Warum eigentlich nicht NEOS?

Sie sind jung, sie sind neu, sie sind zukunftsorientiert, sie stehen für ein Neues Österreich. Sie haben liberale Ansichten, stehen für Europa und sehen auch nicht so verschnarcht aus wie die älteren Herren in ihren grauen Anzügen, weißen Hemden und einfärbigen Krawatten. Sie wirken nicht so fundamentalistisch wie die Grünen und nicht so rechts wie die FPÖ.
Warum eigentlich nicht NEOS?

Die Antwort findet man erst, wenn man sich ihre konkrete Politik ansieht. Seit sie in der Regierung sind, müssen sie auch da und dort Stellung nehmen. Etwa zum TTIP, dem nordatlantischen Freihandelsabkommen.

Ich weiß, das ist kein geiles Thema, da geht es um internationalen Handel und um Rechtsverträge und anderes fades Zeug. Aber hier finden wir fundamentale Aussagen. Die NEOS sind z.B. für dieses TTIP, denn sie wollen eine Freihandelszone von Wladiwostok bis Los Angeles (was ich übrigens gut finde, nur sollten sie die andere Richtung nehmen, also von Wladiwostok nach Osten.).

Ich fasse kurz zusammen, worum es geht: Das TTIP ist ein geheim verhandeltes Abkommen zwischen den USA und der EU. Es besteht aus drei Teilen:
1.) Zollfreiheit = Fall aller Zollschranken
2.) Zulassungsfreiheit = Was in USA zugelassen ist, muss auch in der EU zugelassen werden und umgekehrt. Hier geht es um die Angleichung von Standards.
3.) Investitionsschutz = wenn in einem EU-Land ein Gesetz beschlossen wird, durch das ein US-Konzern weniger verdient, kann er den Gewinnentgang bei einem internationalen Schiedsgericht einklagen, wobei der Staat der Beklagte ist.

Wer mehr darüber wissen will: http://derstandard.at/1395363376912/Handelsabkommen-Frei-ist-nicht-fair

Nun sehen wir uns an, was die NEOS in ihrem Wahlprogramm 2014 („Pläne für ein neues Europa“) dazu schreiben:

„Wir stehen für ein Europa der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte.“ (S 5)

Der Investitionsschutz wurde ursprünglich für Unternehmen erfunden, die in einem Land ohne Rechtssicherheit investieren wollen und daher eine entsprechende Absicherung brauchen. Europas Staaten haben Rechtssicherheit, es wäre also nicht notwendig und somit ist dieser Investitionsschutz als Teil des TTIP abzulehnen, denn es hebelt die Rechtsstaatlichkeit aus, wenn ein Staat und seine demokratisch entwickelten Gesetze einem Schiedsgericht unterworfen wird, das aus drei Anwälten von einer Handvoll privater Anwaltskanzleien zusammengesetzt ist.

„Wir stehen für ein Europa der Freiheit der Individuen.“ (S 5)

Nun, ich sehe Freiheit als Entscheidungsfreiheit. Wenn TTIP in Kraft tritt, wird dies meine Entscheidungsfreiheit als Individuum stark einschränken, denn ich habe etwa nicht mehr die Wahl ob ich genmanipuliertes Essen zu mir nehmen möchte oder nicht, etwa weil es nicht gekennzeichnet sein wird.

„Die Erhaltung der Artenvielfalt ist überlebenswichtig.“ (S 37)

Monsanto oder Pioneer stehen für Monokulturen, Hybridsaaten und das Verbot der Artenvielfalt. Wer sie für überlebenswichtig hält, muss das TTIP mit allen Mitteln bekämpfen.
Derzeit argumentieren die NEOS damit, dass man ja nicht gegen das TTIP sein kann, weil man ja noch nicht weiß, was bei den Verhandlungen heraus kommt. Dummerweise werden sie nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, sondern auch unter Ausschluss des europäischen Parlaments. Es hat kein Mitspracherecht, verhandelt wird zwischen der Europäischen Kommission und den USA.

Was ist so schrecklich, wenn wir amerikanische Standards bekommen? Die Amerikaner kommen damit ja auch gut zurecht.

Ein Beispiel kann das erläutern:
Es gibt derzeit weltweit nur eine Handvoll Konzerne, die mit Saatgut handeln. Sie verkaufen nur Hybrid-Saatgut, d.h. es ist nicht keimfähig. In der traditionellen Landwirtschaft hat der Bauer einen Teil der Ernte als Aussaat für das nächste Jahr aufbehalten. Das funktioniert mit Hybrid-Saatgut nicht mehr, da es ja nicht keimfähig ist. Der Bauer muss jedes Jahr neues Saatgut von Monsanto kaufen, ob er will oder nicht, denn er bekommt es nur, wenn er sich vertraglich dazu verpflichtet, kein anderes Saatgut als das von Monsanto zu verwenden.
Sehr liberal, oder?
Was ist nun der Vorteil des Hybrid-Saatguts? Es gibt natürlich Vorteile, denn sonst würde es ja niemand kaufen. Sie liegen entweder im gesteigerten Ertrag, weil es etwa größere Fruchtmengen gibt oder weil die Pflanzen weniger Ausfälle haben.
Das muss ich erklären: Ausfälle entstehen durch Schädlinge oder Unkräuter. Dagegen verwendet man Pestizide und Herbizide. Letztere sollen die Unkräuter umbringen, die Fruchtpflanzen jedoch am Leben lassen.
Damit das funktioniert, verändert man die Pflanzen genetisch, und zwar so, dass sie gegen das Herbizid resistent sind. Monsanto nennt diese Pflanzen „Roundup Ready“ und verkauft sie gemeinsam mit dem darauf abgestimmten Herbizid „Roundup“. Für die Bauern ist das super, denn sie bekommen tolle Pflanzen und ein Mittel gegen das Unkraut.
Ohne das Mittel funktioniert der Anbau nicht oder nur sehr schlecht, da die Pflanzen so gezüchtet sind, dass sie ohne entsprechendes Herbizid gegen Unkräuter keine Chance haben. Wer den Ertrag will, muss das Herbizid mitkaufen.
Sehr liberal, oder?
Nun sind die Bauern zufrieden, allerdings nicht lange. Nach zwei bis drei Jahren werden die Unkräuter nämlich resistent, dann muss der Bauer mehr Herbizid einsetzen und dann noch mehr und dann noch andere Herbizide. Doch auch das funktioniert nicht lange, denn es entstehen so genannte „Super-Weeds“ – also Super-Unkräuter, wie etwa der „Palma-Fuchsschwanz“. Das ist eine neu mutierte Unkrautpflanze, die bis zu 6 cm am Tag wächst, 1 Million Samen pro Pflanze abgibt und bis zu 3 Meter hoch wird. Und sie ist resistent gegen fast alle Pflanzenschutzmittel. Die Bauern haben davor berechtigte Angst, denn sie pflanzen ja aufgrund der Verträge nur noch Roundup-Ready-Saaten und haben auch nur Roundup als Herbizid zur Verfügung. Dummerweise betrifft das immer gleich riesige Flächen, weil sie ja nur mehr Monokulturen haben und der Nachbar hat die auch und der andere Nachbar ebenfalls.
Jetzt hat der Bauer auf einmal eine ganz schlechte Ernte und daher wenige Einnahmen. Das Saatgut für das nächste Jahr muss er auf Schulden kaufen. Und im nächsten Jahr ist der Ertrag auch nicht besser, er muss noch einmal Schulden machen.
Nach einiger Zeit gehört sein Land dann Monsanto.
Sehr liberal, oder?
25 Millionen Hektar Land sind in den USA bereits betroffen – dort wächst nichts mehr außer den Super-Weeds.

Nein, ich will das nicht in Europa haben. Weder Monsanto noch seine Geschäftspraktiken und schon gar nicht seine Produkte. Und auch nicht die von Pioneer und den anderen Saatgut-Multis.
Wenn wir das TTIP bekommen, gibt es keine Wahlmöglichkeit mehr, ob wir Monsanto haben wollen oder nicht.

Deswegen kann ich die NEOS bei der Europawahl von 22. bis 25. Mai leider nicht empfehlen. Entweder wissen sie nicht, was auf uns zukommt oder es ist ihnen egal. Mir jedenfalls ist es nicht egal.
Nur weil etwas „freier Handel“ heißt, ist es deswegen nicht automatisch gut, auch wenn die Worte „frei“ und „Handel“ toll klingen. Mir ist wichtig, was dahinter steckt. Der Name interessiert mich nicht.

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