Charlie ging zu seiner Hinrichtung

Als die Mitarbeiter von Charlie Hebdo heute früh einer nach dem anderen in ihr Büro kamen, wussten sie nicht, dass sie zu ihrer eigenen Hinrichtung gingen.

Derzeit spricht man von zwölf Toten, ermordet von drei Männern mit Maschinenpistolen, mitten in Paris, der Stadt der Liebe. Ich kannte Charlie Hebdo bis heute nicht, obwohl ich Karikaturen und Cartoons sehr schätze und in meiner Jugend selbst gerne Karikaturist geworden wäre – leider fehlt mir die nötige Begabung, daher habe ich mich auf´s Schreiben verlegt.
Diese Menschen mussten sterben, weil sie Kritiker waren. Sie haben auf ihre eigene Art Kritik an Systemschwächen geäußert und gepflegt. Seit der Aufklärung hat der politische Cartoon in Frankreich Tradition und ist ein durchaus wichtiger Teil der Kultur. Mit „Kultur“ ist die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen gemeint.
Ihre letzte Karikatur haben die Redakteure, Cartoonisten und Angestellten von Charlie Hebdo in Form einer Skulptur gebildet: die blutigen Leichen geben ihrer Arbeit einen tragischen, aber würdevollen Abschluss. Ihr Tod zerstört ihre Arbeit genauso wenig wie die Bücherverbrennungen der Nazis den Widerstand brechen konnten.
Der Grund dafür liegt in der Menschlichkeit der Menschen, die ohne Kritik und Kritiker keine solche wäre. Die Mörder der Kritiker müssen sich den Vorwurf der Unmenschlichkeit gefallen lassen, er klebt an ihren Händen bis zum Ende ihres Lebens.

Wikipedia ist enorm schnell, hier ein Auszug aus der Aktualisierung vom 7. Jänner 2015:
„Bei einem Terroranschlag auf das Redaktionsbüro von Charlie Hebdo wurde am 7. Januar 2015 fast die gesamte Redaktion der Zeitschrift getötet. Der Radiosender Radio France, die Tageszeitung Le Monde und die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt France Télévisions kündigten daraufhin in einem gemeinsamen Statement an, das Überleben der Satirezeitschrift durch Mitarbeiter und andere Mittel zu sichern.[4] Es sei ein gemeinsamer Akt notwendig, um Unabhängigkeit, Meinungsfreiheit und die Grundprinzipien der Demokratie zu verteidigen.“

Die „kritiké techné“ (griechisch) ist die Kunst der „Unterscheidung, Trennung“ und somit eine Grundkategorie des Denkens überhaupt. Wenn sie zerstört wird, gibt es auch kein Denken und somit keine Menschlichkeit mehr. Erst Kritik ermöglicht die Urteilsbildung.
Die Kritik als politische Kategorie ermöglicht die Trennung des einen vom anderen und macht somit Politik als Kunst des Managements von Interessensunterschieden überhaupt erst denkbar und durchführbar. Immer dann, wenn „eh alle Parteien“ gleich sind, muss die Unterscheidung umso deutlicher vorgenommen werden, sie muss also mit dem Mittel der Übertreibung arbeiten. Die Karikatur ist dafür eine von vielen guten Methoden.

Heute wurden mehrere gute „Unterscheider“ getötet. Ihre Lebenskraft ist erloschen, ihre politische Kraft lebt in ihrem Vermächtnis weiter, und zwar auch in der Unsterblichkeit des Humors. Dieser wiederum geht ihren Mördern ab, die dadurch keinerlei dauerhaftes Vermächtnis hinterlassen werden.

Zum Abschluss möchte ich noch den Link zu den Reaktionen vieler anderer Cartoonisten anbieten, die zur Feder gegriffen haben und in beeindruckender Weise auf den Angriff antworten:
http://www.buzzfeed.com/ryanhatesthis/heartbreaking-cartoons-from-artists-in-response-to-the-ch?bftw&utm_term=4ldqpfp#.tr3K5xg05

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