Kenia von Nord nach Süd – Tag 12: Die Great Plains und der Talek

Früh schlafen gegangen – früh aufgewacht. Einerseits ist das ein wenig nervig, andererseits ergibt sich sonst selten die Gelegenheit Minute für Minute mitzuerleben, wie sich die Nacht dem Ende zuneigt und der Tag beginnt. Die Geräusche, die sich verändern, dieses ganz langsame Erscheinen des Lichts – noch deutlicher habe ich das in meinem Leben nur einmal gesehen, beim Sonnenaufgang am Kilimandscharo. Da sieht man den ersten hellen Schimmer, während die andere Seite noch in tiefster Nacht liegt. Im Flugzeug gibt es auch manchmal ähnliche Eindrücke.
Hier jedoch ist es nicht nur visuell, sondern vielfältig: die Temperatur verändert sich, die Feuchtigkeit, das Licht, die Geräusche. Es fällt auch wieder ordentlich Tau und ein wenig davon nimmt man mit, wenn man aus dem Zelt kriecht.
Diesmal kommen wir um ca. 09.30 Uhr weg und beschließen, noch einmal eine Runde durch einen bestimmten Teil der Masai Mara zu fahren. Heute sind die großen Plains dran, einen Teil davon haben wir ja schon flüchtig mitbekommen, als wir am ersten Tag zum Zeltplatz gefahren sind. Diesmal halten wir uns weiter östlich und stoßen ins echte Herz der Mara vor. Diese Hügel sind für mich immer wieder faszinierend. „Serengeti“ heißt in der Maasai-Sprache (die wiederum heißt einfach „Ma“) nichts anderes als „große Ebene“ (oder weite Ebene). Hier auf den großen Plains sieht man warum das so ist. Kleine, flache Täler, dazwischen sanfte, sehr flache Hügel, hin und wieder ein Einzelkämpfer von einem Baum. Und Gras, sehr viel Gras, jetzt gerade recht hoch. Wenn der Wind weht, sieht das aus wie endlose grüne Kornfelder. Die Szenerie ist ruhig und wohltuend, irgendwie überirdisch schön.
Teile dieser Ebenen sind vollkommen leer, in anderen befinden sich Tiere, vor allem Antilopen. Aber die Vielfalt ist groß, es gibt Giraffen, Warzenschweine, hin und wieder Büffel, Zebras und natürlich Löwen, die wir aber auch heute nicht zu Gesicht bekommen.

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Bild 90: Warzenschwein

Eher in den kleinen Tälern bzw. bei den Flussläufen halten sich die Elefanten auf, aber auch Strauße sieht man hin und wieder, Nashörner sind dafür extrem selten. Giraffen dafür nicht, die immer für eine gute Show bereit sind.

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Bild 91: Giraffengerangel

Ich kann mich täuschen, aber ich habe den Eindruck, dass die Tiere in den letzten dreißig Jahren immer weniger scheu wurden. Manchmal kann man vom Auto aus einer Antilope fast auf den Rücken greifen und auch die Giraffen lassen einen auf wenige Meter heran.
Die Hügel sind aber nicht eintönig, sondern ausgesprochen abwechslungsreich. Alle paar Minuten fährt man in eine etwas andere Gegend. Plötzlich gibt es Büsche, dann ein kleines Wäldchen, dann wieder völlig andere Büsche inmitten von Felsbrocken, die aussehen, als hätte sie ein Riese hier einfach ausgestreut. Sie sind die kleinen Brüder der legendären Kopjes in der Serengeti. Dann ist das Gras auf einmal kurz und Buschreihen tauchen auf – wir nähern uns der großen Straße von der Keekorok-Lodge zum Talek-Gate, die wir viele Jahre lang gefahren sind, als wir noch zu unseren alten Zeltplätzen am Talek-Fluss wollten.
Kurz vor dem Gate wird die Gegend auf einmal irgendwie unfreundlich. Der Boden wird braun und kahl, jede Lieblichkeit ist verschwunden. Es ist keine schöne Ecke, ich weiß auch nicht warum.
Das Talek-Gate ist die Parkgrenze, dahinter geht der Park auf der linken Seite zwar weiter, auf der rechten jedoch nicht. Die paar Häuser, die früher hinter dem Gate standen, sind einer kleinen Stadt gewichen. Wir weichen nach links aus und fahren auf unserer alten Route den Talek entlang, vorbei am Figtree-Camp, das vor vielen Jahren auch massiv ausgebaut wurde.
Ich erinnere mich gut, wie wir in der Regenzeit hier alle paar hundert Meter durch einen der kleinen Zuläufe des Talek fahren mussten. Jedes noch so kleine Rinnsal wird zum reißenden Fluss und somit zur Herausforderung. Nach oben umfahren ist zwar theoretisch möglich, bedeutet aber erstens einen großen Umweg und zweitens kann es gut passieren, dass man oben im weichen Schlamm stecken bleibt. Es gibt Situationen, wo gar nichts mehr geht und man entweder in mühsamer Fahrt ganz oben auf den Plains bleibt und versucht, immer quasi am Kamm entlang zu fahren, wo sich kein Wasser sammelt. Das ist erstens nicht leicht und zweitens findet man dann den Platz nicht, der sich ja unten beim Fluss befindet. Wenn es dann noch dunkel wird, braucht man einen guten Plan B. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir einmal zu Weihnachten so viel Wasser hatten, dass wir überhaupt nicht mehr weiter kamen und vor einem der Nebenflüsse die Nacht verbringen mussten. Damals hatten wir zwei alte Landrover gemietet, es muss so um 1986 oder 1987 gewesen sein. Draußen regnete es stark und Paula, die damalige Lebensgefährtin meines Vaters, kochte im schräg stehenden Auto irgendwie eine Art Abendessen. Das ist für mich bis heute eine bewundernswerte Tat.
Viele dieser Erinnerungen tauchen jetzt auf, weil ich diese Strecke seit zwanzig Jahren nicht mehr gefahren bin. Wenn ich in der Mara war, dann immer kürzer und da wollten wir stets andere Orte aufsuchen. Diesmal haben wir jedoch länger Zeit und fahren daher diesen alten Weg.
Unter einem Baum sehen wir zwei Touristen ein Picknick machen. Das wird von manchen Luxuscamps angeboten. Ein Tisch mit blütenweißem Tischtuch, Sekt und irgendwelche Leckereien, dazu ein Fahrer, der auf alles und vor allem auf die Touristen aufpasst. So etwas kann man von Europa oder USA aus buchen. Wir winken dem Paar am Tisch freundlich zu und sie winken zurück.
Ich versuche die Furt zu finden, die wir früher immer gefahren sind, um auf die andere Seite des Talek zu unseren damaligen Zeltplätzen zu kommen. Diese hatten immer das Risiko, dass wir wieder zurück kommen mussten. Wenn in den Bergen am Oberlauf ein Gewitter war, dann konnte es passieren, dass der Talek binnen weniger Stunden – meist in der Nacht – um mehrere Meter anschwoll. Dann war es unmöglich durch die Furt zu kommen. Auch das Talek-Gate war offensichtlich schwer zu erreichen, wir haben das nie probiert. Manchmal mussten wir sogar warten, bis das Wasser wieder zurückgegangen war, was mehrere Tage dauern konnte.

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Bild 92: Furt für die Tiere

In Afrika sollte man es nicht eilig haben. Bei der Intrepids-Lodge haben sie später eine Brücke gebaut, die es aber inzwischen nicht mehr gibt. 1992 sind wir sie mit dem VW-Bus gefahren und haben uns einen Reifen ruiniert, weil der Bus eine breitere Spur hat als die von der Lodge verwendeten Landrover.
Irgendwann finde ich die Furt und sehe, dass sie sich total verändert hat. Ich bin sie vor ca. 15 Jahren das letzte Mal gefahren und die alte Strecke gibt es nicht mehr. Es ist nach wie vor eine Furt, aber mit ganz anderer Auffahrt am drüberen Ufer.
So verändert sich alles im Laufe der Jahre. Auch den Passionfruit-Baum, unter dem wir ganz zu Beginn einmal gecampt haben, gibt es nicht mehr. Damals war die Safari in der Maasai Mara noch wesentlich unkomplizierter. Auch damals war Campen schon nicht erlaubt, aber nicht ganz so streng verboten wie heute. Damals durfte man die Wege noch verlassen, etwa wenn man Löwen entdeckt hatte. Das ist heute alles nicht erlaubt und man sollte sich auch nicht erwischen lassen.
Das Problem begann Ende der 1980er-Jahre, als das Safari-Business boomte und es plötzlich Unmengen an Minibussen von tw. billigen und schlechten Safariunternehmern gab. Irgendwann musste die Parkverwaltung zum Erhalt des Gebietes eingreifen und heute ist das irgendwie selbstverständlich, dass man auf den Wegen bleibt. Man ist inzwischen selten unbeobachtet und das Aufkommen des Handy-Booms hat das noch zusätzlich verschärft, denn jetzt rufen sich die Minibusfahrer gegenseitig an, wenn sie interessantes Wild zu Gesicht bekommen. Das ging früher maximal mit Funkgeräten und die hatten nicht alle und es gab auch nicht überall Empfang. Seit ein paar Jahren gibt es überall zumindest Telefonempfang und jeder, wirklich jeder Kenianer hat ein „Mobile“.
Wir suchen noch den Talek nach Krokodilen ab, sehen aber nur zwei kleinere. Dann fahren wir zurück zum Zeltplatz, diesmal noch nicht so spät am Nachmittag und genießen eine ruhige Zeit ohne Stress.
Camping ist Enge und Freiheit zugleich. Einerseits sind die Zelte eng und wenn man im Auto sein muss, ist es noch enger. Andererseits ist ein kleines Zelt wie meines in wenigen Minuten aufgestellt und mit einem Tisch und ein paar Sesseln ist es ebenso. Auch ein Essen ist bald gekocht, wir ernähren uns hier recht einfach: Gemüse kochen, Fleisch abbraten, dazu ein guter Salat – mehr brauchen wir nicht. In der Früh manchmal eine Eierspeis oder Toasts, zu Mittag Bananen oder Sandwiches, am Abend manchmal ein Fruchtsalat.
Natürlich kann es auch Probleme geben, etwa wenn der Kühlschrank seine Funktion aufgibt und man an einem Tag jede Menge Fleisch aufbrauchen muss. Oder wenn, so wie uns das passiert ist, die Eier fast alle zerbrechen und man sie nicht wegwerfen will. Den Müll sammeln wir übrigens in Säcken und bewahren ihn in der Nacht im Auto auf. Wir nehmen ihn dann bis zur Parkgrenze, oft sogar bis Nairobi mit, so dass er weit genug vom Nationalpark entsorgt wird.
Die Hygiene ist meist ein lösbares Thema. Wir haben im Toyota einen 140 Liter Wassertank mit einer Brause, die mittels einer Pumpe eine Dusche neben dem Auto möglich macht. Ansonsten gibt es auf Campingplätzen immer oder fast immer Duschen oder zumindest Wasser, das zum Duschen verwendet werden kann.
Zum Trinken, Kochen und Zähneputzen haben wir die 5-Liter-Plastikflaschen. Das ist nicht wahnsinnig umweltfreundlich, aber immer noch besser als die kleinen Flaschen, die man nach Gebrauch wegwirft.
Ich kaufe stets eine 1-Liter-Flasche, die ich dann täglich auffülle und nach einer Woche austausche. Früher mussten wir recht umständlich an Lodges Wasser schnorren, das oft keine gute Qualität hatte. Als Trinkwasser hatten wir immer einen 20-Liter-Edelstahlkanister mit, den wir in Nairobi mit sauberem Wasser auffüllten.
Wir fahren auch an diesem späten Nachmittag langsam wieder zurück zu unserem Zeltplatz, nicht ohne noch einige interessante Motive vor die Kamera zu bekommen.

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Bild 93: Hippo-Pool

Mara und Talek sind die beiden Flüsse, die die Mara bestimmen. An ihren Ufern liegen die lebensspendenden Galleriewälder, in denen viele Tiere leben.

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Bild 94: Büffel

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Bild 95: Elen-Antilope

Ganz zum Abschluss fahren wir noch an einem der beeindruckenden Termitenhügel vorbei, die in ihrer Größe erahnen lassen, welche Wichtigkeit diese kleinen Tiere für die Landschaft und das Leben darin haben.

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Bild 96: Termitenhügel

Da wir am kommenden Tag früh aufbrechen wollen, beschließe ich die Nacht im Pinzgauer zu schlafen und schon am Abend das trockene Zelt abzubauen. In der Früh wäre es patschnass vom Tau und müsste erst trocknen, da wir in Nairobi wenig bis keine Zeit dazu hätten.
So geht der letzte Tag in der Mara zu Ende und auch der letzte Abend. Wir trinken noch ein gutes Bier und lassen die schöne Zeit ausklingen.
Ich weiß nicht, wie oft ich noch an diesen wunderschönen Ort kommen werde, daher möchte ich die Eindrücke ganz besonders genau festhalten.

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