, die für die Versorgung Wiens gebraucht werden. Dieser liegt etwas versteckt und ist auch nicht sehr groß.

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Bild: Sieht unspektakulär aus, ist aber sehr wichtig.

Am Ende des fast schnurgeraden Weges geht es bei einer weiteren Kleingartensiedlung gleich wieder rechts hinunter und dann überquert man einen der zahlreichen Wege auf den Michaelerberg und dann ist es auf einmal aus mit Weg. Jetzt führt die Bezirksgrenze quer durch den Wald und zwar ganz ohne Weg. Ich versuche irgendwie dem Grenzverlauf zu folgen und finde einen alten Grenzstein.

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Bild: Mitten im Wald ein alter Grenzstein. Ich habe ihn nicht entziffert.

Ich weiß nur: ich muss bergab. Und es findet sich da und dort so etwas wie ein winziger Pfad, der aber nicht durchgängig ist. Ein wenig Klettern durch Gebüsch ist angesagt und es ist interessant zu sehen, wie mühsam es ist, wenn man sich ohne Weg fortbewegen muss.

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Bild: Kein Weg. Wald und Gebüsch sind aber nicht so dicht, dass ich nicht mehr durchkommen würde.

Irgendwann bin ich unten bei der großen Wiese angelangt, gleich rechts vom Waldkindergarten.

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Bild: Hinaus aus dem dichten Wald auf die sonnige Wiese

Von dort geht es an der nächsten Kleingartensiedlung vorbei bis zu einem Bach. Rechts davon ist die Bezirksgrenze, direkt am Zaun der Schrebergartensiedlung, nur gibt es dort keinen Weg. Also muss ich den Bach überqueren und die große Forststraße hinunter nach Neuwaldegg nehmen. Unten angekommen geht es sofort links wieder steil bergauf auf den Schafberg.
Das ist das zweite wirklich steile Stück, es geht wieder diretissima bis auf die Spitze des Schafbergs und von dort – wie könnte es anders sein – rechts vorbei an einer Schrebergartensiedlung hinunter zu den Schafbergwiesen. Dort haben wir in meiner Jugend viele Picknicks gemacht, mit vorgekühlten Bierkisten und einem kleinen Feuer und einem Radiorecorder mit Musikkassetten. Es gab noch keine Handys und sie haben uns auch nicht gefehlt. Eigentlich hat uns gar nichts gefehlt.
Ich mache die zweite Rast auf einem alten Baumstumpf. Daneben die Reste eines kleinen Feuers. Erlaubt ist das nicht, erlaubt war es auch damals nicht.

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Bild: Der Ausblick auf Wien war und ist sensationell. Das ist überhaupt ein toller Ort.

Und wieder ist es aus. Unten angekommen versperrt ein Gitter samt Zaun dahinter den Weg an der Bezirksgrenze entlang. Da ist beim besten Willen kein Durchkommen und ich muss eine kleine Ecke Währing auslassen. Der Weg führt am Schafbergbad entlang und dann durch den Schönbrunnergraben hinunter bis zur Herbeckstraße. In dieser Gegend reiht sich eine riesige Villa an die andere, durchsetzt nur mit – wer es erraten kann – Kleingartensiedlungen, gleich jede Menge davon. Seit ein paar Jahren spielen sich dort Dramen ab, weil seit dem Parkpickerl die Parkplätze gekennzeichnet sein müssen und die Autofahrer ihre Kisten nicht einfach irgendwohin stellen können. Das waren sie aber gewohnt und daher ist der eine oder andere Aufschrei zu hören. Wird aber auch weniger.
Unten angekommen geht es am Fuchupark vorbei, der bei vielen Anwohnerinnen und Anwohnern Kastanienpark genannt wird, weil dort viele Kastanienbäume stehen. Das war aber nie ein offizieller Name und weil der Park jetzt aufgrund irgendeiner japanisch-österreichischen Partnerschaft Fuchupark genannt wurde, gibt es den nächsten Grund sich aufzuregen. Auch das wird vorbeigehen. Außerdem liegt der Park in Hernals und ist daher Sache der dortigen Bezirksvorstehung.

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Bild: Links Häuser, rechts der Fuchupark

Bergauf geht es das letzte nicht asphaltierte Stück bis zur Mönergasse, dann die Jeitnergasse hinauf vorbei am brandneuen, großen Wasserspeicher am Schafberg bis zur Czartoriskygasse.
Die geht es hinab bis zu einer neuerlichen unbegehbaren Bezirksgrenze. Sie führt durch eine Kleingartensiedlung und ist nicht begehbar. Also links ausweichen bis zum Lidlberg. Dort wurden neue Bäume gepflanzt und ein Radweg gebaut, rechts daneben lässt es sich wunderbar gehen, vorbei an der Tischlerei Seliger und dann rechts in die Kreuzgasse. Der spektakulärste Teil ist vorbei, jetzt wird es urban.

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Bild: Die Stelle am Lidlberg

Durch die Antonigasse geht es Richtung Innerwähring, vorbei am riesigen Block, auf dem das alte Haus der Barmherzigkeit stand. Das wurde abgerissen, die neue Eigentümerin ist die Caritas, die in den nächsten Jahren hier bauen wird.

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Bild: Der Häuserblock ist eingezäunt, zwei alte Bäume stehen noch, die aber nicht sehr gesund aussehen. Links dahinter die Kirche St. Severin

In mehreren Links-Rechts-Kombinationen zieht sich die Bezirksgrenze bis hinunter zur Jörgerstraße und dann zum Gürtel. Dort gibt es sehr wenig Grün, fast keine Bäume, es handelt sich um dicht verbautes Gebiet mit viel Gründerzeithäusern. In diesen Gassen habe ich meinen zweiten Ferialjob als Postler einigermaßen würdevoll hinter mich gebracht. Damals gab es hier fast an jeder Ecke noch ein Wirtshaus und davor haben mittelmäßig elegante Herren gewartet, bis ich vorbeigekommen bin. Und zwar immer wenn die Pension oder der Lohn ausgezahlt wurde – das war damals Job der Postler, ich bin mit bis zu 120.000 Schilling herumgegangen. Meistens war es aber wesentlich weniger und die Herren haben mich auf der Straße angesprochen, damit ich ihnen (gegen Vorlage eines Ausweises) ihr Geld gebe. Der eigentlich normale Weg wäre an die Haustüre gewesen, aber dort hätte die Gnädigste das Geld kassiert. So konnten sie es gleich direkt wieder zum Wirtn tragen.

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Bild: Nur schön ist es dort nicht immer überall

Bevor ich den letzten Abschnitt gehe, hole ich mir beim Zanoni ein Eis. Verdientermaßen, außerdem ist jetzt Schluss mit Romantik.

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Bild: Pfefferminz und Haselnuss, der Zanoni am Gürtel war und ist mein Lieblingseissalon, auch wenn die Bedienung heute nicht mehr ein Süditaliener ist, sondern eine junge muslimische Dame mit Kopftuch. Wir sind halt nicht mehr in den 1980ern und die Hauptsache ist die gute Bedienung.

Jetzt geht es den Gürtel entlang hinauf nach Michelbeuern. Der Weg ist schmal, daneben verläuft ein wichtiger Radweg.

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Bild: Manche Blumen lassen sich auch in der Asphaltwüste nicht kleinkriegen

Oben angekommen geht es hinunter an der 42er-Trasse entlang. Ich muss ein Stück auf den Schienen gehen, dann beginnt wieder ein Gehsteig, der sich dann hinunter bis zur U6-Station Währinger Straße zieht.

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Bild: Ein paar Dutzend Meter auf den Schienen, immer gut aufpassend, ob nicht von hinten der 42er heranrauscht.

Der letzte Abschnitt führt direkt an der U6-Stadtbahntrasse am Gürtel entlang, glücklicherweise mit viel Altbaumbestand und somit ausreichend Schatten.

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Bild: Viele Bäume = viel Schatten im Sommer. Dringend notwendig im dicht verbauten Gebiet, in dem in den immer heißer werdenden Sommern immer mehr Hitzeinseln entstehen.

Dann ist es geschafft. Bergfex liefert die Daten der Runde und zum Abschluss gibt es noch ein Frühlingsbild mit Blumen. Die wachsen glücklicherweise zahlreich am Bezirksrand.

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Bild: 18,5 Kilometer, ein ganz ordentliches Stück, aber sehr empfehlenswert

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Bild: Irgendwo in Währing

Nach Schladming – mit dem Zug

Dunkle Erinnerungen an Schulskikurse in den 1980ern. Selbst damals sind wir mit dem Bus gefahren, scheinbar aus guten Gründen.
Inzwischen hat sich enorm viel getan – die Autobahnen wurden gewaltig ausgebaut, da ist es nur verständlich, dass für den Ausbau der Bahnstrecken kein Geld mehr da ist. Deswegen quälen sich die Züge immer noch quietschend und langsam über den Semmering, gerade mal so schnell, dass man nicht daneben hergehen und Blumen pflücken kann.
Es soll ja irgendwann einmal einen Tunnel geben, vielleicht so einen, wie es schon seit vielen Jahren für die Autos gibt.
Egal – ich muss zu einem Kongress nach Schladming und wieder einmal fällt meine Wahl auf die Bahn. Mit etwas Bauchweh und üblen Vorahnungen, aber egal.

Los geht es um 08:25 vom Hauptbahnhof Wien. Der ist für mich einigermaßen stressfrei mit dem Bus und zwei U-Bahnen erreichbar. Das birgt zwar ein gewisses Risiko, weil vor allem die U-Bahnen hin und wieder eine Störung haben und das dann bedeutet, dass ich den Zug versäume, was ich echt gar nicht leiden kann.
Diesmal geht alles gut und ich erreiche den Zug rechtzeitig. Zudem bin ich noch echt froh, dass ich reserviert habe, denn er ist knackevoll. Wir reden hier nicht vom letzten besetzten Sitzplatz, sondern von mehreren Schulklassen, die an diesem Montag auf irgendwelche Landschulwochen fahren. Es handelt sich um klassische Halbwüchsige mit einem harten Kern von laut kreischenden, laut TikTok-Videos schauenden Mädchen.
Sie sind überall im Zug, verteilen sich irgendwie, hocken auf den Gängen, dazwischen jede Menge Gepäck, so ähnlich stelle ich mir die Atmosphäre in einem Zug zwischen Kalkutta und Mumbai vor. Lehrer:innen wuseln geschäftig durch den Zug und versuchen irgendwie irgendwen zusammenzuhalten oder irgendetwas zu bewegen.
Es geht dann doch nicht um 08:25 los, denn irgendwie funktioniert das nicht mit den vielen Schulklassen. Es gibt aber keinerlei Durchsage oder sonst irgendeine Info, nur den Kärtner Schaffner in Mitten seine Gesamtüberforderung, schwitzend und im Dauerversuch freundlich zu bleiben. Ja, er hofft, dass wir bald wegkommen. Nein, er kann mir nicht sagen ob ich meinen Anschlusszug versäumen werde.
Genau genommen brauche ich diese Info auch nicht, denn nach 15 Minuten Verspätung und der Gewissheit, dass Züge Verspätungen prinzipiell nicht aufholen, sondern meistens noch mehr Verspätung aufreissen (in diesem Fall gleich ein paar Minuten später in Meidling: noch einmal fünf Minuten drauf), ist mir ohnehin klar, dass ich meinen Anschlusszug in Leoben ganz sicher versäume.
Als dann irgendwann ein paar unverständliche Worte kratzend aus irgendeinem Lautsprecher kommen, fällt mir mein alter Freund Bacherl ein, der in gekonnter Analyse meinte, die Menschen können zwar selbstfahrende Roboterautos zum Mars schicken, schaffen es aber nicht funktionierende Lautsprecher für Zugdurchsagen zu bauen.

Zu allem Übel hat die Bahn scheinbar begonnen sich der Flugindustrie anzunähern, bemerkbar an einem Sitzabstand, der schon stark nach Economy im Billigflieger erinnert. Das ist besonders bitter, denn so verspielt die Bahn einen ihrer Vorteile gegenüber dem Flugzeug oder dem Reisebus: genügend Platz.
Zu viert gegenübersitzen, in der Mitte ein Tisch – geht nur im Zug. Ich fürchte, dieser Trend wird sich fortsetzen, denn die Bahn versucht zu sparen und das wunderbare Klimaticket hat eine Schattenseite: viel mehr Zugfahrende und in Folge überfüllte Züge, aus denen sogar Gäste mit Ticket wieder aussteigen müssen, weil sie keine Reservierung haben.
Die ÖBB konnte auf die Einführung des Klimatickets nur sehr eingeschränkt reagieren, sie dürften weder die notwendigen Zuggarnituren noch das notwendige Personal haben. Vielleicht gibt es auch andere Gründe, die ich aber nicht kenne. Jedenfalls waren sie davon überrascht wie die Schneeräumung im Dezember, wenn es schneit.

Wenn ich mich ärgere, wirkt der Sitz gleich noch enger, vielleicht auch wegen der dicken Dame, die neben mir sitzt und deren Tuchfühlung aufgrund der Beengtheit bei mir nur wenig Freude auslöst.
Wenigstens muss ich ab der Stadtgrenze keine Maske mehr aufhaben, die meisten Schüler:innen hatten in moralischer Lässigkeit auch in Wien schon keine mehr auf und der überforderte Schaffner hatte andere Sorgen, als sie darauf hinzuweisen.
In Wr. Neustadt war dann aufgrund von inzwischen 30 Verspätungsminuten klar, dass ich mir wohl eine andere Zugverbindung nach Schladming suchen müsste. Ohne reservierten Sitzplatz, versteht sich.
Dafür gab es keine Fahrkartenkontrolle, weder im Zug von Wien nach Leoben noch von Leoben nach Schladming.
Vielleicht fielen die Schaffner ja auch schon einem Kostensenkungsprogramm zum Opfer, wer weiß das schon.

Nach zwei Stunden bin ich endlich in Leoben und muss dort in die S8 umsteigen und eine Station nach St. Michael fahren. Von dort kann ich dann nach einer ca. 30-minütigen Pause den R 4476 nehmen, der mich nach Schladming bringt.
Also eigentlich nicht nur nach Schladming, sondern zu jedem Misthaufen zwischen St. Michael und Schladming. Der Regionalzug ist die langsamste Variante des Zugfahrens in Österreich, nur die Zahnradbahn auf den Schneeberg ist noch langsamer. Die hält dafür nicht so oft.

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BILD 1: Ein Gruß aus der Vergangenheit

Jedenfalls dauert es noch weitere zwei Stunden bis Schladming. Auch hier habe ich wieder Gruppen von Schülern im Zug, die ihre Energieüberschüsse abbauen müssen. Das geschieht in einer Lautstärke und Vehemenz, dass an so Tätigkeiten wie arbeiten oder ein Buch lesen nicht zu denken ist.
Hier verspielt die Bahn ihren zweiten Vorteil, vor allem gegenüber dem Auto. Natürlich kann ich erste Klasse buchen und es gibt zarte Versuche das Problem in den Griff zu bekommen, etwa durch lärmberuhigte Waggons, die aber nicht wirklich gut funktionieren, weil die Leute dann halt doch telefonieren und der Mitzi-Tant ihre Lebensgeschichte erzählen. Meistens zweimal, jedenfalls aber bis zum Zielbahnhof.
Im Auto kann ich Musik hören, kann mit anderen plaudern oder ganz alleine reisend meine Ruhe haben. Das ist zwar nett, aber im Zug kann ich die Zeit zum Arbeiten nützen, das geht im Auto nur, wenn ich einen Chauffeur habe.
Für mich war das in den letzten Jahrzehnten oft ein Grund das Auto zu nehmen, weil ich den Arbeitsmöglichkeitsvorteil nahezu nie realisieren konnte. Dass es ihn in der Theorie gibt, nützt mir nichts.
Ich hasse Autofahren, das elende Stehen im Stau, die ständige Konzentrationsnotwendigkeit aufgrund immer stärker werdenden Verkehrs, die Umweltkosten, die Kosten generell und noch vieles mehr.
Wenn die Bahn aber ihre strukturellen Vorteile nicht ausspielt, fahren die Menschen wieder mit dem Auto. So einfach ist das.
Mein Zug nach Schladming ist wenigstens nicht überfüllt und so gondle ich vorbei an kleinen Ortschaften durch die wunderschöne Steiermark. Hätte ich kein Nachmittagsprogramm, dann könnte ich das durchaus genießen.
So aber ärgere ich mich, weil die Gesamtverspätung von zwei Stunden meine Pläne doch ordentlich über den Haufen wirft.
Das Problem besteht darin, dass der Verspätungsnachteil noch zum generellen Zeitnachteil dazu addiert werden muss. Mit dem Auto steht man zwar auch oft im Stau und die Flugzeuge sind mindestens so oft und genauso brutal verspätet wie die Bahn, aber auch hier verspielt die Bahn wieder einen Vorteil, der sie auf gut ausgebauten Strecken durchaus attraktiv macht. Von Wien nach Innsbruck kann man in vier Stunden mit dem Railjet Express fahren, das ist konkurrenzlos und selbst mit dem schnellsten Auto nicht zu schaffen.
Aber das geht halt nur auf dieser einen Strecke in Österreich – und selbst da wäre noch einiges drin, denn im Deutschen Eck gibt es keinen Hochgeschwindigkeitsausbau und die letzten 50 Kilometer vor Salzburg auch nicht.

Aber noch sind wir nicht da und bummeln weiter durch das Ennstal. Plötzlich eine scharfe Bremsung, sehr ungewöhnlich.
Der Grund ist schnell ersichtlich: Der Lokführer hat die Station Niederöblarn übersehen und sich jetzt ordentlich eingequietscht, um nicht vollständig im Nirwana stehenzubleiben.
Das gelingt auch, die letzte Türe hinten im Zug ist auf Höhe der Bahnsteigs. Also kommt eine Durchsage, man möge doch bitte ganz hinten aussteigen.
Leider hat es die alte Dame mit dem großen Koffer nicht mehr geschafft. Ihr Pech, dass sie weit vorne im Zug war, sie muss wohl oder übel weiterfahren, bei der nächsten Station aussteigen und dann auf einen Zug warten, der sie wieder zurückbringt.
Vielleicht hat sie ja Glück und muss die ungewollte Fahrstrecke nicht extra bezahlen. Ich wünsche es ihr jedenfalls.

Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir in Schladming und ich hoffe, doch noch eine kleine Nachmittagsbergtour machen zu können – was auch gelingt.
Es ist traumhaft schön in Schladming und nach dem Kongress am nächsten Tag muss ich leider schon wieder nach Wien zurückfahren.
Ich hoffe daher, dass wenigstens die Rückfahrt problemlos abläuft.

Am Bahnhof angekommen muss ich feststellen, dass es dort irgendwie keine Anzeigetafel gibt, zumindest keine, die ich finde.
Also frage ich am Bahnsteig 2 eine junge Dame, ob ich hier richtig bin für den Zug nach Leoben (bzw. Graz, dort fährt er eigentlich hin).
Sie bejaht, meint aber, dass der Zug Verspätung hätte.

Geh bitte! Nicht schon wieder. Und ich hab wieder wenig Umstiegszeit in Leoben, also bleibt nur das Hoffen, dass das irgendwie noch geht.
Dann eine Durchsage: Leider hat der Zug aufgrund eines Gleisdefekts 15 Minuten Verspätung. 15 bis 20 Minuten, genauer gesagt.
Ich krame mein Handy raus und suche neue Verbindungen nach Wien. Es gibt tatsächlich eine Möglichkeit schneller nach Wien zu kommen als mit dem nächsten Zug der gleichen Verbindung, der fährt nämlich erst zwei Stunden später.
Wie ich die Warterei auf Bahnhofsbahnsteigen hasse!

Die Alternative ist die S8, die ich schon von gestern kenne, sie fährt von Leoben nach Bruck/Mur, dort kann ich dann in einen Railjet einsteigen, der mich nach Wien bringt.
Im Zug frage ich den Schaffner, ob und wie ich es machen könnte. Er meint, die Variante mit der S8 sei eh gut, aber er ist sich nicht sicher, wie wir in Selzthal wegkommen. Das ist ein Verschubbahnhof, bei dem unser Zug eine neue Lok an der anderen Seite bekommt. Und der Schaffner dürfte schon wissen, dass das nicht immer so einfach und vor allem nicht schnell geschieht.

So ist es dann auch, wir stehen schon eine gefühlte Ewigkeit herum, als irgendwo auf einem anderen Gleis langsam, sehr langsam eine einzelne Lok vorbeifährt.
Das ist natürlich unsere, und es dauert noch ein paar Minuten, bis wir weiterfahren können. Vielleicht tue ich der ÖBB Unrecht, aber sehr durchdacht erscheint mir das nicht. Der Schaffner ist wenigstens supernett und telefoniert extra mit der S8, damit die auf uns wartet.
Das tut sie auch, nur leider kommt sie dann in St. Michael (dort mussten wir umsteigen, nicht in Leoben, nur Gott und die ÖBB wissen warum) nicht weg. Wir verlieren zwar nur zwei Minuten, aber das sind letztlich genau die zwei Minuten, die uns den Anschlusszug doch nicht erreichen lassen. Er fährt uns buchstäblich vor der Nase davon.

Ich habe keine Lust mich noch mehr zu ärgern und versuche die nächste elende Warterei mit Wurstsemmelkauf zu verkürzen. Das Panorama von Bruck/Mur rund um den Bahnhof hebt meine Stimmung allerdings nicht merklich.

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BILD 2: Bruck an der Mur, in der Nähe des Bahnhofs

Nach einer Stunde geht endlich mein Railjet nach Wien. Es ist ein tschechischer, was aber keinen wirklich großen Unterschied macht, über den Semmering sind alle gleich langsam.
Der Zug ist wenigstens nicht überfüllt und die Leute sind leise, so dass ich etwas lesen kann.

In Summe waren es zwei Mal sechs Stunden, die ich für die Reise gebraucht habe. Plus den Ärger ergibt das eine durchwachsene Bilanz. Es ist letztlich mühsam und ich mache es nicht freiwillig und schon gar nicht gerne.
Was schade ist, denn da wäre viel mehr drin.

Griechenland 87 – ein Sommer wie von STS besungen

Es ist Sonntag Abend und ich sitze auf meiner Couch. Plötzlich summe ich „I still haven´t found what I´m looking for“ und habe große Lust, die Nummer sofort anzuhören.
Also marschiere ich zum CD-Regal und greife ganz nach unten, zur neunten CD, die ich je gekauft habe: U2 – The Joshua Tree. Ich bin begeistert, wie gut die Scheibe heute noch ist, irgendwie nicht tot gehört, zeitlos, vielleicht wirklich die beste CD, die U2 je gemacht hat.

Und dann kommen die Erinnerungen. An den Griechenland-Urlaub im Juli 87. Eine Geschichte nach der anderen fällt mir ein. Und es wird Zeit, sie wieder an die Oberfläche zu holen und aufzuschreiben – oder besser: einzutippen.
Leider gibt es von diesem Urlaub keine Fotos – zumindest keine, die ich zur Verfügung habe. Handys gab es damals noch nicht, Digitalkameras natürlich auch nicht und keiner von uns hatte einen Fotoapparat mit. So bleiben nur die Erinnerungsbilder im Kopf.

Eigentlich beginnt die Geschichte noch viel früher, nämlich im Sommer 1980, als mein Vater meine Geschwister und mich in seinen damals brandneuen Puch G einlud und wir alle nach Griechenland fuhren. Das Ziel war die Ostseite von Sithonia, dem mittleren Finger der Halbinsel Chalkidike.
Dort gibt es eine Küstenstraße und mein Vater wollte dort campen, wild und direkt am Meer. Eine Bucht gab es nicht und so schlugen wir die Zelte einfach irgendwo auf. Das war damals noch möglich und mehr oder weniger erlaubt.
Viele Jahre später, im Frühjahr 1986, fuhren wir wieder hin. Ich schon mit meinem ersten, eigenen Auto, 19 Jahre alt, frisch vom Bundesheer abgerüstet.
Wir zelteten damals in einem wilden Oleandertal, an das ich mich noch erinnern und glücklicherweise auch finden konnte. Es war der wahrscheinlich schönste Urlaub meines Lebens.

Ein Jahr später fuhr ich noch einmal hin, diesmal in einer anderen Konstellation. Mit dabei waren der Schmidl und der Georg. Ich weiß nicht mehr, warum wir uns gerade für diesen Urlaub entschieden. Georg war ein Jahr davor auch dabei und wahrscheinlich fiel uns auch einfach nichts besseres ein. Dort kannten wir uns wenigstens schon gut aus und so borgte ich mir einen alten, grünen Audi 100 aus, da mein eigenes Auto kurz davor aufgrund von Rost einfach mehr oder weniger zerfallen war.
Der Audi war in mittelprächtigem Zustand, hatte immerhin ca. 100 PS und somit das Doppelte von meinem alten Golf. Ich würde mit so einem Auto heute gar nirgends mehr hinfahren, aber damals war uns das egal. Springt die Kiste an? Ja. Rinnt irgendwo was aus? Nein. Passt.
Wir hatten sehr wenig Geld und viel Optimismus, wir waren unglaublich unbekümmert und packten einfach Campingequipment zusammen, wobei ich mir das meiste von meinem Vater ausborgen konnte.
Zwei Zelte, Schlafsäcke, Matten, ein wenig Geschirr und ein paar T-Shirts, sehr viel mehr brauchten wir nicht.

Was wir aber sehr wohl brauchten, waren Benzingutscheine, ohne die man in Jugoslawien keinen Sprit bekam oder nur viel teurer – so genau weiß ich das nicht mehr.
Wir fuhren einfach los und kamen auch gut über die Grenze nach Ungarn. Das war damals nicht so einfach wie heute, der Ostblock war noch stark und für Ungarn musste man einen „Adatlap“ ausfüllen, ein kompliziertes Formular. Aber das waren wir gewohnt.
Mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen nahmen wir es nicht so genau und so wurden wir in einer Ortschaft von der ungarischen Polizei aufgehalten. Weil wir durch Ungarn nur schnell durchfahren wollten, hatten wir keine Forint mit, nur jugoslawische Dinar und griechische Drachme und natürlich Schillinge.
Nach längeren Verhandlungen gaben uns die Ungarn zu verstehen, dass sie weder Drachme noch Dinar wollten und ließen uns einfach weiterfahren.

Ich weiß nicht mehr viel von der Fahrt, der Georg und ich wechselten uns ab, weil der Schmidl damals noch keinen Führerschein hatte – oder umgekehrt? Jedenfalls hielt der Audi durch und nach 20 Stunden durchgehender Fahrt kamen wir zu unserem Zeltplatz im Oleandertal. Aus heutiger Sicht war das der komplette Wahnsinn, denn wir waren natürlich komplett übermüdet – und Red Bull war noch nicht erfunden. Vor allem gab es in Jugoslawien noch keine Autobahn, erst wieder ab der griechischen Grenze in Gevgelija. Wir mussten die alte „Autobutt“ fahren – die damals gefährlichste Straße von überhaupt, die sogenannte „Gastarbeiterroute“, auf der im Sommer gefühlte Millionen uralter Ford Transits unterwegs waren, vollgestopft mit türkischen Familien am Weg nach Ostanatolien. Jedes Überholmanöver ein Hasardspiel.
Und dann die Fahrt durch Thessaloniki, eh schon hundemüde und damals gab es ja kein Internet, d.h. wir mussten nach Karte fahren und Tankstellenverzeichnis gab es auch keines, von Handys ganz zu schweigen.

Als wir im Oleandertal ankamen, war es fast wie im Vorjahr. Nur der wildromantische Bach war kleiner, aber wir fanden unseren alten Zeltplatz wieder.
Das war eine komplett andere Zeit, offiziell war es damals schon nicht erlaubt wild zu zelten, aber wir hatten im Jahr davor Jannis kennengelernt, einen alten Ziegenhirt, und dem waren wir sympathisch. Sein Sohn Christos war der zuständige Feuerpolizist und so bekamen wir eine inoffizielle Sondererlaubnis. Wir durften halt kein Feuer machen und mussten aufpassen, aber das war sowieso Ehrensache. Außerdem kam Jannis fast jeden Tag einmal mit seinen Ziegen vorbei.
Der einzige echte Unterschied zum Jahr zuvor war ein riesiger Sandhaufen, den ein Bagger neben unserem Platz aufgeschaufelt hatte. Das Tal war sonst menschenleer, wir waren die einzigen dort, alle paar Tage kamen zwei, drei verirrte Wanderer vorbei – wenn überhaupt. Wenn wir ins Dorf fuhren, ließen wir unsere Sachen einfach im Zelt. Es ist nie etwas weggekommen.

Es gab einen Weg in das Tal hinein, den man mit einem Auto befahren konnte, wenngleich es auch ziemlich holprig war. Am Ende des Weges war unser Zeltplatz. Von da ging ein schmaler Pfad weiter, den man nur mit einem Geländewagen befahren konnte, was mein Vater 1980 auch getan hatte. Es ging dort auch relativ steil die Hügel hinauf, bis auf den Berg Itamo. Es war alles von Feuerstraßen durchzogen, sonst aber so wild, wie nur möglich.

Ein paar hundert Meter oberhalb unseres Zeltplatzes gab es einen kleinen Teich, in dem man baden konnte. Hohe Pinien, das laute Zirpen der Zikaden, eine wilde Geruchsmischung aus zahllosen Kräutern und eben jede Menge blühender Oleander an den Flanken des Baches.

Leider gibt es dieses Tal in seiner alten Pracht nicht mehr, der Bach wurde einige Jahre später weiter oben in ein anderes Tal zu einem Hotelkomplex umgeleitet und das romantische Oleandertal ziemlich zerstört. Als ich das erfahren habe, hat es doch ziemlich weh getan. Mein Unverständnis für die blinde Zerstörung der Natur aus Profitgier machte mich damals schon wütend, vielleicht ist da in mir der Grüne gewachsen, der ich heute bin.

1987 war die Welt dort noch heil. Und wir waren Anfang unserer Zwanziger und wollten einen Sommer in Griechenland erleben, mit allem, was dazu gehört.
In den 1980ern waren das Disko, dunkelbraune Haut und Coolness. Und wir waren die coolsten, das war von vornherein klar. Und dass das im Dorf Sarti auch alle merken sollten, war noch viel klarer.
Also bauten wir zuerst einmal unsere Zelte auf, ich hatte mein kleines, grünes Marechal-Kuppelzelt (und habe es bis heute), Schmidl und Georg schliefen in einem anderen. Damals musste ich lernen, dass es eine große Rolle spielt, wo man sein Zelt aufbaut. Und zwar spätestens am nächsten Morgen, wenn die Sonne aufgeht und ein dunkelgrünes Zelt in einen Backofen verwandelt, vor allem in Griechenland im Juli. Der einzige, mehr oder weniger erwünschte Nebeneffekt besteht darin, dass man trotz ordentlichem Rausch am Vorabend verlässlich aufsteht, wenn die Sonne auf´s Zelt scheint, was in Griechenland im Juli verdammt früh der Fall ist.

Wir waren punkto Campingequipment hervorragend ausgestattet, vor allem Dank der Erfahrung aus dem Jahr davor. Außerdem brauchten wir nicht wirklich viel, das Gewand beschränkte sich auf T-Shirts, kurze Hosen und Espandrillos, am Abend vielleicht eine lange Hose und ein luftiges Hemd. Wir mussten auch nicht viel Essen kochen, da wir das Frühstück meistens verschliefen, zu Mittag zu faul zum Kochen waren und daher vor allem Früchte zu uns nahmen, vielleicht einmal eine Eierspeis oder ähnliches, Weißbrot mit Paradeiser und Gurken – alles, was schnell hergerichtet war und wofür wir keinen Kühlschrank brauchten, den hatten wir nämlich nicht dabei.
Es ist heute schwer vorstellbar, mit wie wenig Dingen wir auskamen und dabei genauso zufrieden waren wie heute mit einem Campingmobil um 100.000 Euro. Wir hatten den alten Audi und wenig Ansprüche.
Und wir hatten wenig konkrete Pläne für den Urlaub. Wir wollten die Schönheit der Wildnis von Sithonia genießen, eine Menge Gaudi haben, abends im Dorf abhängen und einfach eine nette Zeit erleben.

Da es ziemlich heiß war, wanderten oder fuhren wir unter Tags gerne nach vor zum Meer um zu baden oder machten einen kleinen Spaziergang zum kleinen See. Die schon erwähnte Bräunung spielte dabei eine große Rolle, sie war Teil der geplanten Coolness und letztlich dazu da, die Mädels zu beeindrucken, die wir ja hoffentlich kennenlernen würden.

Schon am ersten Abend fuhren wir die sieben Kilometer nach Sarti, um die Lage zu checken und unseren Hunger zu stillen. Es gab dort jede Menge Tavernen im Ort und am Strand, das Essen war sogar für unsere schmale Börse leistbar und von guter Qualität. Kalamari, Fisch, Moussaka, Spieße und natürlich den griechischen Salat. Nach dem Essen gab es eine Reihe Bars, um sich ein kühles Bier zu organisieren oder einen Cocktail. Und es gab eine Handvoll Diskos, die wir alle abklappern mussten.
Ich erinnere mich an die Lokale nur sehr dunkel, beim Bier hatten wir auf jeden Fall die Auswahl zwischen Amstel und Henninger und auch hier waren die Preise sehr moderat.

Heute wäre eines der größten Probleme, wie wir nach einem feuchtfröhlichen Abend nach Hause in unser Oleandertal kommen würden. Damals war das komplett egal, gefahren wurde in fast jedem Zustand, der noch irgendwie eine halbwegs brauchbare Überlebenschance auf der extrem kurvigen Küstenstraße erkennen ließ. Da der Schmiedl ja noch keinen Führerschein hatte, war meistens ich der Fahrer.
Aus heutiger Sicht war das ein Wahnsinn, reihte sich aber gut in den dort üblichen Wahnsinn junger, griechischer Männer ein, die in Shorts und Espandrillos und in jedem Fall ohne Helm mit schweren Maschinen herumbrausten. Zahlreiche Kreuze am Straßenrand machten damals schon deutlich, dass das nicht immer gut ging.
Die Sorglosigkeit dieses Urlaubs war uns damals selbst nicht bewusst, sie war einfach da und selbstverständlich. Es war Sommer, wir waren in Griechenland und das Leben war so wolkenlos wie der Himmel.

Ich kann mich noch gut an die Situation erinnern, als beim Essen neben uns eine kleine Gruppe aus Wien saß. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir sie kennenlernten, aber es war wenig später der Fall. Kathi mit ihrem Freund, Dagmar und XX – sie wohnten in einem Hotel im Ort, waren ebenfalls für 2-3 Wochen da und zu viert mit einem alten Mazda 323 hergefahren.
Wir wussten damals noch nicht, dass sich daraus eine nette Freundschaft ergeben würde, die über den Urlaub hinaus halten sollte. Wir trafen uns einfach am Abend und zogen gemeinsam durch´s Dorf.

Dieser Urlaub sollte auch ein paar der legendärsten Geschichten hervorbringen, die wir in unserer Jugend zusammenstecken konnten.
Die erste beginnt an einem der Morgen, an denen ich von der Hitze schon recht früh aus dem Zelt getrieben wurde. Da die anderen noch schliefen, beschloss ich ins Dorf zu fahren und einzukaufen. Mich überkam noch rechtzeitig der Gedanke, dass die Schlafmützen recht ang´fressen wären, wenn ich ihnen nichts mitbringen würde. Also weckte ich sie so sanft aus, wie mir das nur möglich war. Die Reaktion war ein böses Fauchen, wobei ich mich an den genauen Wortlaut nicht mehr erinnern konnte, irgendwas mit „Schleich di, lass uns schlafen“ wird schon dabei gewesen sein.
Also schlich ich mich und fuhr ins Dorf. Neben frischem Brot und Gemüse kaufte ich auch sogenannte „Yannis-Riegel“, das waren geschnittene, viereckige Stücke aus Nüssen und Honig oder Sesam und Honig.
Und natürlich kaltes Cola für die Jungs.

Als ich zurück kam, waren sie immer noch nicht wach, konnten aber eine Hand aus dem Zelt strecken und das kalte Cola hineinziehen.
Später saßen wir dann bei einem späten Frühstück, so gegen 13 Uhr muss das gewesen sein, und ich gab den beiden die Yannis-Riegel, die ich als absolute Köstlichkeit zu schätzen gelernt hatte.
Schmiedl unterlief allerdings genau jetzt ein folgenschwerer Fehler. Er dachte, dass die Riegel etwa in der Konsistenz eines Müsli-Riegels wären und biss herzhaft hinein.
In Wirklichkeit waren die Dinger steinhart und man musste sie vorsichtig abknabbern.
Dieser Unterschied war entscheidend für Schmidls oberen Schneidezahn, der spontan beschloss, den Besitzer zu wechseln und im Riegel stecken zu bleiben.
Es handelte sich nämlich um einen Stiftzahn, was wir vorher nicht wussten, und jetzt mit Erstaunen, gefolgt von brüllendem Gelächter zu Kenntnis nahmen. Das Gesicht von Schmidl habe ich heute noch vor mir, wir sind fast gestorben beim Anblick der Zahnlücke.
Schmidl hätte es auch durchaus gerne gesehen, wenn wir gestorben wären, er fand das nämlich ganz und gar nicht lustig. „Wof foll i jepft mochn, i fau auf wie a Volltrottel“ waren in etwa seine Worte. Wir lagen am Boden und wälzten uns im Staub.

Irgendwann hatten wir fertig gelacht und waren bereit, dem armen Schmidl zu helfen, dessen Disko-Coolness mit einer fetten Zahnlücke auf der Stelle gegen Null gehen würde.
Also musste ein Plan her, denn uns war klar, dass ein ständig ang´fressener Freund auch unserem Urlaub nicht gut tun würde. Die Option Zahnarzt gab es aus irgend einem Grund nicht, also mussten wir eine Möglichkeit finden, den Zahn irgendwie wieder in den Mund zu bekommen, konkret: hineinzukleben.
Wenig später saß ich im Audi und raste nach Sarti, um Superkleber oder etwas ähnliches zu kaufen. Dummerweise gab es nichts dergleichen, in keinem der greißlerartigen Geschäfte, und ich klapperte sie alle ab.
Also wieder zurück zum inzwischen ziemlich verzweifelten Schmidl, dem die Nachricht, dass ich ohne Erfolg zurückgekommen war, nicht eben zur Freude gereichte.
Und dann kam der legendäre Satz: „Ef Oaflächa, fiats mi sofoat noch Falloniki, i foa ham.“

Diese nicht sehr erfreuliche Aussicht brachte unsere Gehirnzellen zum Arbeiten, nachdem wir uns wieder eine Runde vor Lachen im Staub gewälzt hatten.
Dann kam mir der rettende Gedanke: Weil der Audi damals eine seltsame Konstruktion der Rückspiegelbefestigung hatte – er war auf die Windschutzscheibe geklebt – und ich wusste, dass er von Zeit zu Zeit runterzufallen pflegte, hatte ich aus Wien einen Zwei-Komponenten-Kleber mitgenommen.
Wir beschlossen, damit dem Schmidl den Zahn wieder in die Pappn zu kleben. Das Hauptproblem bestand darin, eine ruhige Hand zustande zu bringen, was vor lauter Lachen eine ordentliche Herausforderung darstellte. Georg und ich konnten uns nur schwer beruhigen, vor allem, weil der Kleber 30 Minuten Trocknungszeit verlangte. Und der Zahn in dieser Zeit nicht bewegt werden durfte.
Ich weiß nicht mehr ganz genau, wie wir das geschafft haben. Ich weiß nur, dass Georg dem Schmidl währenddessen mit einem Strohalm Wasser auf der Seite des Mundes einflößte.
Irgendwann war der Kleber trocken und Schmidl konnte wieder lachen. Als er zwei Wochen später in Wien zum Zahnarzt ging, rüttelte der nur am Zahn und meinte, dass er in drin lassen würde. Er hielt noch weitere zwei Jahre, wenn ich mich richtig erinnere.

Also alles wieder gut. Dass wir das am Abend in Sarti ordentlich feiern und begießen müssen, war klar. Und irgendwie war auch klar, dass die Geschichte mit dem Zahn nicht das einzige Erlebnis bleiben sollte.
An einem der nächsten Abende lernten wir in der Disco ein paar Griechinnen kennen, die sich als der weibliche Teil der griechischen Rudernationalmannschaft herausstellten. Was sich in dieser Nacht genau abspielte, kann ich bei bestem Willen nicht mehr rekonstruieren, ich weiß nur noch, dass wir am nächsten Tag am Strand aufwachten, und zwar im Audi. Es stellte sich heraus, dass wir irgendwann von der Disko noch zum Meer gefahren sein mussten und dort mit dem Audi uns im Sand eingegraben hatten. Scheinbar konnten wir ihn nicht mehr frei machen und sind einfach eingeschlafen, mit offenen Türen, irgendwie auf den Sitzen liegend, mit Verrenkungen, die ich mir heute ebenfalls nicht mehr vorstellen kann. Die Griechinnen waren weg, dafür waren jede Menge Badegäste rund um uns herum, die uns alle ziemlich erheitert bewunderten. Zumindest hoffe ich, dass sie uns bewunderten, ich verstehe kein Griechisch.
Gemeinsam mit ein paar jungen Griechen schoben wir die Kiste aus dem Sand und fuhren nach Hause, mit einem ordentlichen Brand und großem Schädel.

So und so ähnlich verliefen die Nächte, an den Tagen ruhten wir uns aus, mehr oder weniger war es das. Wer heute die Partylaune junger Menschen kritisiert, sollte an die eigene Jugend zurück denken, wir jedenfalls hatten außer Strand, Disko, Saufen und Mädchen genau nichts im Kopf. Die Erinnerungen bestehen aus Fragmenten, etwa aus dem Tanzwettbewerb in der Disko, der wahrscheinlich an einem Samstag Abend stattgefunden hat und an dem wir natürlich teilnahmen. Die Musik durfte man sich aussuchen und wir wählten „Real wild child“ von Iggy Pop. Dazu tanzten wir eine Mischung aus Pogo und Ska, genau genommen irgendetwas, bei dem wir wie wild auf der Tanzfläche herumhüpften, die Beine in die Höhe rissen und uns gegenseitig anrempelten. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Anwesenden das gar nicht so lustig fanden, wir waren von uns jedenfalls begeistert und hatten riesigen Spaß.

Irgendwann, genauer nach drei Wochen, war der Urlaub zu Ende und wir packten unser Klumpert für die Heimreise. Unser Bach war merklich geschrumpft und wir hatten auch nicht vor gehabt länger zu bleiben. Jedenfalls stand uns eine lange Heimreise bevor, die glücklicherweise ohne größere Zwischenfälle verlief. Also bis auf einen, an den ich mich gut erinnern kann. Eigentlich zwei, aber der zweite war bereits daheim.
Wir fuhren irgendwo durch Jugoslawien, ich war hundemüde und wir mussten tanken. Dazu muss ich anmerken, dass das ganz anders war als heute. Um bei der Tankstelle Benzin zu bekommen, brauchte man Tankgutscheine – zumindest war das Benzin damit wesentlich billiger. Ich hatte sie in Wien besorgt und sorgsam gehütet, weil wir sie bei der Rückfahrt brauchten.
Georg wurde zahlen geschickt, kam zurück und wir fuhren weiter. Irgendwann, wahrscheinlich bei der nächsten Pinkelpause machte ich einen Blick in unsere Reisebörse und war leicht geschockt – die Benzingutscheine waren weg, alle oder fast alle, glaube ein oder zwei waren noch da.
Georg wurde zur Rede gestellt und erklärte, dass er nicht genau gewusste hätte wie viel wir zu zahlen hätten und so hätte er dem Tankwart einfach alle Gutscheine in die Hand gedrückt, auf dass dieser sich nehmen sollte, was es eben ausmacht.
Und das tat dieser auch, nicht zu knapp.

Nach einer gefühlten Ewigkeit waren wir dann in Wien, die Rückfahrt hatte 20 Stunden gedauert, ohne nennenswerte Pausen. Ich stellte den Audi daheim ab, schnappte mir meinen kleinen Reiserucksack mit den Wertsachen und ging hundemüde ins Bett. Der verdiente Schlaf dauerte aber nicht lange, denn meine Großmutter rief an, um mir mitzuteilen, dass die Feuerwehr bei unserem Audi stehen würde. Dazu muss man wissen, dass ich damals im 17. Bezirk wohnte und der Weg zur Straße, in der der Audi stand, den halben Schafberg hinunter führt. Es stellte sich heraus, dass ein Benzinschlauch gerissen und der Tankinhalt auf die Straße geflossen war. Die Feuerwehr hatte bereits alles abgesichert und den ausgelaufenen Sprit gebunden und ich wusste, dass das jetzt ganz zum Schluss noch ein wirklich großes Loch in die Reisekasse reissen würde.
Immerhin konnte ich jetzt schlafen gehen.

Emmylou Harris in Gstaad

Es muss irgendwann ca. 2008 gewesen sein, ich war zu Gast bei meinem lieben Freund Rudi in Klagenfurt und er meinte, ich soll mir unbedingt Gram Parsons anhören. Gram wer? Nie gehört.
Ich muss zugeben, das war ziemlich lässig. Liegt vielleicht daran, dass mich Rudi lange und gut kennt. Einige Nummern später war die Bestellung einiger CDs quasi schon abgeschickt.

Gram Parsons war ein Star der US-Country Szene und starb 1973 im Alter von 27 – so wie fast alle Musikerinnen und Musiker, die ihren 30er nicht erleben.
Irgendwann blieb ich bei einer seiner Nummern hängen, genauer gesagt bei „We´ll sweep out the ashes in the morning“, und zwar bei einer Strophe, die von einer Frau gesungen wurde. Die Stimme fesselte mich und ich wurde neugierig, wer das wohl sei.
Die Recherche ergab: eine gewisse Emmylou Harris.
Nie gehört. Also googeln.
Und dann ging es dahin, wie auf einer Wasserrutsche hinein in die Welt einer Sängerin, die 14-fache Grammygewinnerin ist, in der Country Music Hall Of Fame und noch einiges mehr.
Je mehr ich von ihr hörte, je mehr YouTube-Videos ich genoss, desto interessanter wurde sie. Eine Frau, die seit mehr als fünfzig Jahren auf der Bühne steht, in Würde ergraut, und scheinbar immer noch Spaß an der Musik hat.
Mit der Zeit verstand ich auch, warum Willie Nelson gemeint hat: „There’s only two kinds of men in the world, those that are in love with Emmylou and those who have never met her.“

Und dann war sie es, die mir lange Abende im ersten Corona-Lockdown kurz vorkommen ließ.
Der entscheidende Moment war jedoch im Frühsommer 2021, als ich irgendwo las, dass sie nach Europa kommen würde, und zwar zum Country Music Festival nach Gstaad, genauer gesagt für zwei Abende, 10. und 11. September.

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Bild: Konzert-Plakat

Als mir dann dämmerte, dass Gstaad nicht gerade ums Eck ist, war eine Entscheidung schwer. Noch dazu war ich bei vielen Aufnahmen der letzten zwanzig Jahre von ihrer Stimme eigentlich enttäuscht. Sie hat viel Kraft verloren, sie singt die Texte schlampig und verschluckt halbe Worte.
Würde ich eine herbe Enttäuschung erleben, verbunden mit ziemlich viel Aufwand?
Also beschloss ich die Entscheidung aufzuschieben.

Am 21. August beschloss ich dann hinzufliegen. Wie oft würde ich noch die Gelegenheit haben, sie live zu sehen? Wie oft würde ich mir in Zukunft eingestehen müssen, dass ich aus Bequemlichkeit die Chance verpasst habe, sie einmal in meinem Leben zu treffen – wenn auch nur als Unbekannter in der Menge?
Billig wird das nicht, andererseits: Ich hatte heuer noch keinen Urlaub und auch meine Österreichtour mit der Elektrovespa musste ich am zweiten Tag abbrechen. Das Geld war also da, blieb noch die Frage, ob ich die notwendigen Tickets bekommen würde. Nach Gstaad in der Westschweiz ist es eine halbe Weltreise, dann noch die Übernachtung, das Konzertticket und einiges mehr.
Zwei Wochen vor dem Konzert sagt noch Rodney Crowell (war in Emmylous bester Band aller Zeiten, der „Hot Band“) ab und mir kommen Zweifel, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Corona kann dem Festival in letzter Sekunde einen Strich durch die Rechnung machen, oder Emmylou sagt ab und das Ganze wird für mich wertlos.
Egal – no risk, no fun. Ich buche einen Flug, der mit 178 Euro deutlich billiger als eine Zugfahrt ist und noch dazu direkt geht, wenn auch zu der sportlichen Abflugzeit 07:35 Uhr.
Dann brauche ich noch zwei Zugtickets, denn eine Busverbindung lässt sich irgendwie nicht eruieren und das Taxi ist viel zu teuer.
Der Zug ist allerdings auch nicht gerade billig, hin und zurück macht das 106 Euro, und zwar vom Flughafen in Genf nach Montreux und von dort mit einem zweiten Zug nach Gstaad.
Das Konzertticket kostet 125 Euro und das billigste Hotel, das ich zu diesem Zeitpunkt noch buchen konnte, schlägt mit 130 Euro an.
Das müssten die größten Brocken sein, es kommt noch was fürs Essen dazu und ev. ein paar kleinere Ausgaben.
Das Hotel ist übrigens nicht in Gstaad, weil dort wären nur noch Zimmer in Luxushotels frei gewesen, so ab 800 Euro aufwärts, pro Nacht und nicht unbedingt mit Frühstück.
Ich wohne in Saanen, dem Nachbarort, der binnen einer guten halben Stunde auch zu Fuß erreichbar ist. Mein Hotel, der „Saanerhof“ liegt direkt an der Bahnstation und das Frühstück ist im Preis inkludiert.

Die letzten zwei Wochen verbringe ich in einer Mischung aus Vorfreude und ein wenig Bauchweh.
Dann allerdings ist es Samstag, sechs Uhr früh und ich fahre mit dem Roller zum Flughafen. Hier ist schon die erste Hürde zu überwinden: Vor einigen Jahren gab es einen eigenen Motorradparkplatz, den man gratis benützen konnte. Er war überdacht und man konnte von dort direkt in die Abflughalle gehen.
Gibt es den noch? Am Flughafen wird seit Jahren massiv um- und ausgebaut und gratis gibt es dort eigentlich gar nichts, schon gar keine Parkplätze.
Ich bin allerdings hocherfreut, als ich feststelle, dass es diese Enklave in einer durchkapitalisierten Welt noch gibt. (Für alle, die das auch einmal machen wollen: Man fährt an der Abflugrampe vorbei und biegt direkt dahinter scharf rechts ab, fährt unter der Rampe durch und hat sofort auf der rechten Seite den überdachten Abstellplatz.)

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Bild: Gratis-Parkplatz am Flughafen Schwechat

Ich gebe Helm, Jacke, Handschuhe und Nierengurt in den Koffer, nehme meinen Rucksack heraus und wandere zu meinem Gate.
Dass ich schon lange nicht in der Schweiz war kann ich daran erkennen, dass der Schengen-Beitritt spurlos an mir vorübergegangen ist. Also marschiere ich nach der Sicherheitskontrolle (gefährliche Deos, terroristische Nagelscheren) ohne jedwede weitere Kontrolle (Covid, Pass) zum Gate und warte auf den Abflug.
Ein erster Vorgeschmack auf die Schweiz zeigt sich in Form von Abflugpünktlichkeit, die ich seit Jahren nicht mehr gewohnt bin. Alle, ausnahmslos alle Abflüge der letzten Jahre waren verspätet.
Der Flug ist halbvoll, dauert eine Stunde und zwanzig Minuten und das Wasser an Bord kostet 3,50 Euro, kann aber gerne mit Kreditkarte bezahlt werden, wahrscheinlich nehmen sie sogar Bitcoins.

Kurz vor der Landung taucht die Sonne den Genfer See in goldenes Licht und ich bin schon gespannt, wie die Preise in der Schweiz sich entwickelt haben. Das mehrfach angekündigte Einreiseformular verlangt niemand und ich marschiere mit meinem kleinen Rucksack schnurstracks hinaus und Richtung Bahnhof, der in wenigen Minuten erreichbar ist. An einem Geldautomaten hole ich mir Schweizer Franken, was ebenso problemlos funktioniert. Die kleine Wasserflasche kostet 4 Euro und ich erreiche den Zug um 09:19, der ebenfalls pünktlich abfährt.
Ich sitze in einem Doppelstockzug, der extrem leise und sehr flott unterwegs ist. Vom Flughafen nach Genf fährt er in weniger als zehn Minuten, dann geht es weiter über Lausanne nach Montreux, was in Summe knapp 1,5 Stunden dauert.
Ich muss mich erkundigen, welche Weinsorten hier an den Hängen des Genfer Sees wachsen, jedenfalls müssen es unglaubliche Mengen sein, die hier produziert werden, ich fahre fast die ganze Strecke an Weingärten vorbei. Es steht hier quasi an jeder freien Ecke ein Weinstock, das Klima dürfte günstig sein.

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Bild: Wein wohin man schaut

Bis auf zwei Deutsche reden im Zug fast alle Passagiere Französisch, viele auch eine Sprache, die ich nicht verstehe, die irgendwie portugiesisch klingt.

In Montreux steige ich um und fahre nach wenigen Minuten mit dem zweiten Zug Richtung Gstaad. Es ist eine Schmalspur-Panoramabahn und die Teleobjektive der asiatischen Touristen haben in den letzten Jahren nichts an Größe eingebüßt.
Kurz nach dem Bahnhof schraubt sich der Zug steil in die Höhe, hier ist überhaupt alles sehr eng und sehr steil. Am Berghang stehen überall Schlösschen herum, alles wirkt sehr sauber und ordentlich, wie man es klischeemäßig in der Schweiz erwartet.

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Bild: Blick von oben auf Montreux am Genfer See

W-Lan gibt es im Zug keines, dafür hält er auf Wunsch an winzigen Bahnhöfen, wo er von Zeit zu Zeit ein paar Minuten warten muss, bis der Zug aus der Gegenrichtung vorbeifährt, die Strecke ist nämlich eingleisig.
Die Gegend ist nett, sieht aber auch nicht viel anders aus als bei uns in den Alpen.

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Bild: Landschaft zieht am Zug vorbei

Nach knapp 1,5 Stunden erreichen wir Saanen und ich gehe die wenigen Meter zum Hotel.

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Bild: Saanerhof

Dort erfahre ich vom ziemlich gestressten Manager, dass ich mein Zimmer leider erst gegen 16 oder 17 Uhr beziehen kann, die Festivalgäste von gestern sind heute erst ausgezogen und das Herrichten der Zimmer würde etwas dauern. Ich könnte mein Gepäck allerdings gerne schon im Zimmer abstellen.
Es ist Mittagszeit und ich hatte heute noch keinen Bissen zu Essen. Also beschließe ich einen kleinen Rundgang durch den Ort, um nach einem passenden Wirtshaus Ausschau zu halten. Nach dem Essen wäre dann ein längerer Spaziergang angesagt, für den ich vom Wirt noch schnell einen Tipp erhalten habe: Entlang des kleinen Flusses in Richtung Rougemont wäre es sehr nett.

Saanen ist ein rein touristischer Ort, den es mit ziemlicher Sicherheit irgendwo in China noch einmal gibt. Alles wirkt wie frisch geschleckt, die Häuser sind hier in der Gegend alle im gleichen Stil gebaut, mit Holzfront und Balkonen mit Blumenkisten und die Erdgeschosse sind fest in der Hand von Nobelboutiquen. Der Ortskern ist eine Fußgängerzone, die Schar der Touristinnen und Touristen hält sich allerdings in Grenzen, alles wirkt ruhig und beschaulich.

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Bild: Ortskern von Saanen

Als alter American-Football-Fan bin ich beim Anblick eines Geschäfts hängengeblieben. (Für Nicht-Fans: Der Quarterback der Pittsburg Steelers Ben Roethlisberger hat Vorfahren in der Schweiz. Möglicherweise auch von hier.)

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Bild: Röthlisberger

Punkto Essen geht man hier mit der Mode, es gibt fast ausschließlich Burger und Pizza, eventuell noch was Asiatisches.
Ich will das nicht. Wenn ich in ein Land komme, dann möchte ich landestypisch essen und Burger hängen mir sowieso schon zum Hals raus, die gibt es bei uns auch seit einigen Jahren an jeder Ecke.
In einem Gasthof bekomme ich Rösti mit Spiegelei und Käse, immerhin. Die Kellner:innen sind ausschließlich aus dem ehemaligen Ostblock, also auch alles wie bei uns. Bis das Essen kommt dauert es, die Schweiz bemüht sich hier dem eigenen Klischee gerecht zu werden, aber ich habe es ja nicht eilig.
Die Rösti ist okay, sehr sättigend und ohne jeglichen Pfiff, auch Pfeffer kann da nicht viel retten.

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Bild: Rösti

Um der schnell aufsteigenden Müdigkeit zu entkommen, mache ich mich auf den Weg zu der empfohlenen Wanderung, die mich zuerst ein gutes Stück am Flughafen vorbeiführt. Hin und wieder landet ein Sportflugzeug und bringt gut betuchte Gäste. Auch hier auf dem kleinen Waldweg ist alles sauber und ich sehe das erste Mal in meinem Leben Mistkübel mit einem eigenen Dach.

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Bild: Mistkübel mit Dach

Hin und wieder zieht ein Mountainbiker vorbei und ich treffe einen älteren Herrn – freundlich, mit dezentem Schnurrbart, so stelle ich mir einen Schweizer vor. Kurz vor Rougemont drehe ich um und bin erfreut, dass mein Zimmer jetzt um 16 Uhr doch schon beziehbar ist. Nach einer Dusche und einer Stunde des Ausruhens mache ich mich auf den Weg nach Gstaad, der Zug fährt wie erwartet pünktlich und die Fahrt dauert nur etwa fünf Minuten.
Gstaad selbst ist das, was man einen Nobelort nennt. Boutiquen aller Luxusmarken, hohe Ferraridichte und eine Art Schloss, das über dem Ort thront.

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Bild: Gstaad

Auch das gibt es mit Sicherheit irgendwo in China noch einmal, vielleicht ohne das Country-Festival, aber selbst da bin ich mir nicht sicher.
Das Festival findet in einer Halle plus angeschlossenem Zelt plus Freigelände statt. Es sieht aus wie auf einem Jahrmarkt, mit Fahrgeschäften, Zuckerwatte und einem elektrischen Bullen, der von Kindern gezähmt werden will.
Das Publikum ist bunt gemischt, das Alter eher Richtung Pension gehend, aber auch ganz kleine Knirpse sind unterwegs, wenn auch eher bei den Attraktionen im Freien.

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Bild: Freigelände

Es gibt eine strenge Ausweis- und Coronanachweispflicht, im Gelände bewegen sich die Menschen jedoch ohne Maske – das wird in ein paar Tagen spannend. (gleich vorweg: Ich habe mich drei Tage später testen lassen und war glücklicherweise negativ. In den Medien gab es auch keinerlei Vorfallsmeldungen.) Interessanterweise gibt es keinerlei Taschenkontrolle, ich habe meinen Rucksack dabei und hätte mir jede Menge Getränke mitnehmen können. So habe ich nur eine kleine Flasche Wasser dabei. Scheinbar gibt es keinerlei Angst vor einem Terroranschlag.
Alles ist nach Möglichkeit amerikanisiert worden, sogar die Künstler:innen werden mit Jeeps abgeholt, es gibt an jeder Ecke Burger und anderes Junkfood plus jede Menge Verkaufsstände für Cowboystiefel, Fransenjacken, Cowboyhüte und ähnliche Dinge, die in der Schweiz eher wie eine Verkleidung wirken.
Als ich in das Musikzelt komme, spielt bereits Jade Eagelson, ein junger kanadischer Country-Sänger, der für Rodney Crowell eingesprungen ist. Seine Musik klingt gefällig, aber ohne irgendwie was Besonderes. Nice to hear.
Das Zelt ist groß und bietet ca. 2.500 Sitzplätze, von denen geschätzt 75% belegt sind, wobei ein ständiges Kommen und Gehen herrscht.
Bier wird hier in eher geringen Mengen getrunken, es gibt 0,3-Liter-Becher, die 5,50 CHF kosten und Flaschen mit alkoholfreiem Bier um das gleiche Geld, das eindeutig mehr konsumiert wird als das alkoholische Bier.
Die Stimmung ist friedlich, viele Schweizerinnen und Schweizer sind da, natürlich Leute aus USA, viele Deutsche, Italiener und dann noch jede Menge Leute von überall aus der Welt. Der Ansager redet in moderatem Schwitzerdütsch und Englisch.

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Bild: Die Halle

Irgendwie wirkt die Country-Kulisse für mich ähnlich wie die Gstaad-Kulisse. Nahezu niemand hier ist Cowboy oder Holzfäller, aber viele bemühen sich so auszusehen. Es wirkt oft nicht echt, ganz im Gegensatz zur Musik, die sehr echt ist. Nach Jade Eagleson kommt Philipp Fankhauser, ein Ur-Schweizer, aber mit gewaltiger Stimme, guter Profi-Band und gutem Schmäh.
Der dritte Act ist Aaron Watson – der Cowboy unter den Cowboys. Er lebt tatsächlich in Texas und sieht auch so aus. Seine Musik ist typisch Country, seine Sprüche aber durchaus witzig. Er erzählt, dass er mit einem Hangover von gestern (ich war ja am zweiten Abend dort) heute auf einen Gletscher gebracht wurde und dass er so etwas noch nie gesehen hätte. Es wäre sein erstes Mal in der Schweiz und er sei sehr erstaunt und beeindruckt, dass die Landschaft hier hinter jeder Ecke aussieht wie ein Gemälde. Und dass Pflanzen, die sie in Texas mit enorm viel Mühe und mäßigem Erfolg züchten, hier einfach überall auf Felsen wachsen.
Am meisten aber hat ihn das Unkraut beeindruckt: „Bei uns hat das große Dornen, hier hat es Erdbeeren und Heidelbeeren“ meinte er.

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Bild: Aaron Watson

Ich habe mir meinen Platz vier Reihen vor meinem eigentlichen Sitz gesucht, dort ist alles rundherum frei, was nicht nur Covid-mäßig angenehm ist, sondern auch was die Sicht betrifft.
Der Ton ist extrem laut, auch als mit ein wenig Verspätung Emmylou auftritt. Es gilt den ganzen Abend schon die Regel, dass die Leute bei der ersten Nummer nach vorne kommen und ein Foto machen dürfen. Ab der zweiten Nummer werden sie von den Securities weggescheucht.
Bei Emmylou funktioniert das aber nicht gut und es dauert bis zur dritten Nummer, bis vorne alles geräumt ist.
Auf dem ganzen Festival geht es aber extrem friedlich zu, die Taschenkontrollen sind tatsächlich nicht notwendig, es gibt keine Betrunkenen und keine Randalierer, alles läuft sehr gesittet ab.

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Bild: Emmylou

Emmylou ist wunderbar, ihre Stimme kräftig wie schon seit zwanzig Jahren nicht mehr und ich merke ihr an, dass sie immer noch echte Freude am Spielen hat. Die Frau ist 74 und rockt die Bude ordentlich. Sie spielt eine gute Mischung aus alten und neueren Nummern, von schwungvollem Country bis zu langsamen Balladen ist alles dabei, die letzte Zugabe ist „From Boulder To Birmingham“ und ich bin begeistert, weil ich das nicht erwartet hatte.

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Bild: Emmylou

Als das Konzert aus ist, beschließe ich zum Hotel zurückzugehen. Es gibt zwar in der Halle noch eine Party, aber ich habe eigentlich den ganzen Abend komplett alleine zugebracht, das Festival wirkte auf mich nicht so, dass ich Anschluss hätte finden können. Die meisten Leute waren in Form von Pärchen oder kleinen Gruppen da und mehr als ein paar belanglose Worte waren nicht drin, als ich mich zu ein paar Leuten an einen Tisch setzte, um mein Bier zu genießen.
Außerdem war es schon kurz vor ein Uhr in der Früh und ich hatte noch eine halbe Stunde Fußweg vor mir, von Gstaad nach Saanen. Ich hätte zwar das Geld für ein Taxi, aber ich wollte sowieso ein wenig Luft schnappen und runterkommen. Der Weg war nicht schwer zu finden, er führt immer am Fluß entlang, zum Großteil jedoch unter Bäumen und so war es ausgesprochen dunkel. Das Licht am Handy ist jedoch mehr als ausreichend und ich hatte auch noch genügend Akku.
Irgendwann treffe ich dann auf ein Pärchen, das ebenfalls in die gleiche Richtung unterwegs ist und kein Licht hat. Wir gehen gemeinsam bis zu dem Campingplatz in Saanen, wo sie ihr Wohnmobil stehen haben. Es ist das einzige echte Gespräch an diesem Abend für mich und sehr nett.
Dann bin ich im Hotel und rechtschaffen müde.

Am nächsten Morgen freue ich mich schon auf ein ausgiebiges Frühstück, werde aber leider enttäuscht. Die Kellnerin ist entweder komplett demotiviert oder überfordert, das Buffet ist fast leer. Ich urgiere Butter und Marmelade und bekomme ein langes Gesicht, als sie den Kaffee bringt (ich vertrage keinen Filterkaffee). Auf meine Frage nach einem weichen Ei kommt ein schroffes „Nein“ und bis auf ein wenig Müsli und ein paar Scheiben Käse, die nicht sehr appetitlich aussehen, gibt es mehr oder weniger nichts. Nur das Croissant ist gut, ansonsten kann ich das Hotel für Frühstückfans nicht empfehlen.
Ich bin ordentlich ausgeschlafen und beschließe, den Zug um 10:39 nach Montreux zu nehmen und mir diese Stadt anzusehen. Zeit habe ich genug und hier hält mich auch nichts mehr.
Die Fahrt verläuft unspektakulär und ich begebe mich in Montreux zur Uferpromenade, weil mir der Zimmerwirt in Saanen empfohlen hat zum Chateau zu wandern, das sei besonders schön.

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Bild: Promenade mit Palmen

Glücklicherweise gibt es ein Häuschen mit einer Touristeninformation und ich hole mir ein paar Infos und einen Stadtplan. Der Weg ist mit 40 Minuten angegeben und ich beschließe, eher dahinzuschlendern, schließlich habe ich es nicht eilig, jede halbe Stunde fährt ein schneller Zug nach Genf, ich habe also die Wahl, wann ich weiterfahren möchte.
Es sind ziemlich viele Leute unterwegs, es ist sehr warm und ich marschiere im T-Shirt los. Die Promenade ist angenehm zum Gehen, Montreux hat einen alten Stadtkern mit jeder Menge schöner Gründerzeithäusern und Villen, die sich die steile Bergflanke hinaufziehen. Da ist seit langer Zeit das Geld daheim – so der Eindruck.
Die Moderne hat aber auch an den Grenzen der Schweiz nicht Halt gemacht und so verschandelt eine Autobahn die eigentlich wunderbare Bergkulisse.

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Bild: Autobahn

Und es gibt eine Nestlé-Straße, mit passendem Schild am Rasen daneben.

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Bild: Die Nestlé-Straße in Montreux

Als ich dann aber an mehreren großen, alten Hotelkästen vorbeikomme, die zum Teil leer stehen, ändert sich der Gesamteindruck. Auch in der reichen Schweiz ändert sich scheinbar einiges, Montreux dürfte seine besten Zeiten vielleicht schon hinter sich haben.

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Bild: Das Grand Hotel

Alt und Neu treffen sich hier so wie Arm und Reich. Und es gibt einen Raddampfer, der natürlich nicht mehr mit Dampf betrieben wird, mich aber sehr an die „Gisela“ am Traunsee erinnert.

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Bild: Raddampfer

Ich bin körperlich heute nicht ganz auf der Höhe, vielleicht ist es auch die Sonne, jedenfalls fühle ich mich nicht sehr fit und beschließe, bei dem Chateau eine kleine Pause zu machen. Die ins Wasser gebaute Burg ist ein düsterer Kasten, für dessen Besichtigung sie 13 Franken Eintritt verlangen, was mich nicht wirklich reizt.

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Bild: Chateau de Chillon

Ich marschiere zurück und finde ein nettes Bankerl, um eine meiner Wasserflaschen zu leeren. Ein Vogel (Spatz oder was ähnliches) pickt Kerne aus dem Baum neben mir und ich kann ein wenig entspannen.
Dann geht es weiter, ich beschließe mir bei McDonalds eine Kleinigkeit zu kaufen, erstens um zu sehen, wie der hier ist und zweitens, weil ich glaube, dass es hier W-Lan gibt.
Fazit: Schmecken tut das Zeug wie bei uns, die Preise sind genau das Doppelte und W-Lan gibt es nur, wenn man eine Schweizer Telefonnummer hat.
Ich marschiere zum Info-Haus zurück, wo es tatsächlich W-Lan gibt.
Nach einiger Zeit gehe ich zum Bahnhof und fahre mit dem nächsten Zug nach Genf, um dort auch noch ein wenig die Zeit totzuschlagen. Eigentlich wäre mir ein früherer Rückflug durchaus recht, den gibt es aber nicht und so werde ich noch warten müssen.
Ich war vor langer Zeit einmal in Genf, bei einem Frisbee-Tournier, und kann mich an die Stadt nicht mehr erinnern.
Die Häuser sehen aus wie in Montreux und vom Bahnhof zum See sind es nur ein paar Meter.

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Bild: Park am See

Die Promenade dort ist wesentlich ausladender als in Montreux und ich suche ein nettes Plätzchen zum Ausruhen, irgendwie bin ich ziemlich geschlaucht.
Ich finde es unter einer großen Birke, ein schattiges Stückchen Wiese, auf dem ich mich ein wenig hinlegen kann.

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Bild: Die Birke am Genfer See

Die Atmosphäre ist friedlich, irgendwo daneben hockt eine kleine Gruppe, Kinder spielen und das Wetter ist sehr angenehm. Das Einzige, was mein Glück trübt, ist eine Taube, die im Baum genau über mir sitzt. Ich hatte schon vor vielen Jahren ein wenig angenehmes Erlebnis dieser Art und hoffe, dass sie nicht runterschwatzt.
Natürlich tut sie das irgendwann, glücklicherweise verfehlt mich aber der Batzen Glück. Ich hole mein Handy heraus, höre ein paar alten Nummern von Emmylou und genieße die freundlich-angenehme Szenerie, wenngleich im Hintergrund dreispurig die Autos vorbeifahren.

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Bild: Der Genfer See

Irgendwann hält es mich dann nicht mehr hier, die Sonne ist verschwunden und ich mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Der Zug fährt aber nur zehn Minuten zum Flughafen und ich bin viel zu früh dort. Ohne Gepäck und mit Bordkarte am Handy ist das Einchecken auf diesem eher kleinen Flughafen keine Affaire.
Also hole ich mir einen W-LAN-Code und gehe aus dem Abfluggebäude hinaus. Draußen gibt es eine freie Bank und ich beschließe, hier zu warten. Es wird nämlich noch dauern, da es hier heute genau einen einzigen verspäteten Flug gibt, und das ist natürlich meiner.
Ich hasse das Warten auf Flughäfen. Ich kann natürlich Musik hören oder diesen Bericht hier schreiben, aber das verkürzt die unendlich erscheinende Wartezeit nur unwesentlich. Das W-LAN funktioniert übrigens nur im Gebäude, hier draußen nicht, dafür muss ich hier keine Maske tragen.

Irgendwann sind auch diese Stunden vergangen und ich mache mich auf den Weg zum Gate. Dort sitzen zwei gelangweilte Angestellte, die für genau nichts zuständig oder kompetent sind. Vor allem nicht für die Frage, wie viel Verspätung wir tatsächlich noch aufreißen werden. Ich habe nämlich den Verdacht, dass die angegebene Zeit von 30 Minuten eine freie Erfindung ist. Kurz vor der angegebenen Abflugzeit steht nämlich immer noch kein Flieger da. Auf meine lästige Nachfrage erfahre ich, dass die Maschine vorher aus Athen nach Wien geflogen ist und von dort schon verspätet kam.
Diese elende Nicht-Information hat den Sinn, dass Fluglinien für Verspätungen nicht belangt werden können. Würden sie zugeben, dass sie eine nennenswerte Verspätung haben, könnte irgendwer irgendwie Entschädigung verlangen. So tun sie so, als wäre eh alles im Plan und lassen die Fluggäste dumm sterben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit landet die Maschine und nach einer weiteren Ewigkeit beginnt das Boarding.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt, der Flug verläuft unspektakulär, ebenso die Heimfahrt mit dem Roller.
Ich bin froh, wieder da zu sein. Die zwei Tage haben mich viel Kraft und Geld gekostet. Ich bin aber mindestens genauso froh, dass ich mir das Konzert mit Emmylou gegönnt habe. Es war die Reise wert, keine Frage.