Sarajevo, 4. Tag

Der letzte Tag bricht an und wir haben uns vorgenommen ihn gemütlich anzugehen. Ein bisschen Restwirkung vom Vorabend ist noch zu spüren, aber nach einem guten Frühstück brechen wir auf um den Leihwagen in der Nähe des Flughafens zurückzubringen. Dann fahren wir mit dem Bus weiter hinauf in die Berge, genauer gesagt würde ich gerne die Reste der alten Bobbahn von den olympischen Winterspielen 1984 sehen – das waren übrigens die aus österr. Sicht medaillenmäßig schlechteste aller Zeiten, wir haben gerade mal eine Bronzene gemacht, ich glaube in der Herren-Abfahrt oder so.

Wir fahren durch den serbischen Teil von Sarajevo und dann steil in die Berge hinauf. Das Land ist hier sehr ländlich, mit Feldern und kleinen Weihern, Nadelwäldern und kleinen Tälern.

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Bild 1: Der Berg im Hintergrund ist ca. 1.500 Meter hoch und dort fand ein Teil der Alpinbewerbe statt. Man kann heute noch Skifahren, es gibt einige Liftanlagen und mein Bruder hat es im Winter schon ausprobiert.

Der Bus wird wieder ein bissl heiß, aber schon naht ein großer Parkplatz mit einem neuen Restaurant. Daneben stehen ca. fünf Meter der alten Bobbahn. „Mehr gibt es davon nicht mehr zu sehen“ meint Peter, ich bin mir aber nicht sicher, dass das wirklich so ist.
Also fahren wir ein Stück links eine asphaltierte Straße hinunter, einem anderen Auto folgend. Nach ca. 200 Metern ein weiterer Parkplatz und da ist sie, die alte Bobbahn, ungefähr so wie ich sie mir vorgestellt habe. Im Krieg war dort eine Frontlinie und es wurde ordentlich gekämpft, kaputt dürfte sie aber schon vorher gewesen sein. Nach dem Ende der olympischen Spiele war nicht mehr viel los in Sarajevo und auch die Sportstätten wurden nicht mehr gut erhalten.
Während Peter ein längeres Telefonat mit seinem Schatzi führt, entere ich die Bobbahn und gehe bergab. Ich bin noch nie in einer Bobbahn gegangen und finde das irgendwie lustig. Die Sonne knallt schon ziemlich runter, es wird heute wieder ein sehr heißer Tag, hier gibt es aber immer wieder schattige Abschnitte.

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Bild 2: Links im Bild die große Bob-Bahn, daneben eine für Rodeln oder Skeleton oder was auch immer.

Die Bahn sieht nicht vollkommen zerstört aus, wobei die Schaumstoff-Isolierung nur mehr bruchstückhaft zu sehen ist. Hier wird wohl nie wieder ein Bob hinunter fahren.
Es gibt mehrere Verzweigungen und ich entdecke, dass es offensichtlich mehrere verschiedene Bahnen gab. (Recherchen ergeben, dass es die einzige Bahn der Welt mit drei Strecken war.) Hinter einer Kurve höre ich ein Klopfen. Es stammt von einem jungen Mann, der an der Bobbahn arbeitet. Ich frage ihn was er da macht und erfahre, dass die Bobbahn von ihm und einer Anzahl Kollegen wieder befahrbar gemacht wird, allerdings nur für Trainingsfahrten im Sommer. Sie füllen die Ritzen mit Zement und klopfen die Bahn nach losen Stellen ab. Er meint, dass sie fast fertig wären und sich schon sehr auf das Fahren freuen würden. Die bosnische Regierung unterstützt sie genau gar nicht, sie machen das alles in ihrer Freizeit und unentgeltlich. Sie wollen einfach wieder besser Bobfahren können und dazu brauchen sie eine gut erreichbare Trainingsstrecke.

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Bild 3: Der junge Mann beim Ausbessern der Bahn. Sein Englisch war tadellos und es war ein sehr angenehmes Gespräch.

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Bild 4: Eine der ausgebesserten Stellen. Die Bahn wird mit Zement wieder glatt und für Sommertraining befahrbar gemacht.

Auch das ist Bosnien, hier tut sich was und ich erinnere mich an das Genozid-Museum, das ebenfalls von jungen Studenten in Eigenregie aufgebaut wurde und erhalten wird.
Ich wünsche dem jungen Mann viel Erfolg und wandere weiter. Die Bahn geht in vielen Kurven talwärts und ich komme beim Rückweg ganz ordentlich ins Schwitzen. Ein Seitenast ist schon ziemlich überwachsen, hin und wieder marschieren andere Besucher über die Bahn und ich erinnere mich an die Warnung meines Bruders, einfach so in den Wald hinein zu gehen, da es immer wieder Minenunfälle gibt. Glücklicherweise hat Österreich vor ein paar Jahren zähneknirschend zugestimmt keine Anti-Personen-Minen mehr zu bauen. Davor haben wir an dem einen oder anderen zerfetzten bosnischen Kind sehr gut verdient und ich kann das Argument „Wenn wir es nicht bauen und verkaufen, dann verdient wer anderer das Geld“ nicht mehr hören, echt nicht.

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Bild 5: Eine Stelle, an der sich die Natur die Bahn langsam zurück holt. Immerhin ist der Bau schon 34 Jahre her.

Ich kann den Besuch der alten Bobbahn empfehlen, es herrscht eine eigene Stimmung dort im Wald auf der Höhe und zeigt einen ganz anderen Blick auf Sarajevo.
Beim Hinunterfahren zeigt mir mein Bruder noch die Stellungen, von denen die Serben damals die Stadt unter Beschuss nahmen. Ein paar Ruinen stehen noch dort, daneben gibt es eine moderne Sommerrodelbahn.

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Bild 6: Der Blick hinunter auf die Stadt.

Als wir wieder in Peters Haus sind, fehlt mir Bewegung. Also vertrete ich mir noch ein wenig die Beine und marschiere den Hügel bergauf. Die Straßen sind unfassbar steil, so etwas wäre bei uns nicht möglich und ich habe nicht die geringste Idee wie die das im Winter machen, wenn viel Schnee liegt.

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Bild 7: Die Steilheit ist am Bild nicht so gut zu erkennen, aber es ist sehr steil.

Links und rechts ist alles voll mit Einfamilienhäusern, es sieht ein bisschen aus wie am Klosterneuburger Ölberg, nur sind die Häuser weniger protzig, es gibt halbfertige Buden, Rohbauten, dazwischen die eine oder andere kleine Moschee, Ruinen, aber auch sehr schöne Häuser. Bauvorschriften dürfte es hier nicht geben, es baut jeder was er will und wie er will – nur das rote Ziegeldach, das haben alle gemeinsam, wenngleich die alte Regel (Giebeldach Christen, Pyramidenförmiges Dach Muslime) nicht mehr gilt.

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Bild 8: Einer der zahlreichen kleinen Friedhöfe. Die muslimischen kann man daran erkennen, dass alle Grabsteine weiße Stelen sind. Dieser dürfte nicht sehr gepflegt sein.

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Bild 9: Ein typischer Rohbau, wie man ihn am ganzen Balkan findet. Niemand weiß, ob dieses Haus jemals fertig gebaut wird. Das Auto davor ist auch typisch.

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Bild 10: Moschee, Rohbau, Blumen in einem gepflegten Vorgarten – die Mischung ist typisch für die Hügelkette rund um Sarajevo.

Ich wandere bis zum Grat hinauf, wo eine kleine Straße verläuft. Direkt dahinter ist Sarajevo zu Ende, auf der anderen Seite fällt der Hügel relativ steil ab und ich sehe hinten ein riesiges Gewitter aufziehen. Noch schnell ein paar Fotos von einer Ecke, die von Zigeunern bewohnt sein dürfte, die gibt es relativ häufig in Bosnien.

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Bild 11: Schwere Wolken ziehen auf, vor mir ein Autowrack und hinten eine Müllhalde. Das ist auch Bosnien.

Dann marschiere ich wieder zurück und ruhe mich den Rest des Nachmittags ein wenig aus. Am Abend wollen wir mit einer Kollegin von Peter auf einen der Hügel in ein besonders gutes Restaurant fahren. Ich freu mich schon drauf!

Besagtes Restaurant hält was es verspricht. Es gibt – leicht zu erraten – wieder Fleisch, diesmal Pleskjavica mit Pita und Salat, alles hervorragend.

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Bild 12: Mahlzeit!

Über den Abend gibt es sonst nichts zu berichten und ich werde diesen Blog auch mit dieser Eintragung beschließen, denn es gibt auch über den nächsten Tag nichts Aufregendes zu berichten. Mein Bruder führt mich auf den Flughafen, der Check-in mittels Handy funktioniert gut, der Flughafen ist klein und hat nur fünf Gates in einer Abflughalle, was aber vollkommen ausreichend ist.
Wieder fliegen ausgesprochen viele Kinder mit, von 6 bis 14 Uhr gehen insgesamt 9 Flüge, das ist überschaubar.
Der Flug selbst ist okay, der Pilot berichtet uns, dass es in Wien heiter ist bei 21 Grad. Als wir um neun Uhr landen, hat es 25 Grad und schüttet in Strömen. Als ich das Flughafengebäude verlasse hat der Regenguss jedoch gerade aufgehört und ich kann einigermaßen trocken mit dem Roller nach Hause fahren.

Mein Fazit: In Sarajevo sollte man einmal gewesen sein. Eine ganze Woche muss es nicht sein, aber die knapp vier Tage waren ideal, um alles zu sehen, was wichtig ist. Die Preise sind günstig und es gibt eine Welt zu entdecken, die ich in dieser Form sonst noch nirgends erlebt habe. Vielleicht komme ich ja einmal wieder.

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Bild 13: Ein so genanntes „Schwiegermuttertürl“, hier in der bosnischen Variante. Irgendwie auch ein passendes Abschlussbild zu dieser Reise, keine Ahnung warum. Vielleicht einfach nur, weil es das letzte war, das ich aufgenommen habe.

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