Armut ist ansteckend

Eine spannende Sendung in 3sat über die Armut der Mittelschicht hat mich zu diesen Gedanken inspiriert.

Die soziale Mittelschicht, die in Europa eigentlich Trägerin des Wohlstandes ist, wird dünner, und zwar deutlich und immer schneller. Das gilt für Deutschland ganz besonders, aber natürlich auch für Österreich und etwa Frankreich.
Gut ausgebildete Menschen mit bisher guten Jobs und gutem Einkommen sitzen plötzlich auf der Straße, oft mit fünfzig Jahren am Buckel und damit in einer heiklen Situation: laufende Kredite, verwöhnte Kinder und ein Lebensstandard, an den man sich gewöhnt hat.

Eine Französin sagt: „Meine neue Situation wirkt auf meine Umgebung als hätte ich Krebs.“ Das ist erstaunlich und in meinen Augen ein Warnsignal. Sobald jemand arbeitslos ist oder in Gefahr gerät sozial abzusteigen, verliert er seine Freunde. Das wirkt wie ein Nachbrenner auf dem Weg nach unten. Die Menschen haben Angst, dass ihnen das auch passieren könnte und meiden die Person, der es gerade passiert oder schon passiert ist. So als hätte er/sie eine ansteckende Krankheit.

Was läuft da falsch? Mir wurde und wird ständig erzählt, dass durch unser Wirtschaftssystem plus Politik etc. die Mittelschichte wachsen würde und auch die unteren Schichten immer weiter hinauf wandern würden. Man hat sogar aus der „Unterschicht“ in den 1970ern die „Untere Mittelschicht“ gemacht. Der Reichtum der Oberen wird als Segen für die Unteren gepriesen.

Und jetzt geht das in die Gegenrichtung? Obwohl die Wirtschaft boomt, die Börsenkurse steigen und die glitzernde Konsumwelt geradezu gestürmt wird? Kann es sein, dass da was nicht stimmt?

Ist es notwendig, sich das Wertesystem, das dahinter gut verborgen ist, auf seine Brauchbarkeit zu durchleuchten? Machen uns die vielen Dinge, die wir besitzen (ich habe neulich meiner Schwester beim Umzug geholfen, ja, es sind sehr viele Dinge), wirklich glücklich und zufrieden?

Viele Fragen und ich habe noch keine guten Antworten.

Jedenfalls bröckeln einige der bürgerlichen Werte:

Fleiß und Anstrengung zahlen sich aus – das stimmt nur mehr sehr bedingt. Es gibt genügend Menschen, die enorm viel arbeiten und immer tiefer sinken.
Bildung zahlt sich aus – es gibt Absolventen mit mehreren Titeln, die Taxi fahren. Nein, keine Verrückten, ganz normale Menschen.
Mit einem guten Job alt werden – in immer weniger Branchen und Firmen ist das möglich bzw. überhaupt denkbar.

Was somit wegfällt ist die Steuerbarkeit und Planbarkeit. Man ist hilflos ausgeliefert – nur wem oder was eigentlich? Der Politik? Der „Wirtschaft“ oder der „Globalisierung“? Dem Glück?
Vielleicht nehmen deswegen die Glückspiele zu?
Viele schielen nicht mehr hoffnungsvoll nach oben, sondern eher ängstlich nach unten.

Es ist an der Zeit darüber zu reden, was wir falsch machen.

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