Das Dilemma der Rating-Agenturen

Sie sind im Gespräch, derzeit mehr als je zuvor. Die meisten Menschen inklusive meiner Wenigkeit schüttelten schon bei der 2008er-Finanzkrise den Kopf und fragten sich, wieso diese Firmen erstens so viel Macht haben und zweitens so ungeschoren davon kommen.
Jetzt ist es wieder so weit. Die Ratingagentur Standard&Poors hat die USA von AAA auf AA+ zurückgestuft. Ganz abgesehen davon, dass das den kleinen Bürger vorerst nicht interessiert, hat das doch etwas zu bedeuten.

Wieso dürfen Rating-Agenturen eigentlich Staaten bewerten? Hier liegt meiner Ansicht nach der erste Fehler im System. Ganz abgesehen davon, dass ich auf ihre sonstigen Bewertungen genau gar nichts gebe, etwa weil sie seinerzeit Lehman Brothers in den Olymp gehoben haben und die waren kurz danach einfach pleite, sollten die Agenturen nur Firmen bewerten, und nicht Staaten. Ich glaube nämlich, dass sie das nicht können. Erstens weil sie es – auf wienerisch gesagt – nicht derheben, zweitens weil Staaten nach anderen Gesetzmäßigkeiten funktionieren als Firmen. Sie können nicht pleite gehen, weil sie kein betriebswirtschaftliches Unternehmen sind. Daher macht es auch keinen Sinn, sie im gleichen Schema wie einen Autohersteller oder eine Softwarefirma zu bewerten.

Drittens sind die Rating-Agenturen selbst politisch interessiert und zwar mindestens wirtschaftspolitisch. Sie gehören jemandem und derjenige, der Eigentümer der Rating-Agentur, hat ganz bestimmte Eigeninteressen. Die Ratings richten sich daher nach den Interessen des Eigentümers, das sollte jedem klar sein. Diese Interessen sind in erster Linie pekuniärer Natur, sprich: der Eigentümer will möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen. Genau genommen hat er sonst keine weiteren Interessen. Eine Rating-Agentur ist eine betriebswirtschaftlich geführte Firma mit dem Ziel, Profit zu machen. Daher tun sie genau das, was ihre Geldgeber wollen.
Sie bewerten etwa die Firmen, denen sie gehören und von denen sie bezahlt werden. Natürlich bewerten sie diese gut, denn sonst bekommen sie vom Eigentümer eine aufs Dach. Das ist mehr als logisch.

Leider oder Gott sei Dank – je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtet – leben die Rating-Agenturen auch davon, dass sich jemand für ihre Ratings interessiert, mit anderen Worten: Andere Firmen (Investmentbanken etwa) richten ihre Entscheidungen nach den Ergebnissen der Ratings. Das ist viel praktischer, als sich selbst um die Anlagen zu kümmern: man kauft, was von der Agentur für gut befunden wird, und verkauft, was herabgestuft wird. Das geht einfach und schnell und man muss sich nicht viel antun. Dass dies so ist, hat man etwa an der Lehman-Pleite gesehen, die niemandem aufgefallen ist, bevor es zu spät war. Milliarden versenkt? Das hat niemand bemerkt, weil man gebannt auf die Ratings geschaut hat – und die waren ja hervorragend, also wozu noch nachfragen, stöbern, Geld und Zeit investieren?

Nun kommen die Agenturen in ein Dilemma. Wenn sie nämlich wirklich objektiv bewerten würden (ganz abgesehen davon, dass man bezweifeln kann, ob sie das überhaupt beherrschen, die richtigen Werkzeuge dafür haben, bisher mussten sie das ja nicht), dann hätten ihre Eigentümer ein Interessenproblem. Wenn sie es nicht tun, haben sie ein Akzeptanzproblem.

Bisher konnten sie dieses Dilemma elegant umschiffen, indem sie vor der glücklichen Lage standen, dass ihnen die relevanten Kunden blind geglaubt haben, ganz egal wie viel Mist sie verzapft haben. Damit konnten sie den Widerspruch bewältigen. Bisher hat niemand von ihnen verlangt, dass sie sauber bewerten.

Warum glauben die Leute eigentlich dem, was die Rating-Agenturen so von sich geben? Der erste Grund ist oben schon angeführt, das ist die Bequemlichkeit. Man erspart sich eigene Recherche und damit Arbeit und Geld. Der zweite Grund ist schon etwas diffiziler: Menschen glauben gerne an etwas. Das ist beruhigend und angenehm und man kann damit Verantwortung abwälzen. Man glaubt gerne, dass die großen, reichen und mächtigen Agenturen mit ihren Glaspalästen sehr genau wissen, was sie tun. Man glaubt gerne, dass sie die tollen komplexen und natürlich streng geheimen Computerprogramme haben, die ihnen sagen, wie es wirklich ist. Man glaubt gerne, dass die smarten, feschen Herren in ihren teuren Anzügen Fachleute sind, redlich und ehrlich. Man glaubt gerne, dass sie unabhängig und objektiv bewerten und dass diese Bewertungen daher das ausdrücken bzw. sind, was wir alle wollen: die Wahrheit.

Noch ein weiterer Aspekt spielt hinein: die großen vier Agenturen haben quasi ein Oligopol, denn außer ihnen bewertet niemand oder zumindest niemand, dem man glaubt. Diese Position haben sie sich über die Jahre erarbeitet und dafür entsprechendes Lobbying betrieben. Was wäre, wenn es staatliche Rating-Agenturen gäbe, mit denen sie konkurrieren müssten? Sie hätten vielleicht mehr Geld, aber sicher weniger Akzeptanz, weil sie keinerlei Unabhängigkeit vorweisen können. Daher haben sie dafür gesorgt, dass es keine staatlichen Agenturen gibt. Braucht noch irgendwer einen zusätzlichen Beweis für Macht?

Wer also irgendwelche Zahlen braucht, um vor seinem Chef das Investment rechtfertigen zu können, greift gerne bei den Rating-Agenturen zu, und zwar ganz egal, was sie liefern.

Nun fangen sie jedoch an, mit ihrem Image zu kämpfen. Je mehr Mist sie bauen und je klarer ihre Abhängigkeit und Parteilichkeit wird, desto mehr sinkt ihr Stern. Dadurch geraten sie in ein neuerliches Dilemma:
Wenn wir so weiter tun, gibt es uns vielleicht bald nicht mehr, weil keiner mehr unseren Ratings glaubt und daher auch nichts bezahlt.
Wenn wir nicht so weiter tun, gibt es uns vielleicht bald nicht mehr, weil dann kann man gleich staatliche (oder auch eine europäische…) Agenturen gründen und beauftragen.

Damit nicht genug, eröffnet sich ein weiteres Dilemma:
Wenn wir zugeben, dass wir uns für die Ratings bezahlen lassen (wie möglicherweise bei Lehman Brothers), verlieren wir an Glaubwürdigkeit.
Wenn wir es nicht zugeben, dann waren wir scheinbar zu unfähig und verlieren an Glaubwürdigkeit.

Die haben es nicht leicht, die Rating-Agenturen. Mein Mitleid hält sich trotzdem in Grenzen, und ich bin dafür sie aufzulösen und durch staatliche Agenturen zu ersetzen, die den Job unabhängig machen können. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die genauso viel Kompetenz haben.

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