Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 2

Das erste Frühstück auf der Tour gemeinsam mit Heinz und Isabella, danach ein gemütlicher Aufbruch. Wird die Vespa anspringen? Wie wird der heutige Tag verlaufen? Es ist die wahrscheinlich kürzeste Etappe und sie wird mich „nur“ nach Klagenfurt führen.
Leider hat sich am ersten Tag gezeigt, dass der von mir montierte Sitz extrem unbequem ist. Da steht zwar „Piaggio“ drauf und er sieht aus wie ein originaler Sitz einer Sprint, aber die beiden Hauptfedern drücken dermaßen durch, dass es schon am ersten Tag eine Herausforderung war. Ich hatte meine bequeme Denfeld-Bank extra abmontiert, weil ich Angst hatte, dass sie mir gestohlen wird – zwei Schrauben lösen und schon sind 300 Euro beim Teufel, ganz abgesehen davon, dass ich diese Bank nicht mehr wieder bekomme. Sie wurde vor Jahren von einem Deutschen extrem penibel komplett restauriert, mit pulverbeschichtetem Rahmen und Niro-Schrauben. Dann hat ihm die Farbe nicht zu seiner Vespa gepasst und ich konnte die Bank kaufen.

Bei so einer Tour ist nur sehr schwer vorauszusehen, wie die Sicherheitssituation aussehen wird. Die Sprint mit den vielen Chromteilen ist ein extremer Blickfang und Kenner wissen, wie viel Geld da drin steckt. Ein kleiner Lieferwagen bleibt kurz stehen, eine Schiebetür geht auf, vier Herren springen heraus und keine 30 Sekunden später hat die Vespa neue Besitzer.
Dieses Bild bekam ich im Vorfeld leider nicht aus dem Kopf. Ich wollte mir vom ÖAMTC einen so genannten „Carfinder“ ausborgen, das ist eine kleine Kiste, die man irgendwo im Fahrzeug befestigt und die im Falle eines Diebstahls aktiviert wird. Dann kann man die Kiste orten und bekommt ein genaues Satellitenbild des Standorts. Das wäre eine Chance, eine gestohlene Vespa zurückzubekommen, vorausgesetzt der Carfinder wird nicht gefunden, denn man kann ihn eigentlich nur in dem Hohlraum unterm Tank verstecken. Wenn die Vespa zerlegt wird, finden die Diebe die Kiste und dann sieht der Eigentümer das Fahrzeug nie wieder.
Letztlich war nicht klar, ob das Gerät überhaupt ordentlich sendet, wenn es rundherum von Blech umgeben ist und ich beschloss, das Risiko schlicht und einfach einzugehen. Es war sowieso nicht ausschaltbar, trotz einer schweren Sicherungskette, die mir vor allem für Rom empfohlen wurde.

Das Problem war in der Planung ein weitaus größeres als auf der Tour, denn ich musste die Vespa nirgends alleine stehen lassen, mit den beiden Gepäckrollen drauf. Ich hatte in Italien jeweils eine gute und sichere Möglichkeit das Fahrzeug einzustellen und wollte abends sowieso nicht mehr damit herumfahren.

So tat mir also schon am ersten Tag der Hintern gehörig weh und es wird Zeit, für andere Wahnsinnige einige Tipps zusammen zu stellen – vielleicht nützen sie ja einmal irgendwem und nicht jeder muss die gleichen Erfahrungen machen wie ich.

Tipp 1 – die Sitzbank
Sie sollte einigermaßen weich sein, entweder mit entsprechender Polsterung über den Federn oder überhaupt ohne Federn. Christian Höfer empfiehlt die alte Corsa-Bank, hier muss man aber, so wie bei allen Sitzbänken, bei Nachbauten vorsichtig sein. Die sind sogar bei original Piaggio-Bänken nicht gut. Am besten vorher eine Tagestour fahren und schauen, ob die Bank drückt.
Empfehlenswert sind durchgehende Sitzbänke, eventuell sogar ohne Halteschlaufe, die eh noch nie eine Sozia verwendet hat, denn dann kann man problemlos auf der Fahrt die Sitzposition wechseln und etwa nach hinten rutschen. Mit Einzelsitzen habe ich keine Erfahrung, manche schwören drauf, sie haben aber auf jeden Fall den Nachteil, dass man die Position nicht wechseln kann, ebenso wie bei Stufensitzbänken.

Tipp 2 – der Zündunterbrecher
Ich habe mir sowohl bei der GS 150 als auch bei der Sprint in das Gepäckfach in der linken Backe einen Unterbrecherschalter eingebaut. Die Sprint hatte ja nie ein Zündschloss und auch keine Batterie, daher kann jeder die Vespa anstarten. Wenn man dann noch mit einem gezielten Fußtritt das Lenkradschloss durchbricht, kann man frisch und fröhlich davon fahren. Der Unterbrecherschalter wird einfach zwischen das Zündkabel gesetzt (bei der PX und bei vielen anderen Modellen grün) und in das Seitenblech im Gepäckfach eingebaut. Das hält nicht alle Diebe ab, aber Jugendliche bei einer Mutprobe oder Gelegenheitstäter haben es deutlich schwerer. Wichtig: selbst nicht darauf vergessen, sonst startet man sich dumm und dämlich und flucht, weil das Ding nicht anspringt.

Ein dickes Handtuch über der Sitzbank könnte die Lösung für das Schmerzproblem meines Hinterns sein und so konnte der zweite Tag beginnen. Schon am ersten Tag musste ich von Anfang an die Regenjacke verwenden, weil meine Air-Flow-Protektorjacke keinerlei Wind- und Wärmeschutz bietet. Es ist Zeit für den nächsten Tipp.

Tipp 3 – der Helm
Eine sehr individuelle Frage, ich kann nur über meine eigenen Erfahrungen berichten. Ganz abgesehen davon, dass ich stets einen Vollvisierhelm empfehle, auch wenn der bei Hitze sicher nicht ganz so bequem ist wie einer der smarten und feschen City-Helme. Allerdings heißen die nicht umsonst so, denn sie sind für lange Überlandfahrten eigentlich nicht geeignet. Das weiß man ab dem ersten Regenguss, wenn einem trotz Visier die Sauce ins Gesicht peitscht. Auch die zahlreichen Insekten, die man bei höherer Geschwindigkeit mit voller Wucht abbekommt, können durchaus überzeugen. So ein fetter Käfer tut im Gesicht ordentlich weh.
Ich verwende einen Klapphelm, weil ich Brillenträger bin. Mit meinem neuesten Helm bin ich mehr als zufrieden und habe vor allem das mit einem Griff herunterklappbare Sonnenvisier zu schätzen gelernt. Früher wollte ich das nicht, jetzt hat sich meine Einstellung ins Gegenteil gekehrt. Das Sonnenvisier ist viel größer als eine Sonnenbrille und kann in einem Tunnel einfach hochgeklappt werden. Es bietet außerdem einen guten Insektenschutz und ich bin fast die gesamte Strecke mit offenem Hauptvisier gefahren, das hat wunderbar funktioniert.

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Bild 10: Klapphelm mit Sonnenvisier

Die Italiener fahren fast ausnahmslos Cityhelme, auch außerhalb der Stadt, selbst auf großen schweren Maschinen. Sie haben überhaupt eine andere Einstellung zur Sicherheit, denn sie fahren mit Shirt und Flip-Flops, zumindest bis zum ersten Unfall. Um auf den Helm zurück zu kommen: In meinem ersten Vespa-Buch bin ich auf dieses Thema schon genau eingegangen, daher gibt es hier nur eine Zusammenfassung des wichtigsten Gedankens: Bei einem Unfall ist mit einem City-Helm oft das Gesicht kaputt und es stellt sich die Frage, ob da die paar Schweißtropfen zusätzlich und der scheinbar verminderte Coolness-Faktor das Risiko wert sind. Ich habe mich an den Klapphelm gewöhnt und bleibe dabei.

Tipp 4 – die Jacke
Ich verwende nur Jacken mit Hartprotektoren, auch wenn mir ständig versichert wird, dass die weichen auch toll wären. Ich hatte einen Sturz mit nur 30 km/h und da hat es mir sogar die harten Protektoren an Schultern und Ellbogen zerstört. Eine Alternative sind übrigens die Motocross-Protektoren, die man unterhalb einer normalen Jacke anziehen kann. Sie sind aber ein zusätzlicher Teil, mit dem man hantieren muss und zum schnellen Ausziehen bei der Mittagspause nicht ganz so komfortabel, dafür sicherer, weil sie weniger verrutschen als die Protektoren in einer Jacke.
Vor einer Tour ohne Protektorenjacke kann ich nur dringend abraten, auch wenn es heiß ist. Dafür gibt es die Air-Flow-Jacken, das sind tadellose Protektorenjacken mit Netzeinsätzen, die eine sehr guten Luftzirkulation ermöglichen und die ich bis knapp 40 Grad Außentemperatur auf 2.800 km testen konnte. Gegen Wind und Kälte braucht man dann noch eine Windjacke, den zusätzlich mitgenommenen Pullover brauchte ich auf der Tour gar nicht. Allerdings hatte ich die ganze Zeit über heißes und sonniges Wetter, glücklicherweise.

Von St. Ruprecht ging es über eine schöne Landstraße bis Graz. Dort fand sich eine nette Dame in einem roten Ford Ka, die mich durch die City lotste. Vielen Dank an dieser Stelle, ihr gebührt der Rang der ersten Weghilfe auf dieser Tour. Graz kann man leider nicht umfahren, zumindest nicht auf einer einigermaßen durchgängigen Straße.
Ein paar ordentliche Kurven führten mich hinauf auf den Steinberg. Nachdem ich ein Straßendienstfahrzeug überholt hatte, hörte ich plötzlich ein lautes Scheppern und ein hartes dauerhaftes Kratzgeräusch. Sofort stehenbleiben, nachschauen – was war da los? Nun, es handelte sich schlicht und einfach um Panne Nr. 2, der rechte hintere Sturzbügel hatte sich gelöst. Und ich hatte im Pech gleich auch Glück, denn die Straße war eben. Der Bügel hatte sich nämlich vorne gelöst und rodelte am Boden dahin. Bei einer Kante auf der Fahrbahn wäre er eingespitzt und das hätte böse ausgehen können.
Was war passiert? Die Schraube, mit der ich den Bügel angeschraubt hatte, war seit fast sieben Jahren oben und hatte sich noch nie gelöst. Ich achte immer sehr genau darauf, dass sie auch fest sitzt, damit genau das nicht passiert. Das sie mit einem Sprengring gesichert war, versteht sich von selbst. Das nächste Bild zeigt, wie der Sturzbügel aussah, als er auf der Fahrbahn schlitterte:

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Bild 11: Sturzbügel, nicht mehr ganz in Position

Ich werde nie herausfinden, warum sie sich gelöst hat, aber so etwas dürfte einfach zu einer langen Tour gehören. Es sollte auch nicht der letzte Schaden sein, der durch die harte Beanspruchung des Materials auftrat. So etwas lässt sich auch im Vorfeld nur schwer bis gar nicht ausschalten, es passiert einfach. Das gehört zum Fahren mit einer knapp 40 Jahre alten Vespa dazu, so viel habe ich lernen müssen.
Also Sturzbügel wieder draufstecken – leider steht er etwas unter Spannung und daher muss ich ihn mit dem rechten Fuß in die Halterung pressen, selbstverständlich ständig, also auch während der Fahrt. Da das auf lange Sicht keine erfreuliche Perspektive ist und ich in dieser Position auch nicht die Fußbremse bedienen kann, ist eine Werkstatt gefragt. Irgendwann später, viel später werde ich mich daran erinnern, dass ich in einem ruhigen Moment in der Planung ja ein Säckchen mit Schrauben eingepackt habe. Da wäre auch eine 6er-Schraube dabei gewesen, aber bitte, im Fahrstress kann das passieren.

Dem Voraneilenden ist das Glück manchmal hold und schon nach zwei bis drei Kilometern entdecke ich am Wegesrand eine Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt. Drei Herren im Blaumann versuchen gerade einen Ölfilter zu lösen, der sich festgefressen hat. Ich unterbreche die Kaskade steirischer Flüche und bitte um eine 6er-Schraube. Der Meister persönlich gibt sie mir und ist begeistert, als er meine Vespa sieht und von den Romplänen erfährt. „Erst vor drei Jahren hab ich meine GS 160 verkauft und ich bereue es seitdem“ meint er.
Ich bedanke mich und spende fünf Euro für die Kaffeekassa, was mit einer kurzen Kaskade Dankesbellen beantwortet wird.

Weiter geht die Fahrt, mit frisch befestigtem Sturzbügel zieht das Gerät doch gleich ganz anders an. Allerdings nur bis ca. 80, dann fängt der Motor zu stottern an und nimmt kein Gas mehr an. Wie unschwer zu erraten, handelt es sich dabei um Panne Nr. 3. Nun, ein herabgefallener Sturzbügel ist das eine, ein Motorproblem etwas ganz anderes, da ist es meist nicht mit einer Schraube getan.
Ich fahren vorerst einmal weiter, vielleicht gibt sich das Problem ja. Nur der Gedanke an die Ursache lässt mich nicht mehr los, vor allem weil das Stottern nicht aufhört, sondern eher stärker wird.
Vielleicht bekommt sie zu wenig Benzin? Es könnte an einem zu langen Benzinschlauch liegen und wenn der Tank schon eher leer ist – was ja gerade der Fall war – dann kann das Eigengewicht den Sprit nicht mehr in ausreichenden Mengen zum Vergaser bringen. Das wäre eine logische Erklärung und ob sie zutrifft, wird sich nach dem Tanken zeigen.

In Köflach fülle ich die Kiste randvoll und hoffe, dass das Problem dadurch behoben ist, vor allem weil es jetzt auf die Pack hinauf geht. Vorsichtshalber rufe ich noch Rudi, meinen Gastgeber in Klagenfurt, an und berichte ihm kurz von meinem derzeitigen Problem und dass es sein könnte, dass meine Romreise ein jähes Ende hat.
Aber so weit war es noch nicht und nach dem Starten zeigte sich: kein Stottern mehr, der Motor zieht gut. Ich beschließe, mir das zu merken und ab jetzt immer rechtzeitig voll zu tanken. Aber ein wenig wundert es mich schon – der Benzinschlauch ist seit Einbau des Motors unverändert drauf und hat nie Probleme gemacht. Was ist da wirklich los?

Die Pack ist anspruchsvoll, doch zu meiner Beruhigung komme ich vorher noch in Edelschrott durch. Warum ich das erwähne? Ohne bestimmten Grund, mir gefällt einfach der Name sehr gut.

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Bild 12: ein Willkommensgruß

Die Pack war früher das Tor nach Kärnten und unter Fernfahrern gefürchtet, da es keine Alternative und natürlich noch keine Autobahn gab. Also quälte sich der gesamte Verkehr über die schmale, kurvenreiche und teilweise recht steile Straße. Vor allem auf der Kärntner Seite ist sie mit etlichen Serpentinen gespickt und recht anspruchsvoll, vor allem bei Nässe, die mir jedoch glücklicherweise erspart blieb, da das Wetter ständig schöner wurde.
Heute spielt sich alles auf der Autobahn ab, mir kam über den gesamten Anstieg genau ein Auto entgegen, was zum Vespafahren sehr angenehm ist.
Oben gibt es noch ein bis zwei alte Wirtshäuser, früher sicher Goldgruben, heute am Ende.

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Bild 13: Gasthof auf der Pack

Hinunter geht es flott und ich biege in das schöne Lavanttal ein, um gleich darauf in Frantschach zu landen, das aufgrund seiner Papierfabrik nicht ganz so lieblich ist. Da mir schon der Hintern weh tut, wird es Zeit beim ADEG zu halten und ein Mittagessen zu kaufen. Ich beschließe dasselbige irgendwo auf der Strecke zu verzehren – wo es mich gerade freut bzw. ein schönes Plätzchen ist.
Ich finde es vor einer großen Kirche in St. Andrä und genieße die Sonne und die gut laufende Vespa.

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Bild 14: Mein Mittagsbankerl

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Bild 15: Vespa vor Kirche – kleiner, aber schöner. Und es erinnert mich an den alten Leitspruch eines guten Freundes: Kirchen von außen, Berge von unten, Kneipen von innen.

Die Sache mit dem schlechten Sitz ist besser geworden, weil ich den Rucksack leichter gemacht habe. Dafür habe ich jetzt eine zweite Gepäckrolle vorne drauf, was sehr tourenmäßig aussieht und vom Gewicht okay geht. Entscheidend ist aber das Handtuch, das ich untergelegt habe und das bei jedem Mal Absteigen runterfällt und bei jedem Mal Aufsitzen verrutscht. Aber man kann nicht alles haben im Leben, schon gar nicht, wenn man mit der Vespa nach Rom fährt.

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Bild 16: Die startbereite Vespa mit zwei Gepäckrollen

Der Rest der Fahrt verlief unspektakulär und ich erinnerte mich beim Überqueren des Griffener Bergs an die Zeit meines Studiums in Klagenfurt, als die Autobahn noch in Wolfsberg aufhörte. Heute ist auch der Griffen verwaist, ich zog ganz alleine durch die Serpentinen.

Gegen 13 Uhr 45 erreichte ich Klagenfurt und freute mich, gut bei meinem lieben alten Freund Rudi angekommen zu sein. Wir kennen uns seit meinem Gruppendynamikstudium und zwar seit 23 Jahren. Wenn ich in Klagenfurt bin, erfreue ich mich seiner Gastfreundschaft und umgekehrt. Nach einer kurzen Entspannung rief ich meinen lieben Vespafreund Michi Tscheitschonigg an und wir vereinbarten, später gemeinsam mit den Vespas nach Viktring zu fahren zwecks Abendessensaufnahme. Seine Freundin plus ein weiteres Pärchen wären auch noch mit der Vespa dabei, so meinte er.

Es sollte ein sehr feiner Abend werden, wir konnten lange fachsimpeln und langweilten die Damen nicht allzu sehr. Gegen 21 Uhr starteten wir unsere Kisten und ich meinte, ich würde lieber über die Uni heimfahren, das wäre ein netter Weg. So beschlossen wir spontan, noch in der Garage von Thomas vorbei zu schauen, der dort seine Vespasammlung hat und die außerdem an seinem Heimweg liegt.

Nachdem wir seine feinen Vespas (für Kenner: alle im O-Lack!) bestaunt hatten, starteten Michi und ich noch einmal unsere Vespas und fuhren hinaus auf die Hauptstraße. Plötzlich ein feines Knacken und mein Motor heulte auf wie verrückt. Reflexartig drückte ich den Unterbrecher und wusste: Scheiße, das Gasseil war gerissen. Jetzt standen wir bei Panne Nr. 4 und das mitten in der Nacht. Michi hatte das Aufheulen meines Motors noch gehört und wusste auch, was los war. Sofort rief er Thomas an und bat ihn, noch einmal zur Garage zurück zu kommen, seine Hilfe wäre gefragt. Ich hatte nämlich die Stirnlampe nicht mit dabei und in seiner Garage gab es ausreichend Licht für die Reparatur.
Vier geschickte Hände und das richtige Werkzeug ermöglichten einen schnellen Tausch des Gasseils. Doch damit war das Problem nicht wirklich behoben, denn das alte Gasseil war noch nicht sehr alt. Ich hatte in Wien noch überlegt, den Bowdenzug zu tauschen, damit genau das nicht passieren würde. Jetzt bereute ich meine Faulheit und wusste, dass das Gasseil voraussichtlich bald wieder reissen würde. Aber wann? Würde ich nach Rom und wieder zurück kommen? Oder würde der schlimmste Fall passieren, nämlich ein Riss mitten in einem langen Tunnel? Da mir Thomas ein Gasseil von sich spendierte, hatte ich jetzt noch eines in Reserve – das könnte knapp werden, vor allem, weil ich die Beanspruchung noch nicht abschätzen konnte. Wie kaputt war der Bowdenzug innen bereits? Wie schnell würde sich das neue Seil durchscheuern? Die Vespa hat den großen Lenker von der gtr bzw. Rally und der hat eine Schwäche durch eine blöde Biegung des Bowdenzuges. Jedenfalls ließ sich der Gasgriff auch mit neuem Seil, das sogar frisch eingefettet wurde, ich hatte ja alles mit, nicht leicht drehen. Ich hasse aufgelegte Defekte, die mit großer Wahrscheinlichkeit eintreten werden, nur weiß man nicht wann und wo.

Allerdings konnte ich dieses Problem jetzt nicht beheben und war froh über das Glück, dass mir das Seil nicht fünf Minuten später gerissen war, irgendwo in Klagenfurt, bei schlechtem Licht und ohne Hilfe.
Der Schnitt an Defekten hatte sich jetzt bei zwei pro Tag eingependelt – deutlich zu viel, um Rom ohne allzu großen Aufwand erreichen zu können. Das wären noch weitere 6-10 Pannen und die Chance, dass eine entscheidende, die Weiterfahrt stoppende dabei sein würde, war entsprechend groß.

Allerdings konnte ich auch dieses Problem jetzt nicht lösen und so beschloss ich, einfach weiter zu fahren – zumindest heute hatte ich ja nicht mehr weit. Und ich beschloss auch, nach Möglichkeit nicht mehr in der Dunkelheit zu fahren. Und ein Danke, ein großes Danke an Thomas, der mir mit seiner schnellen und ausgesprochen kompetenten Hilfe sowie seiner ruhigen und selbstsicheren Art ein großes Stück weiter geholfen hat. Ich war im Moment der Panne nicht allein, das macht schon viel aus.

Wenn ich an dieser Stelle meine sozialwissenschaftliche Brille aufsetze, ergeben sich noch ein paar interessante Aspekte. Wir finden hier das Clan-Phänomen, das in der Soziologie einen wichtigen Stellenwert hat. Die Menschen entwickelten schon seit Anbeginn ihrer Entwicklung Organisation. Die heute gebräuchliche Hierarchie (übersetzt „Heilige Ordnung“) ist in der jetzigen Form ca. 10.000 Jahre alt, die andere Form der Organisation, nämlich die Gruppe, gibt es schon sehr viel länger. Menschen haben Fähigkeiten entwickelt Gemeinschaft zu bilden und dies seit mehreren Millionen Jahren. Schon unsere gemeinsamen Verwandten, die Menschenaffen, haben hier erstaunliche Mechanismen. Beim Menschen ist das noch wesentlich ausgeprägter. Die wichtigsten Werkzeuge, die wir derzeit entwickeln, sind solche zur Kommunikation. Wir sind oft mit unseren eigenen Entwicklungen überfordert – junge Italiener etwa können kein Wort Englisch, besitzen aber in jedem Fall ein Smartphone. Apple muss sich dumm und blöd verkauft haben mit iPhones, zumindest in Italien. Kommunikation erzeugt Bindung und Bindung mehrerer erzeugt Gemeinschaft.
Es gibt auch eine Gemeinschaft der Vespa-Fahrerinnen und -fahrer. Sie erkennen einander an einem speziellen Symbol, nämlich dem Fahrzeug. Das war auch das erste, was Silvio aufgefallen ist, noch bevor er den dazu gehörenden Menschen überhaupt zu Gesicht bekommen hatte – schließlich hatte ich meinen Helm auf. Dieses Zeichen erlaubt eindeutige Zuordnung zu einer Gemeinschaft, die über die reine Gruppenform hinaus reicht. Gruppe ist immer auf maximal fünfzehn Personen limitiert. Wir haben nicht die Fähigkeiten mit mehr als vierzehn weiteren Personen direkt zu kommunizieren, das hat sich in unserer Entwicklung als sinnvoll herausgestellt und uns somit evolutiv geprägt.
Indirekte Kommunikation, also über mehrere Ecken quasi, ist uns mit sehr viel mehr Menschen möglich. Ein Vorteil in der Menschheitsentwicklung bestand darin, anonym zu kommunizieren. Diejenigen Menschen, die diese Fähigkeit erlernten und gemeinsam ausüben konnten, hatten einen Vorteil gegenüber anderen und setzten sich im Evolutionskampf letztlich durch. Der Homo sapiens ist so ein Exemplar.
Wir haben es gelernt, aufgrund von Zeichen und Symbolen fremde Menschen nicht als Feinde zu betrachten. Das ist die Grundvoraussetzung um mit ihnen nicht-kriegerisch zu kommunizieren. Wenn das nicht geht, so lehrte uns die Geschichte, dann muss man sich auf einen Kampf einlassen und hoffen, der Stärkere zu sein. Das lernten wir über viele Jahrhunderttausende und diese Muster sind noch sehr tief in uns versteckt. So tief, dass wir sie nicht beliebig ausschalten oder schnell verändern können.
Das hat negative, aber auch sehr positive Seiten. Die „Ketten“ indirekter Kommunikation etwa können länger werden, fast beliebig lang sein. Man kann mehrere tausend Facebook-Freunde haben, ohne sie zu kennen. Man kann auch eine spontane, freundschaftliche Unterhaltung mit einem Menschen aus Australien anfangen, der an der Kreuzung mit seiner Vespa neben meiner stehen bleibt – selbst wenn man nicht die gleiche Sprache spricht. Die Kommunikation wird dann zwar eingeschränkt sein, läuft aber auf der gleichen Basis ab.
Ich bekam bei Silvio durch die Vespa sozusagen einen Vertrauensvorsprung, der die erste Kommunikationshürde automatisch überwinden konnte. Natürlich kann man sich auch auf der Straße spontan mit einem Australier (oder irgend einem Fremden) unterhalten ohne das gemeinsame Zugehörigkeitssymbol Vespa zu brauchen, aber dann gibt es andere Symbole, etwa ähnliche Kleidung oder eine bestimmte kulturelle Handlung oder was auch immer. Es ist sogar ohne jedes Symbol möglich, leichter wird es aber, wenn eines vorhanden ist. Noch leichter, wenn ebendieses ein starkes Symbol ist. Der berühmte französische Soziologe Claude Levi-Strauss hat darüber sein Buch „Totem und Tabu“ geschrieben. Auch bei der Vespa handelt es sich um ein „Totem“, also um ein Symbol der Clan-Zugehörigkeit. Menschen des gleichen Totems können einander vertrauen, sie gehören zusammen, haben quasi die gleiche „Ur-Mutter“. Sie sind fast wie Geschwister. Wichtig ist hier die eindeutige Erkennbarkeit des Totems, und das ist bei der Vespa sehr klar.
Man muss hier zwischen alten (Handschaltung) und neuen (Variomatik) Vespas unterscheiden. Das sind zwei verschiedene Totems, die einander nur in manchen Punkten ähnlich sind. Deswegen grüßen sich die FahrerInnen alter Vespas sehr oft, die von neuen nicht. Okay, es gibt so viele neue, dass das schwierig wäre, aber das zeigt nur, dass ein Identifikationsmerkmal stärker heraustritt, nämlich das der Seltenheit. Die neuen Variomatik-Vespas (Modelle GT, GTS und LX sowie S) werden zu einem guten Teil in China oder sonstwo gefertigt, sie haben nicht mehr die gemeinsame italienische Ur-Mutter. Früher kamen alle Vespas (außer die Lizenzbauten) aus Pontedera in Italien, wenngleich Piaggio auch damals schon Teile von Spezialfirmen zuliefern ließ, aber auch die waren meist italienisch. Die Qualität der Ersatzteile war auf einem hohen und gleichmäßigen Standard – alles Merkmale einer kräftigen und eindeutig identifizierbaren Ur-Mutter, eine klare Totem-Sichtbarkeit sozusagen.
Fahrer alter Vespas helfen einander in der Not – das ist zumindest ein Zeichen gemeinsamer Clanzugehörigkeit.

Das hat sich stark geändert und damit wurde die Kraft des Totems stark geschwächt. Es ist die Frage, ob die Kraft der Marke Vespa, von der Piaggio derzeit noch enorm profitiert, die Kraft des Totems ersetzen kann. Das wird erst die Zukunft zeigen, denn unsere Welt verändert sich ständig und auch die Evolutionsgeschichte wird weiter geschrieben.

Eine alte Vespa zu fahren liefert ein klares Zeichen an die Umwelt. Das ist keine Garantie überall freundschaftlich aufgenommen zu werden, aber es erhöht die Chancen. Ich konnte dies auf meiner Reise vielfach erfahren.

Rom mit einer 39 Jahre alten Vespa – Tag 1

In den folgenden Tagen berichte ich über meine Romreise – 100 % Abenteuer, 0 % Urlaub.

Ich hatte die Romreise schon für Sommer 2011 geplant, leider lief der dafür vorgesehene Motor meiner Vespa Sprint nicht so, dass ich auch nur an so eine Reise hätte denken können.
Heuer im Frühjahr war es dann soweit. Der Motor lief zufriedenstellend und auch der Rest der Vespa war quasi bereit für die lange Reise. Knapp drei Wochen im August sollten es werden – alleine, denn so eine Tour tut sich nicht so schnell wer an bzw. ist verrückt genug dazu.

Mein Zeitfenster öffnete sich am 28. Juli und schloss sich am 1. August, ich hatte also fünf Tage Zeit um aufzubrechen. Das Wetter sollte für die Wahl des Starttages ausschlaggebend sein und so begann es am Montag, den 30. Juli in der Früh. Bewölkung gab es reichlich, aber laut Vorhersage sollte es bis auf wenige Ausnahmen trocken bleiben und in den nächsten Tagen dann langsam immer schöner werden.

Bevor ich über die Fahrt berichte, möchte ich kurz den Hintergrund schildern. Was treibt mich zu so einer Aktion, die von vielen meiner Freunde mit „Wahnsinn“ und „verrückt“ locker kommentiert wurde?

Der Traum

Die Basis ist ein uraltes Bild, das sich in meinem Kopf festgesetzt war und aus dem heraus die Idee entstand. Es ist das Bild der Via Appia Antica, auf der ich vor 28 Jahren gemeinsam mit meiner Schulklasse im zarten Alter von siebzehn spazierte. Bei einem kleinen Alimentari kaufte ich mir damals zwei Panini mit Mortadella und eine Flasche Wasser (damals noch aus Glas) und dann saßen wir auf einem Jahrtausende alten Stein und machten eine kleine Pause.

Diese Bild wurde mit den Jahren immer stärker und nährte die Sehnsucht, diesen Ort wieder zu besuchen. Natürlich wäre das in Begleitung noch feiner gewesen, aber es ergab sich halt nun einmal nicht und so wurde klar, dass ich diese Reise alleine würde unternehmen müssen. So hatte ich als Begleitung die Einsamkeit, immerhin besser als gar niemand.

Eine Motivation bot mir Peter Moore, ein australischer Globetrotter und Autor, der kurz vor seiner Hochzeit eine alte Vespa kaufte und mit ihr ein paar Wochen lang durch Italien fuhr – und natürlich kam er auch bis Rom. Seine Bücher waren mir nicht nur Ansporn für mein eigenes erstes Vespa-Buch, sondern zeigen auch den Weg eines Mannes, der ein guter sein dürfte. Er machte seine erste Vespa-Tour (es folgte noch eine zweite kurz vor der Geburt seiner Tochter) als eine Zäsur, als deutliches Zeichen für den Wechsel in einen neuen Lebensabschnitt.

Etwas geht zu Ende, etwas Neues fängt an – der Übergang ist nicht immer einfach, oft mit Selbstzweifeln und Ängsten besetzt. Peter Moore hat sich den Weg ein wenig leichter gemacht, indem er sich einen alten Traum aus seiner Jugend erfüllt hat. So wie ich hatte er auch ein Bild vor Augen: Marcello Mastroianni auf einer alten Vespa, der gerade am Abend in den Ort hinunter fährt, um sich dort in einem kleinen Café oder einer Bar mit netten Leuten zu treffen. Deswegen nannte er seine zweite Vespa auch „Marcello“ und fuhr mit ihr durch Sardinien, Sizilien und wieder hinauf bis Rom.

Mein eigenes Bild es das der Via Appia Antica. Es ist ein sehr friedliches Bild mit viel Grün und einer uralten Straße mit viel Vergangenheit. Hohe Bäume säumen die Straße, die es in dieser Form schon seit mehr als zwei Jahrtausenden gibt.

In meinem Traum ist es Sommer, oder Frühling wie 1984. Der Frühling hat den Vorteil, dass alles blüht und grün ist. Dafür ist es noch ein wenig kühler und vom Wetter her unbeständig. Ich wünsche mir Sonnenschein und keinen Regen. Da es ruhig warm sein darf und ich im Sommer eher Zeit finden werde, ist es Sommer in meinem Traum. Da darf das Gras schon ein wenig gelb sein, der Himmel blau und die Zypressen dunkelgrün. Die Landschaft dort ist sehr kontrastreich, beginnt urban und wird dann schnell ländlich. Die Via Appia Antica ist 18 km lang und ich möchte sie gerne komplett abgehen.

Ich möchte gerne störungsfrei nach Rom kommen. Dieses Wörtchen ist wichtig. Ich bin nicht mehr zwanzig und will nicht an jeder Ecke eine Panne haben, auch wenn das immer ein Abenteuer verspricht. Die Reise wird so und so Abenteuer genug, auch ohne Störungen. Ich werde versuchen, kleineren Pannen einigermaßen vorzu-beugen, indem ich eine Menge Ersatzteile und Werkzeug mitnehme. Inzwischen bin ich auf diesem Motor so gut eingearbeitet, dass ich viele Pannen selbst beheben kann. Ich habe ihn schließlich selbst aufgebaut.
Mit Störung ist aber auch die Gefahr des Diebstahls gemeint. Das ist in Italien nicht ganz von der Hand zu weisen, vor allem, wenn man ein so auffälliges Gefährt wie das meine hat. Ich habe unendlich viel Arbeit und Geld investiert und möchte die Vespa weder durch Langfinger noch durch einen Unfall verlieren.

Daher wird es notwendig sein, die richtigen Unterschlüpfe zu finden, also Möglichkeiten, wo ich sie sicher abstellen kann. Zu meinem Traum gehören kleine Pensionen mit freundlichen Menschen, die einen Suchenden wie mich aufnehmen, für eine Nacht oder zwei.

Die Planung

Ohne ordentliche Planung kann das nicht funktionieren – so viel war mir klar. Es war aber auch wichtig, eine echte italienische Reise daraus zu machen, also die Quartiere nicht schon von Wien aus zu buchen. Ich würde sowieso nicht wissen, wie weit ich jeweils komme und auch die Route war nur teilweise planbar. Wie sich später herausstellte, fuhr ich komplett anders als ich vorher dachte, so in Wien vor dem Computer sitzend.

Der mit Abstand wichtigste Teil der Planung betraf die Vespa und da wiederum das Herzstück, den Motor. Ich hatte vor einem Jahr einen 200er aus Einzelteilen komplett neu aufgebaut, mit Originalzylinder und leichten Verbesserungen. Es sollte eine langstreckentaugliche Maschine werden, mit ein bisschen mehr Kraft als das Original, nicht zu hohem Verbrauch und vor allem standfest. (für die Technik-Interessierten: O-Tuning, also Originalzylinder mit aufgemachten Überströmern, optimiertem Kolben, Gravedigger-Kopf mit verbessertem Brennraum und Quetschfläche, gelippte 60er Langhubwelle vom Polinist, Vergaser gefräst, Einlass gefräst, Zylinderauslass optimiert plus SIP Road Auspuff)
Das ergibt insgesamt etwa 15 PS gegenüber 12 im Original. Eine 125er hätte 5,9 PS und wäre nur sehr bedingt tauglich für so eine Reise, außer man hat extrem viel Zeit und braucht keine Kraftreserven.

Im Frühjahr war es dann soweit, ich erklärte den Motor für fahrtauglich, natürlich ohne zu wissen, wie er sich auf knapp 3000 km Langstrecke verhalten würde. Ein neuer Stoßdämpfer hinten, gecheckte Bremsen, Elektrik wunderbar funktionierend – alles war bereit. Ich hatte mir als Weihnachtsgeschenk selbst noch eine Staubox geschenkt, die vorne innen in der Schürze montiert wurde. Da die Sprint links hinten keinen Reservereifen, sondern ein Staufach in der Seitenbacke hat, war ich nun mit zwei (versperrbaren) Fächern ausgerüstet. In die Backe kamen sämtliche Ersatzteile sowie das Werkzeug, in das vordere Staufach die schwere Absperrkette, ein Reservekanister mit zwei Litern Fassungsvermögen sowie das Öl und das Fahrtenbuch. Das sollte laut meiner Planung reichen und mir einige Reserven für eventuelle Pannen bieten. (auch hier wieder die Liste für die Techniker. Ersatzteile: Seile, Zündgrundplatte, Blackbox/Elektronikzentrale, Vergaserdüsen, Halbmondkeile, diverse Schrauben in allen Größen, Nipperl, Birnen bzw. Sofitten, Zündkerzen, Zündkerzenstecker, ein Satz Simmerringe, Kabelbinder, Schlauch für den Reifen, ein dünner 2m-Schlauch zum Benzinabpumpen, eine kleine Spritze mit Schmierfett, ein Elektrokabel, ein rotes Blinklicht/Rücklicht mit Batterie; Werkzeug: div. Schraubenzieher inkl. dem kleinen, mit dem man das Gasseilnipperl im Lenkerkopf festdrehen kann, Gabelschlüssel, Stecknuss-Satz, Schwungscheibenabzieher, Schwungscheibenhalter, Kupplungshalter, Gummihammer, Kombizange, Flach/Spitzzange, Kerzenbürste sowie eine Kopftaschenlampe.)

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Bild 1: Ersatzteile

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Bild 2: Werkzeug

Es gab einige Teile, die ich leider nicht mit hatte, dazu später mehr.

Der Start

Bewölkter Himmel plus das Gefühl, einfach los zu müssen. Ein Abschiedsfoto mit der fertig gepackten Vespa.

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Bild 3: Das Startfoto

Ich hatte einen Rucksack für alle Wertgegenstände, das Navi, das ich mir ausgeborgt hatte, Karten sowie Essen und Wasser, Fotoapparat, Sonnenbrille etc.
In einem großen, wasserdichten Sack hatte ich das Gewand, Kulturbeutel und noch einige Dinge, von denen ich mir sicher war, dass ich die Hälfte nicht brauchen würde.

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Bild 4: Vespa, fertig gepackt für die Abreise

Was ich an diesem Morgen noch dabei hatte, war ein gewisses Reisefieber, jedoch nicht allzu stark und wahrscheinlich normal für eine Fahrt ins Ungewisse.
Die erste Etappe führte mich nur bis St. Ruprecht an der Raab (gleich bei Gleisdorf und nicht weit von Graz) zu meinem lieben alten Freund Heinz Bauer und seiner Isabella. Ich hatte noch nie die Gelegenheit sie dort zu besuchen und durfte mich für eine Nacht einquartieren. Das war ein Ziel, auf das ich mich schon sehr freute und das auch in einer sinnvollen Distanz lag. Auf der Autobahn wären das nur ca. 180 km gewesen, ich hatte aber die Kombination mit einer alten und gerne gefahrenen Motorradroute vorgesehen, auch um zu testen, wie es dem Motor unter Bergstraßenbeanspruchung gehen würde.

Nach dem Start um 9 Uhr ging es über Purkersdorf und den Wienerwaldsee nach Hochroterd, dann nach Klausenleopoldsdorf und nach St. Corona am Schöpfl. Der dortige kleine Pass war auch der erste Halt und zugleich der Ort der ersten Panne. So schnell hatte ich das nicht erwartet, doch zum Glück war es nichts Schlimmes. Es hatten sich die Befestigungsstangen des hinteren Gepäckträgers losvibriert und eine war bereits verschwunden. Das ist auch keine besonders schlaue Konstruktion, vor allem, weil sie sich unter dem Gewicht der Gepäckrolle ständig verändert und nur schwer ausreichend zu fixieren ist.

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Bild 5: Die Befestigungsstange, die noch übrig ist

Bis Gleisdorf würde der Gepäckträger auch ohne die Stangen halten und dort würde ich ihn dann mit einem Spanngurt festzurren. So wäre dann die erste Panne erfolgreich behoben.
Dunkle Wolken deuteten an, dass mich das Wetter eventuell doch nicht ungeschoren (besser: ungewaschen) bis nach St. Ruprecht kommen lassen würde, aber vorerst blieb es trocken. Das war übrigens eine meiner größten Ängste, daher auch das Zeitfenster, um dem Regen zu entkommen: Ich mache mir bei Nässe ziemlich in die Hose. Insgesamt bin ich in 13 Jahren Zweiradfahren 12 Mal gestürzt und fast jedes Mal bei Nässe, weil mir das Vorderrad weggerutscht ist. Eine Vespa hat noch dazu eine ziemlich miese Straßenlage, kleine Reifen (10 Zoll) und ist daher besonders anfällig. Da das für mich puren Stress bedeutet, hatte ich mir geschworen bei Regen sofort eine Pause in irgend einem Wirtshaus zu machen und abzuwarten, bis der Regen vorbei und die Straße wieder trocken ist. Bei einem ordentlichen Tiefdruckgebiet kann das allerdings ein paar Tage dauern, während ein Gewitter keine große Katastrophe ist, außer es erwischt mich gerade auf einer Passhöhe und die Abfahrt wird zur Rutschpartie.
Und ich kenne mich: ich werde dann sehr ungeduldig, wenn es regnet, und möchte so schnell wie möglich weiter. Das Wirtshaus, in dem ich in solchen Fällen strande, ist nicht das Ziel und dort hält mich auch wenig.
Kurz und gut: Die bessere Variante bestand darin, gar nicht erst in den Regen zu kommen.

Über Altenmarkt ging es nach Berndorf und von dort über den so genannten „Hals“ nach Pernitz und weiter nach Gutenstein. Die Vespa lief prächtig, allerdings ging langsam der Sprit zur Neige. Ich erinnerte mich, dass es in Gutenstein eine Tankstelle gibt. und machte mir keine Sorgen. Bis ich an der Tankstelle in Gutenstein vorbei fuhr. Oder besser: an dem, was von ihr noch übrig war. Sie war scheinbar Pleite gegangen und hatte nun geschlossen. Eine nette Dame erklärte mir, dass die nächste Tankstelle in meiner Richtung in Gloggnitz wäre. Da ich nicht zurück fahren wollte (vorwärts geht´s, vorwärts!) versuchte ich auszurechnen, wie lange ich mit dem Tank noch durch käme. Bei der Vespa gibt es natürlich keine Tankanzeige, sondern man fährt, bis der Motor ausgeht. Dann dreht man den Benzinhahn auf Reserve und hat noch 20 bis 30 km, je nachdem, wie viel der Motor schluckt und welchen Tank man eingebaut hat.
Fazit: Je nachdem, wie schnell ich auf Reserve bin, komme ich damit noch bis Gloggnitz (von Gutenstein etwa 45 Kilometer). Also los, hinauf aufs Klostertaler Gscheid. Als ich den Gedanken fertig hatte, musste ich auf Reserve schalten und es war klar, dass sich Gloggnitz auch mit bestem Willen nicht ausgehen würde. Aber ich hatte ja noch meine zwei Liter im Reservekanister, das müsste reichen.
Im Höllental füllte ich dann um und bemerkte, dass mir ein Einfülltrichter fehlt. Das funktioniert auch ohne, ergibt aber eine gehörige Sauerei am Tank. Die zwei netten Motorradfahrer, die auch gerade dort stehen blieben, wünschten mir eine Gute Reise nach Rom und ich fuhr weiter bis Reichenau. Dort gibt es auch eine Tankstelle (das hatte ich vergessen) und die wäre sich auch ohne Einfüllsauerei ausgegangen. Aber so ist das Vespafahren.
Da ich jetzt noch Sprit im Tank hatte, fuhr ich an der Tankstelle in Reichenau locker vorbei, schließlich kommt ja elf Kilometer weiter die nächste in Gloggnitz. Dachte ich zumindest. Leider war dem nicht so, vielleicht gibt es gut versteckt im Ort eine, auf der Hauptstraße ist jedenfalls nichts. Mit langem Gesicht fuhr ich weiter, denn danach geht es über den Ramssattel nach Kirchberg am Wechsel (das „am Wechsel“ ist wichtig, dort in der Gegend gibt es ein geschätztes Dutzend Kirchbergs). Also wieder zittern. Glücklicherweise kam direkt hinter Kirchberg eine offene Tankstelle mit einer sehr netten Dame, die vor dem Kassieren noch schnell zur Preistafel musste, um den Preis nach oben zu korrigieren. „Jeden Tag um zwölf Uhr Mittags wird der Treibstoff teurer“ meinte sie und ich hatte das unverschämte Glück, noch davor getankt zu haben.
Danach ging es nach St. Corona am Wechsel, wo ich in meinem Lieblingswirtshaus einkehren wollte, mit herrlichem Blick zu Schneeberg, Rax und ins ganze Land hinein.
Das hatte leider geschlossen, also fuhr ich weiter, um ein paar Minuten später woanders Mittagspause zu machen. Ich erwischte eine leicht bizarre Szenerie, denn in dem Wirtshaus machten drei alte Weiblein scheinbar einen Sommerfrischeaufenthalt, und das seit geschätzten 100 Jahren jeden Sommer. Sie saßen jede auf einem anderen Tisch, durch je einen Paravent getrennt und gaben hintereinander Wortmeldungen ab, etwa „Können Sie sich noch an den Doktor erinnern, den mit dem Hund, der müsste auch schon länger tot sein, der hat immer Schweinsbraten gegessen.“ Sie aßen jede ihr Menü und ich eine gebackene Leber, quasi um den Kontrast zum hoffentlich bald folgenden italienischen Essen deutlicher zu machen.

Nach einer Abfahrt durch die Kleine Klause ging es hinauf auf den Wechsel, einst das Tor zum Süden, viel befahren und berühmt. Jetzt führt ein paar Kilometer weiter die Autobahn vorbei und an der Straße stehen verlassene Wirtshäuser und geschlossene Tankstellen, ein tristes Bild. Ich war aber guter Dinge, denn das Wetter wurde besser und die Vespa lief hervorragend.

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Bild 6: Am Wechsel

Der Rest der Fahrt verlief unspektakulär, nur nach dem kurzen Halt in Hirnsdorf sprang die Vespa etwas schwer an. Ich kannte dieses Phänomen des schlechten Warmstarts bereits und hatte etwas Angst davor, denn ich würde in den nächsten Tagen oder Wochen sehr oft einen Warmstart machen, ausgesprochen oft sogar. Da konnte ich eine schlecht startende Vespa gar nicht brauchen. Ich hatte schon versucht das Problem in Wien zu beheben, aber auch die Experten unter meinen Zanglerfreunden wussten nicht wirklich, warum es so war. Es müsste etwas mit dem Vergaser zu tun haben. Aber was?

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Bild 7: Hirnsdorf

Egal, ich erreichte St. Ruprecht um 14 Uhr 45, also nach knapp sechs Stunden, inklusive 45 Minuten Mittagspause. Nun musste ich nur noch das Haus von Heinz und Isabella finden, das sich am Bahnhofsweg befindet, interessanterweise mit der Hausnummer Dreihundertirgendwas. „Die müssen aber lange Straßen haben“ war der erste Gedanke. Oder sie haben alle Häuser wild durchnummeriert. Das könnte die Suche etwas erschweren, wobei ich den Bahnhofsweg sofort fand. Dort war dann die Nummer 151 neben 208 und daneben befand sich 193.
Irgendwo blieb ich stehen und sah einen Herren, der gerade auf seinem Garagenvorplatz mit irgendwas beschäftigt war. Er blickte freundlich auf die Vespa und ich fragte ihn nach „Bauer und Petz“ sowie der Hausnummer. Stirnrunzelnd meinte er, mit den Hausnummern hätte er es nicht so und er kenne weder jemand mit dem Namen Bauer noch mit dem Namen Petz. Vielleicht wären das die Leute, die erst vor kurzem daher gezogen wären, am Ende der Straße, meinte seine hinzukommende Frau. Wir diskutierten ein wenig herum und dann sagte ich „Heinz und Isabella“. Das bewirkte ein sofortiges Strahlen in ihren Gesichtern: „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, das sind unsere Nachbarn, gleich das Nebenhaus.“ Mit den Nachnamen hätte man es hier nicht so, aber den Heinz, denn würden sie natürlich gut kennen.

Dann ergab ein Thema das nächste, Silvio hatte bis vor kurzem auch eine Vespa, dann jedoch wegen der beiden Kinder eine Ape Calessino gekauft, damit könnte man alle mitnehmen.

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Bild 8: Ape Calessino, in einer sehr netten Sonderlackierung, mit 400ccm Dieselmotor

Es stellte sich heraus, dass Silvio und seine Frau ums Eck eine Pizzeria und ein Eisgeschäft haben und sehr italophil sind. Sie erzählten von lieben Freunden in Cavallino bei Venedig und dass sie dort öfter zu Gast wären.
So ergab sich mein nächstes Quartier und ich hatte durch die Vespa meine ersten netten Bekanntschaften gemacht.

Das ist es, was ich suche und versuche in diesem Buch zu beschreiben – der Mythos Vespa ist nur deswegen einer, weil er funktioniert. Eine alte Vespa löst bei vielen Menschen ein Gefühl aus, das sie positiv stimmt. Silvio hätte mir auch den Weg gezeigt, wenn ich mit irgendeinem Roller oder Motorrad gekommen wäre. Aber wir hätten wahrscheinlich kein Gespräch angefangen bzw. es wäre ganz anders verlaufen. Ich bin mir sicher, dass ich das tolle Quartier (siehe Bericht Tag 3) nicht bekommen hätte. Die Vespa öffnet Türen, die vorher als Türen gar nicht sichtbar bzw. gar nicht vorhanden waren.
Mit einer alten Vespa zu fahren macht dich zum Teil eines unsichtbaren Netzwerkes, das sehr gut funktioniert. Es ist immer wieder als solches erkennbar, etwa wenn sich die Fahrer alter Vespas grüßen, was sehr oft vorkommt. Ich habe auf dieser Reise nur zwei bis drei andere Tourenfahrer getroffen, man grüßte sich stets anerkennend und freundschaftlich.
Ich darf an dieser Stelle ein wenig ausholen: Gesellschaft – was ist das eigentlich? Wir nehmen dieses Wort oft und schnell in den Mund, aber wissen wir, worüber wir hier reden? Ich habe in meiner Zeit an der Uni Klagenfurt im Bereich der Gruppendynamik oft und intensiv über den Gesellschaftsbegriff nachdenken dürfen – wir sind nie auf ein wirklich befriedigendes Ergebnis gekommen. Die Vespa bietet nun einen Blick durchs Schlüsselloch, in das Geheimnis des menschlichen Kollektivlebens sozusagen.
Das Netzwerk ist sehr fein gesponnen und wie ein Spinnennetz trotzdem recht belastbar bzw. tragend. Jede(r) kennt eine(n), der eine Vespa hat, zumindest in unserem Kulturkreis. Oder er kennt einen, der einen kennt, der eine hat. Und der kennt jemand, der Vespas reparieren kann. Diese Leute sind wiederum meist in einem der virtuellen Netzwerke wie dem German Scooter Forum oder auch bei einem der unzähligen Clubs. Eine Vespa öffnet nicht nur Türen, sie schafft eine Art gemeinschaftlicher Grundstimmung, die tragbar genug für etwa gegenseitige Hilfe ist. Diesen Punkt werde ich im Laufe dieses Buches noch ein paar Mal aufgreifen und erörtern.
Eine lange Tour mit einer alten Vespa eröffnet zusätzlich noch weitere Perspektiven. Man ist klar als Reisender erkennbar, der zumindest den Mut hat, einen Oldtimer in einer neuen Zeit zu fahren. Man sendet Signale aus, optische in erster Linie, die von den Menschen klar erkannt werden. Sie ermöglichen eine schnelle Einordnung und Kategorisierung, die folgende Eckdaten enthält: nicht aggressiv, traditionsbewusst oder zumindest mit Freude an alten, erhaltenswerten Dingen, ein wenig schräg und jenseits der Norm, nicht fad, individualistisch etc.
Silvio hat etwa sofort erkannt, dass da jemand unterwegs ist, der mit Liebe und Hingabe seinen Oldtimer pflegt – und das war ihm zumindest so sympathisch, dass er sich auf ein längeres Gespräch einlassen konnte. Die Vespa hat uns nicht auf eine Linie gebracht, aber sie hat ermöglicht, dass wir das überhaupt versuchen konnten.
Gesellschaft ist also ein Netzwerk von Beziehungen, das durch gemeinsame Normen und Regeln sich selbst erhält. Es gibt gemeinsame Werte („Ich hatte auch eine alte Vespa und verstehe dich, der du auch eine hast“), die erkennbar sind und auf die man sich bis zu einer bestimmten Grenze verlassen kann. Das gibt Sicherheit und das wiederum ist die Basis, um Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauen wiederum ist der Kitt der Gesellschaft. Die Tragfähigkeit der Grundbeziehung zeigte sich bei Silvio, als er bereit war, mir die Nummer von Sigi und Helga Karlegger zu geben, die mich bei sich wohnen lassen würden. Meine Seriosität war einerseits durch die Freundschaft zu Heinz als Silvios Nachbar gegeben, andererseits auch durch die gemeinsame Leidenschaft für alte italienische Motorroller. Die Tragfähigkeit zeigte sich dann auch am nächsten Tag, als ich tatsächlich in Italien anrief, um das Quartier zu bekommen.

Die alte Vespa ist wie ein Codewort, wie ein Schlüssel, der in viele Schlösser passt. Sie ist in dieser Eigenschaft sehr universell und somit ein Element, das Gesellschaft erzeugt, stiftet.

Abends saß ich noch länger mit Heinz und Isabella zusammen. Der erste Abend war in sich sehr stimmig und stimmungsvoll, ich genoss sehr das Treffen mit guten Freunden. Und ein Highlight wartete auch noch: Heinz führte mich seinen Keller, wo er seine Plattensammlung lagert. Da ich keine Kamera habe, die 360-Grad-Bilder schießen kann, sieht man auf dem nächsten Bild nur einen Ausschnitt. Ich darf versichern: Alles vom Feinsten! Das zweite Bild zeigt seine The-Who-Plattensammlung, weit größer als meine, zum Niederknien, sicher eine der größten und schönsten in Österreich (Wo PostIts hängen: The Who…)

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Bild 9: Die Plattensammlung – oder besser: Ein Ausschnitt

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Bild 10: The Who

Die Tour hatte gut begonnen, der erste Tag war ein voller Erfolg. Nun würde sich zeigen, was die nächsten Tage bringen.