Ein neuer Aufbruch

Was bringt Menschen dazu, über das Meer zu fahren?

Konkreter Anlass für diese Überlegungen war eine TV-Doku über die Besiedelung der Welt durch Homo Erectus und Homo Sapiens. Eine der wichtigsten Fragen entsteht durch die frühe Besiedelung Australiens. Aufgrund der Eiszeiten war der Meeresspiegel weltweit zeitweise bis zu 150 Meter tiefer als heute. Dadurch entstanden viele Landbrücken (Beringstraße etc.) über die Menschen in andere Kontinente wandern konnten.

Bei Australien ist das nicht der Fall, man musste mit Booten hinüber, da dazwischen Tiefseegräben liegen. Es ist heute erwiesen, dass die Menschen in der Steinzeit diese Überquerung des Meeres zustande brachten. Ganz abgesehen von der Frage WIE sie das machten, ist die Frage nach dem WARUM noch viel spannender.

1.) Die Notwendigkeit nachfolgenden Menschen auszuweichen oder neue Siedlungsgründe zu erschließen.
Das ist unwahrscheinlich, da es zu dieser Zeit sehr wenige Menschen und sehr viel Platz gab.

2.) Die Ressourcen sind zu Ende.
Auch unwahrscheinlich, weil es für die wenigen Menschen genug gab.

3.) Der Drang nach neuen Abenteuern.
Auch das erscheint mir unwahrscheinlich, da das Leben ohnehin ein einziges Abenteuer darstellte und das Überleben schon schwierig genug war. Außerdem war da ja das Problem, dass diese Menschen nichts von Australien wussten, also keine Ahnung haben konnten, ob da weit draußen auf dem Meer überhaupt Land war und wo es war und wie weit weg.

Das führt uns schon zur grundlegenden Problematik: Welches Denken ist notwendig, um so eine Überfahrt nicht nur zu wagen, sondern überhaupt in Betracht zu ziehen?

Menschen sind und waren neugierig, also gierig nach Neuem. Es gab seit immer schon (also seit Anbeginn der Menschheit) Individuen, die neugieriger waren als andere. Irgend einer stellte sich immer die Frage: Was ist hinter dem nächsten Hügel? Was ist hinter der Bergkette? Was ist auf der anderen Seite des Flusses?

Aber die Frage, was hinter dem Horizont des Meeres ist, erweist sich als eine qualitativ gänzlich andere. Zu dieser Zeit gab es keine Geografie und keine Kunst der Seefahrt, es gab noch keine Idee der „Erde“, also weder flach noch rund. Oder irren wir uns selbst gewaltig in dieser Annahme? Es gibt eine notwendige Grundvoraussetzung, um über eine Seefahrt über das Meer überhaupt nachdenken zu können: „Dort kann was sein.“
Wenn man diesen Gedanken nicht hat, fährt man nicht. Wenn man annimmt, dass sich das Meer ewig weit hinaus erstreckt oder ein tödlicher Abgrund lauert oder sonst irgend eine Art von Ende der Welt zu finden ist, dann fährt man nicht, auch nicht, wenn man muss.
Dieses Müssen ist sowieso in Frage zu stellen, aber die Frage nach dem „Dort kann was sein“ muss trotzdem positiv beantwortet werden können. Woher konnten die Menschen also das Wissen haben, dass hinter dem Meer etwas – nämlich ein vergleichbares Land – sein kann. Vielleicht war ja bereits die Möglichkeit ausreichend, um mit viel Mut diesen Schritt zu wagen. Und man darf nicht vergessen: Um ein Land zu besiedeln, muss man eine entsprechend große Anzahl an Menschen mitnehmen, zumindest Frauen, vielleicht sogar Kinder. Das setzt entsprechend große Schiffe voraus und die Fähigkeit, diese auch zu steuern und hochseetauglich zu machen.

„Dort kann was sein“ denkt man, wenn Information dieser Art vorhanden ist und transformiert werden kann. Wenn also der Großvater davon erzählt, dass die Vorfahren einen großen Bogen rund um ein Meer gewandert sind, dann könnte die Idee einer Abkürzung kommen – es entsteht zumindest die Idee eines „Gegenüber“. Abgesehen von der Frage, wie man diese Art von Information von den Vorfahren bekommen kann und diese eine solche Information überhaupt abstrahieren konnte, muss dieses Gegenüber entsprechend plastisch vorstellbar sein, und zwar inklusive so großer Vorteile, dass die doch deutlich erkennbaren Risiken einer Fahrt ins Unbekannte gering erschienen sein mussten.

Wir reden hier von der möglicherweise ersten Vorstellung vom Paradies überhaupt. Ein Land, in dem Milch und Honig fließen. So eine Vorstellung musste in den Köpfen entstehen, um ein derart großes Vorhaben überhaupt planen zu können. Von der Komplexität der Leistung würde ich das mindestens mit dem ersten Flug zum Mond gleichsetzen.

Das neue Land muss auf jeden Fall einen entsprechend großen Vorteil gegenüber dem alten, bekannten Land aufweisen. Eine Variante ist, dass dort die Götter wohnen und man ihnen näher kommen, vielleicht sogar bei oder mit ihnen wohnen kann. Diese Vorstellung gibt es ja auch heute noch, z. B. im Christentum. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Menschen damals Naturgötter hatten, also einen Gott des Windes und einen der Wellen. Ihre Gottesvorstellungen waren noch nicht so anthropomorph, und ob man beim „Wind“ wohnen wollte, das darf hinterfragt werden. Aber vielleicht waren auch ihre Götter schon in menschlicher Gestalt.

Fehlt uns das Denken, das diese Menschen hatten? Waren sie so furchtlos, dass sie auf wackeligen Flößen ins Nichts fuhren? Glaubten sie an Götter, die sie beschützen würden? Bis eine Besiedelung erfolgt, muss mehr als nur eine Fahrt gewagt worden sein. Kamen Menschen wieder zurück, um zu berichten, was in der Ferne war? Dann mussten sie eine gar nicht so primitive Form der Navigation gehabt haben, oder einfach enorm viel Glück. Verschwanden zehn Schiffe im Nirgendwo, bis eines das ferne Land erreichte? Schickte man dann immer wieder Schiffe los, ohne zu wissen, wie es denen davor ergangen war?

Wir haben heute keine Wissenschaft, die solche Fragen als Einzeldisziplin lösen kann. Hier wird Interdisziplinarität gefragt sein, um sich dem Phänomen stellen zu können.

2 Gedanken zu „Ein neuer Aufbruch

  • 4. Dezember 2011 um 22:43 Uhr
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    Vorbildlich, dass hier regelmaessig gepostet wird.

  • 20. Januar 2012 um 21:45 Uhr
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    einige meinen daß es die beobachtung von vögelflügen war die über das meer flogen und auch wieder zurückkamen. das gab den menschen die idee es auch zu versuchen. erst als die ersten wieder zurückkamen versuchten sie es in größerer zahl
    im übrigen war australien in sichtweite bei dem niedrigen meereswasserstand

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