Der Welthandel auf den Meeren

Ca. 53.000 Frachtschiffe verkehren weltweit auf den Meeren.
Sie transportieren 8 Milliarden Tonnen Güter pro Jahr.
Das sind 90% des Welthandels.
Mehr als die Hälfte der Weltflotte fährt unter den Flaggen Panamas, Liberias, der Bahamas und der Marshall-Inseln.

All dies funktioniert weitgehend unkontrolliert. Die Schiffe unterliegen keinerlei Umweltgesetzen und fahren daher mit dem Treibstoff, der als Abfallprodukt der Ölindustrie übrig bleibt: Schweröl. Dieser Brennstoff hat einen 40-fach höheren Schwefelanteil als Diesel, wenngleich der CO2-Ausstoß pro transportierter Tonne geringer ist als beim LKW.
Ein großer Frachter verbraucht 100 Tonnen Schweröl pro Tag und in Summe verursachen die Frachtschiffe mehr Luftverschmutzung als der Autoverkehr oder die Industrie.

Das größte Containerschiff der Maersk Line (Maersk McKinney Möller) ist 400 Meter lang und knapp 60 Meter breit und es kann 18.000 Container fassen. Sie würden eine Schlange von 120 km Länge bilden. Auf LKW verladen würde das eine Schlange von Wien bis Salzburg ergeben. Aus einem einzigen Schiff, das vor allem aus China Waren nach Europa bringt.
Alles, was in die beiden weltweit genormten Containergrößen (20 oder 40 Fuß) hinein passt, wird auch per Container transportiert. Er hat den Welthandel definitiv revolutioniert.

So viel zu den Fakten. Das Ergebnis der Entwicklung in der Containerschifffahrt besteht vor allem in massiv gesunkenen Preisen für den weltweiten Transport. Durch die elaborierte Logistik können die Kosten so gesenkt werden, dass es fast egal ist, wo auf dieser Welt ich produzieren lasse, der Preis bleibt fast gleich.
Das klingt nett und harmlos, ist aber die Basis für die weltweite Ausbeutung von Arbeitskräften, denn wenn mein Nachbar ausgebeutet wird, dann ist mir das weniger wurscht als wenn das mit einer Näherin in Bangladesch passiert. Den meisten Menschen ist das Nahe näher als das Entfernte und genau damit rechnet die Wirtschaftspolitik, und zwar zu Recht.
Es ist auch die Basis für die Profitmaximierung auf Kosten der Umwelt und damit auf Kosten der kommenden Generationen. Was interessiert mich der Schadstoffausstoß eines Containerfrachters? Ich rieche ihn nicht (in Hafennähe schalten die Schiffe auf Dieselantrieb um) und kann ihn mit dem Hochwasser in der Nachbargemeinde nicht in kausale Verbindung bringen. Wenn jemand dann doch die Verbindung aufzeigt, so kann er sie nicht beweisen und sie ist sehr leicht abzuleugnen.
Was ich jedoch als Konsument sofort merke sind billige Produkte bei mir um´s Eck. Und genau deswegen funktioniert das System so wie es jetzt ist.

Gegen globalen Handel ist nichts zu sagen, vorausgesetzt er ist verbunden mit globaler Verantwortung der Verantwortlichen, sprich der Verursacher. Dies ist jedoch nicht der Fall, und zwar gar nicht.

Was wäre zu tun?
1.) Gemeinsame Erkenntnis, dass die Umwelt durch den globalen Handel verschmutzt wird.
2.) Der gemeinsame Wille, dass man das nicht befürwortet und den kommenden Generationen keine verseuchte Erde zurück lassen und auch keine unmenschlichen Arbeitsbedingungen zulassen möchte.
3.) Der gemeinsame Beschluss, den globalen Handel sauberer und menschlicher zu machen.
4.) Das gemeinsame Verhandeln und Beschließen entsprechender Maßnahmen plus ihrer Kontrollen.
5.) Die Umsetzung und Kommunikation dieser Maßnahmen („Leute, Geiz ist nicht mehr geil sondern schädigt unsere Kinder und Enkel“ etc.)

In all diesen Vorschlägen steckt das Wort „gemeinsam“ und genau daran scheitert es. Bisher lautet das Credo „Des anderen Nachteil ist mein Vorteil“ – wir leben ausschließlich im Konkurrenzprinzip, Kooperation dient nur zur gemeinsamen Eliminierung eines Dritten.
Erst wenn sie die Vorteile der Kooperation wieder entdecken, wird sich am System etwas ändern.

Mariahilfer Straße, noch einmal

Es war kein großartiger Sieg, sondern eine Etappe in eine neue Zeit. Mit knapper Mehrheit haben die Befürworter des Umbaus der Mariahilfer Straße gegen diejenigen gewonnen, die sich die alte Variante zurück wünschen.
Damit haben wir noch keine gute, funktionierende, neue Mariahilfer Straße. Aber wir haben eine Chance eine solche in Zukunft zu gestalten. Mit spitzer Zunge könnte ich sagen: trotz der zahlreichen Fehler hat sich das neue Konzept durchgesetzt. Die Wählerinnen und Wähler in den beiden Bezirken haben vernünftiger abgestimmt als es aus meiner Sicht zu erwarten war.

Hier die Zahlen:
185 ungültige, 57 ausgesondert
17630 JA
Querungen: Ja
Radfahrer: Ja
15.307 Nein

Das ist ein sehr knapper Ausgang und bedeutet viel Arbeit, denn die Gegner waren und sind zahlreich. Als ich letzten August die Erkundungstour über die „neue“ Straße gemacht habe, wurde schnell klar, dass hier noch viel fehlt.
Daher gab und gibt es berechtigte Kritik am Projekt, die jedoch oft von kontraproduktiven Emotionen und Fehlinformationen überlagert war. Zudem hat die ÖVP massiv Stimmung gegen die Grünen und ihr Projekt gemacht, in ihrem Windschatten die Wirtschaftskammer, die eigentlich die Interessen der Wirtschaftstreibenden vertreten sollte, in diesem Fall jedoch die Interessen des ÖVP-Wirtschaftsbundes vertrat. Das ist nicht neu, denn das tut sie meistens. Nur hat es diesmal nichts genützt.

Die SPÖ hat sich extrem zurück gehalten. Eigentlich war die Bezirksvorsteherin des 6. Bezirks eine der Initiatorinnen der neuen Mariahilfer Straße. Dummerweise mag sie die Grünen nicht und daher ließ sie eine Umfrage machen und danach die Querungen aus dem Konzept rausstreichen. Das veränderte die Gestaltung der neuen Straße massiv und mobilisierte zusätzlich Gegner. Im „Wahlkampf“ vor und während der Befragung hielt nicht nur sie sich zurück, sondern auch die gesamte SPÖ. Sie sahen erste Reihe fußfrei zu, wie die Grünen mitsamt ihrem Projekt in die Katastrophe schlittern sollten.

Glücklicherweise hatten sie nicht mit der Zähigkeit der Grünen gerechnet. Die starteten eine Kampagne und beschlossen, alle Haushalte der beiden Anrainerbezirke persönlich zu besuchen. Eigentlich ein fast unmögliches Unterfangen, weil man dafür keinen Euro Budget zur Verfügung hatte. Es mussten also genügend AktivistInnen motiviert werden, um in sechs Wochen 30.000 Haushalte zu besuchen. Und man wusste: Selbst wenn man das schafft, garantiert das noch keine gewonnene Befragung. Das Risiko war enorm hoch und es war durchaus wahrscheinlich, dass die Gegner stärker mobilisieren konnten. Auch die meisten Prognosen der Medien sagten den Grünen ein Debakel voraus.
Sie ließen sich nicht entmutigen und gingen das Risiko ein. 186 Aktivistinnen besuchten in Zweierteams möglichst viele Haushalte und schafften es tatsächlich. Die Herausforderung bestand darin, die eher jungen Befürworter zur Abgabe ihrer Stimmzettel zu bringen. Die Gegner waren wesentlich leichter zu motivieren und fanden sich eher in der älteren Bevölkerung, für die das Auto ein untrennbarer Bestandteil ihrer Identität war und immer noch ist. Für sie ist eine autofreie Welt nicht lebenswert. Die jüngeren Bewohner der beiden Bezirke sehen das großteils anders und haben oft selbst gar kein eigenes Auto mehr. Würden genügend von ihnen bereit sein ihre Pro-Stimme auch abzugeben?

Bis zum Schluss war das Ergebnis nicht absehbar, und es ist ja tatsächlich sehr knapp geworden. Die Wiener Grünen feierten daher schon am Abend vor der Auszählung ihre fleißigen AktivistInnen, denn es lag im Bereich des Wahrscheinlichen, dass es am darauf folgenden Abend keinerlei Gründe für eine Feierstimmung mehr geben könnte.

Was bedeutet nun das Ergebnis?

1.) Der Umbau wird stattfinden und zwar in ähnlicher Form wie geplant. Es wird jedoch noch durchaus weitgehende Veränderungen geben, denn etliche Fehler müssen ausgebessert werden. Dazu gehört vor allem die Einbeziehung der bisher durchaus vernachlässigten Interessen der Gewerbetreibenden. Die Grünen sind immer noch nicht sehr wirtschaftsaffin und verstehen zumindest teilweise nicht viel von den Sorgen und Nöten der Geschäftsinhaber. Das gilt es zu reparieren. Zu diesem Zweck hat die Grüne Wirtschaft eine eigene Umfrage unter allen Gewerbetreibenden durchgeführt und vor allem qualitative Ergebnisse erhalten. Die müssen nun ausgewertet und in das Umbaukonzept integriert werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Wünsche erfüllt werden, aber es sollte doch deutliche Verbesserungen möglich sein.

2.) Maria Vassilakou überlebt die Aktion politisch. Sie hat jetzt Himmel und Hölle durchlebt und geht hoffentlich geläutert aus dem Prozess hervor. In ihrem ersten Interview hat sie zumindest zugesagt auch die Interessen der Gegner mit ebendiesen zu diskutieren und eingeräumt, dass diese durchaus ihre Berechtigung hätten. Wir werden sehen, ob sie ihr Wort hält und was dabei heraus kommt.

3.) Die Grünen haben gezeigt, dass sie nicht so leicht klein zu kriegen sind, selbst wenn ihnen so mächtige Gegner wie die Wirtschaftskammer gegenüber stehen und sie von der SPÖ im Stich gelassen werden. Auch ÖAMTC, FPÖ und natürlich die ÖVP haben alle Kräfte mobilisiert um das Projekt zu Fall zu bringen. Dass dies der erste Rückbau einer Verkehrsberuhigungsaktion in ganz Europa geworden wäre, war es ihnen wert. Es ging ihnen offensichtlich nicht um Verbesserungen eines durchaus verbesserungsbedürftigen Konzepts, sondern um den politischen Sieg gegen die verhassten Grünen. Das ist misslungen. Die Grünen gehen intern gestärkt aus der Aktion hervor, weil sie trotz aller internen Streitigkeiten gemeinsam für eine Sache gekämpft haben. Das ist neu und hat sie selbst ein wenig überrascht. Wir werden sehen, ob sie aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.

4.) Die Mariahilfer Straße kann nun zu einem spannenden Projekt werden. Bisher wurde ja nichts umgebaut und daher war sie ein unfertiges Projekt, vergleichbar mit einem Haus ohne Dach, bei dem es bei Regen nass wird. In so einem Haus will niemand wohnen. Umso interessanter ist es, dass sich eine Mehrheit der Befragten das Haus mit Dach vorstellen konnten und entsprechend abstimmten. Die Querungen werden kommen und damit wird der notwendige Autoverkehr, den man ja nicht plötzlich aus der Stadt hinaus bekommen kann, wieder leichter fließen. Das wird einige Gegner versöhnlich stimmen. Weitere Gegner werden umschwenken, wenn sie die neue, umgebaute Mariahilfer Straße erleben.

5.) Nicht vergessen werden darf auf die angespannte Situation einiger Geschäfte. Nicht alle Probleme stammen aus der Zeit der jetzigen Veränderung, aber leicht wird die Umbauphase nicht. Hier sollte die Wiener Regierung entsprechende Kompensationsmöglichkeiten entwerfen. Wenn die größte Einkaufsstraße Österreich zu einer reinen Fressmeile plus internationalen Billigmodeketten wird, dann wird dem Projekt wohl kein echter Erfolg zu bescheinigen sein. Das ist zwar teilweise jetzt schon so, aber die Politik ist hier gestalterisch gefragt.

UPDATE JUNI 2015

Inzwischen hat sich viel getan, der Großteil der Mariahilfer Straße wurde umgebaut. Bereits während des Umbaus war sie tw. gut ausgelastet, man hört auch kein Schimpfen der Geschäftsleute mehr und selbst die Gegner tun sich schwer das angekündigte Geschäftesterben zu proklamieren, geschweige denn zu beweisen.
Jetzt im Sommer 2015 soll das letzte Stück fertig gebaut werden. Es wird noch zahlreiche Anpassungen und Verbesserungen brauchen, die versprochenen Querungen sind immer noch nicht umgesetzt, aber die Straße wird als Ganzes von den Menschen angenommen. Viele sagen mir „in ein, zwei Jahren schon wird man sich nicht mehr vorstellen können, dass hier früher Autos im Stau gestanden sind.“ Laut der Verkehrsplanertheorie, dass die Einschränkung der Verkehrsmöglichkeit für Autos auch tatsächlich dazu führt, dass sinnlose Autofahrten nicht mehr gemacht werden (genauso wie neue Straßen mehr Verkehr produzieren, der vorher nicht da war und auch sonst nirgends), wird es auch zu keinem Kollaps in den Nebenstraßen und auf den Alternativrouten kommen. Die Menschen werden sich daran gewöhnen, anpassen und genauso raunzen oder zufrieden sein, wie es Wienerinnen und Wiener immer schon waren und bis heute sind.
Hier noch ein Bild Stand Mai 2015, Ecke Neubaugasse.

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UPDATE AUGUST 2015

Heute am 1. August war die offizielle Eröffnung. Die Bauzeit wurde eingehalten, angeblich war es sogar um ca. 500.000 Euro billiger als geplant. Von einer ausgestorbenen Straße, auf die mangels Autozufahrt niemand mehr einkaufen geht, kann keine Rede sein – und zwar nicht nur heute, sondern auch an den meisten anderen Tagen. Sogar die Wirtschaftskammer gibt zu, dass viele Geschäfte steigende Umsätze haben.
Nun geht es aber nicht nur um Geschäftemachen, die Straße soll ja ein Ort zum Verweilen sein, zum Flanieren, zum Dasein. Ob es das sein wird, kann man auch heute noch nicht sagen, es sind sicher noch viele Nachbesserungen durchzuführen, einige Fehler müssen noch korrigiert werden, aber die Straße als Gesamtes wird funktionieren bzw. tut es jetzt schon. Die Bäume müssen noch wachsen, aber die Straße macht jetzt schon einen recht grünen Eindruck, der Lärmpegel ist mit vorher nicht vergleichbar und der freie Raum wird jetzt nach dem kompletten Umbau auch genützt.
Wer das nicht glaubt, wird selbst hinfahren müssen und es sich ansehen. Wer die neue Mariahilfer Straße kategorisch ablehnt (ich kenne einige solche Leute) soll halt nicht hingehen. Es gibt genügend andere, die das schon tun.
Spannenderweise waren die negativen Stimmen heute nicht sehr zahlreich, nicht sehr laut und kamen vor allem von griesgrämig dreinschauenden älteren und alten Männern. Wir haben es hier auch mit einem Generationenkonflikt zu tun.
Die wenigen SPÖ-ler kamen sich sehr verloren und fehl am Platze bzw. auf der Straße vor. Heute war grün dominant und nicht rot. Sie bekamen heute die Rechnung für ihren Widerstand, als sie sich vor der Abstimmung erste Reihe fußfrei gesetzt und genüsslich zugesehen haben, wie es die Grünen aufplattelt auf der Geraden, sozusagen.
Pech gehabt.
Dem Mountainbiker Christian aus der Stumpergasse, der mich mit viel Energie darauf hinwies, dass seine Gasse jetzt eine Fehlplanung sei, muss ich in gewisser Weise zustimmen – die Regelungen in den Quergassen sind tatsächlich verbesserungswürdig. Ob er mit seiner Kritik bis zur Vizebürgermeisterin durchgedrungen ist, kann ich nicht sagen. Sie war heute entspannt und fröhlich, ganz anders als über lange Strecken, als vieles, sehr vieles falsch lief und jede Menge Kompromisse forderte.

Hier noch ein paar Bilder von heute. Hier sieht man wie grün die Straße ist.

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Maria Vassilakou entspannt bei unserem Lastenrad.

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Ein Eis beim Bortolotti – unbedingt sollte man „Zitrone-Basilikum“ probieren. Sensationell!

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Die grünen Taschen wurden heute in Unmengen verteilt und uns binnen einer Stunde aus den Händen gerissen.

taschen

Das ist der Blick auf den letzten Bauabschnitt Richtung Zweierlinie. Sieht gut aus, finde ich.

unten

Mein Dutzend Gründe für politisches Engagement: 4 – Die Ökonomisierung der Wissenschaft

Politik ist die Kunst der Gesellschaft. Menschen leben nur dann friedlich in Gemeinschaften, wenn ihre unterschiedlichen Interessen ausbalanciert werden. Diese Vermittlungstätigkeit nennt man meinem Verständnis nach „Politik“. Sie regelt das Zusammenleben der Menschen.
Ich habe ein Dutzend Gründe gefunden um mich politisch zu engagieren. Heute ist der vierte Grund an der Reihe, es geht um die Freiheit der Wissenschaft.

„The king said to the priest: You keep them stupid, I keep them poor.“
Klarer hat es nur Rainhard Fendrich ausgedrückt: „Leute mit an Plastikhirn kamma leichter dirigiern.“ („Polyäthylen“, 1981, Album „Und alles is ganz anders wordn“)

Das Wissenschaftsministerium wird dem Wirtschaftsministerium hinzugefügt – so oder so ähnlich ist die offizielle Diktion. De facto wird es aufgelöst, so wie es bei Firmenfusionen danach eine Firma noch gibt und die andere nicht mehr. Ausnahmen zu dieser Regel sind entweder keine vorhanden oder sie sind extrem selten.
Die Regierung Faymann II hat es geschafft, die SPÖ ist auch in diesem Punkt komplett umgefallen und hat sich den Forderungen der ÖVP gebeugt.
Die Proteste der Wissenschaft sitzt man aus und die Spin Doctoren finden schon irgendwelche Argumente, warum Wissenschaft und Wirtschaft unbedingt eigentlich eh schon immer zusammengehört hätten („Klingt das nicht ohnehin ähnlich? – Eben!“).
Das Wissenschaftsministerium – gegründet 1970 vom SPÖ-Politiker Bruno Kreisky, abgeschafft 2013 vom SPÖ-Politiker Werner Faymann – ist somit Geschichte.

Aber was steckt wirklich dahinter? Ich sehe hier vor allem zwei Gründe:

1.) Der Primat der Wirtschaft
Das hat mit Wolfgang Schüssel begonnen und dem neoliberalen Schwenk, untermauert durch den unsäglichen Spruch „Geht´s der Wirtschaft gut, geht´s den Menschen gut.“ Gemeint ist hier jedoch nur, dass es denjenigen Menschen gut gehen soll, die das Geld haben. Und das sind nur einige wenige. Es ist nämlich schlicht und einfach nicht wahr, dass für die Armen mehr da ist, wenn die Reichen zu Superreichen werden.
Der ÖVP als Vertretung der Reichen war das Wissenschaftsministerium schon lange ein Dorn im Auge, vor allem den Bünden, die es 1.) für nicht notwendig und daher als überflüssigen Luxus und 2.) als unökonomisch betrachten.
Wissenschaft ist kein Profit Center und das stört diejenigen Menschen, die aus allem und jedem Profit ziehen wollen. Dass sich die Universitäten aufregen, stört nur wenig, wenn Faymann in seiner Regierungserklärung meint „Österreich ist in Europa ein Vorbild an Wirtschaftlichkeit.“ (ZIB 09 Uhr 14.12.2013)
Laut dem obigen Spruch ist somit alles der Wirtschaft unterzuordnen, in logischer Konsequenz auch die Wissenschaft bzw. gerade sie.
Wie funktioniert das in der Praxis? Das Stichwort hier ist „Drittmittelfinanzierung“ und es bedeutet, dass Wirtschaftsbetriebe die alleinige Entscheidung darüber treffen, welcher Teil der Wissenschaft Geld bekommt und wofür. Alle wissenschaftlichen Fächer, die keinen direkten Profit abwerfen oder dafür notwendig sind, werden aufgelöst oder zu Alibiinstituten verkleinert.
Das gibt den Konzernen die alleinige Macht über die Wissenschaft, sie definieren über kurz oder lang auch was Wissenschaft ist und was nicht. Als angenehmer Nebeneffekt bekommt man auch die „linken“ StudentInnen in den Griff, da sich diese meist in den „sozialen“ Fächern aufhalten (Politikwissenschaft, Publizistik, Psychologie, Soziologie etc.). Man kann diese beliebig beschränken indem man ihnen die Mittel kürzt.

2.) Ungebildete demonstrieren nicht
In einer Demokratie kann man die Macht der Mächtigen erhalten indem man folgende Akzente setzt:
a.) Panem et circenses – man gibt den Menschen entsprechende Ruhigsteller (fettes Essen, Barbara Karlich Show) und sie bleiben auf der Couch sitzen, auch am Wahltag. Das ist bisher hervorragend gelungen, die Wahlbeteiligung sinkt beständig.
b.) Die Bildung elitär machen. Bisher hat sich die SPÖ dagegen gesträubt, weil sie aus Tradition den sozialen Aufstieg ihrer ehemaligen Klientel gefördert hat. Diese Klientel ist jetzt zur FPÖ abgewandert, ein Aufstieg der Arbeiterklasse ist nicht mehr erwünscht, denn auch die SPÖ vertritt jetzt die Meinung, dass ein Arbeiter arbeiten soll und nicht studieren braucht.
Wer ist denn in einer Gesellschaft das Korrektiv, woher kommen die Dissidenten? Genau genommen nie aus der Elite, denn diese ist von ihrem Weltbild Macht erhaltend (nämlich die eigene) und niemals Macht zerstörend (das wäre nämlich auch die eigene). Aus der ungebildeten Unter- und Mittelschicht stammen die Revoluzzer auch nicht, denn die haben entweder zu wenig Bildung um entsprechende Schritte (kommunikativ, organisatorisch) setzen zu können oder sie sind – wie oben erwähnt – gut ruhig gestellt. Somit braucht man eine Gruppe von BürgerInnen, die erstens nicht im Machtapparat sitzen und zweitens genügend Bildung haben, um die Aufgabe zu bewerkstelligen.
Und genau diese Gruppe versucht man vor allem in der ÖVP klein zu halten.
Ein klein wenig erinnert mich das an das Pol Pot Regime in Kambodscha von 1975 bis 1979. Diese pseudo-kommunistische Diktatur hatte das Ziel alle Menschen zu Bauern zu machen. Sie wollten so an die glorreiche Vergangenheit des Khmer-Reiches anschließen, das durch seine Agrarwirtschaft reich und mächtig wurde. Daher räumte man die Hauptstadt binnen 24 Stunden und schickte alle Menschen aufs Land auf die Felder. Die Bildungsschichte und die Intellektuellen meinte man dafür nicht zu brauchen und so wurden alle getötet, die lesen und schreiben konnten oder auch nur so aussahen, als könnten sie es (z.B. Brillenträger wurden erschossen).
In Österreich geschieht es subtiler, aber mit dem gleichen Ziel: Eine Elite (die Kinder der Mächtigen) soll gute Bildung bekommen und kann dafür auch zahlen. So erreicht man zwei Ziele: Erstens wird Wissenschaft profitabel und zweitens hindert man weniger Begüterte am Zugang zu Bildung.

Meine politische Forderung Nr. 4 lautet somit: Wir brauchen für die gesunde Entwicklung unserer Gesellschaft eine gesunde Wissenschaft mit entsprechendem Stellenwert und dazu gehöriger Verankerung (etwa durch ein Wissenschaftsministerium mit entsprechenden Mitteln).

Der Sandler

Landesversammlung der Grünen Wirtschaft Wien und Niederösterreich. Funktionärswahlen, Vorträge, Diskussionen, Buffet – das alles an einem von uns sehr gern gewählten Veranstaltungsort, der IG Architektur auf der Gumpendorferstraße, nur eine Ecke weit vom Apollo-Kino.
Die Stimmung ist gut, der Caterer hat diesmal geschmorten Kürbis zubereitet und sonst noch einige gute Dinge. Lockere Gespräche, Kennenlernen der neuen Landesleitung von Niederösterreich, dazu ein gutes Bier. Geraucht wird vor der Tür, die dann zeitweise offen steht.

Plötzlich drängt sich ein Sandler hinein. Er tut ein wenig so als hätte er drinnen irgend was zu erledigen, es ist aber fast sofort klar, um wen es sich handelt: klein, gebückt, zerlumpt angezogen, mit einem großen weißen Plastiksack, aber schneller durch die Türe als ihn wer aufhalten kann.
Er lässt sich flugs in eine kleine Sitzgruppe fallen und ruft „Capuccino!“

Wer ist für ihn zuständig? Sollen wir ihn rauswerfen – irgendwo meint das jemand, allerdings eher beiläufig. Ich denke mir, dass er eigentlich nicht stört, sofern er nichts fladert oder unangenehm auffällt.
„Capuccino“ ruft er noch mal und ein Kollege lacht „Hey, wird sind kein lokal, das ist privat!“

Er schaut unverständig, spricht scheinbar kein Deutsch. Ich bringe ihm ein Bier und meine, dass wir leider keinen Kaffee haben. Er trinkt das Bier aus, lehnt sich in seinem Sessel zurück und grinst freundlich, zumindest mit den Zähnen, die er noch besitzt, also eher spärlich. Seine Sprache ist nicht verständlich, zumindest nicht für uns. Polnisch? Ungarisch? Russisch? Auf jeden Fall prostet er uns mit „Nastrowje“ zu und ruft „Polak“.
Dann kramt er ein wenig in seinem Sack herum und als wir uns wieder mit uns beschäftigen, fängt er zu singen an. Offensichtlich hat das Bier seine Laune gehoben. Die Lautstärke ist beachtlich und die Unterhaltung wird schwierig. Wieder werden Stimmen laut, dass man ihn eventuell hinausbefördern sollte, bevor er sich dauerhaft einnistet.
Ich blicke aufs Buffet und sehe, dass wir noch mehr als genug Kürbis haben, der sowieso nach Veranstaltungsende weggeworfen wird. Also hole ich ihm eine Portion, die er annimmt und aufisst. Da er während des Essens nicht singen kann, haben wir das Problem gelöst. Zur Sicherheit bringe ich ihm noch eine zweite Portion. Das funktioniert, er singt nicht weiter, sondern ruht sich ein wenig aus.
Dann beginnt er zu schauen, was so herum liegt. Ein dicker Architektur-Bildband fällt ihm in die Hände und wandert langsam Richtung seines Plastiksacks. Irgendwer weist ihn darauf hin, dass ihm das nicht gehört. Er grinst breit und sagt ein paar Worte. Dann ruft er „Zigarra“. Da ihm niemand eine Zigarre oder Zigarette anbietet, beginnt er aus Prospekten auf dem Tisch vor ihm irgendwelche Werbeartikel rauszureissen und in seinen Plastiksack zu stecken. Dann nimmt er wieder den Bildband und verstaut ihn im Sack.
Ich gehe hin und bitte ihn, den Band wieder heraus zu nehmen. Er tut so, als würde er mich nicht verstehen, grinst breit und ruft „Capuccino!“.

Mir reicht es, ich nehme das Buch einfach aus dem Sack und bringe es in Sicherheit. Langsam stellt sich die Frage, wie wir ihn wieder loswerden und Beate bittet mich bis zum Schluss zu bleiben, sie hätte Angst wenn sie mit ihm alleine fertig werden müsste.

Auf einmal steht er auf, schnappt seinen Sack und marschiert wortlos zur Türe. Ihm dürfte fad geworden sein, es gab nichts mehr zu holen und so wandert er zu den Fahrrädern, die ums Eck an Fahrradständern lehnen. Dort probiert er bei jedem einzelnen ob es abgeschlossen ist. Dummerweise für ihn sind alle angehängt und er trollt sich.

Was mich nachdenklich macht:

Der Sandler ist ein Opportunist. Er hat gelernt eine gewisse Frechheit an den Tag zu legen und davon zu profitieren. Sein etwas ungestümes Eindringen hat uns überrumpelt und genau das war wahrscheinlich geplant. Es dürfte öfter funktionieren, ebenso wie er öfter ein Bier bekommt oder eine Zigarette, damit er sich wieder „schleicht“, wie wir auf Wienerisch zu sagen pflegen.
Nicht immer wird er freundlich aufgenommen, aber das ist das Berufsrisiko. Er nimmt außerdem was er bekommen kann und ist nicht heikel. Seine Sprache ist sein Schutz, er kann jederzeit auf „verstehe nix“ umschalten. Wenn jemand doch Polnisch oder Russisch kann, dann bleibt ihm immer noch schweigen, sich deppert stellen oder sonst etwas. Er grinst freundlich und lacht, nickt und schickt immer wieder positive Signale. Und er nimmt einfach alles mit was nicht niet- und nagelfest ist. Dabei ist er aber durchaus wählerisch und hat sich in unserem Fall etwa den wertvollsten Bildband heraus gesucht. Wahrscheinlich hatte er selbst keine Ahnung, was er damit machen könnte. So sind die Opportunisten, irgendwas wird sich schon ergeben, im Notfall kann man das Buch immer noch zerreissen und es sich in den Blättern gemütlich machen.

Jede Gesellschaft produziert solche Opportunisten und in jedem von uns steckt einer. Die Schlangen, die sich vor dem großen Schlussverkauf sammeln, die Spurwechsler am Gürtel, die Markensammler in den Supermärkten – alle wollen profitieren, ökonomisch günstig aussteigen, etwas gratis haben, Geiz ist geil. Wenn kleine Geschenke vor den Wahlen verteilt werden, dann nimmt man zuerst und schaut dann nach, was man da eigentlich bekommen hat. Danach kommt die wählerische Phase, das Goodie muss ein gutes sein, irgendwie brauchbar, essbar, verwertbar.

Die Sandler sind Randfiguren. Sie leben nicht besonders gesund und werden meist nicht sehr alt – wobei sie ohnehin keine Pension bekommen und es daher umso schwerer haben, je älter sie werden. Sie sind selten ganz jung, zumindest nicht in unserer Gesellschaft, in Afrika etwa sieht das anders aus, dort betrifft es schon die Kinder.

Die Sandler haben eine Art Vertrag mit der Gesellschaft. Sie schnorren und bekommen auch etwas, so lange sie nicht unangenehm werden. Sie sind immer nur geduldet und nie erwünscht. Sie sind alle Opportunisten und müssen es sein, um einigermaßen durchzukommen. Sie zeigen uns die Grenzen unseres Wohlstands, unserer Toleranz, unserer Akzeptanz, unserer Großzügigkeit, unserer Kleinlichkeit, unseres Stolzes und unserer Gier. Eigentlich können wir froh sein, dass wir sie haben.

Analyse zur Nationalratswahl 2013

Nein, das wird jetzt nicht lange dauern, weil andere schneller waren als ich. Und vielleicht besser. Daher gibt es jetzt in erster Linie gute Links plus kleinem Kommentar:

1.) Georg Günsberg – er schreibt meistens treffend und gescheit, so auch diesmal. Sein Bericht dekliniert die Parteien durch und wirft einen ausführlichen Blick in die Vergangenheit:

http://guensberg.wordpress.com/2013/09/30/on-the-long-term-nachwahlbetrachtung

2.) Rudi Fussi – mit der notwendigen Schärfe bekommen alle Parteien ihr Fett ab. Und auch das ist letztendlich wahrscheinlich „Wurscht“:

http://www.rudifussi.at/2013/09/30/oesterreich-hat-wurscht-gewaehlt

3.) Armin Wolf – kurz und bündig fasst er die Möglichkeiten nach der Wahl zusammen. Kein Link, sondern hier der ganze Text:

„Noch ein paar Gedanken zum Wahlergebnis.
Oberflächlich ist ja nicht viel passiert, außer, dass statt Orange künftig Pink im Parlament sitzt. Die SPÖ ist nach wie vor Erster, die ÖVP Zweiter, die FPÖ Dritter. Rot-Schwarz sind gemeinsam nicht unter 50% gefallen, weder an Stimmen noch an Mandanten. Zusammen mit den Grünen wird sich nach Auszählung der Wahlkarten noch immer eine Verfassungsmehrheit ausgehen (allerdings nur um ein Mandat. Trotzdem wichtig in EU-Agenden).
Das heißt wohl in Summe das, was es in Ö. (fast) immer heißt: es wird gewählt, aber am Ende kommt eine Große Koalition heraus.
Die FPÖ hat 3,9 Prozentpunkte dazu gewonnen – nicht wenig, aber auch nicht übertrieben viel, wenn man denkt, dass SP +VP + BZÖ 11,5 Prozentpunkte verloren haben. Aber die drei rechtspopulistischen Protestparteien FPÖ, Stronach und BZÖ haben gemeinsam knapp 31%. Das ist mehr als die 27 der FPÖ von 1999 oder die 28, die FPÖ + BZÖ 2008 erreicht haben. (Rechnet man nur FPÖ + BZÖ, kamen sie gestern auf 25%).
Was jetzt?
„So kann es nicht weitergehen“, war gestern abend der meistgehörte Satz aus der ÖVP. Ja, eh. Das hat man allerdings 2008 schon genauso gehört. Auch damals hieß es, es brauche eine „ganz neue Form“ von großer Koalition. Aber wie soll die denn aussehen? In der Steiermark haben Rot & Schwarz genau das probiert, mit ihrer super-kooperativen „Reform-Partnerschaft“. Sie haben gestern doppelt so viel verloren wie im Bundesschnitt, die FPÖ wurde in der Steiermark stärkste Partei – wohl kein besonders einladendes Vorbild für SP & VP.
Dazu kommt ein strategisches Dilemma für die ÖVP: als Juniorpartner in der großen Koalition zwischen 1987 und 99 hat sie 16 Prozentpunkte verloren, seit 2008 wieder 13 Punkte. Warum sollte es die nächsten fünf Jahre als Zweiter in einer Großen Koalition besser für sie laufen?
Zumindest theoretisch hat sie – im Gegensatz zur SPÖ – eine Alternative. Eine Rechtskoalition VP-FP-Stronach hätte gleich viele Mandate wie Rot-Schwarz (99 – 92 sind für eine Regierung nötig). Michael Spindelegger könnte so doch noch „Kanzler für Österreich“ werden, aber in der ÖVP gibt es gewichtige Gegner dieser Variante im Wirtschaftsbund, bei Raiffeisen, in Niederösterreich. Also überall dort, wo in der VP die Entscheidungen fallen.
Wahrscheinlicher ist also, dass die S-B-TS-Variante in den Verhandlungen mit der SPÖ als Gespenst mit am Tisch sitzt, um den Preis für eine neue GroKo hochzutreiben.
Was kann da rauskommen? Eine neue rot-schwarze Koalition, die gleich in ziemlich schlechter Stimmung startet, weil die ÖVP nicht wirklich will und in den Verhandlungen extrem hoch pokern wird. Aber nach außen wird sich die Neuauflage Faymann-Spindelegger „völlig neu“ geben, mit „gemeinsam definierten Projekten“ und einem „ganz neuen Stil“. Ja, eh.
Drei Prognosen für die nächste Wahl kann man da heute schon anstellen: Es wird die letzte große Koalition sein, ein weiteres Mal wird es kaum mehr für 50% reichen. Die FPÖ wird weiter zulegen (auch die 150.000 BZÖ-Stimmen müssen ja wohin). Das Team Stronach wird ohne seinen Guru ein BZÖ-Schicksal erleiden. Bleibt die Frage, ob sich die Neos dauerhaft etablieren können wie die Grünen oder ob sie wiederholen, was das LiF schon einmal vorgemacht hat.
Die nächsten fünf Jahre werden also kaum anders werden als die letzten. Wirklich spannend wird die nächste Wahl.“

4.) Michel Reimon – der Landtagsabgeordnete der Grünen Burgenland ist ein kritischer Geist, daher wollten ihn die Grünen auch nicht auf ihre Nationalratslisten setzen. Er geht weit über die Wahlanalyse hinaus und sein Text ist auch schon fast zwei Jahre alt. Aber ausgesprochen treffend für das, was in Österreich derzeit passiert. Er sieht sich genau an, was mit den Rechten im Land passiert:

http://derstandard.at/1313024413209/Politik-in-Oesterreich-Die-Hegemonie-der-Abstiegsangst

5.) Volker Plass – als Bundessprecher der Grünen Wirtschaft quasi mein „Chef“. Er geht mit den Grünen hart ins Gericht – hart, aber fair. Da er seine Betrachtungen nicht in einem Blog hat und es daher auch keinen Link gibt, hier der gesamte Text, quasi als Abschluss. Ach ja: auch er war den Grünen zu unbequem für einen Listenplatz für die NR-Wahl…

„MEINE ANALYSE

Das Wahlergebnis der Grünen ist mau. Da gibt es nichts zu beschönigen!
Wer es nötig hat, noch »auf die Wahlkarten zu hoffen« und einzelne »wirklich erfreuliche Bezirksergebnisse« herauszustreichen, hat ein Problem. Wer vom »besten grünen Ergebnis der Geschichte« sprechen muss, um den WählerInnen seinen Erfolg zu erklären, der kann vielleicht halbwegs zufrieden sein. Zu den strahlenden Wahlsiegern gehört er nicht!

Zwischen 2006 und 2013 haben wir Grüne gerade einmal eineinhalb Prozent zugelegt. Erdrutschsiege sehen anders aus!
Unser Wahlkampf war sensationell. Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner und Kreativ-Chef Martin Radjaby sind für die beste Grüne Kampagne aller Zeiten verantwortlich. Eva Glawischnig war eine ausgezeichnete Spitzenkandidatin. Auch der Zeitpunkt war ideal: Das alte, reformresistente und von Korruption zerfressene Parteiensystem war sturmreif geschossen. Tausende WahlkämpferInnen – danke allen!!! – waren motiviert, agierten geschlossen und sind gerannt wie noch nie.
Trotzdem reichte es wieder nicht für einen wirklichen Erfolg. Wieder erwarten uns fünf Jahre auf der Oppositionsbank. Um Haaresbreite wäre sogar die rot-schwarz-grüne Verfassungsmehrheit verloren gegangen, die uns wenigstens ein gewisses Maß an parlamentarischer Bedeutung verleiht.

Also kann es nur am Produkt selbst liegen!
An dem, was wir Grüne tatsächlich sind, wenn man all die durchgestylte Verpackung weglässt.
Gestern, am Rande unseres Wahlfestes, habe ich etlichen Freundinnen und Freunden eine Frage gestellt: Welche große, innovative und emotional berührende Idee von uns Grünen ist dir aus den letzten drei Jahren in Erinnerung?
Ich habe keine einzige überzeugende Antwort bekommen.

Wir sind bio & gesund.
Wir sind korruptionsfrei & sauber.
Wir sind schick & sympathisch, sodass die Menschen sogar freiwillig unsere grün-pinken Einkaufstaschen durch die Fußgängerzonen tragen. Aber wenn es wirklich darauf ankommt, sind wir nicht neos, sondern ein bisschen altos!
Für viele Menschen ist das, was wir Grüne bieten, offenbar nicht (mehr) ausreichend.
Wir haben die Korruption der anderen angeprangert und stolz unsere »weiße Weste« präsentiert. Unser Wahlkampf war von »Wohlfühl-Themen« geprägt, und wir haben Bilder von einer besseren Welt gezeigt. Alles sehr gut!
Aber in den Kernbereichen – dort wo Wahlen entschieden werden – waren wir schwach aufgestellt:

In der grünen Sozialpolitik herrscht seit Jahren Tiefschlaf.
In der Gesundheitspolitik sind wir weitestgehend abgemeldet.
In der Bildungspolitik, wo wir Substanz haben, ist es schwierig, uns neben der SPÖ zu profilieren.
Grundlegende Systemkritik ist leider nicht vorhanden.
Nennenswerte budgetäre Einsparungsvorschläge auch nicht.
Und die Wirtschaftspolitik … naja!

Stattdessen haben wir praktisch zur Gänze auf das Korruptionsthema gesetzt. Weil alle Umfragen sagen, dass dieses Thema unseren WählerInnen so wichtig ist. Unseren WählerInnen schon. Aber reicht es für wirkliche Zuwächse?
Wir sprachen über die moralische Verkommenheit der anderen Parteien. Wir erzählten den Menschen monatelang, wer ihr Geld gestohlen oder missbräuchlich verwendet hat. Sogar in der letzten Woche haben wir alle Mitbewerber noch einmal bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.
Die Menschen hörten uns zu.
Sie gaben uns Recht. Und waren dankbar, dass wir diesen Job erledigen.
Aber dann fragten sich offenbar viele:
Was hat das mit mir zu tun?
Geben mir die Grünen damit für mein Leben auch Hoffnung?
Schafft mir das einen Arbeitsplatz?
Sichert das meine Pension?
Bringt uns das den fehlenden Kinderarzt in unserer Gemeinde?

Um nicht falsch verstanden zu werden: Kontrolle und das Aufdecken politischer Verbrechen ist eine Kernaufgabe der Opposition. Aber es ist das Pflichtprogramm – nicht die Kür! Gabi Moser und Peter Pilz machten die Drecksarbeit. Und sie machten das gut. Aber wer war für das Neue und Überraschende zuständig? Für das, was die Menschen wirklich begeistert?
Anders formuliert: Wie erfolgreich wäre Apple mit seinem iPhone gewesen, wenn die Botschaft gelautet hätte: »Nicht so grauslich wie Ihr altes Nokia«?

Die Umfragen, die uns noch vor einer Woche 14 bis 15% prophezeiten, haben gestimmt. Was sie nicht abbilden konnten, waren zwei Wählerbewegungen in den letzten Tagen vor der Wahl. Einerseits kehrten offenbar viele WählerInnen von Stronach zu Strache zurück. Und andererseits hatten viele potenzielle GrünwählerInnen plötzlich das Gefühl, dass eine NEOS-Stimme doch keine verlorene Stimme ist. Viele unserer SympathisantInnen dachten sich, dass wir Grüne ohnehin ein gutes Ergebnis einfahren werden, und wählten deshalb dieses erfrischend neue und dynamische Polit-Start-up auch noch ins Parlament hinein.
Ja, so sind die WählerInnen! Da geht es nicht nur um Ideologie und langfristige Parteibindung. Da sind auch unkalkulierbare Emotionen und kurzfristiges Wohlbefinden mit im Spiel!
Um welche Personen es sich bei NEOS genau handelt, welche Positionen dort im Detail vertreten werden, ist einstweilen vielen nicht so wichtig! Neue Parteien bieten diffuse Projektionsflächen für unterschiedlichste Hoffnungen und Erwartungen. Und Matthias Strolz & Co kamen modern, innovativ und systemkritisch daher. Eigenschaften, die die WählerInnen mit uns Grünen offenbar nicht automatisch verbinden.
Daran sind nicht die NEOS schuld, sondern nur wir!

Nicht die NEOS sind unser Problem, sondern dass NEOS entstehen musste, um diesen enttäuschten WählerInnen eine Alternative zu bieten, die wir nicht bieten konnten. Ein Unternehmen, das selbst nicht fähig ist, ein wirklich innovatives Produkt am Markt zu platzieren, muss damit leben, dass die Konkurrenz diese Marktlücke füllt!
Was nun zu erledigen ist, sind die richtigen Weichenstellungen für das Jahr 2018.

Gewissenhafte Analyse und grundlegende Reformen sind angesagt: Wir Grüne müssen uns noch ziemlich verändern und noch viel besser werden, um wirklich zu wachsen!
Ein Schritt in Richtung 15 bis 20% ist prinzipiell möglich. Aber der gelingt nur, wenn wir Grüne uns für neue Wählerschichten öffnen. Wenn wir näher an der Lebensrealität der Menschen sind. Wenn wir endlich in den politischen Kernbereichen innovativ Flagge zeigen. Wenn wir mit neuen ProponentInnen und deren Netzwerken neue Zielgruppen erschließen.
Wer jetzt noch daran glaubt, dass Wahlen allein mit Kernthemen gewonnen werden oder dass sich Erfolge automatisch einstellen, wenn nur endlich alle kapieren würden, dass wir Grünen die Besten, Saubersten und Gescheitesten sind, der ist mitbeteiligt daran, dass wir Grüne unsere Existenz auch weiterhin bloß auf hohem Niveau verwalten.
Dieses Land gestalten werden wir so voraussichtlich nie!