Auch der Oliver ist nicht mehr

Drei Freunde in drei Monaten – langsam wird es mir zu viel. So muss es im Krieg gewesen sein, wenn du ständig Nachrichten vom Tod eines geliebten oder geschätzten Menschen bekommen hast.
Und jetzt noch der Oliver. Dabei dachte ich noch bis zur Nachricht seines Todes, dass er es auf jeden Fall schaffen würde. Selten habe ich mich so bitter geirrt. Ich fühle mich wie ein Elefant, der sein von Wilderern geschossenes Junges sucht und nicht versteht, dass es nicht mehr da ist. Es muss doch antworten auf die Rufe!
Das Bild habe ich vor ca. 3 Jahren beim Rollertreffen im Prater gemacht:

prater

Es fällt mir sehr schwer über den Oliver zu schreiben. Ich habe ja noch nicht einmal wirklich kapiert, dass es den Christian und den Ronny nicht mehr gibt. Jetzt habe ich noch einen meiner engsten Freunde verloren. Mit kaum sonst jemandem habe ich in den letzten Jahren so viel Zeit verbracht und über so viele verschiedene Dinge gesprochen.
Und doch war es zu wenig als dass ich ihm hätte helfen können. Wer sich die Kommentare meines Weblogs durchliest, wird da und dort auch eines vom Oliver finden, er hatte es mittels RSS abonniert.

Eines Tages (am 8. April 2008) stand ein riesenhafter blonder Typ in der Türe von der Galleria und war mir auf der Stelle sympathisch. Das passiert ohne dass ich weiß warum, es ist das Bauchgefühl, das mir sagt, ob jemand ein Guter ist oder nicht. Bei Oliver war die Sache sofort klar, keine Bedenken. Wir kamen gleich ins Plaudern über dies und jenes und natürlich über Vepas. Ich hatte gerade eine GS in Restauration, er hatte auch eine. Ich hatte eine Sprint, er auch.
Aus dem gemeinsamen Hobby wurde eine Freundschaft und eine Kollegenschaft. Eines Tages (ich hab die mail gefunden, es war am 16. September 2009) fragte mich Oliver, ob ich nicht Lust hätte, auf der Fern-FH eine Lehrveranstaltung zu machen, einer der Lehrenden könnte einen Co gebrauchen und eigentlich würde er ihn gerne ablösen lassen. Und zwar durch mich.
Als ich erfuhr, dass es sich um den Masterstudienlehrgang in Wirtschaftsinformatik handelt, war ich mehr als skeptisch – davon habe ich nicht den Tau einer Ahnung. Doch er beruhigte mich – das wäre kein Problem, und außerdem wäre er mein Chef und würde mir helfen. Und sogar Geld gäbe es.

Daraus entwickelte sich eine durchaus intensive Zusammenarbeit und ich lernte Oliver neben dem Vespafahren und -zangeln auch von einer ganz anderen Seite kennen, als Wissenschafter, Computerspezialist und auch als oftmals leicht genervten Studienlehrgangsleiter.
Wir redeten über viele Themen und er war stets ein aufmerksamer Zuhörer und ein spannender Diskussionspartner. Die Freundschaft wuchs und entwickelte sich immer besser, ich hatte auf einmal drei Lehrveranstaltungen und auch die Abstimmung in Sachen Vespa wurde immer exakter – bald wussten wir über alle Pläne gegenseitig Bescheid und konnten uns in vielen Dingen aushelfen und ergänzen.
Auf dem folgenden Bild haben wir eine alte Vespa GL in seinen Keller getragen. Er wollte sie über den Winter herrichten.

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Wieso habe ich der düsteren Seite nicht mehr Beachtung geschenkt? Ich weiß sehr wenig über seine Vergangenheit, wir beschäftigten uns eigentlich immer mit der Gegenwart, die war viel spannender und lustvoller. Und natürlich auch mit der Zukunft, denn wir waren wahre Weltmeister im Pläneschmieden und im gemeinsamen Teilen der Vorfreude.
Das folgende Bild ist das letzte, das ich von Oliver machen konnte. Es zeigt ihn mit seiner fertig typisierten P 200 E und wurde am 2. August aufgenommen. Da hatte er noch genau vier Wochen zu leben.

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Das wusste ich nicht. Das ahnte ich nicht. Das konnte und wollte ich mir auch nicht vorstellen. Schließlich hatte er die bei weitem beste Prognose der drei Freunde, schließlich hatten die Ärzte gesagt, dass er entweder vollständig geheilt werden könne oder schlechtestenfalls eine Art chronischer Krankheit haben würde – alles nicht lustig, aber noch keine Beeinträchtigung des Lebens.

Ich habe erst jetzt erfahren, dass auch über seiner Familie ein Schatten lag, kenne aber keine Details. Er hat seinen Vater nie kennen gelernt – wer weiß, was das mit ihm gemacht hat.
Mehr wusste ich natürlich über seine beruflichen Vorstellungen und dass ihn der Job als Studienlehrgangsleiter schon länger nicht mehr freute – damit war aber nicht die wissenschaftliche und organisationsentwicklerische Seite seiner Arbeit gemeint, sondern die ständige Auseinandersetzung mit den Studenten – mit nervigen Typen, Obezahrern und anderen schwierigen Leuten. Da wollte er schon vor über zwei Jahren raus und durch die Krebserkrankung ist ihm das auch gelungen. Allerdings musste er jetzt den höchsten aller Preise zahlen.
Damit will ich nicht andeuten, dass ihn der Job krank gemacht hat, denn das stimmt sicher nicht. Es ist überhaupt nur als eine Verkettung vieler Umstände vorstellbar – genetische Prädisposition, Umweltschäden in kulminierter Form, vielleicht auch systemische Ursachen aus der Familiengeschichte – alles in allem ein tödlicher Cocktail. Oliver lebte nicht ungesund, er rauchte nicht oder fast nicht und ernährte sich nicht schlecht.
Es gab genügend Bereiche seiner Arbeit, die ihn mit Begeisterung erfüllten und wo er sich sehr wohl fühlte – vor allem wenn es um Verbesserungen im Sinne der Effizienz ging, konnte er stundenlang neue Programme schreiben und entwarf tolle Strukturen.

„Warum erwischt es nicht die Arschlöcher“ hat ein guter Freund anlässlich seiner Todesnachricht gefragt. Leider kenne ich niemand, der darauf eine Antwort geben könnte. Wenn es Gott gibt, dann würfelt er nicht, genauso wenig wie man mit dem Schicksal verhandeln kann.

Es gibt viel, was mir fehlen wird und wahrscheinlich weiß ich davon erst einen Teil. Die gute Zangel-Freundschaft und die daraus entstandene ständige Bereitschaft dem anderen bei Problemen zu helfen – mit Rat und Tat. Stundenlange Diskussionen über gute oder vielleicht noch bessere Lösungen für den Aufbau eines Restaurationsprojekts, bis hin zu einem kurzen Anruf: Kannst du mir morgen helfen den Motor einzuhängen? Er konnte immer.
Das folgende Bild zeigt Oliver am 22. April bei der Reparatur der Kupplung seiner PX 125 – sie war seit einem Jahr sein Alltagsgefährt und wird wohl eines der Fahrzeuge sein, das sich Ulli behält.

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Wir machten alles mögliche gemeinsam, etwa das Sandstrahlen der Karosserien. Das ist eine unglaublich schmutzige Angelegenheit und auch sehr anstrengend. Wir wechselten uns ab und immer wenn einer sein Kreuz nicht mehr spürte oder irgendwie schon nichts mehr sehen konnte, sprang der andere ein und übernahm. So wurde es für beide leichter und wir hatten noch dazu eine gute Geschichte zu erzählen: etwa die der „Strahlemänner“:

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Sehr fehlen werden mir die gemeinsamen Ausfahrten, bei denen er stets vorsichtiger fuhr als ich. Mit seiner Umhängetasche und seinen riesigen Schuhen (passend zu seiner Körpergröße aber nicht zu italienischen Trittbrettern) war er auch beim Vespafahren irgendwie unverwechselbar. Er fotografierte selbst gerne und oft und die vielen Bilder werden mir eine liebe Erinnerung sein an ein paar Jahre, die durch Oliver und seine Freundschaft merklich bereichert wurden.
Hier am Tulbinger Kogel am 12. Oktober 2013, eine der schönsten gemeinsamen Touren über Greifenstein und Katzelsdorf:

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Hier kann ich nur ein paar davon zeigen. Das nächste war eine unserer letzten Ausfahrten am 10. November 2013. Wir machen gerade Rast kurz vor der Kreuzung der Mauerbachstraße mit der Exelbergstraße. Ich weiß nicht, warum mir gerade diese Ausfahrt irgendwie stark in Erinnerung geblieben ist. Es war weder besonders schön noch aufregend.

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Vielleicht liegt es daran, dass er damals noch nichts von seiner Erkrankung wusste. Die Welt war sozusagen noch heil, d.h. sie hatte eine Zukunft. Wir beide hatten eine Zukunft und damit auch unsere Freundschaft. Doch daran dachten wir nicht, weil es nichts zu denken gab, es war ohnehin klar.
In den letzten Monaten erzählte ich immer, dass es der Oliver auf jeden Fall schaffen würde – schließlich waren die Ärzte zuversichtlich und hätten – so meinte er – noch viele verschiedene Pfeile im Köcher. Das mag stimmen, nur wussten wir nicht, dass es Giftpfeile waren. Die moderne Schulmedizin hat in sehr vielen Bereichen unglaubliche und bewundernswerte Fortschritte gemacht. Bei den meisten Krebsarten jedoch versagt sie kläglich. Paul Watzlawick hat das einmal ungefähr so beschrieben: Wer nur einen Hammer in der Hand hat, für den sieht alles aus wie ein Nagel.
Sie haben Oliver mit Chemie vollgepumpt, er bekam 6 Chemotherapien, dazu noch Bestrahlungen und jede Menge Medikamente, um die Folgen und Nebenwirkungen abzufangen. Er glaubte daran, dass die Ärzte wüssten, was sie tun. Das war möglicherweise ein tödlicher Fehler. Sie haben Statistiken und Studien und an die glaubt man am besten nur dann, wenn man sie selbst gefälscht hat. Sie kümmern sich weder um die Ursachen noch um eine ganzheitliche Betrachtung des Organismus.
Ich möchte ihnen nicht ihren guten Willen absprechen und auch nicht ihre Anstrengungen gering schätzen. Es muss für sie auch schlimm sein, einem Patienten beim Sterben zuzusehen. Irgendwie haben in diesem System alle an die Heilung geglaubt: die Ärzte, Oliver und sein gesamtes Umfeld. So hat sich auch niemand nach Alternativen umgesehen bzw. Oliver wollte sie lange nicht annehmen. Er dachte, er würde noch eine zusätzliche Anstrengung neben der Chemo nicht aushalten, es wäre ihm einfach zu viel gewesen, meinte er. Erst fast zum Schluss konnte ich ihn – leider zu spät – zu einer Spezialistin schicken, die ich selbst gut kenne und von der ich weiß, dass sie erfolgreich ist. Zaubern kann sie allerdings auch nicht.
Irgendwann verlor er auch den Glauben an die Schulmedizin. Dann wurde es sehr sehr schwierig, denn die anstehenden Entscheidungen waren keine einfachen: mache ich mit dem weiter, was mir die Ärzte empfehlen, auch wenn sie ihre Meinungen ständig ändern und es irgendwie so scheint, als hätten sie auch keinen Plan? Gehe ich weiter ins Krankenhaus, auch wenn mir schon bei seinem Anblick schlecht wird?
Wusste Oliver, wie es wirklich um seine Krankheit und damit um sein Leben stand? Wir werden das nie erfahren und irgendwie ist es auch egal, denn wir können es nicht mehr ändern.
Aber vielleicht können wir daraus lernen, etwa den Wert unserer Gesundheit zu schätzen, so lange wir sie haben. Vielleicht sollten wir auch den blinden Glauben an die Allmacht der Schulmedizin aufgeben, das wird gar kein leichter Lernprozess, denn wir haben das seit unserer Kindheit sozusagen inhaliert: Wenn du krank bist, geh zum Arzt.
Das ergibt aber nur einen Sinn, wenn es der richtige Arzt für deine Krankheit ist. Und hier ist auch der einzige echte Vorwurf, den ich der Schulmedizin hier und jetzt mache: Sie bietet keine Alternativen an. Es geht dabei nicht darum, dass ein Schulmediziner irgend einen Wunderheiler anpreist, sondern um zwei Dinge: Erstens wünsche ich mir eine Schulmedizin, die bereit ist sich mit Alternativen zu beschäftigen ohne sofort nach klinischen Studien und Statistiken zu schreien. Zweitens wünsche ich mir eine Schulmedizin, die nicht der Ansicht ist, dass sie die alleinige Heilkunst hat und somit alles andere aus Prinzip schlecht oder unwirksam ist. Genau das ist aber der Fall – nicht bei jedem Arzt, aber bei den meisten.
Ich möchte eine Diagnostik, die ganzheitlich orientiert ist. Das bedeutet in der Praxis folgendes: Wer krank ist geht zum Arzt. Dieser macht eine Diagnose und danach einen Therapievorschlag. Bei Krebs ist das Chemo, Bestrahlung und Operation. Ansonsten gibt es nichts und darf es nichts geben, denn alles andere würde bedeuten, dass die drei Therapien nicht das einzig Heilende sind, sondern nur drei von vielen verschiedenen Möglichkeiten. Der Arzt könnte etwa sagen: Lieber Patient, es gibt 7 (oder 12 oder vielleicht nur 5) Möglichkeiten ihre Krankheit zu behandeln. Wir können ihnen drei davon anbieten und empfehlen. Für die anderen müssen sie die dafür zuständigen Spezialisten aufsuchen.
Natürlich macht das den Patienten die Auswahl nicht leichter. Aber jetzt haben sie gar keine, außer sie ignorieren die Schulmedizin völlig und machen sich selbst schlau. Für die Schlauheit habe ich aber das (nicht gerade billige) Medizinsystem. Die Entscheidung über mein Leben kann mir der Arzt sowieso nicht abnehmen und wie ich bei meinen drei jetzt verstorbenen Freunden gesehen habe, war es drei Mal die falsche Entscheidung. Ich weiß nicht, ob sie noch leben würden, aber noch mehr tot könnten sie bei alternativen Behandlungen auch nicht sein. Jedenfalls hätten sie sich die schmerzhaften und unangenehmen Chemotherapien erspart.

Was es bedeutet, dass er mir fehlt, zeigen vielleicht die beiden nächsten Bilder. Das obere stammt vom 12. Oktober 2013, das untere ist ein Jahr später.

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Ich werde den fröhlichen, freundlichen Oliver vermissen. Die unzähligen Mails, die er mir zu tausend verschiedenen Themen oft zu nächtlicher Stunde geschickt hat. Er ist einen Weg gegangen, den wir alle gehen müssen. Wahrscheinlich ist es gut, dass wir nicht wissen, wann er uns bevorsteht und auf welche Art wir ihn betreten werden. Oliver konnte sich nicht mehr von uns verabschieden, er kämpfte bis zum Schluss um sein Leben. Vielleicht kann uns die Vorstellung trösten, dass wir ihm wieder begegnen werden. Ich werde dann mit ihm eine schöne Vespa-Ausfahrt machen, durch eine sonnige, hügelige Landschaft. Wir werden an einer Stelle mit guter Aussicht stehen bleiben und in die Abendsonne schauen. Wir beide, der Oliver und ich. Vielleicht wird dann in der Ferne ein Knattern zu hören sein und wir werden eine blau-weiße Lambretta und eine Vespa herankommen sehen. Dann werden Ronny und Christian neben uns stehen und gemeinsam werden wir uns ein Bierchen aufmachen, ein gut gekühltes Stiegl käme da grad recht.

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Dieses Posting entstand genau 40 Tage nach seinem Tod. So lange bleibt laut schamanischer Vorstellung die Seele noch bei uns, bevor sie sich wohin auch immer verabschiedet.

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