KI – der neue Zauberspiegel?

Mein Vater Gerhard Schwarz schrieb 1980 über die „Anthropologie des Fernsehens“ (Berichte zur Medienforschung, Band 22, anlässlich 25 Jahre Fernsehen in Österreich, Herausgeber: ORF). Das ist jetzt 45 Jahre her und inzwischen hat sich technisch und sozial einiges getan.
Was ist von seiner Grundthese noch übrig?

Gerhard Schwarz baut seine Analyse historisch auf: Von der Erfindung der Schrift über das Foto bis zum Fernsehen.
Die Schrift konnte das vergängliche Wort unsterblich machen, der Preis dafür war die Trennung des lebendigen Wortes vom Redner.
Das Foto bewirkt ähnliches, der lebendige Anblick wird getötet, das fotografierte Bild dafür unsterblich.
Der Weg zum Fernsehen führt uns über den uralten Wunschtraum der Menschen, fliegen zu können. Dadurch lassen sich ferne Orte in kurzer Zeit erreichen.
Noch schöner wäre es, wenn man ferne Orte ohne Zeitverzögerung und mühsame Reise zu sich holen könnte.
Dazu bräuchte man einen Zauberspiegel: Damit kann man gleichzeitig sehen, was sich an verschiedenen Orten abspielt. Wer einen solchen Zauberspiegel (in verschiedenen Völkern als Kristalle, Metall oder Tieraugen verwirklicht) beherrschte, war ein Magier.

Gesucht wurde in den Zauberspiegeln übrigens stets die Wahrheit. Mit ihnen konnten die Magier Diebe überführen oder Feinde erkennen. Der Spiegel selbst war dafür nur das Medium, mit dem man die Gegenwart, die Vergangenheit und auch die Zukunft sehen konnte.

Mit dem Fernseher konnte der Mensch sich diesen Wunschtraum erfüllen, er konnte fern-sehen.
Die „Dauerfernseher“ waren in allen Mythologien die Götter, die allwissend sind und daher auch alles sehen können. Christian Morgenstern hat dazu ein Gedicht geschrieben:

Ein Hase saß auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.
Doch im Besitze eines Zeißes,
betrachtet voll verhaltnen Fleißes
ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.
Doch diesen sieht hinwiederum,
ein Gott von fern an, mild und stumm.

Götter waren immer schon dazu da, menschliche Schwächen zu kompensieren.
Mit dem Fernseher ist eine dieser Schwächen – alles überall sehen und somit beherrschen zu können – kompensiert worden, wenn auch nicht zur Gänze.
Besonders beliebt sind seit jeher „Live“-Sendungen, bei denen man tatsächlich in Echtzeit ein sehr weit entferntes Ereignis beobachten kann.
Der Nachteil: Man sieht immer nur einen Ausschnitt, nämlich den, den die Kamera erfasst. Durch die Weiterentwicklung der Technik konnte das zumindest teilweise kompensiert werden: Zahlreiche Kameras erfassen heute die großen Sportereignisse dieser Welt, man kann im Split-Screen zugleich mehrere Ausschnitte betrachten und im Falle der Aufnahme (beginnend mit der Ära der Videorekorder) einer Sendung diese beliebig oft sehen, vor- und zurückspulen, also Vergangenheit und Zukunft sehen.
Ich bin dadurch dabei und auch nicht, weil ich physisch ja immer noch daheim bin. Ich habe das ganze Universum in meinem Wohnzimmer, bin aber de facto auch nur in meinem Wohnzimmer.
In unserem Kopf verschwimmen Phantasie und Wirklichkeit, etwa wenn wir uns bei Krimis fürchten oder bei Science-Fiction-Filmen in die Zukunft flüchten.

Der Fernseher hat sich im Laufe der Zeit zum Massenmedium entwickelt, es gibt ihn inzwischen in den hintersten Winkeln dieser Welt, man kann durchaus sagen, er hat die gesamte Menschheit erfasst.
Er hat sich aber auch zum Herrschaftsmedium entwickelt, denn durch die konkrete Steuerung des Gesendeten lässt sich eine eigene Wirklichkeit bzw. Wahrheit erschaffen. Deswegen versuchen Autokraten auch immer die Sender ihres jeweiligen Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Ähnlich ist es heute mit dem Internet in verschiedensten Formen.

Die nächste Stufe war die Erfindung ebendieses Internets. Im ersten World-Wide-Web konnte man noch nicht fernsehen („streamen“), dafür hat die Technik noch nicht ausgereicht.
In den ersten Jahren waren die Übertragungsgeschwindigkeiten und Bandbreiten für die enormen Bilddaten noch nicht ausreichend, das berühmte „Pixeln“ kennzeichnet diese Zeit.

Inzwischen gibt es immer mehr technische Lösungen, aber auch seltsame Veränderungen, die in gewisser Weise einen Rückschritt darstellen.
Mit einem Videorekorder konnte man Sendungen aufnehmen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ansehen. Durch die Funktion des Vorspulens konnte man die lästigen Werbeblöcke umgehen.
Heute wird „gestreamt“, d.h. man sieht sich eine Fernsehsendung nicht mehr über eine Funk- oder Kabelübertragung an, sondern über eine Internetleitung und/oder W-LAN. Die alte Fernsehantenne hat endgültig ausgedient, ebenso die SAT-Schüssel.
Die neuen Medienkonzerne beeinflussen über die Technik unsere Möglichkeiten, sie stellen die neuen Autokraten, die neuen Machthaber dar.
Viele Sender unterbinden das Vor- oder Rückspulen und so ist man gezwungen, sich die Werbeblöcke zur Gänze anzusehen. Man kann maximal auf Pause drücken um aufs WC zu gehen oder sich etwas zu Essen zu holen.
Den alten Videorekorder ersetzt die „TV-Thek“, allerdings mit einem Haken: Ich kann mir nicht mehr aussuchen, wann ich welche Sendung ansehen möchte, sondern bin auf die Speicherdauer in der TV-Thek angewiesen und auch auf eine gut funktionierende Internetverbindung.
Mit dem Videorekorder konnte ich etwas nach einer Woche oder erst nach 1,5 Jahren ansehen. Das erlauben heute nur die wenigsten Streaming-Dienste und wenn, dann nur für ausgewählte Sendungen.
Das ist in gewisser Hinsicht ein Rückschritt um ca. 40 Jahre.
Es ist erstaunlich, dass sich die Menschen diese Freiheit nehmen lassen, es gibt keinen nennenswerten Widerstand dagegen.

Ein weiterer Aspekt kennzeichnet die heutige Zeit: die Reizüberflutung.
Bis in die 1980er-Jahre gab es nur eine sehr beschränkte Anzahl an Sendern, deren Programm man sich ansehen konnte. In Österreich war das „FS1“ und „FS2“. Nur wer damals schon eine Sat-Schüssel hatte, konnte deutlich mehr Sender empfangen.
In den USA gab es auch damals schon wesentlich mehr Sender, die allerdings privat waren und somit mit Werbeblöcken vollgepumpt.
Heute gibt es auch in Europa bei den staatlichen Sendern sehr lange Werbeblöcke, im Internet-TV sind diese auch nicht überspringbar, man wird zum Ansehen gezwungen, wie vor 40 Jahren.

Durch neue, private Sender, die inzwischen ja nicht mehr klassisch „senden“, sondern TV im Internet anbieten, ist auch die Propaganda im großen Stil wiedergekehrt. Parteien bieten ihr eigenes Fernsehen an und wer einen funktionierenden Internetanschluss samt entsprechendem Datenvertrag hat, kann all das ohne Gebühren genießen. Der österr. Staat kassiert trotzdem mit, Haushalte müssen inzwischen eine Abgabe leisten, ob sie einen Fernseher besitzen oder nicht.

Dort erzeugen und verbreiten Parteien und andere Interessensgruppen ihre eigene Wahrheit. Das führt zu skurrilen und teilweise beängstigenden Phänomenen, eines darf als Beispiel dienen:
Eine gute Bekannte ist nicht sehr technik-affin und hat in der Corona-Zeit fast ausschließlich ein einziges Medium konsumiert, nämlich „Servus-TV“. Dieser Sender vertritt eine politische Linie, die sehr weit rechts angesiedelt ist. Daher propagierten sie eine eigene Kampagne: Impfen ist schlecht und gefährlich, da man einen Chip injiziert bekommt, der die Aufgabe hat einen zu töten.
Meine Bekannte glaubte das, da sie keine Gegenargumente sehen konnte, sie nütze als Informationsquelle ja nur Servus-TV. Sie bekam große Angst vor der Impfung und verlor so fast ihren Job als Stewardess. Lediglich die Flucht in eine Karenz ermöglichte ihr die Zeit zu überbrücken, bis die Fluglinie die Impfpflicht wieder aufhob.
Sie war der Meinung, dass ihr bei Servus-TV die Wahrheit vermittelt wurde und wollte daher auch von mir keine Argumente hören, da diese ja keine Wahrheit mehr enthalten konnten – sie hatte die Wahrheit ja schon. Georg Danzer hat das in seinem Lied „Der Kniera“ gut beschrieben: „I glaub ollas, was in der Zeitung steht…“
Das Fernsehen scheint noch mehr Wahrheit als die Zeitung zu vermitteln, schließlich sieht man dort Bilder, die ja stimmen müssen.

Dieser etwas seltsame Wahrheitsbegriff wird seit einiger Zeit noch deutlich mehr strapaziert. Schon seit vielen Jahrzehnten ist es möglich Bilder zu fälschen. Früher war dies ein sehr aufwändiger Vorgang und erforderte eine Menge differenzierter Fähigkeiten. Durch die Erfindung spezieller Computerprogramme (Photoshop etc.) wurde dies dann wesentlich einfacher und auch für den Hausgebrauch möglich.
Seitdem wird die Welt mit ver- oder gefälschten Bildern milliardenfach geflutet.
Doch auch dafür musste man bis vor kurzem mit den Programmen einigermaßen arbeiten können.
Durch neue Internetprogramme gibt es den nächsten Schub, den nächsten Technologiesprung.
Jetzt ist es möglich durch die Eingabe von wenigen Parametern ein Bild zur Gänze künstlich erzeugen zu lassen. Bezeichnet werden diese Programme als „KI“ also „Künstliche Intelligenz“, was auch wieder irreführend ist, weil sie nur rechnen können, allerdings sehr schnell und unter Zuhilfenahme des Scannens des Internets.
Diese Programme sind derzeit (Stand 2025) noch leicht fehlerhaft, die künstlichen Bilder sind als solche noch recht gut erkennbar, die Programme schaffen etwa die Darstellung von Händen und Fingern noch nicht sehr gut.

Wenn man jedoch Internetforen durchstöbert, fällt etwas auf: Sehr viele Menschen, oft die Mehrheit in einem Forum, glauben an die Echtheit der gefälschten Bilder, auch wenn diese offensichtlich nicht der Realität entspringen. Sie wollen die Hinweise auf die Fehler gar nicht hören, lieber glauben sie an die Illusion.
Was ist daran so faszinierend? Letztlich dürfte es funktionieren, weil den Menschen die Erfüllung ihrer Träume versprochen wird. Sie wollen daran glauben, so wie Menschen an Horoskope glauben wollen.
Sie sehen etwa Bilder von perfekt schönen Frauen. Dass es diese gar nicht gibt, wird nicht zu Kenntnis genommen. Wer die Echtheit anzweifelt, wird erbittert bekämpft, beschimpft oder ignoriert.
„D´Leit woin d´Woarheit hoid ned wissen und so wer i hochkant ausseg´schmissn“ hat Georg Danzer gesungen.

Das ist jetzt der neue Zauberspiegel: Ich kann mir von Midjourney oder ähnlichen Programmen Wünsche erfüllen lassen. In der Pornoindustrie hat das letztlich sogar einen skurrilen Vorteil, sofern dieser auch realisiert wird: Es ist nicht mehr notwendig echte Frauen zu missbrauchen, man kann sie jetzt künstlich erzeugen.
Die Faszination des neuen Zauberspiegels ist für manche Menschen fast grenzenlos, vor allem, weil er inzwischen im Handy gelandet ist. Immer mehr Menschen starren in die kleinen Bildschirme und nehmen ihre Umwelt eingeschränkt oder gar nicht mehr wahr. Wenn sie dann noch Kopfhörer tragen (das ist inzwischen überall zu beobachten), sind sie fast zur Gänze von der Umwelt entkoppelt.

Das ermöglicht auch neue Formen der Manipulation. Künstlich erzeugte Videosequenzen von Politikern, die irgendetwas Schändliches tun, werden nicht auf ihre Echtheit überprüft. Wenn die Menschen dann auch noch ihr Wahlverhalten danach ausrichten, ist die Manipulation perfekt, weil sie von den Manipulatoren direkt in die echte Welt transferiert wird.

Das funktioniert aber nur, weil sehr viele Menschen inzwischen in einer Bequemlichkeitswelt leben. Sie sitzen daheim am Computer oder Handy, lassen sich alle benötigten Waren liefern und konsumieren viele Stunden am Tag das grenzenlose Angebot im Internet.
Die technische Entwicklung ist inzwischen so rasant, dass die Sozialforschung nicht mehr nachkommt und eventuelle Gefahren nicht mehr rechtzeitig erkannt werden.
Ein Beispiel sind Videos für Kinder am Handy. Sie sind so einfach und praktisch zu handhaben, dass immer mehr Eltern ihre Kinder damit ruhigstellen, um ihren eigenen, oft sehr stressigen Alltag bewältigen zu können. Das betrifft vor allem Eltern, die selbst schon in der Bequemlichkeitswelt aufgewachsen sind und gar nichts anderes mehr kennen.

Über bestimmte Programme (YouTube, Tiktok etc.) lässt man die Kinder Videos sehen. Im Laufe der letzten Jahre sind diese Videos immer kürzer geworden, weil die Kinder ihre Aufmerksamkeitsspanne verringert haben. Noch 2023 waren die Videos zwischen fünf und zehn Sekunden lang, heute stehen wir bei ca. 1,5 Sekunden.
In dieser Zeit lassen sich keine Inhalte mehr vermitteln, es sind einfach schnell wechselnde, bunte Bilder.
Die Anbieter dieser Bilder scannen die Verweildauer, bis ein Kind zum nächsten Video weiterwischt. Dieser Vorgang ist maximal vereinfacht worden, eine kleine Bewegung mit dem Finger reicht.
Wenn die Kinder schneller wegwischen, also ein 30-Sekunden-Video nur bis zur Sekunde 15 ansehen, dann werden ihnen nach einiger Zeit nur mehr 15-Sekunden-Videos angeboten.
Wie weit diese Entwicklung noch geht, lässt sich schwer abschätzen. Vielleicht ist es in ein paar Jahren nur mehr ein flimmernder Brei, der von den Kindern mit den Augen gefressen wird.
Besonders erstaunlich wäre das wohl nicht, in anderen Lebensbereichen gibt es diese Entwicklung auch. Ein Beispiel ist das Ultra-Fast-Shopping. Jugendliche gehen in ein Bekleidungsgeschäft und kaufen sich neue Sachen. Die werden kurz anprobiert und dann bezahlt. Nach dem Kauf werden sie entweder sofort entsorgt oder – im Idealfall – mit anderen getauscht.
Danach gehen sie wieder in das Geschäft und kaufen die nächsten Sachen. Das klingt absurd, ist aber das gängige Modell und auch Ziel der Bekleidungsindustrie. Sie verdient damit unfassbare Mengen an Geld.
Die Frage, woher die Jugendlichen das Geld dafür haben, ist sinnlos. Die Bekleidung wird unter maximaler Ausbeutung von Mensch und Natur extrem billig hergestellt und kann daher auch sehr billig verkauft werden – eine Hose etwa ist um 4,90- Euro erhältlich, T-Shirts noch wesentlich billiger. Die Transportkosten sind niedrig und die Firmen müssen auch keine Entsorgungskosten zahlen, da dies auf die Allgemeinheit abgewälzt wird. Industrie und Handel befeuern diesen Trend noch zusätzlich, indem sie die Frequenz der neuen Kollektionen immer mehr verkürzen, ähnlich wie die Dauer der angesprochenen Videos. Wenn es früher eine jahreszeitlich gestaffelte Mode gab, bieten manche Hersteller inzwischen wöchentlich oder sogar noch öfter neue Kollektionen an.
Diese Kleidungsstücke müssen auch keinerlei Qualitätskriterien genügen, da sie sowieso nie getragen werden.
Die Ausbeutung der Menschen und der Natur spielt keine Rolle, der Trend geht derzeit sogar in die Gegenrichtung, gut gesteuert durch die Industrielobbies und in Folge durch Politik und Medien. Es sieht so aus, dass die Wegwerfgesellschaft gewonnen hat, zumindest vorübergehend.

Auf einer anderen Ebene setzt sich ein Pendant zum Zauberspiegel durch: wunscherfüllende KI-Programme, das berühmteste ist ChatGPT.
Man gibt eine Frage ein oder stellt eine Anforderung (in der Fachsprache „Prompt“) und schon bekommt man ein Ergebnis, oft binnen weniger Sekunden, in Zukunft wahrscheinlich noch kürzer.
Die Programme analysieren die Worte, durchsuchen das Internet und erstellen aufgrund von Rechenoperationen ein Ergebnis.
So kann man etwa eine Recherche durchführen oder sich eine Diplomarbeit schreiben lassen. Man muss lediglich ein wenig üben, bis man die Fragen optimal formuliert. Das ist aber auch das Einzige, was man lernen bzw. können muss.

Das ist unglaublich praktisch, vor allem weil es oft Wissenschaft simuliert. Darin liegt auch die größte Gefahr, denn es gibt genau genommen keine echte Recherche mehr, keine Überprüfung auf wahr und unwahr, denn die Rechenprogramme wissen nicht, was „wahr“ und „unwahr“ ist, auch bei „richtig“ und „falsch“ versagen sie. Sie können lediglich zählen, wie oft etwas im Internet vorkommt und dann statistisch nach Wahrscheinlichkeitsrechnung entscheiden. Aber selbst diese Entscheidung ist nur eine Rechenoperation.

In den neuen Zauberspiegeln wird nach wie vor nach der Wahrheit gesucht, allerdings unterliegt man der Herrschaft der Internetkonzerne, die für die Menschen bestimmen, was wahr und was falsch ist.
„Was du auf Google nicht findest, gibt es nicht“ heißt ein – inzwischen schon alter – Spruch. Es war zwar vor der Internetzeit auch nicht immer leicht etwas zu finden, aber damals hat man wenigsten noch verschiedene „Anbieter“ konsultiert – Bibliotheken, Fachjournale, Karteien etc. Man konnte vergleichen, sich ein Bild machen und dann differenziert entscheiden.
Heute schaut man sich die erste Seite einer Google-Recherche an und das war´s.
ChatGPT geht hier noch einen Schritt weiter, das Programm übernimmt die gesamte Suche samt Einschätzung der Ergebnisse. Es lässt keine Recherche mehr zu, keinen Blick nach links oder rechts.
Durch die gefällige Formulierung simulieren diese Programme, dass irgendwo eine Art Mensch sitzt, der das schreibt. Erstaunlich viele Menschen fallen darauf herein, eventuell weil die Bequemlichkeit keine anstrengende Suche nach Alternativen erlaubt, eventuell weil die Täuschung so gut gemacht ist: Wenn es so aussieht, als hätte es ein Mensch gemacht, dann glaubt man das auch gerne, allzu gerne.
Man vertraut der Maschine, weil sie vertrauenerweckend gebaut ist.
Man vertraut der Maschine, weil es so einfach ist.
Man vertraut der Maschine irgendwann, weil man gar nichts anderes mehr kennt.

Das lässt sich gut beim Wandern in der Natur zeigen. Früher musste man sich mit Karten orientieren, heute verwendet man ein Programm am Handy („bergfex“ ist eines davon). Das hat enorme Vorteile, denn am Handy kann ich ständig sehen, wo ich bin. Die Ortung ist auf wenige Meter genau, ich kann damit kleine Pfade und Abzweigungen finden, was äußerst praktisch ist. Es ist auch leichter sich nicht zu verirren, wenngleich dafür Restfähigkeiten von früher durchaus hilfreich sind.
Die Nachteile sehen wir erst, wenn es zu einer Störung kommt. Das Handy fällt runter und ist kaputt. Dann finden wir den Weg nicht mehr und können auch keine Hilfe holen, zumindest wenn wir alleine unterwegs sind oder kein Zweithandy dabeihaben.
Oder der Akku ist leer, oder es gibt keinen Empfang – in all diesen Fällen ergibt sich eine sofortige, manchmal ernste Krise. Die Bergrettungen können Lieder davon singen.
Eine Landkarte braucht keinen Strom und kein Internet. Wer einmal versucht hat im strömenden Regen den Touchscreen seines Handys zu bedienen, kennt die Schwächen des Systems. Eine Karte funktioniert immer, sofern man sie nicht verliert und lesen kann.

Es gibt auch Menschen, die nicht für die Bequemlichkeitsmaschine anfällig sind, aber es werden immer weniger und sind inzwischen so weit, dass sie keine Rolle mehr spielen, weil das Geld mit der Mehrheit verdient wird.
Das Geld, das die Maschinen am Laufen hält.

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