„A erstickter Schrei“ (Zur Flüchtlingsdebatte)

Vor nicht langer Zeit spielte eine meiner Lieblingsbands, die „Feinen Leute“, eine mir bis dato unbekannte Nummer vom Georg Danzer, bei der ich schlagartig verstand, was in Menschen vorgeht, die aus ihrer Heimat vertrieben werden, sei es durch Krieg, Hunger, Perspektivenlosigkeit oder sonstwie.

Er spürt die Sunn in seine Augen, er spürt den Wind in seine Haar, er riecht des Wasser drunt am Ufer und alles ist so nah und klar.
Er siecht die Hügel und die Felder, des grüne Land in seine Tram.
Was is von alldem no übrig? Verbrannte Erd‘, verkohlte Bam.

Er spürt a grenzenlose Panik wie ana, der im Fluss ertrinkt. Umgeb’n von Menschen, die nur zuaschaun und eam wird schwarz und er versinkt.
Ka Mensch geht freiwüllich so afoch fuat vo dort, wo seine Wurzeln san.
Ka Mensch wü sterben an an fremden Ort – verkauft, verraten und allan.

Ka Mensch verlasst sei Heimat ohne Grund, ka Mensch wü gern a Fremder sei.
Und sei Verzweiflung in der letzten Stund‘ is stumm wie a erstickter Schrei.

Hier ein Link zum Konzert der „feinen Leute“ am 11. März 2016 im Cafe Kriemhild. (Wessen Herz dadurch nicht gerührt wird, sollte sich überlegen, ob er/sie es nicht verloren hat):

Hier ein Link zum Konzert von Georg Danzer auf der Donauinsel 2005:

Und hier ein Konzert von Austria 3:

Das Lied vom „Schurli“ stammt aus 1999 und ist heute aktueller denn je. Die Profiteure unserer Angst versuchen uns einzureden, Flüchtlinge wären keine Menschen, sondern böse Kreaturen, die nur zu uns kommen, um uns das wegzunehmen, was wir besitzen.
Vielleicht nehmen sie uns ja unsere Angst, von der besitzen wir nämlich reichlich.

Es mag unter den Menschen, die zu uns kommen, auch böse geben, aber unsere eigene Menschlichkeit werden wir nur daran erkennen können, wie wir bereit sind zu differenzieren. Da auch die besten unter uns nicht an der Nasenspitze erkennen können, ob jemand gut oder schlecht ist, werden wir uns mit diesen Menschen auseinandersetzen müssen, indem wir uns mit ihnen zusammensetzen.
Dort, wo wir das schon tun, erkennen wir stets, dass die meisten gut sind und Menschen wie wir. Die schlechten waren und sind immer in der Minderzahl und können einer gesunden Gesellschaft nichts anhaben, so wie Krankheitserreger einem gesunden Körper nichts anhaben können.
Also dürfen wir uns als Gesellschaft nicht krank machen lassen. Die Erreger kommen übrigens in diesem Fall nicht von außen, sondern von innen, wir haben sie selbst produziert und zugesehen, wie sie sich vermehren konnten. Sie infizieren gesunde Teile unserer Gesellschaft, vor allem jene, die schon geschwächt sind, also Angst haben. Je mehr, desto leichteres Spiel haben sie.
Dagegen hilft als Medizin der Mut. Er entsteht in der Gemeinschaft, die an sich selbst glaubt und ein attraktives Ziel vor Augen hat.

Ich war im September 2015 am Hauptbahnhof und wollte meine Hilfe anbieten. Allerdings bin ich nach kurzer Zeit wieder gefahren, denn um die ankommenden Flüchtlinge gab es ein richtiges „G´riss“, wie man auf Wienerisch so schön sagt. Ich stand eigentlich nur im Weg herum und hatte keine Ahnung wo und wie ich helfen sollte. Es schien alles wie am Schnürchen zu laufen, meine Unterstützung wurde schlicht und einfach nicht gebraucht. Vielleicht nur heute, eventuell sieht es morgen ganz anders aus. Und ich wollte dann auch nicht dort bleiben ohne sinnvolle Beschäftigung. „Flüchtlinge schaun“ liegt mir nicht.

Was ich gesehen habe: Alles läuft in ruhiger Ordnung ab. Ein junger Mann ruft auf Arabisch Infos durch einen Volksverkünder, in der Halle sind jede Menge Kojen abgetrennt (das ist von gestern auf heute passiert), wo die Menschen sich umziehen können, ausruhen oder essen. Es ist weder schmutzig noch stinkt es, alle Leute wissen scheinbar, was sie wollen und was zu tun ist. Überall flitzen HelferInnen herum und tun irgendwas. ÜbersetzerInnen haben Schilder auf der Brust, auf denen geschrieben steht, in welchen Sprachen sie helfen können. Angeblich gibt es auch genug davon. Sehr viel Essen wird herumgetragen, es gibt eine Krankenstation und eine Kleiderausgabe sowie einen eigenen Bereich für Hygieneartikel. In den sozialen Medien wurde bereits durchgesagt, dass von allem genug vorhanden ist, zumindest zurzeit. Die Stimmung ist ruhig und nicht hektisch und ich habe das Gefühl, dass alle Flüchtlinge gut versorgt sind. Ständig kommen Züge an und fahren wieder ab. Außerhalb des Bahnhofs merkt man fast nichts, nur ein paar Zelte stehen herum und einige Krankenwägen. Ständig kommen Menschen zum Bahnhof, die irgend etwas mitbringen, spenden bzw. abgeben wollen. (Auf einer Website hab ich gesehen, dass jemand seine alten Eislaufschuhe gespendet hat. Nun ja.)

Das war irgendwie nicht meine Veranstaltung. Auch okay. Zur Sache habe ich allerdings etwas zu sagen und werde versuchen, das einigermaßen systematisch aufzuarbeiten. Ich möchte bei Adam und Eva beginnen (das hat sich immer schon bewährt), bekanntermaßen die ersten Flüchtlinge der Welt, Vertriebene aus dem Paradies, Opfer des alttestamentarischen Gottes Jahwe. Asylantrag mussten sie keinen stellen und damals waren auch weder Schlepper schon erfunden noch das Geld, um sie zu bezahlen.
Sie mussten dort weg, obwohl sie gerne geblieben wären – das ist wohl die einzige Gemeinsamkeit mit den heutigen Flüchtlingen. Wobei – auch Syrien war bis vor kurzem schön und die meisten Menschen haben sicher gerne dort gelebt. Es gab auch meines Wissens keine Flüchtlinge vor dem Krieg, obwohl man Syrien sicher nicht als Paradies bezeichnen kann, dafür gab es auch dort schon zu viele Spannungen.
Die Bilder, die von dort zu uns kommen, zeigen einen der Gründe, warum die Menschen flüchten. Hier ist eines davon, es zeigt angeblich eine Straße der syrischen Stadt Homs vor dem Krieg und jetzt (ich habe keine Quellenangabe):

Homs.jpg

In den Foren liest man immer wieder, dass die Syrer doch gefälligst dort bleiben sollen, denn bei uns sind die Menschen nach dem 2. Weltkrieg ja auch nicht weggelaufen.
Dieses Argument ist aus mehreren Gründen falsch. Erstens gab es eine Menge Menschen, die Österreich verlassen haben, viele davon weil sie hier keine Zukunft mehr sahen, und zwar wirtschaftlich. Zweitens war nicht ganz Österreich zerbombt und die Menschen in der Stadt bekamen Hilfe vom Land, wo eine funktionierende Landwirtschaft für die notwendigen Lebensmittel sorgen konnte, zumindest ab 1946, davor gab es Hilfslieferungen, die vor allem aus USA kamen. Die polizeiliche Sicherheit wurde mehr oder weniger durch die Alliierten gewährleistet.
In Syrien ist das anders, die sonst übliche landesinterne Flucht ist fast zum Erliegen gekommen, weil es an den meisten Orten so aussieht (angeblich Kobane, auch hier keine gesicherte Quellenangabe):

Kobane.jpg

Dort kann man nicht leben oder zumindest können das nicht viele. Außerdem ist ein Ende des Krieges nicht in Sicht, das war 1944 und 1945 bei uns anders. Ich persönlich glaube nicht, dass die Menschen dort aus Jux und Tollerei flüchten. Auch dass sie bei der Überfahrt in Schlauchbooten „Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön“ anstimmen, kann ich mir nicht vorstellen.
Neueste Zahlen sagen, dass von 20 Mio SyrerInnen bisher 6 Mio. geflüchtet sind. Die meisten davon befinden sich in Auffanglagern in den Nachbarländern, also in der Türkei, dem Libanon und Jordanien, einige auch in Ägypten. Nur etwa ein Zehntel (angeblich 350.000) sind nach Europa geflüchtet, die arabischen Bruderstaaten (Saudiarabien, Emirate) nehmen keine Flüchtlinge auf und auch die USA oder Kanada zeigen nicht gerade mit beiden Händen auf, wenngleich Justin Trudeau, der neue kanadische Premierminister, neulich mit einer Aktion eine ganze Partie syrische Flüchtlinge ins Land holte.
Also kommen sie nach Europa, das vielen als gelobtes Land erscheint (also eh nicht ganz Europa, eher Deutschland und Skandinavien und mit Abstand dahinter England und einige andere Länder, darunter auch Österreich).

Wie geht es weiter?

Es werden so lange Flüchtlinge kommen, wie die Ursache der Flucht besteht – so einfach ist das. Im nahen Osten sind das die Kriege und die politischen Unruhen, in Afrika ist dies ebenso, nur kommen auch noch Armutsprobleme dazu. Das bedeutet, dass es so weiter geht, wenn z.B. der Krieg in Syrien weiter befeuert wird. Krieg funktioniert nur mit Waffen, daher befeuert der Waffenhandel den Krieg. Natürlich ist das Problem nicht europäisch lösbar, denn wenn Europa mit den höchst lukrativen Waffenexporten aufhört, steigt Russland ein, oder die USA oder China. Da diese Staaten keine Angst vor syrischen Flüchtlingen haben müssen, können sie risikolos Geld verdienen, sehr viel Geld. Derzeit hat Europa entweder kein Mittel um diese Staaten unter Druck zu setzen oder es will sie nicht verwenden. Dafür haben die europ. Staaten zugestimmt, dass die Hilfe für die Flüchtlingslager in Jordanien und im Libanon gekürzt wird.

Trotzdem müssen sich all die Länder, die Waffen in die Krisengebiete verkaufen (und daran prächtig verdienen) den Vorwurf gefallen lassen, dass sie an den dortigen Verhältnissen mit schuldig sind. Österreich ist eines dieser Länder: Die Lieblingswaffe der IS-Terrorführer ist angeblich die österr. Glock-Pistole und eine österr. Firma hat viele tausend Sprenggranaten über den Umweg Saudi-Arabien nach Syrien geliefert – genehmigt vom Außenministerium unter der Leitung von Außenminister Sebastian Kurz. Auch das Steyr-Sturmgewehr STG 77 (die österr. Antwort auf die Kalaschnikow) wurde dort schon gesichtet.

Flüchtlingshilfe vor Ort kürzen, dafür eigene Waffen liefern und dann jammern, wenn Menschen zu uns flüchten – es gibt wohl nichts scheinheiligeres als das.

Es wird uns das Jammern nichts nützen. Die Menschen werden zu uns kommen und wir werden das, was wir haben, mit ihnen teilen müssen. Da wir in Österreich derzeit ca. 1/3 aller Lebensmittel wegwerfen, wird es uns auch dann an nichts fehlen, außer vielleicht an Xenophobie, die wir gerade so eifrig hegen und pflegen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert