Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 1

In den folgenden Tagen berichte ich über meine Romreise – 100 % Abenteuer, 0 % Urlaub.

Ich hatte die Romreise schon für Sommer 2011 geplant, leider lief der dafür vorgesehene Motor meiner Vespa Sprint nicht so, dass ich auch nur an so eine Reise hätte denken können.
Heuer im Frühjahr war es dann soweit. Der Motor lief zufriedenstellend und auch der Rest der Vespa war quasi bereit für die lange Reise. Knapp drei Wochen im August sollten es werden – alleine, denn so eine Tour tut sich nicht so schnell wer an bzw. ist verrückt genug dazu.

Mein Zeitfenster öffnete sich am 28. Juli und schloss sich am 1. August, ich hatte also fünf Tage Zeit um aufzubrechen. Das Wetter sollte für die Wahl des Starttages ausschlaggebend sein und so begann es am Montag, den 30. Juli in der Früh. Bewölkung gab es reichlich, aber laut Vorhersage sollte es bis auf wenige Ausnahmen trocken bleiben und in den nächsten Tagen dann langsam immer schöner werden.

Bevor ich über die Fahrt berichte, möchte ich kurz den Hintergrund schildern. Was treibt mich zu so einer Aktion, die von vielen meiner Freunde mit „Wahnsinn“ und „verrückt“ locker kommentiert wurde?

Der Traum

Die Basis ist ein uraltes Bild, das sich in meinem Kopf festgesetzt war und aus dem heraus die Idee entstand. Es ist das Bild der Via Appia Antica, auf der ich vor 28 Jahren gemeinsam mit meiner Schulklasse im zarten Alter von siebzehn spazierte. Bei einem kleinen Alimentari kaufte ich mir damals zwei Panini mit Mortadella und eine Flasche Wasser (damals noch aus Glas) und dann saßen wir auf einem Jahrtausende alten Stein und machten eine kleine Pause.

Diese Bild wurde mit den Jahren immer stärker und nährte die Sehnsucht, diesen Ort wieder zu besuchen. Natürlich wäre das in Begleitung noch feiner gewesen, aber es ergab sich halt nun einmal nicht und so wurde klar, dass ich diese Reise alleine würde unternehmen müssen. So hatte ich als Begleitung die Einsamkeit, immerhin besser als gar niemand.

Eine Motivation bot mir Peter Moore, ein australischer Globetrotter und Autor, der kurz vor seiner Hochzeit eine alte Vespa kaufte und mit ihr ein paar Wochen lang durch Italien fuhr – und natürlich kam er auch bis Rom. Seine Bücher waren mir nicht nur Ansporn für mein eigenes erstes Vespa-Buch, sondern zeigen auch den Weg eines Mannes, der ein guter sein dürfte. Er machte seine erste Vespa-Tour (es folgte noch eine zweite kurz vor der Geburt seiner Tochter) als eine Zäsur, als deutliches Zeichen für den Wechsel in einen neuen Lebensabschnitt.

Etwas geht zu Ende, etwas Neues fängt an – der Übergang ist nicht immer einfach, oft mit Selbstzweifeln und Ängsten besetzt. Peter Moore hat sich den Weg ein wenig leichter gemacht, indem er sich einen alten Traum aus seiner Jugend erfüllt hat. So wie ich hatte er auch ein Bild vor Augen: Marcello Mastroianni auf einer alten Vespa, der gerade am Abend in den Ort hinunter fährt, um sich dort in einem kleinen Café oder einer Bar mit netten Leuten zu treffen. Deswegen nannte er seine zweite Vespa auch „Marcello“ und fuhr mit ihr durch Sardinien, Sizilien und wieder hinauf bis Rom.

Mein eigenes Bild es das der Via Appia Antica. Es ist ein sehr friedliches Bild mit viel Grün und einer uralten Straße mit viel Vergangenheit. Hohe Bäume säumen die Straße, die es in dieser Form schon seit mehr als zwei Jahrtausenden gibt.

In meinem Traum ist es Sommer, oder Frühling wie 1984. Der Frühling hat den Vorteil, dass alles blüht und grün ist. Dafür ist es noch ein wenig kühler und vom Wetter her unbeständig. Ich wünsche mir Sonnenschein und keinen Regen. Da es ruhig warm sein darf und ich im Sommer eher Zeit finden werde, ist es Sommer in meinem Traum. Da darf das Gras schon ein wenig gelb sein, der Himmel blau und die Zypressen dunkelgrün. Die Landschaft dort ist sehr kontrastreich, beginnt urban und wird dann schnell ländlich. Die Via Appia Antica ist 18 km lang und ich möchte sie gerne komplett abgehen.

Ich möchte gerne störungsfrei nach Rom kommen. Dieses Wörtchen ist wichtig. Ich bin nicht mehr zwanzig und will nicht an jeder Ecke eine Panne haben, auch wenn das immer ein Abenteuer verspricht. Die Reise wird so und so Abenteuer genug, auch ohne Störungen. Ich werde versuchen, kleineren Pannen einigermaßen vorzu-beugen, indem ich eine Menge Ersatzteile und Werkzeug mitnehme. Inzwischen bin ich auf diesem Motor so gut eingearbeitet, dass ich viele Pannen selbst beheben kann. Ich habe ihn schließlich selbst aufgebaut.
Mit Störung ist aber auch die Gefahr des Diebstahls gemeint. Das ist in Italien nicht ganz von der Hand zu weisen, vor allem, wenn man ein so auffälliges Gefährt wie das meine hat. Ich habe unendlich viel Arbeit und Geld investiert und möchte die Vespa weder durch Langfinger noch durch einen Unfall verlieren.

Daher wird es notwendig sein, die richtigen Unterschlüpfe zu finden, also Möglichkeiten, wo ich sie sicher abstellen kann. Zu meinem Traum gehören kleine Pensionen mit freundlichen Menschen, die einen Suchenden wie mich aufnehmen, für eine Nacht oder zwei.

Die Planung

Ohne ordentliche Planung kann das nicht funktionieren – so viel war mir klar. Es war aber auch wichtig, eine echte italienische Reise daraus zu machen, also die Quartiere nicht schon von Wien aus zu buchen. Ich würde sowieso nicht wissen, wie weit ich jeweils komme und auch die Route war nur teilweise planbar. Wie sich später herausstellte, fuhr ich komplett anders als ich vorher dachte, so in Wien vor dem Computer sitzend.

Der mit Abstand wichtigste Teil der Planung betraf die Vespa und da wiederum das Herzstück, den Motor. Ich hatte vor einem Jahr einen 200er aus Einzelteilen komplett neu aufgebaut, mit Originalzylinder und leichten Verbesserungen. Es sollte eine langstreckentaugliche Maschine werden, mit ein bisschen mehr Kraft als das Original, nicht zu hohem Verbrauch und vor allem standfest. (für die Technik-Interessierten: O-Tuning, also Originalzylinder mit aufgemachten Überströmern, optimiertem Kolben, Gravedigger-Kopf mit verbessertem Brennraum und Quetschfläche, gelippte 60er Langhubwelle vom Polinist, Vergaser gefräst, Einlass gefräst, Zylinderauslass optimiert plus SIP Road Auspuff)
Das ergibt insgesamt etwa 15 PS gegenüber 12 im Original. Eine 125er hätte 5,9 PS und wäre nur sehr bedingt tauglich für so eine Reise, außer man hat extrem viel Zeit und braucht keine Kraftreserven.

Im Frühjahr war es dann soweit, ich erklärte den Motor für fahrtauglich, natürlich ohne zu wissen, wie er sich auf knapp 3000 km Langstrecke verhalten würde. Ein neuer Stoßdämpfer hinten, gecheckte Bremsen, Elektrik wunderbar funktionierend – alles war bereit. Ich hatte mir als Weihnachtsgeschenk selbst noch eine Staubox geschenkt, die vorne innen in der Schürze montiert wurde. Da die Sprint links hinten keinen Reservereifen, sondern ein Staufach in der Seitenbacke hat, war ich nun mit zwei (versperrbaren) Fächern ausgerüstet. In die Backe kamen sämtliche Ersatzteile sowie das Werkzeug, in das vordere Staufach die schwere Absperrkette, ein Reservekanister mit zwei Litern Fassungsvermögen sowie das Öl und das Fahrtenbuch. Das sollte laut meiner Planung reichen und mir einige Reserven für eventuelle Pannen bieten. (auch hier wieder die Liste für die Techniker. Ersatzteile: Seile, Zündgrundplatte, Blackbox/Elektronikzentrale, Vergaserdüsen, Halbmondkeile, diverse Schrauben in allen Größen, Nipperl, Birnen bzw. Sofitten, Zündkerzen, Zündkerzenstecker, ein Satz Simmerringe, Kabelbinder, Schlauch für den Reifen, ein dünner 2m-Schlauch zum Benzinabpumpen, eine kleine Spritze mit Schmierfett, ein Elektrokabel, ein rotes Blinklicht/Rücklicht mit Batterie; Werkzeug: div. Schraubenzieher inkl. dem kleinen, mit dem man das Gasseilnipperl im Lenkerkopf festdrehen kann, Gabelschlüssel, Stecknuss-Satz, Schwungscheibenabzieher, Schwungscheibenhalter, Kupplungshalter, Gummihammer, Kombizange, Flach/Spitzzange, Kerzenbürste sowie eine Kopftaschenlampe.)

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Bild 1: Ersatzteile

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Bild 2: Werkzeug

Es gab einige Teile, die ich leider nicht mit hatte, dazu später mehr.

Der Start

Bewölkter Himmel plus das Gefühl, einfach los zu müssen. Ein Abschiedsfoto mit der fertig gepackten Vespa.

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Bild 3: Das Startfoto

Ich hatte einen Rucksack für alle Wertgegenstände, das Navi, das ich mir ausgeborgt hatte, Karten sowie Essen und Wasser, Fotoapparat, Sonnenbrille etc.
In einem großen, wasserdichten Sack hatte ich das Gewand, Kulturbeutel und noch einige Dinge, von denen ich mir sicher war, dass ich die Hälfte nicht brauchen würde.

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Bild 4: Vespa, fertig gepackt für die Abreise

Was ich an diesem Morgen noch dabei hatte, war ein gewisses Reisefieber, jedoch nicht allzu stark und wahrscheinlich normal für eine Fahrt ins Ungewisse.
Die erste Etappe führte mich nur bis St. Ruprecht an der Raab (gleich bei Gleisdorf und nicht weit von Graz) zu meinem lieben alten Freund Heinz Bauer und seiner Isabella. Ich hatte noch nie die Gelegenheit sie dort zu besuchen und durfte mich für eine Nacht einquartieren. Das war ein Ziel, auf das ich mich schon sehr freute und das auch in einer sinnvollen Distanz lag. Auf der Autobahn wären das nur ca. 180 km gewesen, ich hatte aber die Kombination mit einer alten und gerne gefahrenen Motorradroute vorgesehen, auch um zu testen, wie es dem Motor unter Bergstraßenbeanspruchung gehen würde.

Nach dem Start um 9 Uhr ging es über Purkersdorf und den Wienerwaldsee nach Hochroterd, dann nach Klausenleopoldsdorf und nach St. Corona am Schöpfl. Der dortige kleine Pass war auch der erste Halt und zugleich der Ort der ersten Panne. So schnell hatte ich das nicht erwartet, doch zum Glück war es nichts Schlimmes. Es hatten sich die Befestigungsstangen des hinteren Gepäckträgers losvibriert und eine war bereits verschwunden. Das ist auch keine besonders schlaue Konstruktion, vor allem, weil sie sich unter dem Gewicht der Gepäckrolle ständig verändert und nur schwer ausreichend zu fixieren ist.

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Bild 5: Die Befestigungsstange, die noch übrig ist

Bis Gleisdorf würde der Gepäckträger auch ohne die Stangen halten und dort würde ich ihn dann mit einem Spanngurt festzurren. So wäre dann die erste Panne erfolgreich behoben.
Dunkle Wolken deuteten an, dass mich das Wetter eventuell doch nicht ungeschoren (besser: ungewaschen) bis nach St. Ruprecht kommen lassen würde, aber vorerst blieb es trocken. Das war übrigens eine meiner größten Ängste, daher auch das Zeitfenster, um dem Regen zu entkommen: Ich mache mir bei Nässe ziemlich in die Hose. Insgesamt bin ich in 13 Jahren Zweiradfahren 12 Mal gestürzt und fast jedes Mal bei Nässe, weil mir das Vorderrad weggerutscht ist. Eine Vespa hat noch dazu eine ziemlich miese Straßenlage, kleine Reifen (10 Zoll) und ist daher besonders anfällig. Da das für mich puren Stress bedeutet, hatte ich mir geschworen bei Regen sofort eine Pause in irgend einem Wirtshaus zu machen und abzuwarten, bis der Regen vorbei und die Straße wieder trocken ist. Bei einem ordentlichen Tiefdruckgebiet kann das allerdings ein paar Tage dauern, während ein Gewitter keine große Katastrophe ist, außer es erwischt mich gerade auf einer Passhöhe und die Abfahrt wird zur Rutschpartie.
Und ich kenne mich: ich werde dann sehr ungeduldig, wenn es regnet, und möchte so schnell wie möglich weiter. Das Wirtshaus, in dem ich in solchen Fällen strande, ist nicht das Ziel und dort hält mich auch wenig.
Kurz und gut: Die bessere Variante bestand darin, gar nicht erst in den Regen zu kommen.

Über Altenmarkt ging es nach Berndorf und von dort über den so genannten „Hals“ nach Pernitz und weiter nach Gutenstein. Die Vespa lief prächtig, allerdings ging langsam der Sprit zur Neige. Ich erinnerte mich, dass es in Gutenstein eine Tankstelle gibt. und machte mir keine Sorgen. Bis ich an der Tankstelle in Gutenstein vorbei fuhr. Oder besser: an dem, was von ihr noch übrig war. Sie war scheinbar Pleite gegangen und hatte nun geschlossen. Eine nette Dame erklärte mir, dass die nächste Tankstelle in meiner Richtung in Gloggnitz wäre. Da ich nicht zurück fahren wollte (vorwärts geht´s, vorwärts!) versuchte ich auszurechnen, wie lange ich mit dem Tank noch durch käme. Bei der Vespa gibt es natürlich keine Tankanzeige, sondern man fährt, bis der Motor ausgeht. Dann dreht man den Benzinhahn auf Reserve und hat noch 20 bis 30 km, je nachdem, wie viel der Motor schluckt und welchen Tank man eingebaut hat.
Fazit: Je nachdem, wie schnell ich auf Reserve bin, komme ich damit noch bis Gloggnitz (von Gutenstein etwa 45 Kilometer). Also los, hinauf aufs Klostertaler Gscheid. Als ich den Gedanken fertig hatte, musste ich auf Reserve schalten und es war klar, dass sich Gloggnitz auch mit bestem Willen nicht ausgehen würde. Aber ich hatte ja noch meine zwei Liter im Reservekanister, das müsste reichen.
Im Höllental füllte ich dann um und bemerkte, dass mir ein Einfülltrichter fehlt. Das funktioniert auch ohne, ergibt aber eine gehörige Sauerei am Tank. Die zwei netten Motorradfahrer, die auch gerade dort stehen blieben, wünschten mir eine Gute Reise nach Rom und ich fuhr weiter bis Reichenau. Dort gibt es auch eine Tankstelle (das hatte ich vergessen) und die wäre sich auch ohne Einfüllsauerei ausgegangen. Aber so ist das Vespafahren.
Da ich jetzt noch Sprit im Tank hatte, fuhr ich an der Tankstelle in Reichenau locker vorbei, schließlich kommt ja elf Kilometer weiter die nächste in Gloggnitz. Dachte ich zumindest. Leider war dem nicht so, vielleicht gibt es gut versteckt im Ort eine, auf der Hauptstraße ist jedenfalls nichts. Mit langem Gesicht fuhr ich weiter, denn danach geht es über den Ramssattel nach Kirchberg am Wechsel (das „am Wechsel“ ist wichtig, dort in der Gegend gibt es ein geschätztes Dutzend Kirchbergs). Also wieder zittern. Glücklicherweise kam direkt hinter Kirchberg eine offene Tankstelle mit einer sehr netten Dame, die vor dem Kassieren noch schnell zur Preistafel musste, um den Preis nach oben zu korrigieren. „Jeden Tag um zwölf Uhr Mittags wird der Treibstoff teurer“ meinte sie und ich hatte das unverschämte Glück, noch davor getankt zu haben.
Danach ging es nach St. Corona am Wechsel, wo ich in meinem Lieblingswirtshaus einkehren wollte, mit herrlichem Blick zu Schneeberg, Rax und ins ganze Land hinein.
Das hatte leider geschlossen, also fuhr ich weiter, um ein paar Minuten später woanders Mittagspause zu machen. Ich erwischte eine leicht bizarre Szenerie, denn in dem Wirtshaus machten drei alte Weiblein scheinbar einen Sommerfrischeaufenthalt, und das seit geschätzten 100 Jahren jeden Sommer. Sie saßen jede auf einem anderen Tisch, durch je einen Paravent getrennt und gaben hintereinander Wortmeldungen ab, etwa „Können Sie sich noch an den Doktor erinnern, den mit dem Hund, der müsste auch schon länger tot sein, der hat immer Schweinsbraten gegessen.“ Sie aßen jede ihr Menü und ich eine gebackene Leber, quasi um den Kontrast zum hoffentlich bald folgenden italienischen Essen deutlicher zu machen.

Nach einer Abfahrt durch die Kleine Klause ging es hinauf auf den Wechsel, einst das Tor zum Süden, viel befahren und berühmt. Jetzt führt ein paar Kilometer weiter die Autobahn vorbei und an der Straße stehen verlassene Wirtshäuser und geschlossene Tankstellen, ein tristes Bild. Ich war aber guter Dinge, denn das Wetter wurde besser und die Vespa lief hervorragend.

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Bild 6: Am Wechsel

Der Rest der Fahrt verlief unspektakulär, nur nach dem kurzen Halt in Hirnsdorf sprang die Vespa etwas schwer an. Ich kannte dieses Phänomen des schlechten Warmstarts bereits und hatte etwas Angst davor, denn ich würde in den nächsten Tagen oder Wochen sehr oft einen Warmstart machen, ausgesprochen oft sogar. Da konnte ich eine schlecht startende Vespa gar nicht brauchen. Ich hatte schon versucht das Problem in Wien zu beheben, aber auch die Experten unter meinen Zanglerfreunden wussten nicht wirklich, warum es so war. Es müsste etwas mit dem Vergaser zu tun haben. Aber was?

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Bild 7: Hirnsdorf

Egal, ich erreichte St. Ruprecht um 14 Uhr 45, also nach knapp sechs Stunden, inklusive 45 Minuten Mittagspause. Nun musste ich nur noch das Haus von Heinz und Isabella finden, das sich am Bahnhofsweg befindet, interessanterweise mit der Hausnummer Dreihundertirgendwas. „Die müssen aber lange Straßen haben“ war der erste Gedanke. Oder sie haben alle Häuser wild durchnummeriert. Das könnte die Suche etwas erschweren, wobei ich den Bahnhofsweg sofort fand. Dort war dann die Nummer 151 neben 208 und daneben befand sich 193.
Irgendwo blieb ich stehen und sah einen Herren, der gerade auf seinem Garagenvorplatz mit irgendwas beschäftigt war. Er blickte freundlich auf die Vespa und ich fragte ihn nach „Bauer und Petz“ sowie der Hausnummer. Stirnrunzelnd meinte er, mit den Hausnummern hätte er es nicht so und er kenne weder jemand mit dem Namen Bauer noch mit dem Namen Petz. Vielleicht wären das die Leute, die erst vor kurzem daher gezogen wären, am Ende der Straße, meinte seine hinzukommende Frau. Wir diskutierten ein wenig herum und dann sagte ich „Heinz und Isabella“. Das bewirkte ein sofortiges Strahlen in ihren Gesichtern: „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, das sind unsere Nachbarn, gleich das Nebenhaus.“ Mit den Nachnamen hätte man es hier nicht so, aber den Heinz, denn würden sie natürlich gut kennen.

Dann ergab ein Thema das nächste, Silvio hatte bis vor kurzem auch eine Vespa, dann jedoch wegen der beiden Kinder eine Ape Calessino gekauft, damit könnte man alle mitnehmen.

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Bild 8: Ape Calessino, in einer sehr netten Sonderlackierung, mit 400ccm Dieselmotor

Es stellte sich heraus, dass Silvio und seine Frau ums Eck eine Pizzeria und ein Eisgeschäft haben und sehr italophil sind. Sie erzählten von lieben Freunden in Cavallino bei Venedig und dass sie dort öfter zu Gast wären.
So ergab sich mein nächstes Quartier und ich hatte durch die Vespa meine ersten netten Bekanntschaften gemacht.

Das ist es, was ich suche und versuche in diesem Buch zu beschreiben – der Mythos Vespa ist nur deswegen einer, weil er funktioniert. Eine alte Vespa löst bei vielen Menschen ein Gefühl aus, das sie positiv stimmt. Silvio hätte mir auch den Weg gezeigt, wenn ich mit irgendeinem Roller oder Motorrad gekommen wäre. Aber wir hätten wahrscheinlich kein Gespräch angefangen bzw. es wäre ganz anders verlaufen. Ich bin mir sicher, dass ich das tolle Quartier (siehe Bericht Tag 3) nicht bekommen hätte. Die Vespa öffnet Türen, die vorher als Türen gar nicht sichtbar bzw. gar nicht vorhanden waren.
Mit einer alten Vespa zu fahren macht dich zum Teil eines unsichtbaren Netzwerkes, das sehr gut funktioniert. Es ist immer wieder als solches erkennbar, etwa wenn sich die Fahrer alter Vespas grüßen, was sehr oft vorkommt. Ich habe auf dieser Reise nur zwei bis drei andere Tourenfahrer getroffen, man grüßte sich stets anerkennend und freundschaftlich.
Ich darf an dieser Stelle ein wenig ausholen: Gesellschaft – was ist das eigentlich? Wir nehmen dieses Wort oft und schnell in den Mund, aber wissen wir, worüber wir hier reden? Ich habe in meiner Zeit an der Uni Klagenfurt im Bereich der Gruppendynamik oft und intensiv über den Gesellschaftsbegriff nachdenken dürfen – wir sind nie auf ein wirklich befriedigendes Ergebnis gekommen. Die Vespa bietet nun einen Blick durchs Schlüsselloch, in das Geheimnis des menschlichen Kollektivlebens sozusagen.
Das Netzwerk ist sehr fein gesponnen und wie ein Spinnennetz trotzdem recht belastbar bzw. tragend. Jede(r) kennt eine(n), der eine Vespa hat, zumindest in unserem Kulturkreis. Oder er kennt einen, der einen kennt, der eine hat. Und der kennt jemand, der Vespas reparieren kann. Diese Leute sind wiederum meist in einem der virtuellen Netzwerke wie dem German Scooter Forum oder auch bei einem der unzähligen Clubs. Eine Vespa öffnet nicht nur Türen, sie schafft eine Art gemeinschaftlicher Grundstimmung, die tragbar genug für etwa gegenseitige Hilfe ist. Diesen Punkt werde ich im Laufe dieses Buches noch ein paar Mal aufgreifen und erörtern.
Eine lange Tour mit einer alten Vespa eröffnet zusätzlich noch weitere Perspektiven. Man ist klar als Reisender erkennbar, der zumindest den Mut hat, einen Oldtimer in einer neuen Zeit zu fahren. Man sendet Signale aus, optische in erster Linie, die von den Menschen klar erkannt werden. Sie ermöglichen eine schnelle Einordnung und Kategorisierung, die folgende Eckdaten enthält: nicht aggressiv, traditionsbewusst oder zumindest mit Freude an alten, erhaltenswerten Dingen, ein wenig schräg und jenseits der Norm, nicht fad, individualistisch etc.
Silvio hat etwa sofort erkannt, dass da jemand unterwegs ist, der mit Liebe und Hingabe seinen Oldtimer pflegt – und das war ihm zumindest so sympathisch, dass er sich auf ein längeres Gespräch einlassen konnte. Die Vespa hat uns nicht auf eine Linie gebracht, aber sie hat ermöglicht, dass wir das überhaupt versuchen konnten.
Gesellschaft ist also ein Netzwerk von Beziehungen, das durch gemeinsame Normen und Regeln sich selbst erhält. Es gibt gemeinsame Werte („Ich hatte auch eine alte Vespa und verstehe dich, der du auch eine hast“), die erkennbar sind und auf die man sich bis zu einer bestimmten Grenze verlassen kann. Das gibt Sicherheit und das wiederum ist die Basis, um Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauen wiederum ist der Kitt der Gesellschaft. Die Tragfähigkeit der Grundbeziehung zeigte sich bei Silvio, als er bereit war, mir die Nummer von Sigi und Helga Karlegger zu geben, die mich bei sich wohnen lassen würden. Meine Seriosität war einerseits durch die Freundschaft zu Heinz als Silvios Nachbar gegeben, andererseits auch durch die gemeinsame Leidenschaft für alte italienische Motorroller. Die Tragfähigkeit zeigte sich dann auch am nächsten Tag, als ich tatsächlich in Italien anrief, um das Quartier zu bekommen.

Die alte Vespa ist wie ein Codewort, wie ein Schlüssel, der in viele Schlösser passt. Sie ist in dieser Eigenschaft sehr universell und somit ein Element, das Gesellschaft erzeugt, stiftet.

Abends saß ich noch länger mit Heinz und Isabella zusammen. Der erste Abend war in sich sehr stimmig und stimmungsvoll, ich genoss sehr das Treffen mit guten Freunden. Und ein Highlight wartete auch noch: Heinz führte mich seinen Keller, wo er seine Plattensammlung lagert. Da ich keine Kamera habe, die 360-Grad-Bilder schießen kann, sieht man auf dem nächsten Bild nur einen Ausschnitt. Ich darf versichern: Alles vom Feinsten! Das zweite Bild zeigt seine The-Who-Plattensammlung, weit größer als meine, zum Niederknien, sicher eine der größten und schönsten in Österreich (Wo PostIts hängen: The Who…)

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Bild 9: Die Plattensammlung – oder besser: Ein Ausschnitt

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Bild 10: The Who

Die Tour hatte gut begonnen, der erste Tag war ein voller Erfolg. Nun würde sich zeigen, was die nächsten Tage bringen.

Ein Gedanke zu „Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 1

  • 26. November 2012 um 00:16 Uhr
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    Eine weitere tolle Möglichkeit, um die richtigen Infos über Reise zu bekommen, ist die Recherche auf den Produzenten Blogs. Die häufigen Fragen sind dabei aber oftmals nicht existent und man findet sich nicht zurecht Eigene Websites sind klasse. Es ist toll im web zu lesen und ein paar individuelle Gedanken zu wissen. Seht jetzt mal zu der Homepage;)

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