Ersatzprodukte für ein Ersatzleben

Im heutigen Prospekt des Lebensmitteldiskonters Penny finde ich folgende Produktwerbung:

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Bild: Cockta

Ein Schelm, wer glaubt, dass hier Coca Cola imitiert wird! Ganz abgesehen davon, dass „cock“ im Englischen „Schwanz“ (im Sinne von Penis – Übersetzung vom Deutschen ins Deutsche) heißt, was kaufen die Menschen, wenn sie das kaufen? Coca Cola nicht, denn sonst würden sie ja das Originalprodukt kaufen. Sie wollen ein Markenprodukt haben, dafür aber nicht zahlen, daher kaufen sie eines, das die Marke imitiert, ein Ersatzprodukt. Die Botschaft, die sie damit vor sich hertragen, heißt: „Ich kann mir leider kein Original leisten, daher kaufe ich den Ersatz“. Berühmte Beispiele sind die „Beamtenforelle“ (Knackwurst) oder der Sekt, den man kauft, weil Champagner zu teuer ist. In den letzen Jahren wurde auch Sekt teuer, daher erfreut sich Ersatzsekt steigender Beliebtheit (Prosecco, Frizzante und wie sie alle heißen), der Ersatz für den Ersatz sozusagen.
Die Menschen schämen sich für die vor ihnen hergetragene Botschaft – das ist der Grund, warum man nicht so gern zugibt, dass man beim Diskonter kauft und immer brav darauf achtet, dass man beim Betreten nicht gesehen wird. Drinnen Bekannte zu treffen stört nicht, denn man erwischt sich ja sozusagen gegenseitig, leicht verschämtes Grinsen beiderseits bestätigt das.
Möbel aus Pressspanplatten mit Plastikfurnier, wo im Prospekt verschämt „Holzimitat“ geschrieben wird, der Honda CRX statt dem Porsche – allerorts werden Menschen „erzeugt“, die sich im Innersten für ihr Ersatzleben schämen, das sie nach außen durch Ersatzprodukte verkörpern (müssen).
Müssen sie wirklich?
Ist der Trend hin zum Echten eine Utopie?

Falcos Nachtflug im U4

Beginn 20 Uhr, um 21 Uhr war ich dort, um 23:40 wieder weg.
Ein, zwei alte Bekannte getroffen, zwei Bierchen getrunken, beobachtet, wie grau Connys Haare inzwischen sind – sonst war nicht viel.
Nach über 10 Jahren mein erster Besuch im U4, leider eine kleine Enttäuschung. Gut: Sie spielten den ganzen Abend lang Falco. Weniger gut: Schon um 23 Uhr war der Clubraum leer bis auf ein paar gelangweilte Kellner, die versprochene Falco-Tribute-Band fing erst um 23:30 an und der Sänger klingt nach allem möglichem, nur nicht nach Falco. Schwach, leider.
Schlecht: proppenvoll der VIP-Bereich, nachdem Conny relativ generös die VIP-Bandeln ausgeteilt hatte, nähere Details dazu siehe mein Buch „Ich bin doch nicht frei – willkommen im blöden Markt“, Kapitel: „Zu ebener Erde und im ersten Stock“ – durch 2-3 Stufen ist auch im U4 der VIP-Bereich getrennt, außerhalb war eher wenig los.
Somit ist das für die Betreiber dieses Abends auch eher ein Flop, zumindest finanziell.
Alle zwei Minuten wurde man aufgefordert, in die Kamera zu lächeln, irgendeine verkrampft grinsende Studentin drückte einem ein Kärtchen in die Hand, wo man am nächsten Tag seine Bilder betrachten kann und hoffentlich um teures Geld auch kauft. Sehr inflationär, die Fotografen, ebenso die Kamerateams von Puls und ATV, die abwechselnd und vergeblich nach irgendwelchen Promis suchten, nicht einmal die unterste Promi-Schicht war da, maximal die üblichen Party-People wie Klausi Biedermann und Janina Lebiszcak, zu finden überall und immer. So wurde dann jeder Geck und jeder Typ gefilmt, der irgendwie ein klein wenig anders aussah als alle anderen, und irgendwie wird man das dann zusammenschneiden und einen eher mauen Bericht daraus machen.

Das U4 hat sich leider überlebt – gut, wieder einmal dort gewesen zu sein, gut, nicht mehr hingehen zu müssen. Conny dürfte in einer Zeitschleife stecken, und täglich grüßt das Murmeltier. Bewundernswert, aber irgendwie traurig.
Im U4 ham die Goldfisch ausgegeigt.
Und jetzt geh ich schlafen.

111 Tote in Kenia – warum?

Ein Tanklastwagen stürzt um, über 200 Menschen kommen herbei und holen sich Benzin. Eine unachtsam ausgestreute Zigarette bzw. ein Racheakt eines von der Polizei Vertriebenen löst ein Inferno aus, die Feuerwehr aus der nächsten Großstadt (Nakuru) braucht über eine Stunde bis zum Unglücksort.

Was ist da passiert?

Als passionierter Keniareisender erstaunt mich das nicht, obwohl es erschütternd ist. Wenn man dort einen Autounfall hat, kommen sofort die Plünderer und rauben dir bei lebendigem Leib das letzte Hemd, deswegen versucht man als Tourist (oder im Land lebender Weißer) das jeweils stärkere Auto zu haben bzw. sehr aufzupassen, dass es zu keinem Unfall kommt. Wenn doch und es gibt Personenschaden an einem Afrikaner, sollte man sofort Fahrerflucht begehen und sich bei der nächsten Polizeistation stellen, sonst riskiert man gelyncht oder/und ausgeraubt zu werden, vor allem, wenn es sich um Kinder handelt. Bei Nacht fährt man besser nicht auf Überlandstraßen oder in die Vororte von Nairobi.

Man darf nicht vergessen: Das ist ein sehr armes Land (obwohl es sehr reich sein könnte, aber das ist ein anderes Thema) und die Menschen nehmen, was sie bekommen können.
So war es auch bei dem Tanklastwagen. „Fuel for free“ ist ein Zauberwort und so sind alle hingelaufen, die laufen und irgendein Gefäß zum Auffangen des Benzins finden konnten. Was mit dem verunglückten Fahrer passiert, wird den Leuten leider nicht so wichtig gewesen sein.
Wenn die Polizei die Unfallstelle (laut BBC mit 4 Polizisten) absperrt, so ruft das natürlich Unmut hervor, denn man sieht Geld vor sich im Boden versickern – Geld, mit dem man die Schule für die Kinder oder etwas zu Essen kaufen könnte.
Wenn einer hinläuft, folgen alle anderen, und es gibt eine Menge Menschen in Kenia. Wenn man durch eine scheinbar menschenleere Savannenlandschaft fährt und zum Pinkeln stehen bleibt, erscheinen wie durch Zauber mitten aus dem Nichts sofort Menschen, ein paar, dann immer mehr, bis man von staunenden und tw. bettelnden Kenianern umgeben ist – schnell pinkeln ist angesagt.
Es ist traurig, dass es das gibt, aber speziell wir Europäer sind an der Armut Ostafrikas nicht ganz unschuldig.
Der Ruf nach einer besseren Feuerwehr wird im Korruptionsdschungel von Kenias Regierung wahrscheinlich ungehört verhallen. Die Menschen dort sind nicht viel anders als ihre armen Brüder am verunfallten Lastwagen – sie nehmen, was sie bekommen können.
Eine Ursache dafür ist der „tribalism“ – wenn ein Stamm an die Macht kommt, versorgt er zuerst sich und alle Stammesangehörigen. Da werden große Autobahnen von der Hauptstadt in die Geburtsorte der Minister gebaut und alle Jobs mit Verwandten und Leuten aus dem eigenen Stamm besetzt – offiziell nennt sich das Demokratie.
Menschen von anderen Stämmen haben aus der Geschichte heraus keinen Wert, man hat sie bekämpft und tut das heute auch noch, wenngleich mit anderen Mitteln.
Die Kenianer sind ein freundliches und fröhliches Volk, aber es gibt sehr sehr viele und zu wenig Ressourcen. Wer nichts zu essen hat, dem ist jedes Mittel recht, um zu überleben. Sie empfanden es nicht als Diebstahl, als sie sich das Benzin holten. Wenn in der Savanne ein Tier hinkt, kommen die Geier und warten, bis es tot ist. Dann wird es zerfetzt, bis nichts mehr davon übrig ist.

Ist das bei uns so anders? Wenn in einer Firmenabteilung jemand zum Opfer auserkoren ist, wird er/sie auch meist zum Freiwild. „Mobbing“ ist auch nichts anderes als sich auf ein Opfer zu stürzen. Bei uns geht es nur meist nicht um die direkten Ressourcen des Überlebens.
Hoffen wir, dass das tragische Unglück auch in Kenia zu einem Fortschritt führt. Gute Ansätze gibt es auch dort.

Wie werde ich zum Voyeur?

Seit einiger Zeit bin ich in dem Netzwerk „Facebook“ und spiele, auf Einladung eines alten Freundes, das Online-Spiel „Mafia Wars“. Man kämpft gemeinsam mit eigenen Mafia-Freunden gegen andere Mafia-Gruppen. Um neue Waffen etc. zu bekommen, braucht man einen großen Clan, muss also neue Mitglieder rekrutieren. Dies funktioniert gegenseitig, und daher haben findige Facebook-Mitglieder eigene Gruppen gebildet, wo Leute aus der ganzen Welt „please add me to your mafia“ hineinschreiben. Wenn man diese Leute anklickt, kann man die Funktion „Als FreundIn hinzufügen“ (sehr nett gegendert) anwählen. Dann bekommt die andere Person einen Nachricht, bestätigt diese und man ist „befreundet“.
Ab diesem Zeitpunkt kann man das Profil dieses neuen „Freundes“ aufrufen, und ich hab mir ein paar von den netten Leutchen angesehen, die jetzt meine Freunde sind. Es ist erstaunlich, welche Informationen über das (Privat-)leben ich erhalte – und im Gegenzug natürlich auch preisgebe.

Als Beispiel nehme ich irgendeins der Profile, das ich angeklickt habe. Es gehört Stephan T. einem äußerst kräftig gebauten Herrn aus dem Ort Grande Prairie in Alberta, Kanada.
Auf seiner Profilseite erfahre ich folgendes:
1. Seine vollständige Postadresse, seine e-mail Adresse und sein Geburtsdatum
2. Seine Ausbildung, auf welcher Schule er war und wann er die beendet hat sowie dass er das Royal Military College of Canada de St. Jean 1992 abgeschlossen hat.
3. Ich sehe, bei welchen Interessensgruppen auf Facebook er Mitglied ist: „Foundation for the protection of Swedish underwear models“ (da bin ich selbst auch Mitglied ;-) und „help us to stop the massacre in Gaza“.
4. Ich sehe mehrere Fotoalben, unter anderem über seine Alaska-Reise mit riesigem Pickup und noch riesigerem Wohnwagen. Ich sehe Bilder seiner Tochter und seines Sohnes, seiner Mutter.
Ich sehe, dass er eine fesche blonde Freundin (oder Ehefrau) hat, erfahre den Namen seine älteren Schwester und aufgrund der Kommentare unter den Fotos auch meist die Namen der Abgebildeten.
5. Aufgrund der Untertitel der Fotos weiß ich, dass er neben Englisch auch Franösisch spricht, also Franco-Kanadier sein dürfte.
6. Ich sehe mit wem er noch auf Facebook befreudet ist und erfahre von diesen Personen Name und Aussehen (auch wenn das Bild sehr klein ist)

Nachdem ich das alles angesehen habe, komme ich mir wie ein Voyeur vor, obwohl Stephan diese Informationen freigegeben hat und ich in der Praxis nichts damit anfange.
Welche politische Einstellung würde ich ihm zuschreiben? Wäre ich jemand, der ihm schaden will, hätte ich dann genug Informationen, um mir irgendeine Gemeinheit auszudenken? Ich schätze, die Infos, die er auf sein Facebook-Profil gestellt hat, sind echt, die Bilder auch der Rest ebenfalls. Bei mir ist das jedenfalls so, und er kann meine Vespa-Leidenschaft genauso durchwühlen.
Was treibt Menschen dazu, sehr private Details an andere, wildfremde Menschen freizugeben? (Globalisiert, versteht sich! Stephan ist ja noch einer, der relativ WENIG freigibt, das sieht oft noch wesentlich detaillierter aus.)
Das wird noch Thema einer genaueren Analyse sein.