Wir haben nur ein ganz kleines Frühstück eingeplant, aber Marion lässt es sich nicht nehmen ein größeres daraus zu machen.
Außerdem entdecken wir, dass der Kühlschrank nicht funktioniert. Das ist allerdings ein Problem, das wir noch lösen müssen, denn ohne Kühlschrank funktionieren die beiden Campingwochen nicht.
Luis zeigt seine Mechanikerkünste, er improvisiert einen Stecker und einen Anschluss und siehe da – der Kühlschrank funktioniert.
So wird es recht spät als wir endlich wegkommen und hoffen, Nairobi ohne allzu große Verkehrsprobleme hinter uns lassen zu können. Bis auf einen kleinen Stau in Westlands funktioniert das sehr gut und wir befinden uns bald auf dem sechsspurigen Thika-Highway. Man darf sich das getrost als sehr breite Straße vorstellen, eine Art Stadtautobahn mit allen Schikanen. Eine dieser Schikanen sind plötzlich auftauchende Fußgängerübergänge. Sie haben zwar an ein oder zwei Stellen Brücken über den Highway gebaut, aber es gibt davon zu wenige und die Leute bevorzugen es über die Bande zu springen und die Autobahn zu überqueren. Daher empfiehlt sich langsames Fahren, zumindest bis zur Stadtgrenze.
Besonders tückisch sind die Zu- und Abfahrten vom Thika-Highway. Sie sind gänzlich anders konstruiert als unsere heimischen Zufahrten, denn es fehlt die Beschleunigungsspur. Luis hat uns gewarnt, dass es hier jede Menge Unfälle gibt, die er oft bis in seine Werkstatt hinüber hört. Die Chinesen bauen schnell, aber ihre Straßen sind oft nicht ganz durchdacht.
Bei den zahlreichen Police-Checks werden wir seltsamerweise durchgewunken und der Verkehr hält sich in Grenzen, weil am Sonntag weniger LKW unterwegs sind.
Wenn wir schon bei der Sicherheit sind: Am Vortag hat mich noch mein Vater angerufen und gemeint, dass das österr. Außenministerium eine Reisewarnung für Marsabit ausgesprochen habe. Ich kann das nicht ganz glauben und tippe eher darauf, dass eine uralte Meldung einfach nicht gelöscht worden war.
Jedenfalls wollen wir uns noch absichern und rufen bei Henry an, dessen Kontaktdaten wir von Luis in Nairobi bekommen haben.
Er ist Schweizer, hat angeblich 15 Kinder und betreibt ein Camp neben dem Marsabit-Park. Er ist zwar „out“, aber eine nette Frauenstimme beteuert, dass der Weg sicher sei und Marsabit sowieso. Wir müssten auch nicht groß reservieren und könnten einfach vorbeikommen.
Nun stellt sich die Frage, wie relevant das für uns ist. Woher hat das Außenministerium diese Information und wie alt ist sie? Ich beschließe bei Henry anzurufen, um seine Einschätzung direkt vor Ort zu bekommen. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass die Al-Shabab im Niemandsland auf uns wartet und dort oben gibt es enorm viel Gegend und nur ganz wenige Menschen, die meisten davon Hirten vom Volk der Samburu oder Rendile. Die Terroristen brauchen Öffentlichkeit, deswegen haben sie ja auch ein belebtes Einkaufszentrum der Oberschicht attackiert. Außerdem rede ich noch mit Peter Baumgartner, ebenfalls ein Schweizer und ein guter Freund von Luis, der sich dort oben sehr gut auskennt. Er beschwichtigt: dort wäre noch nie ein Tourist zu Schaden gekommen, es sei so friedlich wie immer.
Wir glauben den lokalen Experten und beschließen hinauf zu fahren. Vorher müssen wir aber noch nach Naro Moru und das – wenn möglich – vor der Dunkelheit.
Die Fahrt verläuft unspektakulär und ich erinnere mich wieder an die Route, die ich das letzte Mal vor 9 Jahren gefahren war.
In einem Ort im Hochland überqueren wir eine alte Schmalspur-Bahnstrecke. Sie ist schon seit Jahrzehnten aufgelassen und erinnert daran, dass Ostafrika früher sehr gut durch die Bahn erschlossen war. Heute sind fast alle Linien stillgelegt und alles setzt auf den ständig wachsenden Autoverkehr.

Bild 6: Buben an einer längst aufgelassenen Bahnstrecke
Der Mount Kenya empfängt uns fast wolkenfrei und in Naro Moru warten sie schon auf uns mit einem üppigen, wenn auch deutlich verspäteten Mittagessen. Wir sind zu Gast auf der Farm der Familie, irgendwo auf einem Grundstück neben einer nicht sehr belebten, staubigen Straße. Aber irgendwie ist es sehr nett hier, wir werden freundlich begrüßt und lernen Heather kennen, die ca. vierjährige Nichte von Judy und Marion. Die Kleine nimmt mich und Thomy sofort an der Hand und beschließt uns nicht mehr loszulassen.
Die Farm ist so wie man sich so eine Farm vorstellt. Hendln rennen herum und fliegen am Abend in einen großen Avocado-Baum, wo jede ihre Schlafstätte hat und in dem sie gegen Raubtiere geschützt sind.

Bild 7: so wachsen Avocados
Es gibt Fließwasser aus einem Schlauch, der Strom ist aufgrund eines Defekts an der Solaranlage ausgefallen und es gibt eine Handvoll Kühe, etliche Schafe und Ziegen und eine Menge Kinder.

Bild 8: In Kenya gibt es jede Menge Kinder
Der Tag ist etwas ganz Besonderes, denn wir sind zu Gast bei einer Bauernfamilie am Fuße des Mount Kenia. Als wir ankommen steht bereits ein gutes Essen parat: Hühnchen, ein Gemüseeintopf, Salat, Fladenbrot und ein für diese Gegend typisches Gericht namens „Mukimo“ aus Erdäpfeln, Erbsen und Mais und Spinat, das zu einer Art festem Brei verarbeitet wird. Wir haben es schon am Vortag im Homeland bekommen und es ist eine sehr gute Beilage, die von den Kikuyu auch gerne als Hauptspeise gegessen wird. Man bekommt sie in keinem Touristenlokal, so wie die meisten kenianischen Speisen. Essen die Touristen das nicht, weil sie es nicht bekommen oder bekommen sie es nicht, weil sie es nicht essen? Diese Frage konnte ich noch nicht klären, aber ich finde es sehr schade, weil es gibt exzellente Gemüsesorten, die ich tw. nicht einmal vom Namen kenne. Vor allem die zahlreichen Knollen sind nahrhaft und – richtig zubereitet – einfach köstlich.
Ich glaube, dass hier zwar kein bewusster Keil zwischen die Essenskulturen getrieben wird, aber die Tourismusindustrie tut auch absolut nichts um den breiten Graben zu überwinden. Davon werde ich später noch berichten.
Natürlich schmeckt es anders und tw. auch ungewohnt. Als uns David, der Bruder von Judy am Abend noch einmal Mukimo zubereitet, warnt er uns vor scharfen Knochensplittern. Er hat – wie hier durchaus üblich – einfach Hühnerteile klein gehackt und das darin enthaltene Fett als Basis für die Zubereitung verwendet. So muss man sehr vorsichtig essen, um die Knochensplitter entfernen zu können.
Ich mache den Vorschlag den restlichen Nachmittag zu nützen und die Straße bis zur Grenze des Nationalparks hinauf zu fahren. Ich war seit neun Jahren nicht mehr dort und der Mount Kenya ist einer meiner Lieblingsberge. Wir werden diesmal zwar nicht hinauf gehen, aber zumindest war ich dann dort, mehr oder weniger halt.
Judy und ihre Schwester fahren mit und wir beschließen, nicht zu spät wieder zurück zu fahren, schließlich muss ich noch mein Zelt aufbauen und das funktioniert bei Licht deutlich einfacher.
Die Fahrt ist einfach, ich kenne die Strecke ja recht gut und wir passieren ein paar Dörfer am Weg bergan.
Auch der Mount Kenya National Park gerät inzwischen unter Druck durch die ständig wachsende Bevölkerung, die Acker- und Weideland braucht sowie viel, sehr viel Holz zum Kochen.
Daher treiben die Hirten ihre Herden hoch hinauf in den Bergwald.

Bild 9: Schafe und Kühe im Bergwald, vor ein paar Jahren noch Dickicht mit Wildtieren
Am folgenden Bild sieht man die Küche unserer Gastgeber – gekocht wird mit Holz und Töpfen, das wäre soweit alles.

Bild 10: Küche
An der Parkgrenze sehe ich, dass es den alten Hangar für das Rettungsflugzeug zwar noch gibt, Judy erklärt mir jedoch, dass es schon seit vielen Jahren nicht mehr da sei, sondern jetzt auf der anderen Seite des Berges. Das stimmt mich leicht melancholisch, denn ich habe noch das Dia von Gabor vor mir, als wir 1992 an der gleichen Stelle stehen geblieben und den Hangar samt Flugzeug fotografiert haben.

Bild 11: der leere Flugzeughangar
Es soll nicht das letzte Mal sein, dass ich die Veränderungen von Jahrzehnten leicht schmerzlich zu Gesicht bekomme.
Als wir uns ein wenig die Beine vertreten kommt eine Fuhre Träger von oben – sie sind stets wesentlich schneller als die Touristen und haben wieder eine Tour bewältigt. Ich würde jetzt sehr gerne auf den Berg gehen, auch das Wetter würde passen. Da wir aber weder Ausrüstung noch Zeit mitgebracht und außerdem andere Pläne haben, wende ich mich wieder ab vom Mount Kenia.
Wir fahren wieder hinunter und Judy zeigt uns noch den Betrieb, in dem sie arbeitet. Dort hat ein Amerikaner einen Hochseilgarten gebaut und wir sehen uns das Gelände an. Für eine Übernachtung nahe am Berg wäre das gar nicht übel, es gibt viel Platz um zu campen und auch die notwendige Infrastruktur. Und es ist wie ausgestorben. Judy meint, dass gerade keine Gäste da wären und das stimmt mich nachdenklich.
Wie sieht es aus mit dem Tourismus? Schließlich leben hier sehr viele Menschen davon, ähnlich wie in Österreich.
Die Fahrt zum Grundstück von Judys Eltern ist insofern ein Hallo, als wir von der Hauptstraße, die von der Naro Moru River Lodge zum Parkeingang führt, abzweigen müssen. Das machen Touristen normalerweise nicht und so sind die „Muzungus“ (Weiße) die Attraktion. Es hat sich herumgesprochen, dass wir da sind und wir schauen in viele neugierige, aber freundliche Gesichter.
Luis hat dem Vater seiner Freundin Marion ein Grundstück abgekauft und plant, dort einmal ein Haus zu bauen. Wasser gibt es in Form einer Leitung, die vom Berg kommt. Ansonsten gibt es nichts, zumindest noch nicht. Aber wir können unser Zelt aufschlagen, wobei wir die Aufteilung diesmal so machen, dass Thomy im Auto schläft und ich im Zelt. Der Toyota hat ein Hochdach, in dem theoretisch zwei Personen schlafen können, aber gemütlich ist es nur für eine, zumindest wenn sie so groß ist wie wir.

Bild 12: Unser Zeltplatz
Leider ist der Toyota ziemlich verbaut. Das Hochdach ist unpraktisch, weil es fix ist und nicht, so wie bei unserem anderen Toyota, ein Hubdach, das man für die Fahrt einklappen kann. Von den Mechanikern von Luis wird der Wagen liebvoll „The Egg“ genannt. Außerdem hat das Hochdach keine Fenster und ist nur mit akrobatischen Verrenkungen zugänglich. Die Dachluke hat eine wackelige Schließkonstruktion und muss während der Fahrt gegen spontanes Aufklappen gesichert werden.
Mit dem Auto fällt man immer und überall auf. Den Toyota gibt es dort wie Sand am Meer, aber nicht mit Hochdach. Wir haben außerdem einen großen Österreich-Aufkleber vorne drauf und das mag einer der Gründe sein, warum wir von Zeit zu Zeit bei einem Police-Check aufgehalten werden. Davon später mehr.
Als es dunkel wird marschieren wir wieder die hundert Meter zum Bauernhaus hinauf. Dort werden all die Kleidungsstücke, die wir mitgebracht haben, vorsortiert. Die Familienmitglieder dürfen sich natürlich ein paar besonders schöne Stücke aussuchen, den Vogel schießt eindeutig der Bruder von Judy ab, der ein weißes Gala-Sakko der Wiener Polizeimusik bekommt – es passt ihm übrigens sehr gut. Alle haben eine Riesenfreude, Judy und ihre Schwester bekommen zwei erstklassige Tagesrucksäcke und auch für die Kinder ist etwas da.
Morgen früh werden die Träger, Führer und Köche zusammengetrommelt, die gerade nicht am Berg sind. Jetzt jedoch ist es Zeit für ein gutes Bier und wir versammeln uns in dem Raum, den man mit etwas Phantasie als Wohnzimmer bezeichnen kann. Er ist auch Esszimmer und es finden sich eine Couch und zwei Sofas plus zwei Tische – ausreichend für uns und die Familie plus noch zwei oder drei Freunde.
Der Abend ist gesellig, wenngleich die Solaranlage einen Defekt hat und wir uns das Licht aus einer brustschwachen, stinkenden Petroleumlampe plus unseren Taschenlampen erzeugen müssen.
Bis spät in den Abend werden Geschichten erzählt – einmal wir, dann wieder sie. Es geht um Politik, Kultur und das Leben ganz allgemein. Das ist auch etwas, das man als normaler Tourist schlicht und einfach niemals erlebt, denn das Zusammentreffen mit den hier lebenden Menschen geschieht nur in streng vorgeplanten Formen: beim Besuch einer Touristen-Manyatta (Lehmhüttendorf der Maasai) oder wenn man mit Servierpersonal oder Zimmermädchen zu tun hat – meist jedoch sind auch das nur sehr kurze Begegnungen.
Wir dürfen ein wenig am echten Leben einer kenianischen Familie teilhaben und das ist interessant und lehrreich. Diese Menschen sind sicher nicht unglücklicher als wir, obwohl sie wesentlich weniger materielle Güter besitzen.

Bild 13: Bauernhof
Die Familie von Judy ist nicht reich, nicht einmal kenianischer Mittelstand, aber sie leben ein genügsames Leben in einer fruchtbaren Gegend, die sie mit allem versorgt, was lebensnotwendig ist. Und selbstverständlich hat jeder ein Handy, das ist in Kenia mindestens genauso wichtig wie bei uns.
Durch das Mobiltelefon hat sich unglaublich viel verändert. Die meisten Kenianer haben zwar (noch) kein Smartphone, aber das Telefonnetz ist gut ausgebaut und die Tarife sind niedrig. Kenia und auch die anderen afrikanischen Staaten sind bevölkerungsreich und somit interessante Märkte für die großen Mobilfunkfirmen. Es gibt inzwischen eine ganze Menge davon, die bekannteste ist „Safaricom“. Auch wir haben so ein lokales Mobiltelefon und es funktioniert fast überall gut. Nur die Datenübertragung ist da und dort noch nicht möglich oder funktioniert nur temporär.
Die Menschen in Kenia lachen mehr als die in Österreich, so viel ist klar. Offensichtlich kann man auch ohne Flatscreen und Auto glücklich sein, wenngleich sich die meisten Kenianer auch solche Konsumgegenstände wünschen und durchaus der Meinung sind, dass sie dadurch glücklicher werden könnten. Doch auch dort gilt: mehr zu haben als der Nachbar ist das eigentliche Ziel und so können sie mit wesentlich weniger glücklich werden, weil die anderen auch nicht mehr haben.
Werden sie, sofern es dort irgendwann einen ähnlichen Konsumrausch gibt wie bei uns, dadurch wirklich glücklicher? Oder bauen sie dann auch hohe Zäune und Mauern, um den Besitz gegen andere zu sichern? Diese hohen Mauern gibt es jetzt schon überall in Kenia und gefühltermaßen ein Viertel aller Kenianer arbeitet irgendwo als Security, um Besitz – meist von Firmen – gegen die anderen drei Viertel zu schützen.
Ich hoffe nicht, dass die Zukunft dieses wunderschönen Landes so aussieht. Noch ist es nicht zu spät, die Menschen wirken dort noch glücklich, auch wenn sie nicht so viel Dinge besitzen wie wir.
In Kenia muss man den Tagesrhythmus umstellen, sonst erlebt man keine schöne Zeit. Man geht mit der Sonne schlafen und steht mit der Sonne wieder auf. Das muss man zwar nicht so genau nehmen, aber wir sind meist gegen 22 Uhr schlafen gegangen und lange vor dem Morgengrauen aufgewacht. In Wien gehe ich selten vor Mitternacht schlafen, wache dann aber meist auch nicht so früh auf.
Als wir das Farmhaus verlassen, ist es draußen auf einmal eiskalt. Unter Tags hatte es über dreißig Grad, jetzt vielleicht noch zehn. Wir haben nur T-Shirts an und beeilen uns Richtung Schlafsack. Den brauchen wir diese Nacht auch dringend, ich meinerseits habe aus Bequemlichkeit das Überzelt nicht aufgebaut und hoffe, dass es in der Nacht nicht regnet. Dem ist auch so, aber in der Früh ist trotzdem alles nass, weil erheblich Tau gefallen ist. Sobald jedoch die Sonne heraußen ist, trocknet alles blitzschnell und einem frühen Aufbruch sollte nichts im Wege stehen.