Kennen Sie Romans-sur-Isère?

Das macht nichts, denn die Trends gegen die Beschleunigung sind schwer zu erkennen, sie sind nicht so grellbunt und schreien nicht so laut. Aber es gibt sie und sie werden mehr. Sie entstehen aus dem Bedürfnis dem Wahnsinn zu entkommen, sich Inseln der Ruhe und Beschaulichkeit zu suchen, und zwar im Alltagsleben.
In dieser kleinen französischen Stadt gibt es jetzt eine Komplementärwährung. Sie heißt „Mesure“ und man kann damit nur in kleinen, innerstädtischen Geschäften bezahlen, nicht in den großen Shopping-Malls am Rande der Stadt.
Diese Währung wurde von einer Bürgerinitiative ins Leben gerufen und das ist wohl bei vielen Entwicklungen, die „von unten“ kommen, der Fall. Menschen mit einem Bedürfnis suchen sich Gleichgesinnte und versuchen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Sie bilden Gemeinschaft und suchen nach Lösungen für ihre Probleme.
Von „oben“ gibt es solche Trends nicht, die Gemeinde oder der Staat kämen nie auch nur auf den Gedanken so etwas einzurichten, zu erfinden, umzusetzen. Sie sind nie aktiv, sondern immer nur reaktiv.
Entwicklungen wie Komplementärwährungen sind den Gemeinden und dem Staat suspekt, weil sie an ihrer Zentralmacht rütteln. Machtsysteme investieren viel Geld und Energie in den Erhalt ihrer eigenen Macht.
In Romans-sur-Isère interessiert das die Bürgerinitiative nicht. Sie vergrößern ihr Netzwerk und haben Freude daran, ihre kleinen Strukturen selbst aufzubauen und zu pflegen.
Die lokale Währung funktioniert, weil sie an Kriterien gebunden ist: Man kauft damit nicht irgendwas irgendwo bei irgendwem, sondern in einem regionalen Verbund, einem so genannten „Lebensbecken“.
So lernt man lokale Strukturen wieder zu schätzen und denkt nicht mehr so intensiv an Großbanken, Shopping-Malls und Lebensmittelindustrie.
Durch die Lokalwährung wird die Wirtschaft re-lokalisiert und aktiviert. Ganz automatisch fördert das die guten Strukturen wie Qualität, Gemeinschaft und Sorgsamkeit. Man achtet plötzlich genauer darauf, wer etwas herstellt und wie es gemacht wird. Die Umgebung bekommt wieder einen Wert, der durch die Dis-Lokalität großer Strukturen zerstört wurde. Damit bekommen auch die Dinge wieder einen Wert.
In der Gemeinschaft bekommen auch die Menschen, die Bürger wieder einen Wert und eine Aufgabe. Sie müssen jetzt die Wirtschaft selbst steuern und sich überlegen, wie man das am besten macht.
Das Ergebnis ist fast ein Paradigmenwechsel: Die Wirtschaft dient jetzt wieder den Menschen und ihrer Versorgung mit notwendigen Gütern – und nicht umgekehrt. „Geht es der Wirtschaft gut, dann geht es den Menschen gut“ – dieser seltsame Werbespruch ruft in Romans-sur-Isère nur Kopfschütteln hervor: hier stehen die Menschen im Vordergrund und an erster Stelle, nicht die Wirtschaft als abstraktes Gebilde, das nur sich selbst und seine eigene Macht zu perpetuieren pflegt, genau genommen parasitär am Wohl der Menschen hängend.
Die Menschen machen dort die Wirtschaft und werden aktiv – ganz im Gegensatz zur passiven Rolle, die wir gemeinhin gewohnt sind, wo wir uns der Wirtschaft gegenüber als klein und machtlos empfinden, ihren Gesetzen scheinbar schutz- und machtlos ausgeliefert. Wir erschauern vor Ehrfurcht oder Angst, wenn wir hören, was „der Markt“ schon wieder will und dass die „Gesetze des Marktes“ über allem stehen.
Das ist „merde“, wie die Franzosen zu sagen pflegen.

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