Kenia von Nord nach Süd – Tag 10: Das Mara Triangle

Am Morgen ist mein Schlafsack nass, allerdings nicht vom nächtlichen Gewitter, sondern vom Tau, der an der Innenseite der Außenhülle jede Menge Kondenswasser bildet. Da das Zelt klein ist, streife ich mit dem Fußteil an der Innenhülle, die schleift an der Außenhülle und so ist das Fußende des Schlafsacks nass. Kein großes Thema, denn die Sonne ist so stark, dass sie alle nächtlichen Nässen nach kurzer Zeit getrocknet hat.
Die Maasai Mara liegt ca. 1.500 Meter hoch und hat ein eigenwilliges Klima. Am Tag ist es meist sehr heiß, wir messen am vierten Tag satte 36 Grad, in der Nacht wird es aber kühl bis manchmal kalt. Im Februar ist Trockenzeit und da kühlt es auch in der Nacht nicht so stark ab, aber mehr als 15 Grad hat es trotzdem nicht. Da braucht man am Abend und in der Früh schon einen ordentlichen Pullover oder Sweater.
Wenn wir Internet haben wollen, müssen wir hinauf auf die Plains fahren, dort gibt es eine gute Verbindung. Die ist heute auch sehr wichtig, denn mein Bruder hat uns angerufen und gebeten, die Versicherungsplakette auf der Windschutzscheibe zu fotografieren und außerdem noch die ersten beiden Seiten des Carnets.
Er braucht all das um den Transport des Toyotas nach Bremerhaven zu organisieren. Genau genommen braucht das ein gewisser Frank von der Spedition in Mombasa. Wir sollen die Fotos machen und ihm schicken. Das wäre vor ein paar Jahren noch ein echtes Problem gewesen, heute macht man mit dem Smartphone das Bild und schickt es per Mail sofort weg.
Wir passen bei der Fahrt raus aus unserem Galleriewald sehr darauf auf, dass uns kein Safaribus sieht und sich denkt: da muss was Interessantes drin sein, wenn ein anderes Safariauto dort war. Da derzeit nur sehr wenige Touristen im Park sind, ist das kein allzu großes Problem.
Wir fahren heute ins Mara Triangle, das ist ein Abschnitt der Mara ganz im Südwesten und ich war noch nie dort. Thomy hat in seinem Reiseführer gelesen, dass es dort eine ganze Menge Geparde geben soll und will unbedingt hin. Also machen wir uns auf den Weg und fahren zuerst noch an den Mara-Fluss, wo Thomy hofft Krokodile zu sehen. Auch hier begegnen wir nur zwei oder drei Autos, normalerweise müssten es zwanzig oder dreißig sein.
Am Mara-Fluss ist es eher unspektakulär, aber den einen oder anderen Hippo-Pool gibt es dann doch und die Landschaft ist sowieso überall hier großartig.
Dann fahren wir auf den Lookout-Hill, auf dem ich auch schon seit vielen Jahren nicht oben war, ähnlich wie im Nakuru-Nationalpark.
Auch dieser Hügel belohnt die Auffahrt mit einer absolut spektakulären Sicht über fast den ganzen Park. Die Gegend ist immer wieder atemberaubend und ich kann mich nie sattsehen. Das wird sich bis zu meinem Lebensende auch nicht ändern, hier ist es einfach so unglaublich schön.

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Bild 78: Am Lookout-Hill

Die Mischung aus Hügeln, weiten Ebenen, Tälern mit Flüssen und Galleriewäldern ist so vielseitig und zugleich strahlt sie eine große Sanftheit aus. Und sie verändert sich alle paar Kilometer und bietet immer wieder neue, interessante Perspektiven.
Wir durchqueren eine letzte Furt und kommen zur Hauptstraße, die von der Keekorok Lodge bis an die westlichste Spitze des Parks führt. Dabei muss sie den Mara-Fluss überqueren, was mittels einer Brücke geschieht. Genau genommen gibt es sogar zwei Brücken, eine kleinere, ältere und eine modernere, die auch bei extremem Hochwasser nicht überschwemmt wird.
Davor bleiben wir jedoch noch bei einem Aussichtspunkt am Mara-Fluss stehen und treffen ein paar dort herumlungernde Game-Ranger. Sie fragen uns, ob wir sie zu ihrem Camp mitnehmen können, weil wir ja nach dem Triangle zurück zur Keekorok-Lodge fahren – das habe ich ihnen erzählt, als sie fragten, wo wir denn herkämen.
Wir versprechen bei der Rückfahrt an sie zu denken und fahren zur Brücke. Dort empfängt uns ein sehr unfreundlicher Typ, der misstrauisch unsere Papiere beäugt und dann telefonieren geht, als wir ihm erzählen, dass wir beim Sandriver-Gate campieren würden. Wo wir wirklich kampieren, sollen wir ihnen nicht sagen – so der Auftrag meines Vaters. Mir ist nicht wohl dabei, vor allem, weil der Unfreundliche unsere Autonummer aufschreibt und dann mehrfach telefoniert.
Dann aber kommt er, gibt uns ein Info-Blatt für das Triangle und eine Art Rechnung für die Mara-Brücke, für die wir aber nichts zahlen müssen.

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Bild 79: Die Mara-Brücke

Ich kaufe mir noch schnell eine neue Mara-Karte, weil meine bisherige schon über zwanzig Jahre am Buckel hat und die neue wirklich hervorragend ist.
Dann öffnet sich für uns die Schranke und alles scheint bestens zu sein. Wir fahren los und kommen in einen gänzlich anderen Teil der Mara. Kleine Vulkankegel mischen sich mit langgestreckten Ebenen und wir fahren ins Triangle ein.

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Bild 80: Mara-Triangle

Leider ist dort das Gras sehr hoch und man sieht nur sehr wenige Tiere. Bei diesem Vegetationsstand hat man mehr oder weniger keine Chance auf Geparde. Dafür laufen auf einmal zwei Zebras vor uns her, die keinerlei Lust haben wegen uns schneller zu laufen oder gar die Straße zu verlassen. Sie blicken sich immer wieder um und stimmen scheinbar mit einer Riesenhetz ihre eigene Geschwindigkeit auf unsere ab. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Wir bleiben stehen und lassen sie davonlaufen. Doch das funktioniert nicht, sie werden auch langsamer und warten dann auf uns, bis wir wieder ein paar Meter hinter ihnen sind. Dann laufen sie seelenruhig weiter. Plötzlich, als wir wieder mehr Abstand lassen, verlässt eines der beiden die Straße. Endlich, denken wir und wollen beschleunigen. In diesem Moment rennt das Zebra wieder vor uns auf die Straße und weiter vor uns her, fast wie zum Fleiß.
Das Triangle hat eine ganz eigene Landschaft, einige Bäche und Sümpfe und wird im Norden vom Escarpment begrenzt. Eine faszinierende Landschaft.

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Bild 80: Landschaft im Triangle

Als wir eine Pause machen beschließe ich Diesel vom vollen hinteren Tank in den inzwischen fast leeren vorderen Tank zu pumpen. Die Pumpe gibt allerdings seltsame Geräusche von sich und ich merke nur, dass sich die Dieselanzeige nicht verändert, auch nach einigen Minuten pumpen nicht.
Mir schwant Übles: hat mein Bruder vergessen zu tanken? Hat uns irgend ein Gauner den Sprit abgezapft, aber wenn, dann wo? Wir haben das Auto nicht alleine stehen gelassen und außerdem braucht man dafür einen Schlüssel.
Wir hingegen brauchen Diesel, und zwar eher dringend. Wir könnten zwar noch ein bis zwei Tage Gamedrive machen, aber dann würden wir nicht mehr bis Narok kommen. Also ist guter Rat teuer, bzw. eher guter Diesel.
Wir beschließen, dass es völlig ausreicht, wenn wir uns am Abend darum kümmern, vorher können wir sowieso nichts machen. Also fahren wir weiter über die hervorragenden Straßen im Triangle und sehen leider fast nichts. Ein paar Elefanten, einige Antilopen aber sonst gar nichts.
Die Landschaft ist dafür wirklich schön und so bereuen wir es nicht, hierhergekommen zu sein.
Bei der Rückfahrt treffen wir einen der Game-Ranger wieder, der scheinbar am Straßenrand auf uns gewartet hat, damit wir ihn mitnehmen. Er möchte zu seiner Ranger-Station, die etwa fünf Kilometer Richtung Keekorok liegt. Wir erklären ihm, dass wir später noch einen weiteren Gamedrive machen würden und daher nicht bis zur Keekorok fahren würden. Außerdem würden wir meinen Vater treffen (was ja sogar stimmt) und das wäre der Mann mit dem „big red sixwheeler“. Der Ranger heißt Kamot und meint sich an das Auto und den Mzee (Kiswahili: alter Mann) erinnern zu können. Das kommt gut an und unser Anhalter muss noch zwei Kollegen erklären, warum wir sie nicht mitnehmen können, auch wenn das sehr unhöflich erscheint.
Dann nehmen wir ihn mit und fahren zu seinem Camp. Es liegt direkt neben der Straße in einem kleinen Wäldchen, sehr versteckt auf einer Lichtung. Da stehen einfache Blechbaracken im Kreis angeordnet – wie das in Afrika halt so üblich ist. Kamot spricht eine Einladung aus: wir sind jederzeit herzlich willkommen, er würde sogar seine Hütte für uns räumen und zu einem Kollegen in die Hütte ziehen. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sowohl die Polizisten wie auch die Game Ranger ganz besonders freundlich zu Touristen sind. Vielleicht haben sie ja von weit oben eine Anordnung bekommen, die Freundlichkeit ist zwar angenehm, aber irgendwie ungewöhnlich, zumindest in dem Ausmaß, das wir hier erleben.
Wir verabschieden uns höflich und fahren wieder Richtung Löwenplatz.
Der restliche Tag verläuft ruhig und angenehm: ein erfrischendes Bad im Tümpel, Judy fabriziert ein hervorragendes Abendessen und schon wird es wieder dunkel.
Wir sitzen noch eine Zeit lang bei einem Schluck Kenya Kane und einem Bier vor dem Zelt und beobachten die Glühwürmchen. Wenn man mit einer Lampe den Fluss bzw. das andere Ufer ableuchtet, tauchen immer wieder verschiedene Augenpaare auf, die durch das Licht zu leuchten beginnen. Manchmal kann man erraten, um welches Tier es sich handelt, an diesem Abend ist es z.B. eine Antilope. Auf jeden Fall wird klar, dass es rundherum jede Menge Tiere gibt, die man meist nicht sieht und nur manchmal hört.
Dann zieht wieder ein Gewitter auf, das diesmal ähnlich verläuft wie das gestrige, aber etwas länger dauert. Doch auch in dieser Nacht muss ich die Gastfreundschaft von Thomy im Toyota nicht beanspruchen.
Das ist nicht selbstverständlich, ich will nur eines von zahlreichen nassen Erlebnissen der Vergangenheit hervorkramen. Vor vielen Jahren waren wir öfter zu Weihnachten in der Mara. Das ist gegen Ende der Regenzeit und die Erde in der Mara ist von der Feuchtigkeit gesättigt. Wir schliefen damals in einem Hauszelt und ich merke mitten in der Nacht, dass mich etwas am Kopf stößt. Seltsam, was kann das sein? Dann noch ein Stoß, ich greife zur Lampe und sehe, dass es sich um eine Luftmatratze handelt, die an mich dran geschwommen ist.
Wir alle lagen nämlich in einem kleinen See, der sich im Hauszelt gebildet hatte. Er war so hoch, dass die Luftmatratze, auf der zwei Leute schliefen, einfach aufgeschwommen war. Wir hatten das Zelt nämlich sträflicherweise in einer Mulde aufgestellt. Ich hatte es nicht früher bemerkt, weil der Schlafsack das Wasser noch irgendwie aufgehalten hatte, aber genau genommen lag ich komplett im Wasser und war auch schon entsprechend nass.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was wir damals getan haben, um die restliche Nacht zu überstehen. Wahrscheinlich haben wir uns in die Autos gelegt, wobei wir damals noch keine Campingmobile hatten, daher saßen wir eher im Auto für den Rest der Nacht. Camping ist nicht immer nur der reine Spaß.

Diesmal war es jedoch nur ein harmloses Gewitter in der Trockenzeit. In den letzten Jahren wurde aber gerade in Afrika der Klimawandel ganz besonders deutlich. Hier ist alles ein wenig stärker und extremer als bei uns in Mitteleuropa. Wenn es einmal stark regnet, dann schwemmt es alles davon und wenn eine echte Hitzeperiode da ist, verdorrt das halbe Land. Früher konnte man sich ziemlich genau auf Regen- und Trockenzeiten verlassen. Sie kamen manchmal mit ein oder zwei Wochen Verspätung oder auch früher als im Durchschnitt, aber sie kamen und waren in etwa gleich stark.
Heute kann es passieren, dass eine Regenzeit komplett ausfällt, dann bedeutet das den Tod für sehr viele Tiere. Aber auch das Gegenteil kommt vor, eine Trockenzeit fällt aus. Dann gibt es Schlamm ohne Ende, Überschwemmungen, Murenabgänge und eine unglaubliche Bodenerosion. Das ist genauso tragisch und leider kommen beide Phänomene immer öfter vor. Das bringt den afrikanischen Kontinent unter Druck, weil ja das Bevölkerungswachstum nach wie vor zunimmt und es so zu Ernährungsengpässen kommt. In Verbindung mit dem Land- und Ressourcenraub durch die Chinesen, Inder, US-Amerikaner und Europäer bedeutet das eine echte Herausforderung für viele afrikanische Staaten. Und es bedeutet Flüchtlinge, die bei uns dann abschätzig „Wirtschaftsflüchtlinge“ genannt und gerne wieder zurückgeschickt werden.
Politische Unruhen, die politische Flüchtlinge erzeugen, entstehen meist durch eine angespannte wirtschaftliche Situation. Somit sind alle Flüchtlinge Wirtschaftsflüchtlinge und viele Menschen, die bei uns im Luxus fast ersticken, sind der Ansicht, dass diese Flüchtlinge ohne guten Grund zu uns flüchten und somit zurückzuschicken sind. Sie könnten uns ja etwas von dem Luxus wegnehmen wollen, den wir übrigens nur haben, weil wir ihn durch die billigen Rohstoffe und die billige Arbeit in ihren Heimatländern bekommen.
Ihre billige Arbeit nehmen wir gerne, sie selbst sind aber bei uns unerwünscht. Wer bei uns etwa billige Kleidung oder billige Blumen kauft, unterstützt dieses System.

Die afrikanische Nacht ist anders als die europäische, sie ist voller Gegensätze:
Heiß – weil es oft heiß hergeht.
Kalt – weil es nach Hitze am Tag oft empfindlich kalt wird.
Laut – jede Menge Geräusche verbinden sich oft zu einem wahren Konzert.
Leise – irgendwann mitten in der Nacht wird es ganz plötzlich totenstill.
Trocken – sehr schnell nach dem Regen trocknet es auf.
Nass – nicht nur in der Regenzeit, auch bei einem Gewitter oder durch Tau am Morgen.
Wild – ungezähmt, oft brutal, unberechenbar, überraschend.
Mild – seit Jahrmillionen unverändert und somit in gewisser Weise geordnet.
Lang – sie dauert fast zwölf Stunden.
Kurz – durch die viele Aktivität vergeht sie schnell.
Beängstigend – wenn man daran denkt, was sich da alles abspielt.
Beruhigend – sie kann einlullen, durch Geräusche und Gerüche auch friedlich stimmen.
Hell – wenn der Mond scheint, kann man ein Buch lesen.
Dunkel – durch die fehlende Lichtverschmutzung ist es vor allem bei Bewölkung oft stockfinster.

Die afrikanischen Nächte sind archaisch im Sinne von ursprünglich, sie zeigen uns den Ursprung der Menschheit fast besser als die Tage.

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