Malediven – ein Paradies in Not

„I schimpf ned auf die Primitiven – und leb a ohne Malediven“ – so die Textstrophe, von der ich vergessen habe, aus welchem Lied sie stammt.

Seit ich Taucher bin träume ich von den Malediven, einst gemeinsam mit dem Roten Meer, dem australischen Barriere-Riff und der Karibik bekannt als schönstes Tauchrevier weltweit.
Türkisblaue Lagunen mit farbenfrohen Korallenriffen, flache Tauchgänge mit vielen Fischen – so in etwa habe ich die Beschreibung in Erinnerung.

Jetzt sollte sich das ändern. Schon im Dezember 2017 kündigte Werner einen Tauchurlaub an und ich beschloss mir den Traum nach mehr als 25 Jahren zu erfüllen. Mir war aber bewusst, dass sich viel geändert hat: Das Thema Umwelt war damals noch nicht in meinem Bewusstsein, vom Klimawandel hat noch niemand gesprochen und der CO2-Fußabdruck war noch nicht erfunden. Und auch die Malediven haben sich verändert, wie ich feststellen musste.

Daher ist dies ein kritischer Reisebericht, der für mich bedeutet, dass es wahrscheinlich meine einzige Reise dorthin bleiben wird.

Es beginnt mit einer harten Woche: Am Montag in die Steiermark zu einem schwierigen Workshop, am Dienstag in der Früh nach Deutschland zu einem dreitägigen Seminar, das ich kurzfristig alleine machen muss, weil meine Kollegin krankheitsbedingt ausgefallen ist. Donnerstag Abend der Rückflug nach Wien, am Freitag Mittag steht das Taxi vor der Tür.
Ich hasse das Fliegen. Das Trara an den Flughäfen dieser Welt, die Farce mit den Sicherheitskontrollen, vor allem aber die oft endlosen Wartezeiten, gewürzt durch die eigentlich menschenunwürdige Quetscherei im Flugzeug.
Glücklicherweise verläuft der Check-in einfach, die nette Dame am Schalter hat Mitleid mit meiner Größe und verspricht mir einen Gangsitz mit einem wahrscheinlich leeren Platz daneben von Wien bis Dubai. Leider kann sie mir beim Anschlussflug nur mehr einen Mittelsitz geben, was ich schaudernd zu Kenntnis nehme. Dafür gibt es auf der ersten Strecke einen Airbus A 380, mit dem ich noch nie geflogen bin.

Die Wartezeit von knapp zwei Stunden zieht sich wie immer, vor allem, weil ich alleine bin und niemanden zur Unterhaltung habe. Der Grund dafür ist das Deutschland-Seminar, denn die anderen Fünf sind schon zwei Tage früher geflogen. Ich kenne sie schon viele Jahre und wir haben schon etliche Tauchsafaris gemeinsam gemacht. Ich freue mich darauf, sie nach mehr als zwei Jahren wieder zu treffen und eine schöne Zeit gemeinsam verbringen zu dürfen.

Die Atmosphäre am Gate ist ruhig und diszipliniert, das Einsteigen stressfrei, man wird in Gruppen aufgerufen. Die Leute haben aber nicht so viel Handgepäck dabei wie bei den inneneuropäischen Flügen und so fällt das Hauen und Stechen um die Plätze in den Gepäckfächern weg.
Der Airbus ist in der Economy-Class de facto auch nicht größer als eine alte 747, hat 10 Sitze in einer Reihe, alle schmäler als meine Schultern. Das Raumgefühl wäre ansonsten ja ganz gut, aber das, worauf es ankommt, kann der A 380 um nichts besser.
Auf der anderen Seite sind die Flugpreise in den letzten zwanzig Jahren auch deutlich gesunken, unser Flug kostet z.B. 900 Euro.
Der Flieger ist tatsächlich nicht voll, mein Nebensitz bleibt frei und ich bin zufrieden. Die Crew ist bunt gemischt, wir haben einen österreichischen Pilot, einen russischen Co-Pilot, einen serbischen Chef de Cabin und auch der Rest kommt aus aller Herren und Damen Länder. Die Crew ist ausgesprochen freundlich.
Auch die Passagiere sind bunt gemischt, es gibt Asiaten mit Chirurgen-Mundschutz, Wiener Proleten mit spontaner Tomatensaftleidenschaft und nachdem jemand irgendwo vor mir Sauvignon Blanc gewählt hat, tun es die andere Gäste ebenso. Beim Essen hat man die übliche Auswahl zwischen Chicken und Beef und die Nachspeise stammt aus UK.
Was sich im Vergleich mit einer Boeing 747 von vor 40 Jahren massiv geändert hat, ist das Medienprogramm. Ich erinnere mich noch an die Leinwände, die heruntergelassen wurden und manchmal gestreikt haben. Die Bildqualität war erbärmlich und die Kopfhörer waren nicht anderes als Plastik-Stethoskope, die den Ton aus einem kleinen Lautsprecher in der Armlehne bekommen haben. Es gab einen Film und wer den nicht sehen oder gar schlafen wollte, hatte ein Problem.
Der A 380 hat in jeder Lehne einen ausreichend großen Bildschirm und es gibt mehrere hundert Filme zur Auswahl – amerikanische, europäische, indische, chinesische, arabische und noch viele andere. Man kann die Sprache wählen und den Film jederzeit pausieren, vor- oder zurückspulen. Das ist wirklich bequem und ich sehe mir den Han Solo Film an, den ich übrigens durchaus gelungen finde. Vor allem hilft er mir die Zeit zu vertreiben, denn der Flug dauert fünf Stunden (mit Rückenwind, 5:40 ohne).
Es gibt eine 220-V-Dose um Computer zu betreiben und einen USB-Anschluss, um etwa das Handy aufzuladen. Und es gibt ausreichend WCs in diesem Flugzeug.

Dubai ist riesig, eigentlich gigantomanisch und ich finde die goldene Palme, die mir schon 2005 aufgefallen ist, wenngleich der Flughafen seitdem enorm gewachsen ist. Die Servicequalität ist mit europäischen Flughäfen nicht zu vergleichen. Meine Freunde hatten eine enorme Verspätung und wurden zu ihrer Überraschung am Ausstieg in Empfang genommen und mit einem eigenen Bus in großer Eile zum anderen Terminal zu ihrem Anschlussflug gebracht. Sogar das Gepäck konnte noch mitfliegen. Die Emirate geben da dem Rest der Welt die Schlagzahl vor.

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Bild 1: Die goldene Palme

Meine Busfahrt ist irgendwie entrisch, sie führt durch endlose unterirdische Gänge, die Fliesen an der Wand haben und mich erinnert alles irgendwie an Blade Runner, mit einem Hauch von Yellow Submarine.
Weniger gut gefällt mir die Aircondition-Geiselhaft, der man auch hier oder gerade hier nicht entkommt. Mir ist sowohl im Flugzeug als auch am Flughafen immer kalt. Genauso kalt lassen mich auch die Duty-Free-Shops, die auf der ganzen Welt inzwischen gleich aussehen und das Gleiche anbieten, nur der Ramsch unterscheidet sich. Alkohol, Tschik, Parfum und Schmuck – das ist es scheinbar, was die Leute wollen und hier auch bekommen. Und es gibt den Sportwagen, der am Flughafen verlost wird. Früher war das ein Ferrari, heute ist es ein McLaren. Ich spiele nicht mit.

Dafür habe ich wieder 3,5 Stunden Wartezeit, die ich auf einer Bank in einer Alle von Plastikpalmen verbringe. Sehr skurril finde ich, dass alle paar Minuten jemand vorbei geht und auf den Stamm klopft. So wollen die Leute feststellen, ob die Palme wirklich aus Plastik ist.

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Bild 2: Plastikpalmen

Irgendwann ist die elende Warterei vorbei und das Boarding verläuft ebenso diszipliniert wie das in Wien. Wir fliegen mit einer Boeing 777, die sich innen als fast exakte Kopie der Airbus herausstellt. Dass die Sitze auch hier um keinen Zentimeter breiter sind, darf noch am Rande erwähnt werden. Der Flug ist diesmal etwas kürzer, dafür reissen wir eine knappe Stunde Verspätung auf, was für mich besonders bitter ist, weil ich das erstens hasse, zweitens vor zwei Tagen gleich zweimal erleben durfte und drittens die Knechterei auf einem Mittelsitz noch länger andauert.

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Bild 3: Die Holzklasse in der 777 – oder war es der 380?

Dafür schalten sie ständig zwischen Kühlung und Heizung hin und her. Nach dem Start um 03:30 Uhr wird ein Frühstück serviert, es gibt Chicken oder Beef zur Auswahl und ich esse noch etwas, da an Schlafen sowieso nicht zu denken ist. Das wird allein schon durch die Vielzahl an Bildschirmen rundherum verhindert, mehr noch durch die Sitzposition. Ich habe genügend Zeit um die langsamste Stewardess aller Zeiten zu bewundern, ihre KollegInnen sind etwa doppelt so schnell bei der Essens- und Getränkeausgabe.

Die Einreise auf die Malediven ist einfach – ein Formular ausfüllen, das niemand interessiert, die Passkontrolle geht flink, ganz im Gegensatz zur Warterei auf das Gepäck. Bevor ich jedoch als einer der letzten verbleibenden Passagiere am Förderband die Krise bekomme, taucht mein Tauchtrolley auf und ich marschiere hinaus in die Hitze. Dort empfängt mich ein netter Mann, der aus irgend einem Grund geahnt hat, dass ich der Mr. Schwarz bin, auf den er wartet. Später erfahre ich, dass die Jungs tatsächlich eine recht hohe Trefferquote haben.
Ich bekomme eine Plastik-Wasserflasche in die Hand gedrückt und werde gebeten, noch etwas zu warten, andere Gäste werden noch erwartet, dann geht es mit dem Speedboot auf die Insel.
Ich bin gespannt, ob es sich tatsächlich um ein Speedboot handelt, es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein solches dann als alter Fischkutter mit einem 10 PS Dieselmotor herausstellt.
Diesmal ist es aber anders, bei den Speedbooten handelt es sich um Plastikboote, die ca. 15 Gäste fassen. Jede(r) bekommt eine Art Schwimmweste, das Gepäck verstauen diensthafte Geister. Hinten haben sie zwei oder drei Außenbordmotore mit je 200 bis 300 PS. Werner hat unsere Insel so ausgewählt, dass der Transfer nicht allzu lange dauert, denn die Inseln sehen mehr oder weniger alle gleich aus und so ist es egal, wo man landet.
Wir fahren aus dem Hafen hinaus und das Boot reißt auf einmal wirklich gut an. Mit ca. 55 km/h fahren wir gute zwanzig Minuten, dann sind wir auf Hudhuran Fushi, einer kleinen Insel im Nordmale-Atoll.

Am Empfang nette Leute, ich bekomme sofort ein gekühltes, feuchtes Handtuch und einen warmen Händedruck von Werner, der zum Pier gekommen ist, um mich zu empfangen.
Billig sind diese Ressorts nicht, unseres kostet ca. 400,- pro Nacht im Doppelzimmer, Transfer und Vollpension inklusive. Selbst die meisten Getränke sind inklusive, Bier und der Hauswein auch, die guten Cocktails kosten allerdings extra.
Ich habe aber ohnehin nicht vor mich dem Alkohol hinzugeben und außerdem haben wir nur einen Tag mehr, dann geht es auf das Schiff.

Das Zimmer ist nett, das Bad groß und in der Dusche gibt es einen der gerade modernen Regenwaldduschköpfe.
Womit wir schon beim Thema Umwelt wären. Die Malediven bestehen aus mehreren großen Atollen, diese wiederum aus einer Unzahl Inseln – über 1.000 sind es, davon 200 bewohnt.
Es gibt eine Hauptinsel mit der Hauptstadt Male und daneben einen Flughafeninsel mit dem kleinen, aber gut besuchten Airport samt Domestical Bereich, von dem aus die Wasserflugzeuge starten.
In der Hauptstadt leben ca. 200.000 Menschen auf engstem Raum, daher schüttet man auf wo möglich. Derzeit entsteht sogar eine neue Insel und neben Male wird ein Haufen Hochhäuser gebaut.
Am nächsten Bild sieht man die Hauptinsel mit dem Hochhaus. Mehrere andere Hochhäuser sind in Bau:

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Bild 4: Male

Auf den kleineren Inseln verstreut auf die Atolle finden sich die Touristen-Ressorts. Die anderen bewohnten Inseln gehören den Einheimischen, die dort seit langen Zeiten vom Fischfang und den Kokosnüssen leben. Sonst gibt es nicht viel, da es sich um Korallen-Atolle handelt und nicht um Bergspitzen.
Auf den meisten Inseln gibt es kein Wasser, daher muss dieses aus Meerwasser erzeugt werden. Die Maschinen dazu sind meist in der Mitte der Inseln gut versteckt und sie werden mit Diesel betrieben, ebenso wie die Generatoren, die den Strom erzeugen.
Auf den Inseln wird aber nicht nur konsumiert, sondern auch produziert, nämlich Abfall. Dieser kann nicht auf den kleinen Inseln bleiben und wird gesammelt auf eine eigene Müllinsel gebracht, die aber bereits am Rande ihrer Kapazität angelangt ist.

Es werden ständig neue Ressorts gebaut, auch auf die winzigsten Inseln. Die höchste natürliche Erhebung der Malediven ist 1,5 Meter hoch. Was das bedeutet, beschreibe ich später noch.

In unserem Zimmer läuft die Klimaanlage. Werner und ich einigen uns darauf, sie nur unter Tags laufen zu lassen und vor dem Schlafengehen abzudrehen. Ansonsten könnten wir das Tauchen vergessen.
Die meisten Menschen kommen übrigens nicht zum Tauchen, was man am Gepäck sehen kann, das aus den Flugzeugen ausgeladen wird. Sehr beliebt sind Hochzeitsreisen, es gibt dafür eigene Honeymoon-Inseln (neben unserer Insel ist so eine). Die meisten Menschen machen einfach Urlaub mit türkisblauem Meer, weißem Sandstrand und Palmen.
Letztere werden extra gepflanzt, da sie vor allem auf den kleinen Inseln, die noch für neue Ressorts zur Verfügung stehen, nicht wachsen.

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Bild 5: Gehweg in unserem Ressort.

Unsere Insel ist sehr grün und nett anzusehen. Ich marschiere mit Werner zum Strand, wo sich schon Ulli, Andrea, Roswitha und Hannes einem guten Drink unter Palmen hingeben.
Wir befinden uns an der Innenseite der Lagune, das Wasser ist blau, der Himmel auch und einige Gäste ebenfalls – die Gratis-Drinks tun ihre Wirkung hier schon am Vormittag.
Man plätschert im seichten Wasser, Pärchen schaukeln auf einer Schaukel, überall wird eifrig der Selfie-Stick benützt und das Ergebnis sofort ins Internet gepostet. Es müssen mehrere Millionen Bilder sein, die auf den Malediven jeden Tag gemacht und dann gepostet werden. Das Gratis-Wifi funktioniert aber nur selten im Zimmer, sondern in den öffentlichen Bereichen wie am Strand, bei der Bar und im Restaurant. Vielleicht wäre es umgekehrt sinnvoller.
Ein Gast hat sogar eine Drohne mit und lässt sie voller Stolz über seiner Frau fliegen.

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Bild 6: Strand

Irgendetwas wirkt seltsam an dieser pittoresken Szenerie und ich beschließe, das genauer zu eruieren.
Ein wenig hinter unserem Strand geht ein langer Steg ins Meer hinaus und dahinter befinden sich Hütten, die auf Pfählen gebaut sind. Das ist typisch für die Malediven und nahezu jedes Ressort hat solche Hütten. Sie sind teurer als Hütten am Strand, die wiederum teurer sind als Hütten in der zweiten Reihe. Damit die billigen Gäste nicht auf die Idee kommen die teuren Gäste zu stören, gibt es eine Wache am Anfang des Stegs. Um da durch zu dürfen, braucht man ein Armband mit einer speziellen Farbe. Die meisten Gäste gehen aber nicht über den Steg, sondern werden mit elektrisch betriebenen Golfwagerln gefahren.

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Bild 7: Luxushäuser auf Stelzen

Wir gehören zu den ganz billigen Gästen und haben eine Hütte in der zweiten Reihe, was aber auch ganz nett ist und insofern egal, als wir uns dort sowieso nur zum Schlafen aufhalten.
Man kann auf der ganzen Insel barfuß gehen, was meine vom langen Winter nicht gerade abgehärteten Füße aber nicht so toll finden. Die Insel selbst ist nicht groß und man kann sie in ca. 45 Minuten umrunden, allerdings nicht ganz, weil der Strand an der Atoll-Außenseite an einigen Teilen nicht begehbar ist (Quartiere des Personals, Generator etc.) und man nach innen ausweichen muss.
Dort gibt es eine Steinbarriere, die zum Schutz der Insel aufgebaut wurde und an der sich die höheren Wellen brechen. Hier ist auch kein Sandstrand und die Bar dort sowie die Hütten erscheinen eher verwaist, obwohl wir uns in der Hochsaison befinden.

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Bild 8: Nordostseite mit Barriere und Mauer – und Wellen

Die Angestellten auf der Insel kommen vor allem aus Sri Lanka, Indien und natürlich von den Malediven. Sie sind extrem freundlich, grüßen ständig und kehren die Gehwege. Alles ist sehr gut organisiert und wirkt professionell. Schließlich befinden wir uns im Paradies oder zumindest an einem Ort, der so aussehen möchte.

Warum sind die Menschen so fasziniert von diesem Ort?
Wahrscheinlich ist es nicht speziell dieser Ort, sondern die Kombination verschiedener Anreize, die dazu führt, dass Menschen aus der ganzen Welt auf die Malediven fliegen.
Wenn wir uns die soziologischen Analysen ansehen, dann finden wir in fast allen Kulturen dieser Welt eine Art Ur-Geschichte eines Paradieses. Es sieht allerdings anders aus als die Malediven. In diesen Geschichten finden wir stets grüne, sanfte Hügel mit kleinen Bächen und Flüssen und Wäldern. Die stets fast gleich beschriebene Landschaft gibt es auch wirklich, sie befindet sich in Ostafrika, genauer gesagt in der Savanne Kenias und Tansanias. Das ist kein Zufall, denn hier ist die Menschheit entstanden, an der Grenze zwischen Urwald und Graslandschaft. Hier sind unsere Vorfahren von den Bäumen gestiegen und haben sich aufgerichtet. Dadurch ist die Wirbelsäule unter den Kopf gewandert (bei allen Primaten geht sie von hinten in den Kopf hinein) und somit wurde der Mund- und Kehlenbereich frei für die Entwicklung von Sprache. Die frei gewordenen Hände entwickelten sich zu geschickten Greifwerkzeugen, es entstand der „Homo Habilis“, der „geschickte Mensch“. Affen besitzen keine Feinmotorik.
Es ist kein Wunder, wenn die Gegend, in der die Menschen den Großteil ihrer Entwicklungsgeschichte verbracht haben, uns bis heute paradiesisch erscheint. Dort ist es immer warm, rund um´s Jahr wächst alles und die klimatischen Bedingungen sind moderat. Diese Art von Landschaft beruhigt und und wenn man Menschen das erste Mal in ihrem Leben dorthin bringt, berichten einige von ihnen, dass sie das Gefühl haben, schon einmal da gewesen zu sein – auch wenn ganz klar ist, dass das nicht stimmt.
Vielleicht gibt es tief in uns eine Art Ur-Gedächtnis, wer weiß das schon?
Auf jeden Fall wissen es Marketing-Experten und so finden sich in Werbeprospekten extrem viele Abbildungen mit Wasser, und zwar mit „ungefährlichem“ Wasser. Flüsse und Seen in Ostafrika gehören nicht dazu, die können lebensgefährlich sein, weil man die darin lebenden Krokodile nicht bzw. zu spät sieht. Klares Wasser bedeutet Sicherheit, vor allem, wenn es in seiner Gesamtheit überblickbar ist. Das ist möglicherweise einer der Reize an Swimmingpools. Wir konnten das auf der Insel gut beobachten, wo nicht nur die Menschen die Nähe des Pools suchen, sondern auch die Libellen. Sie wissen, dass da keine Fische drin schwimmen.
Hellblaues, klares Wasser ist attraktiv, denn es symbolisiert seichtes Terrain, wo man nicht untergehen, dafür aber gut fischen und baden kann.

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Bild 9: Eine typische Insel auf den Malediven

So sieht quasi das „natürliche“ Paradies aus. Die tropischen Küsten wurden erst später besiedelt, wenngleich es auch hier Theorien gibt, dass die Menschen immer am Wasser gelebt und sich bei Gefahr auch dorthin geflüchtet haben. Das kann wiederum für Seen, Flüsse und das Meer zutreffen. Die ostafrikanische Küste sieht übrigens ähnlich aus wie die Malediven: Palmen, weißer Sandstrand, türkisblaues Meer (beide liegen am indischen Ozean).
Ich glaube aber, dass die heutige Vorstellung erst viel später entstanden ist, mit den spanischen und portugiesischen Eroberern und Weltumseglern, mit den Bildern von Paul Gauguin und den ersten romantischen Vorstellungen von einem immer einfachen und glücklichen Leben auf einer tropischen Insel.
Wenn man dort Frauen findet und kein Hungerproblem hat, lässt es sich schon gut leben. Wikipedia: „In Gauguins Vorstellung war Tahiti ein exotisches Paradies, wo er, ohne arbeiten zu müssen, ein ursprüngliches, glückliches und annähernd kostenfreies Leben würde führen können. Die „glücklichen Bewohner eines unbeachteten Paradieses in Ozeanien kennen vom Leben nichts anderes als seine Süße. Für sie heißt Leben Singen und Lieben“, schrieb er Ende 1890 dem dänischen Maler Jens-Ferdinand Willumsen.“

De facto erlebte Gauguin jedoch die romantikfreie Kolonialwelt mit all ihren schlimmen Seiten. Er starb arm und krank und hatte jede Illusion vom Paradies verloren. Ich empfehle dazu seine Geschichte auf Wikipedia zu lesen.

Uns ist nur der romantische Teil überliefert und hat in unsere moderne Konsumgesellschaft Einzug gehalten. Wer es sich leisten kann, poliert seinen gesellschaftlichen Status auf und fliegt auf eine tropische Insel, um dort umsorgter Reicher zu sein. Es ist aber ein künstliches Paradies, für das die Umwelt (und damit auch wir) einen hohen Preis zahlen muss.
Dazu ein Beispiel:

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Bild 10: Plastik-Wasserbecher mit einem Schluck

Das erste ist der Becher mit Wasser, den ich bei jedem Essen im Flugzeug automatisch mit dazu bekomme. Ich erhalte von der Stewardess gleichzeitig auch noch Wasser in einem Plastikbecher, der auch nach wenigen Sekunden Gebrauch entsorgt wird. Aber der kleine Becher ist der pure Wahnsinn. Er enthält vielleicht ein achtel Liter Wasser und ist mit einer Alufolie verschlossen. Der Herstellungsaufwand an Ressourcen und Energie ist enorm, und das alles für einen kleinen Schluck Wasser, den ich überhaupt nicht brauche. Es gibt im Flugzeug einen Wasserspender, zu dem man zu jeder Zeit (wenn das Anschnallzeichen nicht leuchtet) hingehen und sich einen Pappbecher Wasser nehmen kann. Das ist ebenfalls nicht gerade umweltfreundlich, denn auch der Pappbecher ist umwelttechnisch ein Irrsinn, doch der Alu-Plastikbecher ist der Gipfel. Daran kann man erkennen, wie unglaublich egal jeder Umweltschutzgedanke den Fluglinien ist. Weniger geht quasi nicht mehr.
Das zweite Beispiel ist die Nachspeise. Dass mir das nicht besonders geschmeckt hat, ist die eine Sache. Das muss es nicht, anderen Fluggästen schmeckt es vielleicht hervorragend. Aber als ich mir nachher angesehen habe, was da alles drin ist, verging mir endgültig der Appetit auf die pure Chemie.

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Bild 11: Jessas, so viele Inhaltsstoffe!

Muss das wirklich so sein? Lässt sich Essen im Flugzeug nur so und nicht anders herstellen und transportieren? Ich kann das einfach nicht glauben. Es zeigt jedenfalls die Künstlichkeit der von uns aufgebauten Freizeitwelt.

Bleiben wir noch ein wenig bei der Analyse des Paradieses moderner Ausprägung: Palmen haben ihren eigenen Reiz, wo ich nicht nicht ganz dahinter gekommen bin, worin er besteht. Vielleicht gehören sie einfach dazu, ausgelöst durch die romantische Geschichte von Robinson Crusoe und die entsprechenden Verfilmungen, die in den 1950er und 1960er Jahren die Sehnsucht nach einer einsamen Insel erst so richtig angeheizt haben. Wenn du es an einem nebligen, kalten Wintertag ununterbrochen nur mit Arschlöchern zu tun hast, kann so eine Sehnsucht schon aufkommen.
Schiefe Palmen haben noch ein bisschen mehr Reiz, weil sich auch unsportliche Naturen hinaufwuchten können. Leider gibt es diese Palmen immer seltener und so entstand auch folgendes Hinweisschild:

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Bild 12: Eine Palme in Not

Palmen spenden Kokosnüsse. Die gibt es dort an der Bar auch zu kaufen (kostet extra), sie werden mit Alkohol-Cocktails gefüllt und bekommen einen Strohhalm und eine bunte Plastik-Verzierung. Das verstärkt das Paradiesgefühl und füttert die Klischee-Bilder, die in uns den Drang auslösen, sie Wirklichkeit werden zu lassen.
In einem Ressort funktioniert das einigermaßen gut und so schlürfen tausende Touristen und Touristinnen täglich ihr alkoholisches Zuckerwasser aus einer Kokosnuss.
Die Bilder aus den Robinson-Filmen haben sich tief in unser gesellschaftliches Herz eingegraben. Dort waren die Kokosnüsse Spender von Nahrung und Wasser, also für das Überleben notwendig. In einigen Gegenden dieser Welt sind sie das bis heute – wer 2-3 Kokospalmen besitzt, kann von dem, was sie spenden, überleben.
Am folgenden Bild genießt meine Partie die Abendsonne am Strand an der Bar – allerdings ohne Kokosnüsse, dafür mit Bier.

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Bild 13: Sundowner

Was jetzt noch fehlt, ist der weiße Sandstrand. Dieser ist auf den Malediven zwar nicht ganz weiß, aber fast. Für die Bilder kann er im Photoshop reinweiß gemacht werden, damit der Werbeprospekt auch entsprechend toll aussieht. Ich habe bis heute nicht verstanden, was an feinem Sand so toll ist, aber viele Menschen lieben ihn. Er bleibt überall hängen, klebt am Körper und man muss ständig alles ausbeuteln und ausschütteln. Darin gehen ist ganz nett, zugegeben, und aussehen tut er auch gut.

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Bild 14: Sand – hier sieht man gut, wie er weggespült wird.

Leider besteht er heute – auch auf den Malediven – zu einem gewissen Teil aus Plastik, Mikroplastik um genau zu sein. Hier wird der Anteil noch nicht sehr hoch sein, woanders auf dieser Welt ist er es aber schon. Und das Plastik kommt auch von den Malediven bzw. gerät dort in´s Meer, vor allem durch die Millionen Plastikflaschen, die hier verteilt werden. An jeder Ecke bekommt man eine, die wenig später im Müll landet. Die Angestellten verbringen einen guten Teil ihrer Zeit damit das Plastik von den Stränden zu entfernen, damit es die Touristen nicht sehen.
Es ist aber da und wird immer mehr. Jeden Tag kommen ein paar Milliarden Flaschen weltweit dazu. Der geringste Teil wird gesammelt und wiederverwertet, ein erschreckend hoher Teil landet im Meer, wo er zu Mikroplastik wird.
Bei einem unserer Tauchgänge haben wir einen Grauen Riffhai gesehen, der eine große Plastikschlinge um seinen Körper hat. Wenn er weiter wächst, wird sie ihn umbringen.
Die Touristen am Strand kümmert das nicht, wenn sie beim Ober die nächste kühle Wasserflasche bestellen. Lediglich auf unserem Schiff wurde das Problem bereits erkannt. Dort bekommt jeder Taucher zu Beginn der Reise eine Alu-Flasche, die er bei einem von mehreren Wasserspendern jederzeit auffüllen kann. Das Cola wird zwar immer noch in der Plastikflasche serviert, aber das in Unmengen getrunkene Wasser funktioniert ohne Plastikflaschen oder -becher.

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Bild 15: Meine Partie – Andrea fehlt auf diesem Bild – dafür sind die Wasserflaschen gut zu erkennen.

All das erinnert mich an die Piefke-Saga Teil 4 – als die deutschen Touristen auf einer Almwiese das Gras anheben und darunter eine Müllhalde entdecken.
Im Paradies gibt es genug zu essen und zwar nur vom Feinsten. Auch das wird weitgehend erfüllt, es gibt drei Mal am Tag üppiges Buffet und von allem reichlich. Dass dabei enorme Mengen an Essen weggeworfen werden, geschieht erstens nicht vor den Augen der Touristen und ist denen wahrscheinlich auch egal. Im Paradies gibt es kein schlechtes Gewissen, denn es ist ja das Paradies und außerdem ist man im Urlaub.
Manche zelebrieren den Überfluss noch zusätzlich damit, dass sie sich Unmengen auf den Teller häufen und dann die Hälfte stehen lassen. Das geschah an den Tagen, die wir dort waren, jedoch sehr selten.

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Bild 16: Nur ein kleiner Teil der stets üppigen Buffets

Wer Lust hat, kann sich auch die Hucke volllaufen lassen, das Bier ist schließlich im Preis mit inbegriffen, wenn auch nur bis 23 Uhr. Als ich schwanke zwischen einem Cocktail mit und einem ohne Alkohol, meint der Kellner: „Nehmen sie einen mit, Sie sind schließlich im Urlaub.“

Im Urlaub sein heißt auch tun und lassen, was man will. Neben uns liegt ein Asiate in der Hängematte und schaut sich Videos auf seinem Handy an. Das alles mit voller Lautstärke und er bemerkt gar nicht, wie sehr er uns damit stört. Auf meine Bitte hin macht er wenigstens den Ton leiser.
Manchmal fühle ich mich wie im Disney-Land, die Szenerie erscheint unwirklich. Direkt vor unseren Augen schwimmen zwei kleine Schwarzspitzen-Riffhaie durch das seichte Wasser. Eine Gruppe Chinesinnen entdeckt sie und weiß nicht, ob sie sich fürchten soll oder den Haien nachlaufen.

Es gibt aber auch positive Aspekte. Die Ressort-Betreiber kümmern sich um die Pflanzen auf der Insel. Diese werden gegossen und gepflegt, es wirkt alles wie in einem schönen Garten (Eden). Der Zimmerservice fährt mit Christiania-Lastenfahrrädern von Bungalow zu Bungalow, das ist umweltschonend, kostengünstig und smart.

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Bild 17: Ein Lastenrad zum Putzen

Nach nur einem Tag (die anderen hatten zwei Tage mehr) müssen wir uns von dieser netten Insel verabschieden und werden mit dem Speedboot zum Flughafen zurück gebracht. Nach einer erträglichen Wartezeit kommt das Dhoni, um uns abzuholen und zum Schiff zu bringen, das etwas außerhalb auf uns wartet.
Es handelt sich um die „Emperor Serenity“, das größte Schiff der Emperor-Flotte (https://www.emperormaldives.com/emperor-serenity.php) und wird uns eine ganze Woche lang von Atoll zu Atoll führen.
Es ist 40 Meter lang und 13 Meter breit und das größte Tauchschiff, auf dem ich je war. 13 Kabinen für insgesamt 26 Tauchgäste und 17 Mann Crew (inklusive dem Begleitschiff, dem „Dhoni“, mit dem getaucht wird).

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Bild 1: Unser Schiff

Das Schiff ist ziemlich neu und sehr gut in Schuss. Es bietet eigentlich allen Luxus, den ich mir für so eine Tour vorstellen kann. Das versprochene „SPA“ ist allerdings eine kleine Kabine am Oberdeck, in der man sich massieren lassen kann. (Leider musste ich diese Dienste in Anspruch nehmen, mehr dazu weiter unten.)
Die Kabinen sind eigentlich Zimmer und das Bad ist größer als meines zuhause. Es gibt auch hier die Regenwald-Dusche mit tatsächlich sehr ordentlichem Wasserstrahl und wenn man die Aircondition abdreht, ist es gut auszuhalten. Nur das mit dem WC haben sie immer noch nicht geschafft, das ist wie am Roten Meer: Das Häuslpapier muss in eine Tonne, weil angeblich die Leitungen zu schmal sind, um es ins Klo zu werfen. Ich schätze, dass da was anderes dahinter steckt, weil Bootsbauer das nach 30 Jahren Erfahrung eigentlich schon wissen müssten.

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Bild 18: Das Zimmer hat geschätzte 15 m2 oder mehr

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Bild 19: Das Bad ist schwer zu fotografieren. Aber es war toll.

Der Speisesaal ist riesig und es gibt dort auch eine Menge Sofas, auf die man sich hinknotzen kann, um zu lesen, Logbuch zu schreiben oder sich zu unterhalten. Wobei letzteres nur sehr eingeschränkt möglich ist, weil die Sofas eher asozial angeordnet sind. Das ist aus meiner Sicht auch der einzige echte Schwachpunkt am Schiff: Es gibt keinen Bereich, wo man sich hinsetzen und gemütlich miteinander plaudern kann. Auf den ägyptischen Schiffen dient dazu das Oberdeck, wo mehrere Sitzgruppen einen Austausch ermöglichen. Hier habe ich nur kleine Ecken mit maximal 5 Personen und von denen gibt es nur zwei, eine am Hauptdeck und eine am Oberdeck.
Das hat auch dazu geführt, dass sich fixe Grüppchen gebildet haben, die aus den Essensgruppen bestanden, obwohl eigentlich alle einander kennenlernen wollten.

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Bild 20: Vier große Tische für je sieben Personen, eine Bar, das Buffet, ein kleines Büro und noch einiges mehr

An Bord sind 6 ÖsterreicherInnen (also wir), ein deutsches Pärchen, Hans aus München, ein Schweizer Pärchen, zwei kanadische Ehepaare, ein brasilianisches Paar, ein englisches, drei Amerikanerinnen, zwei Koreanerinnen und ein Koreaner.
Dazu kommen noch Gabriel und Maria, zwei argentinische Tauchguides, die Italienerin Martina und Rauf von den Malediven. Alex von den Philippinen kümmert sich mit einem lokalen Kollegen um Essen und Bar, sie ist auch die Masseuse an Bord. Der Rest der Crew stammt von den Malediven.

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Bild 21: Im Bild die kanadischen Pärchen und Andi, der Schweizer

Das einzige Problem im Speisesaal ist die Aircondition, die man dort nicht abdrehen kann. Das führt dazu, dass man ständig zwischen heiß und kalt wechselt und im Saal ein T-Shirt braucht, damit einem nicht kalt wird. Aus meiner Sicht vollkommen idiotisch.
Dafür ist es praktisch, dass man eine ganze Woche keine Schuhe braucht, die sind an Bord verboten.
Rauchen darf man nur am Oberdeck im Freien, was aber nur von wenigen in Anspruch genommen wird.

Es ist mehr oder weniger alles inklusive, nur Cocktails und das Bier sind extra zu bezahlen – 5 Doller für ein Seiterl, von 17 bis 19 Uhr ist Happy Hour. Der Wein ist gratis, aber aus meiner Sicht nicht wirklich trinkbar. Er wird aus Alu-Beuteln ausgeschenkt.

Das Tauchen läuft hier tw. anders ab als auf den Schiffen in Ägypten. Es gibt hier kein Tauchdeck, sondern das Dhoni, das vom ankernden Schiff zu den Tauchplätzen fährt. Es ist von der Größe mehr als ausreichend und bietet ein WC, zwei Duschen und auch sonst alles, was man braucht. Mit einem 250 PS 4-Zylinder Schiffsdiesel ist es ausreichend motorisiert, um hinter der Serenity herfahren zu können. Die hat auch nur einen Motor mit ca. 600 PS (in Ägypten haben die großen Schiffe zwei Motore und sind stärker), was aber völlig ausreicht.
Ein Nachteil beim Dhoni ist die Leiter, mit der man nach dem Tauchgang an Bord kommt. In Ägypten sind die Sprossen links und rechts offen, so dass man mit Flossen hinaufsteigen kann. Das ist vor allem bei hohem Seegang sehr praktisch. Hier muss man sich an einer Leine festhalten, die Flossen mühsam ausziehen und einem Matrosen hinaufreichen. Dann kann man erst über die Leiter hinauf. Das hat auch dazu geführt, dass ich (glücklicherweise erst beim letzten Tauchgang) eine Flossenschnalle verloren habe.

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Bild 22: Am Bild das neueste Schiff der Emperor-Flotte, die „Explorer“ mit unserem Dhoni, das dort gerade auf Besuch war.

Ansonsten ist alles sehr gut durchorganisiert, nach jedem Tauchgang steht ein frisches Badetuch zur Verfügung sowie eine Flasche mit einer Essig-Wassermischung, die man sich in die Ohren sprühen kann – eine tolle Idee, die wirklich gut funktioniert und mehr oder weniger alle in Anspruch nehmen. Dazu gibt es eigene Tonnen für das Waschen von Kameras, Masken und Anzügen – wenngleich letztere unter der Woche eigentlich nicht gewaschen werden – der Abstand zwischen den Tauchgängen macht das eher sinnlos, trocknen tut das Zeug eh nicht. Das macht aber nix, denn es ist so warm, dass einem nicht wirklich kalt wird.

Unser „Tauchchef“ an Bord ist Gabriel.

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Bild 23: Gabriel aus Argentinien. Er taucht manchmal mit Rebreather, dann wieder mit Nitrox und verwendet Freediving-Flossen.

Er redet laut und hat eine Art, die nicht bei allen gut ankommt. Als wir zu Beginn beim „Paperwork“ waren, ging er locker davon aus, dass wir alle Nitrox tauchen würden. Wir tauchen aber lieber mit Luft und sind auch nicht alle zertifiziert. Ich habe zwar das Zertifikat, aber keinen Nitrox-Computer und wollte auch gar nicht damit tauchen, so wie unsere ganze Gruppe. Das wurde von Gabriel recht harsch kommentiert, obwohl es ihm egal sein konnte, wir bekamen als Guide dann Martina zugewiesen, was sich als absoluter Glücksgriff herausgestellt hat.
Sie taucht entspannt, hat eine gute Übersicht und setzt sich am Abend noch gerne zu ihrer Gruppe, um ein Glaserl Wein oder Bier zu trinken.
Gabriel hat aber auch seine Vorteile: Die Routenwahl und die Wahl des jeweiligen Tauchzeitpunktes war so gut, dass wir bis auf eine Ausnahme nie mit anderen Schiffen tauchen mussten. Das war echt gut.

Da Werner hin und wieder in der Nacht den einen oder anderen Wald zu sägen pflegt, schläft er freiwillig auf dem Sonnendeck und hat sich vorsorglich einen Schlafsack mitgenommen. Er hat die frische Luft, ich die Ruhe. Nur in der einen Nacht als es vorher geregnet hat, schlief er auch im Zimmer, was völlig entspannt war.

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Bild 24: Das Sonnendeck, das auch tw. Schatten bietet

Der erste Tauchgang steht an – ein Checkdive. Ich gehe mit 6 kg Blei runter und merke, das ist auf jeden Fall zu viel.

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Bild 25: Meine Wenigkeit in voller Ausrüstung kurz vor einem Tauchgang

Letztlich konnte ich bis auf 3 kg reduzieren, der Salzgehalt im indischen Ozean dürfte nicht sehr hoch sein. Unten dann die Erkenntnis: Die Riffe sind tot. Manche sogar mausetot, zumindest was die Korallen betrifft. Im Laufe der letzten 20 Jahre sind insgesamt 4 El Ninjos über die Malediven gezogen und haben den Korallen den Rest gegeben. Sie haben keine Chance sich einem so schnellen Klimawandel anzupassen. Wer noch immer glaubt, dass wir nicht im Anthropozän sind, soll einmal auf den Malediven tauchen gehen. An dieser Stelle darf ich aber auch anmerken, dass die Tauchsportbegeisterten selbst mithelfen, die Korallen zu zerstören, und zwar nicht nur, wenn sie in Massen über die Riffe herfallen und immer wieder Stücke abbrechen, die Jahrzehnte brauchen würden, um zu regenerieren. Durch jeden Flug und jede Tour mit einem Schiff steigt der CO2-Gehalt in der Atmosphäre. Wir zerstören, was wir eigentlich schützen wollen. Ich habe selbst noch keine Lösung für das Problem und ziehe insofern die Konsequenz, als ich die Flüge entsprechend reduzieren möchte und auch schon angefangen habe, das zu tun. Ich werde wahrscheinlich nie wieder auf den Malediven tauchen. Ich bin aber auch froh, mir diesen alten Traum erfüllt zu haben. Schon Mitte der 1990er Jahre wollte ich dorthin, hatte auch einmal die Gelegenheit, aber – so ich mich richtig erinnere – nicht das Geld dafür.

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Bild 26: Orientalische Süßlippen

Zwischen den toten Korallenriffen schwimmen allerdings erstaunlich viele Fische. Man merkt hier die exponierte Lage der Malediven mitten im indischen Ozean, die Wasserverschmutzung ist nicht so groß wie im Roten Meer oder im Mittelmeer. Es gibt sogar Papageienfische, deren Nahrung ausschließlich aus Korallen besteht und die für einen guten Teil des schönen Sandes am Strand verantwortlich sind. (Den kacken sie hinten hinaus, das kann man bei jedem Tauchgang beobachten.)

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Bild 27: Ein Papageifisch. Man sieht gut den harten Schnabel, mit dem er die Korallen zerbricht. Diese Fische haben nur eine Möglichkeit sich in der Nacht vor Fressfeinden zu schützen: Sie spinnen einen Schleim-Kokon rund um sich herum. Wenn man als Taucher in der Nacht einen dieser Fische anleuchtet, wacht er auf und schwimmt aus seinem Kokon heraus. Da er keinen zweiten mehr machen kann, ist das meist sein Todesurteil. Deswegen verwenden gute Taucher keine starken Lampen („Fischgriller“).

Trotzdem sieht es unter Wasser wie in einem Weltuntergangsfilm aus, zumindest was die ehemals vielfältigen und bunten Korallen betrifft. Da und dort kämpft noch die eine oder andere Koralle und man sieht, wie sich einige regenerieren – zumindest bis zum nächsten El Ninjo.

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Bild 28: Auf dem Bild sehen wir eine kleine Koralle mit zwei Fischen. Ob sie je groß werden wird, entscheidet die Meereserwärmung.

Wir sehen gleich beim ersten Tauchgang ein paar Mantas. Sie sind eines der drei Highlights dieser Tour („Best of Maledives“) und ich habe sie noch nie so nahe gesehen. Im Roten Meer sieht man sie nur in Ausnahmefällen, hier gibt es eine ganze Menge. Sie sind fast alle neugierig auf Taucher und schwimmen – je nach Charakter – näher oder weniger nahe heran. Einige baden sich in den Luftblasen der Taucher, andere schwimmen ganz knapp über ihre Köpfe oder schlagen den einen oder anderen Salto. Es sind die einzigen Fische, die sich selbst im Spiegel erkennen können. Hunde oder Katzen können das übrigens nicht. Wenn dich so ein Manta mit seinen 3,5 Metern Spannweite ansieht, dann ist das ein toller Moment. Was denkt der gerade? Sie werden bis zu 20 Jahre alt und sind sehr freundliche Tiere.

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Bild 29: Manta über unserm Münchner. Ihre Fleckenzeichnung am Bauch ist höchst individuell. Wenn man ihn fotografiert und zu einer speziellen Plattform einschickt, prüfen die, ob es ihn in der Datenbank schon gibt. Durch viele tausend TaucherInnen können sie eine recht vollständige Sammlung aller Manta-Rochen erstellen. Wenn er das erste Mal fotografiert wird, dann darfst du ihm einen Namen geben.

Das Tauchen auf den Malediven hat sich radikal geändert. Als ich seinerzeit davon träumte, waren es einfache Tauchgänge in flachem Wasser, bunte Korallenriffe mit vielen Fischen, quasi eine warme Badewanne voller üppigem Leben.
Das ist Vergangenheit. Heute tauchst du auf 25 bis 30 Meter mit langer Grundzeit, weil es weiter oben wenig bis nichts zu sehen gibt. Statt ruhigem Wasser in traumhaften Lagunen brauchst du einen Riffhaken wegen der starken Strömung, da du meist am Eingang eines Kanals zwischen zwei Riffen tauchst.

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Bild 30: Wir hängen an einer Kante auf ca. 20 Meter Tiefe am Haken und warten, was da so vorbeischwimmt.

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Bild 31: Manchmal hängt man am Riff und sieht auf einmal Haie wie sonstwo normale Fische.

Das sind schwierige Tauchgänge, denn du musst nahe am Guide bleiben, der die Strecke und den Platz gut kennt. Wer nur ein paar Meter zu weit oben, links oder unten taucht, den zieht die Strömung erbarmungslos weg. Sie ist so stark, dass ich manchmal das Gefühl hatte, ich stehe in einem Sturm, so zog das Wasser am Gesicht vorbei. Gegen so eine Strömung anzutauchen ist vollkommen sinnlos, du kommst keinen Meter weit.
Also: schnell hinunter, dann einen guten Platz für den Riffhaken suchen, Jacket aufblasen und die Kinovorführung genießen, die vor dir abläuft. Das ist teilweise wirklich beeindruckend: Nutzerstationen mit einem Dutzend Riff-Mantas oder ganzen Schwärmen von Haien – White-Tip, Grey Reef, leider kein Hammerhead, dafür jede Menge Tunas, Jackfish und andere Makrelen, Barrakudas, Napoleon-Lippfische, hie und da eine Schildkröte und noch vieles Mehr. Beeindruckend vor allem die riesige Menge an Riff-Fischen wie Drückern, Brassen, Lipp- und Pagageienfischen und noch sehr viele mehr. Obwohl die Riffe selbst in katastrophalem Zustand sind, ist die Anzahl der Fische immer noch sehr groß – wie auch immer das funktioniert. Du siehst auch bei den Korallen wie sie kämpfen, nachwachsen und dann doch wieder zugrunde gehen. Es sieht dort aus wie das Rote Meer in zwanzig Jahren – zumindest ist das zu befürchten.

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Bild 32: Martina (rosa Flossen) hat dafür gesorgt, dass wir alle brav an unserem Haken hängen und hängt sich jetzt selbst ein. Die kaputten Korallen auf diesem Bild sind leider nicht von unseren Haken kaputt geworden, so sehen leider fast alle aus, und zwar überall.

Das Tauchen ist anstrengend, das merken wir vor allem beim Essen: dreimal am Tag futtern wir wirklich ordentlich, auch wegen des guten Geschmacks der frischen Speisen. Der Koch bemüht sich sehr um Abwechslung und das gelingt auch perfekt. Zum Frühstück gibt es Spiegelei, Omelett, Bohnen, Würstchen, Toastbrot, Marmeladen, frische Früchte und noch vieles mehr. Nur der Kaffee stammt aus der Filterkanne, Espressokapseln kosten extra.
Besonders toll ist der Fisch, der an Bord gefangen wird. Die Matrosen hängen hinten eine Leine hinaus und nach einiger Zeit beisst ein Hochseefisch an, meistens ein Thunfisch.
Ebenso üppig fällt dann die andere Seite aus. Ähnlich wie am Roten Meer muss ich vor und nach jedem Tauchgang pinkeln. Und dazwischen auch noch, das Maximum ist 10x am Tag – unglaublich, daheim reichen 2x. Das liegt einerseits daran, dass wir sehr viel trinken und andererseits daran, dass der Körper unter Wasser zusammengedrückt und damit die Blasentätigkeit angeregt wird. Wenn du nach einem langen Tauchgang von der Strömung abgetrieben wirst und dann noch einige Zeit im Wasser treibst, bis dich das Dhoni abholt, geht es sich manchmal nicht mehr aus. Daher stammt die alte Weisheit „Es gibt nur zwei Gruppen von Tauchern: die erste pinkelt in den Anzug und die zweite lügt.“
Da es Nass-Tauchanzüge sind, ist das nicht weiter tragisch.

Meine Maske ist dicht und läuft nicht an, der neue Regler funktioniert sehr gut und auch das restliche Equipment passt tadellos. Meist gehen alle tauchen, nur die junge Frau des Brasilianers lässt immer wieder mal aus, weil sie seekrank wird, vor allem auf dem Dhoni, wenn wir länger zum Tauchplatz brauchen. Die Taucherinnen und Taucher sind alle auf einem guten Niveau und es gibt keine mühsamen Zwischenfälle. Alle sind entspannt und freuen sich über die schönen Tauchgänge.
Wir tauchen in unserer 6er-Gruppe plus dem Münchner Hans, der auch mit Luft taucht. Er braucht ein bisschen mehr als wir, dafür brauchen unsere Mädels extrem wenig Luft, das ist schon beeindruckend.

Die Abende verlaufen sehr unspektakulär. Da der schon angesprochene soziale Raum fehlt, treffen sich die kleinen Grüppchen verstreut irgendwo am Boot und um 10 Uhr Abends sind fast alle schon in ihren Zimmern, vielleicht bis auf Werner, Uli und Hannes, die noch das eine oder andere Bier vernichten.

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Bild 33: Zwei der Amerikanerinnen beim Plaudern

An einem der Tauchtage regnet es am Nachmittag – das ist für das Tauchen kein Problem, aber das für den Abend angesetzte Picknick auf einer Insel fällt aus. Schade, denn das ist eines der Highlights so einer Tour – mit Grillerei am Strand, Kerzen, Mondlicht und bunten Cocktails. Die zweite Kleinigkeit, die an dieser Woche nicht gepasst hat, war das Fehlen eines Walhaies – eigentlich wäre die Saison passend und unser Guide Martina hat auch zwei Tage nach unserer Abreise einen gesehen. Auch Schade, aber das ist nun einmal so beim Tauchen.

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Bild 34: Regen im Paradies. Wenigstens warmer Regen.

An einem Tag machen wir einen unechten Nachttauchgang, denn er beginnt schon am späteren Abend. Bei einem Ressort werden schon seit Jahren Ammenhaie angefüttert. Die kann man dort betauchen. Das ist toll, weil ich habe noch nie Ammenhaie gesehen.
Sie sind freundlich und spielen mit den Tauchern, indem sie neugierig um sie herumschwimmen, manchmal wirst du als Taucher auch leicht angerempelt.
Trotzdem bleiben sie wilde Tiere. Erst vor ein paar Wochen ist ein Unfall passiert. Am Abend sind die Schiffe beleuchtet und dann kommen hin und wieder die Haie, weil sie vom Licht angelockt werden. Eine Russin ging daraufhin zur Plattform am Heck und steckte die Finger ins Wasser. Das war keine gute Idee, denn die Haie dachten, dass dies ein kleines Leckerli wäre und schon hatte die Russin zwei Finger weniger. Martina hat uns das Foto mit den blutenden Resten der Hand gezeigt. Die Russin wird sich das wohl merken.

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Bild 35: So sieht der „Nurse Shark“ aus.

Dieser Tauchgang war überhaupt toll, denn wir konnten auch noch einen großen Stachelrochen aus der Nähe sehen.

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Bild 36: Ein Stachelrochen.

Am Mittwoch in der Früh bin ich schlampig beim Anziehen des Anzugs und auf einmal macht es „Ratsch“ und ich verreisse mir ordentlich das Kreuz. Das ist eine alte Verletzung vom letzten Oktober, wo ich mich danach ein paar Tage nicht rühren konnte. Diesmal ist es nicht ganz so schlimm, aber die Schmerzen sind deutlich spürbar, vor allem beim Sitzen. Meine Angst, dass ich nicht mehr tauchen kann, ist glücklicherweise unbegründet, denn genau beim Tauchen tut der Rücken überhaupt nicht weh.
Alex ist gleich nach dem Tauchgang zur Stelle und gibt mir eine erste kurze Massage des Rückens. Nach dem Frühstück gehe ich zur ihr in die Massage-Kabine und werde ordentlich durchgeknetet – zwar nur eine halbe Stunde, dafür am nächsten Tag noch einmal. Das verbessert die Lage, aber meine allgemeine Stimmung ist dadurch schon ordentlich getrübt.

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Bild 37: Alex stammt von den Philippinen

Die Tauchgänge verlaufen recht ruhig und wir sehen vor allem Großfische:

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Bild 38: Ein grauer Riffhai. Er ist der größte, den wir dort zu sehen bekommen.

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Bild 39: Ein Weißspitzen-Riffhai. Davon gibt es eine Menge.

An einem Nachmittag besuchen wir eine Insel, auf der Einheimische leben. Das ist eher trist – Ramschläden, ein kleiner Hafen, ein paar Mopeds, viel gibt es hier nicht. Die Menschen leben vom Fischfang und vom Tourismus, zwar mitten im vermeintlichen Paradies, sehr paradiesisch wirkt es auf mich aber nicht.

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Bild 40: Spaziergang auf der Insel

Lustig fand ich allein das kleine Wahlkampfbüro (Gruß an die NEOS) und das Plakat eines der letzten Kandidaten.

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Bild 41: Das Wahlkampfbüro

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Bild 1: Gestatten: Kandidat, für die Malediven

Unsere Guides und die ganze Mannschaft haben einen schweren Job. Erstere müssen drei Monate arbeiten und haben danach eine Woche frei. Die Arbeit dauert mehr oder weniger 24/7, hin und wieder haben sie die eine oder andere Stunde, in der sie sich ausruhen können. Sie haben nicht einmal eine eigene Kabine, sondern teilen sich eine mit einem anderen Tauchguide. Reich werden sie damit nicht und so träumen alle von einem anderen Leben. Rauf möchte eine eigene Tauchbasis eröffnen, Martina ein kleines Kaffeehaus in Italien. Interessanterweise träumen sie alle von der Selbständigkeit.
Auch der Rest der Crew arbeitet hart. Sie wohnen meist sehr weit weg, irgendwo auf einem Atoll oder in einem anderen Land und kommen manchmal nur 1x pro Jahr nach Hause. Auch ihr Verdienst ist nicht hoch, ich konnte nicht herausfinden, ob sie außer dem Trinkgeld noch etwas verdienen (die Tauchguides schon, sie haben auch keinen Verlust, wenn sie einmal krank werden).

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Bild 42: Ein paar Matrosen beim Ankern

Am folgenden Bild sieht man noch den netten und hervorragenden Koch in seiner Küche. Die ist für Schiffe durchaus gut ausgestattet und relativ groß.

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Bild 43: Küche und Koch

Das Trinkgeld ist quasi obligatorisch, wird aber nicht in Form einer Service-Charge aufgeschlagen, sondern am letzten Abend findet jeder Gast ein Kuvert am Bett, das er befüllen kann. Der Vorschlag beläuft sich auf 150 Dollar, aber es bleibt jedem selbst überlassen, was er/sie hinein tut.
Das wird dann zwischen allen aufgeteilt, vom Kapitän bis zum Hilfsmatrosen, vom Koch bis zum Tauchguide bekommt jeder genau gleich viel. Das soll den Zusammenhalt stärken und klar machen, dass jede(r) an Bord einen wichtigen Job macht.
Martina hat es besonders schwer, als junge, sehr hübsche Frau ist sie in einer Sonderposition. Die Crew ist ewig lang von daheim weg, das sind alles junge Männer, die in einem muslimischen Land leben, wo Frauen in der Öffentlichkeit weite, knöchellange Gewänder und Kopftücher tragen (keine Schleier). Auf einmal ist da eine junge Italienerin im Bikini. Einmal hat einer versucht mit einem Haken in ihre Kabine einzudringen. Er wurde sofort gefeuert, ein anderer dann auch noch. Die Gefahr bleibt jedoch latent erhalten. Dazu kommt noch, dass die Guides immer freundlich und gut drauf sein müssen. Und sie müssen immer Lust auf´s Tauchen haben und zwischen den Tauchgängen haben sie auch noch jede Menge zu tun. Das ist nicht einfach.

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Bild 44: Meine Wenigkeit. Ich hänge gerade im Sicherheitsstop kurz vor dem Auftauchen.

Am letzten Tag gibt es nur mehr einen Tauchgang. Danach folgt das große Waschen, putzen und aufräumen. Das gesamte Equipment wird verteilt am ganzen Schiff aufgehängt und wird durch Wind und Sonne auch sehr schnell trocken. Schon schleicht sich leichte Wehmut ein, das Schiff wieder verlassen zu müssen. Jetzt wird erst klar, wie schön diese Woche war. Zugleich bin ich froh, dass ich alle Tauchgänge machen konnte und bis auf den verrissenen Rücken nicht krank wurde. Einige Gäste mussten einige Tauchgänge pausieren, drei Mal konnte ich mit meinem Wundermittel „Clarinase“ helfen, das mir schon so oft geholfen hat.
Dann treffen wir wieder in Male ein und ankern im Hafen. Die Crew ist emsig bei der Arbeit und holt neue Vorräte für die Gäste, die schon am nächsten Tag am Vormittag eintreffen werden. Der Wechsel ist immer Sonntag früh, wo die alte Partie abreist und die neue kommt. Am Schiff gibt es nur selten eine Woche, die nicht verchartert ist.
Ein Tankschiff kommt und füllt die Dieseltanks neu auf, ein anderes bringt frisches Wasser.
Im Hafen liegen verschiedene Schiffe, auch ein anderes der Emperor-Flotte, nämlich die brandneue „Explorer“ mit einem stärkeren Motor, der für andere Routen geeignet ist.
Am nächsten Bild sieht man links ein altes Tauchschiff. Es ist wesentlich kleiner und mit den modernen, großen Schiffen nicht vergleichbar. Das Schiff rechts davon war einmal ein Hospitalschiff, wurde dann von einem Russen gekauft, seitdem liegt es im Hafen vor Anker und hin und wieder übernachtet die Tochter des Russen darauf. So hat jedes Schiff hier seine Geschichte.

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Bild 45: Die beiden Schiffe im Hafen

Viele Gäste fahren am Samstag Nachmittag noch auf die Hauptinsel, um sich die Hauptstadt Male anzusehen. Da Werner das schon gemacht hat und meint, dass wir absolut gar nichts versäumen, bleiben wir lieber auf dem Schiff und genießen die Ruhe. Der Abend bringt dann noch eine fette Bierrechnung für die Jungs, ich gehe aber lieber früh schlafen.

Am nächsten Tag ist wieder um 6 Uhr Tagwache und um 7 Uhr heißt es Abschied nehmen. Das Dhoni bringt uns zum Flughafenpier, wo wir wieder einmal warten müssen, konkret zwei Stunden bis zum Transfer nach Malahini, einem weiteren Ressort, in dem wir die letzten beiden Tage vor dem Heimflug verbringen werden.

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Bild 46: Bald ist diese Tour Geschichte

Wir beobachten die anderen Gäste, wie sie langsam durch die Kontrolle gehen und dann verschwinden – vielleicht für immer, vielleicht sehe ich den einen oder die andere ja wieder irgendwann irgendwo.
Dem netten Hans aus München habe ich noch meine alte Tauchmaske verkauft. Er hatte eine ungeschliffene, die ihm gebrochen ist. Ich habe ihm dann meine geborgt und er hatte auf einmal gänzlich neue Taucherlebnisse. Davon war er so begeistert, dass er mir die Maske sofort abgekauft hat – sie war meine Reservemaske, die ich aber noch nie gebraucht habe.

Weil mir der Rücken vom Sitzen sehr weh tut, mache ich einen kleinen Rundgang am Pier, so weit es halt geht. Ich schlendere am Teil vorbei, wo die Domestic Flights gehen und sehe davor einen fetten Bentley stehen, mit dem die Superreichen vielleicht zweihundert Meter weit geführt werden, vom International Flight erster Klasse zum Hubschrauber oder Wasserflugzeug.
„St. Regis“ ist ein Luxusressort – nicht oberste Kategorie, aber ein paar tausend Dollar pro Nacht wird das schon kosten. Der Unterschied zwischen Reich und Wohlhabend (Billig ist das hier für niemand) wird an dieser Luxuskarosse deutlich sichtbar.

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Bild 47: Der Bentley wartet auf betuchte Gäste

Dann geht es wieder rauf auf´s nächste Speedboot. Die Fahrt dauert keine 15 Minuten und schon sind wir wieder im Paradies angelangt. Die Insel ist wesentlich kleiner als Hudhuran Fushi, man kann sie in 10 Minuten umrunden, wenn man sich ein wenig beeilt.
In allen wesentlichen Punkten gleicht ein Ressort dem anderen: Kleine Bungalows mit Zimmer und Bad, Restaurant, Bars, Strand und dann noch in unterschiedlichen Ausprägungen Einrichtungen wie ein Wassersportbereich, Wellness, Fitness – das war es dann auch schon. Überall die gleichen Pflanzen, selbst das Essen ist sehr ähnlich.
Was leider auch gleich ist, betrifft einen traurigen Aspekt: die Inseln werden weggespült. Sehr gut kann man das am Restaurant erkennen, dessen Fundament schon recht brüchig wirkt und in Teilen schon zerbrochen ist. Der ansteigende Meeresspiegel führt zu ständig zunehmender Überflutung der Inseln, deren höchste Erhebung 1,5 Meter beträgt. Alles andere ist künstlich aufgeschüttet, und zwar mit Korallenblöcken bzw. Korallensand, der wiederum irgendwo auf einem Atoll abgebaut wird.

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Bild 48: Erosion

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Bild 49: Das Meer erobert das Land zurück

Noch merkt man nicht allzu viel – unterspülte Palmen, die aber schnell entsorgt werden, sobald sie umstürzen. Die Touristen sollen die Erosion des Paradieses nicht mitbekommen. Daher werden die Service-Teile gut versteckt:

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Bild 50: Das Generatorhaus

Die neue Insel, die neben Male gebaut wird und von der man kilometerweit die Staubfahne des Korallensandstaubes sieht, der gerade aufgeschüttet wird, soll weitere 1,5 Meter höher gebaut werden als alles Bisherige. Das wird man auch brauchen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.
Sollte das Abschmelzen des Polareises sowie Grönlands noch zunehmen, könnte die Veränderung und der darauf folgende Untergang ziemlich bald passieren. Mit etwas Glück dauert es auch noch ein paar Jahrzehnte, aber das Ende ist quasi schon besiegelt. Am gefährlichsten dürfte derzeit das Auftauen des Permafrostbodens sein, der 2-3x soviel CO2 enthält, wie derzeit in der Atmosphäre ist. Wenn das entweicht, ist es sowieso vorbei mit allen Küstenregionen dieser Welt.
Die Malediven werden zu den ersten Paradiesen dieser Welt gehören, die vom Meer weggespült werden. Dass der dort stattfindende Umweltwahnsinn dann ein Ende hat, ist ein schwacher Trost. Auch die Regeneration der Korallen wird in dem dann deutlich wärmeren Meer nicht funktionieren, eher im Gegenteil. Sie werden wahrscheinlich warten müssen, bis die Verursacher der Klimakatastrophe sich selbst vernichtet haben oder gescheiter geworden sind.
Derzeit jedoch boomen die Malediven und man baut überall ein Ressort, wo es noch möglich ist. Die nächsten beiden Bilder zeigen wie das gemacht wird. Das große Schiff ist ein Transportschiff, das die Plattform mit dem Kran transportiert.

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Bild 51: Das Kranschiff – registriert in Panama, wegen der Steuer

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Bild 52: Der Ponton mit dem Kran

Viele neue Gäste kommen aus Indien und China, auch auf unserer Insel gibt es haufenweise junge Chinesinnen, die dadurch zu erkennen sind, dass sie seltsame Kleidung am Strand tragen und die Augen niemals von ihrem Handy nehmen. Sie starren von morgens bis abends gebannt auf den Bildschirm und tippen und wischen was das Zeug hält. Von der Insel mit ihren Schönheiten bekommen sie nichts oder fast nichts mit und ich bin fasziniert von der Radikalität, mit der sie das leben.

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Bild 53: Die Chinesin mit ihrem Handy

Die Ressorts wiederum müssen den Spagat zwischen Luxus und Sparsamkeit schaffen. Das ist keine leichte Aufgabe, denn die Touristen sollen von den Maßnahmen möglichst wenig mitbekommen. Man verwendet also Öl statt Photovoltaik oder Windkraft zur Stromgewinnung, der Müll wird gelagert statt verwertet, man klimatisiert nicht durch clevere Materialien oder Bauweise, sondern mit Aircondition in billig hochgepfuschten Bungalows, deren Bestandteile industriell erzeugt werden. Statt echten Erdbeeren in den Desserts gibt es Aromen und Farbstoffe, die Früchte müssen von weither transportiert werden und sind daher meist eher unreif, wenn sie serviert werden. Es gilt Kompromisse zu schließen, aber den meisten Touristen dürfte das egal sein.
In den ganz teuren Ressorts mag das ein wenig anders sein, aber die machen nur wenige Prozent aus.

Ein schöner Urlaub geht zu Ende. Es hat sich ausgezahlt die Malediven zu besuchen, das Paradies in Not, wo man alles tut, um die Probleme von den Menschen fernzuhalten. Ich werde mir einiges überlegen müssen um den riesigen CO2-Fußabdruck, den ich hinterlassen habe, zu kompensieren.
Zum Abschluss noch einen der wunderbaren Momente auf diesem schönen Plätzchen unserer Erde. Möge es noch lange erhalten bleiben und mögen die Prognosen nicht wahr werden. Die Menschen auf den Malediven hätten es sich verdient.

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Bild 54: Sonnenuntergang

Nach 27 Jahren wieder im Zillertal

Ich kann es selbst kaum glauben, aber es ist tatsächlich schon so lange her. Anfang der 1990er war ich mit Freunden eine Woche Mountainbiken in Fügen im Zillertal, am Asterhof der Familie Steinberger.
Die Maria Daigl ist jetzt 94 Jahre alt. Kurz nach dem Krieg ist meine Oma quasi zum „Aufpäppln“ ins schöne Zillertal gekommen, da es dort – im Gegensatz zu Wien – genügend zu essen gab. Es entstand eine Freundschaft, die 70 Jahre lang halten sollte. Die „Mariedl“, wie sie genannt wird, ist heute noch eine rüstige alte Frau, die den Haushalt im alten Bauernhof fast alleine schupft, geistig erstaunlich fit ist und die ich auch besuchen will.
Ihre Kinder Lisl und Karl sind mit meiner Mutter befreundet und so kam ich in den frühen 1980er Jahren auch ins Zillertal – allerdings auf Urlaub und gut genährt.

Irgendwann war ich dann ein paar Jahre lang nicht dort und aus den paar Jahren wurden fast drei Jahrzehnte – so vergeht die Zeit. Ich wollte immer wieder hinfahren und dann ist doch nichts draus geworden.
Doch jetzt ist es anders. Drei Tage wandern mit Susanne, einer lieben alten Freundin und Kollegin, sind für den Sommer geplant. Irgendwohin, ins Waldviertel oder in die Steiermark. Warum mir nicht sofort das Zillertal eingefallen ist, weiß ich nicht. Es könnte daran liegen, dass die Pension meist schon ein halbes Jahr vorher ausgebucht ist, oft auch noch länger. Und irgendwie wäre es schade, wenn ich nicht am Asterhof sein könnte, wo ich viele schöne Tage und Wochen verbracht habe. In irgendeiner Pension – das ist wenig reizvoll.

Doch dann erzählt mir meine Mutter, dass sie gerade dort war, auch weil ein neuer Golfplatz im Zillertal gebaut wurde und sie leidenschaftlich Golf spielt.
Und auf einmal kommt die Idee – ich könnte ja anrufen und fragen. Wahrscheinlich müssen wir woanders wohnen, aber das darf diesmal kein Grund sein nicht ins Zillertal zu fahren.

Die Telefonnummer stimmt nicht mehr – es ist einfach zu lange her, dass ich dort angerufen habe. Die Website www.asterhof.at gibt aber Auskunft. Dort sehe ich, dass sich alles massiv weiterentwickelt hat. Inzwischen hat die ältere Tochter von Lisl, die Anni, die Pension gemeinsam mit ihrem Mann Patrick übernommen und sie haben auch schon zwei Söhne, von denen der ältere gerade den L17-Führerschein macht.

Als ich anrufe, hebt Monika ab, die jüngere Tochter von Rudl und Lisl. Sie erinnert sich tatsächlich an mich und als ich es wage um ein Zimmer zu fragen, meint sie, dass wir Glück haben – zwar nicht von Dienstag bis Samstag, aber von Mittwoch bis Sonntag wäre ein Zimmer frei.
So schnell hab ich noch nie was gebucht. So viel Glück hatte ich auch schon lange nicht mehr. Und mehr Wink vom Schicksal geht auch nicht. Es ist Zeit für´s Zillertal.

Die Freude ist groß und ich plane sofort die Bergtouren, die wir machen werden. In Erinnerung habe ich die majestätischen Gletscher der hohen Berge am Hauptalpenkamm. Von dort gehen die Seitentäler weg, die in Mayrhofen zusammentreffen. Einige, fast alle davon, sind seit Jahrzehnten mit Speicherseen verbaut. Von dort aus kann man diverse Berghütten besuchen, die jeweils ein spannendes Panorama bieten. Und natürlich wollen wir den Hausberg von Fügen besuchen, das Spieljoch. Die Bahn dort hinauf führt nahe am Asterhof vorbei. Ich bin schon gespannt, welche Touren es dann tatsächlich sein werden.

DER MITTWOCH

Mittwoch Mittag, Abfahrt. Wir fahren mit dem Auto von Susanne und hoffen auf nicht allzu viel Verkehr. Das funktioniert auch bis Salzburg, dort erwartet uns dann ein Stau am Walserberg. Ich hasse Stau und beschließe über das kleine deutsche Eck zu fahren, versäume aber die Abfahrt. Es ist auch schon ewig her, dass ich hier gefahren bin.
Also stehen wir im Stau, glücklicherweise nur eine halbe Stunde. Danach geht es bei dichtem Verkehr bis Rosenheim und dann weiter über Kufstein bis Abfahrt ins Zillertal.
Dort hat man einen Tunnel gebaut, der einen Abschneider ins Tal bietet, bei viel Tourismusverkehr aber von Zeit zu Zeit gesperrt ist, weil man Blockabfertigung machen muss.
Wir haben Glück, Mittwoch Nachmittag ist nicht viel los.

In Fügen besuche ich noch die Tourismusinformation und kaufe mir eine gute Wanderkarte. Einen Führer gibt es gratis dazu, auch eine Karte vom vorderen Zillertal kostet nichts. Das Service ist gut und ich erinnere mich an einen Film, den wir quasi zur Einstimmung ein paar Tage vorher angesehen haben: Die Piefke-Saga, Teil 4. Der ORF traut sich nur selten diesen Teil auszustrahlen, er stellt eine Dystopie dar und wurde Anfang der 1990er-Jahre gedreht. Genau zu dieser Zeit war ich auch das letzte Mal im Zillertal und der Film spielt dort, genauer gesagt in Mayrhofen, das im Film „Fahnenberg“ heißt.
Mein Fazit: Natürlich ist nicht alles so eingetroffen wie es Felix Mitterer damals dargestellt hat. Einige Details sind jedoch erschreckend gut getroffen und ich werde darauf noch eingehen.

Jetzt freue ich mich einfach wieder hier zu sein und wir finden auch auf Anhieb den Asterhof, wenngleich sich der Weg dorthin massiv verändert hat. Der Ort ist den Berg hinauf gewachsen, es gibt eine große Zahl neuer Häuser, meist Pensionen, alle in stattlicher Größe. Und der Schiestl ist jetzt ein riesiges Hotel – er war damals eine kleine Pension, in die wir am Abend öfter essen gegangen sind. Der „Waldfriede“, einst das mit Abstand größte Haus am Pankratzberg, fällt nicht mehr auf. Auch die Spielhochbahn ist komplett modernisiert worden und die Straße nach Hochfügen hat man in einem großen Bogen rundherum gebaut.

Als wir beim Hubertus rechts Richtung Asterhof abbiegen, bin ich zunächst verwirrt – wo ist das Haus? Dann entdecken wir es hinter einem großen, neuen Haus, das gleich daneben gebaut wurde. Früher war da Wiese.
Auch der Hof hat sich verändert, wurde vergrößert, erneuert, schöner gemacht. Aus dem winzigen Bach, der früher zwischen Pension und dem alten Bauernhof vorbei geflossen ist und den wir immer wieder aufgestaut haben, wurde ein schön gefasster Brunnen mit einer kleinen Terrasse daneben.

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Bild 1: Brunnen

Es gibt eine neue Rezeption, ein Stock wurde draufgesetzt und auch sonst einiges umgestaltet. Trotzdem ist der Ort noch immer schön, was aber nicht nur am äußerst gepflegten Gebäude liegt, sondern an den Menschen, die dort leben.
Anni winkt schon vom Balkon und ich freue mich riesig sie wieder zu sehen. Ihren Mann Patrick lernen wir auch gleich kennen, Monika und die Eltern etwas später.
Der Asterhof unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von anderen Hotels bzw. Pensionen. Anni und ihre Familie sind unglaublich fleißig und arbeiten seit Jahrzehnten hart an Aufbau und Verbesserung ihrer Lebensgrundlage. Dafür gehört ihnen auch all das, was sie aufgebaut haben. Das ist seltener der Fall als man glaubt, viele Hotels gehören der Bank und die Besitzer sind maximal Verwalter.

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Bild 2: Asterhof

Die Familie Plattner ist eigenständig und gestaltet Ihr Apart-Hotel nach ihren eigenen Vorstellungen. Das macht sie so erfolgreich, dass die Gäste gerne und oft wiederkommen – manche schon seit Jahrzehnten. Das ermöglicht eine gute Auslastung und eine gewisse Planbarkeit. Das kostet aber auch enorm viel Kraft, denn Urlaub ist oft jahrelang ein Fremdwort und die Tage beginnen früh und enden spät. Trotzdem haben sie es geschafft eine gute Balance zu finden, was sich massiv auf den Geist, auf die Seele des Asterhofs auswirkt. Das ist das eigentliche Geheimnis: genügend Zeit für die Gäste, die trotzdem auf keinen Komfort verzichten müssen. Sie werden nicht durchgeschleust, sondern möglichst individuell betreut.

Wir wollen uns nach der langen Fahrt noch ein wenig die Beine vertreten und bekommen von Patrick den Tipp für eine kleine halbstündige Runde. Sie führt an zwei Häusern vorbei an den Waldrand, dort auf dem Wanderweg Richtung Spieljoch durch den Wald bergan und dann wieder links hinunter in einer Runde auf die Wiese oberhalb des Hofs.
Ich bin glücklich wieder diese Luft riechen zu dürfen. Kaum sind wir im Wald, wachsen links die Himbeeren, geradeaus die Brombeeren und rechts die Heidelbeeren. Preiselbeeren gäbe es auch noch, die sind aber noch nicht reif.
Irgendwie ist das unglaublich und wirkt wie aus einem Film. Es ist aber echt, der Reichtum der Natur ist im Zillertal noch vorhanden, sein Herz ist noch nicht gebrochen und hoffentlich passiert das auch noch nicht so bald.
Es wird an den Tirolern liegen ihre Heimat zu erhalten.

Wir schaffen es vor einem Regenguss rechtzeitig wieder zurück zu sein und planen das Abendessen. Meine Mutter hat mir vom Wöscherhof vorgeschwärmt. Dieser befindet sich im Nachbarort Uderns und gehört der Familie Daigl. Geführt wird er von Sabine, der Cousine von Anni und Monika, die ich seit mehr als 30 Jahren nicht mehr gesehen habe. Das Essen in diesem inzwischen großen Hotel soll hervorragend sein und wir beschließen, diesem Tipp nachzugehen.

Das Hotel ist wirklich beeindruckend und das Essen hält was es verspricht. Sabine hätte ich nicht wiedererkannt und sie mich auch nicht. Trotzdem freuen wir uns und sie erzählt mir, wie sie damals als kleines Mädchen mit auf die Berliner Hütte gegangen ist. Ich hatte das vergessen, aber jetzt fällt es mir wieder ein. Ein paar Erinnerungsfetzen sind noch da. Heute ist sie eine erwachsene Frau mit einer fast erwachsenen Tochter und führt ein Hotel als Familienbetrieb. Wir sitzen nach dem Essen noch lange an der Bar und ich gönne mir den einen oder anderen „Zirbenen“. Irgendwann taucht auch Andreas auf, ihr Bruder. Er ist mir als kleiner, lockiger Bub in Erinnerung, der unbedingt einmal Bauer werden wollte.
Das Bild, das ich noch im Kopf habe, ist ein Traktor, bei dem Andreas neben seinem Vater Karl sitzt. Heute ist er tatsächlich Bauer, unterstützt Sabine mit dem Hotel, ist leider geschieden und hat zwei Kinder. Daneben führt er eine Landwirtschaft, geht die Kühe melken, wenn es sein Vater gerade nicht tun kann. Am Abend spielt er in einer großen Blaskapelle. Dazu muss ich anmerken, dass alle Mitglieder dieser großen Familie äußerst musikalisch sind. Anni und Monika sind über die Landesgrenzen für ihr Harfenspiel bekannt und meine Mutter versucht seit vielen Jahren sie nach Wien zu locken bzw. abzupassen, wenn sie irgendwie in der Nähe einen Auftritt haben.
Es hat den Eindruck, als hätten die Zillertaler mehr als nur 24 Stunden pro Tag zur Verfügung. Trotzdem geht sich ein Schnapsl mit Gästen aus und die Herzlichkeit ist echt. Hier hat Felix Mitterer nur einen Teil der Realität gezeigt.

Hundemüde fallen wir ins Bett, gespannt auf den nächsten Tag, an dem wir zur Olperer Hütte wandern wollen. Patrick meint, der Wirt vom Furtschaglhaus sei unfreundlich und Sabine meint, von der Olperer Hütte aus hätte man sowieso einen schöneren Ausblick. Mir ist das egal, ich lerne gerne was Neues kennen.

DER DONNERSTAG

Nach einem exzellenten Frühstück mit hausgemachter Butter und ebenso hausgemachter Heidelbeer-Marmelade machen wir uns auf den Weg. Dieser ist leider ziemlich weit, denn wir müssen nicht nur bis zum Ende des Zillertals fahren, sondern dort noch über 20 Kilometer auf einer schmalen Straße bis hinauf zum Schlegeis-Speicher, dem größten im Zillertal.

Bei der Mautstellen müssen wir 15 Minuten warten, da der dahinter liegende Tunnel nur einspurig befahrbar ist. Die Maut kostet sportliche 12,50- Euro, wobei die Erhaltung dieser Straße sicher nicht billig ist.

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Bild 3: Die gewaltige Staumauer des Schlegeis-Speichers

Die Staumauer ist beeindruckend, der Speicher hat aber relativ wenig Wasser, was zum Teil dem sehr trockenen Frühsommer geschuldet ist.

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Bild 4: Schlegeisspeicher

Wir parken uns ein und beginnen mit dem steilen Anstieg zur Hütte. Patrick hat gemeint, das sei in einer Stunde zu bewältigen und das Essen oben wäre sehr gut.
Es tröpfelt leicht und schwere Wolken ziehen hin und her, dazwischen gibt es immer wieder sonnige Abschnitte. Für eine Regenjacke ist es zu wenig, nur das T-Shirt ist aber auch zu wenig.

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Bild 5: Wetterstimmung über dem Schlageis-Speicher

Egal – der Anstieg führt durch Bergwald und dann durch Latschenkiefer steil bergauf. Wir überholen einige kleinere Wandergruppen, einige kommen uns auch entgegen, sie dürften auf der Hütte übernachtet haben.

Dann plötzlich liegt die Hütte vor uns, nach einer Stunde und fünf Minuten – wir waren gar nicht so langsam. Es waren immerhin 585 Höhenmeter.
Die Hütte selbst ist gut besucht und bietet einen wunderschönen, großen Gastraum mit Panoramascheiben. Junge Studentinnen von überall bedienen flott und nett, wir bestellen eine Portion Kaiserschmarren und Susanne eine zweite Portion Apfelmus dazu.
Ich bin erstaunt über die niedrigen Preise. DAs kostet nicht mehr als unten im Tal, obwohl sie alles mangels Materialseilbahn mit dem Hubschrauber hinauf fliegen müssen – jährlich 75 Tonnen in insgesamt 100 Flügen. Ein dicker Prospekt gibt darüber und noch über vieles anderes Auskunft.
Hier hat sich einiges verändert. Früher gab es das berühmte „Skiwasser“ – ein mit Wasser verdünnter Dicksaft. Dazu Speckbrot und vielleicht noch Linsen mit Speck oder ein Käsebrot. Heute gibt es eine umfangreiche Speisekarte und man kann zwischen mehreren Bieren wählen oder eine gute Flasche französischen Rotwein bestellen.

Olpererhuette

Bild 6: Olpererhütte

Der Kaiserschmarren ist köstlich und die Portion reicht für zwei. Wir sind zufrieden mit dem tollen Tipp von Patrick, einzig und allein die Aussicht ist zwar schön, jedoch nicht vergleichbar mit dem spektakulären Blick vom Furtschaglhaus auf die – einstmals – mächtigen Gletscher von Hochfeiler, Hochferner und Großem Möseler.

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Bild 7: Der Große Möseler

Auch wenn diese heute fast verschwunden sind (dazu später noch mehr), so war es doch ein beeindruckender Anblick, wenn wir damals einen Gletscher beim „kalben“ sehen durften. Dabei brechen große Eismassen ab und den lauten Knall dazu hört man erst ein paar Sekunden nachdem man das Schauspiel gesehen hat.
Am nächsten Bild sieht man wo sich das Furtschaglhaus befindet und die rote Linie zeigt, wie weit die Gletscher vor 30 Jahren gereicht haben.

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Bild 8: Gletscherlandschaft

Wir beschließen auch noch den zweiten Tipp von Patrick umzusetzen und die „Neumarkter Runde“ zu gehen, die uns in einer großen Linksrunde wieder zurück zum Speichersee bringen wird.

Es ist immer noch bewölkt und wir freuen uns, dass die nette Kellnerin das zweite Apfelmus nicht berechnen wollte. Im Gegenzug können wir die Olperer Hütte wärmstens empfehlen.
Es geht weiter über eine Art von Weg wie ich ihn noch nie gesehen bzw. begangen habe. Früher stieg man einfach über das Geröll, heute wirkt der Weg als wäre er von einem Designer angelegt worden. Große Steinplatten wurden kunstvoll so geschlichtet, dass man äußerst bequem über die großen Geröllfelder gehen kann.

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Bild 9: Die Platten auf der Neumarkter Runde

Als ich Patrick später frage, wie das gemacht wird, kommt er selbst an die Grenzen seines Wissens. „Sie verwenden einen Hupfer, das ist so ein Bagger auf spinneiförmigen Auslegern“ meint er. Das erscheint plausibel, denn auch viele Menschen könnten die meisten Platten bzw. Felsen nicht heben und schon gar nicht so schlichten.

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Bild 10: Die Platten am Weg

Dass es so etwas gibt, war mir neu. Wir sind hier sicher an der Grenze des Sinnvollen angekommen und es ist schwer zu sagen, was mehr zählt: die Bequemlichkeit der Touristen oder die Unberührtheit der Berge. Letztere gibt es zwar sowieso nicht mehr, aber es ist immer noch eine Entscheidung möglich wie weit man gehen möchte.
Wir finden dann noch ein Steinschild, auf dem erklärt wird, was hier getan wurde:

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Bild 11: Wegabschnitt der Neumarkter Runde

Es geht somit gut voran und ich entdecke, dass es die alten Orientierungshilfen, die Steinmandln, noch immer gibt

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Bild 12: Neben einem großen Steinmandl

Dann geht es hinab in einen Talkessel, der früher einmal sehr beeindruckend gewesen sein muss. Als es noch Gletscher gab, deren kümmerliche Reste wir bewundern können.
Also gehen wir weiter und begegnen im Ausläufer des Talkessels einer deutschen Familie. Der Vater fragt uns, wie weit es noch bis zur Olperer Hütte ist.
Hinter ihm wandern seine Frau und zwei Kinder, die kleine Tochter vielleicht neun Jahre alt. Er hat eine ganz brauchbare Ausrüstung, seine Frau schon weniger und die Kinder sind fast gar nicht für den Berg gerüstet. Das Schlimmste sind die Hella-Kitty-Schuhe der Kleinen, mit Klettverschlüssen und fast ganz glatten Sohlen. Alle wirken schon müde und die Mutter zeigt etwas Erleichterung, als wir darlegen, wie weit es noch bis zur Hütte und vor allem wie dann der Abstieg beschaffen ist.
Der Vater hat Ehrgeiz, er möchte zur Hütte. Leider versteht er nicht, dass sie sich in hochalpinem Gelände bewegen und weit entfernt davon sind die richtige Ausrüstung dabei zu haben.
Selbst wenn die Kleine den Weg bis zur Hütte schafft, muss sie danach noch den steilen Abstieg bewältigen. Genau genommen ist es fahrlässig so etwas auch nur zu probieren.
Unten im Tal sieht alles recht leicht aus, man marschiert über eine nette Almwiese auf einem breiten Weg, der dann zwar schmäler und steiler wird, aber nicht ahnen lässt, was oben noch kommt.
Wir hoffen, dass die Familie rechtzeitig umdreht, bevor ein übles Wetter kommt oder die Kleine nicht mehr weiter kann. Bisher dachte ich, diese Art von Touristen gibt es nur in Filmklischees, aber uns sollten noch einige von dieser Sorte begegnen.

Es gab zwar immer schon Menschen, die in Sandalen ins Hochgebirge gegangen sind, und nicht alle waren Deutsche (okay, sehr viele, aber das liegt daran, dass es auch sehr viele gibt). Ich habe aber den Eindruck, dass es mehr geworden sind. Möglicherweise ist die Ursache die Anpassung der alpinen Welt an die ständig steigende Bequemlichkeitssucht der Menschen. Statt einem Schlepplift muss es ein Sessellift sein und statt eines Sessellifts eine Gondelbahn. Statt der Gondelbahn eine noch größere, schnellere und klimatisierte Gondelbahn und auf der Bergstation eine perfekt ausgestattete Erlebniswelt, idealerweise mit Hallenbad und Wellness-Bereich.
Was – das habt ihr nicht? Dann fahren wir halt woanders hin.

Wer würde in so einem Disneyland schon an alpine Gefahren denken? Diesmal hat Felix Mitterer ins Schwarze getroffen, als er in seiner Piefke-Saga im Alpendorf Mayrhofen eine moderne Tiefgarage bauen ließ. Diese gibt es heute wirklich. Und noch vieles mehr.

Wir steigen ab und kommen wieder zurück zum Auto. Bergab haben wir Glück mit der Ampel und beschließen noch einen Sprung bei der alten Mariedl vorbei zu schauen – mehr auf Glück, vielleicht ist sie ja da.

Ich finde das alte Bauernhaus fast auf Anhieb und läute an der versperrten Tür. Als ich schon wieder gehen will, wird sie plötzlich aufgesperrt und die Mariedl steht vor uns. Es dauert ein bisschen bis sie mich genau zuordnen kann, aber dann werden wir herein gebeten und sie freut sich sichtlich über Besuch.
Wir haben auch nicht ewig Zeit, denn sie hat in einer Stunde eine Massage-Termin, wegen ihrem Rücken und weil sie vor einiger Zeit gestürzt ist.
Sie hat sich aber gut erholt und wirkt recht frisch und munter. Alte Zeiten tauchen auf und wir schwelgen gemeinsam in Erinnerungen und denken an meine Omi, die vor vier Jahren im ebenfalls stolzen Alter von 92 gestorben ist.
Nur die verdammten Batterien vom Hörgerät, die muss sie noch schnell tauschen, meint Mariedl und serviert uns einen Saft. Dass sie extra wegen uns eine Kuchen auftaut können wir gerade noch verhindern.
Dann taucht auch noch Karl auf, ihr Sohn, der auch schon um die Siebzig ist, aber kurz danach hinüber in den Stall muss die Kühe melken.

Wir verabschieden uns und fahren zum Asterhof, erschöpft vom langen Tag, aber glücklich über das Erlebte. Und wir haben Hunger, und zwar nach Zillertaler Essen. Gestern war es zwar köstlich, aber recht international, wenngleich der Hirsch aus dem Zillertal war, wie Sabine beteuert hat.

Zillertaler Krapfen – ich erinnere mich mit Sehnsucht an diese lokale Köstlichkeit. Und Moschbeernockn – das ist die zweite Spezialität. Beides ist leider nirgends zu bekommen, Anni macht ein paar vergebliche Anfragen, muss dann aber passen. Was wir aber bekommen könnten, wäre die dritte Zillertaler Spezialität, nämlich Ofenleber. Die gäbe es beim Gasthof Linde in Stumm, keine zehn Kilometer das Tal hinein. Und wir erfahren von Anni, dass es doch noch eine Chance auf Zillertaler Krapfen gibt – am Samstag wäre nämlich Sommerfest in Stumm und da gäbe es normalerweise einen Stand, an dem man Krapfen bekommen könnte. Wir speichern das einmal für Samstag ab und mir rinnt beim Gedanken an diese Köstlichkeit schon das Wasser im Mund zusammen.

Also fahren wir nach Stumm und setzen uns dort in den Garten des uralten Gasthofs, der voll mit Obstbäumen ist. Äpfel und Birnen – das braucht man, um hier einen erstklassigen Obstler zu erzeugen. Der Nachteil des idyllischen Gartenplatzes sind die Birnen, von denen eine beschließt, mir einen kurzen Besuch abzustatten. Mit einem lauten Knall zerspringt sie am Tisch direkt vor mir und ich bekomme eine Ladung Birnensaft und Birnenstücken ab. Alles nicht tragisch und als Malheur gleich wieder vergessen.

Das Essen ist gut, die Portionen könnten einen Hauch größer sein, passen aber letztlich, weil wir noch Marillenknödel als Nachtisch bestellen.
Der stellt sich als genau ein Stück Knödel heraus, wenngleich es recht groß war. Und mit Marillenspiegel und Lavendeleis. Beides recht nett, aber gute Marillenknödel leben von ihrem Eigengeschmack, die brauchen kein Klimbim rundherum.
Wir teilen uns den Knödel und fahren wieder heim, erschöpft und zufrieden von einem wunderschönen und erlebnisreichen Tag.

DER FREITAG

Der Muskelkater in den Wadln mittelprächtig, ebenso das Wetter. Kurz wolkenlos, aber noch vor dem Frühstück wird klar, dass es auch ein wenig regnen könnte. Sicher ist da gar nix, hier in den Alpen.

Selbstverständlich gibt es wieder einen guten Tipp von Patrick – diesmal werden wir noch einen der fünf Talgründe erkunden, die Wahl fällt auf den Stillupgrund. Auch dort war ich schon, kann mich aber nicht mehr erinnern, wie die Tour genau ausgesehen hat. Ist ja schon mehr als dreißig Jahre her.
Patrick meint, wir sollten bis zum Wasserfallboden fahren, also zur Stauseemauer, und von dort weiter mit dem Shuttle bis zur Grüne Wand Hütte. Dann hinauf zur Kasseler Hütte.
Dass diese Hütten alle deutsche Namen tragen hat damit zu tun, dass sie erstens am Berliner Höhenweg liegen und zweitens dem Deutschen Alpenverein gehören. Warum der dort Hütten gebaut hat und nicht der Österreichische Alpenverein entzieht sich meiner Kenntnis, ist aber auch egal.

Wir versuchen wieder möglichst zeitig aufzubrechen, da es aber erst ab acht Uhr Frühstück gibt, verzögert sich die Anfahrt zur Bergtour naturgemäß.
Von Mayerhofen geht es nach Bezahlung einer Maut von acht Euro eine schmale Straße hinauf bis zum Speicher Stillup. Der ist anders als alle anderen, weil es vom Untergrund her nicht möglich war eine Betonmauer zu bauen. Daher hat man eine Art Erdwall errichtet, der jedoch einen festen Beton-Asphaltkern hat.

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Bild 1: Die Staumauer des Stillup-Speichers

Die Stauseeingenieure haben meine Bewunderung für diese Meisterwerke, wenngleich der ewige Konflikt Natur-Kultur hier immer einseitig gelöst wird. Aber wir wollen alle Strom und hier wird er erzeugt. Die zahlreichen großen und kleinen Stauseen plus den dazu gehörigen Kraftwerken gehören dem Verbund und sind auch miteinander durch ein ausgeklügeltes Rohrsystem verbunden. So kann man zwischen den Seen das Wasser hin- und herleiten und sich aussuchen, wann und wo man wieviel Strom erzeugen will. Das ist sehr praktisch, hat aber auch seine Kehrseiten. Der Verbund kauft z.B. an der Leipziger Strombörse billig Atomstrom und betreibt damit Pumpen, die Wasser von unten in die Stauseen hinaufpumpen.
Dann kann er „grünen“ Strom durch Wasserkraft erzeugen. Das geht sogar so weit, dass bei Stromüberschuss – etwa wenn viel Sonne scheint und viel Wind weht – der Verbund sogar noch Geld bekommt, wenn er den überschüssigen Strom abnimmt. Das ist ökonomisch sehr sinnvoll, ökologisch lässt sich darüber streiten.
Im Zillertal erkauft man sich diese flexiblen Stromerzeugungsmaßnahmen durch eine Unzahl an Umspannwerken und riesigen Stromleitungen samt den dazu gehörigen Masten, die das Tal durchziehen – eine davon läuft ja direkt über dem Asterhof und summt auch brav, wenn man darunter steht und ihr zuhört.
Eines der großen Umspannwerke steht mitten in Mayrhofen und dort fährt man auch vorbei, wenn man zu den großen Speicherseen hinauffährt.

Am Parkplatz ist ein Schild mit einer Telefonnummer. Dort kann man anrufen und fragen, wann das nächste Shuttle fährt. Abheben tut der Wasserfall-Hans, ein uriger Typ, der meint, es geht in ein paar Minuten los.
Neben uns wartet schon eine deutsche Partie mit einem Organisator, allesamt aus Kassel. Sie sind – no na – am Weg zur Kasseler Hütte.

Der Wasserfall-Hans kommt und wir fahren gemeinsam den Talgrund entlang. Die Asphaltstraße gibt es seit ca. 30 Jahren, ich kannte sie also damals noch nicht und muss irgendwann meine Mutter fragen, was war seinerzeit gemacht haben. Den gesamten Talgrund zu durchwandern – es sind 8 Kilometer – dauert nämlich etwa zwei Stunden und dann beginnt erst der eigentliche Aufstieg zur Hütte.

Das Tal ist wunderschön, mit zahlreichen Almen, die auch noch bewirtschaftet sind. Links und rechts stürzen über steile Berghänge zahlreiche Wasserfälle, die es wahrscheinlich in ein paar Jahren so nicht mehr geben wird – dann nämlich, wenn oben die großen (inzwischen kleinen) Gletscher ganz verschwunden sind. Dann wird sich nicht nur das Panorama ändern, sondern das Leben all der Leute, die jetzt in der Wasserreichweite der Gletscher leben und arbeiten.

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Bild 1: Grüne Wand Hütte

Wir kommen schon um 09:50 an der Grüne Wand Hütte an und starten sofort los, gleich hinter uns die Gruppe aus Kassel. Vorher haben wir noch mit dem Hans ausgemacht, dass wir um 15:30 wieder zurück fahren, können aber auch noch das Shuttle um 16:45 nehmen, wenn sich das erste nicht ausgeht.
Die Sonne scheint und es geht auf einer Schotterstraße bergan bis zum Talschluss, danach links hinauf bis zur Hütte. Zeit ist keine angegeben, der Weg scheint aber eindeutig.

Ein massiver Unterschied zu früher sind die zahlreichen Radfahrer, die hier hinauffahren, viele übrigens schon von Mayrhofen, was ein ordentliches Stück Arbeit ist. Die meisten haben Leihräder mit Elektrounterstützung und ziehen mit ordentlicher Geschwindigkeit den Berg hinauf. Seitdem die neueste Li-Ion-Akkugeneration eingebaut ist, kann man einen ganzen Tag elektrisch unterstützt fahren. Das erfreut sich scheinbar großer Beliebtheit und auch am Osterhof kann man solche E-Bikes mieten. wir haben leider keine Radausrüstung dabei und bleiben beim Wandern.

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Bild 1: Güllerutsche

Wir kommen an einer Alm vorbei, die eine Güllerutsche hat, wo der Kuhdung hinuntergelassen wird. Darunter befindet sich eine Güllegrube. Susanne bietet mir fünf Euro, wenn ich die Rutsche benütze, ich muss aber dankend ablehnen.

Die Sonne knallt ziemlich herunter und ich bin froh, dass ich mich mit Sonnencreme eingeschmiert habe, obwohl ich das klebrige Zeug hasse. Die Deutschen bleiben deutlich hinten und wir erreichen das Ende der Straße, an dem die Talstation der Materialseilbahn zur Hütte liegt. Das ist immer noch die wesentlich ökologischere und natürlich günstigere Variante als der Hubschrauber.

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Bild 1: Anmarsch zur Kasseler Hütte

Der Weg ist traumhaft und ich kann diese Tour nur wärmstens weiterempfehlen. Warm ist uns übrigens auch, links und rechts wachsen in Unmengen die reifen Heidelbeeren und nach einem eher kurzen Waldstück geht es in den Hang hinein, der Anstieg ist steil, aber gut ausgebaut. Die Tourismusverbände und Alpenvereine kümmern sich hervorragend um die Wege, das muss man ihnen lassen. Bei steilen Abbrüchen gibt es eine Absperrung, bei ausgesetzten Stellen ein kleines Seil und überall die gelben Schilder, die den richtigen Weg anzeigen. Nur die alten farblichen Markierungen gibt es nicht mehr, jetzt findet man nur noch rot-weiß-rote Markierungen auf den Steinen, die den richtigen Weg anzeigen. Also nix mehr mit gelber, blauer oder roter Markierung.

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Bild 1: Der Weg auf die Kasseler Hütte

Auch hier fließen überall Bäche hinunter, an denen man seine Wasserflasche auffüllen kann. Sie sind wirklich glasklar und kalt und prägen die Alpen und den Gesamteindruck einer wasserreichen Gegend.

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Bild 1: Gebirgsbach

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Bild 1: Die Kasseler Hütte

Nach 1:55 erreichen wir die Kasseler Hütte und marschieren gleich einmal schnurstracks in die Küche, aus der uns eine resolute Kellnerin hinauskomplimentiert. Die Terrasse ist aber eh viel schöner und wir machen es uns gemütlich, nachdem wir die durchgeschwitzten Leiberln vor der Hütte auf einen großen Stein zum Trocknen aufgelegt haben.
Auch wenn schon erste Wolken aufziehen ist das Wetter trotzdem sehr schön und das Panorama immer noch beeindruckend. Hoch oben befindet sich die beeindruckende Laienscharte, durch die der Weg von der Greizer Hütte auf die Kasseler Hütte führt. Beim Aufstieg haben wir eine deutsche Gruppe getroffen, die vier Tage den Berliner Höhenweg gegangen ist, dann jedoch vor dem Weg zur letzten Hütte (Edelhütte) kapituliert hat. Das wären neun Stunden Marsch gewesen, ohne Hütte dazwischen.

Wir bestellen wieder einen Kaiserschmarrn – das ist die Spezialität der Kasseler Hütte, es wird extra vor den großen Portionen gewarnt und wir nehmen wieder einen zu zweit.
Es gibt ihn hier mit oder ohne Rosinen und je nach Jahreszeit auch mit anderen Zutaten. Wir wählen den mit Moosbeeren und die Kellnerin meint, das könnte klappen.
Als sie ihn bringt, werden all unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Es ist der beste Kaiserschmarren, den ich seit Ewigkeiten gegessen habe. Und die Portion ist tatsächlich üppig, der Preis mit 12 Euro mehr als fair.
Nur dafür zahlt es sich schon aus heraufzumarschieren.

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Bild 1: Kaiserschmarren mit Moosbeeren

Nicht so toll in Schuss sind die Gletscher. Genau genommen handelt es sich um eher erbärmliche Überreste, die mächtigen Gletscherbäche donnern auch nicht mehr zu Tal, sondern fließen recht unspektakulär hinunter. Ich hatte ein bisschen Angst vor diesem Anblick, denn er zeigt, womit wir in Zukunft zu rechnen haben.

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Bild 1: Gletscherrückgang

Auch wenn mir die dreißig Jahre recht lang erscheinen – genau genommen spielt sich der Klimawandel hier in unglaublicher Geschwindigkeit ab und ich fürchte, dass man sich nicht mehr lange auf irgend eine Form von natürlichem Klimavorgang wird ausreden können, um die eigene Bequemlichkeit uneingeschränkt zu erhalten. Wobei die meisten Menschen sie ja nicht erhalten, sondern noch deutlich ausbauen wollen.

Auch die Tiroler führen gerne die „Kleine Eiszeit“ im 16. bis 19. Jahrhundert an, bei der sich auch binnen weniger Jahrzehnte das Klima verändert hat. Wikipedia sagt dazu folgendes:

„Als Ursachen für die Kleine Eiszeit gelten hauptsächlich verstärkter Vulkanismus und eine geringere Aktivität der Sonne. Für Wiederbewaldung, die durch Bevölkerungsrückgang oder durch regionale Klimaänderungen hervorgerufen worden sein könnte, sowie veränderte Meeresströmungen wird eine verstärkende Rolle vermutet. Zusätzlich zu diesen über Zeiträume von Jahrzehnten wirkenden Einflüssen gab es einen geringen, über Jahrtausende reichenden Abkühlungstrend, der durch Änderungen der Erdumlaufbahn bewirkt wurde.[20]
Die mit dem Ende der Kleinen Eiszeit einsetzende Wiedererwärmung ist für die ersten Jahrzehnte wahrscheinlich teilweise auf die Änderung von Faktoren zurückzuführen, die die Kleine Eiszeit verursachten. So nahm bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Intensität der Sonnenstrahlung wieder zu. Die globale Erwärmung der letzten Jahrzehnte dagegen ist höchstwahrscheinlich durch menschliche Treibhausgasemissionen verursacht und nicht durch weggefallene Ursachen der Kleinen Eiszeit erklärbar.[21] “

Ich fürchte, wir werden uns da nicht mehr rausreden können und ich wünsche den Tirolerinnen und Tirolern, dass die Auswirkungen nicht so hart werden wie befürchtet.

Nach einer guten halben Stunde treffen die Kasseler ein und nach einer Stunde machen wir uns wieder auf den Weg ins Tal. Zuvor bewundern wir noch den kleinen Kräutergarten, den die Hüttenwirte angelegt haben:

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Bild 1: Kleiner Kräutergarten vor großer Kulisse

Am Weg bergab begegnen uns noch zahlreiche Wanderer, die zur Hütte ansteigen. Wieder befinden sich Touristen darunter, die mit komplett ungeeigneter Ausrüstung hinaufsteigen. Meistens sind die Schuhe das erschreckendste Merkmal dafür, wie sich die Leute die Verhältnisse am Berg vorstellen. Das Klischee vom Deutschen in Sandalen ist keines, wir sehen täglich die Realität hier in den Bergen.
Vor allem Kinder und Jugendliche sind oft extrem schlecht ausgerüstet, meist hat nur der Vater einen kleinen Rucksack. Wenn da jemand bergab umknöchelt, ist es durchaus ein Segen, dass dort oben überall Handyempfang ist. Wie viel Einsätze die Bergrettung tatsächlich hat, weiß ich aber nicht.
Was sich übrigens verbreitet durchgesetzt hat und auch sehr sinnvoll ist, sind Wanderstecken. Sie helfen besonders beim Abstieg wenn man müde wird und ich verwende sie vor allem in Afrika, wenn ich auf einen hohen Berg gehe. Diesmal funktioniert es auch ohne sehr gut, vor allem, weil ich meine robusten Wanderschuhe trage, wenngleich ich auch mit ihnen beim steilen Abstieg auf einer geraden Fläche (Straße) an die Grenzen komme und mit den Zehen anstoße. Eigentlich passen sie, mir ist das ein Rätsel.

Als wir bei der Hütte ankommen, sitzt der Wasserfall-Hans gerade mit ein paar Leuten bei einem erfrischenden Getränk. Wir vereinbaren, dass wir noch ein Stück zu Fuß Richtung Parkplatz gehen, denn das Tal ist wirklich wunderschön. Er klaubt uns dann ca. eine Stunde später auf. Die einfache Fahrt mit dem Shuttle kostet übrigens 5 Euro, die Hin- und Rückfahrt 7.

Der Weg führt jetzt leicht bergab über eine asphaltierte Straße. Links und rechts rauschen Wasserfälle über sehr steile Felswände, das Tal ist grün und es gibt jede Menge Kühe, die vor allem zur Milchwirtschaft verwendet werden.

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Bild 1: Das Stilluptal

Bei einer Alm bleiben wir stehen und bewundern den mehrere Jahrhunderte alten Holzbau. Ob das nur mehr Folklore ist oder die Milchkannen tatsächlich noch in Verwendung sind, konnten wir nicht eruieren. Die Almen sind aber alle noch bewirtschaftet und auch wenn wir an einem traumhaften Sommertag da sind, so darf dies nicht darüber hinweg täuschen, dass das Leben hier nicht einfach ist. Die zahlreichen technischen Hilfen, die es heute gibt – vom Traktor bis zur Melkmaschine – machen es zwar einfacher, aber faul darf man hier wirklich nicht sein.

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Bild 1: Alte Milchkannen

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Bild 1: Uralte Alm

Irgendwo kommen wir an einem Minikraftwerk vorbei. der Bach wird ein Stück weiter oben in einem Reservoir gefasst, von dort geht eine Druckleitung hinunter und treibt eine kleine Turbine an, die Strom erzeugt. Dieser wird dann zu den benachbarten Häusern geleitet.
Eines dieser Häuser ist besonders schön und hat ein Foto verdient:

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Bild 1: Haus auf einer Alm im Stilluptal

Nach ca. einer Stunde Fußmarsch klaubt uns der Hans dann auf und wir sind ein paar Minuten später wieder am Parkplatz. Dann geht es ab nach Hause, wir sind rechtschaffen müde von der langen Tagestour.
Als wir in Fügen zurück sind, genehmigen wir uns erst einmal eine Kneippkur. Der Asterhof hat vor einiger Zeit ein eigenes Kneippbecken bekommen, das mit dem hofeigenen, eiskalten Quellwasser betrieben wird. Das tut den Füßen mehr als nur gut.
Danach stellt sich erneut die Frage, wohin wir Abendessen gehen. Anni schlägt eine Alm am Weg Richtung Hochfügen vor, knappe zehn Minuten Autofahrt, denn für das Fahrrad sind wir heute zu müde.
Wir müssten uns allerdings beeilen, denn warmes Essen gäbe es nur bis sieben Uhr. Also flitzen wir hinauf und direkt an der Straße befindet sich die Schellenberg-Alm mit einer einigermaßen urigen Hütte. Wir sind allerdings die einzigen Gäste und der Wirt wirkt nicht allzu motiviert uns noch zu bedienen, ist aber nicht unfreundlich.
Wir gönnen uns Kässpätzle und ich schiele schon nach dem hausgemachten Apfelkuchen, voll der Erinnerung an den sensationellen gedeckten Mürbeteig-Apfelkuchen von Mariedl vor 30 Jahren.
Die Spätzle sind okay – nicht mehr und nicht weniger. Der geröstete Zwiebel ist aus dem Packerl, der Mais und die Karotten im Salat aus der Dose.
Und der Apfelkuchen stellt sich als Rührteigkuchen heraus, der oben eine ganz dünne Schichte mit einem Hauch von Apfel hat. Nicht schlecht, aber kein Vergleich mit dem, was ich erwartet habe.

Der Wirt möchte zusperren und sich noch mit seinen Jagerskollegen über den morgigen Ansitz unterhalten, daher machen wir uns auf den Weg hinunter zum Asterhof.
Wieder geht ein langer und wunderschöner Tag zu Ende, mit der Option auf einen weiteren morgen.

SAMSTAG

Das Frühstück mundet wieder hervorragend und das Wetter ist wunderschön. Es bahnt sich ein weiterer heißer Sommertag an. Neben uns sitzen neue Gäste – eine Familie mit zwei Buben, so 8 und 10 Jahre alt. Ich finde es ein wenig schade, dass sie all die guten Sachen wie die hausgemachte Butter oder die großartige Heidelbeermarmelade keines Blickes würdigen und sich statt dessen ausschließlich von Nutella und diesen kleinen Actimel-Fläschchen ernähren. Beides besteht eigentlich fast zur Gänze aus Zucker und Fett und den Eltern dürfte die Ernährung der Kinder reichlich egal sein. Der Sieg der Marketingindustrie scheint schon ziemlich vollständig zu sein.
Auch der Verpackungstrend stimmt mich bedenklich – Actimel kommt in einem kleinen Plastikfläschchen mit einem Alu-Deckel. Beides wird zu Müll. Auch die Nutella ist in einem winzigen Plastikschälchen.
Die Marmelade hingegen wird aus einer kleinen Glasschale gegessen, die danach abgewaschen und wiederverwendet wird.

Heute steht der Hausberg der Fügener am Programm, das Spieljoch. Wir marschieren zur Spieljochbahn und kaufen zwei Karten (einfache Bergfahrt) zu sportlichen 13,50 Euro pro Karte.
Die Bahn beginnt um neun Uhr mit dem Betrieb und wir sind in einer der ersten Gondeln. Viel ist um die Zeit noch nicht los, ein paar Wanderer fahren mit uns hinauf.

Auch hier war ich über 30 Jahre nicht mehr oben und erinnere mich noch an meinen damaligen Schreck, als ich die Mondlandschaft einer Skipiste im Sommer gesehen habe.
Damals war ich noch politisch eher uninteressiert und auch nicht grün, trotzdem hat mich die Umweltzerstörung bereits gestört. Wie wird es diesmal sein?

So wie die gesamte Spieljochbahn wurde auch die Bergstation komplett neu gebaut und zwar in Form eines „Spa-Ressorts“ – was auch immer das genau ist. Ich habe es mir innen nicht genauer angesehen, der Bau ist hochmodern und imposant und rundherum haben sie eine Art Disneyland aufgebaut. Es sieht aus wie ein überdimensionierter Spielplatz und das Foto zeigt einen Ausschnitt davon:

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Bild 1: Bergstation Spielhochbahn

Mir gefällt das nicht, aber ich bin auch kein Zielpublikum. Wie ich später von Anni erfahre, sind es vor allem Familien mit Kindern, die davon angelockt werden. Die Eltern wollen die Kinder im Urlaub irgendwie beschäftigen und je mehr Entertainment und Spielanlagen es gibt, umso besser.
Ich frage mich, was wir als Kinder früher gemacht haben und erinnere mich zurück. Wir haben und einen kleinen Bach gesucht und dort stundenlang gespielt. Oder wir sind einfach in den Wald gegangen, haben uns einen Ast abgeschnitten und daraus Pfeil und Bogen gebaut. Manchmal sind wir auch einfach herumgegangen und haben die Natur erkundet, Blätter oder Steine gesammelt oder Insekten, Kaulquappen aus einem kleinen Tümpel oder Aus Ästen und Moos eine Burg gebaut. Wir sind auf Bäume geklettert und haben uns mit unserem ersten Taschenmesser kleine Holzpfeifen geschnitzt (irgendwo besitze ich sogar noch so eine). Wir haben Schwammerl und Beeren gebrockt und uns an Brennesseln verbrannt. Das alles hat uns riesigen Spaß gemacht und ich hatte nicht das Gefühl, dass uns irgend eine Form von vorgefertigtem Entertainment fehlt.

Das alles gibt es heute nicht mehr, die Kinder brauchen scheinbar einen Vergnügungspark mit allerlei Geräten. Die Natur ist nur mehr Kulisse, die man zwar ganz nett findet, genau genommen aber nicht mehr braucht. Die Klettergeräte könnten auch in Wuppertal aufgebaut sein, vielleicht rundherum mit einer gigantischen Videoleinwand, auf die man eine Bergkulisse aus Tirol projiziert. Jetzt fällt mir doch wieder die Dystopie der Piefke-Saga ein, dort gab es ähnliche Dinge und die Natur hatte sich in einen Plastikfriedhof verwandelt.
Die netteste Idee dort oben und mit wenig Naturzerstörung verbunden ist ein Barfussweg, den sie vor kurzem gebaut haben:

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Bild 1: Der Barfuss-Weg am Spieljoch

Er ist für Menschen, die nicht mehr wissen, wie man barfuß geht. Er darf übrigens ohne Zusatzkosten benützt werden und nach wenigen Metern gibt es eine kleine Bank um sich auszuruhen.
Jetzt ist mir auch klar, mit welchen Gedanken und Vorstellungen die Touristen in die Berge gehen. Sie sehen sie als großen Vergnügungspark und in einem Park braucht man weder Schutzkleidung noch gibt es die Gefahr in Bergnot zu geraten. Also kann man drauflos marschieren, jeder Weg in einem Park ist ein Spaziergang und hinter jeder Ecke gibt es noch eine Steigerung zur momentanen Bequemlichkeit. Passieren kann nichts, im Notfall, der eigentlich gar nicht vorstellbar ist, ruft man kurz die Parkaufsicht und lässt diese übernehmen.

Das gilt übrigens auch für den Winterbetrieb. Als ich mit Anni darüber diskutiere, erzählt sie mir, dass die Ansprüche der Urlauber massiv gestiegen sind. Heute verlangen sie eine rund um die Uhr bestens präparierte und vollkommen glatte Skipisten und wehe es gibt irgendwo eine apere Stelle. Früher haben wir und da und dort die Lauffläche der Ski zerkratzt, irgendwo ein Stein oder eine raue Stelle waren ganz normal und manche Piste hatte Buckeln – da sind wir halt drüber gefahren.
So etwas darf heute nicht mehr sein und führt zu sofortigen Beschwerden. Die Betreiber der Skigebiete reagieren darauf, denn man hat Angst, dass die Touristen in ein anderes Skigebiet abwandern, in dem es noch ein wenig mehr an Bequemlichkeit gibt. Deswegen stehen am Berg überall die dauernd installierten Schneekanonen und der Boden ist mit Rohren, Leitungen, Steuerungskästen und noch vielem mehr durchzogen.
Oben am Spieljoch haben sie neben den alten Wasserspeicher einen noch größeren, neuen hingebaut. Etwas abseits liegt die riesige Anlage mit den Generatoren, denn zur Erzeugung von Kunstschnee braucht man enorme Mengen Strom und Wasser, das zu diesem Zweck hinaufgepumpt werden muss.

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Bild 1: Sammelbecken für den Schneekanonenbetrieb im Winter

Was man hier nicht sieht und was viele nicht wissen: Schneekanonen (zumindest manche Fabrikate) müssen beheizt werden, damit sie nicht einfrieren. Und das Wasser in den Speicherseen muss gekühlt werden, da es sonst zu warm für die Schneekanonen ist. Das ist pervers in Zeiten der Klimakatastrophe? Nicht pervers genug um es zu unterlassen.

Dieser steigende Strombedarf muss durch noch mehr Kraftwerke abgedeckt werden und für den Bau dieser Kraftwerke muss weitere Naturzerstörung genehmigt werden, was politisch aber kein Problem zu sein scheint. Es dürfen zwar keine neuen Skigebiete mehr gebaut werden, aber die Erneuerung und Vergrößerung der bestehenden ist erlaubt. Dafür gibt es auch großzügige Kredite von Banken und ich frage mich, ab wann und mit wieviel Steuergeld wir diese werden retten müssen, wenn durch die Erderwärmung irgendwann auch die beste Schneekanone nicht mehr funktioniert.

Wir machen uns bereit dem Disneyland zu entkommen und beschließen auf das Kreuzjoch zu wandern. Vorher gibt es aber noch einen Blick ins Tal, wo der Asterhof gut zu erkennen ist:

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Bild 1: Blick vom Spieljoch ins Tal

Wir haben mehrere Möglichkeiten das Kreuzjoch zu erreichen. Es ist vom Spieljoch gut sichtbar, denn ganz oben steht eine Kapelle, die dort übrigens in ihrer ersten Variante schon im 16. Jahrhundert gebaut wurde.
Es gibt den Weg über die Geolsalm und Gartalm hinauf zur Kreuzjochhütte oder den Alpinsteig. Im Touristenführer steht dazu folgendes:

„VORSICHT! Wenn Sie ihren Weg über den Alpin-Steig nehmen wollen, sprechen Sie erst mit dem Hüttenwirt der Kellerjoch-Hütte! Dieser Weg ist NUR für erfahrene Bergsteiger mit Ausrüstung!“

Das ist schon einschüchternd, denn welche Ausrüstung ist hier gemeint? Eine komplette Kletterausrüstung mit Haken, Seil und Gurt? Oder reichen feste Schuhe?
Wir beschließen den Alpin-Steig zu riskieren, weil man so eine sehr nette Runde gehen kann. Vorbei an schon verblühten Almrauschfeldern geht es über einen einfachen Weg bis zu einer Abzweigung, nach der man auf einem Steig den Hang eines Kessels quert und dann hinauf zu einer Scharte geht. Dahinter geht es noch einmal querend bis zu einem Grashügel und dann den Grashang hinauf auf das Kellerjoch. Der Weg ist keine wirkliche Herausforderung für Bergsteiger oder Wanderer, die einigermaßen trittfest sind. Wenn es nass ist, wäre allerdings Vorsicht geboten und es ist letztlich gut, dass im Wanderführer davor gewarnt wird, wenn man an die Disneyland-Besucher und ihre Ausrüstung denkt.

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Bild 1: Der Alpinsteig zum Kreuzjoch

Unterhalb des Gipfels weidet eine Herde Schafe und der ganze Gipfel ist eigentlich ein einziger großer Grashügel.

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Bild 1: Schafe am Kreuzjoch

Wir marschieren bei prächtigem Wetter auf das Kellerjoch, der ein unglaubliches Panorama bietet, weit ins Inntal hinein und zu den zahlreichen hohen Gipfeln des Hauptalpenkamms. Man sieht den Großvenediger und den Hintertuxer Gletscher, auf der anderen Seite gerade mal nicht den Achensee, weiter drüben den Wilden Kaiser und noch viele andere Berge.

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Bild 1: Panoramablick vom Kreuzjoch

Dann geht es bergab zur Kreuzjochhütte, alles in sehr angenehmer Reichweite. Der Weg ist da und dort ein wenig ausgesetzt, aber an den heiklen Stellen gut mit Seilen gesichert, an denen man sich anhalten kann. Da kann man durchaus auch mit Kindern hinaufgehen, wenn sie gute Schuhe haben.
Auf der Hütte sind aufgrund eines derzeitigen Wassermangels die WCs gesperrt und wir gehen weiter hinunter zur Gartalm, die im Wanderführer als unglaublich toll angepriesen wird. Sie stellt sich als nackter Betonklotz heraus mit einer Unzahl an Coca-Cola-Schirmen davor. Auch die Speisekarte (Schnitzel mit Pommes und ähnliches) reizt uns nicht wirklich und wir beschließen unsere Mittagsrast auf der Geolsalm einzulegen, die nur eine halbe Stunde weiter liegt und an die ich mich noch erinnern kann.
Der gesamte Weg gleicht dort eher einem Spaziergang und die Geolsalm ist tatsächlich um einiges stimmungsvoller als die Gartalm. Ich bestelle eine Brettljause und freue mich schon auf eine zünftige Bergmahlzeit.
Was dann kommt ist eine ziemliche Enttäuschung. Das Brot ist am Rand schwarz verkohlt, alles ist lieblos angerichtet und der Speck sollte echt nicht so genannt werden. Das Fächergurkerl ist okay, der Käse auch, insgesamt aber würde zumindest unser Mittagessen zu keiner Empfehlung führen, vielleicht zum Preis für die schlechteste Brettljause im Zillertal. Schade eigentlich, aber vielleicht hatten wir auch gerade Pech und das Essen ist sonst eh gut.

Wir marschieren durch den Fügener Wald bergab Richtung Mittelstation der Spieljochbahn. Auf diesen Wald habe ich mich seit Jahren gefreut und habe ihn als eine Art Märchenwald in Erinnerung. Wir haben dort vor langer Zeit Unmengen an Eierschwammerln und Heidelbeeren gefunden und mein Erinnerungsbild zeigt alte, moosbewachsene Baumriesen, keine Tümpel mit Farnkraut und einen geheimnisvoll anmutenden, dunklen Pfad über Wurzeln und Felsen.

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Bild 1: Ein Fliegenpilz im Fügener Wald

Die heutige Realität ist eine andere. Der Weg ist breiter, aber immer noch reizvoll. Es ist aber alles sehr trocken, was einem sehr trockenen und warmen Frühsommer geschuldet ist, wie ich später von Anni erfahre. Der Märchenwald existiert nur mehr in meiner Erinnerung, wenngleich es die Unmengen Heidelbeeren auch heute noch gibt. Auch Eierschwammerl finden wir, wenn auch nur eine kleine Menge. Alles in allem ist es eine kleine Enttäuschung und mein Bild hat sich massiv verändert, wenn auch nicht zum Guten.

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Bild 1: Der Fügener Wald

Es gibt auch große Schneisen, die mitten durch den Wald geschlagen wurden und auf mehreren Forststraßen liegen große Mengen an Rohren für eine Stromleitung, die wahrscheinlich bald gebaut wird.
Wir erreichen die Mittelstation und beschließen, den Rest des Weges zum Asterhof auch noch zu gehen. Es ist heiß und wir sind schon ein wenig müde, die Zehen und Unterschenkel schmerzen vom langen Bergabgehen, dafür ist das Wetter nach wie vor schön.

Als wir wieder beim Asterhof ankommen, sind wir schon recht erschöpft und genießen das kühle Wasser des Kneipp-Beckens. Und ich freue mich schon auf die Zillertaler Krapfen, die es am Abend hoffentlich geben wird.
Das Dorffest in Stumm ist unser Ziel und nicht weit entfernt, eine knappe Viertelstunde mit dem Auto. Rund um die Kirche ist eine große Bühne aufgebaut, auf der die Blaskapelle aus Scheffau am Wilden Kaiser spielt.

Blaskapelle

Bild 1: Blaskapelle

Das Fest ist sehr gut besucht und an einem Stand gibt es tatsächlich die Krapfen. Ich bestelle gleich 4 Portionen zu je sechs Krapfen, was mit 28 Euro zu Buche schlägt.

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Bild 1: Zillertaler Krapfen

Kurz gesagt: Sie treffen all meine Erwartungen, sind wirklich gut und ich bin froh, dass wir noch eine Gelegenheit gefunden haben diese alte lokale Spezialität essen zu können. Bis auf zwei Stück schaffe ich alle (Susanne hat ca. 6 Stück gegessen) und das Zillertaler Bier mundet auch und ist nach der heutigen Wanderung durchaus verdient.
Zum Schluss gibt es – das gehört hier dazu – noch ein Schnapsl, das hier von jungen Marketenderinnen ausgeschenkt wird und einen Euro kostet. Die Mädchen gehören zur Blaskapelle und erwirtschaften mit der Ausschank einen kleinen Nebenverdienst. Sie tragen vor sich ein kleines Holzfässchen und haben vier Metallstamperln, in denen sie den Obstler ausschenken, der übrigens gar nicht übel war.
Danach wird das Stamperl mit einem Tuch abgewischt und sie marschieren zum nächsten Gast. So ist das hier in Tirol.

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Bild 1: A Schnapsl wird ausg´schenkt

Nach der Blaskapelle spielt eine Band aus Reith im Winkel und als sie „Joli-joli-joooli-joli-jäää“ vom Geballier spielen, ist es für uns Zeit zu gehen.
Es war wieder ein langer und sehr schöner Tag, leider der letzte, denn morgen geht es wieder zurück nach Wien.

SONNTAG

Nach dem letzten Frühstück und einer ausführlichen Abschiedsplauderei mit Lisl und Anni geht es zurück nach Wien. Wir beschließen diesmal über das kleine Deutsche Eck zu fahren, um eventuellen Grenzstaus zu entkommen. Das stellt sich als mäßig schlauer Plan heraus, denn auch auf der Bundesstraße nach St. Johann und Lofer ist viel Verkehr und die zahlreichen Sonntagsschleicher sind schwer zu überholen. Doch auch das geht irgendwann vorbei und die restliche Rückfahrt verläuft störungsfrei und flott.

Es war ein wunderschöner Urlaub und ich hoffe, dass ich bald einmal wieder ins Zillertal komme – vielleicht ja schon nächstes Jahr, im Zuge meiner Österreich-Tour mit der Elektrovespa.

Gölsentalrally

Seit Jahren wollte ich schon hinfahren, vor allem wegen der oftmals wiederholten netten Einladung von Christian Lashofer, einem der nettesten Rollerfahrer.
Für alle, die nicht wissen, was ein „Run“ ist, vorweg eine kleine Erklärung. Es gibt diese Art von Veranstaltung seit Jahrzehnten in ganz Europa. Schon in den 1980ern sind Rollerfahrer (genau genommen Vespa und Lambretta) auf „Scooterruns“ gefahren. Meistens reist man auf eigener Achse an, es gibt eine Halle oder ein Bierzelt oder so etwas ähnliches und man schläft im Zelt. Manchmal geht so ein Run über mehrere Tage und darum ranken sich dann unzählige Geschichten.
Es gibt Preise für die weiteste Anreise (diesmal ein junger Deutscher aus Baden-Würtemberg mit über 700 Kilometern), die meisten getrunkenen Schnäpse oder was immer den Veranstaltern so einfällt. Natürlich gibt es Musik, Essen und jede Menge Alkohol.
Zur Erinnerung gibt es „Patches“, also Aufnäher, die gerne auf die sogenannten „Kutten“ genäht werden. Es gibt Rollerfahrer, auf deren Kutten ist schon längst kein Platz mehr für neue Aufnäher.

Ich selbst war lustigerweise noch nie auf einem echten Run mit Übernachtung im Zelt und allem drum und dran, daher war das eine gute Gelegenheit. Außerdem hat Stefano als einer der Mit-Veranstalter angeboten meine Getränkerechnung zu übernehmen, weil ich ihm einen Bollerwagen organisiert habe.

Mein wasserfester Louis-Sack ist schnell gepackt und wie schon auf der Rom-Reise auch schnell am hinteren Gepäckträger verstaut. Ich habe diesmal nicht viele Sachen mit, weil ich ja am nächsten Tag schon wieder nach Hause fahre: Zelt, Liegematte, Schlafsack, Reservehose und -shirt, ein kleines Handtuch und das Regenzeug.

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Bild 1: Fertig für den Start

Um 08:30 geht es los, ich treffe mich zuerst mit Hömal in 1150 und später dann bei der Tankstelle beim Wienerwaldsee mit anderen Fahrern. Das Wetter ist mittelprächtig angekündigt: 31 Grad, sonnig, ab Mittag sind Gewitter möglich. Unsere Hoffnung besteht darin trocken bis St. Veit an der Gölsen zu kommen und ev. auch noch eine trockene gemeinsame Ausfahrt zustande zu bringen. Da die Veranstaltungshalle regenfest ist, spielt das Danach keine Rolle mehr, wenngleich es ohne Regen deutlich bequemer ist.
Eine trockene Heimreise am Sonntag wäre dann die Kür zur Pflicht.

Die Vespa rennt ruhig und gut, als ich beim Hömal bin entdecke ich, dass der Zulassungsschein in der anderen Jacke ist – ich habe aufgrund des heißen Wetters nur die Airflowjacke an, aber warum sollte ich gerade diesmal von der Polizei aufgehalten werden.
Am Wienerwaldsee wartet Werner und ich erfahre, dass wir nur zu dritt sind, die anderen kommen erst nach oder haben aus Schlechtwetterangst abgesagt.
Macht nichts, zu dritt ist es sehr angenehm zu fahren und wir beschließen über Wolfsgraben, Hochrotherd und Gruberau nach Klausen-Leopoldsdorf zu fahren.
Am Ende von Wolfsgraben gebe ich ordentlich Gas um die danach folgende Steigung mit Schwung zu nehmen. Das stellt sich als weniger gute Idee heraus, denn hinter der Kurve stehen freundliche Herren mit einer Laserpistole.
Der Herr Inspektor winkt mich auf den Parkplatz und die anderen beiden folgen dem „mitgefangen-mitgehangen-Prinzip“ und parken sich ebenfalls ein.

Führerschein, Apotheke… alles wunderbar, nur beim Zulassungsschein muss ich passen. Also funkt der junge Polizist (der ältere dürfte der Kommandant sein, der lasert, der jüngere erledigt die Amtshandlung) an die Zentrale nach einer Zulassungsauskunft. In der Wartezeit erkundigt sich der junge Polizist bei mir wie weit wir heute schon gefahren sind und wohin es noch geht.
Die Zulassungsauskunft kommt prompt und ich bitte den Herrn Inspektor zusammenzurechnen, was er auch gerne tut:
„68 km/h im Ortsgebiet macht 35,-, dazu die fehlende Zulassung macht 20,-, sind insgesamt 55,- die Geschwindigkeitsübertretung rechnen wir gleich wieder weg, macht 20,- gradaus. Ich möchte Ihnen ja nicht den schönen Ausflug verderben“.

Das ist ein Angebot, das wir gerne annehmen, Werner borgt mir noch einen Zwanziger, da der Polizist auf meinen Fünfziger nicht rausgeben kann („Die Dienststelle stellt uns kein Wechselgeld zur Verfügung.“)
Wir wünschen einander alle noch einen schönen Tag und setzen die Fahrt fort.

Es ist traumhaft zu fahren, nicht zu heiß und nicht zu kühl, nach Klausen-Leopoldsdorf fahren wir Richtung St. Corona am Schöpfl, dann über die Klammhöhe nach Hainfeld, wo sich Hömal verabschiedet, weil er noch in sein Quartier fahren will, während Werner und ich noch eine Extrarunde drehen, durch Ramsau vorbei am Golfplatz Adamstal über eine wunderschöne Bergstraße bis nach Kleinzell und von dort nach St. Veit an der Gölsen, wo wir zu Mittag ankommen.

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Bild 2: An der Gabelung eine kurze Pause

Die Teilnahme an der Veranstaltung ist gratis, gegen eine kleine Spende bekommt man die Patches und noch ein paar kleine Gimmicks. Nachdem ich mir einen netten Platz für das Zelt gesucht und es aufgebaut habe, gönne ich mir einen großen Spritzer, der mit 2,50- Euro wohlfeil zu haben ist und auch in größeren Mengen kein Schädelweh verursacht (was erst am nächsten Tag feststellbar ist). Es gibt verschiedene Sorten von Leberkäs, ein Spanferkel mit Sauerkraut und vier verschiedene Varianten Chili (vegetarisch, Stufe 1, Stufe 2 und Stufe 3). So wie das Bier kostet auch alles andere 2,50- Euro, da es sich hier um keine kommerzielle Veranstaltung handelt.
Es sind noch nicht allzu viele Leute da, ca. 30 RollerfahrerInnen und ich kenne erstaunlich viele davon, viele habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen, die Bilanz zeichnet sich jetzt schon als positiv ab.

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Bild 3: Das Zelt steht, allerdings bezweifle ich, dass es weit genug weg von der Halle steht, um in der Nacht ruhig schlafen zu können.

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Bild 4: In der Halle ist genug Platz für alle, die Heurigenbänke sind aufgestellt und das Bier ist kalt.

Stefan ist auch schon da und hat den Bollerwagen zu einem deutschen Getränkewagen umgebaut (er selbst ist Deutscher). Es gibt „Schlumpfpisse“ (Waldmeistersirup mit Vodka bzw. einen Atemreisser in blau) in Form von halben oder ganzen Metern.

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Bild 5: Der Wagen hatte zwar später einen Patschen und stand schief, das hat die Leute aber nicht davon abgehalten sich weiter trinkfest daran anzuhalten. Nach einiger Zeit waren sie selbst ohnehin auch schon etwas schief.

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Bild 6: Hier kann man gut die „Kutten“ erkennen. Links steht übrigens Stefan und rechts Holger aus Deutschland, auch trinkfest

Nach zwei dieser Shots steige ich kurz auf Hollersaft gespritzt um, da es um 14:30 noch eine gemeinsame Ausfahrt geben wird, die ich ohne Alkoholisierung absolvieren möchte.
Werner ist von seinem Chili Stufe 2 überfordert und ich übernehme. Es hat angeblich 200.000 Scoville, was ich nicht ganz glaube, aber es ist genau an der Schärfegrenze, die ich noch aushalte. Die Stufe 3 hat dann angeblich 1.000.000 Scoville, aber das muss ja nicht sein.

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Bild 7: Das Chili war scharf, aber ich habe es geschafft.

Die Ausfahrt beginnt tatsächlich pünktlich und ist hervorragend organisiert. Ca. fünfzig Roller fahren eine Runde von etwa einer Stunde durch drei Täler. Die Strecke ist mehr als schön, aber schließlich kennen die Veranstalter ihre Gegend ja sehr gut. Die Anzahl der Roller ist klein genug um zügig fahren zu können, die Streckenposten sind auf zack und alles läuft gut, bis ich plötzlich einen der Fahrer von weiter vorne in einer kleinen Gruppe an einer Kreuzung stehen sehe. Zwei andere klauben Teile zusammen, es stellt sich heraus, dass sein Vorderreifen plötzlich platt war. Dann kam die Kurve und er ist gelegen. Der Schaden an Leib und Blech hält sich aber in Grenzen, ein paar Aufschürfungen auf Haut und Blech sind alles, 15 Minuten später kann er die Fahrt wieder fortsetzen (Viele Vespafahrer haben ein Reserverad mit, weil das doch oft gebraucht wird, und eines passt auf fast alle Vespas, nur mit Lambretta sind sie nicht kompatibel, die haben andere Felgen).

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Bild 8: Die Voralpenlandschaft ist fantastisch, die Steckenführung großartig und bei dem Wert, den viele auf Sicherheitskleidung legen, sind Schotterausschläge bei einem Sturz vorprogrammiert.

Wir treffen wieder am Veranstaltungsgelände ein, wo Onkel Mikes Garage gerade einen Leistungsprüfstand aufbaut. Ich ergreife die Gelegenheit, weil ich so etwas noch nie gemacht habe und gespannt bin, wie das funktioniert und welche Leistung mein Standard-200er erreicht.
Nachdem die Vespa hinten auf die Rolle gestellt und vorne verzurrt wird, startet man den Motor, schaltet auf Kommando die Gänge 1, 2 und drei hoch, wodurch das Getriebe eingemessen wird. Danach geht man vom Gas und auf Kommando gibt man Vollgas, dann erfolgt die eigentliche Messung. Meine Vespa erreicht 9,1 PS am Hinterrad, was nach der herkömmlichen Messung an der Kurbelwelle etwa 11,5 PS ergibt, also nur knapp unter der normalen Leistung. Damit bin ich zufrieden, die stärkste Vespa an diesem Tag erreicht ca. 25 PS, was lautstärkemäßig auch ein sehr deutlicher Unterschied ist.

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Bild 9: Am Prüfstand

Es wird langsam Abend, der Spritzwein schmeckt noch und das Wetter hält ebenfalls. Kleine Grüppchen stehen überall herum und plaudern, die Stimmung ist entspannt, da und dort gibt es aber auch die eine oder andere Konfrontation. Rollerfahrer sind extrem unterschiedlich, das kann man übrigens auch an ihren Rollern erkennen – von geschniegelt bis abgefuckt, neben der chromblitzenden Polierten steht eine rattige O-Lack-Reibe, neben dem 30-PS-Custom-Roller die siffende 125er mit 5 PS.

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Bild 10: Herumstehen und plaudern

Vom Fabrikshackler bis zum Uni-Professor, vom Millionär bis zum Mindestrentner ist alles vertreten. Leider gilt das auch für die politische Einstellung, auch hier gibt es alles von links bis far-right und was da und dort (meist unter ordentlicher Betankung mit Bier) gerufen wurde, möchte ich hier nicht wiederholen, jede(r) kann es sich denken.
Großteils verläuft aber alles amical und ich freue mich über neue Bekanntschaften und wieder aufgefrischte Freundschaften. Das Schaltroller-Automaten-Verhältnis ist 10:1, was mir sehr taugt, weil die Automatenszene ist doch eine sehr andere – zumindest die, die ich kenne.

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Bild 11: Das ist eine der Custom-Vespas. Kenner erkennen die geglätteten Karosserieformen, den T5-Kotflügel und noch viele andere Details. Was man nicht sieht, sind die inneren Werte, wie in diesem Fall z.B. eine Luftfederung. Wenn die Zündung eingeschaltet wird, bläst ein Kompressor das Fahrwerk auf – wenn man ausschaltet, sackt sie zusammen. Das sieht lustig aus.

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Bild 12: Wer findet das Rücklicht? Der Besitzer meinte, die nicht wirklich vorhandene Kennzeichenbeleuchtung wäre bei einer technischen Kontrolle aber sowieso sein geringstes Problem.

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Bild 13: Eine sehr schöne Lambretta im The-Who-Design

Dann ist das Bier aus. Mir macht das nix, weil ich nur Spritzer trinke – so wie die meisten übrigens eher sommerlich, man will sich ja nicht vor der Zeit wegschießen (was einige trotzdem schaffen). Glücklicherweise können die Veranstalter blitzschnell zehn Kisten auftreiben, das reicht zumindest eine Zeit, denn es ist immer noch sehr warm und die Kehlen sind durch die Bank durstig.

Der Sonnenuntergang ist großartig und mit Einbruch der Dunkelheit beginnt auch der DJ aufzulegen – übrigens erstklassig, er hat am Nachmittag mit zahlreichen The-Who-Nummern schon eine gute Basis gelegt und pendelt jetzt zwischen Sixties-Rock und Northern Soul, durchaus gekonnt. Die Tanzfläche füllt sich so schnell wie die Spritzweinbecher und schön langsam treffen die letzten Abend-Gäste ein. Einige sind übrigens schon wieder heimgefahren und wollten noch bei Tageslicht daheim sein.

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Bild 14: Der Sonnenuntergang ist großartig

Einige geben auf, wie etwa der „Lüdi“, ein junger Deutscher (der mit der weitesten Anreise) der am Nachmittag schon allen auf die Nerven gegangen ist, weil er eine Drohne sirrend über unseren Köpfen hat schwirren lassen. Aus den Rufen (Steinschleuder, Schrotflinte etc.) wurde zwar nichts, aber wahrscheinlich haben ein paar Scooterboys beschlossen ihn einzutrankeln, was gelungen sein dürfte.

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Bild 15: Lüdi hat fertig.

Irgendwann ist es deutlich nach Mitternacht und ich beschließe schlafen zu gehen. Das Zelt steht ca. 50 Meter von der Halle entfernt und ich merke, dass ich entweder Ohropax hätte mitnehmen oder das Zelt ganz woanders aufstellen hätte sollen. Die Wiese trägt den Schall ungebremst bis in mein Zelt und die Musik ist so laut, dass an Schlaf leider nicht zu denken ist. Zudem ist meine alte Liegematte nicht mehr frisch und somit steinhart und ich habe den Verdacht, dass die Nacht nicht so wirklich lauschig ist.
Irgendwann startet einer seinen Roller und knattert in die Nacht hinaus.
In den kurzen Übergangspausen zwischen zwei Nummern höre ich ein melodisches Schnarch-Quartett aus den Zelten rundherum und finde, dass ich noch Glück habe, denn die Musik ist wirklich gut. Wenn sie jetzt den üblichen Kommerz-Schrott à la Gaballier oder Helene Fischer spielen würden, müsste ich mein Zelt verlegen oder heimfahren. So liege ich, höre der Musik zu und hoffe irgendwann einzuschlafen.

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Bild 16: Als ich aufgebaut habe, stand mein Zelt ziemlich allein da. Das hat sich dann geändert.

Leider geht dieser Wunsch nicht in Erfüllung und es dauert bis ca. 04:30 bis die Musik verstummt und die letzten schwankend in ihre Zelte gefallen sind. Rhythmisches Schnarchen löst die Musik ab und ich schaffe es immerhin in einen dösenden Zustand zu verfallen, während die Dämmerung langsam der Nacht die Dunkelheit ausbläst.
Jetzt in der blauen Stunde ist es auf einmal sehr still, selbst die Schnarcher haben aufgehört zu röcheln, es wäre sehr romantisch, wenn ich etwas weniger hart liegen würde.

Als die ersten Sonnenstrahlen erscheinen stehe ich auf und packe zusammen. Ein paar Frühaufsteher bekommen an der Bar einen Kaffee und alle sehen ähnlich aus wie ich – nicht sehr frisch, aber auch nicht vollkommen zerstört.
Es ist kurz nach sechs Uhr als ich die Vespa starte und mich auf den Heimweg mache. Als ich hinter St. Veit bei einer Pension vorbei komme, winkt mir plötzlich der Hömal zu, der dort ruhig übernachtet hat. Gemeinsam schauen wir einem Biber zu, der im Flussbett der Gölsen einen Morgenspaziergang macht. Hömal wartet aber noch auf das Frühstück und so setze ich nach einer kurzen Plauderei die Fahrt fort.

Es ist bewölkt, sieht aber nicht nach baldigem Regen aus. Ich genieße die Morgenstimmung, das schräge Licht, das auf die Kuhherden am Straßenrand leuchtet und vor allem, dass keinerlei Verkehr ist. Kurz vor Laaben rennt eine Rotte Wildschweine auf die Straße zu, ich kann aber noch vorbei fahren, bevor sie sie überqueren.
Dann schalte ich den Benzinhahn auf Reserve und denke mir, dass ich über Klausen-Leopoldsdorf und dann weiter über den Hengstl nach Pressbaum fahren werde. Dort gibt es eine Tankstelle und das müsste zu schaffen sein.
Es geht sich auch aus, oder sagen wir – es geht sich fast aus. Ca. 500 Meter vor der Tankstelle ist der Sprit alle, nach 28 Kilometern auf Reserve. Ich habe aber einen kleinen Benzinkanister dabei und so ist das kein Problem.
Der Rest der Fahrt verläuft unspektakulär und fünf Minuten nachdem ich daheim bin, fängt es leicht zu regnen an. Hörnchen und Dorothea, die ich nicht aufwecken wollte, sind eine Stunde später gefahren und von Altenmarkt bis in den Süden Wiens in den Regen gekommen. Ich hatte Glück – nicht nur mit dem Wetter, sondern mit einem rundum geglückten Scooterrun. In zwei Jahren machen sie wieder einen und ich werde dabei sein, mit Ohropax oder besser noch mit einem Quartier außer Lautsprecherreichweite.

Sarajevo, 4. Tag

Der letzte Tag bricht an und wir haben uns vorgenommen ihn gemütlich anzugehen. Ein bisschen Restwirkung vom Vorabend ist noch zu spüren, aber nach einem guten Frühstück brechen wir auf um den Leihwagen in der Nähe des Flughafens zurückzubringen. Dann fahren wir mit dem Bus weiter hinauf in die Berge, genauer gesagt würde ich gerne die Reste der alten Bobbahn von den olympischen Winterspielen 1984 sehen – das waren übrigens die aus österr. Sicht medaillenmäßig schlechteste aller Zeiten, wir haben gerade mal eine Bronzene gemacht, ich glaube in der Herren-Abfahrt oder so.

Wir fahren durch den serbischen Teil von Sarajevo und dann steil in die Berge hinauf. Das Land ist hier sehr ländlich, mit Feldern und kleinen Weihern, Nadelwäldern und kleinen Tälern.

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Bild 1: Der Berg im Hintergrund ist ca. 1.500 Meter hoch und dort fand ein Teil der Alpinbewerbe statt. Man kann heute noch Skifahren, es gibt einige Liftanlagen und mein Bruder hat es im Winter schon ausprobiert.

Der Bus wird wieder ein bissl heiß, aber schon naht ein großer Parkplatz mit einem neuen Restaurant. Daneben stehen ca. fünf Meter der alten Bobbahn. „Mehr gibt es davon nicht mehr zu sehen“ meint Peter, ich bin mir aber nicht sicher, dass das wirklich so ist.
Also fahren wir ein Stück links eine asphaltierte Straße hinunter, einem anderen Auto folgend. Nach ca. 200 Metern ein weiterer Parkplatz und da ist sie, die alte Bobbahn, ungefähr so wie ich sie mir vorgestellt habe. Im Krieg war dort eine Frontlinie und es wurde ordentlich gekämpft, kaputt dürfte sie aber schon vorher gewesen sein. Nach dem Ende der olympischen Spiele war nicht mehr viel los in Sarajevo und auch die Sportstätten wurden nicht mehr gut erhalten.
Während Peter ein längeres Telefonat mit seinem Schatzi führt, entere ich die Bobbahn und gehe bergab. Ich bin noch nie in einer Bobbahn gegangen und finde das irgendwie lustig. Die Sonne knallt schon ziemlich runter, es wird heute wieder ein sehr heißer Tag, hier gibt es aber immer wieder schattige Abschnitte.

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Bild 2: Links im Bild die große Bob-Bahn, daneben eine für Rodeln oder Skeleton oder was auch immer.

Die Bahn sieht nicht vollkommen zerstört aus, wobei die Schaumstoff-Isolierung nur mehr bruchstückhaft zu sehen ist. Hier wird wohl nie wieder ein Bob hinunter fahren.
Es gibt mehrere Verzweigungen und ich entdecke, dass es offensichtlich mehrere verschiedene Bahnen gab. (Recherchen ergeben, dass es die einzige Bahn der Welt mit drei Strecken war.) Hinter einer Kurve höre ich ein Klopfen. Es stammt von einem jungen Mann, der an der Bobbahn arbeitet. Ich frage ihn was er da macht und erfahre, dass die Bobbahn von ihm und einer Anzahl Kollegen wieder befahrbar gemacht wird, allerdings nur für Trainingsfahrten im Sommer. Sie füllen die Ritzen mit Zement und klopfen die Bahn nach losen Stellen ab. Er meint, dass sie fast fertig wären und sich schon sehr auf das Fahren freuen würden. Die bosnische Regierung unterstützt sie genau gar nicht, sie machen das alles in ihrer Freizeit und unentgeltlich. Sie wollen einfach wieder besser Bobfahren können und dazu brauchen sie eine gut erreichbare Trainingsstrecke.

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Bild 3: Der junge Mann beim Ausbessern der Bahn. Sein Englisch war tadellos und es war ein sehr angenehmes Gespräch.

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Bild 4: Eine der ausgebesserten Stellen. Die Bahn wird mit Zement wieder glatt und für Sommertraining befahrbar gemacht.

Auch das ist Bosnien, hier tut sich was und ich erinnere mich an das Genozid-Museum, das ebenfalls von jungen Studenten in Eigenregie aufgebaut wurde und erhalten wird.
Ich wünsche dem jungen Mann viel Erfolg und wandere weiter. Die Bahn geht in vielen Kurven talwärts und ich komme beim Rückweg ganz ordentlich ins Schwitzen. Ein Seitenast ist schon ziemlich überwachsen, hin und wieder marschieren andere Besucher über die Bahn und ich erinnere mich an die Warnung meines Bruders, einfach so in den Wald hinein zu gehen, da es immer wieder Minenunfälle gibt. Glücklicherweise hat Österreich vor ein paar Jahren zähneknirschend zugestimmt keine Anti-Personen-Minen mehr zu bauen. Davor haben wir an dem einen oder anderen zerfetzten bosnischen Kind sehr gut verdient und ich kann das Argument „Wenn wir es nicht bauen und verkaufen, dann verdient wer anderer das Geld“ nicht mehr hören, echt nicht.

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Bild 5: Eine Stelle, an der sich die Natur die Bahn langsam zurück holt. Immerhin ist der Bau schon 34 Jahre her.

Ich kann den Besuch der alten Bobbahn empfehlen, es herrscht eine eigene Stimmung dort im Wald auf der Höhe und zeigt einen ganz anderen Blick auf Sarajevo.
Beim Hinunterfahren zeigt mir mein Bruder noch die Stellungen, von denen die Serben damals die Stadt unter Beschuss nahmen. Ein paar Ruinen stehen noch dort, daneben gibt es eine moderne Sommerrodelbahn.

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Bild 6: Der Blick hinunter auf die Stadt.

Als wir wieder in Peters Haus sind, fehlt mir Bewegung. Also vertrete ich mir noch ein wenig die Beine und marschiere den Hügel bergauf. Die Straßen sind unfassbar steil, so etwas wäre bei uns nicht möglich und ich habe nicht die geringste Idee wie die das im Winter machen, wenn viel Schnee liegt.

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Bild 7: Die Steilheit ist am Bild nicht so gut zu erkennen, aber es ist sehr steil.

Links und rechts ist alles voll mit Einfamilienhäusern, es sieht ein bisschen aus wie am Klosterneuburger Ölberg, nur sind die Häuser weniger protzig, es gibt halbfertige Buden, Rohbauten, dazwischen die eine oder andere kleine Moschee, Ruinen, aber auch sehr schöne Häuser. Bauvorschriften dürfte es hier nicht geben, es baut jeder was er will und wie er will – nur das rote Ziegeldach, das haben alle gemeinsam, wenngleich die alte Regel (Giebeldach Christen, Pyramidenförmiges Dach Muslime) nicht mehr gilt.

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Bild 8: Einer der zahlreichen kleinen Friedhöfe. Die muslimischen kann man daran erkennen, dass alle Grabsteine weiße Stelen sind. Dieser dürfte nicht sehr gepflegt sein.

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Bild 9: Ein typischer Rohbau, wie man ihn am ganzen Balkan findet. Niemand weiß, ob dieses Haus jemals fertig gebaut wird. Das Auto davor ist auch typisch.

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Bild 10: Moschee, Rohbau, Blumen in einem gepflegten Vorgarten – die Mischung ist typisch für die Hügelkette rund um Sarajevo.

Ich wandere bis zum Grat hinauf, wo eine kleine Straße verläuft. Direkt dahinter ist Sarajevo zu Ende, auf der anderen Seite fällt der Hügel relativ steil ab und ich sehe hinten ein riesiges Gewitter aufziehen. Noch schnell ein paar Fotos von einer Ecke, die von Zigeunern bewohnt sein dürfte, die gibt es relativ häufig in Bosnien.

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Bild 11: Schwere Wolken ziehen auf, vor mir ein Autowrack und hinten eine Müllhalde. Das ist auch Bosnien.

Dann marschiere ich wieder zurück und ruhe mich den Rest des Nachmittags ein wenig aus. Am Abend wollen wir mit einer Kollegin von Peter auf einen der Hügel in ein besonders gutes Restaurant fahren. Ich freu mich schon drauf!

Besagtes Restaurant hält was es verspricht. Es gibt – leicht zu erraten – wieder Fleisch, diesmal Pleskjavica mit Pita und Salat, alles hervorragend.

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Bild 12: Mahlzeit!

Über den Abend gibt es sonst nichts zu berichten und ich werde diesen Blog auch mit dieser Eintragung beschließen, denn es gibt auch über den nächsten Tag nichts Aufregendes zu berichten. Mein Bruder führt mich auf den Flughafen, der Check-in mittels Handy funktioniert gut, der Flughafen ist klein und hat nur fünf Gates in einer Abflughalle, was aber vollkommen ausreichend ist.
Wieder fliegen ausgesprochen viele Kinder mit, von 6 bis 14 Uhr gehen insgesamt 9 Flüge, das ist überschaubar.
Der Flug selbst ist okay, der Pilot berichtet uns, dass es in Wien heiter ist bei 21 Grad. Als wir um neun Uhr landen, hat es 25 Grad und schüttet in Strömen. Als ich das Flughafengebäude verlasse hat der Regenguss jedoch gerade aufgehört und ich kann einigermaßen trocken mit dem Roller nach Hause fahren.

Mein Fazit: In Sarajevo sollte man einmal gewesen sein. Eine ganze Woche muss es nicht sein, aber die knapp vier Tage waren ideal, um alles zu sehen, was wichtig ist. Die Preise sind günstig und es gibt eine Welt zu entdecken, die ich in dieser Form sonst noch nirgends erlebt habe. Vielleicht komme ich ja einmal wieder.

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Bild 13: Ein so genanntes „Schwiegermuttertürl“, hier in der bosnischen Variante. Irgendwie auch ein passendes Abschlussbild zu dieser Reise, keine Ahnung warum. Vielleicht einfach nur, weil es das letzte war, das ich aufgenommen habe.

Sarajevo, 3. Tag

Heute geht es nach Mostar. Viel weiß ich nicht von dieser Stadt, nur dass es eine alte Brücke gegeben hat, die im Krieg zerschossen und danach wieder aufgebaut wurde. Nicht sehr üppig, aber das kann sich ja heute ändern.
Weil Peters alter T4-Bus schon über 300.000 km am Buckel hat und gerne etwas heiß wird, mieten wir uns einen Skoda Rapid, der kann alles, was wir brauchen, um bequem nach Mostar zu kommen, das ca. 160 km entfernt ist.
Wir brechen schon um 7 Uhr auf, um die Kühle des Morgens mitnehmen zu können und der Beginn der Fahrt führt uns über das brandneue Stück Autobahn. Die Gegend sieht aus wie die Steiermark, nur die Dichte der Golf-2-Modelle ist ungleich höher oder so wie in den frühen 1990-er Jahren in der Steiermark.

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Bild 1: Autobahn bei Sarajevo

Die Autobahn endet an den Schluchten des Balkan. Sie sehen so aus wie man sie sich aus den Karl-May-Büchern vorstellt und hinter jeder Ecke könnte der Schut auftauchen.
De facto tauchen nur Autos auf, die dafür aber gerne mal die Kurve schneiden. Die Straße ist aber gut ausgebaut, wenngleich man als Motorradfahrer aufpassen muss, weil die alten Kisten gerne Öl verlieren und da liegst du schneller als du „Shit“ sagen kannst.

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Bild 2: Weiter geht es auf der Landstraße durch die Schluchten des Balkan

Von Sarajevo nach Mostar könnte man auch mit dem Skateboard fahren, denn es geht ständig nur bergab. Die Straße führt durch die Schluchten immer an Flüssen entlang, die mehr oder weniger ständig aufgestaut sind. Ich weiß nicht wie viel Strom sie erzeugen, aber angeblich wird Mostar mit solchem Strom versorgt.

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Bild 3: Einer der vielen Stauseen

Hier eine Autobahn zu bauen wäre so irrwitzig teuer und würde unfassbare Zerstörung der Landschaft bedeuten, dass ich ganz froh bin, dass dies nicht gebaut wird. Es geht auch ohne, denn nach 2 bis 2,5 Stunden ist man auch so am Ziel.
Die Schluchten hören ganz plötzlich auf und öffnen eine weite Hochebene, in die mehrere Täler zusammenkommen. Ganz plötzlich ändert sich auch das Klima, es wird sofort wärmer, die Landschaft ist karstig und trocken. Auch hier sieht man die uralte Vermischung der Kulturen, in manchen Dörfern dominiert eine kleine Kirche, in anderen wieder eine Moschee.

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Bild 4: Kurz vor Mostar

Wir erreichen Mostar und Peter sucht einen Weg durch die Stadt, um möglichst nah der Altstadt einen Parkplatz zu finden. Da auch diese Stadt im Krieg ordentlich was abbekommen hat, sehen wir jede Menge Ruinen, aber auch ein palastartiges Gebäude, von dem ich nicht genau herausfinden konnte, was sein Zweck ist, ich schätze eine Behörde ist dort einquartiert. Schön und hässlich liegen hier nah beeinander.

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Bild 5: Top restauriert erinnert der Stil an die Bibliothek in Sarajevo

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Bild 6: Ruinen und davor der obligate 2er-Golf

Viel Verkehr ist nicht und wir finden einen kleinen Parkplatz, auf dem noch was frei ist. Das Haus daneben ist eines von den zerschossenen.

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Bild 7: Man sieht einen ausgebesserten Granateinschlag und zahllose Maschinengewehrsalven

Als wir aussteigen kommt ein Typ auf uns zu, der sich als lokaler Fremdenführer herausstellt. Er hängt hier ab und wartet bis Touristen kommen, denen er eine Tour aufschwatzen möchte.
Da Peter zwar schon öfter hier war, selbst aber auch nicht alle Infos hat, willigen wir ein und gehen los. Alen Kuko heißt unser Führer, hat viele Jahre in Deutschland gelebt und spricht fließend Deutsch. Er berichtet auch vom Krieg und zeigt sein Ohr, von dem ein kleines Stück fehlt, das ihm im Krieg angeblich von einem Granatsplitter abgeschossen wurde. 220.000 Menschen seien damals in ganz Bosnien umgekommen, davon 5.000 in Mostar, das heute ca. 120.000 EinwohnerInnen hat. Er selbst war damals 15 Jahre alt.
70 Mark soll die Führung kosten, was ein durchaus stolzer Preis für die dortigen Verhältnisse ist. Alen meint, er hätte hungrige Kinder zu ernähren und müsste all das Geld im Sommer verdienen. Soll sein.
Wir marschieren an einem schnuckeligen Hotel vorbei, in dem Peter meist übernachtet, wenn er beruflich in Mostar ist.

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Bild 8: Das alte, aber sehr gute Hotel

Daneben ist die „Crooked Brigde“, eine uralte Brücke, die es schon vor der legendären anderen Brücke gab. Dieser Teil der Altstadt war im Krieg sehr kaputt, wurde aber wieder sehr schön aufgebaut.

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Bild 9: Die alte Crooked Bridge

Dann marschieren wir durch einen kleinen Basar mit Touristenzeugs zur großen Brücke. Sie wird von zwei kleinen Wehrtürmen geflankt und ist wahrhaftig eine Sehenswürdigkeit.

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Bild 10: Blick von der Brücke auf einen der Türme, die auch wieder aufgebaut wurden.

Über der eigentlichen Pflasterung liegen Steinleisten quer, die früher den Pferden als Rutschsicherung gedient haben, meint unser Führer. Er kann erkennen, ob es ein Einheimischer ist, der über die Brücke geht oder ein Tourist – erstere gehen auf den Leisten, letztere dazwischen. Peter und ich gehen jetzt nur mehr auf den Leisten und machen die obligaten Fotos. Wir sind relativ früh dran und daher ist die Brücke zwar nicht leer, aber auch nicht so voll wie etwas später.

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Bild 11: Die Querleisten auf der Brücke

Es gibt die Brückenspringer – das sind junge Männer, die sich 30 Euro von irgendwelchen Touristen bezahlen lassen, damit sie von der Brücke 25 Meter in die Tiefe springen. Da gerade niemand das zahlen will, sehen wir keinen springen.
Die Brücke selbst wurde im Krieg von den Kroaten gesprengt und von 2002 bis 2004 von den Türken wieder aufgebaut, davor gab es eine provisorische Hängebrücke.
Vor dem Krieg gab es in Mostar 1/3 Kroaten, 1/3 Moslems und 1/3 orthodoxe Serben. Letztere gibt es jetzt fast nicht mehr, auch Juden gibt es hier nur wenige.
Auf der anderen Seite führt uns Alen in eine spezielles Lokal, das in einer großen Felshöhle liegt. Dort wäre es auch an heißen Tagen sehr kühl, da sie dort aber laute Disko-Musik spielen, gehen wir wieder zurück über die Brücke, um ein nettes, schattiges Café (Kaffee Karma, mit Gratis-WLAN) unterhalb der großen Brücke zu suchen.

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Bild 12: Die Disko in der Höhle

Dort lassen wir Alen noch ein wenig erzählen, wobei er jetzt schon etwas hin- und herzappelt und wir den Verdacht haben, dass er zurück zum Parkplatz möchte, um neue Touristen zu finden.
Dieser Verdacht stellt sich als richtig heraus, er meint, dass wir den Rest selbst ansehen könnten und 45 Minuten eh schon vorbei wären. Außerdem meint er, dass wir ihm ruhig 100 Mark geben könnten.
Leider merkt er nicht, dass er den Bogen gerade überspannt. Wir geben ihm die versprochenen 70 Mark und er trollt sich. Leider können wir ihn somit nur bedingt weiterempfehlen. Ob dieses Geschäftsmodell schlau ist, dürfen andere bewerten.

Wir trinken noch unseren guten Kaffee aus und marschieren wieder über die Brücke, um die dahinter liegende Moschee zu finden, auf deren Minarett man angeblich steigen kann. Der Weg durch die Altstadt ist von unzähligen Ramschbuden gesäumt, in Summe aber recht malerisch. In und vor den Geschäften sitzen meist junge Verkäuferinnen und pflegen sich zu langweilen.

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Bild 13: Die gesuchte Moschee

Es hat inzwischen 37 Grad und wir finden die Moschee, die man um 6 Euro besichtigen kann. Dass wir Ungläubige sind spielt keine Rolle, denn in der Moschee wurde ein Bereich abgegrenzt, den man betreten darf ohne die Schuhe ausziehen zu müssen. Das Innere der Moschee reist mir nix aus, aber auch sie ist ein Nachbau, inklusive dem besteigbaren Minarett.

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Bild 14: In der Moschee

Die Wendeltreppe ist superschmal, zwei Leute können unmöglich aneinander vorbei und es gibt genau genommen auch keine Ausweichmöglichkeit.

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Bild 15: Die enge Wendeltreppe hinauf auf´s Minarett

Wir haben aber das Glück, dass gerade niemand hinabsteigt und erreichen die kleine Plattform. Für mich ist das auch deswegen interessant, weil ich noch nie auf einem Minarett war. Ich kann aber gut verstehen, dass ein Aufseufzen durch die muslimische Welt ging, als die Lautsprecher erfunden wurden. Davor musste jeder Muezzin fünf Mal am Tag dort hinauf koffern, um von oben sein Gebet runterzubrüllen. Heute drückt er von unten bequem auf einen Knopf und oben schallt es heraus.
Das, was da schallt, ist übrigens immer das Gleiche, und zwar geht das so:

– Allah is the Greatest. (4x)
– I bear witness that there is no god except Allah. (2x)
– I bear witness that Muhammad is the messenger of Allah. (2x)
– Come to prayer. (2x)
– Come for salvation. (2x)
– Allah is the Greatest. (2x)
– There is no god except Allah.

Der Neuigkeitswert hält sich in Grenzen, wenn du dir das 5x am Tag und das wiederum jeden Tag anhören musst. Außerdem kommt mir der Verdacht, dass die Typen selbst nicht glauben, dass es nur einen Gott gibt. Warum wiederholen sie es sonst so oft?
Der Blick hinunter auf die Brücke von Mostar ist jedenfalls fantastisch.

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Bild 16: Blick vom Minarett hinunter

Wir marschieren wieder runter und gönnen uns eine kleine Pause in dem netten und schattigen Garten der Moschee. Auch hier gibt es wieder einen Trinkbrunnen, das ist eine der angenehmen Seiten des Islam.

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Bild 17: Einer von vielen Brunnen im Garten einer Moschee

Die in Sarajevo gekauften Converse waren übrigens eine erstklassige Wahl, sie sind äußerst bequem und ich schwitze darin weniger als in den super-antitranspirant-hightech-Geox-Latschen, viel weniger sogar.
Es ist 12:30 und machen wir uns auf den Weg zurück. Für Mostar brauchst du zwei Stunden, dann hast du alles gesehen, mehr gibt es nicht wirklich. Deswegen ist das auch ein so beliebtes Ausflugsziel bei den Touristen von der dalmatinischen Küste, weil man es schnell und ohne großen Aufwand erledigen kann.
Minarette gibt es jedenfalls genügend hier in Mostar.

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Bild 18: Wo bei uns Kirchtürme stehen, sind dort Minarette

Die Rückfahrt ist angenehm und unspektakulär, der Verkehr hält sich in Grenzen und wir machen noch einen Halt an einem der vielen Stauseen, um zu baden. Das Wasser ist kühl und erfrischend und der am Ufer wachsende Feigenbaum hat zwar Früchte, die sind aber ungenießbar.

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Bild 19: Stausee mit Bademöglichkeit

Die Zikaden machen mediterranen Lärm und wir bekommen langsam Hunger, den wir in einem der zahlreichen Lokale befriedigen können, die am Straßenrand liegen, meist mit Blick auf einen Stausee.
Dort drehen sich riesige Spieße mit kleinen, unschuldigen Lämmern, die als lokale Spezialität angeboten werden. Dazu gibt es interessante Salatvarianten und das übliche Fladenbrot. Es ist etwas teurer, aber sehr gut und wir sind schließlich erstens im Urlaub, zweitens ist es für unsere Verhältnisse immer noch billig und drittens befinden wir uns in so etwas wie einer Autobahnraststätte.
Kurz vor der Autobahn kaufe ich bei einem Tankstopp von einem Händler am Straßenrand noch zwei Gläser mit Honig und bin schon gespannt, wie er schmeckt. Angeblich ist er lokal erzeugt und kostet 5 Euro pro Kilo.

Die Fahrt ist kurzweilig und ich kann noch ein paar Heumandln fotografieren, die es bei uns schon länger nicht mehr gibt. Hier ist auch die Landwirtschaft vor allem in den Bergen ein paar Jahre oder Jahrzehnte hinterher.

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Bild 20: Heumandln, bei uns sind das inzwischen in Plastik eingeschweißte Riesenrollen.

Dann sind wir wieder in Sarajevo und ruhen uns erst mal aus, denn wir wollen am Abend noch in die Stadt fahren und uns ein gutes Bier gönnen oder zwei.
In Bosnien läuft alles ein wenig gemütlicher ab und der Autovermieter hat keine Zeit den Skoda abzuholen, daher machen wir uns locker für morgen Vormittag die Übergabe aus. Wir können also mit dem kleinen Auto in die Stadt fahren und müssen nicht die VW-Bus-Kiste nehmen.
Es geht wieder vorbei an den immer noch zerschossenen Plattenbauten, in denen die nicht so wohlhabenden Leute wohnen.

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Bild 21: Ein Granateinschlag und zahlreiche Einschüsse sind gut sichtbar, sie wirken wie Narben im Gesicht der Stadt

Bosnien ist nicht besonders reich an Bodenschätzen, auch Landwirtschaft ist eher kleinflächig möglich, es gibt Holz, Wasser, ein bisschen Wein und Honig, aber im großen und ganzen sind wir hier im eher kargen Balkan. Daher ist auch die Arbeitslosigkeit hoch und der Wunsch vieler Menschen, irgendwo im Ausland das Glück zu versuchen und dann in der Pension wieder hier zu leben – so wie das die Nachbarn machen, genau gegenüber, in ihrem mehrstöckigen Haus. Sarajevo ist nicht unangenehm, durch die Höhenlage ist das Klima aushaltbar, nur im Winter haben sie – ähnlich wie Wien – öfter Inversionslage mit schlechter Luft. Da musste vor einiger Zeit sogar der Autoverkehr eingeschränkt werden, was sie aufgrund der hohen Motorisierung doch trifft.

Heute ist es aber schön und wir parken in einem Parkhaus mitten in der Altstadt, was für den gesamten Abend ca. 5 Euro kostet. Eine Bekannte hat uns zwei Lokaltipps gegeben, der erste scheitert daran, dass es kein Bier gibt. Also marschieren wir in den „christlichen“ Teil und setzen uns in ein Pub, also genau genommen davor in den Gastgarten. Auf der Straße fahren aufgemotzte BMW und VW vorbei, möglichst laut, mit tätowierten Testosteronis drinnen, ganz wie bei uns.
Das Bier ist gut und wir genießen den lauen Abend. Danach marschieren wir noch beim „ewigen Feuer“ vorbei, das am Ende der Fußgängerzone an einer Hausecke brennt.

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Bild 22: Guido am Feuer

Ach ja – hier sehe ich, wie anders die Uhren gehen. In Wien verhandle ich mit dem Magistrat usw. über Gehsteig-Mindestbreiten. Darüber können die hier maximal schmunzeln.

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Bild 23: DAS ist ein schmaler Gehsteig. Wenn der Bewohner ein Fenster aufmacht, muss er sich vorher vergewissern, dass keine Bim kommt.

Die Häuser erinnern an Wien und nicht nur in einem ist unten eine Raiffeisenbank oder ein dm-Markt.

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Bild 24: Eines von vielen alten Häusern mit schöner Fassade

Nicht weit davon der zweite Lokaltipp, der sich als Volltreffer herausstellen sollte. Eine kleine Bar – oder nennen wir es einfach „Lokal“, es ist so speziell, dass ich es schwer beschreiben kann.
Wir treten ein, die wenigen Tische in gemütlichen Ecken sind besetzt, es ist eng hier herin, aber auf den ersten Blick gemütlich. Gerade mal vor der Theke ist ein Tisch nur mit einem weißhaarigen Herrn besetzt, doch der steht auf und deutet uns, dass wir den Tisch haben können. Er schaut unendlich mürrisch drein und als gelernter Wiener habe ich den Verdacht, dass es sich dabei um den Chef handelt. Die entzückende Kellnerin bestätigt das, während sich der Weißhaarige trollt.
Das Lokal heißt „Zlatna Ribica“ und dürfte international nicht ganz unbekannt sein – auch auf Facebook ist es zu finden. Es ist ein bisschen wie ein Wohnzimmer, überfüllt mit tausenden Gegenständen, die überall herumstehen. Das Auge ist überfordert, irgendwo spielen sie auf Bildschirmen uralte Filme und es gibt keinen Gegenstand zwei Mal. Wenn du drei Bier bestellst, bekommst du sie in verschiedenen Gläsern. Auch die Untersetzer sind verschieden.

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Bild 25: Für´s Auge

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Bild 26: In einem alten Radio ist der Bildschirm, von dem aus sie MP3s spielen

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Bild 27: Zuerst dachte ich schon, sie haben ein Bild von Gavrilo Princip aufgehängt, aber die Kellnerin klärte mich dann auf, dass es Nicola Tesla ist.

Der optische Irrsinn lässt deine eigenen Gedanken wirr werden, ich bestelle das erste Mal in meinem Leben Walnusslikör („Orahovac“ steht auf der Rechnung), keine Ahnung warum. Er wird in kleinen Zinnbechern serviert, alles ist irgendwie unfassbar schräg.

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Bild 28: Getränke

Selbst das WC wirkt wie einem LSD-Tripp entsprungen, vielleicht ist es das ja auch. Es gibt einen winzigen Fernseher und jede Menge Toilette-Artikel, woher auch immer.

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Bild 29: Das WC, mit Fernseher und sonst noch so einigem

Und das Zlatna Ribica ist extrem kommunikativ. Nach kurzer Zeit setzt sich ein dänisches Pärchen zu uns, mit dem wir uns längere Zeit ausgezeichnet unterhalten. Die Themen und die Gedanken sind so vielfältig wie das Lokal, als wir rausmarschieren ist es auf einmal nach Mitternacht.
Wenn man das Zlatna Ribica googelt, so findet man unter dem gleichen Namen auch ein Fachgeschäft für Fischereizubehör, ein Restaurant in Serbien, eine Raiffeisenbank in Kroatien und wahrscheinlich noch viel anderes Unerwartetes – irgendwie ist das stimmig. Einmal eingefangen, ist nicht klar, ob man sich in einem Wohnzimmer befindet oder in einem Lokal, irgendwie wechselt das dauernd. Ich kann es am ehesten mit dem Kleinsasserhof am Millstädtersee vergleichen, der hat einen ähnlichen Spirit, allerdings längst nicht so gemütlich.
Wer einen Abend in der Altstadt von Sarajevo verbringt, sollte dorthin gehen, am besten zum Abhängen, ohne Stress und mit guter Laune. Wir jedenfalls fahren bestens gelaunt nach Hause und verbringen eine angenehme Nacht, denn in der letzten gab es ein ordentliches Gewitter, heute ist es aber trocken und ich freue mich auf den letzten Tag, den Sonntag.