7 Stufen der Klimakrisenleugnung

Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten die Klimakrise zu leugnen. Viele beinhalten das Gefühl, eh nicht zu leugnen, was aber nicht der Realität entspricht. Es handelt sich um Selbsttäuschung. Alle sieben Stufen sind Leugnung der Klimakrise, sonst gar nichts.

1.) Es gibt keinen Klimawandel

Er wird zur Gänze geleugnet. Das Klima ist normal, war immer so und wird immer so sein. Es gibt auch keine negativen Auswirkungen, Wetterphänomene sind auch normal und es gibt maximal eine Hysterie von Menschen, Menschengruppen, Systemen oder „Mächten“, die einem etwas einreden wollen, was es gar nicht gibt.
Es sollte daher nichts unternommen werden, denn das wäre im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv, in jedem Fall ist es eine Gefahr für das Wirtschaftswachstum.

2.) Es gibt zwar einen Klimawandel, aber der ist ganz normal

Es gab ihn immer und es gibt ihn derzeit auch. Es stimmt, dass Gletscher schmelzen und Klimawandelphänomene auftreten. Das ist aber kein Grund zur Beunruhigung, ganz normal und hat für die Menschen keine Bedeutung, außer dass es da und dort ein wenig andere Bedingungen gibt. Das dauert eine Zeit und entspricht ganz normalen Zyklen. Im Mittelalter war es auch schon einmal warm. Woher es derzeit kommt? Keine Ahnung, wahrscheinlich Sonnenflecken. Es gibt keinen Beweis dafür, dass irgendetwas daran von Menschen verursacht wurde oder wird. Es geht vorbei und wird uns nur marginal betreffen. Wir können nichts dagegen tun und sollten daher auch nichts dagegen tun.

3.) Es gibt einen Klimawandel, er ist auch krisenhaft, aber ganz natürlich

Wir müssen uns darauf einstellen, uns gegen die Folgen wappnen, etwa indem wir höhere Dämme bauen und mehr Schneekanonen fürs ungestörte Skivergnügen einsetzen. Wir können aber sowieso nix dagegen tun, dass er stattfindet und brauchen unser Verhalten daher nicht ändern – wir haben ohnehin keinerlei Einfluss darauf. Kleine Anpassungen sind okay, sofern sie die Wohlstandsgesellschaft nicht betreffen.

4.) Es gibt eine Klimakrise, wir sind auch ein wenig Schuld daran, können aber nichts mehr tun

Ja, wir haben in den letzten hundert Jahren sicher auch beigetragen, aber es ist jetzt soweit, dass wir nichts mehr tun können. Daher brauchen wir weder unser Konsumverhalten noch unser Umweltschutzverhalten ändern, weil es nichts mehr bringt. Der Zug ist abgefahren, am besten schützen wir uns vor den Folgen und genießen wir das Leben, so lange es noch geht. Wahrscheinlich können wir uns aber auch gegen die Folgen nicht schützen und sollten daher weder Geld noch Anstrengung vergeuden.

5.) Es gibt eine Klimakrise, dagegen kann auch was getan werden, aber nicht von uns

Wir sind ein kleines Land, verantwortlich lediglich für einen so winzigen Teil des Drecks, dass wir gar nichts ändern müssen, weil wir eh nichts bewirken können, wenn wir jetzt weniger mit dem Flugzeug fliegen. Andere fliegen noch mehr, da macht unser Beitrag auch nichts mehr aus. Also weiter wie bisher.
Zu tun ist nichts, aber es ist okay, wenn andere was tun. Da wir nicht verantwortlich sind, trifft uns auch keine Verantwortung für die Folgen und daher darf und wird es uns auch nicht betreffen. Wir sind hier in Österreich auf einer kleinen, sicheren Insel und wir müssen lediglich schauen, dass keine Schmarotzer zu uns kommen.

6.) Wir könnten was gegen die Klimakrise tun, aber es ist zu kompliziert

Es wäre schon möglich relevante und wirksame Schritte zu setzen. Aber wir würden der Wirtschaft schaden und unserem Wohlstand. Das ist auch politisch nicht durchzusetzen, leider können wir da gar nichts tun. Daher können wir einfach so weiterleben, es bringt nichts, was anderes zu versuchen.
Andere sollten aber unbedingt was dagegen tun, und zwar so, dass uns die Folgen möglichst wenig betreffen.

7.) Wir können und werden etwas gegen die Klimakrise tun – nur nicht jetzt schon

Es muss unbedingt was getan werden, auch von uns, aber derzeit haben wir noch nicht die Technologie dafür, daher müssen wir abwarten, bis irgendwann in der Zukunft Menschen etwas entwickelt haben. Das wird sicher der Fall sein, daher können wir jetzt noch nichts tun und sollten das auch nicht, denn das wäre ein Schnellschuss, der nichts bringt und uns möglicherweise sogar gefährdet. Wir könnten in einen Wettbewerbsnachteil kommen und das könnte unserer Wirtschaft schaden.
Außerdem haben wir noch alle Zeit der Welt, um zu warten, weil draußen ist es eh kalt bzw. schön bzw. keinerlei Krise zu sehen.
Wir können und sollen auch schon vorarbeiten, aber für konkrete Schritte ist es viel zu früh, das würde nur Menschen verschrecken.

Und nach Corona?

Vor weit über hundert Jahren hatte die damals noch junge Firma Dupont eine Sprengstofffabrik, in der es häufig Unfälle gab, mit Toten und Verletzten. Man bekam dieses Problem erst in den Griff, als man die Vorarbeiter samt ihren Familien mitten in der Fabrik ansiedelte. Danach sanken Anzahl und Schwere der Unfälle drastisch.

Wir haben es hier mit einem Widerspruch zwischen Chance und Risiko zu tun. Die Chance bestand darin, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Gewinn zu erzielen, das Risiko in den Unfällen.
Die Vorarbeiter waren für den Arbeitsablauf verantwortlich, mussten die Risiken aber nicht oder fast nicht mittragen. Erst als ihre Familien Teil des Risikos wurden, waren sie bereit auf einen Teil des Gewinns zu verzichten und Sicherheitsmaßnahmen einzuführen, die letztlich dazu führten, dass die Firma Dupont ein relevanter Player in der Sicherheitstechnikbranche wurde.

Was hat das mit Corona zu tun?
Menschen fühlen Risiken nicht, wenn sie davon nicht selbst betroffen sind und sind daher auch nicht bereit, diese Risiken mit eigenem Aufwand zu minimieren. Und sie sind auch selten bereit ihr Handeln zu verändern, wenn die Beibehaltung keine Konsequenzen mit sich zieht. Wenn ein Manager oder eine Managerin eine Firma an die Wand fährt und dafür auch noch einen Bonus bekommt, wird er/sie daraus maximal lernen, es das nächste Mal wieder so zu machen.

Corona zeigt uns jetzt die eigene Beteiligung, indem klar wird, dass wir es sind, die die Viren verbreiten, und zwar durch unsere Ansprüche an die Globalisierung. Zugleich wollen wir unsere Gewohnheiten, vor allem aber Luxus und Bequemlichkeit nicht einschränken. Jemand hat im Internet geschrieben, dass Corona uns in Hausarrest schickt, wie Kinder, die darüber nachdenken sollen, was sie falsch gemacht haben.
Luxus war ursprünglich das Besondere, das seinen Reiz durch den Mangel in der Normalität bekam. Das Zeichen war der Preis. Heute haben wir den Anspruch auf billigen Luxus für alle, mindestens aber für uns selbst.
Dass das nicht lange gut gehen kann, zeigt das alte Handwerkerbeispiel: Der ideale Handwerker soll schnell, günstig und gut sein. Dummerweise gibt es diesen Handwerker nicht – wer schnell und günstig ist, liefert meistens qualitativen Pfusch ab. Wer schnell und gut ist, hat seinen Preis und wer günstig und gut ist, braucht dafür ewig.
Corona deckt unseren Egoismus auf, getarnt als gesellschaftlich hoher Wert des Individualismus, gefördert durch die neoliberale Ideologie des Rechts des Stärkeren. Begründet wird das mantrahaft damit, dass es „der Markt verlangt“ und es daher so etwas die ein Gesetz wäre. Gerne sprechen die Vertreter dieser Ideologie auch vom „Gesetz des freien Marktes“.

Zugleich sind wir mit einer ganzen Reihe an Überhitzungen konfrontiert. Vielleicht ist es auch kein Zufall, jedenfalls aber eine Ironie des Schicksals, dass uns die Erde dafür Überhitzung liefert, deren Folgen wir nicht entkommen, auch wenn wir wollen.

Das betrifft vor allem zwei Bereiche: Reisen und Warenproduktion.

1.) Reisen

Sehr viele Menschen finden es „cool“ übers Wochenende nach London, Paris oder Mailand zu fliegen, oder eine Woche nach Dubai, drei Wochen nach Australien oder zum Meeting nach Berlin, New York oder sogar Peking.
Wir (mich nicht ausgenommen) haben uns daran gewöhnt, dass Reisen – genauer: Flugreisen – zu unserem Leben, unserer Kultur, unserem Standard, ja sogar Mindeststandard gehören. Jegliche Einschränkung dieser „Freiheit“ wird als unnötige Schikane empfunden, bei der uns jemand Freiheit wegnehmen will. Da werden sofort niedere Motive unterstellt, ähnlich wie bei der Parkraumbewirtschaftung („Abzocke“) und wir empfinden es als ungerecht, vielleicht auch, weil uns die Werbung seit Jahrzehnten suggeriert, dass wir alles verdienen, was es auf dieser Welt an Luxus und Freuden gibt.
Entscheidend ist jedoch, dass diese Einschränkungen sogar empfunden werden, wenn die Preise für den Luxus steigen, denn erstens empfinden wir diese Freiheiten nicht mehr als Luxus, sondern als Normalzustand und zweitens gewöhnen wir uns an die niedrigen Preise und empfinden sie ebenfalls als normal.
Sobald sie dann steigen, sind sie logischerweise abnormal und das soll, darf, kann nicht sein. Bei der Suche nach Schuldigen ist schnell wer gefunden, aber auch bei der Suche nach der Rettung ist der Messias nicht weit: der „freie Markt“ – er soll garantieren, dass jeder Mensch das angesprochene Recht auf uneingeschränkten Luxus jederzeit und überall und ohne irgendwelche negativen Konsequenzen ausüben kann.
Eine Einschränkung – welcher Art auch immer – wird als Angriff auf die eigenen Rechte empfunden und man behält sich rechtliche Maßnahmen vor.
Wenn also im Urlaubsort das Hotel nicht ganz den Erwartungen entspricht, wird eine Klage überlegt. Wenn der Flug sich um eine Stunde verspätet, ist das Grund zu grenzenloser Empörung.
Das Problem liegt darin, dass wir uns sehr schnell an Normalitäten gewöhnen, wenn sie auf dem Weg der Bequemlichkeit erreicht werden, uns aber sehr schwer tun mit neuen Normalitäten, die aus Einschränkungen entstehen.
Wir glauben an ein Recht der ständigen Verbesserung unserer Bequemlichkeit, zu der Luxus und unendlicher Konsum zählen. Die Auswirkungen des alten Werbespruchs „ich will alles, und das jetzt gleich“ sehen wir an Entwicklungen, die von einiger Distanz aus betrachtet nichts weniger als pervers erscheinen. Dazu gehören Kreuzfahrten, moderne Skigebiete mit Kunstschnee, Gletscherskilauf im Sommer, Wellness-Oasen auf Bergspitzen und noch vieles mehr.
Die Spitze des Eisbergs stellt sicher die Skihalle in Dubai dar, aber auch die Ressorts auf den Malediven bemühen sich sehr um maximalen ökologischen Fußabdruck. Hier wird die Überhitzung einer ursprünglich begrüßenswerten Entwicklung sehr deutlich, denn Tourismus selbst entstand aus dem Entdeckungsdrang der Menschen.

Den Preis dafür zahlen Angestellte in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen und natürlich die Umwelt. Den genussgewohnten Konsument*innen wird das jedoch tunlichst nicht unter die Nase gerieben und wenn, dann tritt obiger Mechanismus in Kraft und Empörung macht sich breit, man redet von einer „Verbotskultur“ und fühlt sich total im Recht.

Und jetzt ist auf einmal alles anders. Natürlich versuchen wir die Bequemlichkeit und Normalität zu retten, aber das wird jeden Tag schwieriger. Zu Beginn des Lockdowns im Frühling 2020 fühlten sich viele Menschen daheim wohl. Das hat sich im Laufe der Pandemie geändert.

2.) Warenproduktion

Lange Gesichter gibt es dort, wo Medikamente auf einmal nicht mehr vorhanden sind und Apotheker oder Arzt nur bedauernd den Kopf schütteln und meinen, sie wüssten auch nicht, wann das wieder lieferbar sein wird.
Der Großteil der Medikamente kommt nämlich aus China und wurde im Lockdown nicht oder verspätet geliefert. Dummerweise haben einige Pharmafirmen stets damit geprahlt, dass sie hier bei uns produzieren. Nur hat das halt nicht gestimmt.
Noch sind die meisten Warenlager voll, noch gibt es alles zu kaufen, was das Herz begehrt, wenngleich die meisten Geschäfte geschlossen haben. Noch tut das nicht weh, denn wir kaufen es halt, wenn sie wieder offen haben oder kaufen online, was ja sehr bequem ist.
Noch ist überhaupt nicht klar, wie viele Unternehmen es danach überhaupt noch gibt, der Sommer 2021 wird das wahrscheinlich deutlich machen, vielleicht noch stärker der Herbst. Das Problem liegt unter anderem daran, dass bisher schon sehr viele Unternehmen am Limit gewirtschaftet haben bzw. wirtschaften mussten, weil sie „der Markt“ dazu zwingt. Kredite konnten nur mit guten Umsätzen bedient werden, jeder kleine Umsatzeinbruch ist da und dort schon ein Insolvenzgrund.
Das „Leben am Limit“ zieht sich quer durch alle Bereiche. Angestellte haben oft keine Rücklagen, dafür aber zwei Jobs. Unternehmen haben oft ebenfalls keine Rücklagen und müssen dann genau die Angestellten hinausschmeißen, die zwei Jobs haben und brauchen, von denen jetzt einer wegfällt.
Daraus entsteht im schlimmsten Fall eine Abwärtsspirale, die sich nur schwer aufhalten lässt, bevor wir alle ganz unten angekommen sind, zumindest sofern nichts oder das Falsche unternommen wird.

Die Überhitzung zeigt sich sehr gut im Überfluss, der durch die Warenüberproduktion entstand. Wir haben uns daran gewöhnt, in einer Wegwerfgesellschaft zu leben und verteidigen diese meist mit dem Argument, dass es erstens keine Alternative gäbe und wir zweitens ja nicht zurück in die Steinzeit wollen.
In zwei Bereichen zeigt sich das besonders gut: Wir werfen Lebensmittel weg, die vollkommen in Ordnung sind, weil ihr Wert verloren gegangen ist. Etwas, das stets überall im Überfluss zur Verfügung steht und relativ wenig kostet, verliert automatisch seinen Wert. Und wir werfen Kleidung oft weg ohne dass sie auch nur ein einziges Mal getragen wurde. Dieser Trend nennt sich „Fast shopping“ und wird seitens der Industrie auf vielfältige Weise unterstützt. Es gibt z.B. nicht mehr eine Frühjahrs- und eine Herbstmode, sondern monatlich wechselnde Kollektionen, teilweise sogar bereits wöchentlich.

Was ist das für ein System, das jetzt blitzschnell an seine Grenzen zu kommen scheint? Und was passiert danach?
Im Idealfall lernen wir daraus und ändern unser System, das sich in so einer Situation als – teilweise – fehlerhaft herausstellt, weil es an Resilienz fehlt.
Das betrifft z.B. folgende Bereiche:

Abhängigkeit durch die Globalisierung

Der Großteil unseres Wohlstands bzw. der Ressourcen, die wir dafür brauchen, ist importiert. Das betrifft die Energie, die Rohstoffe, aber auch die fertigen Waren, die zum Großteil woanders erzeugt werden, weil das billiger ist. Bisher – und das ist für eine spätkapitalistische Gesellschaft sicher typisch und in diesem Sinne auch ganz normal – ging es ausschließlich um den Preis.
Das betrifft auch in vollem Umfang unser Gesundheitssystem. Als meine Mutter starke Schmerzen im Bein hatte, wurde eine Hüftoperation fällig. Der Arzt meinte, ein Termin würde 4-6 Monate dauern. Wenn sie es selbst zahlt, ist sie nächste Woche dran.
Wer genügend Geld hat, kann sich gute Versorgung leisten. Die anderen haben Pech gehabt bzw. nicht genug geleistet, wobei als Leistung nur zählt, was mit Geld entlohnt wird, also die Erwerbsarbeit.

Glücklicherweise sind wir noch nicht ganz dort angelangt, auch wenn die neoliberalen Kräfte das versuchen durchzusetzen. Dazu gehört auch die Grundversorgung mit Lebensmitteln und Wasser. Wie damit umgegangen wird, ist eine politische Entscheidung, genauso wie die 2-Klassen-Medizin. Die Commons-Bewegung hat an dieser Stelle die Forderung nach vier Bereichen erstellt, die vergemeinschaftet werden sollten: Boden, Arbeit, Geld und Wissen. (Für die genaue Aufarbeitung dieses Themas braucht es einen eigenen Beitrag.)

Zurück zur Globalisierung. Die ausschließlich profitorientierte Wirtschaft sucht sich immer den Ort, an dem die Kosten am niedrigsten sind und so geraten die einzelnen Länder, Kontinente und Regionen in Wettbewerb: Wer bietet die niedrigsten Kosten? Dabei sind zwei Faktoren ausschlaggebend: Die Lohnkosten und die Kosten für den Umweltschutz. Wer also die Ausbeutung von Mensch und Umwelt zulässt, gewinnt.
Damit diese Globalisierung der Märkte auch funktioniert, müssen die Transportkosten weltweit niedrig gehalten werden. Das hat etwa zu den ersten großen Öltankerkatastrophen geführt, weil die Tanker aus Kostengründen einwandig gebaut wurden. Bis heute hat sich nicht viel geändert, die Frachter fahren mit dem billigsten Treibstoff, den es weltweit gibt. Der ist deswegen so billig, weil keinerlei Umweltkosten eingepreist sind. D.h. wer mit Schweröl fährt, vergiftet die Umwelt, ohne dafür bezahlen zu müssen.
Es gibt für die internationale Seefahrt keinerlei Beschränkungen (der berühmte „freie Markt“) und daher ein Maximum an Umweltverschmutzung, weil ja jeder die billigste Variante wählt. Derzeit sieht es so aus, als ob das auch noch lange so bleiben wird.

Was wir also lernen können, wenn wir wollen:
1.) Wie wichtig Gesundheit für ein gutes Leben ist und dass es dafür ein leistungsfähiges System braucht, das auch was kostet.
2.) Egoismus funktioniert nur kurzfristig.
3.) Lokale bzw. regionale Produktion aller lebenswichtigen Güter ist sinnvoll.
4.) Entschleunigung schadet nicht.

Kommen wir zu den Lösungsansätzen einer PVÖ, einer „Post-Virus-Ökonomie“.
Über diesen Begriff wurde viel diskutiert, etwa weil man für ein positives Bild nicht so negative Begriffe wie „Virus“ verwenden sollte. Letztlich überwiegt aber ein Argument, nämlich dass der Begriff sofortige Klarheit schaffen soll, worum es geht.

Neudefinition des Glücks

Derzeit gibt es in unserer Gesellschaft einen dominanten Glücksbegriff, nämlich den des Konsumglücks. Je mehr ich kaufe und je mehr ich besitze, desto glücklicher bin ich.
In der Glücksforschung stellt sich das differenzierter dar, nach Herbert Laszlo gibt es drei Formen von Glück:
a.) Der Zustand innerer Zufriedenheit, ähnlich dem altgriechischen Begriff der „Eudaimonia“.
b.) Emotionale Glücksmomente, etwa wenn die Mutter ihr Baby lachen sieht.
c.) Fortuna, also das Glück etwa im Spiel.

In der Überhitzung unserer Konsumglücksgesellschaft, in der wir vor allem „Keep it up with the Jones“ spielen, erreichen wir maximal den kurzen Adrenalinausstoß, den uns ein Kauferlebnis bringt, angeblich ganze sieben Sekunden lang. Dann brauchen wir das nächste Erlebnis – das ist übrigens einer der Motoren des „Fast Shoppings“.
Ach ja: „Keep it up with the Jones“ ist ein US-amerikanischer Begriff. Die Familie Jones sind die Nachbarn, deren Konsum ich nacheifere und ständig glaube übertreffen zu müssen. Wenn Herr Jones ein neues Auto hat, brauche ich auch eins, am besten ein größeres, schöneres als er. Herr Jones sieht das übrigens genauso und Frau Jones ebenfalls.

Wie könnte ein moderner Glücksbegriff aussehen?
Jedenfalls kommt Eudaimonia wieder ins Spiel und führt zu einer Neugestaltung unserer Zeit. Derzeit verwenden und leben wir von den beiden Zeitbegriffen der alten Griechen nur einen einzigen, nämlich „Chronos“, die Quantität der Zeit. Alles wird in Monate, Tage, Stunden, Sekunden eingeteilt und treibt uns vor uns her. Gemessen wird mit Chronometern.
Der andere Begriff ist der des „Kairos“, was so viel bedeutet wie „der richtige Augenblick“. Es handelt sich hier um die Qualität der Zeit, also um den Genuss des Hier und Jetzt.
Statt Dingen bringen uns Menschen das Glück, also die Geselligkeit, auch der gemeinsame Genuss des Besonderen, der gemeinsame oder auch einsame Müßiggang, idealerweise in der Natur, die unseren Puls zu senken vermag, speziell im Wald.
Vielleicht schenkt uns die Corona-Krise ja auch einen neuen Blick auf Gesundheit, und zwar jenseits der individuellen Ebene. Wir können uns als Teil einer gesunden Gemeinschaft verstehen und sind bereit, Gesundheit umfassender zu denken. Das führt uns weg vom ungesunden Egoismus hin zu einer modernen Form einer sozialen Ordnung. Die Begriffe Kommunitarismus, Commons und Almende stehen plötzlich vor der Tür und wollen herein. Ihnen folgen in Zukunft wohl noch einige andere.
Essen und Trinken bekommen einen neuen Stellenwert, weil es nicht mehr alles immer und überall gibt und wir lernen, dass wir alles immer und überall zu unserem Glück gar nicht brauchen. Qualität will genossen werden, dazu muss sie als solche erkennbar sein, etwa durch klare Herkunftsnachweise. Der Sonntagsbraten ist wieder dem Sonntag zugedacht, was der Gesundheit der Gemeinschaft gleich auf mehreren Ebenen zuträglich ist.
Das Glück ist immer auch das Glück der anderen. Dazu brauchen wir aber sozialen Ausgleich und der beginnt mit einer gerechten Verteilung der Güter, die wiederum auf der Wertigkeit des Menschen aufbaut.
Natürlich gibt es nach wie vor individuellen Reichtum und auch eine ungleiche Verteilung der Güter, aber nicht in der derzeitigen Überhitzung.

Neudefinition des Wachstums

Die Post-Virus-Ökonomie ist auch eine Post-Wachstums-Ökonomie. Nein, das führt uns nicht in die Steinzeit zurück, wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob an dieser viel beschworenen Zeit alles so schlecht war. Aber es steht sowieso nicht zur Debatte.
Wir folgen jetzt den Ideen von Leopold Kohr, der das richtige Maß eingefordert hat, und war von allem und somit auch von allen.
Er meinte, alles auf dieser Welt soll bis zu seiner idealen Größe wachsen. Diese ist aus der Natur der Dinge gut erkennbar, wenn man erkennen will. Nichts soll darüber hinaus wachsen, weil es dann pervers wird, und nichts soll unter seiner idealen Größe bleiben, weil es sonst verkümmert.

Wenn wir diesem Grundsatz folgen und etwa das Design der Dinge bzw. unseres Lebens danach gestalten, wäre das nicht weniger als ein Paradigmenwechsel. Ob wir dafür bereit sind oder noch eine zweite Pandemie plus eine Verschärfung der Klimakrise brauchen, wird die Zukunft zeigen.

Die Philosophie des Virus

Eine philosophische Betrachtung der Corona-Pandemie

Der französische Filmemacher Alain de Halleux nennt seinen Film über Corona „Sand im Weltgetriebe“ und legt damit den Finger auf die Wunde der Wachstumsideologie. Wir haben unsere Systeme ausgereizt, mindestens was die Ausbeutung von Mensch und Natur betrifft, im religiösen Sinne könnte man sagen, wir haben uns versündigt.

Um die Komplexität des Themas zu verstehen, müssen wir es auf mehreren Ebenen betrachten. Der Film hat mir dabei geholfen und mich vielfach inspiriert.

ERSTE EBENE: DAS VIRUS SELBST

Es (das Virus – oder der Virus?) ist angeblich nicht lebendig, weil es kein eigenes Stoffwechselsystem hat, es ist nur ein genetischer Code, oder – optisch dargestellt – eine Kugel mit einer Art von Stacheln, vergleichbar mit einer Treibmine.
Es ist winzig klein, Teil einer unsichtbaren Welt, in Relation so groß zu uns wie wir zur Welt. Es entsteht, verändert sich und zeigt doch so etwas wie ein eigenes Leben, in jedem Fall eine eigene Existenz. Es ist bedrohlich, hartnäckig, bekämpfbar, vielleicht sogar ausrottbar. Es existiert in vielen Formen und gehört zu unserem Leben.

Seine Variante Covid-19 hat die erste echte, weltweite Pandemie unserer Zeit ausgelöst. Dieses Virus und noch viele andere befallen lieber den Menschen als eine aussterbende oder stark dezimierte Gattung oder Art wie den Königstiger oder das Rentier. Es sucht sich die erfolgreichste und am weitesten verbreitete Gruppe von Lebewesen, um sie zu befallen. Es braucht lebende Zellen, um sich zu vermehren, um überhaupt zu existieren.
Für das Virus sind wir die Welt, so wie die Erde für uns die Welt ist, die wir befallen, in Besitz nehmen, verändern und zerstören. Wenn wir das geschafft haben, gehen wir genauso zu Grunde wie das Virus, wenn es seine gesamte Wirtspopulation ausgerottet hat.

Der Unterschied zwischen uns und dem Virus besteht eigentlich nur darin, dass wir die Wahl haben, wie wir mit unserer Welt umgehen.

„Luft… Luft! Das ist euer einziger Gedanke. Und während ich eure Lungen zerstöre, zerstört eure Maschine die Lunge der Erde. Das ist unser beider Dilemma. Wir leben von der Zerstörung und töten am Ende, was uns am Leben erhält“ sagt das Virus in dem Film.

Wer ist gefährlicher für das Leben der Menschen? Das Virus Covid-19 oder der Mensch selbst? Und wer ist verantwortlich für die derzeitige Corona-Situation mit Wirtschaftseinbrüchen, Depressionen, Armut und einer Vielzahl weiterer Folgen? Das Virus ist nur eines von tausenden Viren, die es in unserer Welt gibt und mit denen wir seit Anbeginn der Menschheit leben müssen.
Was ist das Besondere an gerade diesem Virus? Was ist der Unterschied zu anderen Viren?

ZWEITE EBENE: DAS VIRUS UND DIE WELT

Es ist nicht unbedeutend, ob das Virus in einem geheimen Labor im chinesischen Wuhan gezüchtet wurde oder von einer Fledermaus bzw. dem Schuppentier Pangolin stammt und auf einem Tiermarkt auf den ersten menschlichen Wirt übertragen wurde. Genau genommen ist es jedoch nur dann von zentraler Wichtigkeit, wenn alle bisherigen Viren (Grippe, Ebola, SARS, MERS etc.) künstlich gezüchtet wurden. Das wäre dann eine vollkommen andere Ausgangslage, als wenn die zweite Art des Ursprungs die Realität ist: Durch die ständig zunehmende Abholzung der Urwälder überall auf dieser Welt plus der massiven Bevölkerungszunahme geraten die bisherigen Balancen der Natur unter Druck und brechen zusammen. Dann kommt es zu vermehrtem Kontakt zwischen wilden Tieren und Menschen und irgendwo springt dann ein Virus auf einen Menschen um und verbreitet sich.
Diese Krankheiten heißen Zoonosen, weil sie von Tieren auf Menschen überspringen, auf Menschen, die dafür nicht bereit sind, weil sie nicht mehr nahe an der Natur leben.

Die Verbreitung wäre früher auch kein Problem gewesen, denn sie wäre lokal begrenzt geblieben. Selbst in frühen Globalisierungszeiten wäre das Virus nicht weit gekommen, denn nach einigen Wochen am Schiff wären entweder alle Träger gestorben oder geheilt und immunisiert in Europa oder wo auch immer angekommen.
Mit dem Flugzeug gelangt das Virus in wenigen Stunden rund um die Welt. Es sind wir, die das Virus verbreiten und es ist unsere Art zu leben.

Wir bleiben bei der zweiten Ursprungsvariante und identifizieren die Gründe für diese Pandemie.

1.) Starker Druck auf die Naturlandschaften, speziell die Urwälder, aufgrund der unkontrollierten Ausbeutung.
2.) Bevölkerungswachstum ohne geeignete Infrastruktur.
3.) Massiv ausgebauter Flugverkehr der letzten Jahrzehnte.
4.) Wenig Resilienz durch die Schwächung der Sicherheitsstrukturen

Diesen vierten Punkt gilt es zu erläutern. Die Resilienz ist die Widerstandskraft gegen Außeneinflüsse eines Systems. Die dominanten Strukturen der meisten Gesellschaften weltweit sind von zwei neoliberalen Grundprinzipien geprägt:

• Privat statt Staat – das bewirkt die Schwächung der staatlichen Strukturen.
• Nur die Stärksten sollen überleben – da in unserer Gesellschaft Stärke durch Macht ausgedrückt wird und Macht durch Geld, sollen die Reichen überleben.

DRITTE EBENE: DAS VIRUS UND DIE NATIONALSTAATEN

Als der österr. Bundeskanzler höchstpersönlich die Balkan-Route geschlossen hatte, durchströmte einen großen Teil der ÖsterreicherInnen das wohlige Wonnegefühl, das wir alle haben, wenn wir die Türe schließen und der kalte Schneesturm und mit ihm alles Grausliche draußen bleibt.
Wer am warmen Feuer sitzt, interessiert sich eher weniger für andere, die irgendwo draußen sind. Wenn diese anderen noch dazu auch gerne die wenigen Plätze rund um das wärmende Feuer hätten und wir diese anderen gar nicht kennen, wird aus dem Desinteresse klare Ablehnung.
Wer uns dann verspricht, diese anderen verlässlich draußen zu halten, bekommt unseren Applaus bzw. unsere Stimme.
Wir könnten zwar die menschlichen Eigenschaften Empathie und Mitleid auspacken, doch leider kommt uns die Behaglichkeitsdifferenz dazwischen, wie Eugen Roth treffend beschreibt:

„Ein Mensch liest, warm am Ofen hockend
Indem das Wetter nicht verlockend,
dass draußen, im Gebirg verloren,
elendiglich ein Mann erfroren.
Der Mann tut zwar dem Menschen leid,
doch steigert´s die Behaglichkeit.“
(Eugen Roth: „Traurige Wahrheit“ in: Von Mensch zu Mensch)

Dummerweise gibt es rund um das Feuer nicht genügend Holz und so müssen wir die Türe öffnen, um Nachschub zu holen. Ein Großteil unserer Konsumgüter kommt inzwischen aus Fernost, vor allem aus China. Rohstoffe bekommen wir aus Afrika und Südamerika und die Produktion der meisten Waren ist auch schon in Länder ausgelagert, in denen man billiger produzieren kann als in Europa.
Das ist äußerst bequem, denn wir verlagern die Umweltverschmutzung somit an das andere Ende der Welt und hoffen, dass sie auch dort bleibt. Zudem müssen uns die Arbeitsbedingungen am anderen Ende der Welt nicht kümmern und auch hier hoffen wir, dass die Menschen dort bleiben. Falls sie das nicht tun, kann man ja ein wenig nachhelfen. Wenn dann grausliche Bilder von zerstörten Landschaften und gequälten Menschen auftauchen, sagen wir einfach „Fake News“ dazu und müssen sie dann nicht ernst nehmen.

Und dann kam Covid19 und auf einmal mussten wir entdecken, dass unsere Behaglichkeit am Feuer gestört wird. Weil ein Mensch in China auf einem Markt ein Stück infiziertes Buschfleisch gekauft hat, dürfen wir unsere Oma nicht mehr besuchen. Der Bundeskanzler erklärt mit trauriger Miene, dass wir leider nicht zum Frisör dürfen und auch aus dem Strandurlaub in Dubai wird nichts, wenn wir nicht hinfliegen können.

Das Virus interessiert sich nicht für Nationalstaaten oder Grenzen. Es hat sich gezeigt, dass diese nicht so dicht gemacht werden können, dass sie durch das Virus unüberwindbar sind. Inselstaaten können das vielleicht eine Zeit lang, aber auch das misslingt meist. Das Virus zeigt, wie schwach unsere Identität ist, wenn wir sie auf Nationalität bauen. Die draußen, die im anderen Land sind so wie wir, deswegen können wir uns gegenseitig anstecken.
Im Frühling 2020 erwartete die Welt ein Schreckensszenario in Afrika, doch das trat nicht ein. Es stellte sich heraus, dass Covid-19 eine Krankheit alter Weißer ist, nicht junger Schwarzer. Das Virus weiß nichts von „White Supremacy“ und befällt alle. Es erwischt uns dort, wo wir auf die eigentliche, uralte Stärke des Homo Sapiens vergessen haben – die Kooperation.
Binnen kürzester Zeit brachen die Säulen der EU in sich zusammen: freier Personen- und Warenverkehr, das Defizitziel von max. 3% des BIP, aber auch die Solidarität in vielen Bereichen.
Das Virus zeigt uns, dass Abschottung nicht der richtige Weg ist.

VIERTE EBENE: DER VIRUS UND DIE GESELLSCHAFT

Schnell wird der Ruf nach mehr Freiheit laut. Wir wollen auf das Gewohnte, auf das als normal Empfundene auf gar keinen Fall verzichten und wenn, dann nur ganz kurz und möglichst wenig.
Da in unserem System das Geld der ausschlaggebende Faktor ist, gewinnen diejenigen, die das Geld haben. Ihre Bequemlichkeit wird fast nicht eingeschränkt, sie können zum Golfspielen nach Südafrika fliegen und sich Luxusgüter nach Hause liefern lassen. Sie können in ihrem großen Garten Freunde einladen und müssen sich auch nicht in enge U-Bahnen quetschen, weil in der Garage steht der Range Rover.
Selbst wenn wir nicht die Klischees strapazieren, bleibt übrig, dass das Geld regiert und die Politik dem Ruf des Geldes folgt. Auch die Entscheidungen punkto Pandemiebekämpfung werden leichter verständlich, wenn man sich ansieht, wem sie vor allem nützen.

WAS UNS DAS VIRUS ZEIGT

Es zeigt unsere menschliche Vergangenheit, aus der wir entstanden sind. Wir sind Produkte der Evolution der letzten zwei Millionen Jahre und haben Fähigkeiten entwickelt, aber auch deren Grenzen. Wir können Krisen gut bewältigen, wenn wir a.) zusammenhalten und b.) eine Perspektive haben, also ein Ende definieren oder erkennen können.

Wir sind soziale Wesen, die andere Wesen brauchen, um leben zu können. Das zeigt uns schon die Geburt, nach der wir auf fremde Hilfe angewiesen sind und ohne diese sehr schnell sterben. Unser Stress-System ist auf kurze, durchaus auch starke Stress-Spitzen eingestellt und kann diese gut bewältigen. Ein hohes Dauerbrummen an Stress macht uns kaputt und die Pandemie mit ihren ständig wechselnden Entscheidungen, den aufeinander folgenden und uns willkürlich erscheinenden Lockdowns bringen uns an Grenzen, die wir in der Größe und Art ihrer Folgen noch gar nicht einschätzen können.

Das Virus greift uns bei den Grenzen unserer Leistungsfähigkeit an, aus der die Verletzlichkeit entstanden ist. Je schneller und effizienter unsere globale Wirtschaft arbeitet, desto verletzlicher wird sie, da die Puffer längst wegrationalisiert wurden. Es gibt keine Leerräume mehr, keine Rückzugsgebiete, weder für Tiere noch für Menschen, fast jeder irgendwie nutzbare Quadratmeter ist privatisiert und kommerzialisiert. Wir haben unser Leben und die Natur ausgepresst bis zum letzten Tropfen und jetzt kommt die Dürre in Form des Virus. Und wir haben die Menschen ausgepresst, die jetzt oft mehrere Jobs brauchen um sich das Leben leisten zu können.

Die größte Verletzlichkeit ist wohl derzeit die Abhängigkeit von der Produktion lebensrelevanter Produkte durch Menschen, Unternehmen und Nationen, deren Ziel nicht das Gemeinwohl ist. Wir können das sehr gut an den Pharmafirmen erkennen, die auch in der Pandemie das tun, was sie immer getan haben: ihren Profit maximieren, die Preise durch Verknappung in die Höhe treiben und maximal erzielbare Gewinne generieren und abschöpfen.
Besonders abhängig ist Europa von China, wo fast alles produziert wird, was wir hier brauchen, von landwirtschaftlichen Produkten über jede Art von Konsumgütern bis hin zu großen Teilen der medizinischen Versorgung.
Wir haben rationalisiert und alles ausgelagert, was irgendwie möglich war.
Ganz besonders effizient, aber auch ganz besonders verletzlich ist die „Just-in-Time-Produktion“. Sie bricht bei der kleinsten Störung zusammen.
Es war in Europa zwar möglich sehr schnell eine Produktion von Schutzmasken der einfachsten Art zu entwickeln, das gilt aber nicht für komplexere Produkte oder gar technisch hochwertige Dinge wie medizinische Instrumente oder Pharmazeutika.
Es zeigt sich, dass die Schwächen globalisiert wurden, nicht die Stärken. Wenn das schwächste Glied der Kette zusammenbricht, bricht das gesamte System zusammen.

Einer dieser Zusammenbrüche zeigt sich im Gesundheitssystem, wo der Ausdruck „kaputtgespart“ wohl mancherorts seine Berechtigung hat. In einem auf Effizienz und Profitmaximierung ausgerichteten System ist die oberste Maxime die der Kosteneinsparung. Das beginnt beim Personal, geht über die medizinischen Geräte und endet beim Klopapier.
In einer Diskussion wären sich wohl schnell alle einig, dass Gesundheit wichtig ist und ein gut funktionierendes Gesundheitssystem auch Kosten verursachen darf. Nicht mehr ganz so einig wären sich die DiskutantInnen bei der Frage, wie viel es kosten darf und wer dafür zu sorgen hat, dass es funktioniert. Die einen meinen, dies müsste staatlich organisiert sein, die anderen wollen es in privater Hand sehen.
Die Pandemie kam nicht überraschend, sie wurde weltweit durch ExpertInnen vorausgesagt, die natürlich nicht wissen konnten, wo genau sie entstehen wird und wann. Einige ostasiatische Länder hatten aus den Erfahrungen mit SARS und MERS gelernt und waren besser vorbereitet, andere mehr oder weniger gar nicht.
Aber auch hier ist das Thema komplex.

Das Virus zeigt unseren gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod. Es zeigt unsere kulturellen Strukturen, unsere Grundwerte und wie wir damit umgehen. Sehr schnell tauchte ein Grundwiderspruch auf, nämlich der von jung und alt. Für die jungen Menschen ist es gut möglichst viel Freiheit zu haben, um sich gut entwickeln zu können. Jugendliche wollen sich treffen, über Kontakte mit Gleichaltrigen ihre soziale Kompetenz aufbauen, sie wollen möglichst viel differenzierte Interaktion, in der Schule, beim Mannschaftssport, in Lokalen, in Diskos, Clubs, Bars und privaten Feiern. Für sie ist jeder Lockdown schlecht.
All das verbreitet das Virus und trifft dann die Alten, die sich dagegen schlechter wehren können. Für sie ist jeder Lockdown gut.
Was ist nun wichtiger: das Leben der Jungen oder das Leben der Alten?
Mit anderen Worten: Wie viele Tote sind wir bereit zu akzeptieren?

Das Virus deckt aber noch etwas anderes auf: das Wegschauen, das Verleugnen, das Flüchten. Auch das gehört zu unserer Gesellschaft und zum Menschsein. Es zeigt unsere weniger schönen Seiten, den Egoismus, etwa bei den Hamsterkäufen oder wenn Menschen die Corona-Regeln brechen, zum Golfspielen nach Südafrika fliegen oder Parties feiern.

Das Virus zeigt die Grenzen unserer psychischen Widerstandskraft, und zwar die der Individuen und die der Gesellschaft. Nach einem Jahr Pandemie ist klar, dass Kinder und Jugendliche zum Teil stark betroffen sind, die Kliniken und Ambulanzen platzen aus allen Nähten: Angststörungen, Depressionen, Suizid, aber auch körperliche Schäden durch Bewegungsmangel und noch vieles mehr haben so massiv zugenommen, dass die Alarmglocken schrillen.
Durch Homeschooling und Homeoffice geraten Familiensysteme an ihre Belastbarkeitsgrenzen. Wenn beide Elternteile plus Kinder in einer kleinen Wohnung im Lockdown leben, arbeiten und lernen müssen, zeigen sich sehr schnell die Grenzen unseres Wirtschafts- und Sozialsystems. Dazu kommen der fehlende Urlaub und die eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten.

Das Virus hat uns einen Blick in die Zukunft werfen lassen. Seit Jahrzehnten perfektionieren und bewundern wir ein Wirtschaftssystem, das von uns die Idiotie („Vereinzelung“) verlangt. In einem System, das nur durch ewiges Produktions- und Konsumwachstum funktioniert, müssen immer mehr Menschen immer mehr Dinge kaufen. Sie müssen sie weder brauchen noch verwenden, es reicht, wenn sie möglichst viel davon kaufen. Die Spitze dieser Entwicklung ist derzeit die „Fast Fashion“. Der weltweite Bekleidungsdiskonter Zara produziert bis zu 300 neue Linien jedes Jahr und möchte, dass die KundInnen möglichst jede Linie kaufen. Jeden Tag eine neue Mode. Da die Menschen diese Bekleidung nicht mehr tragen können, wird sie weggeworfen, ohne je getragen worden zu sein. Die Dinge werden wegen des Kauferlebnisses gekauft (sieben Sekunden Adrenalinausschüttung) und das ist nach dem Kauf vorbei.
Der Feind dieses Systems sind die „Commons“, die gemeinsam genützten Dinge. Wer Dinge gemeinsam benützt, gar tauscht oder repariert, gilt als „Kommunist“ und wird belächelt oder beschimpft, in jedem Fall sozial stigmatisiert.
Das Virus zeigt uns, was mit uns geschieht, wenn wir vereinzelt werden, wenn wir uns selbst zu den Idioten (und Idiotinnen) machen, die wir laut dem System sein sollen, das uns erzählt: geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut. Ein System, das die Wirtschaft über das Leben stellt und das mit dem Argument erklärt, dass Arbeitsplätze verloren gehen können. Genau die Arbeitsplätze, die genau dieses System mit aller Kraft vernichtet, weil Personalkosten den Gewinn schmälern.

Das Virus zeigt uns, wie schnell wichtige Dinge knapp werden, obwohl wir in einer Überflussgesellschaft leben. Es zeigt uns die Schwäche eines Systems, das von vielen als unfehlbar beschrieben wird, das sich angeblich selbst reparieren kann.
Wir leben in einer Welt, die es in der Form erst seit dem Ende des zweiten Weltkriegs gibt. Und genau diese Welt hat jetzt das erste Mal einen Schock bekommen. Es gab das erste Mal eine Angebots- und eine Nachfragekrise zur gleichen Zeit. Das war auch in der bisher größten Krise (Finanzkrise 2009) nicht der Fall. Das erste Mal stehen weltweit Flughäfen leer, Autofabriken still und die Tourismusindustrie befindet sich am Rande des Abgrunds.

Das Virus zeigt, was aus uns wird, wenn wir uns isolieren. Vor ein paar Jahren saß ich in einem Kaffeehaus, als fünf junge Mädchen hereinkamen und sich an einen Tisch setzten. Sie redeten kein einziges Wort miteinander, sondern starrten über eine Stunde auf ihre Handy-Bildschirme, um dann wieder zu gehen.
Jetzt sollen wir das tun, was wir bisher freiwillig getan haben: möglichst über Bildschirme miteinander kommunizieren, möglichst viele Maschinen benützen und uns von ihnen möglichst abhängig machen. Wir sollen möglichst wenige Menschen treffen und möglichst viel online kaufen, um unsere Wohnungen nicht verlassen zu müssen.

Das Virus hat uns auch gezeigt, was wir brauchen und was nicht, welche Berufe für das Funktionieren unserer Gesellschaft wichtig sind und welche nicht. Es hat uns auch gezeigt, dass wir genau diese Menschen, die in diesen Berufen arbeiten, schlecht bezahlen, dass wir sie ganz unten in der Pyramide ansiedeln, an deren Spitze die Hedgefondsmanager stehen und die Anwälte und die EigentümerInnen großer Unternehmen.
Schlecht bezahlen tun wir die Pflegekräfte, die Müllmänner, die Putzfrauen, die Menschen, die unsere Kläranlagen reparieren und warten und noch viele andere.

Das Virus zeigt uns die Randbereiche unserer Gesellschaft. Es wirkt wie ein Röntgengerät, das uns in die Tiefe schauen und die Knochen erkennen lässt. Wir sehen auf einmal die Menschen in unserer Gesellschaft, die bisher unsichtbar waren, weil sie gerade mal mehr recht als schlecht existieren. Wir sehen die blitzschnell zusammenkrachenden Existenzen, die wir bisher nicht gesehen haben, weil sie knapp unter der Wahrnehmungsschwelle waren. Wir sehen Menschen, die bisher irgendwie über die Runden gekommen sind, weil sie am Rand der Gesellschaft von dem lebten, was jetzt nicht mehr runterfällt.
Es zeigt uns die Grenzen eines an die Grenze getriebenen Effizienz-Profitsystems, mit Fluglinien, die niemals wirtschaftlich gearbeitet haben und nur durch staatliche Subventionen bisher existieren konnten.
Es zeigt uns die Grenzen zwischen dem, was wir brauchen und dem, was wir uns wünschen. Es zeigt die Perversion in vielen Lebensbereichen. Wir züchten 1,7 Milliarden Rinder auf der Welt – Milchkühe nicht eingerechnet. Die Bio-Masse dieser Rinder ist größer als die aller Menschen.

Es zeigt uns die Maschine, in der wir uns befinden. Damit sind nicht nur die vielen Maschinen gemeint, die uns umgeben und unser Leben beeinflussen, ob das jetzt das Handy ist oder das Auto oder der Computer oder die Beatmungsmaschine, sondern ein System, von dem viele bisher dachten, dass es als Ganzes sowieso nicht mehr steuerbar ist und quasi wie von alleine funktioniert.
Und jetzt verlangt diese Maschine nach massiven Eingriffen, nach Steuerung, nach vernetzten Entscheidungen für Millionen von Menschen.

Damit zeigt uns das Virus die Machtlosigkeit der Mächtigen. PolitikerInnen sind sich nicht sicher, wie und auf welcher Grundlage sie Entscheidungen treffen sollen. Sie richten sich bisher nach der Macht der Mächtigen und finden diese in den Wirtschaftssystemen und ihren Lobbys. Die allerdings kämpfen nur für ihre eigenen Interessen.

Und dann zeigt uns das Virus noch das, was Michel Foucault „Bio-Politik“ genannt hat: Ein Gesundheitsproblem dient als Vorwand um das Kollektiv zu kontrollieren. Krisen verlangen nach Kontrolle und sowohl demokratische wie auch autoritäre Systeme folgen diesem Ruf. Mich erinnert das an 9/11, wo der Terroranschlag in den USA von der dortigen Regierung zum Anlass genommen wurde, ein repressives Kontroll- und Überwachungssystem massiv auszubauen, das übrigens nicht mehr abgebaut wurde, so wie in allen anderen Staaten dieser Erde, die dem Beispiel der USA gefolgt sind, angeführt von China mit seiner inzwischen fast lückenlosen Überwachung.
Jetzt zeigt uns das Virus die Strukturen unserer politischen Systeme, es wirkt wie ein Turbo, wie ein Verstärker des schon Vorhandenen.
Zugleich mit dem Ruf nach mehr Freiheit erschallt der Ruf nach mehr Kontrolle – die Freiheit für mich, die Kontrolle für die anderen. Das Virus zeigt die Grenze des Individualismus, der darin gipfelt, dass ich gerne in meiner kleinen Gasse ein Fahrverbot für alle außer für mich selbst möchte – vielleicht noch für meine besten Freunde oder Besucher. Dafür hätte ich aber gerne ungehinderte Fahrt im Rest der Stadt, und zwar in der Geschwindigkeit meiner Wahl, denn sonst ist ja meine Freiheit eingeschränkt.
Das Ziel, quasi der Idealzustand ist eine auf mich zentrierte Welt, in der ich alle Rechte und Freiheiten habe, aber keine Verantwortung. Dieser Zustand wird in der Bibel als „Paradies“ beschrieben, eine Welt, in der ich wohl behütet lustwandeln kann und mich um nichts kümmern muss.
Dummerweise bin ich in so einer Welt alles andere als frei, denn ich darf nicht die Früchte des Baumes der Erkenntnis essen. Hier ist die Grenze meiner Freiheit. Wenn ich es doch tue, werde ich aus dem Paradies vertrieben und muss die Verantwortung für mein Leben übernehmen, also mein Brot im Schweiße meines Angesichts verdienen.
Das Virus zeigt uns, dass uns das System bisher das Paradies vorgegaukelt hat und die Politikerinnen und Politiker uns die Verantwortung abgenommen haben, allerdings zum Preis der Freiheit und Selbstbestimmung.
Jetzt agieren wir wie Kinder, die selbst- oder zumindest mitbestimmen wollen, aber noch nicht wissen, wie das geht. Aus Millionen BürgerInnen werden Millionen Möchtegern-Virus- und Impfexpertinnen und -experten.
Politische Parteien und demokratische Wahlen scheinen als Mittel nicht mehr zureichend zu sein, aber was gibt es sonst?

DAS VIRUS ALS CHANCE

So seltsam es klingt, Covid-19 könnte so etwas wie eine globale Impfung sein, also eine kleine Portion von etwas Tödlichem, auf das wir uns einstellen, so dass wir eine globale Immunantwort finden können.
Die Menschheit kann möglicherweise Resilienz aufbauen, wenn sie die Botschaft versteht.
Warum kam diese Pandemie genau jetzt?
Vielleicht liefert die Summe aller globalen Veränderungen die Antwort. Diese Mischung aus Naturzerstörung, Wachstumsideologie, Globalisierung, Tourismusindustrie, Überflussgesellschaft, Ausbeutung und noch vieles mehr ist möglicherweise an einem Punkt angelangt, an dem bestimmte Auslöser so häufig auftreten, dass irgendwann ein Einzelereignis den Stein ins Rollen bringt.

„Ihr entwickelt zwar einen Impfstoff gegen mich, aber warum nicht gegen die Maschine? Einst habt ihr ihre Auswüchse mit einem Impfstoff bekämpft, den ihr Demokratie nanntet. Doch jetzt mutiert die Maschine, und zwar so schnell, dass eure Demokratie sie nicht mehr stoppen kann“ sagt das Virus im Film.

Schreckt die Dystopie auf?

„Wer glaubt, 2020 sei nur ein Krisenjahr und danach wird alles besser, oder wieder wie vor der Krise, der irrt. Ich glaube, in zehn Jahren wünschen wir uns 2020 zurück.“ Das sagt die Klimaschutzaktivistin Carola Rackete, die als streitbare Kapitänin in der Flüchtlingskrise bekannt wurde.
Stimmt das? Werden wir wesentlich ernstere Krisen als Covid-19 bewältigen müssen? Und wenn ja, müssen wir uns dann nicht jetzt bereits darauf vorbereiten? Und wie sollen diese Vorbereitungen aussehen?

Falls dieses dystopische Szenario zur Wirklichkeit wird, werden wir ohne Zusammenhalt, Kooperation und funktionierende Lebenserhaltungssysteme nicht weit kommen.
Eine dieser Krisen kennen wir bereits und sie könnte sich als die schlimmste herausstellen: die Klimakrise.
Ähnlich wie die Corona-Pandemie gab es seit Anbeginn der Menschheit auch noch nie einen so tiefgreifenden Klimawandel.
Der Unterschied besteht in der Geschwindigkeit und im Auslöser. Im Gegensatz zu anderen ähnlich gravierenden Klimawandelzeiten findet der jetzige zehnmal oder hundertmal so schnell statt. Und im Gegensatz zu allen schnellen Klimawandeln, die allesamt entweder durch Vulkanausbrüche oder durch einschlagende Himmelskörper ausgelöst wurden, ist dieser hausgemacht.

Maßnahmen sind schwierig, denn es handelt sich um komplexe Probleme. Es reicht nicht, an einer Schraube zu drehen, denn das löst nicht eine Veränderung aus, sondern möglicherweise zehn und davon sind neun unvorhersehbar.
Ein Beispiel: Die Zoonosen entstehen nicht nur bei der Übertragung von Viren von Wildtieren auf Menschen, sondern auch in der industriellen Tierhaltung, also bei der Lachszucht und der Fleischzucht. Entscheidend ist die Art und Weise, wie die Tiere gehalten werden. Wenn auf der einen Seite Menschen glauben, dass sie täglich Fleisch brauchen, haben wir auf der anderen Seite eine Entwicklung hin zu einer Tierhaltung, die wiederum Krankheiten produziert, denn jeden Tag Fleisch geht nur, wenn es billig ist. Billiges Fleisch lässt sich nur durch Ausbeutung der Umwelt erzeugen.
Wenn jetzt neue Virenstämme auftauchen, dann führen die Menschen dies nicht auf ihren stark gestiegenen Fleischkonsumwunsch zurück. Das ist Komplexität.

Werden wir lernen?

Was werden wir aus der Pandemie lernen? Werden wir danach weniger sinnlose Business-Flüge machen? Werden wir mehr in der näheren Umgebung Urlaub machen oder zum Ausgleich noch mehr möglichst billig rund um die Welt fliegen?
Werden wir die notwendigen Dinge für eine Krise wieder lokal produzieren oder wird künftig noch mehr in China und Afrika gemacht, weil es ausschließlich um den Preis geht?
Werden wir die Botschaft des Virus verstehen und – noch viel wichtiger – werden wir daraus Konsequenzen ziehen?
Werden wir in Zukunft in Diktaturen leben, die nach außen hin einen Rest von demokratischem Anschein bewahren oder werden wir neue Formen der Politik erfinden und anwenden?
Werden wir wie konterdependente Kinder nur gegen die Autorität demonstrieren oder selbst Verantwortung übernehmen, auch wenn diese nicht unbedingt angenehm ist? Wir können unsere eigene Konterdependenz daran erkennen, dass wir zwar sofort schreien, wenn der Staat Daten von uns verlangt, aber in der nächsten Sekunde all unsere Daten einem anonymen und völlig unkontrollierbaren Internetkonzern zur Verfügung stellen. Wie Kinder haben wir noch nicht gelernt hier vernünftig zu handeln.
Früher kannte man die Burg und den Burgherrn und wusste, wohin man mit den Mistgabeln gehen musste, um etwas zu ändern. Heute sind die Herrschaftssysteme unbekannt oder unsichtbar, global verteilt, virtuell und da wir nicht wissen, wie wir uns gegen sie auflehnen sollen, lehnen wir uns gegen die auf, die wir greifen können. Falls das die falschen sind, werden wir scheitern.
Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist die Rückkehr in das, was vor Corona war, also in ein System, das hundert Mal gefährlicher für die Menschheit ist als das Covid-19-Virus.
Es hat uns gezeigt, wie sich ein kleines Ereignis massiv auf ganze Menschheit auswirken kann. Vielleicht hilft es uns auch zu erkennen, dass uns die Klimakrise alle betrifft, auch wenn sie noch nicht die spürbaren Auswirkungen auf unser Leben hat.
Wir brauchen eine neue Zukunft und wenn wir uns berechtigterweise nach Normalität sehnen, dann sollte diese ein Teil der neuen Welt sein, in der mehr Menschen ein besseres und möglichst alle ein gutes Leben haben.

Was wir tun müssen

Das wichtigste wird sein, lokale Gemeinschaften zu finden oder aufzubauen, innerhalb derer wir bereit sind gemeinsam auf einen Teil unserer Bequemlichkeit und unseres Wohlstands zu verzichten. Im Idealfall auf das, was uns sowieso nicht mehr glücklich macht. Die wenigsten Menschen halten es aus auf etwas zu verzichten, wenn alle anderen rundherum das nicht tun. Die Vernetzung dieser Gemeinschaften wird die Aufgabe der größeren politischen Strukturen sein.

Noch können wir etwas tun, um zu verhindern, dass wir unsere Erde zerstören. Wir besitzen keine zweite, auf die wir wechseln können. Die Zahlen sind längst bekannt, das Wissen ist vorhanden, die Ist-Situation ist klar sichtbar. Was jetzt fehlt, ist gemeinsames, schnelles Handeln. Wir wissen, was das Richtige ist, jetzt müssen wir es auch tun.

Möglicherweise hilft uns Covid19 dabei. Und wenn nicht, dann wird das nächste Virus kommen und uns oder unsere Kinder möglicherweise noch deutlich härter treffen als Covid19.
Wir haben die Wahl und ich habe mich schon entschieden.

Und das sind die Schlussworte des Virus in dem Film:

„Die Maschine wird mich überleben. Schade. Ich hätte so gerne gesehen, wie ihr sie bändigt, sie zum Schweigen bringt. Ihr schafft das, da bin ich mir sicher. Denn ihr Menschen habt Waffen, die weder ich noch die Maschine kennen: Liebe, Humor, Kreativität.“

(Die Zahlen und Fakten dieses Artikels stammen aus dem Film „Corona – Sand im Weltgetriebe“)

Was mir das Vespa-Fahren bedeutet

Jetzt habe ich schon zwei Bücher darüber geschrieben und trotzdem scheint es noch nicht genug zu sein.
Der Anlass für diese Zeilen sind die letzten drei oder vier Touren, die ich diesen Sommer gefahren bin. Ich werde versuchen in der Analyse noch ein wenig tiefer zu gehen als bisher. Und ich lasse mich überraschen, was dabei herauskommt.
Heuer dürfte es sowieso noch einmal spannend werden – die Elektrovespa wird fertig und verspricht weitere, neue und sehr interessante Fahreindrücke.
Aber vorerst einmal das schon Bekannte, Erforschte, Erlebte:

1.) Die magischen Orte

Vielleicht sind es einfach Orte, an denen ich mich wohl fühle, vielleicht ist es mehr. Um zu erkennen, welches Phänomen hier zu entdecken ist, habe ich versucht die Orte miteinander zu vergleichen, um Gemeinsamkeiten zu entdecken.
Meistens sind es Orte, die einen Weitblick erlauben, aber nicht immer. Das Gegenteil wären kleine, versteckte Höhlen, die ich beim Vespafahren aber selten finde. Am ehesten sind es schattige Plätze, die ich beim Wandern entdecke.
Mit der Vespa sind die Distanzen größer und die Orte kommen wie im Zeitraffer daher. Ich finde sie meistens, wenn ich einen Rastplatz suche. Oft ist es eine kleine Anhöhe, gerne am Waldrand, fast immer mit einer Bank, die vielleicht auch nicht zufällig genau dort hingestellt wurde.
Es sind niemals eintönige Orte und sie sind immer im Grünen, meist in der Nähe von Bäumen. Es sind Orte der Kulturlandschaft, oft mit Wiesen rundherum, an denen ich mich einfach gerne aufhalte.
Ich würde sie ohne Vespa nie finden, denn mit dem Auto komme ich maximal zufällig vorbei und habe dann auch nicht die Zeit um stehenzubleiben. Eventuell ginge es noch zu Fuß oder mit dem Fahrrad, aber ich mache keine so langen Touren, zumindest derzeit nicht.

Wegen dieser Orte bevorzuge ich auch die Selbstversorgung beim Mittagessen. So bin ich unabhängig von Zeit und Ort und kann eine Pause machen, wann immer ich will.

2.) Die richtige Geschwindigkeit

Zu langsam ist öd, denn Geschwindigkeit macht Spaß. Zu schnell ist auch öd, weil dann geht es nur noch um Geschwindigkeit. Mit der Vespa schaffe ich die richtige Mischung. Wie das funktioniert, muss ich ein wenig näher erklären.
Die Vespas mit 125er-Motor sind für lange Touren zwar auch geeignet, mir aber ein wenig zu schwach. Mit 6-8 PS verhungerst du an jeder Steigung und um die ideale Geschwindigkeit fahren zu können, musst du den Gasgriff geradezu auswinden.
Als ideal empfinde ich einen leicht getuneten 200er. Im Originalzustand hat er 12 PS und geht am Tacho ca. 100 km/h. Das ist ausreichend für lange Touren.
Ein wenig stärker bedeutet in meinem Fall ein 221 ccm Polini-Aluzylinder, der nicht viel mehr Höchstgeschwindigkeit liefert, dafür aber viel Drehmoment von unten. Ich habe seit mehr als zehn Jahren verschiedene Motore getestet und dieser hat sich als die ideale Mischung herausgestellt. Er ist nicht so stark, dass er anfällig wird und zugleich sehr sparsam. Im Schnitt braucht er 4,3 Liter, womit ich sehr zufrieden bin.

Der eigentliche Trick ist die Art und Weise, wie er sich fahren lässt. Wenn ich auf der Ebene mit 80 dahinrollere, habe ich den Gasgriff knapp über Standgas. Der Motor spielt sich, dreht nicht allzu hoch und verbraucht deswegen wenig Sprit. Ich habe jederzeit eine Reserve und laut ist er auch nicht, weil er keinen Rennauspuff braucht, um seine Leistung zu bringen. Wenn der Vergaser gut eingestellt ist, riecht man zwar, dass ein Zweitakter vorbei fährt, es gibt jedoch keinerlei Rauchwolke.

Ein weiterer Vorteil ist die enorme Zuverlässigkeit des Alu-Zylinders. Er ist nicht auf Höchstleistung ausgelegt und ich fahre ihn jetzt seit über 15.000 Kilometern. Er springt fast immer auf den ersten Kick an und war niemals schuld an den kleinen Pannen, die ich in den letzten Jahren hatte.

Die ideale Geschwindigkeit ist immer und überall verschieden. Ich merke, dass ich sie fahre, wenn ich mich erstens sicher fühle und zweitens nicht auf den Tacho schaue. Es kommt vor, dass sich die richtige Geschwindigkeit einfach ergibt. Meine Hand wandert mit dem Gasgriff automatisch an die Stelle, an der sich die ideale Geschwindigkeit befindet. In den meisten Fällen ist das zwischen 70 und 90 am Tacho, was 65 bis 85 entspricht.

Bei dieser Geschwindigkeit habe ich nicht nur gute Chancen rechtzeitig zu reagieren, wenn etwas Unvorhergesehenes auftritt, ich bekomme auch mit, wo ich fahre.
Bei schnellen Motorrädern ist das nur sehr bedingt der Fall. Zu wichtig ist die Beherrschung der Geschwindigkeit und die Konzentration auf die Fahrbahn.
Mit der Vespa kann ich die Eindrücke rund um mich herum aufnehmen, wenngleich eine gewisse Konzentration natürlich auch notwendig ist.

3.) Die Technik

Ich kenne ja beide Welten sehr gut – sowohl die Puch Typhoon als auch die Gilera Fuoco und jetzt die Honda SH sind Automatikroller, wenngleich die Puch noch ein Zweitakter war und am ehesten Ähnlichkeiten mit alten Vespas hatte.
Und doch ist das Fahren eines historischen Schaltrollers eine ganz andere Angelegenheit. Seit 2017 sind übrigens alle Schaltroller historisch, da seitdem keine mehr erzeugt werden und somit auch nicht neu kaufbar sind. Bis dahin waren die LML Star und die Vespa PX aber sowieso seit vielen Jahren die einzigen die es noch gab, mit einem über vierzig Jahre alten Konzept.
Die 4-Gang-Handschaltung, die einseitige Schwinge vorne, der Zweitaktmotor mit Direktantrieb, die Blechkarosserie – in Summe ergibt das ein ganz eigenes Konzept von Fahrzeug, das über Jahrzehnte die Menschen beeinflusst hat, die damit gefahren sind bzw. heute noch fahren. Der Philosoph Günther Anders hat einmal gesagt, die Menschen übernehmen die Logik der Maschinen, die sie bedienen und das gilt auch für Fahrzeuge. Also: Wer mit dem Rad fährt, übernimmt die Logik des Fahrrads, z.B. was Geschwindigkeit betrifft oder Platzverbrauch und noch viele andere Dinge. Das Gleiche gilt für Menschen, wenn sie im Auto sitzen oder im Zug.
Sollte er Recht haben, dann gilt das auch für Motorroller und wohl ganz speziell für Vespas. Sie verlangen von ihren FahrerInnen einiges, was moderne Automatikroller nicht verlangen. Dazu gehört ein Mindestmaß an Gefühl für die Technik, auf der man sitzt. Es gehört aber auch die Art und Weise dazu, wie man mit der Straße umgeht, mit Kurven und Steigungen, mit Schlaglöchern und rutschiger Fahrbahn.
Mit der alten Vespa wird die Strecke anders erfahrbahr, irgendwie unmittelbarer, direkter, ich möchte fast sagen: lebendiger. Für die Motoren z.B. ist die Bewältigung einer langen Tour eine Herausforderung, auch wenn sie gut eingestellt sind. Einem modernen Automatikroller ist das weitgehend egal und somit wird es auch dem Fahrer bzw. der Fahrerin egal. Natürlich wollen Kurven mit jedem Fahrzeug richtig gefahren werden, aber es ist doch etwas ganz anderes.
Zu alldem gibt es dann noch eine Steigerungsstufe, nämlich wenn die Vespa frisiert ist, also einen stärkeren Motor hat. Bei mir sind das gerade mal 24ccm und ein Aluzylinder statt einem Grauguss. Dazu kommt aber noch ein anderer Vergaser und ein anderer Auspuff. Das alles verändert den gesamten Motor und zwar immer – egal wie gut man ihn aufbaut – in Richtung Labilität. Es gibt mehr Möglichkeiten wie etwas kaputt gehen kann und das passiert dann auch.
Dadurch bekommt genau der Technik-Aspekt noch mehr Bedeutung. Es ist zwar nicht so, dass ich bei jeder Ausfahrt bangen muss, ob ich auch wieder zurück komme, aber der Motor braucht einfach mehr Zuwendung. Es muss öfter etwas getauscht, neu eingestellt oder repariert werden. Und es kommt der Aspekt der Steigerung dazu: Wird der neue Aufbau des Motors halten? Wie gut bewährt er sich punkto Drehmoment, Fahrspaß oder Laufruhe?
Mit jeder kleinen Veränderung baut man auch eine Schwachstelle ein.
Das ist natürlich nicht beabsichtigt, denn kein Mensch bleibt gerne irgendwo im Nirgendwo mit einer Panne liegen und will sich überlegen müssen, wie er wieder nach Hause kommt und ob die Vespa noch da ist, wenn er sie abholt – am nächsten Tag oder wann auch immer man ein Fahrzeug organisieren kann.
Die Schwachstellen lassen sich aber nur bedingt vermeiden, allein schon wegen der Streuung in der Erzeugung der Teile. Da kauft man nicht immer Qualität und das zeigt sich dann nach ein paar Kilometern oder auch erst nach einem halben Jahr.

4.) Der Charme des Mangelhaften

Wenn man hängen bleibt, entwickelt sich die Tour ganz plötzlich zu einem Abenteuer. Es ist noch nicht lange her, da hatte ich eine interessante Panne. Es war kurz nach Pottenstein in einem Tal (die Anfahrt zum Hals, wer´s kennt), als der Motor plötzlich ausging. Bei alten Vespas ist das an und für sich nichts Besonders und bedeutet meistens nur, dass der Sprit auf Reserve gesprungen ist. Dann dreht man den Benzinhahn auf Reserve und fährt weiter. Meist geht das sogar noch während der Fahrt, wenn man schnell genug hinunter greift.
Diesmal war es anders. Ich war mit Stefano unterwegs und wir waren auf der 2-Corona-Tour, also meiner längsten Tagestour mit eher wenig Zeitreserve.
Das Tröstliche war, dass im Falle des endgültigen Liegenbleibens Stefano mit einem großen Automatikroller unterwegs war und mich problemlos hätte mitnehmen können.
Die Aussicht, die Vespa aber genau dort neben der Straße parken zu müssen – dort ist weit und breit kein Haus oder sonst was – war wenig prickelnd, also machten wir uns an die Fehlersuche.
Wir tauschten Zündkerze und schraubten den Vergaser auseinander, konnten aber nichts finden. Nach ca. 30 Minuten war ich schon kurz davor aufzugeben, als der Motor urplötzlich wieder ansprang und so tat, als wäre nichts gewesen.
In so einem Fall steigt man einfach auf und fährt weiter – das hab ich auf meiner Rom-Reise gelernt.
Das funktionierte auch diesmal, und zwar ca. eine Stunde lang. Dann war wieder Sense. Diesmal zückte ich jedoch meinen letzten Trumpf und montierte eine neue CDI – das ist die elektronische Zündbox mit Zündspule. So eine hab ich immer in Reserve mit und die lässt sich mit zwei Schrauben binnen weniger Minuten tauschen.
Damit war der Fehler gefunden und wir konnten die Tour an diesem Tag erfolgreich zu Ende fahren.

Wenn ich keine Reservebox mitgehabt hätte, wäre die Vespa gestanden. Ich hätte sie wahrscheinlich irgendwie zum nächsten bewohnten Ort geschoben und dort einen netten Menschen gesucht, bei dem ich sie für ein oder zwei Tage unterstellen hätte können. Das wäre nicht das erste Mal gewesen.

Solche und ähnliche Pannen verlangen Improvisationsfähigkeiten, hie und da ein wenig Chuzpe und noch einiges andere. Dafür lernt man immer wieder nette Menschen kennen und manchmal interessante Orte. In meinen Vespa-Büchern habe ich einige dieser Ereignisse genau beschrieben.
Man taucht bei solchen Gelegenheiten auch in eine längst vergangene Welt ein, als Fahrzeuge generell noch recht unzuverlässig waren und es auf Reisen und generell im Straßenverkehr zu deutlich mehr Begegnungen kam. Pass-Straßen mussten überwunden werden und lange Distanzen verlangten nach mehreren Etappen, während man heute von Wien bis Venedig auf der Autobahn durchfahren kann, im minimalen Fall mit einer einzigen Tankpause von wenigen Minuten.
Mit einer alten Vespa geht das nicht. Die Technik zwingt zu anderem Verhalten, letztlich zu einer anderen Sichtweise auf die Umgebung und auf die Welt im weitesten Sinn.
Durch die anfällige und mangelhafte Technik wird der Fahrer/die Fahrerin selbst auch anfällig und mangelhaft, aber auch reicher, vielfältiger, näher an der Welt. Reisen bekommt eine andere Bedeutung, Ziele sind verbunden mit dem manchmal recht beschwerlichen Weg dorthin.
Wer heute an´s Meer will, ist mit dem Auto, dem Flugzeug oder dem Schnellzug quasi im Handumdrehen dort. Das Meer ist das gleiche wie früher, aber der erste Anblick ist ein anderer, wenn man sich die Strecke, den Weg dorthin erarbeiten musste.
Die Technik einer alten Vespa verlacht die Bequemlichkeit und verlangt von ihrem Benützer eine entsprechende Anpassungsleistung. Wetter spielt auf einmal eine Rolle, Straßenbeschaffenheit auch und Zeit sowieso.
Ziele bekommt man nicht geschenkt, dafür fühlen sie sich dann, wenn man sie erreicht hat, wie ein Geschenk an.

Wenn du fluchend bei einsetzendem Regen oder hereinbrechender Dunkelheit oder beidem am Straßenrand stehst und die Autos an dir vorbei rasen, verfluchst du das ferne Ziel und wünscht dir die Bequemlichkeit herbei.
Wenn du aber dann die netten Motorradfahrer kennenlernst, die stehen geblieben sind und dich in den nächsten Ort mitnehmen, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.

Mit einer alten Vespa tauscht du die Anonymität gegen die Begegnung, die Bequemlichkeit gegen das Abenteuer und die vorbeiziehende Landschaft gegen echte Orte.
Das ist etwas, was viele Menschen zum Vespafahren bringt und auch dort festhält.

Woher kommen wir?

Ich beschäftige mich ja schon seit vielen Jahren mit der Frage des Ursprungs der Menschheit. Nach einigem Hin und Her sind sich aber inzwischen alle WissenschafterInnen einig, dass unser Ursprung in Afrika ist. Wo genau, das ist noch nicht ganz klar und auch nicht, ob es parallele Entwicklungen des Homo sapiens gab.
Durch die moderne Genetik konnten jedoch einige Fragen geklärt werden: Es gab tatsächlich eine Urmutter, eine Art genetische Eva, von der alle modernen Menschen abstammen.
Da finde ich spannend und es wäre vor allem ein lustiger Ansatz für eine neue Religionsgründung, sofern man Religionen überhaupt für sinnvoll hält. Im Gegensatz zu den patriarchalen Monotheismen wäre das eine matriarchale Form, die sich aus der Vererbungslinearität ergibt.

Auf die ebenso wichtige Frage, wann und wie die Menschen Afrika verlassen haben, um dann zuerst Asien und später Europa zu besiedeln, gibt es ebenfalls neue Antworten: Es geschah vor ca. 100.000 Jahren, also vor ca. 4.000 Generationen. Eine Gruppe von wenigen hundert Menschen dürfte sich von Ostafrika hinauf in Richtung Israel aufgemacht haben. Dort fand man menschliche Knochen, die auf eine durchaus hohe Zivilisation hindeuten. Konkret dürften diese Menschen bereits eine Idee eines Lebens nach dem Tod gehabt haben, die Grabbeigaben lassen darauf schließen.

Vor 125.000 Jahren war die Sahara mehr oder weniger grün, es gab Flüsse und Seen, Vegetation und Wild, sie war also einfach durchquerbar, vor allem an den Rändern. Die Menschen konnten so durch Äthiopien ans Rote Meer gelangen und dort Richtung Norden wandern. Sie kamen dann nach Israel, das ist quasi eine uralte Geschichte einer Migrationsbewegung in ein gelobtes Land, die später dann wieder aufgegriffen wurde.

Wir wissen nicht, ob es eine Art kollektives Menschheitsgedächtnis gibt und wie es funktioniert. Vielleicht kann auch hier die Genetik einmal Aufschluss geben, so weit sind wir aber noch nicht.
Interessant ist es allemal, dass eine so wichtige und große Geschichte wie die erste Migration des modernen Menschen genau an der Stelle auftaucht, wo sie 100.000 Jahre zuvor tatsächlich stattfand.
Welche Art von Wissen kann sich über tausende Generationen erhalten? Ich erlebe es manchmal, dass Freunde und Bekannte, die ich mit nach Ostafrika nehme, mir von einer seltsamen Regung erzählen. Sie empfinden ein flüchtiges Deja-vu, so als ob sie schon einmal dort gewesen wären.
Das ist nachweislich nicht der Fall, also woher kommt diese Wahrnehmung, die sicher keine klassische Erinnerung ist und sein kann?

Wir finden dort eine Landschaft, die dem Auge und dem Gemüt gut tut. Es ist eine Gegend mit sanften Hügeln, Ketten niedriger Berge (so genannte „Escarpments“), weite Graslandschaften, durchzogen von kleinen und größeren Bächen und Flüssen, an deren Rändern so genannte „Galeriewälder“ wachsen.
Es ist eine stark strukturierte Landschaft, die sehr friedlich und einladend wirkt. Das ist wohl kein Zufall, denn in solch einer Landschaft sind die modernen Menschen entstanden, beginnend mit dem homo australopithecus, der sich dann zum homo habilis und schließlich zum homo sapiens weiterentwickelt hat.
Eine Theorie besagt, dass es durch Klimaveränderungen einen Rückzug der riesigen Regenwälder gab und die Landschaft trockener wurde, bis sie so aussah, wie die heutige ostafrikanische Savanne. Am Übergang zwischen Wald und Savanne entwickelte sich der Mensch, mit seiner Fähigkeit aufrecht zu gehen, durch die unsere Wirbelsäule unter den Kopf rutschte (bei Primaten steht sie hinten raus) und dadurch die Mund- und Kehlkopfpartie frei wurde für die Entwicklung einer Sprache.
Dazu kam die Fingerfertigkeit, die mit Händen entwickelt werden konnte, die nicht mehr zur Fortbewegung nötig waren.

Haben wir eine Erinnerung an unser eigenes Entstehen? Haben wir sozusagen unsere Seinsbedingung in uns gespeichert? Diese Frage ist nicht nur für Evolutionsbiologen interessant, sondern auch für Philosophen.

Eine andere Theorie besagt übrigens, dass die Menschen, die nach Kleinasien gewandert sind, dort wieder ausstarben und dass andere Entdecker über die Straße von Bab al Mandab, also der engsten Stelle des Roten Meeres, übergesetzt haben. Die Distanz beträgt 30 Kilometer, ist also mit einem einigermaßen guten Boot machbar.
Vor ca. 70.000 Jahren war die Meerenge sogar nur ca. 11 Kilometer breit und die Menschen konnten so auf die arabische Halbinsel gelangen. Die dortige Küste war damals fruchtbar und sorgte somit für eine gute Basis um zu überleben. Eine frühe Hochkultur gab der Region, die wie ein großer Garten wirkte, einen Namen: Eden.