Die Knallerei

Aufgrund der steigenden Gewalt hat die Regierung beschlossen, dass einmal im Jahr eine Nacht zum Morden freigegeben wird. Die restlichen 364 Tage bzw. Nächte ist es verboten, aber in dieser Nacht darf sich jede und jeder eine Waffe nehmen und umbringen wen er/sie will.
Am nächsten Morgen werden dann die Leichen aus den Häusern bzw. von den Straßen weggeräumt und das normale Leben nimmt wieder seinen Lauf.

Das ist der Inhalt von „The Purge“, einem USA-Film, der bisher in das Genre „Science Fiction“ eingereiht wurde. Ich bin mir seit gestern nicht mehr sicher, ob so etwas ähnliches nicht in Zukunft Realität werden könnte.
In dem Film werden übrigens mehrheitlich Afro-Amerikaner umgebracht, das ist aber eher ein Nebenthema.
Eigentlich geht es um die Aufhebung der Gesetze. Im alten Griechenland waren das die dionysischen Spiele, bei denen man sich dem Rausch, dem Laster und der Gewalt hingeben konnte. Auch sie waren zeitlich beschränkt und dem Gott Dionysos gewidmet. Im alten Rom waren das die Bacchanalen, gewidmet Bacchus, dem Gott des Weins.

Wein und andere Rauschgetränke wurden gestern zu Silvester ebenfalls in Unmengen genossen. Und es war „erlaubt“ Lärm und Dreck zu machen ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Als ich heute durch die Gassen ging, glichen sie einem Schlachtfeld. Überall Kisten mit abgebrannten Raketenresten, die Gehsteige, Fahrbahnen und vor allem die Parks übersät mit den Resten der gestrigen Knaller-Orgie.

Mir wäre das nicht so bewusst geworden, wenn ich nicht das hässliche Erlebnis vor dem Lokal gehabt hätte, in dem ich gestern bei einer dezenten Silvesterfeier war. Davor ist ein winziger Park und dort saß eine Familie mit einem kleinen Mädchen, vielleicht drei oder vier Jahre alt. Sie zündete die ganze Zeit irgendwelche Knallkörper und kleine Leuchtkugeln. Als eine vor meinen Füßen landete (ich telefonierte gerade), rief ich ihnen zu, dass sie doch gefälligst aufhören sollten.
Mehr hab ich nicht gebraucht. Die Frau fing an mich wüst zu beschimpfen: Sie würden hier leben und es wäre Silvesternacht und alle würden knallen. Jedes dritte Wort war „fuck“ (sie sprach Englisch) und sie brüllte so lange auf mich ein, bis ich die Sinnlosigkeit jeder Intervention einsah und wieder in das Lokal zurück ging.

Zu Silvester darf jeder mehr oder weniger enthemmt tun was er oder sie will, zumindest was Lärmnachen und Dreckmachen betrifft. Ob andere darunter leiden ist vollkommen egal, und zwar – so traue ich mich zu behaupten – so ziemlich allen Menschen, die gestern ihre Raketen abgeschossen und ihre Knaller gezündet haben.
Umweltschutz? Gibt es nicht, interessiert niemand, nicht einmal ein bisschen. Verstörte Tiere? Pech gehabt!
Es ist eine Nacht der Rücksichtslosigkeit unter dem Deckmantel des Jahreswechsels. Der Pöbel darf, was er sonst nicht darf. Die Polizei müsste das eigentlich ahnden, die Menschen können sich aber in der Masse verstecken – deswegen schrie auch die Frau gestern, dass das erlaubt wäre, weil es alle tun.

Hier sind wir am Kern des Problems und wieder bei „The Purge“ angelangt. Wenn es alle machen, dann ist es erlaubt. Ich erinnere mich noch an den FPÖ-Politiker Uwe Scheuch, der mit einem Gesichtsausdruck nach seiner Verurteilung aus dem Gerichtssaal kam, der eindeutig sagte (und er hat es dann auch noch mit Worten gesagt): Was wollt ihr von mir? Das machen doch alle!

Der Fachbegriff dafür ist „Ochlokratie“, die „Herrschaft des Pöbels“. Wenn Gesetz ist, was die Masse macht, führt das irgendwann zu Gewaltorgien. Wer darüber besser Bescheid wissen will, dem schicke ich gerne meine Diplomarbeit („Der Mensch und die Gewalt“), bei der ich anhand der Thesen von René Girard die ständige, latente Gewaltbereitschaft der Menschen diskutiert habe, die im Gegensatz zu den Tieren nicht durch Instinkthemmungen gesteuert wird, sondern für die es soziale Steuerung (Gesetze und die Überwachung ihrer Einhaltung) braucht. Diese Gesetze werden im Krieg außer Kraft gesetzt, wo Soldaten auch alles tun dürfen, was sie wollen – im Nachhinein wird es meistens legitimiert bzw. darauf hingewiesen, dass ja Krieg war und die Gewalt außerdem provoziert.
Gut beobachten kann man es auch bei Plünderungen nach Naturkatastrophen, wo Menschen spontan ihre Hemmungen verlieren. Im kleinen Maßstab kann man das bei verunfallten Autos beobachten, die auch bei uns gerne ausgeplündert werden.

Gesetze sind nur so gut wie ihre Überwachung. Deswegen gelten sie auch de facto nicht, wenn sie nicht überwacht oder so gering bestraft werden, dass es niemanden stört. Das lässt sich gut bei den sogenannten „Kavaliersdelikten“ beobachten, wie etwa Telefonieren im Auto. Wie ich seit einer Massenarbeit weiß, die ich betreut habe, ist das vergleichbar mit einer Alkoholisierung von ca. 0,8 Promille. Wenn man dabei erwischt wird, ist der Führerschein weg. Wer beim Telefonieren erwischt wird, zahlt ein paar Euro und das war´s, obwohl die Gefährdung der Mitmenschen nachweislich die gleiche ist. Bei Unfällen, die durch das Telefonieren verursacht werden, wird dies im Gegensatz zu Alkoholunfällen übrigens nie dazu gesagt.

Hoffentlich werde ich nie ein Kavalier.

Der derzeitige Trend – vielleicht weltweit, zumindest bei uns – geht dahin, dass es als „Schikane“ empfunden wird, wenn man dafür bestraft wird, dass man ein Gesetz nicht einhält. Das ist zwar eine perverse Auslegung des liberalen Gedankens, ich erlebe es aber immer häufiger, dass so argumentiert wird. Unser neuer Innenminister will der Polizei verbieten mit Radargeräten die Geschwindigkeitsübertretungen zu messen. (Quelle: Kleine Zeitung, 1. Jänner 2018) Er empfindet das als Schikane.
Ob es möglich ist die Menschen durch das zeitweise Aussetzen von Gesetzen zu deren Einhaltung zu bringen, wird die Zukunft zeigen.
Und ob „The Purge“ in irgend einer Form Realität wird, ebenfalls.

Ein Gedanke zu „Die Knallerei

  • 7. März 2018 um 13:55 Uhr
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    Ich gebe dir vollkommen Recht bis auf die Aussage des Innenministers – ich habe mich selbst in meiner aktiven Zeit bei Geschwindigkeitsmessungen ueber das teilweise abzocken durch manche Kollegen geaergert. Es soll dort gemessen werden, wo es Sinn macht und nicht dort, wo es nur Geld einbringt. So habe ich die Aussage verstanden und da hat er, meiner Meinung nach, durchaus Recht. Die Gesetze sollen mit Sicherheit bleiben und auch exekutiert werden, sonst gibt es Anarchie und die will wohl Niemand ( bis auf ein paar Depperln halt ).

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