Die Omi ist nicht mehr

Heute um 17 Uhr ist meine Großmutter gestorben. Sie wurde 92 Jahre alt und hatte ein über weite Strecken bewegtes Leben.

oma

Als mein Onkel gestern eine Mail schrieb und meinte, sie hätten die Omi jetzt von der künstlichen Ernährung abgehängt und sie würde Morphium bekommen, war klar, dass es dem Ende zu geht. Die letzten Wochen hatte sich ihr Zustand verschlechtert, bis vor einer Woche gab es jedoch noch Hoffnung, dass sie sich erholen und wieder nach Hause zurück kehren könnte. Zugegeben – keine große Hoffnung, aber immerhin.

Die Omi war kein Fall für ein Pflegeheim. Sie musste nach ihrer Scheidung lernen alleine zurecht zu kommen und erarbeitete sich eine tadellose Selbständigkeit. Über dreißig Jahre wohnte sie in ihrer netten kleinen Wohnung in Dornbach und bis vor zwei Jahren fuhr sie engagiert und flott Auto. Sie hörte nicht mehr allzu gut, aber ihre Augen waren noch okay und sie fuhr auch nicht mehr so schnell wie früher, als wir sie die „flotte Omi“ nannten.
Als sie Anfang des Jahres ins Krankenhaus musste, war dies zwar beunruhigend, aber nicht tragisch. Eine Stomatitis machte ihr das Essen schwer und daher magerte sie noch mehr ab, als sie sowieso schon war. Einige Krankheiten, zuletzt ein hartnäckiger Virus vor einem Jahr, machten ihr zu schaffen. Aber wie war ein robuster Typ und erholte sich wieder.

Ich ging ihr die letzten paar Jahre ein bis zwei Mal die Woche einkaufen und zur Bank, sie nannte mich neckisch ihren „Finanzminister“. Pünktlich um acht Uhr in der früh rief sie mich an und gab mir die Einkaufsliste durch. So war ich auch weitgehend gut informiert darüber wie es ihr jeweils ging, wenngleich lange Gespräche nur mehr sehr selten waren. Der kleine Schmattes, den ich jedes Mal bekam, war mir mehr wert als nur die Geldsumme – immer wieder trank ich den einen oder anderen Spritzwein auf sie und ihr Wohl.

Sie sorgte bis zuletzt großteils für sich selbst, wenngleich sie eine Putz- und Haushaltshilfe hatte und nette Nachbarn, die ihr Besorgungen erledigten. Im Pflegeheim fühlte sie sich nicht wohl, das war nicht ihre Welt. Aufgrund ihrer Sturheit, die sie durchaus immer wieder an den Tag legte, konnten wir bis zuletzt nicht wissen, wie es mit ihr weitergehen würde.

Sie war Jahrgang 1922 und wuchs als Tochter eines Ottakringer Fleischhauers auf. Sie heiratete jung und bekam ihren Sohn mit 19. Ihr Mann, der Toni, war Fliegeroffizier und zu dieser Zeit (1941) schon als Hauptmann bei der deutschen Luftwaffe tätig, zuletzt als Staffelkommandant einer Aufklärungseinheit. 1943 kam meine Mutter zur Welt und nicht lang danach wurde er über Russland abgeschossen, bei einem Flug, der bei Nebel stattfinden sollte. Er wusste, dass er davon nicht zurück kehren würde.
Die widerlichen Nazis nutzten seinen Tod für ihre üble Propaganda – meine Großmutter hatte da sicher keine leichte Zeit.

Dann kam noch ihr Bruder verwundet aus dem Krieg zurück und rückte nach der Genesung wieder ein. Auch er wurde umgebracht – der nächste Schlag für eine junge Frau mit gerade mal ein wenig mehr als zwanzig Jahren und zwei Kindern.
Sie heiratete noch einmal – den Mann, den ich als „Opi“ kennenlernte. Er war auch mein Taufpate und ein sehr guter Zahnarzt. Als er sechzig Jahre alt war angelte er sich eine neunzehnjährige Zahnarztassistentin und gründete eine neue Familie.

Auch das war keine leichte Zeit für die Omi. Sie zog in ihre kleine Wohnung und machte den Führerschein. Ich erinnere mich noch an ihr erstes Auto, einen „DAF 66“. Das war ein Kleinwagen mit Automatik, den sie aber nicht lange hatte – ich glaube, sie fuhr ihn kaputt.

Sie war das, was man sich unter einer Omi vorstellt. Wenn wir Kinder krank waren, dann kam die Omi und brachte Süßigkeiten. Ich erinnere mich noch als ich Scharlach hatte und ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Quarantänestation war eine grausliche Erfahrung, die Verwandten durften nur durch eine Glasscheibe mit uns Kontakt haben, also Sichtkontakt.
Wenn es uns schlecht ging, dann war die Omi da, hielt unsere Hand und sprach uns Trost zu. Das konnte sie wirklich gut und sie brachte am liebsten Ildefonso mit – für uns ein stets willkommenes Geschenk.
Gestern hab ich eine halbe Stunde ihre Hand gehalten, um mich zu verabschieden. Ich weiß nicht, ob sie mich noch registriert hat, die Hand hat sie jedenfalls gespürt.

Niemand weiß, was mit uns nach dem Tod geschieht. Dass wir unsere Verstorbenen treffen, ist vielleicht nur ein Wunschglaube, aber ich wünsche ihr, dass sie ihren Toni wieder trifft und auch den Sepp, ihren Bruder. Beide hat sie schließlich verdammt lang nicht mehr gesehen.

Die folgenden Bilder umspannen einen Zeitraum von 1964 bis 2013:

Omi ca. 1964:

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Brigitte, die beste Freundin meiner Mutter, Omi, und meine Mutter, ca. 1964:

brigitte_omi_mutti

Mutti und Omi in der Sommerfrische, auch ca. 1964:

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Meine Wenigkeit und Omi, 1967:

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Mutti und Omi, wieder ca. 1964:

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Meine Wenigkeit und meine Schwester im Wagerl – Omi führt uns spazieren, ca. 1969:

omi_1969

Das war Omis 91. Geburtstag im April 2013 am Hohen Lindkogel:

omi_91er

Das ist 14 Jahre früher, April 2000:

omi_Lindkogel_2000

Auch das ist der Geburtstag 2000:

omi_Mai_2000

Noch einmal 1964 – hier sieht man die Ähnlichkeit mit meiner Mutter und auch mit meiner Schwester:

omi_1965

2 Gedanken zu „Die Omi ist nicht mehr

  • 13. Mai 2014 um 19:42 Uhr
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    Hallo Guido,

    Ich lese schon lange Deinen Internetblog. Hauptsächlich wegen Deiner Vespatour von Wien nach Rom. Das hat mich mit meinem 2002er Honda SH 125 Roller zu einer Alpenfahrt von Göppingen/D. bis fast an die Adria veranlasst. Auch dieses Jahr steht eine große Rollerfahrt über die Alpen an.

    Aber auch Deine politischen Ansichten sind sehr lesenswert und lassen mich Sachen, um die ich mich bisher nicht groß gekümmert habe, in einem anderen Licht erscheinen.

    Ich habe Dir bisher nie geschrieben oder Deine Meinungen auf FB geliket. Jetzt mache ich das, weil ich Dir mein herzliches Mitgefühl zum Tod Deiner lieben Omi ausdrücken will und hiermit auch tue.

    Viele Grüße aus Göppingen,
    Bernd Tonn

  • 14. Mai 2014 um 14:19 Uhr
    Permalink

    Danke Bruder für diesen netten Nachruf !!!!

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