Konsumgesellschaft im Abverkauf

Gleich zur Sache: Vor ein paar Wochen bekam ich einen Anruf einer Telefonmarketingfirma namens „Swedex“. Eine nette deutsche Stimme überschüttete mich mit einstudierten Sätzen, hohlen Phrasen und Suggestivfragen („Herr Schwarz, günstige Gelegenheiten darf man doch nicht vestreichen lassen, Herr Schwarz“), auf die sie die Antwort gar nicht erst abwartete.
Ich wäre ausgesucht worden und total exklusiv bekäme ich ein universelles Wundergerät frei Haus zugestellt, mit dem ich meine bisher miesen Präsentationen ab nun in sensationeller Qualität erstellen könnte, so dass die Kunden reihenweise um Aufträge betteln würden, schon demnächst – ich bräuchte nur damit einverstanden sein, dass mir das Gerät kostenfrei zur Ansicht vorbeigebracht würde. Schon bald, mit einem Botendienst. Wenn ich es nicht für so toll befinden würde, so käme der Botendienst wieder und würde es abholen.
Meine Einwände wurden gekonnt abgeblockt.

Ich sagte ja. Mit einem miesen Gefühl, aber ich sagte ja. Allerdings wusste ich zu diesem Zeitpunkt bereits, dass ich das Gerät nicht in Betrieb nehmen würde, und zwar einfach deswegen, weil ich es nicht brauche, nicht gebraucht habe und auch in Zukunft sicher nicht brauchen würde.

Warum ich „ja“ gesagt habe? Weil mir die nette Dame leid tat – sie tut nur ihren Job und bekommt hoffentlich Provision wenn ich mir das Gerät vorbeibringen lasse. Außerdem ist das für mich eine gute Möglichkeit Beispiele zu sammeln – mehr dazu weiter unten.

Wenige Tage später kam ein Anruf mit der Frage, ob denn das Gerät schon da wäre. Ich verneinte. Am nächsten Tag wurde es jedoch tatsächlich geliefert. Ich öffnete den Karton, sah mir die Anleitung an und verschloss das Ganze wieder. Dann wartete ich auf einen Anruf, der auch kam: Wie mir denn das Gerät gefallen hätte?
Ich erklärte der netten Dame, dass es sich sicher um ein tolles Gerät handelt, ich es jedoch nicht brauchen könnte. Nach ein paar Minuten Überredungsversuch wurde ihr klar, dass ich es nicht kaufen würde. Also wurde vereinbart, dass es wieder abgeholt würde.

Am Tag danach kam der nächste Anruf. Man hätte noch eine einzige Frage. Dann kam allerdings keine Frage, sondern die Dame erklärte mir, dass sie mir ein spezielles Angebot machen möchte: das Gerät könnte ich gratis behalten. Warum? Weil es „die Produktion ja schon verlassen hätte, somit ein Gebrauchtgerät wäre und wertlos.“ Ich könnte dem netten Botendienst einfach sagen, er könnte ohne das Gerät wieder abrauschen.

Daraufhin stellte ich der Dame eine Frage: ob sie wüsste, was ein „Universal-Harvester“ ist. Sie verneinte und ich erklärte ihr, dass das ein riesiges, ganz tolles Gerät ist, mit dem man in einem Arbeitsgang Bäume fällen, entasten und zerteilen kann. Eine Super-Maschine, leider mit dem Nachteil, dass sie nur für Menschen brauchbar ist, die einen Wald haben und Bäume fällen müssen. Und ich kann das Laminiergerät (darum handelt es sich nämlich tatsächlich) einfach nicht brauchen, weil ich nicht laminieren muss.
Also willigte sie ein, dass das Gerät abgeholt wird. Die Enttäuschung in ihrer Stimme war unverkennbar: wie kann man so ein tolles Gratisgerät ablehnen? (Exakt als ich diese Zeilen schreibe, läutet es an der Tür und ein freundlicher Schwarzafrikaner holt das Gerät ab, sein Telefonat – über Ohrenstöpsel – in einer mir unbekannten Sprache hat er dabei übrigens nicht unterbrochen.)

Was bedeutet das alles? Ich möchte das aus mehreren Perspektiven beleuchten.

a.) Marketing

Ich sammle seit Jahren schlechte Beispiele für meine Lehrveranstaltung auf der Fachhochschule und habe wahrlich keinen Mangel. Das ist wieder so ein Beispiel, und zwar ein bussifeines. Eine Dame ruft unerwartet und unverlangt an – das ist schon der erste schwere Fehler, denn ich werde oft angerufen und bin von vorneherein schon negativ eingestellt. Außerdem weiß ich schon, was da jetzt kommt und kenne all die Sprüche und Tricks auswendig: die mehrmalige Betonung meines Namens, die Suggestivfragen etc.
Das Problem besteht darin, dass die Dame nicht auf meine Interessen und Bedürfnisse eingehen kann, ganz im Gegenteil: sie DARF nicht darauf eingehen und mich etwa fragen, ob ich Präsentationen mache und ob ich dafür laminierte Unterlagen brauche. Dann würde nämlich nur ein ganz kleiner Teil der Angerufenen übrig bleiben – viel zu wenig für ihr Marketingmodell, das darauf beruht, dass sich möglichst viele Menschen das Gerät zuschicken lassen.
Dahinter steckt die Hoffnung, dass einige von diesen potenziellen Kunden a.) das Gerät wirklich gut finden und kaufen oder b.) es nicht gut finden, aber aus verschiedenen Gründen nicht zurück schicken. Es kann etwa sein, dass die Sekretärin, die es entgegen nimmt oder sich darum kümmern muss, den Aufwand zu hoch findet und da es eh die Firma zahlt und man es irgendwann schon für irgendwas brauchen kann…
Wie hoch der Prozentsatz solcher Firmen bzw. Kunden ist, kann ich schwer abschätzen, aber ich glaube nicht, dass er hoch genug ist, damit sich das rechnet.

Ich halte Telefonmarketing für eine veraltete Methode. Das war in den Anfangszeiten interessant, als man noch wichtig war oder sich wichtig fühlen konnte, wenn man angerufen wurde. Es konnte in einer Zeit funktionieren, in der es noch ganz selten praktiziert wurde und der Reiz des Neuen noch da war.

b.) Geschäftsmodell

Was bringt es mir ein Gerät gratis anzubieten?
Irgendwer muss damit verdienen, sonst würden sie es nicht machen. Also mache ich mich auf die Suche und finde gleich eine ganze Menge an Menschen, die daran verdienen:
1.) Die Firma Swedex, die das Marketing betreibt. Sie verdient natürlich an den wenigen verkauften Geräten, aber auch an denen, die geliefert und wieder abgeholt werden. Sie verdient sogar an den durchgeführten Anrufen – all das wird nämlich an die Produktionsfirma weiterverrechnet. Nach einiger Zeit geht die Firma zwar Pleite, aber bis dahin haben alle verdient: die netten Damen im Callcenter, die Manager der Firma, die Reinigungskraft etc.
2.) Die Produktionsfirma, die das Gerät herstellt. Sie wurde mit Bankkrediten finanziert und produziert eine gewisse Zeit eine Menge Geräte, und zwar nicht aufgrund irgend eines Bedarfs, sondern einfach so. Der Bedarf wird durch die Marketingfirma geweckt, und wenn nicht, dann ist das auch kein Problem, denn die Manager der Firma haben fette Gehälter bezogen, die niemand von ihnen zurückfordern kann.
3.) Die Bankmanager haben auch verdient, denn sie haben fette Provisionen erhalten und dazu noch ihr Gehalt.
4.) Die eigentlichen Hersteller, also die Arbeiter der Firma haben auch verdient, denn sie haben ebenfalls eine gewisse Zeit Gehalt bekommen.
5.) Die Botendienste, welche die Geräte liefern und wieder abholen.
6.) Die Telefonfirmen, über deren Produkte das Telefonmarketing abläuft.
7.) wahrscheinlich noch einige andere.

Wohlgemerkt: all diese Personen haben eine Menge Geld verdient ohne dass ein einziges Gerät verkauft werden muss. Wie kann das funktionieren? Wer bezahlt das alles?
Nun, die Sache ist ganz einfach: bezahlen tun folgende Personen:
1.) Die wenigen Käufer der Geräte. Einige davon verwenden das Gerät tatsächlich im Sinne ihrer Bestimmung und für sie ist es ein gutes Geschäft. Viele stellen es in ein Eck. Das schmälert ihren Geschäftserfolg und wird im Idealfall irgendwie abgefangen, etwa wenn sie es sich einfach leisten können, weil sie ohnehin woanders mehr verdienen.
2.) Die Steuerzahler, und zwar auf mehrere Arten:
a.) Wenn die Firmen, die alle gut verdient haben, nach einiger Zeit pleite gehen, dann beschäftigt das jede Menge Gerichte, deren Angestellte aus Steuergeldern finanziert werden.
b.) Die pleite gegangenen Firmen hinterlassen Gläubiger, die ihrerseits die Verluste auffangen müssen, etwa indem sie ihre eigenen Preise erhöhen oder selbst pleite gehen.
c.) Die Banken haben dieses Modell erst durch ihren Kredit ermöglicht und werden selbst, wenn sie durch viele solche Geschichten krachen, vom Staat – also von den Steuerzahlern – „gerettet“. Sie brauchen sich daher keine Sorgen machen und können wild drauflos finanzieren und tun das auch. Die Verschärfung der Kreditrichtlinien gilt de facto nur für den kleinen Steuerzahler, Privatkunden oder kleinen Geschäftskunden. Alle anderen werden scheinbar weiter finanziert, sonst gäbe es solche Geschäftsmodelle nicht.
d.) Die Anleger: Dort, wo es tatsächlich nicht mehr über einen normalen Kredit funktionierte, bastelt man ein Finanzierungsmodell über ein Finanzprodukt. Dann wird etwa ein Fonds eröffnet wird, in dem ganz viele Unternehmen zwecks Risikostreuung zusammengefasst werden. Diese Fonds werden in Form von Anteilen an Kunden verkauft, als lukrative Anlagemöglichkeiten ohne jedes Risiko.
Dann gehen diese Fonds von Zeit zu Zeit pleite und die Anleger verlieren ihr eingesetztes Geld. Meistens können sie noch froh sein, wenn sie nicht nachschießen müssen, wie dies etwa bei den geschlossenen Schiffsfonds passiert ist und in Zukunft mit den Flugzeugfonds passieren wird.
Die Banken können das völlig bedenkenlos verkaufen, denn sie haften nicht für pleite gegangene Fonds, ganz im Gegenteil: sie haben umso mehr verdient, je riskanter der Fonds war. Man kann auch sagen: je mehr Fonds pleite gehen, desto mehr verdienen die Banken, und zwar ohne jedes eigene Risiko, denn eine Haftungsklage geht nur in so wenigen Fällen durch, dass sie sich das locker leisten können und sowieso in ihr Modell einpreisen.
Das funktioniert übrigens immer, denn gierige bzw. dumme Kunden, die gerne ohne eigene Arbeit viel Geld verdienen wollen („lassen Sie Ihr Geld arbeiten“), finden sich zuhauf. Auch eine Finanzkrise wie 2008/2009 mit vielen pleite gegangenen Fonds hat daran nichts geändert, die Kunden investieren sogar noch riskanter als früher. Die Banken werden sich daher hüten ihr Geschäftsmodell zu ändern.

c.) Konsumgesellschaft

Fabriken bauen Produkte, die niemand braucht und schenken diese dann her. Ressourcenausbeutung, -verschwendung und Umweltzerstörung sind kein Teil des volkswirtschaftlichen Berechnungsmodells und können daher für eigene Zwecke genutzt werden. Da ich immer öfter mit solchen Geschäftsmodellen konfrontiert bin, nehme ich an, dass ihre Anzahl zunimmt.
Wie lange kann das gut gehen? Die Dame von Swedex erklärt mir wie wertvoll und toll das Produkt ist und im nächsten Atemzug bietet sie mir an es herzuschenken, weil es Müll ist, wertlos ab dem Zeitpunkt seiner Produktion – nicht nach langem Gebrauch, sondern ab der Fertigstellung!
Es wird somit Müll produziert, der nicht für den Gebrauch gedacht ist und auch nicht so verwendet wird. Das wieder abgeholte Gerät landet auf der Halde und wird nach Afrika verschifft, wo es von Kindern auseinandergenommen wird. Aus den so gewonnenen Materialien wird dann neuer Müll erzeugt.
Da die Kunden inzwischen gar nicht mehr konsumieren wollen, müssen die Geschäftsmodelle so aufgebaut werden, dass sie ohne Kunden funktionieren. Das erinnert an die Kartoffelmaschine von Otto Waalkes: Sie sät die Kartoffeln aus, düngt sie, jätet sie, erntet sie, wäscht sie, kocht sie, schält sie und isst sie auf.

Ich habe nicht das Gefühl, dass ich übertreibe. Ich habe aber sehr wohl das Gefühl, dass dieses Modell nicht lange funktionieren kann. Ganz im Gegenteil: ich hoffe, dass es bald zu Ende geht, denn es richtet mehr Schaden an als es Nutzen erzeugt. Deswegen bin ich ein durchaus glühender Verfechter der Postwachstumsökonomie.

Ein Gedanke zu „Konsumgesellschaft im Abverkauf

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