Die Nacht war ruhig, allerdings mit seltsamen Geräuschen, als ob sich in unserem Lager irgend etwas abspielen würde.
In der früh merken wir dann, dass drei Solarduschensäcke und eine große hellblaue Plane fehlen. Sie wurden uns in der Nacht geklaut, und zwar von Hyänen. Das waren diese komischen Schleifgeräusche. Ich hatte am Vorabend vergessen die mit Wasser gefüllten Säcke auf einen Baum zu hängen und das war ein Fehler. Hyänen klauen alles, was sie bekommen können, Plastik gehört dabei zu ihren Favoriten.
Sie können es nämlich nicht nur essen, sondern auch verdauen, so wie sie überhaupt fast alles verdauen können.
Also machen wir uns auf die Suche und marschieren in den Wald, um die Säcke wiederzufinden. Das ist unbedingt notwendig, weil wenn die Game-Ranger die Säcke finden, bekommen wir ernsthafte Probleme, und zwar zu Recht.
Wir dürfen hier überhaupt nur sein, wenn wir nichts, absolut nichts hinterlassen. Eine Ausnahme ist eine kleine Feuerstelle, aber das war es dann auch schon. Das haben auch unsere Vorfahren vor vielen hunderttausend Jahren so gemacht.
Diesmal kommen wir schneller weg und sind um 8 Uhr bereits am Weg zu den Plains. Die Ashnil-Straße ist nicht schwer zu finden und wir kommen gut voran. Am Sekenani-Gate haben wir großes Glück, weil es hat der gleiche Game-Ranger Dienst wie bei unserer Ankunft und erkennt uns auch freudig wieder.
Er hat einen Freund dabei, den wir nach Narok mitnehmen sollen. Wir willigen ein und bekommen das Tor aufgemacht.
Wir haben echtes Glück, denn sie übersehen den vierten Tag. So ersparen wir uns 140 Dollar und sehen das als ausgleichende Gerechtigkeit für die überteuerten Parks davor. Vielleicht hat auch der handgeschriebene Zettel eine Rolle gespielt, den sie sich nicht mehr so genau angesehen haben wie eine Computerrechnung.
Die Fahrt verläuft unspektakulär und wir kommen gut bis Narok. Dort fahren wir zu der Tankstelle, bei der wir schon sechs Jahre zuvor den Bus aufgetankt haben. Als ich um den Toyota herum gehe, fällt mir der linke hintere Reifen auf. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass da Luft fehlt.
Bei der Kontrolle wird klar: wir haben einen Slow Puncture. Das ist ein Patschen, bei dem die Luft nur ganz langsam entweicht. Nun müssen wir entscheiden, was wir tun sollen. Wir können ihn gleich hier reparieren lassen, aber das dauert eine unbestimmte Zeit. Oder wir wechseln das Rad und fahren ohne gutes Reserverad nach Nairobi. Oder wir lassen den wieder aufgepumpten Reifen drauf und kontrollieren jede halbe Stunde den Reifendruck.
Wir entscheiden uns für die dritte Variante und fahren los. Ich bin schon gespannt auf die Strecke, die ich ja seit sechs Jahren nicht gefahren bin.
Der Asphalt ist hervorragend und die Straße ist deutlich breiter als früher – eine Arbeit der Chinesen.
Aber auch hier hat sich sehr viel verändert. Früher ist man durch menschenleere Gegend gefahren, da und dort waren Zebras, Giraffen und Antilopen zu sehen, sogar bis ins Riftvalley hinunter.
Jetzt gibt es das nicht mehr. Wo früher Dornstrauchsavanne war, sind jetzt riesige Felder. Wo früher ein paar Blechhütten standen, befindet sich jetzt ein Dorf. 1983, als ich das erste Mal hierher kam, hatte Kenia 18 Millionen Einwohner. 2013 hatten sie 42 Millionen. Diese Menschen gibt es und sie müssen irgendwo leben und wohnen. Es bedeutet auch, dass von den 42 Millionen 24 unter dreißig Jahre alt sind.

Bild 97: Straßenverkäuferinnen
So kommt das Land unter Druck und wie immer gibt es Gewinner und Verlierer. Zu ersteren gehören clevere Geschäftsleute und korrupte Politiker. Die Verbindung von beiden prägt das Land massiv, denn so werden Projekte finanziert und genehmigt, die weder dem Land noch den dort lebenden Menschen auf irgend eine Art gut tun – es gibt lediglich kurzfristigen, hohen Profit für einige wenige Menschen, die diesen meist sehr schnell ins Ausland schaffen. Der ehemalige Präsident Kenias, Daniel Toroitich Arap Moi, galt als einer der reichsten Menschen der Welt und hatte mehrere Milliarden Dollar in der Schweiz.
So werden auch hier mit Entwicklungshilfegeldern landwirtschaftliche Projekte gefördert, die niemals Ertrag bringen. Brandneue Massey-Ferguson-Traktoren werden im Dutzend angeschafft, doch es gibt dann niemanden, der sie fahren kann bzw. nach einiger Zeit wird eine Kleinigkeit kaputt, es gibt aber kein Geld für Ersatzteile und irgendwann stehen sie alle da und rosten vor sich hin. Millionen werden ohne jeden Sinn beim Fenster hinaus geschmissen, die Verantwortlichen schieben ihre Verantwortung ab, kassieren ihren Lohn und verschwinden wieder oder sind schon längst beim nächsten Projekt.
Würde man die Entwicklungshilfe evaluieren, so müsste man ihre Sinnhaftigkeit hinterfragen und es ist für alle Beteiligten bequemer, das nicht zu tun.
Die Fahrt von Narok ins Rift Valley geht flott voran und mehrere Reifendrucktests zeigen, dass der Slow Puncture wirklich sehr slow ist. Die Entscheidung war gut und wir passieren noch eine weitere Polizeikontrolle, die wie alle anderen äußerst erfreulich verläuft.
Dann quälen wir uns hinter einer LKW-Kolonne das Rift Valley hinauf ins Hochland. Aber auch das ist bald vorbei und wir befinden uns am Wayaki Way, der uns fast bis nach Hause führt.
Leider versäume ich die richtige Abfahrt – nach sechs Jahren sieht das alles ähnlich aus und auch das GPS auf Thomys Handy funktioniert nicht wirklich. Aber mit einem kleinen Umweg kommen wir gut in Lake View an und haben noch Zeit, um die wirklich wichtigen Vorbereitungen für den nächsten Tag zu treffen.
Zuerst wird ausgeladen und wir verstauen die vielen Boxen in unserem Container. Leider muss der Wagen vollkommen geleert werden, bevor er auf das Schiff darf. Wir nehmen daher nur das allernötigste Werkzeug (Pannendreieck, Wagenheber) mit und unsere persönlichen Sachen, die wir als Fluggepäck wieder mit nach Wien bringen.
Dann geht es um die Reifen. Das ist ein ganz heikler Punkt und ich muss hier ein wenig ausholen.
Seit über dreißig Jahren sind Reifen ein wichtiges Thema für jede Safari. Zu Beginn hatten wir Leihautos, aber auch bei denen gab es Reifenpannen. Zu dieser Zeit hing die Anzahl der Pannen direkt mit der kenianischen Wirtschaftspolitik zusammen. Diese war nämlich so orientiert, dass es steuerliche Nachteile für Importprodukte gab. Wer also in Kenia etwas verkaufen wollte, musste es im Land produzieren. Ansonsten gab es Strafzölle, auf Reifen betrugen diese zwischen 100 und 300%.
Also baute die Firma Firestone eine Reifenfabrik. Die so produzierten Reifen waren zwar nicht billig, weil die Firma ja quasi ein Monopol hatte, aber einigermaßen leistbar. Das Problem lag in der Qualität. Es gab nur Gewebereifen zu kaufen, keine Stahlgürtelreifen. Das wichtigste Modell war der „Trans Lug“ mit – glaube ich – 8 Gewebeschichten. Leider gibt es in Kenia großteils schlechte Straßen und vor allem unglaublich lange und harte Dornen. Gegen die konnte der beste Gewebereifen nicht viel ausrichten und so hatten wir jede Menge Patschen, in schlechten Zeiten einen pro Tag. Das zermürbt, denn du musst massiv längere Reisezeiten einplanen und fährst sozusagen nur von einer Reifenwerkstatt zur nächsten. 1992 hatten wir neben dem Reservereifen noch einen zweiten Reifen ohne Felge mit dabei und das war gut so.
Dann – so gegen Mitte der 1990er-Jahre – beschloss Firestone (ist ein Konzern mit Bridgestone) auch Stahlgürtelreifen zu bauen. Der bekannteste in unserer Dimension für den VW-Bus war der „MS 212“ – sauteuer, aber haltbar. Ab diesem Zeitpunkt verringerte sich die Anzahl der Pannen drastisch, manchmal schafften wir eine oder sogar zwei Wochen ohne Reifenpanne.
Diesmal geht es wieder um die Reifen, Peter hatte auf seinem Toyota die Mud-Terrain drauf, breite und sehr gute Schlammreifen. Für die Straße sind sie brauchbar, nützen sich aber sehr schnell ab.
Daher hatten wir jetzt in der Trockenzeit und mit sehr viel Asphalt-Anteil die indischen Hardcore-Reifen drauf: hart, robust, langlebig, aber im Schlamm unterlegen.
Dummerweise gehören diese Reifen zum anderen Toyota und wir mussten sie in Nairobi tauschen. Luis kontrollierte sie und testete sie noch ausführlich am Vortag, jetzt kam Luis mit seinen Leuten samt Reifen bei uns in Lake View vorbei, um sie zu montieren.
Alles klappte und die Probefahrt verlief sehr vielversprechend: keinerlei Ziehen, kein Schlagen der Lenkung – Luis hatte tadellose Arbeit getan.
Langsam kommt die Zuversicht, dass wir den morgigen Tag gut überstehen können. Schließlich warten 500 Kilometer einer schwierigen Straße auf uns und die Fahrt wird auf jeden Fall anstrengend.
Doch noch ist es nicht soweit und wir fahren nach Westlands ins Einkaufszentrum. Das Sarit-Center hat sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre verändert. Das betrifft in erster Linie die Parkplätze, die inzwischen kostenpflichtig sind, mit Schranken und seit neuestem auch mit einem automatischen Bezahlsystem. Noch vor drei Jahren haben hier Menschen gearbeitet und jetzt stehen an dieser Stelle Automaten.
Wir kaufen noch ein paar notwendige Dinge und ich schaffe es für 30 Meter fast eine halbe Stunde zu brauchen – im Stau steckend, während Thomy in den Blue Market geht um ein paar Souvenirs für die Kinder zu kaufen.
Als er zurück kommt, stehe ich mit dem Toyota noch an der gleichen Stelle, der Verkehr ist wirklich ein Horror.
Als uns der Hunger überkommt gehen wir in den Stock, in dem es gleich mehrere Gaststätten gibt. Sofort stürzen eine Handvoll Verkäufer auf uns zu, jeder mit verschiedenen Speisekarten in der Hand, und wollen uns an einen Tisch zerren.
Wir entscheiden uns für den Inder und wissen nachher nicht, ob unsere Wahl schlecht oder besonders schlecht war. Das Essen ist zwar essbar, kostet aber mehr als vergleichbares Fast-Food bei uns.
Hier zeigt sich die Teilung der Gesellschaft. Arme Menschen können sich das Essen hier nicht leisten, was aber noch nicht bedeutet, dass die Qualität in Ordnung ist und schon gar nicht das Preis-Leistungsverhältnis.
Ich fühle mich hier zunehmend immer weniger wohl, alles wirkt viel unpersönlicher als früher, obwohl sich objektiv gar nicht so viel verändert hat.
Wir verlassen die Fressmeile und ich schaffe es mein Parkticket im Automaten stecken zu lassen. Eine freundliche Dame sieht das und sichert es für mich – vielen Dank an dieser Stelle.
Unsere Nachbarin in Lake View hat sich um unsere Tickets gekümmert – ohne sie hätten wir wahrscheinlich keine mehr bekommen. Als wir am Abend wieder nach Lake View fahren, um bei ihr einen Drink zu genießen, ist sie bereits im Aufbruch – ein klassisches Missverständnis. Sie meinte, wir kämen zum Sundowner um 18 Uhr, ich hörte sie sagen „any time“ und so kommen wir erst um 19.30 zu ihr.
Der Drink wird auf das nächste Mal verschoben und wir verbringen noch einen sehr netten und kurzweiligen Abend mit Helge und Stephanie, den Mietern in unserem Haus. Aus dem Gin Tonic werden zwei Gin Tonics, aber gegen zehn Uhr wird es dann Zeit schlafen zu gehen, schließlich muss ich den Wecker auf 4 Uhr früh stellen, damit wir rechtzeitig weg kommen.